Gott ist bei uns
topos premium
Eine Produktion der Verlagsgemeinschaft topos plus
Ein Bonhoeffer-Lesebuch
Ausgewählt und eingeleitet von Klaus Koziol
topos premium
Verlagsgemeinschaft topos plus
Butzon & Bercker, Kevelaer
Don Bosco, München
Echter, Würzburg
Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern
Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Tyrolia, Innsbruck
Eine Initiative der
Verlagsgruppe engagement
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ISBN: 978-3-8367-0016-0
E-Book (PDF): ISBN 978-3-8367-5061-5
E-Pub: ISBN 987-3-8367-6061-4
2016 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer
Das © und die inhaltliche Verantwortung liegen bei der
Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer.
Umschlagabbildung: © bpk / Staatsbibliothek zu Berlin
Einband- und Reihengestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau
Herstellung: Friedrich Pustet, Regensburg
Wenn heute der Name Dietrich Bonhoeffer fällt, assoziieren viele Menschen mit diesem Namen Widerstand gegen Hitler, die Briefe Bonhoeffers aus dem Gefängnis und sein „Von guten Mächten still und treu umgeben“. Da spricht ein Mensch, der in radikaler Weise sein Christentum lebt. Doch, wenn man so will, ist Bonhoeffer in den Jahren seit dem Ende der Naziherrschaft so „weichgespült“ worden, dass er akkurat in unsere Wohlstandsgesellschaft zu passen scheint.
Aber es kann Erstaunliches geschehen, wenn man Bonhoeffers Schriften, gerade seine Predigten, genauer liest: Hier kann man einen Menschen entdecken, der sich radikal und unbedingt auf Jesus Christus einlässt, ihn radikal in sein Leben lässt und ihn radikal zum Fixpunkt seines Lebens macht. Die Ausschließlichkeit und Radikalität der Christusbeziehung Bonhoeffers verstören zutiefst, doch gerade diese Radikalität gibt den Menschen unserer heutigen Zeit auch die Chance, mit Bonhoeffer glauben, leben und sterben zu lernen.
Glauben lernen heißt nicht, irgendetwas irgendwie zu glauben. Für Bonhoeffer heißt wirklich glauben nur eines: glauben an Gott allein, der Mensch geworden ist in Jesus Christus, um mit dem Tod und der Auferstehung in ein erfülltes Leben mit Gott zu gelangen. Das heißt glauben lernen: „alles von Gott erwarten und auf die Wiederkunft Christi und sein Reich hoffen“. Der Kern des Glaubens an Gott hängt an diesen beiden Worten: am „allein“ und am „alles“. Niemandem Macht zugestehen, außer Gott allein, kein Hoffen, kein Sehnen, außer auf Gott, kein Mut und keine Macht, außer von Gott. Allein auf Gott hin und allein von Gott her leben, und alles von ihm erwarten, allein von ihm – das ist das Wagnis des Glaubens des Dietrich Bonhoeffer.
Solch eine Radikalität des Glaubens muss natürlich Konsequenzen für den so Glaubenden haben: „alles in Gottes Hand legen“ auf der einen Seite und „alles Gott geben, was mir gehört, nichts für mich haben wollen“ auf der anderen Seite.
Das bedeutet: Alles Gott geben, alles ihm anvertrauen, weil „alles aufgehoben und geborgen ist in Gott, dem Schöpfer der Welt“. Es ist nur ein einziger Schritt zum Glauben hin, und doch ein gewaltiger Schritt, der Schritt, allein von Gott alles zu erwarten. Und „alles“ heißt für Bonhoeffer tatsächlich „alles“. Es bedeutet nicht: Hier mache ich meinen Teil, dort kann Gott seinen Teil wirken. Nein: „Alles“ heißt „alles“, auch wenn es uns zuwiderläuft.
Für uns ist es wichtig, Bonhoeffer als großen Glaubenslehrer zu erfahren, der nicht fragen will, was Christus für uns heute bedeutet, sondern „wer Christus heute für uns eigentlich ist“. Wer, nicht was! Das kennzeichnet seinen Glauben, er weiß für sich: Nicht etwas Abstraktes kann dem Menschen helfen, sondern nur der leidende Christus am Kreuz. Diesen in der jeweils gegenwärtigen Welt zu suchen ist die einzige Chance, für die sogenannten „letzten Fragen“ – Tod, Schuld ‒ eine Antwort zu finden, auf die nur Gott eine Antwort geben kann. Gott in der Welt zu finden kann nur gelingen durch das „Hineingerissen werden in das messianische Leiden Gottes in Jesus Christus“.
