Elizabeth Bard
Meine zauberhafte Eisdiele in der Provence
Aus dem Amerikanischen von Alice Jakubeit
FISCHER E-Books
Die amerikanische Autorin Elizabeth Bard schreibt u.a. für die ›New York Times‹ und ›Wired‹. Ihr erstes Buch ›Lunch in Paris‹ (dt. ›Tour d'amour‹) war ein internationaler Bestseller, die Filmrechte sind verkauft. Elizabeth Bard lebt mit ihrem französischen Ehemann Gwendal und ihrem Sohn in der Provence.
Eigentlich wollten sie für immer in Paris bleiben. Aber kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes entdecken Elizabeth und ihr Mann bei einem Ausflug in ein provenzalisches Dorf das ehemalige Zuhause eines berühmten Dichters. Sie verfallen dem Charme des Ortes und entscheiden sich schneller, als man ein Crêpe wendet, mit Sack und Pack und Pfannen in den Süden zu ziehen. Und diesem Neuanfang wohnt wirklich ein Zauber inne: Sie erleben das erste Jahr als Eltern, das erste Jahr auf dem Land, und sie beginnen ein weiteres großes Abenteuer: Sie eröffnen ihren eigenen Eissalon und experimentieren mit regionalen Zutaten und ungewöhnlichen Aromen wie Safran, Schafsmilch, und Olivenöl. Eis von ›Scaramouche‹ wird ein großer Erfolg für Elizabeth und Gwendal und die Provence ein Fest fürs Leben.
Covergestaltung: bürosüd, München
Coverabbildung: www.buerosued.de
Die amerikanische Originalausgabe erschien
unter dem Titel ›Picnic in Provence‹ bei Little, Brown and Company, New York
Copyright © 2015 by Elizabeth Bard
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2017 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
ISBN 978-3-10-490176-3
Für meine Mutter. Jetzt habe ich’s kapiert.
Manche Eigennamen und Details, anhand deren man die Personen identifizieren könnte, wurden geändert, um die Privatsphäre derjenigen zu schützen. Was das betrifft, hatte der arme Gwendal auch diesmal Pech.
Normalerweise stelle ich mich Kühen nicht vor. Doch dies waren wichtige, unverzichtbare Kühe. Falls sie aus irgendeinem Grund nicht zur Verfügung stünden, wäre unser Traum vom hausgemachten provenzalischen Eis gestorben, ehe er begonnen hätte.
»Hallo, die Damen«, sagte ich mutig, und mein Blick fiel auf ihre knochigen Hinterteile. Mir als Amerikanerin erschienen sie ein bisschen mager für gutes Lavendeleis. Doch dies war Frankreich, daher hätte es mich nicht wundern sollen, dass sogar das Vieh wirkte, als wäre es auf Diät. Die Kühe beobachteten mich völlig gleichmütig, während meine Absätze im Frühlingsschlamm versanken. Schließlich blickte eine hoch und schenkte mir ihre volle Aufmerksamkeit. Nachdenklich kaute sie ein Maulvoll Heu. Ihre großen feuchten Augen waren perfekt schwarz umrandet wie die Elizabeth Taylors in Kleopatra. Plötzlich bewegte die Kuh den Kopf ruckartig abwärts in Richtung meiner Stiefel und sofort wieder nach oben, so, als wollte sie sagen: Excusez-moi, madame, aber an Ihren sauberen Schuhen erkenne ich, dass Sie neu hier sind. Sehr, sehr neu. Und wir produzieren in der Regel keine Milch für Leute, die in Manhattan geboren sind.
Wenn mir jemand an meinem Hochzeitstag gesagt hätte, dass ich zehn Jahre später auf einem Feld in der Provence stehen und mit mageren Kühen plaudern würde, hätte ich höflich genickt, meine Perlenkette kreisen lassen und demjenigen gesagt, dass er mich wohl mit jemandem verwechsele.
Ich hätte mich geirrt.
Wir wollten nicht lange bleiben. Unsere Pläne hier beschränkten sich auf ein paar Tage Sonne und einen vollmundigen Côtes du Rhône.
Das eine Stunde östlich von Avignon gelegene Céreste ist nicht das, was man den schicken Teil der Provence nennen würde. Es ist ein Dreizehnhundertseelendorf, das versteckt in einem Tal an der alten Römerstraße liegt; die Einheimischen sind es gewohnt, dass die Touristen nur durchfahren, unterwegs zu den malerischeren Orten auf den Anhöhen in der Nähe wie Saignon oder Lourmarin. Es gibt eine einzige Hauptstraße mit einem Metzger, zwei Bäckereien sowie einem Café mit Plastikstühlen und einem strohgedeckten Vordach. Von dem Augenblick an, wenn man am Kreisverkehr in der Nähe des blinkenden Neonkreuzes der Apotheke ins Dorf fährt, bis zu dem Augenblick, wenn man es unter einem Baldachin aus hochaufragenden Platanen wieder verlässt, vergehen fünfundzwanzig Sekunden. Falls man gerade im Handschuhfach nach einer Sonnenbrille sucht, verpasst man es womöglich. Doch da waren wir, ein erschöpfter französischer Manager und seine schwangere Frau, die über Ostern zehn Tage hier verbringen wollten.
Als Gwendal und ich mit unseren Trolleys über den gepflasterten Hof der Pension rumpelten, klang das wie ein ganzer Reisebus. La Belle Cour ist ein entzückendes Haus, voller Bücher, Sofas mit tiefen Sitzmulden und feierlich tickender Standuhren. Während wir die Wendeltreppe zu unserem Zimmer erklommen (niemand bot an, mich huckepack zu tragen, obwohl ich das Angebot womöglich angenommen hätte), strich ich mit der Hand über die weißverputzten Wände. Sie fühlten sich kühl an. Die aufgeschüttelten Kissen auf dem Bett wirkten einladend, und ich setzte mich auf die Patchworktagesdecke – beziehungsweise ich ließ mich sehr langsam von meinem Bauch darauf hinabziehen.
