Handbuch der Doppellongenarbeit
Handbuch der
Doppellongenarbeit
Dressurausbildung an der
Longe und Doppellonge
von Horst Becker
Haftungsausschluss:
Der Autor, der Verlag und alle anderen an diesem Buch direkt oder indirekt beteiligten Personen lehnen für Unfälle oder Schäden jeder Art, die aus in diesem Buch dargestellten Übungen entstehen können, jegliche Haftung ab.
In diesem Buch sind einige Reiter abgebildet, die ohne splittersicheren Kopfschutz reiten. Dies ist nicht zur Nachahmung zu empfehlen! Achten Sie immer auf die entsprechende Sicherheitsausrüstung für sich selbst: feste Schuhe und Handschuhe bei der Bodenarbeit sowie Reithelm, Reitstiefel/-schuhe, Reithandschuhe und gegebenenfalls Sicherheitsweste beim Reiten.
Copyright © 2014 by Cadmos Verlag, Schwarzenbek
Gestaltung: Ravenstein + Partner, Verden
Satz: Pinkhouse Design GmbH, Wien
Konvertierung: S4Carlisle Publishing Services
Coverfoto: Maike Eilbacher
Fotos im Innenteil: Leonie Bühlmann, Maike Eilbacher, Jürgen Stroscher und Horst Becker
Zeichnungen: Esther von Hacht
Lektorat der Originalausgabe: Stéphanie Kniest
Alle Rechte vorbehalten.
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Genehmigung durch den Verlag.
Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.ddb.de abrufbar.
eISBN 978-3-8404-6175-0
Inhalt
Vorwort
1. Wichtige Voraussetzungen
Nicht ohne Konzept
Sinnvoller Arbeitsaufbau
Die Arbeit abwechslungsreich gestalten
Auch Konzentration und Motivation müssen trainiert werden
Vom richtigen Zeitpunkt
Gymnastizierung oder Bodybuilding fürs Pferd
Anatomie und Biomechanik
Schwachstelle Bauchmuskulatur
Lösen und Muskelaufbau
Der Pferdekörper als Hebebrücke
Dehnungs- und Lösearbeit
Probleme kommen immer wieder vor
2. Vorbereitung für die Doppellonge I Das junge Pferd an der Longe
Richtiges Longieren will gelernt sein
Grundsätzliches zur Arbeit mit der einfachen Longe
Der Arbeitsplatz
Die Ausrüstung
Trockenübungen für den besseren Umgang mit der Peitsche
Die Stimmhilfe
Lob und Tadel
Sanfter Einstieg
Die Grundgangarten
Der Schritt
Der Trab
Der Galopp
Grundpositionen der Körpersprache an der Longe
Die Dominanzbereiche
Das Anhalten
Erste Übungen und Lektionen
Die Volte
Der Handwechsel
Das Rückwärtsrichten
Seitwärtstreten
Longenarbeit über Cavaletti
Longenarbeit für das Reitpferd
Der Einsatz von Hilfszügeln
Der Ausbinder
Der Dreieckszügel
Der Gymnastikzügel
3. Vorbereitung für die Doppellonge II Handarbeit
Schulterherein und Renvers
Das Schulterherein
Das Renvers
Travers
Vorübungen für die Pirouetten
Turnübungen für das Piaffetraining
4. Die Arbeit an der Doppellonge
Die richtige Ausrüstung und Wichtiges vorweg
Die Zäumung
Die Longe
Die V-Verschnallung
Die Leinenführung
Erste Schritte
Trockenübungen für noch unerfahrene Doppellongenführer
Die ersten Arbeitseinheiten
Der Handwechsel
Übergänge und Tempowechsel
Mögliche Probleme und Lösungen
Biegen und Geraderichten
Dehnen an der Doppellonge
5. Doppellongenarbeit für Fortgeschrittene
Grundgangarten und Übergänge
Übergänge zwischen Schritt und Trab
Übergänge zwischen Trab und Galopp
Übergänge zwischen Galopp und Schritt
Das Rückwärtsrichten
Hufschlagfiguren erarbeiten
Die Volte
