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Andreas Roeske

Eine Höhle fürs Leben

Gratmanns zweiter Fall

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Der Autor

Andreas Roeske wurde 1969 in Marburg geboren und hat die ersten 20 Jahre seines Lebens dort verbracht – was man der fiktiven Kleinstadt durchaus anmerkt. Kommissar Gratmann ist Roeskes erste Romanfigur, wenngleich der in Berlin wohnende Vater zweier Söhne als Werbetexter schon immer gerne geschrieben hat. Heute berät er als Mitinhaber einer Kommunikationsagentur seine Kunden und ist außerdem als Über-Geld-Sprecher tätig.

1. Auflage

© Cividale Verlag Berlin, 2016

Kontakt: info@cividale.de

Website: www.cividale.de

ISBN 978-3-945219-21-8

Umschlaggestaltung: Nina und Christoph von Herrath

Lektorat: Susanne Zeyse

Das Werk einschließlich aller Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes
ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt
insbesondere für Vervielfältigung, Mikroverfilmungen und die
Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Inhalt

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Epilog

I

An einem Dienstagabend um 20.41 Uhr stieg am Bahnhof der hessischen Kleinstadt ein Mann aus dem pünktlich eingetroffenen IC. Er machte einen ungepflegten Eindruck, trug einen für Januar eigentlich zu dünnen Trenchcoat, der zudem einer gründlichen Reinigung bedurfte. Seine ehemals teuren Schuhe waren ebenfalls in einem ruinösen Zustand, der Schnürsenkel des rechten war mehrfach gerissen und notdürftig verknotet. Auf dem Kopf trug der Mann eine Baskenmütze, die sich in den gesamten Auftritt einfügte.

Ein neuer Rucksack war das einzige Gepäckstück, das der Ankömmling bei sich hatte. Er schien gut gefüllt zu sein, wirkte aber nicht besonders schwer, trotzdem hatte der Mann Mühe, sich auf dem Bahnsteig aufrecht zu halten. Das wiederum hatte weniger mit der Beschaffenheit des Rucksacks zu tun – sein Besitzer war offenbar stark angetrunken. Auf dem Bahnsteig schien sich keiner um den Fremden zu kümmern, im Zug hatte er wohl wenig Aufsehen erregt, denn niemand aus dem gut besetzten Wagen schaute dem Torkelnden hinterher. Nach wenigen Schritten ließ er sich auf einer Wartebank nieder. Sein Rucksack hinderte ihn daran, sich vollständig auf die Bank zu setzen, was ihn aber nicht zu stören schien. Es sah so aus, als ob der Mann einschlief.

* * *

Kommissar Axel Gratmann war erst seit einigen Monaten wieder in seiner Heimat und fremdelte hier und da noch mit den vielen kleinen Veränderungen, die er in dem hessischen Städtchen wahrnahm. Natürlich war nicht zu erwarten gewesen, dass es der kleine Lebensmittelladen des dicknasigen Herrn Worms in der Altstadt bis heute geschafft haben würde. Noch mehr störte ihn, dass nach Einbruch der Dunkelheit einige ehemals unspektakuläre Kneipen offenbar zu einem mehr oder weniger gefahrvollen Pflaster geworden waren.

Zusammen mit seinem Freund und Vorgesetzten, Kriminaldirektor Konrad Füssler, war Gratmann an diesem Abend auf ein paar Biere in der Altstadt unterwegs, vorbei an der Filiale einer Drogeriekette, die sich im ehemaligen Refugium des Herrn Worms breitgemacht hatte. „Patrik P.“ hieß die Kneipe, die beide nicht kannten, die aber der Nachfolger des beiden vertrauten „Kamins“ war – einer Studentenkneipe, die über zwanzig Jahre hier existiert hatte. Den ehemals namengebenden Kamin gab es immer noch, allerdings war er trotz der kalten Jahreszeit nicht in Betrieb.

Axel Gratmann hatte im jetzigen Kneipennamen gleich eine alte Fernsehserie ausgemacht und den Laden deshalb für gut befunden. Schon beim ersten Bier aber merkten die beiden, dass sie und Patrik P. keine besten Freunde werden würden.

* * *

Kevin Bauer machte an diesem Abend Überstunden. Der junge Forensiker hatte sich in einen Fall verbissen, genauer gesagt in einen Pullover, den die Sekretärin des neuen Kriminalhauptkommissars Axel Gratmann, die attraktive Laura Fromm, ihm am Nachmittag hineingereicht hatte. Ein heimlicher Auftrag sei es sozusagen, nichts Offizielles. Das Kleidungsstück habe mehrere Jahre, ja, wahrscheinlich Jahrzehnte, in einem Unterschlupf im Wald gelegen, sähe dementsprechend aus und, nun ja, röche auch so. Aber Bauer solle doch mal schauen, ob er den Fasern irgendeine verdächtige Spur entnehmen könne.

