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Impressum

Der Text dieses Buches ist in gesprochener Alltagssprache verfasst.

 

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, August 2017

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ISBN Printausgabe 978-3-499-63269-3 (1. Auflage 2017)

ISBN E-Book 978-3-644-40143-3

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-40143-3

Das Buch widme ich allen, die mich mögen und die ich mag.

1 ICH

Ich hab das Down-Syndrom. Und ich bin okay damit.

Ab und zu spüre ich, dass ich behindert bin. Weil Mitmenschen mich komisch anschauen. Wenn ich alleine unterwegs bin. Zum Glück schauen nicht alle. Oft denke ich für mich im Stillen: Was wollen die von mir? Wer interessiert sich wirklich für meine Person und wie ich im Herzen bin?

Ich bin 37 Jahre alt, mittelgroß. Meine Haare sind halblang, glatt und braun. Ich leide nicht unter dem Down-Syndrom. Ich bin einfach da im Leben. Es ist schön, zu sein wie ich. Ich bin eine Frau mit einer Lernschwierigkeit und mit einer Brille auf. Ich kann nichts dafür, dass ich das habe. Ich habe es einfach. Außerdem habe ich viele Hobbys: Singen, Tanzen, Briefe, Schreiben, Fernsehen, Einkaufen, Musik, Filme, Harry Potter, Astrid Lindgren, Sailor Moon, Aufklärbücher. Das gefällt mir. Es ist nur blöd, dass ich mich ungesund ernähre. Ab und zu esse ich aber auch Obst, Gemüse und Salat. Und ab und zu bin ich ohne Brille unterwegs.

Mein Ich-Sein zu beschreiben ist schwierig. Ich versuche es mal. Ich bin manchmal alles das: gemütlich, musikalisch, hilfsbereit, nett, empfindlich, traurig, lustig, sympathisch und manchmal auch anstrengend, zornig, blöd und ungerecht. Mein Leben ist vielseitig.

Meine Lieblingsfarben sind türkis, lila, pink, hellblau, hellgrün, rot, weiß und bunt. Andere Farben mag ich auch. Und ich mag sehr gerne Schmetterlinge, wenn sie ihre Flügel ausbreiten und fliegen. Sie haben wunderschöne bunte Farben mit verschiedenen Zeichnungen auf den Armen. Sie fliegen von Blume zu Blume hin und her. Auch die Blumen sind bunt.

Besonders mag ich Musik, Hörspiele und Zeichentrickfilme, Schokolade, Chips, Himbeersaft, Briefe, Schreiben, Cola, Tanzen, Singen.

Ganz besonders mag ich Schokolade, Fanta, Aranciata, Limonade, Eistee mit Pfirsichgeschmack und Cola. Und ich esse gern cremige Nutella aus dem Glas. Nur mit einem Löffel. Heimlich in meinem Zimmer. Auch wenn meine Eltern das wissen. Für mich ist es zu schwierig, das aufzugeben.

Ich mag auch meine Lieblingsband sehr, musikalische Autogramme sammeln, Liebe und Walt-Disney-Filme. Es ist wirklich wunderschön, verliebt zu sein. Hin und wieder sitze ich vor dem Computer von meinem Vater und surfe im Internet. Und schaue mir Schauspieler, Musiker und Stars an.

Was ich nicht mag sind Menschenmassen. Und mich von Kopf bis Fuß anstarren lassen. Rechnen kann ich auch nicht so gut leiden. Rechnungen und Bankgeschäfte sind für mich ziemlich sehr schwierig. Ein paar andere Sachen finde ich auch schwierig. Das Wort schwierig ist nicht leicht. Man kann sich in schwierigen Lagen befinden. Und es gibt sehr komplizierte und schwierige Sätze und Wörter von Politikern und Ärzten.

Ich kann eigentlich fast alles alleine. Zum Beispiel Einkaufen, Tisch decken, Aufbetten, Staubsaugen, Spülmaschine ein- und ausräumen, Fenster putzen, Schreiben, Lesen, Nägel schneiden, Haare waschen, Schwimmen, Rad fahren, Zimmer sauber halten und Blumen gießen. Manchmal mache ich selbst Friseurtermine aus. Abspülen und Abtrocknen tue ich gar nicht gerne. Meine Eltern auch nicht. Ich kann mich selbst duschen, anziehen, föhnen, kämmen, Zähne putzen. Ich kann Musik machen. Und ich kann mir gut Melodien merken.

