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Marion Fugléwicz-Bren

Aus.Zeit

Das Philo.Blog.Buch

Aus der Reihe „Die Philosophen kommen“

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Impressum

© 2016 Marion Fugléwicz-Bren

Umschlag, Illustration: Melanie Reder und Marion Fugléwicz-Bren

Lektorat, Korrektorat: Melanie Reder

ISBN:978-3-7345-6862-6 (Paperback)
978-3-7345-6863-3 (Hardcover)
978-3-7345-6864-0 (e-Book)

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

„Mein Sinn ist tiefer als das witzige Spiel

mit unsrer Furcht, darin er sich gefällt.

Ich bin die Welt, aus der er irrend fiel.“

(Rainer Maria Rilke. Aus dem Gedicht: Der kleine Tod)

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Dank an die Malerin Sabine Haidner für ihr Bild Homo sapiens.

Inhaltsverzeichnis

Ein Plädoyer für die Auszeit

01. August 2016 Die Kunst als Einspruch gegen die Wirklichkeit

23. Juni 2016 Breaking News: Die Philosophen kommen

30. Mai 2016 Nachlese: Nacht der Philosophie – Reflexion in Wort und Kunst

29. April 2016 Der philosophische Mai ist wieder da

26. April 2016 Nacht der Philosophie: Reflexion in Wort und Kunst

19. April 2016 Mit Sprache lügen

17. März 2016 Ist unsere Autonomie am Ende?

17. März 2016 Neu: Edition philosophie Magazin

08. März 2016 Neue Kategorie: Bücher, Empfehlungen

11. Februar 2016 Big Dada – Negation, Collage, Widerstand

01. Februar 2016 Schreibt, tanzt, (er-)lebt die Philosophie. Im Mai

29. Jänner 2016 „Meilensteine der Philosophie“: Die großen Knaller zu Gast bei Robert Pfaller

18. Jänner 2016 Höflichkeit als Methode?

07. Jänner 2016 Was tun?

02. Dezember 2015 Innehalten! Wie „ticken“ wir eigentlich?

09. November 2015 A Day To Remember – was bedeutet Erinnerung?

27. Oktober 2015 Aus.Zeit – mit „Philosophie to go“

19. Oktober 2015 Philosophie bei der Buchmesse – was gibt es Neues?

12. Oktober 2015 In eigener Sache: Philosophische Gastbeiträge

02. Oktober 2015 Werden wir bald zu Supermenschen?

01. Oktober 2015 Philosophische Höhenluft für Hohe Luft

17. September 2015 Die Sehnsucht nach dem guten Leben

02. September 2015 Wir schaffen “Enabling Spaces“. Aber wie?

31. August 2015 Literatur, Philosophie und das „gute Leben“im Alpenhotel

20. August 2015 Tränen in Wissen verwandeln

31. Juli 2015 Die Macht der Zeit – oder das Unwirkliche im Wirklichen

08. Juli 2015 Daring Heights – Was bedeutet Courage?

08. Juli 2015 Wie „relativ“ ist Zukunft?

03. Juli 2015 TEDx: Wagt es zu differenzieren!

22. Juni 2015 Was ist wesentlich? Für wen? Warum?

21. Mai 2015 Nacht der Philosophie – die Philosophen kommen…immer wieder…

19. Mai 2015 Die Lust der Philosophie im Mai…

19. Mai 2015 Der Wiener Kreis – Think Tank der Forschung

27. April 2015 Nacht der Philosophie: Die Philosophen kommen (wieder)

26. April 2015 Braucht der Mensch die Utopie?

22. April 2015 Sieben Tage Hochstimmung – das Kürzel heißt TED

15. Jänner 2015 Machen uns Krisen stärker?

07. Jänner 2015 Das Blatt ist noch leer…

24. Oktober 2014 Liebe zur Weisheit hat viele Gesichter

22. September 2014 Ethicpreneurs ahead! On their way…

03. August 2014 Ethicpreneurs ahead! Der Countdown fürs neue Buch läuft…

13. Juni 2014 Tage der Zukunft: „Philosophen haben das Zeug zum Vorbild“

05. Juni 2014 Was spricht die tiefe Mitternacht?

20. Mai 2014 Uni Wien: Lehrgang für Philosophische Praxis

15. Mai 2014 Ethik und Medien – Medien und Ethik

30. April 2014 Zu jeder Tages- und Nachtzeit: Die Philosophen kommen…

24. März 2014 Die Philosophie des Newsrooms…

06. März 2014 Weiter geht´s…

05. März 2014 The Next Chapter: Auch für Philosophen?