Die direkte Verschnallung
Aus dem Zirkel wechseln
Aus der Ecke kehrt
In die Ecke kehrt
Durch den Zirkel wechseln
Cavaletti und „In-Outs“
Springen an der Doppellonge
Springen eines Einzelhindernisses
Springen von Kombinationen
Verstärkungen erarbeiten
Seitengänge an der Doppellonge
Vorübungen
Biegen durch Touchieren
Schulterherein
Travers
Traversale
6. Die hohe Schule der Doppellonge
Die Doppellonge mit Umlenkrollen verschnallen
Angaloppieren in „Langer-Zügel-Position“
Galoppwechsel aus der Traversale entwickeln
Die Pirouette an der Doppellonge
Die Passade
Piaffe und Passage
7. Die Rückenschule an der Longe und unterm Sattel
Die Rücken- und Bauchmuskulatur
Die Rückenschule am Boden
Die Schrittarbeit
Die Trabarbeit
Die Galopparbeit
Von der Bodenarbeit zum Reiten
Die hohe Hand
Der Weg zur lockeren Geschlossenheit des Körpers
Danke schön …
Leonie Bühlmann und Horst Becker mit dem Lusitano-Hengst Ébano von dem Gestüt La Perla. (Foto: Maike Eilbacher)
...möchte ich all denen sagen die mir geholfen haben, dass dieses Buch entstehen konnte.
Postum meinen beiden Lehrmeistern und Vorbildern Fredy Knie senior, schweizer Nationalzirkus Knie und dem ehemaligen Leiter der Wiener Hofreitschule, Prof. Kurt Albrecht, die leider nicht mehr unter uns weilen. Beide haben mich mit ihrem Wissen und Können unterstützt und mich sehr beeinflusst den richtigen Weg zu finden, für die Pferde und die klassische Reiterei.
Ein großes Dankeschön an meine Lebensgefährtin Leonie Bühlmann, einerseits für die tolle Fotografie und die kritische Unterstützung beim Überarbeiten dieses Buches und andererseits für ihre fleißige Arbeit, die Pferde in meiner Abwesenheit weiter zu trainieren.
Das Lusitano-Gestüt Yeguada La Perla in Segovia/ES und sein Besitzer Alberto Herranz Aparicio verdienen meinen Dank für die tolle Zusammenarbeit und die wunderbaren Pferde, die wir für die Fotografie trainieren und nutzen durften.
Quiero darles las gracias a la Yeguada la Perla en Segovia (España) y su dueño Alberto Herranz Aparicio por habernos dejado sus preciosos caballos lusitanos para entrenarlos y hacer las fotos con ellos.
Aber mein größter Dank gehört Ihnen, meine lieben Leser, die nach diesem Buch seit 2003 so oft gefragt haben, dass es in der vierten Auflage überarbeitet und neu fotografiert erscheinen kann.
DANKE für Ihr Interesse an diesem spannenden Thema. Viel Spaß beim Lesen und Arbeiten mit Ihren Pferden wünscht Ihnen Ihr
Horst Becker.
Vorwort
(Foto: Jürgen Stroscher)
Entwickelt wurde die Doppellongenarbeit in den Reitschulen des Barock. Federigo Mazzuchellis (1760-1830) erwähnt sie in seinem Werk „Elementi di Cavalerizza“ erstmals als Werkzeug bei der Reitpferdeausbildung. Er suchte nach einer flexibleren Möglichkeit Pferde zu schulen als der damals üblichen Ausbildung zwischen den Pilaren. Anders als die starren Pfosten, zwischen denen das Pferd ausgebunden wurde, erhalten die „langen Leinen“ den Vorwärtsdrang und erlauben eine sanfte und dosierte Einflussnahme des Ausbilders in allen Gangarten. Mazzuchellis zäumte das Pferd mit Kandare und Unterlegtrense, zwei langen Leinen – also mit vier Zügeln – sowie einem Arbeitsgurt mit einer doppelten Leinenbrille.