Welche, das wusste Frau Fromm auch nicht. Und irgendwie wollte sie auch nicht so recht über die Hintergründe sprechen, aber Kevin Bauer würde ihr den Gefallen tun, da war sie sich sicher. Denn so freundlich und zugewandt Laura Fromm sein konnte, so berechnend setzte sie ihre Wirkung auf Männer ein, wenn es zu ihrem Nutzen war. Sie war Mitte Dreißig, nicht gerade groß, ausgesprochen gut aussehend mit einer durchaus faszinierenden Aura. Wenn sie einen Raum betrat, musste sie weder etwas sagen noch gezielt auf sich aufmerksam machen. Männer und Frauen bemerkten sie gleichermaßen.

Kevin Bauer, der ein paar Jahre jünger als Laura Fromm war, hatte sie sofort bemerkt, als sie mit der geheimnisvollen Plastiktüte in seiner offenen Labortür gestanden hatte. Und natürlich gehörte es nicht zu ihren ersten Selbstauskünften, dass sie seit Jahren mit Richard, dem Koch des Steakhouses im Industriegebiet zusammen war. Der hatte es in kürzester Zeit an Grill und Herd so weit gebracht, dass der legendäre Guide Michelin ihn schon einmal erwähnt hatte. Kevin Bauer hatte sich also bereitwillig auf den Auftrag eingelassen und wurde um exakt 20.45 Uhr mehrfach fündig.

* * *

„Ey, du Opfer! Elternabend war gestern.“

Unter dem Gegröle seiner um diese Uhrzeit bereits sturzbetrunkenen Kumpel schlug ein junger Mann Axel Gratmann von hinten auf den Oberarm. Der Angreifer war Mitte zwanzig, schien viel Zeit im Fitnessstudio zu verbringen, trug einen Hoodie über einer löchrigen Jeans und machte eine Geste, mit der er Gratmann offenbar zum Kampf auffordern wollte. Was in seinem Zustand zwar ein wenig albern und unbeholfen aussah, der Szene insgesamt aber nichts von ihrem bedrohlichen Charakter nahm. Gratmann und Füssler blickten hilfesuchend zu dem Kneipenpersonal, doch weder der Mann hinterm Tresen noch die beiden Kellnerinnen schienen die Situation kommentieren zu wollen.

„Wenn wir den Elternabend verpasst haben, gehen wir dann auch wieder. Ich schlage dir vor, dass du dich wieder zu deinen Freunden setzt und uns beide hier unser Bier austrinken lässt, okay?“

Leider ließ sich der Angriffslustige nicht auf Gratmanns Deal ein und schlug ihm ein zweites Mal auf den Oberarm, diesmal fester. Seine Freunde johlten und das Kneipenpersonal hatte weiterhin Wichtigeres zu tun, als für Frieden zu sorgen. Gratmann schaute zu Füssler, und beide erhoben sich in Richtung Ausgang. Auf eine Kneipenschlägerei hatten sie überhaupt keine Lust. Der verdutzte Schläger blickte den beiden hinterher, bis ihm die halbvollen Gläser auffielen, die sie auf dem Tisch hatten stehen lassen. Er griff nach Gratmanns Weißbierglas und schleuderte es kurzerhand in Richtung Tür, die Gratmann gerade noch rechtzeitig von außen zudrücken konnte. Unter Getöse zerlegte sich das Weißbierglas in winzige Scherben – nicht, ohne der Glastür einen großen Sprung zuzufügen. Erst jetzt schaltete sich der Mann hinterm Tresen ein, indem er den beiden Flüchtenden so etwas wie „Zahlen!“ hinterherbrüllte.

Axel Gratmann zeigte ihm den nach oben ausgestreckten Mittelfinger und eilte mit seinem Freund die Fußgängerzone hinunter. Nach etwa fünfzig Metern, die den etwas kompakter gebauten Konrad Füssler deutlich mehr angestrengt hatten als ihn, warfen sie einen Blick zurück. Alles so friedlich wie zuvor, als sie den Laden betreten hatten. Niemand folgte ihnen.

„Geschlossene Gesellschaft!“ Füssler keuchte.

„Haben wir was falsch gemacht?“

„Offenbar.“

„War der Laden schon mal auffällig?“

„Noch nie von dem gehört.“

„Kennst Du noch das , Umbria‘?“

„Natürlich!“ Konrad Füssler atmete schwer. „Aber da kriegen wir doch um diese Zeit keinen Platz.“

„Nein. Aber ich bin mir sicher, dass man dort auch nicht mit Gläsern nach uns wirft.“