Was ich ganz besonders gut machen kann, sind Wurstbrote. Die esse ich am liebsten.

Aber ich esse auch gern Wienerschnitzel mit Kartoffelsalat, Milchreis, Lasagne, Schlutzkrapfen, Püree mit Fleischklößchen, Pizza, Schokolade, Cremeschnitten, Erdbeerroulade, Nusstorte mit gezuckertem Rahm, Joghurt, Himbeeren mit Rahm und Mozzarella mit Tomaten.

Manchmal gehe ich Pizza essen mit meinen Freunden. Normal geht so mein Leben voran. Mit Arbeit, Freunden, Liebe, Freizeit, Träumen, Alltag und Reisen.

Wenn ich mich im Spiegel ansehe, dann merke ich, dass ich Down-Syndrom habe. Ich gebe das Down-Syndrom gerne zu. Und ich fühle es auch ganz tief in mir. Wenn Menschen auf der Straße mich anschauen. Ein bisschen anders fühlt es sich an. An den Augen vielleicht. Oder am Herz? Nein, eigentlich fühlt man das Down-Syndrom nicht.

Aber ich habe schlitzartige Augen und eine Brille. Ich bin kurzsichtig. Kurzsichtig zu sein ist nicht so fein. Früher hat man gedacht, dass wir aus dem Land der Mongolei kommen. Das wäre ein interessantes Land für mich.

Mein Leben ist abwechslungsreich, fehlerreich, aufregend, spannend, lehrreich. Hin und wieder mache ich Missverständnisse und gebe das zu. Auch wenn ich das nicht gerne tue.

Ich mag meine Figur. Auch wenn sie dick ist. Ich habe viele Freunde, die das auch haben, das Down-Syndrom zum Beispiel, aber ein paar sind sportlicher und nicht dick. Und ich mag sie. Ich bin immer auf der Suche nach neuen Freunden. Ich habe auch einen Freund. Der darf mit verschiedenen Leuten flirten. Er soll seine Freiheit bekommen. Aber er soll zu mir zurückkommen. Ich lächle mein Spiegelbild an. Hin und wieder bin ich so stark, dass ich ohne Brille hinaus in die Welt gehe. Ich möchte, dass die Menschen gleich sehen, dass ich Down-Syndrom habe. Ich will mein Gesicht und meine Augen allen zeigen. Auch wenn ich denke, dass die Menschen mich neugierig, abweisend, nett, sympathisch finden werden.

Manchmal ist mein Leben mit Down-Syndrom schön. Aber manchmal ist es auch nicht einfach. Ich erlebe auch Beleidigungen von anderen Menschen. Ich merke, dass Mitmenschen mir nachschauen. Fein ist das nicht. Meistens sind kleine Kinder neugierig. Daran bin ich schon gewöhnt. Ich versuche mit ihnen zu reden. Gleichzeitig schaue ich die Eltern an. Oder ich schaue geradeaus. Ich habe Gefühle wie andere Menschen auch.

Wenn mich jemand freundlich fragt: Sind Sie behindert? Dann würde ich «Ja» sagen. Die Menschen sollen meine Augen genauer anschauen. Ich gebe gerne zu, dass ich das Down-Syndrom habe. Ich bin einfach so normal. Das merken die anderen Menschen auch. Vielleicht merken sie meine Schwierigkeit im Supermarkt an der Kasse. Ich frage dann, ob sie mir beim Kopfrechnen helfen können. Ob sie mir sagen, wie viel ich von meinem Geld zurückbekomme.

Ein Leben ohne Brille wäre prima. Ich würde gern die kleinsten Wörter und all die Sätze normal lesen und sehen. Manchmal möchte ich meine Lernschwierigkeit in den Müll schmeißen. Aber ich weiß, ich bin einfach so. Mit einem Down-Syndrom, das ich nicht ändern kann, und mit einer Brille. Fehler sind ja auch normal. Jeder Mensch fühlt sich in seiner Haut anders an. Ich fühle mich anders an und normal.

