Hugo M. Enomiya-Lassalle
Zen unter Christen
topos taschenbücher, Band 1049
Eine Produktion der Verlagsgemeinschaft topos plus
Hugo M. Enomiya-Lassalle
topos taschenbücher
Verlagsgemeinschaft topos plus
Butzon & Bercker, Kevelaer
Don Bosco, München
Echter, Würzburg
Lahn-Verlag, Kevelaer
Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern
Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Tyrolia, Innsbruck
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ISBN 978-3-8367-1049-7
E-Book (PDF): ISBN 978-3-8367-5048-6
E-Pub: ISBN 978-3-8367-6048-5
2016 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer
Das © und die inhaltliche Verantwortung liegen bei der
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Einband- und Reihengestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau
Herstellung: Friedrich Pustet, Regensburg
Im Sommer 1990, am 7. Juli, starb in einem Spital in Münster Hugo Makibi Enomiya-Lassalle, 92 Jahre alt, japanischer Staatsbürger deutscher Herkunft, Jesuit und Zen-Lehrer. Der historische Brückenschlag zwischen Christentum und Zen-Buddhismus ist sein Verdienst. Wer heute als Christ oder mit christlichem Hintergrund in Europa, Asien, Nord- oder Süd-Amerika Zen übt, verdankt dies Hugo Lassalle. Auch die Wiederentdeckung christlicher Mystik ist zu einem guten Teil sein Verdienst. Das kleine Büchlein Zen unter Christen fasst seine Sicht knapp und gut zusammen. Vor allem macht es auch seinen Optimismus deutlich, was die Zukunft der Menschheit betrifft, ein Optimismus, der in der Fähigkeit zur Selbstgestaltung des Menschen durch Meditation gründet.
I.
Lassalle kam 1929 als Missionar nach Japan und engagierte sich zunächst in Tokyo in der Sozialarbeit. Er hatte vermutlich schon während seines Studiums Kontakte zu Kreisen in der katholischen Kirche, die ab den 1920er-Jahren für ein inkulturiertes Christentums eintraten. Ab 1935 war er Missionssuperior und ließ das Noviziat in Nagatsuka (in der Nähe von Hiroshima) in japanischem Stil bauen, ebenso die Kapelle – wohl der erste christliche Sakralraum in japanischem Stil. 1939 übersiedelte er selbst nach Hiroshima. Die Atmosphäre im Japan der 1930er-Jahre war durch einen militaristischen Nationalismus geprägt. Der Zen-Buddhismus galt als die Essenz des Japanischen, und deswegen war Lassalle daran interessiert. Auch suchte er nach einer Form des Betens, die für japanische Christen passender war als die wortreiche europäische Variante. So nahm er im Kriegswinter 1943 an einem Sesshin in einem Soto-Zen-Kloster in der Nähe Hiroshimas teil. Was heute selbstverständlich erscheint, war es damals keineswegs, da die „communicatio in sacris“, die Teilnahme an nicht-christlichen Kulthandlungen, untersagt war. Daher hatten sich 1936 katholische Studenten geweigert, vor dem Yasukuni-Schrein in Tokyo, dem bis heute umstrtittenen Denkmal für gefallene japanische Soldaten, an einer Shinto-Zeremonie teilzunehmen. Die römische Behörde erlaubte die Teilnahme, sofern dies nicht in religiöser Haltung geschah. Es mag sein, dass Lassalle dies als Präzendenzfall sah, da sein Interesse ja dem Zen als Ausdruck der japanischen Kultur galt. Am 6. August 1945 warfen die USA die Atombombe auf Hiroshima ab, die die Stadt in Schutt und Asche legte. Lassalle überlebte dank der Steinmauern des Pfarrhauses die Hitzestrahlung und erlitt nur leichte Verletzungen. Ab Herbst 1945 bemühte er sich um den Bau der Weltfriedenskirche in Hiroshima, um dort sein Inkulturationsprojekt fortzusetzen. Internationale Beteiligung machte es möglich, und die Einweihung der Kirche in modernem japanischen Stil am 6. 8. 1954 war ein Großereignis. Am Abend dieses Tages teilten die Oberen Lassalle mit, dass nicht er der Pfarrer werden würde. Für den schwierigen Prozess seiner Neuorientierung waren die spirituelle Erfahrung und die geistlichen Früchte des Sesshins 1943 bestimmend. 58-jährig beschloss er, den Zen-Weg zu seinem Lebensinhalt zu machen, zunächst unter der Führung von Harada Roshi, einem der wichtigsten Zen-Meister der Zeit, und dann unter dessen Nachfolger Yamada Koun Roshi. Dabei suchte Lassalle Schritt für Schritt nach Parallelen und Verbindungen zwischen Zen und christlicher Mystik. Mit dem Zweiten Vatikanum gab es für diesen schwierigen Vorstoß in spirituelles Neuland eine Basis, sodass Lassalle seinen immer umstrittenen Weg gehen konnte. Im Orden wurde er vor allem von Pedro Arrupe als Provinzial und später als Ordensgeneral unterstützt. Anfang der 1960er-Jahre errichtete Lassalle in der Nähe von Hiroshima ein erstes christliches „Zen-Retreat-House“; ab 1969 diente das Zen-Retreat-House Shinmeikutsu in der Nähe von Tokyo für Zen-Kurse. 1968 gab er in Europa die ersten Zen-Kurse, denen unzählige weitere folgten. Auf seine Anregung wurde aus dem Franziskaner-Konvent Dietfurt/Altmühltal 1977 das bis heute bestehende Meditationshaus St.Franziskus, das erste christliche Zen-Zentrum in Europa.