Ich musste an eine andere Wendeltreppe denken, drei Treppenläufe, die hinauf zu einem beengten Liebesnest im Herzen von Paris geführt hatten. Vor zehn Jahren hatte ich mit einem gutaussehenden Franzosen zu Mittag gegessen – und war seither eigentlich nie mehr richtig nach Hause zurückgekehrt. Mein französischer Liebhaber war mittlerweile mein französischer Ehemann, und ich war Wahl-Parisienne. Ich wusste, in welcher Bäckerei in der Nachbarschaft ich die besten Croissants bekam, konnte mich fließend mit dem Mann von der Telefongesellschaft unterhalten (ein größerer Erfolg, als es klingt) und beim Metzger, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, ein ordentlich abgebalgtes Kaninchen bestellen.
Die letzten fünf Jahre über waren wir beinahe ständig in Bewegung gewesen. Gwendal hatte eine erfolgreiche Unternehmensberatung gegründet und damit seinen Traum verwirklicht, in der Filmindustrie zu arbeiten. Ich hatte den heiklen Übergang von der Teilzeitjournalistin zur Vollzeitautorin vollzogen. Mein erstes Buch und unser erstes Kind waren unterwegs. Wir hatten eine Wohnung mit einem funktionierenden Kamin und so etwas Ähnlichem wie einer Badewanne. Wir waren Mitte dreißig, sehr verliebt (wenn auch völlig erschöpft), und alles fügte sich aufs beste. Als Kind hatte ich mir meine Zukunft so ausgemalt; mein Leben lang hatte ich darauf gewartet, auf einem gepflegten Berg von Errungenschaften zu sitzen und die Aussicht zu genießen. Doch seit einiger Zeit stellte sich unmerklich ein neues Gefühl ein. Nennen Sie es Sauerstoffmangel. Kriegsneurose. Vielleicht war es ja nur das Baby, das auf meine Blase drückte, aber es fühlte sich zunehmend so an, als säße besagter Berg auf uns.
Als wir uns zum Abendessen umgekleidet hatten und nach unten gingen, warteten draußen auf dem schmiedeeisernen Tisch bereits vier Gläser und eine Flasche Rosé. Angela, unsere englische Gastgeberin, erschien mit einem Teller gressins – langen, dünnen Brotstangen – und einer kleinen Schale mit kandiertem Ingwer. Sie war hochgewachsen, gepflegt und hielt sich sehr gerade. Um die Schultern trug sie mehrere Schichten Baumwolle und Kaschmir und dazu lange Silberohrringe. Etwas an ihrem schnellen, verhaltenen Lächeln verriet mir, dass man mit ihr Spaß haben konnte. Ihr Mann, Rod, trug Pastellstreifen, die zu seinen rosigen Wangen passten. Er hatte die glänzenden Augen eines Menschen, der es genießt, auf Hochzeiten und im Kino zu weinen. Wir mochten die beiden auf Anhieb. »Und was führt Sie nach Céreste?«, fragte Rod und schenkte Gwendal einen rosigen Schluck Wein ein. Zwar ist noch keine Frau verhaftet worden, weil sie in der Schwangerschaft ein Glas Wein getrunken hat – zumal in Frankreich –, doch ich begnügte mich widerwillig mit einem Glas Mineralwasser.
Gwendal zögerte und suchte nach einer Antwort, die nicht allzu sehr klang, als wären wir auf einer Pilgerfahrt. Mein Mann ist ein großer Bewunderer des französischen Dichters und Widerstandskämpfers René Char. Wir wussten, dass Char während des Zweiten Weltkriegs in Céreste gelebt hatte. Da ich nun ins letzte Schwangerschaftsdrittel kam und nicht gern fliegen wollte, hatten wir beschlossen, die Landschaften des Luberon zu erkunden, auf den Spuren der Ereignisse, die in Chars berühmtesten Gedichten beschrieben werden. Falls das wie ein sonderbarer Anlass für einen Urlaub klingt – nun, so ist es wohl auch. Andererseits beobachten manche Leute Vögel.
Kaum hatten wir Char erwähnt, stellte Angela ihr Glas ab, verschwand im Haus und kehrte mit einem kleinen weißen Taschenbuch zurück. »Haben Sie das neueste Buch schon gelesen?«
Wie sich herausstellte, lebte gleich ein Stück die Straße hinauf die personifizierte Historie. Im Krieg hatte Char eine leidenschaftliche Liebesaffäre mit Marcelle Pons Sidoine, einer jungen Frau aus dem Dorf. Sie lebten zusammen und leiteten von ihrem Elternhaus aus das örtliche Résistance-Netzwerk. Marcelle hatte eine Tochter, Mireille, die 1940 acht Jahre alt war. »Sie hat gerade ein Buch über ihre Kindheit mit René Char veröffentlicht«, sagte Angela. »Sie wohnen nur ein paar Häuser weiter. Auf der linken Seite. Möchten Sie sie gerne kennenlernen?«
Gwendal blickte erst ganz aufgeregt, dann verlegen. Ich konnte förmlich sehen, wie es in seinem französischen Kopf arbeitete: Aber was soll ich denn mit einer Wildfremden reden? Es braucht mehr als zehn Jahre Zusammenleben mit einer Amerikanerin, um einen Europäer von seiner angeborenen Zurückhaltung zu kurieren. Doch am Ende triumphierte die Neugier über die kulturelle Prägung – abzulehnen kam nicht in Frage.
Ein Telefonat wurde getätigt, höfliche Grüße wurden ausgetauscht. Mireille freute sich, uns in einigen Tagen zu empfangen.
