Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Mai 2017
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ISBN Printausgabe 978-3-499-63286-0
ISBN E-Book 978-3-644-40168-6
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-644-40168-6
Erinnern Sie sich noch an Ihre letzte wirklich großartige Party? Dann kann sie nicht besonders gelungen gewesen sein.
Es gibt, grob gesagt, zwei Arten von Partys. Da sind zum einen gesittete Zusammenkünfte wie Dinner- oder Cocktailpartys. Sie dienen dem, was moderne Menschen gerne «Networking» nennen – ein fürchterlich spießiger Ausdruck. Über diese Kategorie Partys schrieb Heinrich Böll einmal: «Die Cocktailparty ist eine Strapaze, der man sich merkwürdigerweise hin und wieder sogar freiwillig unterzieht, so wie man hin und wieder freiwillig ein Karussell besteigt, obwohl man weiß, dass Übelkeit die unausbleibliche Folge ist.» Er fügte – womit er sich als wahrer Kenner offenbart – hinzu: «Es gehört zum Wesen der Cocktailparty, dass man hingeht und sich doch über sie mokiert.»
Nicht wesentlich anders verhält es sich bei sogenannten Corporate Events, die von Firmen aus PR-Gründen ausgerichtet werden. Die in den Firmenzentralen dafür zuständigen Sachbearbeiter organisieren Hand in Hand mit kompetenten Agenturen, die über die entsprechenden Adresskarteien mit den Namen schmückender Gäste verfügen, Opernabende in Salzburg oder Besäufnisse am Rande des Münchner Oktoberfests, anderntags steht dann in der «Bunten», dass sich die VIPs bis in die Morgenstunden köstlich amüsiert hätten. Mit echten Festen haben diese Veranstaltungen nichts gemein, sie simulieren lediglich Festlichkeit.
Echte Feste – da hat Sigmund Freud vollkommen recht – sind dagegen «ein gebotener Exzess». Wie Freud in «Totem und Tabu» schreibt, liegt der Exzess im Wesen des Festes, und die festliche Stimmung wird erst durch die Freigabe des sonst Verbotenen erzeugt. Ein Fest, das diese Bezeichnung verdient, hat im Idealfall geradezu dionysische Züge. Es hebt sich von der faden, antimetaphysischen Diesseitigkeit unseres Alltags ab und stellt unter Beweis, dass es eine Nebenwelt gibt. Insofern hat es eine ähnlich erleuchtende Funktion wie ein vollendet zelebrierter Gottesdienst. Deshalb ist es auch überhaupt nicht erstaunlich, dass das Wort Feier, das auf das lateinische feriae zurückgeht, im Begriff fanum – das Religiöse – wurzelt. Man kommt mit einer Wirklichkeit in Berührung, die uns von der banalen Wirklichkeit befreit, die uns sonst erstickend umgibt – zumindest für eine Nacht.
Zu den wichtigsten Usancen solch wahrhafter Feierlichkeiten gehört es, dass, egal was in dieser Nacht geschieht, es am nächsten Tag der Vergessenheit anheimfallen muss. Kein gegenseitiges Zuzwinkern beim Katerfrühstück, kein überfamiliäres Mit-dem-Ellenbogen-Anstupsen nach dem Motto «War das ein Fest!». Wenn Sie so etwas tun, werden Sie völlig zu Recht empörte Blicke ernten. «Niemand wird sich herbeilassen, auf das, was irgendein Teilnehmer an diesem Abend gesagt oder getan hat, noch einmal zurückzukommen. Keine Verabredung, keine Verpflichtung, keine Verbindlichkeit, die während der Zecherei entstanden sein mag, hat am nächsten Tag noch die mindeste Gültigkeit. Das ganze Fest hat es im Grunde am nächsten Tag gar nicht gegeben», heißt es im «Manieren»-Standardwerk meines Freundes Asfa-Wossen Asserate treffend.
Es gehört zur Natur der Exzesse, dass sie nur dann ihre Wirksamkeit entfalten, wenn sie die absolute Ausnahme darstellen. Wer versucht, immer wieder solche Ausnahmezustände herzustellen, wird scheitern. Es ist der Feier-Spießer, der jeden Samstag auf die Piste geht und es dann wie bestellt krachen lässt. Wer in Ibizas legendäres «Amnesia» eintaucht (was nach obiger Lesart ja der perfekte Name für einen Ort dionysischen Exzesses ist) oder in das Berliner «Berghain», wird dort hauptsächlich artigen Büroangestellten begegnen, deren Lebensinhalt es geworden ist, einen Ausnahmezustand nach dem nächsten zu erzwingen. Da das nicht geht, müssen synthetische Rauschmittel herhalten, um wenigstens die Illusion zu erzeugen, dass es gehen könnte.