* * *

„Was für ein Cocktail!“

Kevin Bauer pfiff durch die Zähne. In den Stoffproben ließ sich schon nach ersten Tests eine Vielzahl an Drogen nachweisen. Außerdem Blutspuren, die sicher in weiteren Untersuchungen eine DNA verraten würden. Bauer begann, die identifizierten Substanzen aufzulisten und stellte eine verwertbare Blutprobe sicher. Der Pullover selbst war aus reiner Schafwolle offenbar handgestrickt, darauf deuteten zum einen die nicht ganz regelmäßigen Maschen hin, zum anderen das Fehlen eines eingenähten Labels. Die Wolle war ursprünglich einmal Dunkelblau und Grün gewesen, durch die natürliche Fettschicht des Materials war sie noch in einem erstaunlich gutem Zustand. Auch der angekündigte Missgeruch hielt sich in Grenzen, vielmehr hatte ein intensiver Duft von moosigem Waldboden das Labor erfüllt, seit Bauer mit den Untersuchungen begonnen hatte. Der Pullover musste also vergleichsweise trocken und luftdicht gelagert haben. Was hatte Frau Fromm gesagt? „Unterschlupf“. Ja, wenn der Pullover all die Jahre in einer Art Erdhöhle zugebracht hatte, bedeckt von langsam kompostierendem Laub, dann war nicht einmal sein genaues Alter zu bestimmen.

Aber weshalb waren dermaßen viele Spuren verschiedener Drogen auf dem Pullover zu finden? Solche Spuren gab es bei Drogenherstellern, bei Dealern vielleicht. Ein normaler Konsument hatte diesen Mix in der Regel nicht auf der Kleidung. Seltsam war zudem, dass die Häufung der Spuren auf eine Stelle des Pullovers beschränkt war. Etwa zwei Handteller groß in Brusthöhe. Und dann entdeckte Kevin Bauer etwas, das aus diesem Pullover mit einem Schlag etwas anderes machte als ein Kleidungsstück, das eine attraktive Kollegin mal eben in privater Mission vorbeigebracht hatte …

* * *

Der heruntergekommene Neuankömmling war niemandem am Bahnhof bislang eine Sekunde der Aufmerksamkeit wert gewesen. Das änderte sich in dem Moment, in dem er völlig in sich zusammensackte, von der Bank auf den Bahnsteig kippte und dort liegenblieb. Nach kurzem Zögern setzten zwei kräftige Oberstufenschüler den Mann wieder aufrecht hin und stützten ihn, während die Freundin des einen über ihr Mobiltelefon einen Krankenwagen rief.

Im selben Moment begann der wieder aufrecht Sitzende zu stöhnen, ein gelblicher Brei quoll aus seinem Mund. Die Szene wurde etwas hektischer, die Telefonierende schrie auf, einer der beiden Jungs legte den Unglückseligen sachkundig auf die Seite, damit das Erbrochene nicht zurück in die Luftröhre lief. Er wollte dem Mann gerade den Rucksack abstreifen, um dessen Kopf damit abzustützen, als plötzlich ein lautes Rufen auf dem Bahnsteig zu hören war.

„Sam!“

Es war eine Männerstimme, die in breitem Amerikanisch diesen Namen immer wieder rief, bis der Rufende die kleine Gruppe um den am Boden Liegenden erreicht hatte.

„What’s goin’ on here? Sam? Sam – are you okay?“ Der Mann blickte die Jugendlichen an. „Who are you? What have you done? Holy shit, Sam!“

Keiner der beiden Jungs oder ihre Freundinnen konnte etwas Sinnvolles antworten. Der, der den Fremden auf die Seite legen wollte, stammelte etwas von „vomit“ und „ambulance“, da begann der neu Hinzugekommene sich an dem Rucksack zu schaffen zu machen.

„I need that daypack“, murmelte er.

„Moment mal, Sie können … you cannot take the daypack, we have to wait for the police.“

Unbeeindruckt und relativ brutal entriss der zweite Fremde dem ersten dessen Rucksack. Der engagierte Jugendliche griff nach einem Riemen des Gepäckstückes und rief auf Deutsch: „Das kannst du knicken, du Geisteskranker, wer bist Du überhaupt?“

„Marcel, scheiße, Marcel, lass das!“, schrie das zweite Mädchen, das nicht mit der Notfallzentrale telefonierte.

„Leave me alone, putz! It’s my daypack!“

Doch Marcel dachte nicht daran, den Rucksack loszulassen und zerrte jetzt an dem einen Riemen, während der aufgebrachte Amerikaner den anderen in seinen Händen hielt.

Marcel wollte sein Gegenüber gerade mit einem Faustschlag außer Gefecht setzen, als wie aus dem Nichts ein Schuss fiel, Marcel rücklings einen Meter über den Bahnsteig flog, der Amerikaner mit dem Rucksack flüchtete, andere Reisende entweder ebenfalls über die Bahngleise flüchteten oder dem angeschossenen Schüler zur Hilfe eilten. Niemand hatte indes bemerkt, dass der Besitzer des Rucksacks mittlerweile zu atmen aufgehört hatte.