Für Bonhoeffer ist klar: „Nicht der religiöse Akt macht den Christen, sondern das Teilnehmen am Leiden Gottes im weltlichen Leben.“ Das impliziert, dass dieses Teilnehmen ein aktives Teilnehmen ist, kein Rückzug in die (doch behagliche) Innerlichkeit: „Die Verdrängung Gottes aus der Welt, aus der Öffentlichkeit der menschlichen Existenz, führte zu dem Versuch, ihn wenigstens in dem Bereich des ‚Persönlichen‘, ‚Innerlichen‘, ‚Privaten‘ noch festzuhalten.“ In die Welt und für die Menschen ist der Christ im Auftrag Gottes gestellt, denn es heißt: „Dein Reich komme zu uns […]. Nicht Ich und Gott, sondern Wir und Gott fragen wir Heutigen. Nicht dass Gott in meiner Seele einkehre, sondern dass Gott unter uns sein Reich schaffe, das ist unser heutiges Gebet.“ Also nur in der „vollen Diesseitigkeit des Lebens“ ist Christsein möglich, nur in der „vollen Diesseitigkeit des Lebens“ kann sich der Glaube bewähren. Dietrich Bonhoeffer hat dies mit seinem Glauben und mit seinem Leben bezeugt. „Nicht um das Jenseits, sondern um diese Welt, wie sie geschaffen, erhalten, in Gesetze gefasst, versöhnt und erneuert wird, geht es doch.“ Wenn es stimmt, dass Dietrich Bonhoeffer eine „einzigartige Synthese aus theologisch fundiertem Christentum und politischem Widerstand“ gefunden hat, dann ist diese Synthese kein Zufall, sondern der Kulminationspunkt seines Glaubens: radikal diesseitig und radikal jenseitig. Das schließt sich nicht aus, sondern ist aufs Engste miteinander verbunden. Die Radikalität des Handelns in der Welt entspringt bei Bonhoeffer der Radikalität seines Glaubens:
Alles von Gott oder nicht.
Allein Christus oder nichts.
Alles im Gebet,
den Menschen nahe zu sein.1
Vor dir denke ich an all die Meinen,
an die Mitgefangenen und alle
die in diesem Hause ihren schweren Dienst tun.
Herr, erbarme dich.
Schenk mir die Freiheit wieder
und lass mich derzeit so leben,
wie ich vor dir und vor den Menschen verantworten kann.
Herr, was dieser Tag auch bringt – dein Name sei gelobt.
Dietrich Bonhoeffer, Weihnachten 1943, DBW 8, S. 206
An das Reichssicherheitshauptamt, 15. 9. 1940, DBW 16, S. 62
Ich gehöre mit Stolz einer Familie an, die sich um das Wohl des deutschen Volkes und Staates seit Generationen verdient gemacht hat. Zu meinen Voreltern gehören der Generalfeldmarschall Graf Kalckreuth und die beiden großen deutschen Maler gleichen Namens; gehört der in der gesamten wissenschaftlichen Welt des vorigen Jahrhunderts bekannte Jenenser Kirchenhistoriker Karl v. Hase; die Bildhauerfamilie Cauer; mein Onkel ist der Generalleutnant Graf v. d. Goltz, der das Baltikum befreite; sein Sohn, der Staatsrat Rüdiger Graf v. d. Goltz, ist mein Vetter ersten Grades; der im aktiven Heeresdienst stehende Generalleutnant v. Hase ist mein Onkel; mein Vater ist seit fast 30 Jahren ordentlicher Universitätsprofessor der Medizin in Berlin und steht bis heute in ehrenvollen Staatsämtern; seine Vorväter haben jahrhundertelang als hochangesehene Handwerker und Ratsherren der damaligen freien Reichsstadt Schwäbisch-Hall gelebt und noch heute zeigt man dort ihre Bilder mit Stolz in der Stadtkirche; meine Brüder und Schwäger stehen in hohen staatlichen Stellungen, einer meiner Brüder fiel im Weltkrieg. Es ist das Streben aller dieser Männer und ihrer Familien gewesen, dem deutschen Staat und Volk zu jeder Stunde zu dienen und ihr Leben für diesen Dienst einzusetzen.
Vater Karl Bonhoeffer am 8. Oktober 1945,
zit. nach: Dietrich Bonhoeffer,
Bilder eines Lebens, Hrsg. v. Renate Bethge und Christian Gremmels,
Gütersloh 2005, S. 158
Lieber Herr College!
Ich habe mich außerordentlich gefreut, durch Ihren Nachbarn Grüße von Ihnen zu bekommen und zu hören, dass es Ihnen drüben gut geht und Sie eine interessante Tätigkeit haben. Dass wir viel Schlimmes erlebt und zwei Söhne (Dietrich, der Theologe, und Klaus, Chefsyndikus der Lufthansa) und zwei Schwiegersöhne (Prof. Schleicher und Dohnanyi) durch die Gestapo verloren haben, haben Sie, wie ich höre, erfahren. Sie können sich denken, dass das an uns alten Leuten nicht ohne Spuren vorübergegangen ist. Die Jahre hindurch stand man unter dem Druck der Sorge um die Verhafteten und die noch nicht Verhafteten, aber Gefährdeten. Da wir alle aber über die Notwendigkeit zu handeln einig waren und meine Söhne auch sich im Klaren waren, was ihnen bevorstand im Falle des Misslingens des Komplotts, und mit dem Leben abgeschlossen hatten, sind wir wohl traurig, aber auch stolz auf ihre gradlinige Haltung …
An Christoph Bethge, 18. Juni 1942, DBW 16, S. 312
Ich lebe ein Leben, das dem Deinigen kaum in irgendetwas ähnelt und dir fremd sein muss. Und doch, gerade diese lange Fahrt durch unser schönes Land, die Blicke auf die Dome von Naumburg, Bamberg, Nürnberg, auf die bestellten und teils so kärglichen Felder, der Gedanke, dass dies alles Arbeitsfeld und Freude für viele, viele Generationen gewesen ist, geben mir die Zuversicht, dass hier doch ein gemeinsamer Boden, eine gemeinsame Aufgabe, eine gemeinsame Hoffnung da ist, also etwas, was die Kluft der Generationen überwindet. Wenn man das bedenkt, so wird einem das eigene kurze persönliche Leben relativ unwichtig, man beginnt in größeren Zeiträumen und Aufgaben zu denken. Du stehst zurzeit eingereiht in eine Gemeinschaft, die jedenfalls eine der großen Wendungen der Geschichte tätig miterlebt. Du selbst kannst kaum etwas für den Gesamtgang der Dinge tun, du fühlst dich wahrscheinlich oft ganz überflüssig, fehl am Platz, hast allerlei persönlichen Kummer und Kampf. Was soll ich da heute andere Wünsche für dich haben, als dass du lernst, diese kleinen persönlichen Dinge, Wünsche und Beschwerden nicht allzu wichtig zu nehmen, sondern dich an deiner Stelle und in den dir gegebenen Möglichkeiten als ein Glied in der langen Folge dieser Geschlechter zu verstehen, die für ein schönes, echtes und – frommes Deutschland gearbeitet und gelebt haben und es noch tun?