Nachdem unsere Verabredung nun feststand, machten wir uns daran, die Gegend zu erkunden. Während ich am nächsten Morgen auf dem blumengeschmückten Hof in meinem Buch las, ging Gwendal wandern. Das brauchte er jetzt, um die letzten Monate bei der Arbeit abzuschütteln. Zwei Jahre zuvor hatte er seine kleine Firma mit einem größeren Unternehmen fusioniert und sich wirklich krummgearbeitet (er gehört zur seltenen Gattung der französischen Workaholics). Jetzt befand er sich an einem Punkt, an dem er die strategische Kontrolle abgegeben hatte. Er war wie einer dieser Pantomimen, die gegen die Decke eines unsichtbaren Kartons drücken; er bekam ein phantastisches Gehalt, hatte einen klangvollen Titel, aber trotzdem saß er fest. Angela und Rod hatten ihn auf den Wanderweg hinter dem örtlichen Friedhof entlang zum Nachbardorf Montjustin geschickt. An klaren Tagen kann man die schneebedeckten Gipfel der Alpen sehen. Gegen Mittag kehrte Gwendal zurück, die dunklen Haare schweißnass, die Stiefel schlammverkrustet. Sosehr er mir in Anzug und Krawatte gefällt, muss ich doch zugeben, dass er in seinen Shorts fünf Jahre jünger aussah.
Selbst wenn ich nicht im sechsten Monat schwanger gewesen wäre, ist fraglich, ob ich viel gewandert wäre. Gwendal, der an der wilden bretonischen Küste aufgewachsen ist, hatte schon immer eine engere Bindung an die Natur als ich. Er liebt Panoramablicke, er genießt es, wenn der Wind von den Felswänden herabweht, ihm die Haare zerzaust und die Lunge durchpustet wie Terpentin. Ich dagegen bin von Geburt und von Hause aus eine Asphaltprinzessin. Ich liebe den Wind aus dem U-Bahn-Schacht, der mir die Röcke bauscht und mich an den Schenkeln kitzelt – wie Marilyn Monroe. Mein liebster Ausblick ist der auf einen gutgedeckten Abendbrottisch.
Doch dafür mussten zunächst einige Einkäufe getätigt werden. In unserer Pension gab es kein Mittag- oder Abendessen, und da nachmittags meistens bereits um die vierundzwanzig Grad herrschten, beschlossen Gwendal und ich, zu picknicken. Sechzehn Kilometer westwärts über eine kurvige Straße, die sich an die Hänge des Luberon schmiegt, liegt Apt mit seinem Markt, einer festen Institution in diesem Teil der Provence. Jeden Samstag von acht Uhr morgens bis halb ein Uhr mittags übernimmt er die gesamte Stadt und zieht sich vom Parkplatz am Rand der Altstadt durch die engen Torbögen der Uhrentürme hindurch, über die Kopfsteinpflasterstraßen, durch jede Gasse, über jede placette, jedes Plätzchen – ein buntes Durcheinander aus Käse, Gemüse, Würsten und dem hiesigen Lavendelhonig.
Im Lauf der Jahre sind die französischen Märkte zu so etwas wie meinem natürlichen Lebensraum geworden. Man kann durchaus sagen, dass ich alles, was ich über meine Wahlheimat gelernt habe, autour de la table gelernt habe – rund um den Tisch. Die Rituale des Einkaufens, Zubereitens der Mahlzeiten und gemeinsamen Essens sind zu einem so wesentlichen Bestandteil meines Lebens in Frankreich geworden, dass die Zeit in New York, in der das Mittagessen die Viertelstunde war, die es dauerte, zur Salatbar beim Chinesen und zurück an meinen Schreibtisch zu gehen, nur noch eine ferne Erinnerung ist.
Wir waren noch nicht weiter als bis zum ersten Torbogen gekommen, da ließ der Duft von Erdbeeren mich wie angewurzelt stehen bleiben. Nicht der Anblick; nur der Duft. Über die Köpfe diverser Passanten hinweg entdeckte ich einen Klapptisch und ein schwarzhaariges Mutter-Tochter-Paar, das kleine Holzkörbchen in Reihen auf dem Tisch anordnete. Die Erdbeeren waren herzförmig und hatten hübsche Kronen aus grünen Blättern. Sie waren kleiner und heller als die blutroten Monster, die normalerweise aus Spanien zu uns kamen.
Man hatte uns vorgewarnt, dass Ostern der Beginn der Touristensaison sei, und tatsächlich waren die Preise ungewohnt pariserisch; höher sogar. Aber eine Frau muss essen. Genauer gesagt muss sie die ersten Erdbeeren der Saison aus Carpentras essen, ein Privileg, das man nur hier hat. Ich kaufte ein Körbchen für uns und eines für Angela und bat die dunkelhaarige Händlerin, sie uns zurückzulegen. Ich hatte so eine Ahnung, dass wir am Ende eine Menge zu tragen haben würden.
Wir kamen an einem Mann vorüber, der winzige, gesprenkelte Wachteleier verkaufte; die echten waren kaum zu unterscheiden von den Ostersüßigkeiten im Schaufenster des chocolatier. Der erste Spargel lag in ordentlichen Bunden behutsam auf Stroh gebettet. Widerstand war zwecklos. Angela würde mir sicher einen Topf und eine Feuerstelle auf ihrem Herd zur Verfügung stellen, damit ich ihn blanchieren konnte.
Die anwachsenden morgendlichen Besucherscharen zwangen uns, langsamer zu gehen. An der boulangerie war ein Engpass, denn vor der Bäckerei stand ein schmiedeeiserner Wagen, eine elegantere Ausführung der Brezelverkaufsstände in den Straßen New Yorks. Außer den Croissants und den pains au chocolat war der Wagen mit ovalen Hefefladen beladen. Manche waren mit geriebenem Gruyère und Speck belegt, andere mit einer Mischung aus karamellisierten Zwiebeln und Sardellen. Auf einer Tafel stand mit Kreide fougasse geschrieben, was ich für eine hiesige Ausprägung der Focaccia hielt. Ich beugte mich über eine Variante mit gerösteten Walnüssen, die durchdringend nach frisch geschmolzenem Roquefort roch. Dies würde das ideale Brot für unser Picknick sein, leicht zu zerteilen und gerade so fettig, dass ich einen Vorwand hatte, mir die Finger zu lecken.