* * *

„Axel!“ Daniele, der Wirt des Umbria, riss die Arme in die Höhe, als ob er den Kommissar seit Jahren nicht gesehen hatte. Daniele, selbst Umbrier, betrieb das Umbria seit über zwanzig Jahren in einem kleinen Raum halb in, halb unter einem erhaltenen Stück der alten Stadtmauer. Die wenigen Tische waren Abend für Abend ausgebucht, die kleine Anzahl an Gerichten bei Fans legendär. Natürlich war um kurz nach neun kein Platz mehr frei.

„Alex, buonasera ragazzo! Warum hast du nicht angerufen?“ Daniele begrüßte auch Konrad Füssler. „Konrad, dich habe ich ewig nicht mehr hier gesehen!“

„Daniele – ich war mit Marianne erst vor zwei Wochen bei dir!“

„Marianne! Che bella. Sage ich doch: Ewigkeiten!“ Und Daniele lachte so laut und herzhaft, wie Daniele immer lachte.

„Kommt, setzt euch an die Theke, ich habe einen ausgezeichneten Sassicaia für euch! Ein Wahnsinns-Wein, ehrlich!“

„Sassicaia?“ Konrad Füssler schaute skeptisch. „Können wir uns den leisten? Daniele, wir sind Beamte …“

„Ha! Ihr probiert ein Glas, einverstanden? Dann sage ich, ob ihr euch den leisten könnt!“

Axel Gratmann und Konrad Füssler setzten sich an die kleine Theke, an der höchstens vier Personen Platz fanden. Das jüngere Pärchen, das dort bereits saß, rückte bereitwillig etwas zusammen, damit die beiden neu angekommenen Herren Platz fanden.

Ecco … Axel, Konrad, das sind Silvia und Marco! Amici, das sind Konrad und Axel. Axel ist eine, wie sagt man, verlorene Seele, die wieder den Weg zu Daniele gefunden hat!“

Axel Gratmann und Konrad Füssler gaben optisch ein lustiges Duo ab. Gratmann, fast zwei Meter groß und ehemaliger Leistungsschwimmer, hatte sich einen kleinen Wohlstandsbauch angegessen, der aber gut mit seinem breiten Kreuz harmonierte. Wenn mit Anfang 40 auch alles nicht mehr so knackig aussah wie zur Zeit seiner Ausbildung bei der Polizei. Als er noch um die hessischen Landesmeisterschaften schwamm. Seinen Chef Konrad Füssler kannte Gratmann aus eben dieser Zeit, allerdings war der auf der Karriereleiter noch schneller vorangekommen. Sportlich indes weniger aktiv, mit den Jahren war er sogar etwas dicklich geworden. Da er außerdem zwei Köpfe kleiner als Gratmann war, verteilte sich die Körperfülle in vergleichsweise ungünstigen Proportionen.

Danieles Gäste waren fast ausschließlich Stammkunden, die meisten davon Italiener. Die Stimmung bei dem umbrischen Gastwirt war immer so warm und vergnüglich wie ein Tag unter der Sonne Capris – und tatsächlich kannten sich viele der Gäste wenigstens vom Sehen.

Silvia und Marco schienen aber noch neu in der Stadt zu sein, Daniele stellte Silvia als Tochter eines italienischen Freundes und Marco als ihren Freund vor. Die beiden Kommissare stellte er als zwei Kommissare vor.

„Es ist immer gut, dass jeder weiß, dass Daniele hier nach Recht und Ordnung lebt!“, sagte er und lachte wieder sein Daniele-Lachen.

Die drei Männer und die junge Frau kamen schnell ins Gespräch und plauderten angeregt, als Gratmann plötzlich eine kleine Duftwolke aus dunklen Kirschen und feuchtem Holz in die Nase stieg.

„Il Sassicaia!“, sagte Daniele nicht ohne Stolz – und den beiden Kommissaren war sofort klar, dass die soeben entkorkte Flasche kaum für weniger als einhundert Euro zu haben sein dürfte.

* * *

Der Bahnsteig bot ein chaotisches Bild, das inzwischen auch noch durch das Flackern der Blaulichter der auf dem Bahnhofsvorplatz stehenden Fahrzeuge beleuchtet wurde. Die beiden Mädchen saßen völlig aufgelöst auf einer der Bänke, hielten sich in den Armen und weinten, während ein Polizeibeamter sie zu beruhigen versuchte. David, der zweite der beiden Jungen, kniete neben seinem Freund Marcel, der in einer Blutlache saß und von einem Sanitäter erstversorgt wurde.

„Wie geil ist das denn, Alter?“

„Reden Sie nicht so viel, sie haben eine Menge Blut verloren.“

„Alarm für Cobra elf … bei uns auf dem Bahnhof …“

„Scheiße, er kippt um.“

„Marcel!“

„Jajaja, er wird nicht sterben, aber er sollte jetzt mal die Klappe halten.“ Der Sanitäter bemühte sich, Struktur in das Drunter und Drüber zu bringen.

David, der mittlerweile auch blutverschmiert war, schaute entsetzt auf seinen Freund, der gerade das Bewusstsein verloren hatte.