07. Februar 2014 Self Publishing für Autoren

23. Jänner 2014 „Die Philosophen kommen“ ins Fernsehen…

06. Dezember 2013 So many thoughts. So little time

22. November 2013 Die Philosophen kommen… im E-Book-Format

08. November 2013 Nächste Lesung …

02. Oktober 2013 Dinge verändern: Don´t dream it, be it

01. Oktober 2013 Ich. Der Einzelne in seinen Netzen. Impressionen

25. September 2013 Philosophie ist „sexy“

16. September 2013 Silicon Valley goes Klagenfurt: TEDx

11. September 2013 Es geht auch anders

26. August 2013 Powering Up im Kärntner Schloss

17. Juli 2013 Populär, nicht populistisch: Philosophie heute

13. Juni 2013 Unzeitgemäß zeitgeistig… Philosophie forever

04. Juni 2013 Die Philosophen kommen – Lesung bei den „Tagen der Zukunft“

30. April 2013 Ab jetzt im Handel: Die Philosophen kommen

11. April 2013 Der Tod als philosophisches Problem –erfolgreiche Nacht der Philosophie

03. April 2013 Wienpremiere für „Nacht der Philosophie“ im Café

28. Februar 2013 Philosophy Throws the Stones in the Way…

18. Jänner 2013 Leben wir zu schnell? Oder: Die Kunst zu leben

07. Dezember 2012 Philosophie heute

15. November 2012 UNESCO Welttag der Philosophie

22. Oktober 2012 Zweite Welten – Zaubertrank Philosophie

10. Oktober 2012 „Wir brauchen gute Gatekeeper“

08. Oktober 2012 TEDxVienna: Wahnsinn Geschwindigkeit – Segen oder Fluch?

25. September 2012 Woody Allens „Leben rückwärts“

25. September 2012 „Physical Retro“ – Mehrwert zum Angreifen

28. Juni 2012 Hedonismus in Bild, Ton und Wort

11. Juni 2012 „Co-create the Future“ – oder Die Magie des Moments

16. Mai 2012 W. Eilenberger: „Ernsthaftigkeit ist eine teure Tugend”

30. März 2012 Salon WWW – Let´s Mashup

13. März 2012 Wie „funktioniert“ Philosophie?

08. März 2012 Journalismus neu

02. März 2012 „Literacy – die Lesbarkeit der Welt“

09. Jänner 2012 Wie komplex ist die Welt – die Faszination des Modells

März 2009 Das Mashup als ultimative Lebensform

13. Dezember 2011 Keine blinde Wut für alle

30. November 2011 Der unsichtbare Dritte

29. November 2011 Shake your Story – geschüttelt, nicht gerührt

03. November 2011 Was bedeutet es, „gut“ zu sein?

24. Oktober 2011 Techno-sinnlicher Sonntags-Brunch

20. Oktober 2011 Technologie als sinnliches Erlebnis

08. Oktober 2011 Cognitive Science: Wie wir wissen, was wir wissen

03. Oktober 2011 Rinks und lechts, neoliberal, open data oder was?

29. September 2011 Art(ificial) Intelligence and intelligent Art(ist)s at TEDxVienna

19. September 2011 Innovationsmetropole Wien?

02. September 2011 What´s next?

12. Juli 2011 Dominosteine, Schuhbänder und Fontänen

08. Juli 2011 „Die Macht der Sprache ist größer als die Macht der Realität“

20. Mai 2011 Eine bedeutungsvolle Vernetzung: 25 Jahre Computerwelt

01. Mai 2011 Verlegerische Vorzüge vernetzten Wissens

04. April 2011 „Virtuell heißt…“ gehört gehört

15. März 2011 Wann, wenn nicht jetzt: Empört Euch!

18. Februar 2011 „Im Internet droht die Tyrannei der Mehrheit“

07. Februar 2011 Zukunftsmetaphern, Time Machines und neue Technologien

07. Dezember 2010 Fantasy is groovy…

01. Dezember 2010 Die Ambivalenz des Autors oder „Inglorious Basterds“

26. November 2010 Imperfektum als Chance bei TEDxVienna

15. November 2010 Ideas worth spreading…

13. November 2010 Unverbindliche Erinnerungen…

09. November 2010 Philosophisches Kopfkino oder was wäre wenn…

03. November 2010 Jetlag, Furor und andere Rhythmusstörungen

27. September 2010 Gegenbild soziale Plattformen?

24. September 2010 „Moral ist im Wirtschaftssystem nicht relevant“