Aus einem Dramenfragment 1943, Heinrich an Christoph,
das Alter Ego Bonhoeffers, DBW 7, S. 63
Unsereiner fragt sich vorher hundertmal, was für einen Eindruck es macht, wie es wirkt, ob es nicht missverstanden wird – du hast das nicht nötig, dazu bist du deiner selbst viel zu sicher, du kommst einfach und setzt voraus, dass der andere sich schon irgendwie damit abfinden wird, und wenn er es doch missversteht, so berührt dich das gar nicht. So seid ihr Aristokraten.
Aus einem Dramenfragment 1943,
Christoph, das Alter Ego Bonhoeffers,
antwortet Heinrich, DBW 7, S. 65–67
Heinrich, lass mich ein offenes Wort mit dir reden. Soviel ich weiß, sind unsere Lebensgänge sehr verschiedene gewesen. Ich will nicht sagen, dass das etwas Unwichtiges ist. Ich kenne die Welt, in der du aufgewachsen bist, kaum; unsereiner lernt sie im Grunde nie kennen. Aber auch du kennst meine Welt nicht. Ich stamme aus einem sogenannten guten Haus, d. h. aus einer alten angesehenen Bürgerfamilie, und ich gehöre nicht zu denen, die sich schämen, das auszusprechen. Im Gegenteil. Ich weiß, was für eine stille Kraft in einem guten Bürgerhaus lebt. Das kann keiner wissen, der nicht hineingewachsen ist. Man kann es auch schwer erklären. Aber eins musst du wissen: Wir sind groß geworden in der Ehrfurcht vor dem Gewordenen und dem Gegebenen und damit in der Achtung vor jedem Menschen. Misstrauen gilt uns als gemein und niederträchtig. Das unbefangene Wort und die unbefangene Tat des anderen Menschen suchen wir und wollen wir ohne Argwohn hinnehmen. Nichts ist verderblicher für das Zusammenleben als den Unbefangenen zu beargwöhnen und in seinen Motiven zu verdächtigen. Das heute zur Mode gewordene Psychologisieren und Analysieren der Menschen ist die Zersetzung jedes Vertrauens, die öffentliche Verleumdung alles Anständigen, die Revolte alles Gemeinen gegen das Freie und Echte. Die Menschen sind nicht dazu da, sich gegenseitig in den Abgrund ihres Herzens zu sehen – sie können es doch nicht –, sondern sie sollen einander begegnen und hinnehmen, wie sie sind – einfach, unbefangen, in mutigem Vertrauen. Verstehst du mich?
Dietrich Bonhoeffer, Brief an die Eltern, aus dem Gefängnis, 15. Mai 1943, DBW 8, S. 69
Nach längerer Zeit erhielt ich euren Brief […] Habt vielen Dank! Für wen das Elternhaus so sehr ein Teil des eigenen Selbst geworden ist wie für mich, der empfindet jeden Gruß mit ganz besonderer Dankbarkeit. Ja, wenn wir uns doch wenigstens mal kurz sehen oder sprechen könnten! Das wäre eine große innere Entspannung.
Dietrich Bonhoeffer, Brief an die Eltern, aus dem Gefängnis, 24. Juni 1943, DBW 8, S. 105
Was für ein Reichtum ist in solchen bedrängten Zeiten eine große, eng miteinander verbundene Familie, wo einer dem anderen vertraut und beisteht! Ich habe früher bei gelegentlichen Verhaftungen von Pfarrern manchmal gedacht, es müsse doch für die Alleinstehenden unter ihnen am leichtesten zu ertragen sein. Damals habe ich nicht gewusst, was in der kalten Luft der Gefangenschaft die Wärme, die von der Liebe einer Frau und einer Familie ausgeht, bedeutet, und wie gerade in solchen Zeiten der Trennung das Gefühl der unbedingten Zusammengehörigkeit noch wächst […].
Eben kommen Briefe Mamas und Großmutters, für die ich euch sehr danke. Aus den Berichten von Erdbeeren und Himbeeren, von Schulferien und Reiseplänen spüre ich erst, dass es inzwischen wirklich Sommer geworden ist. Hier geht das Leben ziemlich zeitlos dahin. Ich bin froh über die milden Temperaturen. Vor einiger Zeit hatte hier im Hof in einem kleinen Verschlag eine Meise ihr Nest mit 10 Jungen darin; ich habe mich täglich daran gefreut, eines Tages hatte ein roher Kerl alles zerstört, einige Meisen lagen tot auf der Erde – unbegreiflich.