 

Alle Leser sind bestimmt sehr wundrig auf mein Privatleben. Ich gebe zu, dass ich einen Freund habe. Der ist fünf Jahre jünger als ich. Einen Freund zu haben ist wunderschön. Aber einige Dinge wie körperliche Liebe und Küssen möchte ich wirklich nicht genauer erzählen. Sonst bekomme ich mit meinem Freund vielleicht Meinungsverschiedenheiten und Probleme. Ich muss nur sagen, mein Freund hat mich früher zum Küssen verführt. Und die Anmache von anderen Jungs wird bei mir niemals funktionieren.

Was ich anschließend nicht gerne schreiben möchte: Sexualität im Schlafzimmer. Küssen, Streicheln, Küssen. Das geht euch leider nichts an. Weitere Sachen, die ich nicht schreiben möchte: Diät und Periode, Straßenschlachten und Sachen mit gefährlichen Menschenmassen, was man manchmal in der «Tagesschau» sieht, Kriege und schwierige Politik, besoffene Menschen.

2 LEBEN

Ich bin behindert seit der Geburt. Ich wurde sechs Wochen zu früh geboren. Die Ärzte haben mich mit einem Kaiserschnitt herausgeholt. Und danach haben sie mich gewogen. Ich wog nur 1,3 kg. Später untersuchten sie mich. Und dann legten die Ärzte mich in einen warmen Brutkasten in der Klinik Innsbruck. Ich war sehr viel mit Schläuchen umgeben.

Später habe ich von meiner Mutter erfahren, dass ich mit offenen Händen auf die Welt gekommen bin. Ich habe keine Fäuste mit den Händen gemacht. Meine Mutter hat mir auch erzählt, dass der Frauenarzt im Ultraschallmonitor meinte, ich sollte ein Bub werden. Meine Eltern hätten mich dann Tobias genannt. Weil der Nachbarshund Tobias heißt. Aber dann haben sie das doch bleiben lassen. Als sie erfahren haben, dass ich ein Mädchen geworden bin, haben sie mich Verena Elisabeth genannt. Das hat den Eltern auch gefallen.

Das Down-Syndrom hat der Doktor Down bei uns entdeckt. Ich leide nicht daran. Das muss ich oft sagen. Für mich ist Down-Syndrom keine Schwierigkeit. Ich habe es einfach. Und das tut auch nicht weh.

Das Reden habe ich bei der Logopädie gelernt, bis ich vier Jahre war. Zum Beispiel musste ich Blasübungen und Zungenübungen machen. Ich sollte immer die Zunge herausstrecken. Und Laute machen und wie Tiere reden. Ich sollte auch Bilder anschauen und zeigen und sagen. Aber ich hatte andere Worte, wie ich klein war: O für Oma und Bo für Brot, mam und nam für essen, wuwu für Hund, umm für Auto und bam für alles.

Meine Kindergartentasche war rosaweiß mit kleinen Bärchen in pink und blau. Dort hat meine Mutter immer die Jause hineingetan. Im Kindergarten waren viele Kinder zu sehen. Und ich habe verschiedene Tanten bekommen. Ich habe sehr gern im Garten im Sand gespielt. Oder ich bin geschaukelt oder gerutscht. Der Kindergarten hat Löwenegg geheißen. Wir haben viel gespielt, gesungen, getanzt, gebastelt. Auf einem Foto habe ich gesehen, dass ich im Sandkasten zwei herunterhängende Zöpfe getragen habe.

Wie ich größer und älter wurde, habe ich von meiner Schwester erfahren, dass wir Menschen mit Down-Syndrom eine besondere Linie in den Handflächen haben. Das finde ich wirklich toll. Auch wie ich aussehe finde ich mit Down-Syndrom super.