21. September 2010 Es geht um den Kontext

13. September 2010 Ars Electronica macht´s wieder gut

02. August 2010 Sind wir Muße-fähig?

12. Juli 2010 Medientage: Philosophie braucht mediale Öffentlichkeit

07. Juli 2010 Kommunikation oder die Beschleunigung von Wirklichkeiten

06. Juli 2010 ZukunftsWeb Buch erschienen!

06. Juli 2010 NEUERSCHEINUNG: Das ZukunftsWebBuch 2010

Veranstaltungen

Die Plattform „Die Philosophen kommen“ empfiehlt

Über die Autorin

Ein Plädoyer für die Auszeit

Auszeit. Wer würde sich keine solche wünschen – in unruhigen Zeiten wie diesen. Amokläufe, Bürgerkriege, Terroranschläge, unzählige Menschen auf der Flucht. Soziale Spannungen und Ängste allerorten. „Wir leben in bewegten Zeiten“, konstatiert der Kulturphilosoph Konrad Paul Liessmann etwa in seiner diesjährigen Festrede zu den Salzburger Festspielen.

Unterstützt von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, „ ... die uns all dies hautnah, im Live-Stream erleben lassen. Nahezu reflexartig stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch möglich ist, sich in solchen Zeiten ruhigen Gewissens dem Schönen und der Kunst, der Feier des ästhetischen Augenblicks und dem Genuss eines rauschenden Festes (wie auch der Philosophie, Anm.) hinzugeben. Müsste nicht die Kunst selbst angesichts dieses Weltzustandes wenn nicht verstummen, so doch ihre Stimme in einem politischen Sinne erheben, müsste sie nicht eingreifen, zumindest aufmerksam machen, über sich hinausweisen auf jene unerträglichen Zustände, müsste sie nicht die aufrüttelnde Aktion anstelle der Verehrung des Schönen setzen?“ fragt Liessmann. Wir leben in bewegten Zeiten, meint er, „doch das ist nichts Neues“. Und er erinnert an die Wirren der Napoleonischen Kriege und wie Friedrich Hölderlin sie durch seine Poesie zu bekämpfen suchte und er erzählt, wie Theodor Adorno 1967 im heißen Berliner Sommer von Anarchie und Revolution über Goethe sprach, anstatt über die aktuelle politische Lage. Und er fragt, ob das „Gelingen aus Freiheit“ nicht „ ... eine wunderbare Formel sein könnte, was Kunst im besten Sinne sein kann?“

Aber wann lassen sich Kunst oder Philosophie überhaupt wahrnehmen, geschweige denn genießen im niemals endenden Arbeitsalltag unseres heutigen Lebens? Der vermeintliche Segen der permanenten Erreichbarkeit an jeglichem Ort ist mittlerweile auch schon als äußerst zweifelhafter Luxus entlarvt. Das zunehmende Verschwimmen von Berufs- und Privatleben ist erstens nicht jedermanns Sache und zweitens lässt es eben auch kaum mehr Auszeiten zu.

Einer meiner Professoren begeisterte mich, als ich nach meiner Matura am Philosophischen Institut inskribierte, mit seiner Aussage, man brauche für dieses Fach unbedingte Relaxiertheit, weshalb er mit seinen Seminaren niemals vor 14 Uhr starten würde. Freilich entflammte mich diese Haltung aus mehreren Gründen. Ja, auch aus genau denen, die man einer 18-jährigen Schülerin unterstellt, die immer den Ruf gehabt hatte, faul zu sein. Und leben konnte ich das Gemeinte im Berufsleben freilich nicht. Dennoch glaube ich heute nicht, dass es ein Luxus gewesen war, so zu denken. Ich erinnere mich, dass ich in den 80erJahren beseelt von manch amerikanischem Konzern war, der sich „Think Tanks“, Visionäre und Vordenker aus verschiedenen Fakultäten leistete – ob es Philip Morris war oder Rank Xerox – man wusste dort um die Notwendigkeit des Zurücklehnens und den Blick der anderen Perspektiven, weil nur aus diesen Neues entstehen konnte. Nun die unbestrittene wirtschaftliche Vormachtstellung des Silicon Valley mag auch mit dieser Einstellung zu tun haben.