Dietrich Bonhoeffer, an Eberhard Bethge, aus dem Gefängnis, 18. November 1943, DBW 8, S. 189
Dann ging ich an ein kühnes Unternehmen, das mir auch schon lange vorgeschwebt hat; ich begann, die Geschichte einer bürgerlichen Familie unserer Zeit zu schreiben. All die unzähligen Gespräche, die wir in dieser Richtung geführt haben, und alles selbst Erlebte bildeten dafür den Hintergrund, kurz, eine Rehabilitierung des Bürgertums, wie wir es in unseren Familien kennen, und zwar gerade vom Christentum her. Die Kinder zweier befreundeter Familien wachsen allmählich in die verantwortlichen Aufgaben und Ämter einer kleinen Stadt hinein und versuchen gemeinsam den Aufbau des Gemeinwesens, Bürgermeister, Lehrer, Pfarrer, Arzt, Ingenieur. Viele dir bekannte Züge würdest du darin entdecken und du kommst auch darin vor.
Heiliger, barmherziger Gott,
mein Schöpfer und mein Heiland,
mein Richter und mein Erretter,
du kennst mich und alle meine Wege und Tun.
Du hasst und strafst das Böse in dieser und
jener Welt ohne Ansehen der Person,
du vergibst Sünden [dem],
der dich aufrichtig darum bittet,
du liebst das Gute und lohnst es auf dieser
Erde mit getrostem Gewissen
und in der künftigen Welt
mit der Krone der Gerechtigkeit.
Dietrich Bonhoeffer, Weihnachten 1943, DBW 8, S. 206
Vortrag, 26. Juli 1932, DBW 11, S. 335
Das biblische Gesetz, die Bergpredigt, ist die absolute Norm für unser Handeln. Wir haben einfach die Bergpredigt ernst zu nehmen und zu realisieren. Das ist unser Gehorsam gegen das göttliche Gebot. Demgegenüber ist zu sagen: Auch die Bergpredigt darf uns nicht zum gesetzlichen Buchstaben werden. Sie ist in ihren Geboten die Veranschaulichung dessen, was Gottes Gebot sein kann, aber nicht, was es gerade heute und gerade für uns ist. Das kann niemand hören als wir selbst, und das muss uns Gott heute sagen. Das Gebot ist nicht ein für allemal da, sondern es wird immer neu gegeben. So allein sind wir frei vom Gesetz, das sich zwischen uns und Gott stellt, und hören allein auf Gott.
Vortrag, 29. August 1932, DBW 11, S. 351
Nur mit klaren Augen gegen die Wirklichkeit ohne jede Illusion über unsere Moral oder unsere Kultur kann man glauben. Sonst wird unser Glaube zur Illusion. Der Glaubende kann kein Pessimist sein und kann kein Optimist sein. Beides ist Illusion. Der Glaubende sieht die Wirklichkeit nicht in einem bestimmten Licht, sondern er sieht sie, wie sie ist, und glaubt gegen alles und über alles, was er sieht, allein an Gott und seine Macht. Er glaubt nicht an die Welt, auch nicht an die entwicklungsfähige und verbesserungsfähige Welt, er glaubt nicht an seine weltverbessernde Kraft und seinen guten Willen, er glaubt nicht an den Menschen, auch nicht an das Gute im Menschen, das doch schließlich siegen müsse, er glaubt auch nicht an die Kirche in ihrer Menschenkraft, sondern der Glaubende glaubt allein an Gott, der das Unmögliche schafft und tut, der aus dem Tod das Leben schafft.
Tagebuch Amerikareise, 1. Juli 1939, DBW 15, S. 237
Es fällt mir ungeheuer schwer, angesichts der heutigen Lage das „Dein Wille geschehe“ zu denken und zu beten. Aber es muss sein. Morgen ist Sonntag. Gott lasse sein Wort Gehör finden in aller Welt.
Tagebuch Amerikareise, 3. Juli 1939, DBW 15, S. 238
Ich muss mich in Acht nehmen, dass ich im Bibellesen und Gebet nicht nachlässig werde.
Tagebuch Amerikareise, 20. Juni 1939, DBW 15, S. 229
Am Ende des Tages kann ich nur bitten, dass Gott ein gnadenvolles Gericht üben möge über diesen Tag und alle Entscheidungen. Es ist nun in seiner Hand.
Brief an Mitbrüder, 21. Dezember 1936, DBW 14, S. 258f.
„Er hat alles wohlgemacht.“ So wollen wir am Ende dieses Jahres sprechen über jede Woche, über jede Stunde, die vergangen ist. So lange wollen wir mit diesem Wort ins Gebet gehen, bis keine Stunde mehr ist, von der wir nicht sagen wollten, „Er hat alles wohlgemacht“. Gerade die Tage, die uns schwer waren, die uns gequält und geängstigt haben, Tage, die in uns eine Spur von Bitterkeit zurückgelassen haben, wollen wir heute nicht hinter uns lassen, bevor wir nicht auch von ihnen dankbar und demütig bekennen: „Er hat alles wohlgemacht.“ Es heißt eben nicht, wir haben alles wohlgemacht. […] Nein wir haben gar nichts wohlgemacht – aber Er hat alles wohlgemacht. Glaubst du das? Das ist die letzte und erstaunlichste Erkenntnis des Christen, dass er zuletzt auch über seiner Sünde sagen darf: Er hat alles wohlgemacht. Er hat mir auch durch die Sünde hindurchgeholfen, Ihn zu finden.