Allmählich ähnelte die Menschenmenge in der Hauptfußgängerzone derjenigen auf dem Times Square zu Silvester; man kam nur im Schneckentempo voran und hatte ständig Ellbogen in den Rippen. Die diversen Plastiktüten schnitten mir ins Handgelenk, und ich begriff, dass einer der leuchtend bunten Strohkörbe, die neben dem Mangold verkauft wurden, gewisse Vorteile hätte. Wir schlüpften in eine Seitenstraße, gingen an Ständen vorüber, auf denen sich Stoffballen in leuchtenden Farben türmten oder Schüsseln mit glänzenden Oliven drängten, und betraten einen kleinen Platz. Ich inspizierte die Beute dieses Vormittags. Es fehlte nur noch etwas aus dieser unverzichtbaren französischen Lebensmittelkategorie: der charcuterie (Schinken und Wurstwaren). Ich trat an einen ungekennzeichneten weißen Lieferwagen von der Art heran, vor denen Ihre Mutter Sie immer gewarnt hat. Der Wagen war an der Seite geöffnet und barg eine makellose Stahltheke, in der hinter Glas dicke Schweinekoteletts, frische Würste mit Kräutern, sogar boudin noir maison, hausgemachte Blutwurst, lagen (Letztere nicht sehr praktisch für ein Picknick, aber ich überlegte unwillkürlich schon, wie ich diverse Exemplare davon in meinem Koffer zurück nach Paris transportieren könnte). Ich entschied mich für eine saucisse sèche au thym – eine hufeisenförmige, mit Thymian und schwarzen Pfefferkörnern gewürzte Dauerwurst. Ich war mir ziemlich sicher, dass Gwendal das Taschenmesser seines Vaters eingesteckt hatte.
In Frankreich Lebensmittel einkaufen zu gehen macht mich unweigerlich hungrig. Bewehrt mit Proviant für mehrere Tage, waren wir mehr als bereit fürs Mittagessen.
Am folgenden Dienstag trafen wir pünktlich um drei zum Kaffee bei Mireille, der Tochter von Chars Kriegsliebe, ein. Sie öffnete uns die Tür, eine schwarzhaarige Frau von über siebzig in einem Wollrock, flachen Schuhen und einer rosa Bluse mit einem dazu passenden Schal. Wir traten ein unter die steinernen Gewölbebögen der akribisch renovierten Poststation aus dem siebzehnten Jahrhundert, die sie mit ihrem Mann und ihrer mittlerweile vierundneunzigjährigen Mutter Marcelle bewohnte. Hier im Erdgeschoss hatte sich einst die Küche der Poststation befunden. Die Feuerstelle des Kamins war so groß, dass man sie fast hätte betreten können. Es fiel nicht schwer, sich einen wuchtigen Kessel mit Kalbsschmortopf oder soupe d’épeautre (Dinkelsuppe) tief über der Glut aufgehängt vorzustellen, bereit für die Reisenden, die hier haltgemacht hatten, um ihre Pferde zu tränken und beim ersten Licht weiterzufahren.
Am einzigen Fenster war ein Tisch gedeckt. Auf dem gestärkten weißen Tischtuch lagen ein Federkasten aus Holz und ein Kopfhörer mit Lederohrpolstern und einem verdrehten alten Kabel – wie Requisiten für eine altmodische Zaubervorführung. Ich wusste nicht recht, was ich erwarten sollte. Bis jetzt war René Char für mich kaum mehr als ein Name in unserem Bücherregal gewesen.
Wenn man einen Ausländer heiratet – wenn man selbst die Ausländerin ist –, sind kulturelle Bezüge eine der tiefen Klüfte, die man überwinden muss. Gwendal und ich hatten nicht dieselben Idole. Als wir uns kennenlernten, hatte er noch nie Breakfast Club – Der Frühstücksclub gesehen, ich hingegen noch nie Sie küssten und sie schlugen ihn. Meinen ersten Stehblues hatte ich zu Wham! getanzt; er zum Song irgendeines italienischen Popstars, von dem ich noch nie gehört hatte. Meine Teenagerängste (wenn man sie denn so nennen kann) wurden von John Donne befeuert; Gwendal bevorzugte Rimbaud. Ich erzähle Ihnen erst gar nicht, was geschah, als ich ihm zum ersten Mal ein Twinkie anbot. Zwar bin ich Anglistin und halte mich für relativ belesen, aber René Chars Lyrik und seine Geschichte waren mir neu, wenn man von den Passagen absah, die Gwendal mir vorlas, wenn er besonders beeindruckt war.
Ich wusste, dass Char am Scheideweg des intellektuellen Pariser Lebens zwischen den Weltkriegen mit Braque, Picasso und André Breton befreundet gewesen war. Im Zweiten Weltkrieg war er ein Anführer in der französischen Résistance, nahm abgeworfene Waffenlieferungen aus London in Empfang und versteckte Waffen, Flüchtlinge und junge Franzosen, die den service du travail obligatoire, den Pflichtarbeitsdienst in Deutschland, verweigerten. Im Jahre 1944 ging er nach Algier, um de Gaulle bei den Vorbereitungen für die Befreiung Südfrankreichs zu helfen. Doch als wir uns nun an den Tisch setzten, merkte ich rasch, dass es nicht die Person des öffentlichen Lebens war, von der Mireille uns erzählen wollte. »Char war wie ein Vater für mich«, sagte sie und zeigte uns einen handschriftlichen Brief von ihm. Seine Schrift war gleichmäßig, schräg und ein wenig verschnörkelt – jedes große L stieg unten leicht an. Sie öffnete seinen rissigen Federkasten und berührte die nachgedunkelte Metallfeder eines Federhalters. Obwohl die Ereignisse, über die wir sprachen, erst siebzig Jahre zurücklagen, behandelte sie diese Besitztümer wie uralte Reliquien.
In echt provenzalischer Manier trödelten wir durch den Nachmittag: ein Kaffee, dann ein zweiter, ein Cognac, dann noch einer. Mireille erzählte uns Geschichten von gefälschten Papieren, Kollaborateuren im Dorf und von Char, der ihr am Holzofen bei den Hausaufgaben geholfen hatte. In ihrer Miene wechselten sich Wehmut und der grimmige Pragmatismus der hiesigen Bauern ab. »Er ließ mich ›Maréchal, nous voilà‹ auswendig lernen, die Vichy-Hymne, und sagte mir, ich solle in der Schule besonders laut singen, damit niemand Verdacht schöpfte, was wir hier taten«, erzählte sie.
