Martin Thull
Luther für Einsteiger
Die Reformation in 95 Stichworten
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Titelfoto: DDRockstar / fotolia
© 2016 by Bonifatius GmbH Druck · Buch · Verlag
Paderborn
ISBN 978-3-89710-693-2
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Ja, es gibt nur wenige Persönlichkeiten in der deutschen Geschichte, die diese ähnlich wie Martin Luther geprägt haben. Ob als Theologe oder Politiker, als Musiker oder Sprachschöpfer – seine Spuren sind nachhaltiger, als mancher glaubt. Es ist also kein Wunder, dass das Publikum ihn an die zweite Stelle wählte, als das ZDF im Jahr 2003 bei seiner Sendung fragte: „Unsere Besten – Wer ist der größte Deutsche?“ Da kam der Reformator mit 1,5 Millionen Stimmen auf den zweiten Platz hinter Konrad Adenauer und vor Karl Marx. Und eine Playmobilfigur, die Martin Luther mit Bibel und Federkiel darstellt, wurde 2014/2015 über 400 000 Mal verkauft. Albrecht Dürer brachte es zuvor nur auf 80 000 Exemplare.
Es ist ein pralles Leben: Aufgewachsen in einer Familie, die man als Aufsteiger bezeichnen könnte. Gute Schulbildung, Jurastudium, dann der Bruch und der Wechsel zur Theologie. Er wird Professor, verharrt mit seinen Studien nicht in der Theorie, sondern wendet sie auf die real existierende Kirche an, die von Rom gelenkt wird. Er will etwas verändern, aber durchkreuzt damit die Politik. Da er einen Widerruf seiner Ansichten verweigert, wird er gebannt von Kaiser und Papst. Unterstützung von mächtigen Freunden und Auseinandersetzungen mit erbitterten Gegnern. Und er verliert dennoch nicht an Einfluss, sondern gewinnt immer zahlreichere Anhänger, auch in der Politik. Er wollte eine Reform der Kirche; als deren Leitung sich der Diskussion verweigert, kommt es zur Spaltung.
Aus heutiger Sicht ist es wichtig, beides zu sehen: das Faszinierende dieses Menschen, den es in all seiner Getriebenheit und Unbedingtheit offenbar brauchte, weil es in der Geschichte manchmal doch handelnde Personen braucht, nicht nur Strukturen, die sich ändern. Dann seine Begeisterungsfähigkeit, seine Sprachmacht – und wieder das Abgründige, Hasserfüllte. So hat es Margot Käßmann, die „Lutherbeauftragte der EKD“, in einem Interview zusammengefasst.
Luther stand am Wendepunkt zwischen Mittelalter und Neuzeit, vielleicht war er sogar der Wendepunkt selbst. Er war in Wort und Tat weiter als die, mit denen er sich auseinandersetzte. Wären seine Widersacher in Rom ähnlich weitsichtig gewesen – und einsichtsfähig –, dann hätte die Kirchenspaltung vermieden werden können. Denn das Faszinierende der damaligen Auseinandersetzung ist ja, dass sie sich zunächst im akademischen Raum abspielte, dass sie auf einen Dialog setzte, im Gespräch sollten Lösungen gefunden werden. Aber wenn zwei Welten aufeinanderstoßen, dann helfen manchmal gute Argumente nicht weiter, erst recht, wenn jeder absolut von „seiner“ Wahrheit überzeugt ist.
Heute sehen beide Seiten Martin Luther deutlich entspannter und reflektierter. Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland distanzierte sich im Herbst 2015 von den unsäglichen Äußerungen Luthers zu den Juden und erklärte: „Luthers Sicht des Judentums und seine Schmähungen gegen Juden stehen nach unserem heutigen Verständnis im Widerspruch zum Glauben an den einen Gott, der sich in dem Juden Jesus offenbart hat. Sein Urteil über Israel entspricht demnach nicht den biblischen Aussagen zu Gottes Bundestreue gegenüber seinem Volk und zur bleibenden Erwählung Israels.“
Auch auf katholischer Seite sind die Zeiten, in denen Luther als Zerstörer des Christentums galt, vorbei. Heute spricht man von Luther als „wahrhaft katholischem Denker“, als „katholischem Reformator“. Im Bistum Magdeburg, der Heimatregion Luthers, hat die Katholische Erwachsenenbildung im Land Sachsen-Anhalt das Projekt „2017: Neu hinsehen! Ein katholischer Blick auf Luther“ gestartet. Das Jubiläum „500 Jahre Thesenanschlag“ bringt also auch auf katholischer Seite Bewegung in die Sache. Übrigens hat schon 1983 anlässlich des 500. Geburtstages Martin Luthers die Gemeinsame Römisch-katholische/Evangelisch-lutherische Kommission ein Wort veröffentlicht, das den Titel trägt: „Martin Luther – Zeuge Jesu Christi“, in dem sie ihn „gemeinsam als Zeugen des Evangeliums, Lehrer im Glauben und Rufer zur geistlichen Erneuerung“ würdigt.