Heute sieht man solch ausgefeilte Vorführungen nur noch selten. Selbst in den Traditionsreitschulen wie in der Spanischen Schule zu Wien oder der königlichen Reitschule in Jerez werden die Pferde heute meist erst am Ende der Ausbildung, sozusagen als Krönung, am langen Zügel gezeigt.
Weiterentwickelt wurde die Arbeit Mazzuchellis im Cadre Noir in Saumur (Frankreich) und durch Philippe Karl bekannt gemacht. Diese Art der Ausbildung steht heute als Vorbild für moderne Doppellongenarbeit.
In Deutschland kannte man lange Zeit nur die in der Ausbildung des Fahrpferdes verwendete Arbeit mit den Leinen zur Gewöhnung und Führung des Pferdes als Doppellongenarbeit. Im Repertoire moderner Dressurausbilder und -reiter fehlt die Doppellongenarbeit jedoch meist. Das liegt zum einen daran, dass der normale Reitschulbetrieb kaum genügend Freiraum für ungestörte Bodenarbeit bietet, und zum anderen daran, dass kaum qualifizierte Ausbilder für die Doppellonge zur Verfügung stehen.
Erfreulicherweise findet die Doppellongenarbeit in den letzten Jahren immer mehr Anhänger. Dieses Buch soll einen Beitrag dazu leisten, das überlieferte Wissen um diese Arbeit zu erhalten und sinnvoll in die moderne Arbeit mit dem Pferd einzufügen, ergänzt durch meine langjährige Erfahrung mit der Doppellonge bei der Ausbildung von Dressurpferden.
Die Arbeit mit der Doppellonge ist keine losgelöste Disziplin, sondern immer als Teil der Gesamtausbildung eines Pferdes zu verstehen, und als ein sehr anspruchsvoller dazu. Von allen Möglichkeiten der Bodenarbeit simuliert sie das Reiten am besten und wird daher auch als „Reiten vom Boden aus“ bezeichnet.
So erlaubt die Arbeit mit der Doppellonge größtmögliche Gymnastizierung und Stärkung der Muskulatur des Pferdes vor dem Anreiten. So vorbereitet sind die jungen Pferde deutlich belastbarer und können sich länger und besser auf den Reiter konzentrieren. Oft machen sie schon in den ersten Stunden unter dem Sattel den Eindruck eines verhältnismäßig abgeklärten Reitpferdes.
Die Doppellongenarbeit verbessert Anlehnung, Takt, Raumgriff und Biegung sowie Kondition und Muskelaufbau, wobei der Pferderücken unbelastet bleibt vom Reitergewicht. Dabei erlaubt sie eine flexiblere und abwechslungsreichere Arbeit als einfaches Longieren und macht das Pferd mit Hilfen vertraut, die von hinten kommen. Die Zügelhilfen entsprechen fast den späteren Reiterhilfen. Die durch Anlegen der Peitsche und Touchieren erzeugten Einwirkungen bereiten das Pferd sinnvoll auf spätere Schenkelhilfen vor. Durch die bessere und in der Anlehnung flexiblere Führung des Pferdes im Vergleich zur einfachen Longe wird auch das Heranführen an Cavaletti und erste Sprünge effektiver.
In der weiteren Ausbildung des Pferdes hilft die Doppellongenarbeit, Lektionen und Übungen wie beispielsweise Seitengänge, Pirouetten, Piaffe und Passage zu erarbeiten. Für das dressurmäßig fortgeschrittene Pferd und den entsprechend erfahrenen Ausbilder liefert sie die Basis für den langen Zügel.