»Haben Sie noch weitere Fragen?«, fragte Mireille, als wir vor leeren Espressotassen saßen und uns streckten. Gwendal räusperte sich.
»Ich habe gelesen, dass Char den ganzen Krieg hindurch geschrieben hat, obwohl er sich weigerte, unter der deutschen Besatzung zu publizieren. Es heißt, er hätte seine Manuskripte im Keller des Hauses vergraben, in dem er lebte, und sie nach dem Krieg geholt.« Tatsächlich grub Char nach der Befreiung seine Notizbücher aus und schickte sie an Gallimard, den berühmten Pariser Verlag, wo sie dem künftigen Nobelpreisträger Albert Camus auffielen. Diese 1946 unter dem Titel Feuillets d’Hypnos (deutsch Hypnos: Aufzeichnungen aus dem Maquis) veröffentlichten Gedichte bleiben Chars Meisterwerk. »Wir haben im ganzen Dorf gesucht«, sagte Gwendal. »Wo«, fragte er dann und brachte seine französisch-umständlichen Ausführungen auf den Punkt, »ist dieses berühmte Loch im Boden?«
»Das können wir Ihnen leicht zeigen«, erwiderte Mireille. »Das Haus gehört uns noch.«
Und so gingen wir am nächsten Morgen an den Überresten des mittelalterlichen Château vorbei ins Herz des alten Dorfkerns. Die Häuser hier drängten sich eng aneinander, waren gleichsam aufeinandergestapelt wie Bauklötzchen; es war kaum zu erkennen, wo ein Haus endete und das nächste begann. An der Place des Marronniers mit ihrem Brunnen und der gewaltigen Kastanie bogen wir scharf links ab und gingen durch eine schmale, mit Steinplatten gepflasterte Straße zu La Maison Pons.
Mireille schloss ein schmiedeeisernes Tor auf und führte uns in einen Innenhof. An einer Mauer lehnte ein hölzernes Wagenrad, so hoch wie meine Schulter: »Mon grandpère.« Ihr Großvater väterlicherseits, so erklärte sie uns, war carrossier, Stellmacher, gewesen. Gebückt traten wir durch eine Türöffnung. Als Gwendal und ich Mireille die Treppe hinab in den Weinkeller folgten, mussten wir uns praktisch auf die Hälfte unserer Körpergröße zusammenfalten, um uns nicht den Kopf an den grobbehauenen Steinen zu stoßen. Unten räumte Mireille ein paar leere Flaschen beiseite und deutete auf ein Holzregal etwa dreißig Zentimeter über dem Erdboden. »Le voilà. Da hat Char sein Manuskript vergraben«, sagte sie. »In einen alten Fallschirm gewickelt.«
Gwendal sah nach unten. Dies ist der Mann, den ich liebe, dachte ich. Ein Mann, der erkennbar gerührt sein kann beim Anblick einer Mulde im Boden.
»Früher haben wir hier unten Schweinefleisch gelagert«, erzählte Mireille weiter und kehrte unvermittelt zu den praktischeren Details zurück. »Damals haben wir alles gegessen. Wir haben die einzelnen Stücke zum Haltbarmachen mit einer Fettschicht bedeckt, und wenn man eines wollte, grub man es aus.«
Als wir uns zum Gehen wandten, stampfte sie mit dem Fuß auf die harte Erde. »Mein Onkel … er war im Krieg Chars Fahrer … bevor er starb, sagte er, es könnten noch immer Gewehre hier vergraben sein. Wir haben nie nachgesehen.«
Das Innere des Hauses war ein Labyrinth, in dem sich lauter weiß getünchte Zimmer aneinanderreihten. Jeder Raum befand sich auf einer anderen Ebene; um von einem in den nächsten zu gelangen, musste man immer zwei Stufen hinauf- oder hinabsteigen. Im Speisezimmer, in dem es noch immer schwach nach Rauch roch, gab es dunkle Holzbalken und einen offenen Kamin. Einen halben Treppenlauf nach oben befand sich das Zimmer, in dem Char geschlafen hatte. Ich blickte aus dem Fenster, an dem sein Schreibtisch gestanden hatte. Von der Straße sah man nur einen schmalen Streifen, gerade so viel, stellte ich mir vor, dass der Dichter die Waden eines hübschen Mädchens von den Schaftstiefeln eines deutschen Soldaten hatte unterscheiden können. Im Obergeschoss befanden sich weitere Zimmer und zwei Bäder. Das große Schlafzimmer auf dem Dachboden mit der Dachschräge war vom Morgenlicht durchflutet. »Hier haben wir immer die Schinken aufgehängt«, erzählte Mireille. Ganz offensichtlich sah sie hier, wohin sie auch blickte, immer zwei Welten, die Vergangenheit und die Gegenwart. Sie war in diesem Haus geboren; ihre Mutter ebenfalls. Ich strich über einen Balken. Eine Jahreszahl war ins Holz geritzt: 1753.
Zuletzt gingen wir noch hinaus in den großen zweifach terrassierten Garten, von wo aus man die umgebenden Felder überblickte. Am Fuß eines alten Rosenbusches wuchs eine Ansammlung von Minzschösslingen, und die Maiglöckchen standen in voller Blüte – der erste Mai war nicht mehr fern. Mireille pflückte eines und drückte es mir in die Hand. Die winzigen Blüten schwangen wie echte Glocken in der morgendlichen Brise. »C’est un porte-bonheur«, sagte sie, das ist ein Glücksbringer. »Für das Baby.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es waren zwar nur noch rund vier Monate bis zur Geburt, doch die Mutterschaft war für mich nach wie vor etwas Abstraktes. Die meisten Frauen tragen ihre Kinder im Bauch aus, für mich hatte die Schwangerschaft bisher hauptsächlich im Kopf stattgefunden. Gwendal sah sich bereits als Vater, aber ich fühlte mich überhaupt nicht wie jemandes Mutter. Noch nicht. Ich drückte die Blumen an den Bauch und fragte mich, ob das Baby den Frühling durch meine Haut hindurch riechen konnte.