 

Mit sechs Jahren bin ich in die Grundschule in meiner Stadt gekommen. Auf einem Foto habe ich gesehen, dass ich eine bunte Schultüte hatte. Und einen pinkweißen Schulranzen. Mit den Fingern habe ich meine sechs Jahre hergezeigt. Die Direktorin hat mich in den normalen Schulbetrieb aufgenommen. Und das ohne Gewalt und Richter. Natürlich finden meine Eltern sehr gut, dass ich in die normale Schule gekommen bin. Sie haben mich gefördert, aufgemuntert, gut erzogen, selbstständig gemacht. In der Früh bin ich mit der Direktorin zur Schule gegangen. In der Schule gab es viele Mitschüler. Und ich hatte viele Fächer. Besonders mochte ich Naturkunde, Singen, Turnen, Schwimmen, Deutsch, Italienisch, Religion. Die meiste Zeit war ich mit meinen Mitschülern in der Schulklasse. Die Mitschüler waren sehr nett. Sie waren nicht behindert. Und die Lehrpersonen waren auch alle nett mit mir. Niemand hat mich geärgert oder geneckt.

Mein Pult war vor dem Lehrertisch. An meinem Pult haben immer verschiedene Stützlehrer und Stützlehrerinnen gesessen. Wenn ich den Unterrichtsstoff nicht richtig verstanden habe, bin ich mit ihnen in ein kleines Schulzimmer gegangen. Dort haben die Stützlehrer mir den Unterrichtsstoff sehr bildlich, viel leichter, verständlicher und buntlicher erklärt. Und genauer gesagt, wie ich meine Hausaufgaben verstehen muss. So bin ich meinen Mitschülern voraus gekommen.

Mein Lieblingsfach war Naturkunde. Und Turnen. Und Singen. Und Aufsätze schreiben. Meine Mitschüler wollten immer sehr gerne Schulferien haben. Nur ich nicht. Ich bin sehr gern in die Schule gegangen.

Auch die Psychologen haben mich in der Schulzeit begleitet. Sie haben mich getestet und mit mir gespielt. Damit ich bei den Übergängen der Klassenversetzungen weiterkomme.

Einmal hat mir einer ein Geburtstagsständchen auf seiner Querflöte gespielt. Und meine italienische Lehrerin hat mir im Dunklen eine Überraschungstorte mit leuchtenden, unlöschbaren, verzauberten Kerzen überreicht. Ich sollte dann die verzauberten Kerzen ausblasen. Aber die Flammen wollten nicht ausgehen. Nur mit Wasser ist es uns dann gelungen. Alle Mitschüler und die Lehrerin haben auf Italienisch «Alles Gute zum Geburtstag» vorgesungen. Und dann haben wir den Walt-Disney-Film «Die Schöne und das Biest» auf Italienisch angeschaut. Die Lehrerin hat den Film immer wieder gestoppt. Und verschiedene Sachen erklärt. Das hat mich genervt. Ich wollte den Film ohne Pausen anschauen. Das hat mir am besten gefallen.

In dieser Zeit habe ich auch die Liebe mit elf Jahren entdeckt. Das war aufregend in der Schulpause. Da hatte ich mir vor meinem Klassenzimmer auf einem Bänkchen die Hausschuhe angezogen. Wie ich wieder aufgestanden bin, sehe ich einen sehr netten Jungen vor mir. Und habe mich in ihn verliebt. Danach habe ich von ihm einen Mundkuss bekommen. Genau in dieser Zeit ungefähr habe ich auch meine Tage bekommen.

Das Leben in der Schule hat mir sehr gut gefallen. Ich kann mich noch erinnern, wie schön es war beim Völkerball im Turnen. Da war ich immer die Letzte, die abgeschossen wurde vom Ball. Man hat mich nicht erwischt.

Bei der Abschlussprüfung sollte ich mit meinem Körper eine Brücke machen und mit dem Reifen Hula-Hoop tanzen. Ich habe getanzt. Meine Lehrer wollten mich stoppen. Weil ich schon bestanden hatte. Aber ich habe weitergetanzt.

Vor der italienischen Lehrerin sollte ich eine italienische Bildgeschichte erzählen. Das war nicht leicht für mich.

In Naturkunde habe ich mich freiwillig prüfen lassen. Dort habe ich erzählt, wie das Leben von Regenwurm und Schmetterlingen geht.