Alle suchen heute nach Antworten. Nach dem Richtig und Falsch, nach alten und neuen Identitäten, einem neuen Wir, nach dem Warum, nach dem Wie, nach dem, was Sache ist. Aber um Antworten zu finden, muss man erst mal zu sich selbst kommen. Entscheidungen, gute wohlgemerkt, brauchen Zeit. Doch wer hat die schon?

Zeitnot ist Zeitgeist

Zeit zu haben, ist heute zuallererst mal verdächtig. Schließlich muss auch immer mehr und noch mehr hineingepackt werden in unsere Lebenszeit. Sonst haben wir nicht alle Chancen genützt, nicht alle To-do-Listen abgehakt. Um unser Leben letztlich so gelebt zu haben, wie wir es leben wollten. Die Sehnsucht nach Auszeit, nach dem „Aus-der-Zeit-Fallen“ überkommt Menschen in unserer Zeit immer öfter. Je krisengeschüttelter, komplexer und fordernder unsere Umgebung wird, unsere Arbeitswelt und unser persönliches Umfeld, umso mehr sehnt sich der heutige Mensch nach Stille, innerer Einkehr und Entschleunigung.

Und wenn die Langsamkeit zu zäh und die Stille zu laut wird? Viele Menschen ertragen die Stille gar nicht gut.

Die Zeit ist übrigens immer aktuell. Der Philosoph und Autor Rüdiger Safranski etwa hat in seinem neuen Buch „Zeit“ ein neues großartiges Werk geschaffen. Inhaltlich vielschichtig und voller Sprachästhetik, die seinen Büchern und Vorträgen generell zugrunde liegt. Mit zahlreichen Verweisen auf Autoren und Philosophen, die sich dem Phänomen Zeit gewidmet haben. Facettenreich beschreibt er „ ...das Spannungsfeld zwischen Vergehen und Beharren und ermuntert uns, aufmerksam mit diesem wertvollen Gut umzugehen – damit nicht nur die Zeit mit uns etwas macht, sondern auch wir etwas aus ihr machen“, heißt es im Klappentext des Buches.

Safranski hat sein Buch in zehn Kapitel gegliedert: „Zeit der Langeweile“, „Zeit des Anfangens“, „Zeit der Sorge“, „Vergesellschaftete Zeit“, „Bewirtschaftete Zeit“, „Lebenszeit und Weltzeit“, „Weltraumzeit“, „Eigenzeit“, „Spiel mit der Zeit“, „Erfüllte Zeit und Ewigkeit“.

Am Ende wird nichts bleiben, so Safranski über die Weltzeit und zitiert dafür „einen schönen Ausdruck Hegels: Die Furie des Verschwindens“.

Die Zeit gehört niemandem.

Sie vergeht einfach, heißt es in der Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe des Magazins „Hohe Luft“1. Außerdem ist die Zeit knapp – und das sei gut für unser Leben, postuliert der Artikel. Denn ... „... erst durch Deadlines bekommt unser Leben einen Sinn“. Eine Reihe verschiedener Positionen werden aufgezeigt, aus soziologisch-philosophischer wie auch naturwissenschaftlicher Sicht. Und während etwa Anfang des 20. Jahrhunderts der große Physiker Albert Einstein Zeit und Raum in den Formelgebäuden seiner Relativitätstheorie zu fassen suchte, wollte der französische Philosoph Henri Bergson verstehen, wie wir die Zeit erleben.

Raum entsteht durch Simultanität der Dinge, behauptete er: „... Zeit entsteht, wenn Dauer (dureé) hinzukommt. Dauer ist fundamental. Sie entsteht, wenn das Bewusstsein Gleichheit in der Verschiedenheit findet. Dinge, die dauern und sich bewegen. ... Alles Gerede, fand Einstein.“ 2

Ergo, da Menschen nun mal nicht wie Uhren ticken, kommt es zu Konflikten zwischen erlebter und chronologischer Zeit, soweit klar. Eine Zeit, die wir wahrnehmen können, die wir zu kurz oder zu lang wahrnehmen können, entsteht erst, indem wir Dinge gemeinsam tun, indem wir Erwartungen und Erinnerungen teilen... so gelingt, was Physikern nie gelingen wird: Wir zaubern Zeit aus dem Nichts und können so unserer chronischen Zeitknappheit entrinnen. Doch das funktioniert nur, wenn wir unsere erlebte Zeit mit dem Erleben der anderen synchronisieren – in der Liebe, in der Freundschaft, in der Zusammenarbeit.3 So der Tenor des Artikels.