Oben auf der Treppe warf ich einen Blick in den gemauerten Gartenofen, der innen voller Asche und Spinnweben war. Ich kniff die Augen zusammen; gegen die Sonne konnte ich gerade so eben zwei Pferde mit nickenden Köpfen auf dem Gras eines Hügelkamms in der Nähe erkennen.
Ich weiß nicht viel über Zufriedenheit. Von der Grundeinstellung her tendiere ich eher in Richtung Strebsamkeit und leichter Panik. Doch dieser Ort strahlte eine geradezu berauschende Wärme aus: die schützend von Nachbarhäusern umgebenen hohen Mauern dieses Gartens, die jungen Farnspiralen, die ungestört zwischen den Steinen wuchsen. »Ich weiß, es war eine gefährliche, schlimme Zeit«, sagte ich zu Mireille, »aber man spürt, dass Ihre Familie hier glücklich war.«
»Das waren wir.« Mireille lächelte flüchtig. »Aber jetzt bin ich traurig. Ich habe dieses Haus meiner Tochter geschenkt, weil ich dachte, dann zieht sie mit ihrer Familie zurück ins Dorf. Stattdessen will sie es verkaufen.«
»Ah.«
Jeder, der mich kennt, wird Ihnen sagen: Ich lasse fast nie zu, dass die Realität einer guten Geschichte in die Quere kommt. Diese Einstellung hatte mich bisher meistens zu einer Träumerin, einer Dilettantin, ja, sogar – in meinen eigenen Augen – zu einer Versagerin gemacht. Aber hin und wieder holen wir unsere Träume ein und verwirklichen sie. Die besten Entscheidungen in meinem Leben sind genau so zustande gekommen – durch ein Gefühl, dem ein gewaltiger Sprung ins Ungewisse folgte. Ich bereue diese Entscheidungen nie, obwohl ich mich dabei oft halb verrückt vor Sorge mache. Ich glaube, die meisten von uns wünschten, sie hätten mehr Mut zum Risiko, nicht weniger.
Gwendal und ich wechselten nicht einmal einen Blick. Ich kenne meinen Mann. Wir dachten beide das Gleiche.
Über den Schotterweg, der am Rand von Céreste entlangführt, gingen wir zurück. An einer Seite schmiegten sich die Häuser aneinander, an der anderen lagen der Fluss und die offenen Felder. Auf dem kleinen Hügel unterwegs zu ihrem Haus geriet Mireille ein wenig ins Schnaufen. Plötzlich blieb sie stehen, als ob sie etwas sehr Wichtiges vergessen hätte. »In der Pension gibt es kein Essen«, sagte sie und zog besorgt die Augenbrauen zusammen. »Wo essen Sie?«
»Wir haben am Samstag auf dem Markt in Apt ein paar Sachen gekauft«, erwiderte ich. »Wir picknicken.«
»C’est bien«, sagte sie mit einem beifälligen Nicken. »Picknicken ist gut. Das haben wir früher auch gemacht.«
Ich könnte nicht sagen, was genau der Auslöser war. Es war wohl irgendein berauschendes Zusammenspiel verschiedener Faktoren: die Geschichte, das Baby – ganz zu schweigen von diesen ersten Erdbeeren. Es dauerte nur einen Augenblick, bis aus einer abwegigen Idee etwas wurde, was auf der Hand lag. Dies war der Ort, an dem wir das nächste Kapitel unseres Lebens verbringen wollten. Dies war der Ort, an dem wir eine Familie werden würden. Gwendal und ich verbrachten eine schlaflose Nacht vor einer Excel-Tabelle, und am nächsten Morgen gingen wir nochmals zu Mireille, um zu fragen, ob wir das Haus kaufen könnten.
Angela lieh mir tatsächlich einen Kochtopf, damit ich meinen Spargel blanchieren konnte, und dies war das Ergebnis. Die Soße, die viel leichter ist als die traditionelle Sauce hollandaise, ist mittlerweile mein Standarddressing für gedämpftes Gemüse, pochierten Lachs und sogar einen schnellen Hühnchensalat.
1 Pfund dünner grüner Spargel
2 EL dunkles Tahini (aus ungeschältem Sesam)
3 EL plus 2 TL frischer Zitronensaft
Gut 300 g griechischer Naturjoghurt (vollfett ist am besten)
Kleine Prise feinkörniges Meersalz
Frisch gemahlener schwarzer Pfeffer
Den Spargel waschen und die Enden abschneiden, dann in einem großen Topf mit Siebeinsatz über heißem Wasser 3 bis 5 Minuten lang dämpfen, je nach Durchmesser der Stangen. Es ist eine Sünde, Spargel zu lange zu garen (die Stangen werden schlaff und müffeln), also geben Sie gut acht und holen Sie ihn heraus, wenn er noch leuchtend grün und fest ist.
Für das Dressing: In einer mittelgroßen Schüssel aus Glas (oder einem anderen nicht reagierenden Material) Tahini und Zitronensaft glattrühren. Joghurt und eine Prise Salz hinzugeben und verrühren. Pfeffer darüber mahlen und verrühren.
Den Spargel warm oder zimmerwarm servieren; dazu die Soße reichen.
Ergibt als Vorspeise oder Beilage 4 Portionen.
Kichererbsen wachsen in der Provence in Hülle und Fülle und werden für alles Mögliche verwendet, von poichichade, dem örtlichen Hummus, bis zu Socca, traditionellen Fladen aus Kichererbsenmehl aus Aix. Der Salat ist warm, bunt und gut zu transportieren. Er ist eine wunderbare Beilage zu gegrilltem Hähnchen oder Lammkoteletts.