Von demjenigen, der die Doppellongenarbeit ausübt, verlangt sie einiges an Geschick, Körpergefühl und -beherrschung sowie Kondition. Mit ein wenig Übung wird sie jedoch zu einer Bereicherung der Pferdeausbildung und bringt Abwechslung in die tägliche Arbeit. Wie beim Reiten sollte auch hier der Grundsatz gelten, dass nur der erfahrene Ausbilder das junge Pferd anlernt, während der Doppellongenanfänger möglichst mit einem zumindest unter dem Reiter erfahrenen Pferd beginnt. Wichtig ist für beide die richtige Vorbereitung. Deshalb sollten Sie den ersten Kapiteln des Buchs auch dann Beachtung schenken, wenn Sie eigentlich am liebsten gleich mit der Doppellonge starten möchten, denn wie überall im Leben bestimmt die Basis den Erfolg des Ganzen. Die Zeit, die Sie für die Arbeit mit der Longe und Doppellonge investieren, bekommen Sie später tausendfach zurück.
Verstehen Sie dieses Buch jedoch nicht als „Rezeptheft“, dessen alleiniges Studium ausreichen würde, um die Arbeit mit der Doppellonge zu erlernen. Vielmehr soll es die durch einen kompetenten Ausbilder geführte Arbeit begleiten und Ihnen sowohl das gesamte Spektrum dessen, was möglich ist, aufzeigen als auch mögliche Fehlerquellen. Nicht zuletzt soll es auch dazu beitragen, dass Sie bei der Auswahl eines geeigneten Ausbilders die Spreu vom Weizen trennen, sprich Kompetenz erkennen können.
Ein kraftvoller, gut balancierter Galopp ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für harmonisches Reiten. (Foto: Horst Becker)
1. Wichtige Voraussetzungen
(Foto: Leonie Bühlmann)
Nicht ohne Konzept
Egal wie das Ziel Ihrer Pferdeausbildung aussieht, ob verlässliches Freizeitpferd, Fahr-, Dressur-, Spring- oder Westernpferd – Sie brauchen ein Konzept, um dabei Erfolg zu haben. Der korrekte Aufbau der Arbeit ist genauso wichtig wie eine korrekte Hilfengebung. Grundkenntnisse der Verhaltenslehre, Psychologie und der Bewegungslehre sind ebenso notwendig wie Ausdauer, Geduld und Einfühlungsvermögen. Ganz wichtig: Das Lern- und Arbeitstempo muss stets auf das jeweilige Pferd zugeschnitten sein, wobei Sie auch sein Alter und seine körperliche und geistige Entwicklung berücksichtigen sollten. Beherzigen Sie den Grundsatz „Das Pferd bestimmt die Dauer der Ausbildung“ und versuchen Sie nichts vorschnell zu erzwingen. Denn auch wenn Sie jeden Tag nur wenige Millimeter vorankommen, erreichen Sie damit auf Dauer eine größere Strecke, als wenn Sie mal einen großen Schritt vor, aber oft auch mehrere zurück machen.
Oder, wie Fredy Knie zu sagen pflegte: „Jeden Tag einen Millimeter gibt in einer Woche einen Meter“.
Auch bei Gangpferden kann die Doppellonge eine sinnvolle Ergänzung der Ausbildung sein. (Foto: Jürgen Stroscher)
Sinnvoller Arbeitsaufbau
Der korrekte Aufbau der Arbeit mit dem Pferd ist entscheidend für den Erfolg der Ausbildung. Das gilt im Großen, also in Bezug auf das Gesamtkonzept, ebenso wie im Kleinen, beim Aufbau jeder einzelnen Arbeitseinheit. Stets wird zuerst das Einfache erarbeitet, dann erst kommt das Schwere. Beispiel: Nur Lektionen, die im Schritt hundertprozentig sitzen, können im Trab und schließlich im Galopp verlangt werden. Oder: Ein Pferd, mit dem man an der Doppellonge beginnen will, sollte an der einfachen Longe sicher in allen Gangarten gehen und den Hilfengebungen des Longenführers willig und vertrauensvoll folgen. Generell gilt: Zuerst lösen, dann – wenn das Pferd gelöst, aber noch frisch ist – Neues erarbeiten. Zum Ende einer Einheit wird der Bestand gefestigt; der Abschluss ist immer entspanntes Schrittgehen.