Soweit, so gut. Aber wie steht es nun mit dem höchst eigenen Erleben?

„Auszeit“ bedeutet Innehalten

Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie“, so Hugo von Hofmannsthal.

Und Augustinus meinte dazu: „Was also ist die Zeit? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich's, will ich's aber einem Fragenden erklären, weiß ich's nicht“.

Zeit ist nun mal nicht Zeit – so banal das klingen mag. Denn das Zeitempfinden ist je nach Person und Lebensalter völlig unterschiedlich. Während der Alltag von berufstätigen Menschen mittleren Alters oft routinebedingt als gar nicht oder nicht richtig gelebt empfunden wird, erleben Kinder, die ständig in Bewegung sind, alles neu und ein Tag kommt ihnen oft wie eine Ewigkeit vor. Ob jung oder alt: Erlauben wir uns auch genügend Pausen – wovon auch immer?

Der Begriff „Auszeit“ ist also sprachlich, philosophisch und physikalisch höchst widersprüchlich und dennoch kann sich jeder etwas darunter vorstellen. Vielleicht kann man ihn am ehesten mit dem Begriff des „Innehaltens“ erklären.

Der österreichische Philosoph und emeritierte Hochschullehrer Peter Heintel umreißt in seinem gleichnamigen Buch4 aus dem Jahr 1999(!) den Begriff sehr schön:

„ ... sich im Fluß der Zeit eine „Auszeit“ zu gestatten, am Ort zu bleiben, das Treiben rundherum für einen Augenblick zu verlassen, sein zu lassen; sich also den immer schneller werdenden Bewegungen, den verdichteten, aufgefüllten Abfolgen in der Zeit zu entziehen, sich von ihnen nicht mitreißen zu lassen, sich ihnen entgegenzustellen. Daß alles immer schneller wird, immer konzentrierter aufeinanderfolgt, daß Hektik und Aktionismus unseren Alltag in Arbeit und Freizeit immer mehr durchdringen, hören wir von allen Seiten. Viele leiden unter diesem Zeitstreß, einige aber sagen uns, daß nur die Schnellsten überleben und vorankommen“.

Heintel ist übrigens auch Gründungsmitglied des Vereins zur Verzögerung der Zeit, der rund 600 Mitglieder zählt. Ein Interview mit Mag. Robert Lauritsch zum Thema Innehalten! Wie ticken wir eigentlich? habe ich in meinem Blog veröffentlicht, Sie finden es hier im Buch.

„To be“ statt „to do“

Man hat Sterbende befragt, was sie am meisten bereuen und die Antworten waren alle sehr ähnlich: Wenn man denn mit dem Tod konfrontiert ist, zählen Macht, Geld oder Ruhm nicht mehr. Man fragt sich vielmehr, ob man genügend Zeit mit Familie und Freunden verbracht hat? Ob man nicht zu viel gearbeitet hat, beziehungsweise, ob es nicht klüger gewesen wäre, mehr Zeit für sich selbst gehabt zu haben? Ob man nicht mehr Mut gebraucht hätte, um die Dinge zu tun, die man eigentlich gewollt hätte? Der Wunsch nach weniger Arbeit und mehr Privatsphäre oder mehr Beschäftigung mit Dingen, die einem persönlich wichtig sind, stand jedenfalls ganz oben. Mehr Zeit gehabt zu haben. Oder vielmehr: Diese besser genützt zu haben.

Was hindert uns daran, das zu tun, was wir eigentlich wollen? Wer versucht uns zu manipulieren, zu ängstigen und zu demoralisieren? Fragen zu politischen, wirtschaftlichen und sonstigen Machtstrukturen, auf die man täglich Antworten erhält, wenn man die Augen dafür öffnet.