„Trage!“

Man organisierte routiniert den Abtransport des Angeschossenen, der jetzt immerhin kein Blut mehr verlor und transportfähig für den Weg ins Emil-von-Behring-Krankenhaus war.

Einige Schritte weiter konnte Notarzt Dr. Peter Baum nur noch den Tod des Fremden feststellen, dessen Ankunft das ganze Durcheinander auf dem Bahnsteig ausgelöst hatte.

„Der muss unbedingt in die Gerichtsmedizin, wenn ich die Kotze hier richtig deute, ist das Heroin.“

„Heroin?“

„Ja. Drogenkurier. Ein Muli.“

„Muli?“

„Sie gucken keinen Tatort, oder?“

„Sie meinen, der hat Kondome im Bauch gehabt? Das kenne ich nur aus

Zeitungsberichten. Von Flughäfen oder so. Ja, oder aus dem Tatort.“

„Ist mir auch nicht ganz klar, was den in unsere Kleinstadt hier verschlagen hat. Aber schauen Sie mal …“ Peter Baum nahm eine weitere Probe des Erbrochenen auf und zerrieb einen Tropfen davon zwischen seinen Fingern, die in stabilen Einweghandschuhen steckten. „Das ist kaum aufgelöst … ich würde sagen: Heroin.“

„Krass.“

„Hm. Können wir hier sonst noch was tun? Der Jungspund da drüben schafft’s ohne meine Hilfe, oder?“

„Ja, der wird ja schon versandfertig gemacht.“

„Okay, dann lassen sie uns aufbrechen, ich habe eigentlich seit – Moment – dreiundsiebzig Minuten Feierabend.“

* * *

„Ferber.“

„Herr Ferber? Sie müssen bitte dringend zum Bahnhof, da gab es eine Schießerei. Gratmann kann ich gerade nicht erreichen, Sie müssen erstmal alleine ausrücken.“

„Wieso können Sie Gratmann nicht erreichen, der hat doch genauso Bereitschaft wie ich?“

„Ich kann ihn eben nicht erreichen, ich versuch’s weiter.“

„Tolles Team.“ Joachim Ferber war richtig sauer. Wie konnte es sein, dass sein Vorgesetzter unerreichbar irgendwo abfeierte, während er den Bereitschaftsdienst jetzt offenbar allein zu erfüllen hatte? Während er die Treppen aus seiner Wohnung hinunter auf die Straße sprang, hatte er auch schon den richtigen kriminalistischen Gedanken. „Umbria. Gratmann sitzt im Umbria. Faule Socke. Weil er da keinen Empfang hat.“

Ferber streifte sich den grauen Hoodie über, den er in dieser Jahreszeit beim Joggen trug. Er war etwas jünger als sein neuer Vorgesetzter Gratmann und etwas kleiner. Seine dunkelblonden Locken flogen immer etwas wirr um seinen Kopf, Frauen mochten das ebenso wie Ferbers Oberarme und seine gepflegten Zähne. Kurz vor Weihnachten hatte er wieder mit Judo begonnen und fühlte sich richtig fit.

Zu Ferbers großem Glück lag das Umbria wirklich unmittelbar auf dem Weg zum Bahnhof. Er nahm in seinem Ford Escort, Baujahr 1972, Platz, zog die knarzende Tür hinter sich zu und setzte den Youngtimer in Bewegung.

* * *

„Frau Fromm, ich … also, ich kann das hier nicht so geheimhalten, wie Sie sich das vorgestellt haben.“

„Um Himmels Willen, was ist denn passiert?“

„Der Pullover ist so etwas wie ein Zeuge in einem Mordfall. Kommen Sie noch mal runter?“

Laura Fromm antwortete gar nicht erst und war schon zur Bürotür hinaus. Was mochte Kevin Bauer an dem Pullover nach all der Zeit gefunden haben? Einem Pullover, den sie in einem Versteck im Wald gefunden hatte, an das sie Jahre, ja, Jahrzehnte nicht mehr gedacht hatte. Drei Treppen und eine Minute später stand sie erneut in Bauers gerichtsmedizinischem Refugium. Diesmal allerdings ohne Lächeln im Gesicht.

„Kommen Sie ruhig her, ich zeig’s Ihnen.“

Kevin Bauer hatte den Pullover sorgfältig auf einem Sezier-Tisch ausgebreitet und einen Scheinwerfer mittig über der Szene platziert. Zu sehen war die Vorderseite des Kleidungsstückes. Die, auf der Bauer den ganzen Drogencocktail gefunden hatte. Ungefähr an der Stelle, hinter der das Herz des Trägers oder der Trägerin des Pullovers geschlagen hatte, war jetzt sehr deutlich ein kleines Loch zu sehen. Das Gewebe zeigte in diesem Licht deutlich einen dunkleren Rand rund um das Loch. Reste von Blut, wie Kevin Bauer erläuterte.