Die Arbeit abwechslungsreich gestalten
Damit das Pferd die Freude an der Mitarbeit und die Motivation, sich mit neuen Aufgaben zu beschäftigen, behält, müssen wir Abwechslung in den Arbeitsalltag bringen. Hier kann die Arbeit mit der einfachen und der Doppellonge das Repertoire erweitern – ganz gleich, in welcher Disziplin das Pferd ansonsten gearbeitet wird. Behalten Sie jedoch stets Ihr Ziel im Auge und vermeiden Sie es, das Pferd mit mehreren verschiedenen Reitstilen oder unterschiedlichen Aufgabenstellungen auf einmal zu überfallen. Das hat dann nichts mit Abwechslung zu tun, sondern endet in schlichter Überforderung.
Merksatz: Die Kunst des Ausbildens liegt darin, niemals das Ausbildungsziel aus den Augen zu verlieren, die Verpackung der Arbeit aber abwechslungsreich zu gestalten.
Auch Konzentration und Motivation müssen trainiert werden
Als Fluchttier ist das Pferd von Natur aus auf schnelle, kurze und hoch konzentrierte Reaktionen ausgerichtet. Längere Zeit aufmerksam bei der Sache zu sein und sich auf Dauer zu konzentrieren müssen Pferde erst lernen. Und auch nach ausführlichem Training bleibt diese Fähigkeit begrenzt: So ist selbst ein erfahrenes Dressurpferd kaum länger als eine halbe Stunde zu höchster Konzentration fähig. Beim jungen Pferd kann man kaum mehr als 15 Minuten erwarten, am Anfang eher noch weniger. Jeder kennt das von sich selbst: Wenn man sich nicht mehr konzentrieren kann, wird das Ergebnis einer Arbeit schlechter, und man sollte eine Pause einlegen. Nicht anders ist es beim Pferd. So sind zwei kürzere Arbeitssequenzen pro Tag immer effektiver als eine lange. Beobachten Sie Ihr Pferd genau und stimmen Sie das tägliche Pensum auf seine individuelle Konzentrationsfähigkeit ab. Die Fähigkeit zur Konzentration kann bei gleichaltrigen Pferden durchaus zwischen zehn und 30 Minuten schwanken.
Gemeinsame gleichmäßige Bewegung gut verteilt im Raum fördert die Konzentration und entspannt. (Foto: Leonie Bühlmann)
Dieses erst dreijährige Pferd muss vor dem Anreiten eine längere Muskelaufbauarbeit an der Longe erfahren. (Foto: Leonie Bühlmann)
Vom richtigen Zeitpunkt
Wann Sie mit der Ausbildung eines Pferdes beginnen, ist abhängig von seiner körperlichen und geistigen Entwicklung. Dabei spielt die Rasse eine Rolle (so sind viele Ponyrassen und Isländer eher spätreif, Pferde mit viel Vollblutanteil eher frühreif), aber auch die Frage, ob Sie der Bodenarbeit viel Zeit widmen oder das Pferd relativ bald unter den Sattel nehmen wollen. Im Allgemeinen wird etwa im Alter von drei Jahren mit der regelmäßigen Arbeit an der Longe – und später an der Doppellonge – begonnen. Das Pferd sollte dabei so gearbeitet werden, dass es seinen Halsansatz nach vorne und nach unten dehnt. So kann man es optimal auf das Reitergewicht vorbereiten, um es langfristig zu einem guten Reitpferd ausbilden zu können, das Spaß an der Arbeit hat und viele Jahre lang fit bleiben soll.