Vortag, 8. Februar 1929, DBW 10, S. 345
Alle die Beispiele, die wir vorhin herausgriffen, haben uns gezeigt, dass es gilt, sich hineinzustellen in die konkrete Situation und von dort den Blick auf die Ewigkeit zu richten und sich in der Zwiespältigkeit der Lage jedes Mal neu die Entscheidung aus Gottes Willen zu erkämpfen; die Entscheidung mag dann fallen, wie sie will. […] Nur wer einmal den ganzen Ernst und die ganze Tiefe und Not des Reiches der Welt, des Reiches des Ethischen ausgekostet hat, der sehnt sich heraus, der kennt nur noch den einen Wunsch: Unsere Welt vergehe, dein Reich komme.
Vortrag, 20. Oktober 1936, DBW 14, S. 792
Was heißt Gott lieben? Gott lieben heißt ihm alles geben, was mir gehört, nichts für mich haben wollen; ihn bei allem, was du tust, nach seinem Willen fragen, gern an ihn denken, gern zu ihm beten, gern sein Wort hören und lesen.
Predigt, 21. Februar 1932, DBW 11, S. 399
Keiner von euch, der heute hierhergekommen ist in Trauer, keiner, der wirklich Trost und nicht nur eine Feier- und Gedenkstunde sucht, darf heute allein bleiben. Man kann Trost suchen an den verschiedensten Orten, in der Einsamkeit, in der Natur, in der Arbeit, in der Geselligkeit. Dort überall kann man Trost suchen. Trost finden aber kann man nur in der Erkenntnis Gottes.
Predigt, undatiert, wohl London 1934, DBW 13, S. 413–418
PREDIGT ZU MARKUS 9,23–24
Markus 9,23–24: Wenn du könntest glauben! Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. […] Ich glaube, lieber Herr; hilf meinem Unglauben!
Zu einem Menschen in einer menschlich gesehen hoffnungslosen Lage sagt Jesus dies – wenn du glauben könntest. Dann wäre alles anders in deinem Leben; dann stündest du nicht kleinmütig und verzagt hier; dann wüsstest du, es gibt für dich nichts Unmögliches mehr. Zu einem Vater, dessen Kind – menschlich geredet – unheilbar krank ist und der alles tun will, um seinem Sohn zu helfen, und der doch machtlos dem Unheil zusehen muss. Alle erdenklichen Wege bis [hin] zu den Jüngern Jesu ist der Vater gegangen, bis ihm nur der eine Weg noch bleibt, ein Weg, vor dem ihm schaudert, ein Weg, vor dem jedem Menschen schaudert – wenn er ihn zum ersten Mal geht – der Weg zu Jesus.
Warum gehen wir denn alle anderen Wege immer lieber als diesen Weg zu Christus selbst, wenn etwas bei uns nicht stimmt? Warum vermeiden wir es, diesen Weg wirklich zu gehen? Warum schaudern wir vor diesem Weg zurück? Weil wir wissen, dass wir hier Antwort geben müssen auf eine große Frage, und diese Frage heißt: Kannst du glauben? So glauben, dass dein ganzes Leben ein einziges großes Trauen und Wagen auf Gott geworden ist oder werden will, so glauben, dass du nicht rechts und links siehst, sondern auf Gott hin tust, was du tun musst, so glauben, dass du Gott gehorchst? Kannst du glauben? Wenn du glauben könntest, ja, dann wäre die Hilfe schon da. Dann ist dir nichts mehr unmöglich.
Wie oft graust es uns dann vor unserer eigenen Glaubenslosigkeit. Ach, wenn ich nur glauben könnte! Am Krankenbett, am Totenbett, am Rand der Verzweiflung an mir und anderen schreit es förmlich in mir auf: Ach, wenn ich nur glauben könnte! Aber wenn wir das Leben eines Menschen, der im Glauben lebte und starb, sehen dürfen, wie es mir in diesen Wochen ging, als ich eine ergreifende Darstellung des Lebens des heiligen Franziskus sehen durfte – da werden wir so restlos davon überzeugt, dass dies der einzige Weg wäre, den es der Mühe wert wäre zu gehen, so einfach danach leben, was Christus von uns wollte, unbekümmert um das, was für uns persönlich daraus wird – dann packt es uns unwiderstehlich an: Wenn ich nur glauben könnte – ja, dann wäre wirklich alles in meinem Leben anders. Dann wäre ich frei, dann wäre ich vielleicht sogar irgendwie glücklich, dann gäbe es nichts Unmögliches mehr für mich. „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus.“
Wir glauben ja an allerlei, wir glauben sogar an viel zu viel – wir glauben an die Macht, wir glauben an uns selbst, wir glauben an andere Menschen, wir glauben an die Menschheit. Wir glauben an unser Volk, wir glauben an unsere Religionsgemeinschaft – wir glauben an neue Ideen – aber wir glauben über dem allem an den Einen nicht – an Gott. Und dieser Glaube an Gott würde uns nämlich den Glauben an alle die anderen Mächte nehmen, unmöglich machen. Wer an Gott glaubt, der glaubt in dieser Welt an nichts [anderes], denn er weiß, es zerbricht und vergeht, aber er braucht auch an nichts „anderes“ zu glauben, denn er hat ja den, von dem alles kommt und in dessen Hände alles fällt. Wir kennen die Siege, die ein Mensch erringt, der wirklich an sich selbst glaubt, der an irgendeine Macht oder Idee dieser Erde glaubt, sodass er sich ihr gänzlich