1 rote Paprika, in dünne Streifen geschnitten
1 gelbe Paprika, in dünne Streifen geschnitten
1 gelbe Zwiebel, in dünne Streifen geschnitten
1 rote Zwiebel, in dünne Streifen geschnitten
1 Prise Zimt
1 TL gemahlener spanischer Ñora-Paprika oder geräucherter Paprika von guter Qualität
½ TL Kuminsamen
½ TL Harissa (scharfe Gewürzpaste aus Nordafrika) oder ein, zwei Prisen Chiliflocken, nach Geschmack
120 ml Olivenöl
2 400-g-Dosen Kichererbsen, abgetropft
Schwarzer Pfeffer
1 gute Prise grobes Meersalz
1 Bund glatte Petersilie mit Stängeln, feingehackt
1 EL feingehackte frische Minze
Zum Garnieren: Zitronenscheiben
Backofen auf 180 Grad Celsius vorheizen.
In einer großen Auflaufform Paprika, Zwiebeln und Gewürze (ohne Petersilie und Minze – die werden erst am Ende dazugegeben) vermischen. Falls der Salat etwas schärfer werden soll, kann man doppelt so viel Harissa oder Chiliflocken nehmen – die von mir angegebene Menge gibt dem Salat Würze, nicht Schärfe. Olivenöl hinzugeben und untermischen. 1 Stunde lang im Ofen backen, zwischendurch zweimal umrühren.
Währenddessen die Kichererbsen unter heißem Wasser abwaschen. Nehmen Sie sich ein bisschen mehr Zeit und rubbeln Sie die wächserne Haut ab.
Die Paprika und Zwiebeln aus dem Ofen holen – der Boden der Auflaufform wird mit einer köstlichen Schicht würzigen Olivenöls bedeckt sein – und die Kichererbsen unterrühren. Nach Geschmack mit frisch gemahlenem schwarzem Pfeffer und Salz würzen. 5–10 Minuten ruhen lassen, dann Petersilie und Minze unterrühren. Warm oder zimmerwarm mit einer Zitronenscheibe obendrauf servieren, die man ausdrücken kann. Man kann den Salat problemlos einen Tag vorher zubereiten – das gibt ihm Zeit durchzuziehen.
Ergibt 6 Portionen.
Dies ist ein Klassiker auf provenzalischen Büfetts und zum Aperitif. Möglicherweise ist es das ideale Essen: süß, salzig, mit Teig und transportabel – was will man mehr?
Die Franzosen verwenden für den Boden frische Hefe. Für einen schlichten Teig mit Trockenhefe habe ich mich an Artisan Bread in Five Minutes a Day von Jeff Hertzberg und Zoë François (Thomas Dunne Books, 2007) orientiert. Es ist ein supereinfacher Olivenölteig, der nicht geknetet wird – und er muss zwar 2 Stunden gehen, aber die aktive Zubereitungszeit ist nicht der Rede wert.
Für den Teig
1 kg Mehl Type 550
1½ EL Trockenhefe
1½ EL koscheres Salz oder grobes Meersalz
1 EL Zucker
60 ml Olivenöl nativ extra
660 ml lauwarmes Wasser
Für den Belag
60 ml Olivenöl plus 1 EL für das Backblech
1,2 kg Gemüsezwiebel, halbiert und in dünne Streifen geschnitten
1 TL Kräuter der Provence
1½ TL Zucker
1 Knoblauchzehe, feingehackt
1 Prise grobes Meersalz
20–30 Sardellen
20–25 eingelegte schwarze Oliven
Teig: Das Mehl in eine mittelgroße Rührschüssel abmessen. In einer großen Rührschüssel (5 Liter) Hefe, Salz, Zucker, Öl und Wasser verrühren, dann alles Mehl auf einmal hineingeben und mit einem Holzlöffel unterrühren. Falls Sie mit den Händen weitermachen möchten, reiben Sie sie mit reichlich Olivenöl ein, damit der Teig nicht daran festklebt. Dieser Teig wird nicht geknetet; das Mehl soll nur gut untergemischt werden. Die Schüssel mit einem sauberen Tuch abdecken, und den Teig 2 Stunden lang gehen lassen. Danach kann er gleich verwendet werden, aber er ist leichter zu handhaben, wenn er eine Zeitlang im Kühlschrank gelegen hat (abgedeckt hält er sich mehrere Tage lang).
Unterdessen werden die Zwiebeln zubereitet: Den Backofen auf 180 Grad vorheizen. In einem mittelgroßen Bräter oder einem Suppentopf mit hitzebeständigem Deckel 60 ml Olivenöl erhitzen, bis es siedet, dann Zwiebeln, Kräuter der Provence, Zucker, Knoblauch und eine Prise Meersalz hineinrühren. Bei mittlerer Hitze 10 Minuten lang braten, bis die Zwiebeln allmählich glasig werden, dann 1 Stunde lang zugedeckt in den Backofen stellen. Am Ende soll alle Flüssigkeit verdampft sein, ohne dass die Zwiebeln braun werden – das soll erst auf dem Teig passieren. Sowohl Teig als auch Zwiebelmischung können ein, zwei Tage im Voraus zubereitet werden.
Den Backofen auf 250 Grad vorheizen. Für die pissaladière wird nur die Hälfte des Teigs benötigt. Daher den Teig halbieren, zu einer Kugel formen und im Kühlschrank für die nächste Pizza verwahren. (Ich will nicht vom Thema abkommen, aber meine Familie mag rohen Schinken, Feigen und Gorgonzola …)
Das größte Backblech mit Backpapier auslegen (ich verwende mein Ofenblech, das 35 mal 45 Zentimeter misst). 1 EL Olivenöl auf dem Backpapier verstreichen, auch an den Seiten. Nicht vergessen: Der Teig wird nicht geknetet; den verbleibenden Teig daher durch bloßes Ziehen wieder zu einer Kugel formen. Die Teigkugel auf dem eingeölten Backpapier zu einer Scheibe auseinanderziehen (etwa so groß wie ein Frisbee) und einmal umdrehen, damit beide Seiten mit Öl bedeckt sind. Dann den Teig mit den Fingern zu einem Rechteck drücken, das so groß wie das Backblech ist. Mit der runden Seite einer Gabel (oder mit den Fingerspitzen) viele tiefe Mulden (aber keine Löcher) in den Teig drücken.
