J.M. Coetzee
Ein Haus in Spanien
Drei Geschichten
Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke
FISCHER E-Books
J.M. Coetzee, der 1940 in Kapstadt geboren ist und von 1972 bis 2002 als Literaturprofessor in seiner Heimatstadt lehrte, gehört zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart. Er wurde für seine Romane und sein umfangreiches essayistisches Werk mit vielen internationalen Preisen ausgezeichnet, u.a. zweimal mit dem Booker Prize, 1983 für ›Leben und Zeit des Michael K.‹ und 1999 für ›Schande‹. 2003 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. Coetzee lebt seit 2002 in Adelaide, Australien.
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Die unverhoffte Wiederbegegnung mit einem Ort aus der Kindheit, das Wiederkennen einer existentiellen Situation, die Sehnsucht nach einem autarken Leben: Das alles wird zum Beginn erzählerischer Meditationen, die in den Falten der Geschichten, in dem, was sie verbergen, eine Wahrheit finden. Flüchtig und spröde, leuchtend und skeptisch, verschattet und schön – ›Er und sein Mann‹, eine als Nobelpreisrede geschriebene Erzählung des zurückgekehrten Robinson Crusoe beschließt diesen Band.
Heimgekehrte Schiffbrüchige – vielleicht ist das eine der vielen Signaturen von Coetzees rätselhaftem Werk.
Erschienen bei FISCHER E-Books
Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel ›Three Stories‹ bei The Text Publishing Company, Melbourne.
›A House in Spain‹ © J. M. Coetzee 2000
›Nietverloren‹ © J. M. Coetzee 2002
›He and His Man‹ © The Nobel Foundation 2003
Für diese Ausgabe © J. M. Coetzee 2014
By arrangement with Peter Lampack Agency, Inc.,
350 Fifth Avenue, Suite 5300,
New York, NY 10118, USA
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2017 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: hißmann, heilmann, hamburg
Coverabbildung: Nachlass Karl Bohrmann, Courtesy Galerie Fred Jahn
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-490192-3
Mit zunehmendem Alter wird er, wie er feststellen muss, immer unduldsamer, was die Sprache betrifft, ihren schludrigen Gebrauch, das sinkende Niveau. Zum Beispiel: sich verlieben. »Wir haben uns in das Haus verliebt«, sagen Freunde. Wie kann man sich in ein Haus verlieben, wenn das Haus die Liebe nicht erwidern kann?, möchte er entgegnen. Wenn man anfängt, sich in Dinge zu verlieben, was bleibt dann übrig von der wahren Liebe, der Liebe, wie sie einmal war? Aber keinen scheint das zu kümmern. Die Leute verlieben sich in Gobelins, in Oldtimer.
Gern würde er diesen Neologismus, diesen Modeausdruck, leichthin abtun, aber er kann es nicht. Wenn sich nun darin etwas offenbart, ein Wandel im Fühlen der Menschen? Wenn nun die Seele, von der er geglaubt hatte, sie sei ihrer Substanz nach zeitlos, schließlich doch nicht zeitlos ist, sondern allmählich leichter wird, weniger ernsthaft, sich den Zeiten anpasst? Wenn es nun für die Seele gar nicht mehr seltsam ist, sich in Dinge zu verlieben – vielmehr ein Kinderspiel? Wenn nun die Menschen um ihn mit Hilfe ihrer neuen, modernisierten Seelen Immobilien gegenüber wirklich das Herzweh empfinden, das er mit dem Sichverlieben verbindet? Wenn darüber hinaus seine Krittelei nicht das bedeutet, was er sich selbst einredet – eine altmodische Pedanterie in sprachlichen Dingen –, sondern im Gegenteil (er fasst den Gedanken fest ins Auge) Neid, den Neid eines Mannes, der zu alt, zu unbeweglich geworden ist, um sich noch einmal zu verlieben?
Die Geschichte seiner eigenen Beziehungen zu Immobilien ist schnell erzählt. Im Laufe seines Lebens hat er nacheinander zwei Häuser und eine Wohnung besessen, dazu eine Zeitlang nebenher noch ein kleines Haus am Meer. Bei der ganzen Geschichte fällt ihm beim besten Willen nichts ein, was er mit dem Namen Liebe auszeichnen würde. Er kann sich überhaupt kaum an Gefühle seinerseits erinnern, weder bei der Inbesitznahme noch beim Auszug. Wenn er sich einmal von einem Haus getrennt hat, interessierte ihn dessen weiteres Schicksal nicht. Mehr noch: er wollte es nie wiedersehen. Sein Verhältnis zu Eigentum ist von Anfang bis Ende zweckorientiert. Nichts, was der Liebe, nichts, was einer Ehe gliche.
Er denkt über die Frauen in seinem Leben nach, besonders über seine beiden Ehen. Was trägt er noch mit sich, in sich, von diesen Frauen, diesen Ehefrauen? Hauptsächlich ein Wirrwarr von Empfindungen: Bedauern und Schmerz, zerrissen von einem wetterleuchtenden Gefühl, das schwerer zu benennen ist, das vielleicht etwas mit Scham zu tun hat, aber genauso gut etwas mit noch nicht erloschenem Verlangen zu tun haben kann.
Fragen von Liebe und Eigentum beschäftigen ihn stark, und das hat seinen Grund. Vor einem Jahr hat er ein Haus im Ausland gekauft: in Spanien, in Katalonien, auf einem anderen Kontinent. Immobilien sind in Spanien nicht teuer, nicht in einiger Entfernung von der Küste, in Spaniens verfallenden Dörfern. Zu Tausenden haben dort Ausländer, meist Europäer, aber auch Bürger anderer Weltgegenden, Häuser einer gewissen Art, pieds-à-terre, erworben. Und er gehört jetzt dazu.