ergibt und lebt, er vermag Übermenschliches, Unmögliches – wie viel größere Siege müsste erst der erringen, dessen Glaube nicht nur ein subjektives Phantom, sondern der lebendige Gott selbst ist! Die Wunder Jesu, die Wirkung Jesu, sie waren ja nichts als sein Glaube! Wir sollten die sein, die so glauben, und wie beschämt müssen wir auf unser Leben sehen angesichts dessen, was Menschen mit einem Glauben an diese Welt geschafft haben. Ach, wenn wir nur glauben könnten! – Warum können wir nicht glauben? Worin bestehen die Hindernisse? Es gibt darauf ebenso viele Antworten, wie es glaubenslose Menschen gibt. Bei einem soll es der Verstand, beim anderen mangelnde „religiöse Begabung“ sein, beim Dritten schwere Erlebnisse seines Lebens, allgemeiner Pessimismus u. s. w. Es gibt genug Gründe, die wir vorschieben, mit denen wir uns entschuldigen können. Daran fehlt es dem Menschen nie, und wenn es ihm an allem anderen fehlte. Aber die einzig aufrichtige Antwort auf diese Frage heißt – weil wir im Grunde nicht glauben wollen. Ich weiß, wir sind beleidigt, wenn man uns das sagt, wir sagen, wir hätten es wohl hundertmal in unserem Leben versucht zu glauben, und wir wollten es wohl heute auch, aber mit uns sei es nun eben so besonders, dass wir wirklich einfach trotz bestem Willen nicht glauben könnten. Es ist nicht wahr, es ist Spiegelfechterei, dies alles, vielleicht uns subjektiv nicht bewusst, aber wahr ist es doch: In allen diesen verzweifelten und krampfhaften Versuchen [zu] glauben, wollten wir ihm gerade nicht glauben, das heißt eben, wir wollten das nicht, was aber zum Glauben zuallererst gehört, nämlich uns selbst gänzlich aufgeben, uns gar nicht mehr sehen, unseren Geltungsdrang völlig töten und Gott allein gelten lassen und ihm so trauen und es auf ihn wagen. Aufgeben, was uns unangenehm war, aber nicht, was uns lieb ist! Glauben heißt bedingungslos trauen und wagen, dies wollten wir nicht, wir wollten Bedingungen machen, und darum war alles andere verfehlt und unwahr. Wir wollten nicht glauben.
Und wenn nun einer kommt und mit frommen Argumenten beweisen will, dass es eben doch nach der Schrift solche gebe, die Gott dazu vorherbestimmt habe, dass sie nicht glauben könnten, sondern Gefäße zur Unehre sein sollten, so wollen wir antworten: Das ist wohl wahr, aber woher weißt du denn, dass du zu diesen gehörst? Wer hat dir das gesagt? Woher weißt du denn, dass es von dir nicht gerade Schuld ist, dass du dich weigerst zu glauben, wo Gott dich unaufhörlich ruft? Du willst glauben – nun gut, ist denn das nicht Ruf Gottes genug, dass [du] auch glauben sollst und auch glauben kannst, wenn du dich nur auf ihn verlässt? Wir wollen nicht glauben.
Aber Jesus sagt: Wenn du könntest glauben. Es liegt etwas Sehnsüchtiges und etwas unendlich Mitleidvolles in diesem Ausruf. Wenn du dich doch endlich entschlössest, den Schritt zu tun, den du dein ganzes Leben lang tun wolltest und doch nicht tatest, zu glauben; wenn du dich doch ausliefertest, ganz einfach und in allem ganz Persönlichen und ganz Konkreten, und Jesus über dich herrschen ließest.
Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. Hier ist von einer unheilbaren Krankheit geredet, die durch den Glauben an die Kraft Gottes wirklich soll gebrochen werden können und gebrochen wird. Wir stocken, wir machen Ausflüchte: suggestive Einflüsse, unbewusste Psychotherapie – Christus sagt – nein, dies alles nicht, sondern Glaube und Gott.
Alle Dinge – Menschen, die in geistigen Dingen zu Hause sind, wissen, dass nichts unmöglicher erscheint, als ein geistiges Gesetz, einen geistigen Zwang, der über einem Menschen liegt, zu zerbrechen, den Menschen in eine andere Richtung zu bringen als bisher. Jesus sagt: Alle Dinge. Menschen, die ein geistliches Leben führen, wissen, dass wir völlig hoffnungslos gegen unsere Sünde, unsere Selbstsucht, unsere Schwäche ankämpfen, solange wir uns auf uns selbst verlassen, dass nichts verzweifelter ist als der Kampf des Menschen gegen die Sünde. – Jesus sagt: Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. Der härteste und verstockteste Sünder wird neu, wird frei von aller Angst, allem Krampf, aller bösen Gewohnheit, wo er nur glaubt, das heißt, wo er auf Gott sein Wagen und Trauen setzt. Der trübsinnigste Mensch wird fröhlich, der scheueste Mensch wird offen, der gleichgültigste und laueste Mensch wird erfüllt mit neuer Glut und [neuem] Leben, „wenn du nur glauben könntest“.
Alle Dinge sind möglich – Wir denken an so viele Stunden, in denen wir glaubensvoll zu Gott gebetet und gerufen haben, er möge uns helfen, wenn es sein Wille ist – und uns wurde nicht geholfen, jedenfalls nicht so, wie wir erbaten – alle Dinge – ist es auch wahr?