Die Zwiebelmischung mit einem Schaumlöffel möglichst ohne Flüssigkeit gleichmäßig auf dem Teig verteilen bis ganz an den Rand (zwischen den Zwiebeln sollte noch ein wenig nackter Teig zu sehen sein). Die Sardellen in einem Rautenmuster darauf verteilen und an die Ecken der Rauten jeweils eine Olive legen. Mit Frischhaltefolie abdecken und 20 Minuten ruhen lassen. Die Folie abnehmen und 12 bis 15 Minuten backen, bis der Teig an den Rändern goldbraun ist; spähen Sie auch einmal darunter. Die genaue Backzeit hängt vom Backblech und der Dicke des Bodens ab.
In kleine Quadrate schneiden; warm oder zimmerwarm servieren.
Ergibt als Vorspeise 8 Portionen.
Tipp: Wer den Teig nicht selbst herstellen möchte (ich hatte bei Hefeteig früher immer Angst, dass er misslingt), kann auch einen fertigen Pizzateig von guter Qualität oder einen Focacciateig nehmen und nach Herstellerangaben backen.
Paris im August ist wie der Schauplatz eines Science-Fiction-Films – ein bis auf hochschwangere Frauen und streunende Katzen völlig entvölkerter Planet. Die zivilisierte Welt befindet sich im Urlaub und läuft in aufgekrempelten Jeans und Sommerkaschmir über einen Strand in der Bretagne oder legt in, nun, der Provence weißes Leinen und teure Sonnenbrillen an. Wir waren seit unserem Sprung ins Ungewisse im April erst ein einziges Mal wieder in Céreste gewesen, und das auch nur lange genug, um die ersten Dokumente zu unterzeichnen und die ersten weißen Pfirsiche der Saison zu kosten – Grund genug, einfach alles zusammenzupacken und umzuziehen. Die alljährliche Woche Griechenland hatten wir gestrichen, sobald ich den Geburtstermin erfahren hatte: 21. August. Merke: Nächstes Mal werde ich im Urlaub schwanger, nicht anstelle des Urlaubs.
In den vergangenen drei Monaten hatten wir unsere Freunde und unsere Familien behutsam in unser Umzugsvorhaben eingeweiht. Es ist hilfreich, anderen die eigenen Pläne zu erläutern. Dadurch werden sie real. Mit anderen meine ich natürlich meine Mutter.
Meine Mutter nahmen wir gleich im atemlosen Überschwang nach dem ersten Besuch in unserem zukünftigen Haus in Angriff. Ich näherte mich dem Thema unter dem Aspekt, der mir am vielversprechendsten erschien: Innenausstattung. »Also«, sagte ich am Telefon und holte tief Luft, »wie würde es dir gefallen, in die Provence zu kommen und für einhundertsiebzig Quadratmeter neue Fliesen zu kaufen?« Schweigen. Ich war seit meinem fünfzehnten Lebensjahr immer wieder von zu Hause fortgegangen, und dies war kaum die erste verrückte Idee, die sie in einem Ferngespräch von mir zu hören bekam. Sie ließ mich die ganze Geschichte erzählen. Noch mehr Schweigen. »Ein Dorf«, sagte sie gedehnt und verlieh dem Wort etwas hübsch Exotisches, wie Brigadoon oder Teufelsanbetung. »Was willst du in einem Dorf machen?«
Das war eine gute Frage. Was wollte eine Sushi liebende, schaufensterbummelnde Stadtbewohnerin, die nicht Auto oder Fahrrad fahren konnte, inmitten all dieser Bäume tun? Die meisten Leute stellen wegen einer verrückten Geschichte über einen Dichter und eines glückbringenden Gartens nicht gleich ihr ganzes Leben auf den Kopf. Aber ich glaube an Geschichten, so wie andere Leute an Religion oder freie Marktwirtschaft glauben. Ich tat mein Möglichstes, um zu erklären, was im Grunde ein Bauchgefühl war: Wir spürten in diesen Wänden etwas von unserer Zukunft. Céreste war die Antwort auf eine Frage, von der wir nicht gewusst hatten, dass wir sie gestellt hatten.
Als es sich herumsprach, waren die Reaktionen gespalten und schienen sich gleichmäßig beiderseits der kulturellen Verwerfungslinie zu verteilen. Unsere französischen Freunde nickten verwirrt: Wie konnten wir nur unsere Jobs aufgeben? Es hatte sich doch alles so schön eingespielt bei uns. Andere nickten voller Bewunderung. Sie dachten selbst darüber nach, aufs Land zu ziehen – im Ruhestand.
Meine amerikanischen Freunde waren unverblümter: Sie gaben der Sache sechs Monate.
Nun, da es nur noch ein Monat bis zum errechneten Geburtstermin war, kam mir diese Zeit kostbar vor, herausgehoben aus der Alltagshektik. Ohne darüber nachzudenken, wandelten Gwendal und ich nochmals auf unseren eigenen Spuren – wir suchten alte Lieblingsplätze auf, sehnten uns nach vertrauten Aromen. Wir hatten ganz Paris für uns allein wie in jenen ersten gemeinsamen Monaten, bevor ich Französisch sprechen konnte, als wir in einer Seifenblase gelebt hatten, nicht vor dem Mittag aus dem Bett gekommen waren und jede tarte au citron und jede Prise fleur de sel mir wie eine Offenbarung erschienen waren. An diesem Abend hatten wir es auf Eiscreme abgesehen.
Als Gwendal und ich bei einer akademischen Tagung in London auf einer Treppe zusammengestoßen waren (okay, ich war mit ihm zusammengestoßen, ein bisschen mit Absicht), waren wir beide Studenten gewesen. Mir war aufgefallen, wie er in einer der mittleren Reihen im Hörsaal saß, ein ernsthafter junger Mann, der sich niemals ganz hinten verkriechen würde. Er war hochgewachsen und sah gut aus, auf eine seriöse, gelehrte Art. Bei seiner Größe und der scheußlichen blauen Windjacke, die er trug, hätte er auch Deutscher sein können. Aber das kantige Kinn, die dunklen Haare und die kleine Brille waren reiner café crème.
Wenige Monate und ein herrlich rarepapy