Optimal ist es, wenn man dieser Grundausbildung ausreichend Zeit einräumt und das Pferd erst mit vier bis viereinhalb Jahren eingeritten wird. Bis dahin hat das junge Pferd eine stabile Bauch- und Rückenmuskulatur aufgebaut, Sehnen, Bänder und Knochen haben an Festigkeit gewonnen. Zwischen Pferd und Ausbilder ist durch die lange Zusammenarbeit ein stabiles Vertrauensverhältnis gewachsen, so dass das Anreiten meist völlig unproblematisch verläuft. Ich selbst reite ein junges Pferd erst an, wenn es an der Doppellonge bis zum Schulterherein im Trab gefördert ist. Dann ist es ausreichend gymnastiziert, hat eine genügend kräftige Rückenmuskulatur entwickelt, gelernt sich zu biegen und durch die Leinen an seinem Körper bereits ein Verständnis für Zügel- und Schenkelhilfen entwickelt.
Gymnastizierung oder Bodybuilding fürs Pferd
Ein Pferd ist von Natur aus nicht dazu geschaffen, zusätzlich zu seinem eigenen Gewicht auch noch das des Reiters zu tragen. Schließlich ist seine Wirbelsäule keine feste Stange, sondern besteht aus beweglichen Elementen, den Wirbeln, die auf die Stützwirkung der Muskulatur angewiesen sind, um auch größere Lasten auf Dauer ohne Schaden tragen zu können. Diese Muskulatur muss genügend trainiert sein, bevor wir den Pferderücken mit dem zusätzlichen Reitergewicht belasten.
Korrekter Muskelaufbau vor dem Anreiten
Verspannungen in der Muskulatur, fehlende Balance und auch Blockaden im Skelettbereich entstehen meist durch ungenügendes Krafttraining vor und während des Anreitens.
Dass immer mehr Pferde an Rückenproblemen leiden, ist sicher auch eine Folge davon, dass immer weniger Gewicht auf einen soliden Muskelaufbau durch ausreichend langes und vor allem korrektes Longieren vor dem Anreiten gelegt wird.
So wie Skigymnastik, die rechtzeitig vor dem Skiurlaub begonnen wird, uns davor bewahrt, Muskelkater zu bekommen und nur noch in Schonhaltung Treppen laufen zu können, so bewahrt korrektes und ausreichend langes Longieren das Pferd davor, die Rückenmuskulatur zu überfordern, sich infolgedessen gegen das Reiten zu wehren, weil es Schmerzen empfindet, zum Beispiel durch Buckeln, und später in Schonhaltung – also mit hochgenommenen Kopf, verspannter Rückenmuskulatur und Unterhals – zu arbeiten. Das oft beobachtete Weglaufen unter dem Sattel ist übrigens meist eine Folge dieser falschen Rückenbelastung.
Das Longieren ist die wohl effektivste Art, ein lösendes und kraftaufbauendes Trainingsprogramm mit dem Pferd zu erarbeiten. Um aber beurteilen zu können, wie diese Arbeit zu gestalten ist, welche Art von Longenarbeit also für welches Pferd und welches Ziel sinnvoll ist, muss man die biomechanischen Abläufe im Pferd genauer betrachten und auch verstehen. Ohne zu wissen, wie welche Muskeln zusammenarbeiten und welche Rolle dabei auch die Psyche des Pferdes spielt, ist keine sinnvolle Arbeit möglich.
Anatomie und Biomechanik
Die Wirbelsäule des Pferdes besteht aus sieben Hals-, 18 Brust-, sechs Lenden- und fünf miteinander verschmolzenen Kreuzbein- sowie 18 bis 20 Schweifwirbeln. Ihre Beweglichkeit ist am größten in der Lendengegend, im Brustbereich am geringsten. Auch die Halswirbelsäule ist sehr flexibel. Verantwortlich dafür ist das Nackenband, das sich vom Genick über den Hals zieht und ihn über die Dornfortsätze der Wirbel mit dem gesamten Rücken bis hin zu den Lenden verbindet. Es trägt einen großen Teil des Kopfgewichtes und unterstützt dadurch das Heben und Senken des Kopfes. Vom Nacken bis zum Widerrist ist dieses Band ein dicker Strang, der dann hinter dem Widerrist in das schmale Rückenband übergeht.