Für Gastgeber, die darauf hoffen, in diesem Buch Instruktionen zu erhalten, habe ich vor allem einen Ratschlag: Die wichtigste Ingredienz eines Festes sind die Gäste. Die Menschen achten heutzutage viel zu sehr auf Homogenität. Dabei ist es genau das, was eine Party langweilig macht. Je gemischter das Publikum, desto besser. Die schönsten Partys, die ich je erleben durfte, hat vor vielen Jahren ein Hamburger Freund von mir gegeben, Friedrich von Stumm, im vertrauten Kreis bekannt als «Stummi». Einmal im Jahr lud er in seine Wohnung am Rondeelteich in Hamburg-Winterhude. Wichtig war ihm stets eine besonders wilde Gästemischung. Erst wenn sich der Erste Bürgermeister neben Domenica, der damals berühmtesten Hure der Stadt, drängte, bekannte Gesichter wie meine Schwester Gloria oder «Tagesschau»-Sprecher Wilhelm Wieben mit absoluten Nobodys und Zufallsbekanntschaften im Gespräch vertieft waren, erst wenn der Polizeipräsident der Stadt gezwungen war, sich vom gleichen Buffet zu bedienen wie der stadtbekannte Gangster, den alle nur «Neger-Kalle» nannten – erst dann war für Stummi die Party ein Erfolg.
Diese Partys lassen sich kaum noch kopieren, heute sind die Menschen allein schon wegen der allgegenwärtigen sozialen Medien viel zu sehr darauf bedacht, ihren Ruf nicht zu gefährden. Kaum etwas fürchtet der moderne Mensch mehr, als neben der falschen Person auf Instagram zu landen. Aber man kann dennoch von Stummi lernen: Wir dürfen bei all unserem Konsenswahn und unserem Hang, Andersdenkende auszugrenzen, nicht vergessen, dass Pluralität – und die irritierende Reibung, die sich aus ihr ergibt – den eigentlichen Reiz unserer westlichen Gesellschaft ausmachen.
Der Ökonom Bernard Maris, der einstige «Oncle Bernard»-Kolumnist der Zeitschrift «Charlie Hebdo», eines der zwölf Todesopfer des barbarischen Terroranschlags vom 7. Januar 2015 in Paris, schrieb in seinem Vorwort zu einem Karikaturen-Band drei Jahre vor seinem Tod: «Warum ist das Leben nicht, wie wir es erträumen: poetisch, befriedet, intelligent, spekulativ, widersprüchlich, aber so, dass jede Meinungsverschiedenheit, jede Zänkerei sich nach einer zünftigen Diskussion in einem Glas Rotwein auflösen kann – und nicht in einer Blutlache?»
Ich plädiere also für den Versuch, auch mit Vollidioten auf Partys auszukommen. Mit Leuten zu plaudern, die auf der gleichen Wellenlänge liegen, ist keine Kunst. Zivilisiert und taktvoll zu bleiben, wenn der gegenüber ein Langweiler oder ein Scheusal ist, das ist die Kür.
Smalltalk, Chit-Chat, la petite conversation de la table, das zweckfreie Plaudern, hat in Deutschland einen schlechten Ruf. Aber nur, weil man nicht einsehen will, dass es einen Unterschied zwischen Podiumsdiskussionen und gesellschaftlichem Geplauder gibt. Hier erstickt man sich entweder gegenseitig mit geisttötender Banalität, oder man ist versessen darauf, alles bis ins letzte Detail zu erörtern. Bei einer gelungenen Unterhaltung in gesellschaftlichem Kontext – bei einem Abendessen, auf einer Cocktailparty, einem Empfang – darf man jedoch getrost kühne Thesen aufstellen und damit andere zum Widerspruch auffordern. In anderen Situationen wiederum ist es angebracht, über nichts zu reden – und das mit großer Emphase, ganz im Sinne von Lord Goring in Oscar Wildes «Ein idealer Gatte»: «Ich liebe es, über nichts zu reden. Das ist das Einzige, wovon ich etwas verstehe.» Das Reden über nichts wird zu Unrecht geringgeschätzt. Dabei ist es eine lebenswichtige Fähigkeit. Ohnehin neigen wir dazu, die Bedeutung des gesprochenen Wortes in der menschlichen Kommunikation zu überschätzen. Das hat mir einer der gescheitesten Menschen, die mir je begegnet sind, beigebracht: Paris Hilton.