 

Meine zweite Schulzeit war ich in der großen Stadt, in Brixen. Da habe ich in einem Wohnheim gelebt. Nur am Wochenende bin ich mit dem Zug nach Hause gefahren. Diese Schule hat früher Berufsfindung geheißen. Meine Mitschüler waren ungefähr wie ich. Es waren viele Jungen und Frauen dabei. In diese Schule sind wir vier Jahre lang gegangen. Wir hatten sehr nette Lehrpersonen. Und auch viele verschiedene Fächer. Zum Beispiel Deutsch, Italienisch, Rechnen, Computer, Naturkunde, Erdkunde, Politik. Ich habe sehr gerne Hausaufgaben gemacht. In dem Fach Politik sollten wir regelmäßig die «Tagesschau» als Aufgabe ansehen.

Beim Rechnen bin ich nicht so gut. Aber mit den Aufsätzen bin ich sehr gut beim Schreiben. Ab und zu war ich vor den Mitschülern weit voraus.

Manchmal haben wir auch Pausen gebraucht von dem vielen Lernen. Hin und wieder waren wir auf Ausflügen. Zum Beispiel bei der Bäckerei, um Brote zu verkosten. Oder bei der Feuerwehr oder beim Milchhof. Mir hat die Bäckerei am besten gefallen. Und wie wir einmal mit der Klasse ins Hallenbad gegangen sind, das fand ich wirklich super. Ich liebe besonders auch Wasser zum Schwimmen. Ich gehe immer oft ins Schwimmbad. Mir macht das Schwimmen großen Spaß.

Mittwochs haben wir in der Schule immer zusammen unser Mittagessen gekocht. In dieser Zeit habe ich eine Freundin gefunden. Sie war eine größere Schülerin von einer anderen Klasse. Die mochte ich sehr.

 

Ich war auch in einer Theatergruppe. Wir haben viel geprobt und gespielt. Unsere Theaterleiterin war sehr nett. Es war nicht leicht, nicht zu lachen. Zum Beispiel wenn man sich auf der Bühne ernst gegenseitig in die Augen schauen muss. Manchmal war die Leiterin auch streng. Aber das musste sein. Einmal war ich in einer Rolle eine Jugendliche, die ausgeschlossen wurde. Leider weiß ich nicht mehr, wie das Stück heißt. Aber ich kann mich noch erinnern, dass meine Theaterkollegen ihre Köpfe zusammengesteckt hatten wie eine gemeinsame Jugendgruppe. Sie wollten nicht, dass ich was mitkriegte. Als hätten sie etwas mit mir geplant. Ich habe mir dann selbst ein Bein gestellt. Damit ich mich ausgeschlossen auf dem Bühnenboden fühlte. Wie ich auf dem Bühnenboden lag, dann sind die anderen geschlossen zu mir gekommen. Um mich auszulachen. Und sie haben gleichzeitig mir den Zeigefinger hergezeigt. Dabei fühlte ich mich gegenüber vor ihnen hilflos, einsam, verlassen, sehr traurig, verletzt.

Ein anderes Theaterstück hat «Der rote Strumpf» geheißen. Bei dem Theaterstück hatte ich die Hauptrolle. Ich hatte den roten Strumpf an. Ich sollte mich auf einen Stuhl setzen und einen Socken stricken. Ich war eine alte Frau. Natürlich musste ich ein Kopftuch und eine Brille tragen. Bei der Erstaufführung war ich erst recht sehr aufgeregt. Zum Schluss haben wir sehr viel Applaus bekommen. Dieses Theaterstück war auch ein Erfolg.

Ich bin sehr gerne in die Schule in Brixen gegangen. Es war sehr fein in der Klasse und im Wohnheim. Und die meisten Mitschüler waren mit mir nett.

Aber einmal in der Schulpause habe ich eine andere Mitschülerin vor drei Jugendlichen verteidigt. Die Jungen haben sie geärgert. Weil sie ein bisschen rundlich war. Ich war sehr zornig auf die drei Jungen. Als ich gemerkt habe, dass sie geweint hat, bin ich dann zwischen sie gegangen. Und ich habe den Schülern gegenüber gestanden und sie angeschrien:

Das ist mir wirklich ganz gleich. Und das ist unfair: drei gegen einen zu sein!