„Ich würde sagen, der Träger Ihres Pullovers ist in diesem Kleidungsstück erschossen worden, Frau Fromm.“

* * *

Der Sassicaia war eine Wucht. Der Wein war aus dem Jahr 2001, das in diesem Teil der Toskana als überdurchschnittlich gutes Jahr gilt.

„Habe fünf Kisten von dem gekauft, Axel. War eine – wie sagt ihr? Schnappchen!“

„Schnäppchen! Daniele, was ist bei dir ein Schnäppchen?“

„Ooh, das ist ein Geheimnis!“

„Wahrscheinlich besser so …“

„Hätte nicht ein Jahr später sein dürfen. 2002 war ein schlechtes Jahr für armen Nicolò.“

„Der Winzer?“

„Haha, nein, Axel, Nicolò ist ein Mago … wie sagt ihr? Ein Magier! Sein Vater hat den Sassicaia erfunden – und Nicolò hat dieselbe Begabung für diesen wundervollen Wein.“

Daniele streichelte die Flasche mit seinen großen Händen so zärtlich, wie er sonst wahrscheinlich nur die Brüste seiner Frau Maria berührte. Und wahrscheinlich hatte er dann auch einen ähnlichen Gesichtsausdruck. Ohne Frage empfand Daniele so etwas wie Liebe zu diesem Rotwein. Gratmann und Füssler konnten das durchaus nachvollziehen.

„Natürlich!“ Es war die Stimme Joachim Ferbers, die der entrückten Stimmung ein jähes Ende machte. „Wir haben Bereitschaft, Sie Komiker. Was verstecken Sie sich denn hier im Keller?“

„Scheiße, hier ist ja kein Empfang.“ Gratmann blickte kopfschüttelnd auf sein Handy. Eigentlich hatte er mit Konrad ja nur ein Bier trinken gehen wollen, aber die Regie über den Abend war ihnen irgendwie entglitten.

„Ach was! Das habe ich nach ein paar Wochen in dieser Stadt auch schon mitbekommen. Jetzt gucken Sie nicht so unschuldig. Am Bahnhof gab es eine Schießerei mit einem Toten, hopp, hopp!“

Entschuldigend schaute Ferber Daniele an, den er in seiner kurzen Zeit hier auch schon kennen und schätzen gelernt hatte. Der wiederum ließ sich in seiner Fröhlichkeit nicht unterkriegen und regte sofort an, dass die beiden nach ihrem Einsatz wiederkommen sollten.

„Ich schließe mich euch an. Daniele, wir kommen wieder!“ Konrad Füssler fand es nicht passend, sich als Vorgesetzter alleine dem Sassicaia zu widmen, also folgte er seinen beiden Mitarbeitern. Mit etwas Mühe nahm er auf dem Beifahrersitz des alten Fords Platz, Gratmann fädelte sich in die Rückbank ein.

„Keine Gurte?“

Ferber gab einen verächtlichen Laut von sich und murmelte etwas von „zweiundsiebzig“. Er und Füssler hatten inzwischen das, was Anfang der siebziger Jahre als Gurt galt, angelegt und Ferber jagte los in Richtung Bahnhof.

„Geben Sie der Zentrale mal durch, dass ich Sie gefunden habe!“

„Sagen Sie’s bitte dem Alten nicht!“ Gratmann suchte die Nummer auf seinem Handy. Er wusste, dass ihn der Ausflug ins empfangsfreie Umbria Punkte kosten würde. Bei Ferber, nicht beim „Alten“. Der hatte es sich auf dem Beifahrersitz bequem gemacht und genoss schmunzelnd die Situation, die er als Vorgesetzter und Unbeteiligter gerade von einem Logenplatz aus miterleben durfte.

Wenige Minuten später näherte sich der Ford Escort von Joachim Ferber dem Bahnhofsgelände und die drei sahen, wie zwei Sanitäter einen jungen Mann in einen der vier Rettungswagen transportierten und mit Martinshorn abfuhren. Ferber parkte seinen Wagen in der freigewordenen Lücke und die Polizeibeamten stiegen aus.

* * *

„Susi.“ Es war das erste Wort, das Laura Fromm nach einem Blick auf den ausgebreiteten Pullover sagte.

„Susi? Kennen Sie die Tote? Also die Trägerin des Pullovers?“ Kevin Bauer merkte, dass aus dem geheimnisvollen inoffiziellen Auftrag seiner Kollegin ein persönliches Drama werden könnte. „Frau Fromm?“

Laura Fromm stand mit offenem Mund vor dem Seziertisch und versuchte offenbar selbst, die Gedanken in ihrem Kopf wieder in Ordnung zu bringen.

„Das ist ihr Pullover. Also, glaube ich. Er lag in unserem Versteck …“

„Sie haben ein Versteck im Wald?“ Bauer traute seinen Ohren nicht.