Heißt das nicht fast, dass der Glaube Gott zwingen kann? Ja, das heißt es in der Tat! Aber das ist ja das Unerhörte, dass Gott sich von unserem Glauben zwingen lassen will, nicht von unserem Klagen und Lamentieren und Sorgen und Seufzen – aber von unserem Glauben. Das scheint gotteslästerlich zu klingen – aber kann es das denn sein[?] Hat denn nicht jeder wirkliche Glaube seine notwendige Grenze an Gottes Willen, heißt denn Glaube etwas anderes, als Gottes Willen Raum lassen wollen, über uns, über die Welt, und kann denn ein einziges Ding unmöglich sein, wenn es Gottes Wille ist? Und wissen wir nicht sehr wohl, was Gottes Wille über unser Leben wäre? Wissen wir nicht sehr wohl, was Gottes Wille über unser Volk, über unsere Kirche wäre? Wollen wir nicht endlich im Glauben wagen, Gottes Willen an uns geschehen zu lassen?
Du antwortest: Ich glaube, lieber Herr, hilf meinem Unglauben. Die Verheißung, die Jesus dem Glauben gegeben [hat], reißt den Vater über sich selbst hinaus, zwingt ihm den Glauben ab, Jesus selbst zwingt ihm den Glauben ab – ich glaube, lieber Herr – ich glaube, was du sagst, ich glaube, dass dein Wort und dein Versprechen Wahrheit ist – ich glaube, wenn ich auf dich sehe, wenn ich die Worte höre und sehe – aber wenn ich auf mich selbst sehe – lieber Herr, hilf meinem Unglauben. Da stürmt es gegen mich, da sträubt sich alles in mir gegen solche Verheißung, Vernunft, Geschichte, Welt, Erfahrung. – Hilf meinem Unglauben.
Wir sind nach unserem Glauben gefragt. Wir sind dazu aufgerufen – ach, wenn du könntest glauben! Es ist uns die Verheißung zugesprochen: Alle Dinge sind möglich. – Können wir anders als im Blick auf solche Worte antworten: Ich glaube, lieber Herr – und können wir anders, als im Blick auf unsere Natur zu beten – Herr, hilf meinem Unglauben. Aus diesem Zwiespalt kommt kein Mensch heraus. Glaubst du? Ich glaube, hilf meinem Unglauben, der täglich neu auch [da] ist. Wer will sagen, dass er glaubt, angesichts der Anfechtung, die er stündlich erfährt? Herr, wir wollen es auf dein Wort wagen – aber nicht unser Glaube macht es, sondern du allein. Nicht wir, nicht einmal unser Glaube, sondern du – dir ist kein Ding unmöglich. Herr, hilf meinem Unglauben! Amen.
Vortrag beim „Bruderrat“ 26. Oktober 1938, DBW 15, S. 412f.
Ich will also den Schriftbeweis als Garantieschein für meinen Weg in der Tasche haben. Eben auch dieses Verlangen wird die Bibel niemals erfüllen, weil sie nicht eine Versicherungsinstitution für unsere Wege sein will, die möglicherweise gefährlich werden können, sondern weil sie nur eins tut: zum Glauben und Gehorsam gegen die einmal erkannte Wahrheit in Jesus Christus zu rufen. Die Schrift beweist keine Wege, sondern sie beweist die Wahrheit Gottes. […] Der Schriftbeweis erspart uns nicht den Glauben, sondern er führt uns in das Wagnis des Glaubens und Gehorchens auf Gottes Wort hin erst hinein, und er stärkt uns in ihm. […] Wer aber glaubend die Schrift um Auskunft angeht, dem bleibt sie niemals stumm.
Brief an Rüdiger Schleicher, 8. April 1936, DBW 14, S. 144ff.
Lieber Rüdiger!
Eben kommt dein Brief. Und weil ich mich so darüber gefreut habe, möchte ich gleich wieder schreiben. Dass ich es mit der Maschine tue, ist ein Akt der Nächstenliebe gegen dich! – Ich habe es nicht gewusst, dass du wieder hast liegen müssen. Jetzt, wo man wieder so viel und so leichtsinnig vom Krieg reden hört, trifft einen das ganz besonders. […]
Nun zur Hauptsache. Wir haben ja schon manches Mal in Fehde miteinander gelegen, und es ist bis jetzt immer wieder ganz gut ausgegangen. So wird das auch diesmal so sein. Es ist ganz gut, wenn man immer wieder daran erinnert wird, dass der Pfarrer es dem rechten „Laien“ niemals recht machen kann. Predige ich den Glauben und die Gnade allein (Dreifaltigkeitskirche!), so fragst du: Wo bleibt das christliche Leben? Rede ich von der Bergpredigt (Kolleg!), so fragst du: Wo bleibt das wirkliche Leben? Lege ich ein sehr wirkliches und sündiges Leben eines Mannes der Bibel aus, so fragst du: Wo bleiben die ewigen Wahrheiten? Und aus alledem soll ja wohl nur das eine Anliegen hörbar werden: Wie lebe ich in dieser wirklichen Welt ein christliches Leben, und wo sind die letzten Autoritäten eines solchen Lebens, das sich allein lohnt zu leben?