Dass seine Jünger eins seien, darum hat schon Jesus selbst gebetet. Die Trennung der Kirchen ist ein altes Problem – und ein aktuelles. Denn es betrifft bis heute viele Menschen sehr persönlich.
Die vorliegenden 95 Stichworte sind keine erschöpfende Auseinandersetzung mit Martin Luther und seinem Leben und Wirken. Sie bilden ohne wissenschaftlichen Anspruch die Ansammlung von Puzzleteilen, die versuchen, zusammen ein Bild jener Zeit und der damals handelnden Personen zu zeichnen.
Erinnerungen auffrischen und Anstöße zum Nachdenken liefern. Das war die Absicht. Wenn dies erreicht wird, dann hat sich meine Arbeit gelohnt.
Martin Thull
im Januar 2016
„Viele Bücher machen nicht gelehrt,
viel lesen auch nicht,
sondern gute Dinge und oft lesen,
wie wenig es auch ist,
das macht gelehrt in der Schrift
und fromm dazu.“
Marin Luther
Aus: An den christlichen Adel
deutscher Nation, 1520
Schon die Reformatoren stritten um das richtige Verständnis des Abendmahls, das heißt des Gottesdienstes, in dem die Kirche das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern am Abend vor seinem Tod feiert. Und bis heute ist das unterschiedliche Verständnis ein Streitpunkt zwischen katholischer Kirche und den Protestanten. Allerdings ist zu vermuten, dass auch hier die Praxis über manche theologische Differenz hinweggeht. Katholische und lutherische Lehre ist es, dass in der Feier der Eucharistie beziehungsweise des Abendmahls Jesus Christus in Brot und Wein wirklich gegenwärtig ist und sich den Gläubigen schenkt. Beide lehren also eine → Realpräsenz Christi im Abendmahl. Im evangelischen Abendmahl wird dabei das Sakrament immer in beiderlei Gestalten gereicht, das heißt: Die Gläubigen empfangen Brot und Wein. Trotz vieler Übereinstimmungen in Lehre und Praxis des Abendmahls feiern die christlichen Kirchen es (noch) nicht gemeinsam. Strittig ist vor allem die Frage danach, ob für die Feier ein ordinierter beziehungsweise geweihter Amtsträger benötigt wird oder nicht. Zur Praxis evangelischer Landeskirchen, alle Getauften dazu einzuladen, gibt es in der römisch-katholische Kirche sowie in den orthodoxen Kirchen keine Entsprechung, allerdings kennt die römisch-katholischen Kirche eine Zulassung zur Eucharistie in bestimmten Einzelfällen. Die unterschiedlichen Auffassungen des Abendmahls und der Eucharistie verhindern offiziell die Teilnahme von Katholiken und Protestanten am gemeinsamen Abendmahl.
Teil eines „Tarifsystems“, das die → Beichtpraxis der Christenheit lange Zeit beherrschte. Innerhalb dieses Tarifs gab es lässliche, schwere und Todsünden. Eine Sünde trennt nicht nur von Gott und muss in der Beichte vergeben werden, sondern zusätzlich hatte sie nach damaliger Vorstellung auch eine Strafe zur Folge, die im Leben durch Buße oder nach dem Tod im Fegefeuer abgeleistet werden musste und die eben unter bestimmten Umständen „erlassen“ werden konnte. Das Ablasssystem des ausgehenden Mittelalters nutzte den Glauben der Menschen an die Wirksamkeit dieser Lehre. Man kann es sich etwa so vorstellen, dass der Autofahrer eine Sondergebühr an den ADAC abführt und danach Punkte in der sogenannten Verkehrssünderdatei in Flensburg gestrichen werden. Die Weste des Verkehrsteilnehmers ist wieder weiß. So funktioniert auch der Ablass zu → Luthers Zeiten: Wer einen bestimmten Betrag „spendet“, der kauft sich – oder bereits Verstorbene – von diesen Sündenstrafen frei und kann dem → Fegefeuer entgehen. Die Sünde muss aber zuvor in der Beichte vergeben worden sein, und der Beichtende muss seine Schuld bereut haben. Für Papst → Leo X. war dies eine Win-win-Situation: Er disziplinierte seine Gläubigen und erhielt nicht unerhebliche Summen für den Bau seines → Petersdoms (→ Peterspfennig). Dieser offenkundige Missbrauch des Ablasses als ein Geschäft – „Vergebung gegen Geld“ – rief Martin Luther auf den Plan. In der Zahlung von Geld sah er einen trügerischen Ersatz für tatsächliche Buße und letztlich auch mangelndes Gottvertrauen. In seinen 95 → Thesen kritisierte er den Ablasshandel scharf. Er vertrat die Auffassung, dass das ganze Leben eines Christen Buße sei und der Christ, der im Glauben wahrhaft Reue empfinde, völlige Vergebung von Schuld und Strafe empfange – auch ohne Ablassbriefe. Bis heute kann der gläubige Katholik einen Ablass erwirken; allerdings nicht gegen Geld, sondern etwa am Ende einer → Wallfahrt. Dessen ungeachtet bleibt für evangelische Christinnen und Christen der Ablassgedanke schwer nachvollziehbar.