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Deutsche Erstausgabe

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, März 2017

Copyright © 2017 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Die amerikanische Originalausgabe erschien am 17. August 2000 unter dem Titel «Five Executions and a Barbecue» in «The Rolling Stone»

Copyright: essay © Denis Johnson 2000 reproduced by permission of The Marsh Agency and Aragi, Inc on behalf of Denis Johnson Inc.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Lektorat Katja Sämann

Umschlaggestaltung Anzinger und Rasp, München

Konvertierung CPI books GmbH, Leck, Germany

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved. Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-00080-3

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-00080-3

Fußnoten

in dem diese Reportage im August 2000 erschien.

Fahren Sie ruhig nach Huntsville, Texas, in die amerikanische Hauptstadt der Todesstrafe, aber richten Sie sich dort besser nicht häuslich ein.

Texas gehört nicht zum Westen, sondern zum Süden der USA, gehört in großem Stil und tiefster Seele, in seiner Eigenbrötelei und Kurzsichtigkeit, dem Süden an. Ich gebe Ihnen ein kleines Beispiel: Über dem Firmengebäude der World Finance Corporation prangt ein Wandgemälde, das den bedeutenden Blues-Musiker Huddie Ledbetter darstellt, bekannt als Lead Belly, einst Häftling im Staatsgefängnis von Huntsville, hier mit seiner Gitarre und seinem breiten Lächeln abgebildet, darunter die Textzeile Huddie Ledbetter, 1889–1949, sowie die Wörter World Finance. Ich ging hinein, um mich zu erkundigen, warum dieses kleine Kreditunternehmen den alten Bluesmann so sehr liebte, dass es ein drei mal fünf Meter großes Wandgemälde von ihm draußen angebracht hatte, doch die drei jungen Frauen, die sich gewissenhaft über die Arbeit beugten und ihren Pflichten im Weltfinanzgeschäft nachkamen, hatten keinen Schimmer, wovon ich sprach. Nach einem peinlichen Schweigen – peinlich für mich, den Schwachkopf, der so eine Frage stellte – sagte eine der jungen Damen: «Offen gesagt weiß ich gar nicht, wer das da oben ist. Ich hab nie hingesehen.»

Doch immerhin gibt es in Texas ein paar Abonnenten des Rolling Stone[*], und viele davon scheinen zu glauben, dass Hunter S. Thompson noch immer lange, verrückte Artikel für die Zeitschrift schreibt, und es sogar für möglich zu halten, dass ich selbst Hunter S. Thompson bin, weshalb sie mich mit der berühmten Südstaatenwärme und -herzlichkeit empfangen. Selbst Michael McBride, ein Todeskandidat, der zwei Stunden mit mir sprach – zwei der letzten achtundzwanzig, die ihm in diesem Leben noch blieben –, drückte, um sich als Abonnent auszuweisen, die neueste Ausgabe des Rolling Stone an die kugelsichere Scheibe zwischen uns; es war die mit Britney Spears auf dem Cover, realistisch betrachtet die letzte, die er je in Händen halten würde.

«Und worum geht es in Ihrem Artikel genau?», fragte er.

Die Idee war, Huntsville zu besuchen und so dicht wie möglich an die fünf Hinrichtungen heranzukommen, die dort zwischen dem 9. und 26. Mai 2000 angesetzt sind. Von diesen fünf würde McBrides Tod der zweite sein. Ich hatte nicht den Mut, ihm den Titel des Beitrags zu nennen.

Und das Barbecue – das fand am Karfreitag, dem 27. April, bei Ted Carpenter zu Hause statt. Von seinem Einkommen als Telekommunikationsunternehmer hat Ted am Stadtrand von Huntsville, wo es noch möglich ist, am Ende einer sechseinhalb Kilometer langen unbefestigten Straße zu wohnen, gut fünfzehn Hektar Land und eine Backsteinranch erwerben können. Ted, ein bärtiger Mann in den Fünfzigern, serviert ein rötlich-gräuliches – magentarotes, zinnoberrotes – Gezwirbel aus dampfenden «Schlammwanzen» alias Krebsen; aus einer Isobox klatscht er sie in circa dreißig mal fünfundvierzig Zentimeter große Dosendeckel, die man auf den Knien balanciert, während man sein Abendessen mit den Fingern in Stücke reißt. Ungefähr achtzehn, zwanzig Freunde haben sich hier bei den letzten erträglichen Temperaturen, auf die man bis frühestens Halloween hoffen kann, zusammengefunden, um die Dinger zu vertilgen, jede Menge Bier und Schnaps zu trinken und sich unter Gelächter, das lauter und lauter in die Nacht hineinschallt, Witze und Lügengeschichten zu erzählen. «Für ’n Whirlpool haben wir armen Leute nicht das nötige Kleingeld», erklärt Ted und zeigt uns, «wo die Jungs sich abkühlen können»: auf der Ladefläche seines Pick-ups, die er mit einer Plastikplane ausgekleidet und mit Wasser gefüllt hat.

Die meisten Lügengeschichten auf dem Barbecue steuert Larry Fitzgerald bei, Chief Public Information Officer in der Strafvollzugsabteilung der texanischen Justizbehörde. Er hat an diesem Wochenende Bereitschaftsdienst, und da sich im Smith Unit, einer Haftanstalt der mittleren Sicherheitsstufe südlich von Lubbock, ein Streit zwischen schwarzen und hispanischen Insassen zu einem Massenaufruhr gesteigert hat, bevor die Wärter die Ordnung wiederherstellen konnten, verbringt Fitzgerald einen Großteil der Zeit am Handy und beantwortet die Fragen texanischer Reporter. Fitzgerald ist um die fünfzig, ein grauhaariger, liebenswürdiger alter Bursche mit etlichen Jahren in der Öffentlichkeitsarbeit auf dem Buckel und einer teuflischen Vorliebe für Margaritas, die er als «irischen Fluch» bezeichnet, ohne näher zu erläutern, aus welchem Teil Irlands die Margarita genau stammt – so wie er generell nichts näher erläutern will, was sich auch nur irgendwie verschleiern lässt, schon gar nicht die Vorgaben der texanischen Justizbehörde bei der Zulassung nichttexanischer Reporter zu hiesigen Hinrichtungen.

Chicago TribuneNew York Times