„Ja. Oben am Flügelberg.“

„Was … was haben Sie denn da gemacht?“

„Na, was man als Mädchen halt so macht. Barbiepuppen hingetragen, rumgealbert, Tiere beobachtet.“

„Achsoo.“

„Wie achso?“

„Na ich dachte, Sie hätten jetzt, also als erwachsene Frau …“

„Kevin, Sie sind ein Mann und deshalb von Natur aus etwas eingeschränkt – aber das ist doch eher eine Fantasie, die wirklich nur Männer haben können, oder? Zwei erwachsene Frauen in einer Höhle im Wald. Klar. Und Sie stoßen dann zu einem flotten Dreier dazu, oder wie?“ Laura Fromm war ganz offenbar not amused.

Kevin Bauer spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Mit Frau Fromm sollte sich ein Mann grundsätzlich nicht anlegen, egal, in welchem Zustand. Das war ihm gerade klargeworden. Wenn sie einen bei so einem Lapsus schon derart in den Boden spitzte, wie musste es erst sein, wenn diese Frau ernsthaft gereizt war?

„Also, die Story geht so: Susi, mit vollem Namen Susanne Bullmann, war eine Freundin in Kindertagen. Ihr Elternhaus steht übrigens neben dem von unserem Herrn Gratmann. Der brachte mich neulich wieder auf sie, als er von ihr erzählte. Ich war mit Susi früher ganz dicke und wir hatten zusammen dieses Versteck im Wald. Eine echte Höhle, Eingang kaum zu sehen, Riesen-Felsplatte drüber, cool. Ihr Jungs hättet wahrscheinlich Krieg gespielt, wir haben uns da häuslich eingerichtet. So. Susi ist dann als Jugendliche total abgedriftet. Meine letzte Begegnung mit ihr hatte ich mit fünfzehn, sechzehn, genau in dieser Höhle. Ich fand Rauchen damals schon doof, Susi hat gekifft wie ein Weltmeister. Auch in der Höhle, die war so eine Art Panic Room für uns. Sicher vor der Welt. Dann war sie plötzlich weg. Ich bekam noch einmal Post aus den USA, das war’s. Mit irgendeinem älteren Kerl ist sie abgehauen, mehr weiß ich nicht. Und das hier, das ist Susis Pullover. Ich war gestern in der Höhle, die hat seither offenbar niemand gesehen, der Eingang war völlig zugewachsen. Es lagen noch ein paar Sachen von uns drin. Und dieser Pullover.“

Laura Fromm machte eine lange Pause und einige Tränen rollten ihre Wange hinab. Kevin Bauer war indes noch so eingeschüchtert, dass er sich nicht traute, Frau Fromm in den Arm zu nehmen, wozu er fraglos Lust gehabt hätte.

„Können Sie feststellen, also, kriegen wir da noch eine DNA raus?“

„Klar! Wie lange sagten Sie, ist das her? Sie waren sechzehn, also elf, zwölf Jahre?“

Laura Fromm lächelte, Kevin Bauer schien seinen Schnitzer wieder ausgebügelt zu haben.

„Egal, Frau Fromm, DNA ist auch noch ein paar Jahre drüber identifizierbar. Allerdings … wie ich schon sagte, das ist ein Fall. Das geht nicht mehr unter der Hand.“

„Nee, natürlich nicht. Vor allem möchte ich das auch geklärt haben, was mit Susi passiert ist.“

„Ach übrigens: In dem Pullover steckt ein richtiger Drogencocktail. Aber nur hier vorne, so ungefähr der Bereich hier.“ Bauers Finger zitterte ein wenig.

„Und … was heißt das?“

„Das heißt, dass es sich nicht um ausschließliche Konsumier-Spuren handeln kann. Es macht fast den Eindruck, als ob an dieser Stelle ein, ja, ein Behältnis geplatzt wäre. Aber eben nicht nur eins, sondern mehrere hintereinander, mit den unterschiedlichsten Drogen drin.“

„Der Schuss?“

„Möglich. Das ist irgendwie noch ziemlich rätselhaft. Also, wenn Sie mögen, kann ich mich jetzt auf die Suche nach einer verwertbaren DNA machen.“

„Ach Kevin, Sie haben ja sicher auch schon Feierabend …“

„Sicher. Aber das interessiert mich jetzt auch, vielleicht haben wir ja schon bald was rausgefunden. Soll ich Gratmann eine Mail schicken?“

„Nein, lassen Sie mal, ich sage ihm das alles gleich morgen früh. Immerhin habe ich ja auch damit angefangen.“

* * *

Es ist immer ein wenig unheimlich, an einen Tatort zu kommen, wenn eigentlich schon alles geschehen ist. Die unwirkliche Beleuchtung durch mehrere Blaulichter, die Stille, weil in der Regel jeder weiß, was er zu tun hat, das Wissen, dass nur wenige Augenblicke zuvor blankes Chaos geherrscht hatte.

Gratmann und Ferber ließen sich von einer Kollegin der Streife die Lage erklären und kletterten dann über die Gleise zu den auf dem Bahnsteig Zurückgebliebenen.