Der Wiener Philosoph Robert Pfaller ist ein Kritiker der von Askese geprägten Gegenwart. Die Menschen sind derzeit verängstigt genug, um sich zuerst die Frage zu stellen, was sie tun müssen, um nicht zu sterben. Erst danach fragen sie sich, wenn überhaupt noch, was sie vom Leben haben möchten, so Pfaller. „Wir haben mittlerweile ein gestörtes Verhältnis zum Genuss“, meint er. Auch von einer „Maßlosigkeit im Mäßigen“ hat er schon gesprochen - und in seinem Buch „Wofür es sich zu leben lohnt“ (S. Fischer Verlag) vor allem von dem, was wir uns selbst verbieten. Pfaller verteidigt leidenschaftlich in seinen Büchern und Vorträgen das „Grundrecht auf Genuss“. Ich habe ihn oftmals in meinem Blog zitiert und Interviews mit ihm veröffentlicht (siehe Blog und Bücher).

Das Gebot der Kultur bestehe nun darin, uns zu helfen, die Schranken, die wir uns selbst auferlegen, zu überwinden. Die Frage wofür es sich zu leben lohnt, sei ein ethischer Akt und wird noch weitergeführt – man solle sich die Frage regelmäßig stellen. Und: „Wir dürfen uns dabei nicht von der universellen Panik erfassen lassen – ob Panik der Nachhaltigkeit, Kosteneffizienz, Gesundheit, Sicherheit – Paniken umzingeln uns und verwandeln das Leben in eine vorzeitige Leichenstarre”, so Pfaller. (Aus „Die Philosophen kommen“, 2013 von Marion Fugléwicz-Bren)

Ein Spruch, der einer britischen Palliativmedizinerin zugeschrieben wird und der auch als Filmtitel verwendet wurde, veranschaulicht recht treffend, was wir uns hin und wieder bewusst machen sollten: „Nicht dem Leben mehr Tage geben, sondern den Tagen mehr Leben“.

In diesem Sinne: Mehr Aus.Zeit – vielleicht schon mal mit diesem Buch – wünscht sich und Ihnen

Marion Fugléwicz-Bren

Postskriptum: Ich habe darüber nachgedacht und auch diskutiert, ob und wie sich das Medium Blog in einem Buch abbilden lässt, was per se schon eine große Herausforderung darstellt. Etwa weil es nicht so klar auf der Hand liegt, wie das Inhaltsverzeichnis eines Blogs zu ordnen sei? Nach zeitlichen oder inhaltlichen Kriterien? Letztlich entschied ich mich dann doch für die chronologische Variante. Auch die Zeitachse ist eine Form der Struktur. Und damit gibt´s schon wieder ein neues Thema im Kopf… ;-)

Anm.: Sämtliche Personenbezeichnungen in diesem Buch sind geschlechtsneutral gemeint: Sie gelten sowohl für männliche als auch für weibliche Personen

 

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01. August 2016

Die Kunst als Einspruch gegen die Wirklichkeit

„Wir leben in bewegten Zeiten. Doch das ist nichts Neues“.

Redner der Salzburger Festspiele sind traditionell meist große philosophische Kaliber… ich erinnere mich etwa gern an George Steiner oder Rüdiger Safranski.

Heuer war es Konrad Paul Liessmann, der eine flammende Rede hielt – über den Wert und die Notwendigkeit von Kunst in unruhigen Zeiten. „Die Wahrheit ist hässlich: Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zu Grunde gehn“, sagt Friedrich Nietzsche. Was aber heißt das? Liessmann stellt nicht nur Fragen, er gibt auch Antworten.

Und er zitiert unter anderem Friedrich Hölderlin, der in den Wirren der Napoleonischen Kriege eine Ode an die Parzen, ein verzweifeltes Gebet an seine Schicksalsgöttinnen richtete:

Nur Einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!

Und einen Herbst zu reifem Gesange mir,

Daß williger mein Herz, vom süßen

Spiele gesättiget, dann mir sterbe.

Die Seele, der im Leben ihr göttlich Recht

Nicht ward, sie ruht auch drunten im Orkus nicht;

Doch ist mir einst das Heil’ge, das am

Herzen mir liegt, das Gedicht, gelungen,

Willkommen dann, o Stille der Schattenwelt!

Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspiel

Mich nicht hinab geleitet; Einmal

Lebt ich, wie Götter, und mehr bedarfs nicht.

Und mehr bedarfs nicht? Wirklich nicht? Im Netz gibt´s die ganze Rede.

23. Juni 2016

Breaking News: Die Philosophen kommen