In dieser Zeit habe ich meine Kampfstellung eingenommen. Und dann habe ich den Jungen zugeschrien:

Seitdem sind wir Freundinnen geworden. Und ich bin bei dem Mädchen geblieben bis zum Ende der Schulpause.

Manchmal haben wir für drei Wochen Praktikum gemacht. Meine Stellen waren: Lebensmittelgeschäft, Gärtnerei, Altenheim, Bibliothek, Gemeindebüro, Schulsekretariat. Beim soziosanitären Bürgerschalter habe ich Broschüren kopieren müssen, falten, sortieren, im Computer Daten eintragen, Gesuche stempeln, in die Postablage geben, protokollieren und sogar einmal eine Mail an den Chef schreiben.

Im Elektrizitätswerk von der Gemeinde sollte ich Post holen, Unterschriften vom Bürgermeister geben lassen und Akten vernichten.

Für die Schule sollten wir in dieser Zeit die Arbeiten von unseren Praktikumsstellen aufschreiben. Und wir hatten immer nur einen Tag Unterricht in einer kleineren Klasse.

 

Wie ich früher volljährig geworden bin, das war wirklich ein Ding. Ich war ganz schön aufgeregt. Von überall sind meine Verwandten gekommen zu meiner Feier. Wahrscheinlich hat es hausgemachte Schlutzkrapfen von meinem Vater gegeben. Und danach Sahneroulade von meiner Tante. Meine Verwandten haben sich gut und lustig unterhalten. Zur Überraschung haben meine Eltern ein sehr großes Geschenk gebracht, das eher schwer und mittellang war. Alle waren sehr neugierig. Und umringten mich und mein Geschenk. Mit einem Taschenmesser habe ich es geöffnet. Es war ein Keyboard darin. Alle waren erstaunt. Als wir wieder am Tisch waren, erhob sich mein Vater und hielt eine Rede vor mir. Ich hörte von ihm, dass ich volljährig geworden bin. Und dass es Zeit geworden ist, einen eigenen Haustürschlüssel zu bekommen. Vor all den Gästen hat mein Vater sich geräuspert und mit der Rede angefangen: «Liebe Verena. Nun bist du 18 Jahre alt. Und kannst kommen und gehen, wann du möchtest. Es ist die Zeit gekommen, dir einen eigenen Haustürschlüssel zu geben. Dass du die Verantwortung auf deinen eigenen Schlüssel hast.» Wie er das gesagt hat, hat er mir den Schlüssel auch gleich überreicht. Insgesamt habe ich diese Rede sehr schön gefunden.

Andere Geschenke habe ich auch noch bekommen. Aber leider weiß ich die nicht mehr auswendig.

Viel später habe ich in der Bibliothek gearbeitet. Dort sollte ich Bücher versichern, Bücher stempeln, Kassetten anhören und prüfen, ob sie nicht kaputt sind. Bücher von den Regalen mit einem geeigneten Putzmittel putzen. Faltblätter für Lesungen falten und in die Briefkuverts legen und verschicken. Ich sollte auch all die neuen Bücher aus den Kartons nehmen und nach Farben, Bereichen und alphabetisch sortieren. Dann werden all die Bücher mit einer Glasschichtfolie durchsichtig eingebunden. Anschließend bekommen sie die Ausleihfrischzettel mit zwei Stempeln hinein. Die Bücher müssen nach Buchstaben, Nummern, Farben in den Regalen eingeordnet stehen. Wenn die neuen Bücher ausgeliehen werden, bekommen sie in der Hälfte des Buches ein Lesezeichen und einen grünen Versicherungsstreifen hinein. Diese Bücher werden von einem lesenden Versicherungsgerät eingemerkt für die Bibliothek. Das Team von der Bibliothek muss ganz sicher sein, dass die Bücher, Zeitungen, Filme, Kassetten wirklich zurückkommen. Sonst müsst ihr entweder Strafe zahlen oder neu ersetzen. Die Kunden müssen die Bücher, Kassetten, Filme, Zeitungen pünktlich zurückbringen. Ihr könnt aber auch vorher am Telefon eure Sachen verlängern lassen.