1979 erhielt Lassalle von Yamada Koun Roshi die formelle Erlaubnis, Zen zu lehren, und übernahm damit als katholischer Priester und Ordensmann ein buddhistisches Amt – religionshistorisch ein Novum. Neben seiner umfangreichen Lehrtätigkeit – er war bis 1988 die meiste Zeit des Jahres unterwegs, um Sesshins zu geben – schrieb Lassalle eine Reihe Bücher, in denen er aufzeigte, warum und wie Christen Zen üben können. Yamada Koun Roshi starb am 13. September 1989, Hugo Lassalle neun Monate später. Die Urne mit seiner Asche wurde in der Weltfriedenskirche in Hiroshima beigesetzt.
II.
Hugo Lassalle war kein frustrierter Christ. Seine Identität als Christ hat er nie in irgendeiner Form infrage gestellt, wie seine Tagebücher zeigen. Im Gegenteil, der Zen-Weg hat ihn in seiner Lebenspraxis als Jesuit bestärkt. Manche haben das mit Misstrauen gesehen – die einen, weil sie meinten, er sei dem Christentum untreu geworden, die anderen, weil sie meinten, er sei kein echter „Zen-Mensch“. Tatsächlich verschmolz beides für ihn: Anfangs waren Christentum und Zen wie zwei Parallelen, das heißt, ich blieb dem Christentum treu, doch im Zen folgte ich den Anweisungen der Meister. Aber mit der Zeit wurde aus diesen beiden Linien eine einzige – das geschah einfach. Wenigstens für mich selbst gibt es keinen Widerspruch, ob man das nun glaubt oder nicht“ Das schrieb er 1985 in einem Bericht für seinen Zen-Meister Yamada Koun. (1998, S. 361)
Lassalle hatte als Student eine tiefe mystische Erfahrung: Vielleicht verbrachte er deswegen sein Tertiat bei dem französischen Jesuiten und Mystiker Poullier, bei dem er mit der christlichen Mystik vertraut wurde. Für den Jesuiten Lassalle war traditionelle Askese selbstverständlich, u. a. „Disziplin“, also Selbstgeißelung, und ein sehr genügsamer Lebensstil. Erst die Zen-Übung erschloss ihm einen Weg zu innerer Ruhe jenseits hindernder Gedanken. Wie P. Poullier sah Lassalle als Ziel menschlichen Lebens die Vereinigung mit Gott, für Laien wie Ordensleute. Da die Praxis der Zen-Mönche seiner eigenen jesuitischen Praxis ähnelte, musste, so schlussfolgerte er, auch das Lebensziel ähnlich sein. Zwar spricht man im Buddhismus nicht von „unvergänglicher Glückseligkeit“, und Nirvana wird negativ beschrieben. Doch die mit dem „Erwachen“ verbundene Freude, aber auch die negativen Formulierungen von Mystikern wie Meister Eckhart oder Johannes vom Kreuz legten es Lassalle nahe, Gotteserfahrung und Erfahrung des Erwachens zu parallelisieren. Auch hob Lassalle hervor, dass ähnlich wie im Zen auch im Christentum seit den Kirchenvätern ein über begriffliches Denken hinausgehendes Bewusstsein die Voraussetzung für Gotteserfahrung ist – Pseudodionysius z. B. spricht von „Nicht-Sehen“ und „Nicht-Wissen“. Lassalle ging phänomenologisch vor und hielt Abstand von Hypothesen wie jener einer aller Mystik und Spiritualität zugrunde liegenden „philosophia perennis“ (Aldous Huxley 1946). Wichtig war es Lassalle jedoch aufzuzeigen, dass die Dimension des „nada, nada“ – wie Johannes vom Kreuz sagt – in allen spirituellen Traditionen zum letzten Grund von Erfahrung führt.