Ich will da zunächst ganz einfach bekennen: Ich glaube, dass die Bibel allein die Antwort auf alle unsere Fragen ist und dass wir nur anhaltend und etwas demütig zu fragen brauchen, um die Antwort von ihr zu bekommen. Die Bibel kann man nicht einfach lesen wie andere Bücher. Man muss bereit sein, sie wirklich zu fragen. Nur so erschließt sie sich. Nur wenn wir letzte Antwort von ihr erwarten, gibt sie sie uns. Das liegt eben daran, dass in der Bibel Gott zu uns redet. Und über Gott kann man eben nicht so einfach von sich aus nachdenken, sondern man muss ihn fragen. Nur wenn wir ihn suchen, antwortet er. Natürlich kann man die Bibel auch lesen wie jedes andere Buch, also unter dem Gesichtspunkt der Textkritik etc. Dagegen ist gar nichts zu sagen. Nur dass das nicht der Gebrauch ist, der das Wesen der Bibel erschließt, sondern nur ihre Oberfläche. Wie wir das Wort eines Menschen, den wir lieb haben, nicht erfassen, indem wir es zuerst zergliedern, sondern wie ein solches Wort einfach von uns hingenommen wird und wie es dann Tage lang in uns nachklingt, einfach als das Wort dieses Menschen, den wir lieben, und wie sich uns in diesem Wort dann immer mehr, je mehr wir es „im Herzen bewegen“ wie Maria, derjenige erschließt, der es uns gesagt hat, so sollen wir mit dem Wort der Bibel umgehen. Nur wenn wir es einmal wagen, uns so auf die Bibel einzulassen, als redete hier wirklich der Gott zu uns, der uns liebt und uns mit unsern Fragen nicht allein lassen will, werden wir an der Bibel froh.
Wir können doch immer nur etwas suchen, was wir schon kennen. Wenn ich nicht weiß, was ich eigentlich suche, suche ich gar nicht wirklich. Also wir müssen schon wissen, welchen Gott wir suchen, ehe wir ihn wirklich suchen. Weiß ich das nicht, so vagabundiere ich nur so herum, und das Suchen wird dann Selbstzweck, und nicht mehr das Finden ist die Hauptsache. Also finden kann ich nur, wenn ich weiß, was ich suche. Nun weiß ich von dem Gott, den ich suche, entweder aus mir selbst, aus meinen Erfahrungen und Einsichten, aus der von mir so oder so gedeuteten Geschichte oder Natur, das heißt eben aus mir selbst – oder aber ich weiß von ihm aufgrund seiner Offenbarung seines eigenen Wortes. Entweder ich bestimme den Ort, an dem ich Gott finden will, oder ich lasse Gott den Ort bestimmen, an dem er gefunden sein will. Bin ich es, der sagt, wo Gott sein soll, so werde ich dort immer einen Gott finden, der mir irgendwie entspricht, gefällig ist, der meinem Wesen zugehörig ist. Ist es aber Gott, der sagt, wo er sein will, dann wird das wohl ein Ort sein, der meinem Wesen zunächst gar nicht entsprechend ist, der mir gar nicht gefällig ist. Dieser Ort aber ist das Kreuz Christi. Und wer ihn dort finden will, der muss mit unter dieses Kreuz, wie es die Bergpredigt fordert. Das entspricht unserer Natur gar nicht, sondern ist ihr völlig zuwider. Dies aber ist die Botschaft der Bibel, nicht nur im Neuen, sondern auch im Alten Testament (Jesaja 53!). Jedenfalls meinten das Jesus und Paulus so: Mit dem Kreuz Jesu wird die Schrift, das heißt das Alte Testament, erfüllt. Die ganze Bibel will also das Wort sein, in dem Gott sich von uns finden lassen will. Kein Ort, der uns angenehm oder a priori einsichtig wäre, sondern ein uns in jeder Weise fremder Ort, der uns ganz und gar zuwider ist. Aber eben der Ort, an dem Gott erwählt hat, uns zu begegnen.
So lese ich nun die Bibel. Ich frage jede Stelle: was sagt Gott hier zu uns? Und ich bitte Gott, dass er uns zeigt, was er sagen will. Also, wir dürfen gar nicht mehr nach allgemeinen, ewigen Wahrheiten suchen, die unserem eigenen „ewigen“ Wesen entsprächen und als solche evident zu machen wären. Sondern wir suchen den Willen Gottes, der uns ganz fremd und zuwider ist, dessen Wege nicht unsere Wege und dessen Gedanken nicht unsere Gedanken sind, der sich uns verbirgt unter dem Zeichen des Kreuzes, an dem alle unsere Wege und Gedanken ein Ende haben. Gott ist etwas ganz anderes als die sogenannte ewige Wahrheit. Das ist immer noch unsere selbsterdachte und gewünschte Ewigkeit. Gottes Wort aber fängt damit an, dass er uns am Kreuz Jesu zeigt, wohin alle unsere Wege und Gedanken, auch die sogenannten ewigen, führen, nämlich in den Tod und in das Gericht vor Gott.
Ist es dir nun von dort aus irgendwie verständlich, wenn ich die Bibel als dieses fremde Wort Gottes an keinem Punkt preisgeben will, dass ich vielmehr mit allen Kräften danach frage, was Gott hier zu uns sagen will. Jeder andere Ort außer der Bibel ist mir zu ungewiss geworden. Ich fürchte dort nur auf einen göttlichen Doppelgänger von mir selbst zu stoßen. Ist es dir dann auch irgendwie begreiflich, dass ich lieber bereit bin zu einem sacrificium intellectus2 – eben in diesen Dingen und nur in diesen Dingen, das heißt im Blick auf den wahrhaftigen Gott! Und wer brächte da eigentlich nicht an irgendeiner Stelle auch sein sacrificium intellectus?? – das heißt also zu dem Eingeständnis, diese oder jene Stelle der Schrift noch nicht zu verstehen, in der Gewissheit, dass auch sie sich eines Tages als Gottes eigenes Wort offenbaren wird, dass ich das lieber tue, als nun nach eignem Gutdünken zu sagen: Das ist göttlich, das ist menschlich!?