„Guten Abend, mein Name ist Axel Gratmann von der Kripo, das ist mein Kollege Joachim Ferber. Wer kann denn etwas zu dem sagen, was hier passiert ist?“

Ferber ging zu den Sanitätern, die den Toten mittlerweile mit einem Leichentuch abgedeckt hatten, während Gratmann sich den beiden Mädchen und dem Jungen zuwandte, die zwar reden wollten, aber erkennbar unter Schock standen.

Außer den dreien hatten weitere Personen von einer spontanen Flucht abgesehen, nachdem die Schüsse gefallen waren: Ein Ehepaar Mitte Fünfzig, das recht sachkundig Marcels Erstversorgung übernommen hatte, ansonsten aber nicht viel gesehen hatte. Ein 78-jähriger Mann mit Gehbehinderung, der gerne geflohen wäre, aber nicht gekonnt hatte. Und ein gepflegter Herr etwa in Gratmanns Alter, der seinem Fluchtimpuls nicht nachgegeben und stattdessen sehr genau beobachtet hatte. Für Gratmann war er der ergiebigste Zeuge, weil er offenkundig sehr viel weniger aufgeregt war als die Freunde des angeschossenen Marcels.

„Und dann ist er mit dem Rucksack wieder die Treppe runter. Gesehen habe ich ihn nicht mehr, wahrscheinlich ist er durch die Bahnhofshalle, zum Seiteneingang raus und in irgendein Auto.“

„Wie kommen Sie auf Auto?“

„Er war irgendwie zu kalt angezogen für die Temperaturen. Nur so einen Mützenpulli hatte er an. Glaube nicht, dass er zu Fuß unterwegs war.“

„Oh. Das ist gut beobachtet. Und offenbar war er an dem Rucksack interessiert.“

„Ich würde sagen, er war ausschließlich an dem Rucksack interessiert. Wenn das da hinten wirklich ein Freund gewesen sein sollte“, der Mann malte mit seinen Fingern zwei Anführungszeichen in die Luft, „dann ein sehr flüchtiger. Er hat nur kurz gerufen Sam, are you okay? oder so. Aber dann hat er an dem Rucksack gerissen … ich dachte, der kugelt ihm beide Arme aus.“

„Wie sah der Rucksack denn aus?“

„Der passte nicht zu der ganzen Erscheinung. Sie werden ja noch sehen, wie der Tote – er ist doch tot? – wie der aussieht. Abgewrackt irgendwie. Aber der Rucksack schien mir recht neu zu sein. Ein Markenprodukt, ich habe meiner Tochter erst gerade so einen zu Weihnachten geschenkt. Robustes Modell, passt viel rein, war teuer.“

„Ja, und war denn auch viel drin?“

„Der sah ziemlich gut gefüllt aus. Aber irgendwie nicht schwer. Ich hatte den Mann schon ankommen sehen, da stand ich da drüben und hatte mir gerade einen Kaffee geholt. Der hat da nicht schwer dran getragen. Und der Ami ist damit auch weggerannt wie nix.“

„Und wie kam es zu der Schießerei? Wenn ich Sie richtig verstanden hatte, ist der Tote ja gar nicht durch einen Schuss zu Tode gekommen.“

„Durch einen goldenen vielleicht. Aber nicht durch einen aus der Waffe. Dieser Schüler hatte da recht beherzt eingegriffen, als der Ami den Rucksack mitgehen lassen wollte. Und dann standen sie sich gegenüber. Wie zwei Kinder. Jeder einen Riemen in der Hand. Ich glaube, der Junge wollte dem gerade eine brettern, dann fiel auch schon der Schuss.“

„Einfach so? Hatte der nicht gerade mit beiden Händen an dem Rucksack gezogen?“

„Naja, er muss dann mit der Hand in seine Jacke gefasst haben.“

„Haben Sie die Waffe gesehen?“

„Nein, der hat durch seine Tasche geschossen.“

„Bitte?“

„Ja, deswegen konnte er wohl auch nicht zielen.“

„Er hat in seine Tasche gefasst und dann aus der Tasche hinaus geschossen?“

„Ja.“

„Hm. Und der Tote? War der da schon tot?“

„Pfff, das kann ich Ihnen nicht sagen. Der war ja vorher schon zusammengesackt, als die Vier sich um ihn kümmerten. Ich weiß nur, dass niemand auf den geschossen hat.“

„Wie viele Schüsse haben Sie denn gehört?“

„Nur den einen.“

„Sicher?“

„Ja, natürlich bin ich sicher, dass ich nur einen Schuss gehört habe. Ist doch kein Krieg hier.“

Gratmann musste grinsen. Ganz schön frech, der Mann. Aber ein hervorragender Zeuge. „Haben Sie eine Karte?“

„Ja, klar.“ Er griff nach seiner Brieftasche und zog eine Visitenkarte hervor. Gratmann warf einen Blick drauf. Jan Lobbe, arbeitete bei einem Verlag in Frankfurt. Als Geschäftsführer.