Die seit Ende der 1960er-Jahre statistisch belegte Erosion des traditionellen Glaubens in Europa fiel Lassalle bereits 1946 auf einer Reise durch das zerstörte Nachkriegsdeutschland auf. Die europäischen Formen des wortreichen Betens waren für Japaner unpassend. Die Stille und Sammlung, die in der Zen-Praxis entsteht und geübt wird, kann ein hilfreicher Weg des Gebets und der Gotteserfahrung sein, fand Lassalle. Dass Körperhaltung und Atmung die geistliche Übung unterstützen, war neu und führte zu einer tiefgreifenden Neuorientierung, auch wenn Lassalle die asketische Praxis beibehielt. Dieser Wandel wird an einer Stelle der Tagebücher sehr deutlich. Nach einer Motorradfahrt an einem kalten Morgen im Dezember 1957 heißt es:
Die Fahrt durch den kalten Wintermorgen war mir in dieser frostigen, nebligen, […] mit Raureif bedeckten Landschaft wirklich ein Hochgenuss. Vielleicht hat das Zazen auch was damit zu tun. Da der Geist leer wird, kann man die Natur besser genießen. Man fühlt sich in etwa eins mit dieser Natur. Wenn es keine Schlechtigkeit bei den Menschen gäbe, könnte man schon mit dieser Wirklichkeit glücklich und zufrieden sein.
Er begann, inspiriert von dem englischen Mystiker Richard Rolle, innere Wachsamkeit auf das Vollkommene und wenn möglich Vereinigung mit Gott im Herzen zu üben. (1998, S. 264)
III.
Für den Brückenschlag zwischen Zen-Buddhismus und Christentum gab es von zen-buddhistischer wie christlicher Seite gute Gründe. Im Klima des Kalten Krieges schien sowohl für Yamada Roshi wie auch für Hugo Lassalle – beide waren Kriegsteilnehmer gewesen – die Praxis des Zen, die zu einer Relativierung des Ego und des Egoismus sowie zu einer Überwindung eines Denkens, das sich an Gegensätzen orientiert – „West-Ost“, „Freund-Feind“, „Schwarz Weiß“, „Natur-Kultur“ etc. –, führt, ein wesentlicher Beitrag zum Weltfrieden zu sein.
Dazu kam, dass Lassalle im Zen-Weg einen Weg der Gotteserfahrung sah für Menschen, die mit dem traditionellen, rational argumentierenden Christentum nichts mehr anfangen konnten. Yamada Koun Roshi wiederum meinte, dass Zen in Japan im Niedergang begriffen sei, aber starke christliche Institutionen die Tradition bewahren könnten. All dies legte einen Brückenschlag zwischen Christentum und Zen-Buddhismus nahe.
Theoretisch fundiert war dies auf beiden Seiten durch einen wechselseitigen Inklusivismus, der die jeweils andere Religion in die eigene einordnete. In Japan hatte sich im Zuge der Modernisierung ab Beginn des 20. Jahrhunderts ein „neuer Buddhismus“ herausgebildet, der zunächst den Mahayana-Buddhismus und dann Zen inklusivistisch als „Herz aller Religionen“ interpretierte. Auf katholischer Seite gab es ab den 1920er-Jahren eine ähnlich inklusivistische Position. Der europäische Kolonialismus hatte christliche Theologen in Berührung mit der islamischen Mystik gebracht. Um deren große Ähnlichkeit mit der christlichen Mystik zu erklären, entwickelten u. a. Maritain, Lacombe und Gardet das Konzept der „natürlichen Mystik“, die sich in allen Religionen finden ließe und durch die „übernatürliche Mystik“ im Christentum vollendet werde. Diese beiden wechselseitigen Inklusivismen erlaubten Yamada Roshi und Hugo Lassalle den Brückenschlag zwischen den beiden Religionen. Hoch anzurechnen ist beiden, dass sie das Konfliktpotenzial darin nicht bedienten.
Das Zeitfenster zwischen 1961, dem Beginn des Zweiten Vatikanums, und 1978, dem Jahr der Wahl von Papst Johannes Paul II. und der islamischen Revolution im Iran, war der Verständigung zwischen den Religionen förderlich. Davor oder danach hätte das Projekt von Hugo M. Enomiya-Lassalle SJ wohl keine oder nur wenig Chancen gehabt. Die 1960er-Jahre waren eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs. Asiatische Religionen und Praktiken – bislang ein Minderheiten- und Avantgarde-Programm – gelangten in die Mitte der Gesellschaft, während immer mehr Menschen die alten Weltanschauungsinstitutionen verließen. 1960 erschien Lassalles Buch Zen – Weg zur Erleuchtung und fand international große Resonanz. 1967 wurde er zur Tagung „Arzt und Seelsorger“ nach Schloss Elmau eingeladen, wo u. a. auch Graf Dürckheim referierte. Dies war der Beginn der „Meditationsszene“ im deutschen Sprachraum.