rowohlts monographien
begründet von Kurt Kusenberg
herausgegeben von Uwe Naumann
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, März 2017
Copyright © 1972 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
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Umschlagabbildung akg-images (Thomas Müntzer. Kupferstich von Christoffel van Sichem, aus: Historische beschrijvinge ende affbeeldinge der voorneemste hooft ketteren …, Amsterdam 1608)
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ISBN Printausgabe 978-3-499-50188-3 (8. Auflage 2002)
ISBN E-Book 978-3-644-40195-2
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-644-40195-2
Ernst Bloch: «Atheismus im Christentum». Reinbek 1970 (= rowohlts deutsche enzyklopädie. 347/348/349). S. 14
Renate Riemeck: «Jan Hus – Reformation 100 Jahre vor Luther». Frankfurt a.M. 1966. S. 123.
Bericht über Hans Böhms Predigt in: G.A. Benrath (Hg.), «Wegbereiter der Reformation». Bremen 1967. S. 237f.
Karl Gerhard Steck: «Luther und die Schwärmer». Zollikon-Zürich 1955. S. 7
Prager Manifest, S. 495
Protestation, S. 225f.
S. 548f.
B. 3, S. 349
Paul Wappler: «Thomas Müntzer in Zwickau und die Zwickauer Propheten». Gütersloh 1966. S. 7
Zit. bei Wappler, a.a.O., S. 28
Prager Manifest, S. 499, 19f.
Fürstenpredigt, S. 253, 17f.
Ernst Bloch: «Thomas Münzer». Frankfurt a.M. 1963. S. 19
M.M. Smirin: «Die Volksreformation des Thomas Münzer und der große Bauernkrieg». Berlin 1956. S. 83f.
a.a.O., S. 110
Vgl. den lateinischen Text in S. 360, 1f.
Brief des Egranus an Müntzer: S. 368, 3
Wappler, a.a.O., S. 45
Wappler, a.a.O., S. 45, Anm. 189
S. 491f. und 495f.
Prager Manifest, S. 495, 5–15
S. 500, 11f.
S. 503, 5f.
S. 493, 31–494, 8
S. 504, 10f.
S. 498, 7f.
S. 499, 15f.
S. 494, 14f.
S. 503, 25f.
S. 504, 12f.
S. 501, 25
S. 494, 15f.
S. 504, 30f.
B. 38, S. 387, 20f.
Zit. bei Smirin, a.a.O., S. 89f.
B. 44, S. 393f.
B. 45, S. 395, 8f.
B. 45, S. 396, 27f.
Carl Hinrichs: «Luther und Müntzer». Berlin 1952. S. 10f.
Hinrichs, a.a.O., S. 1f.
Ordnung und Berechnung des deutschen Amts zu Allstedt, S. 208, 3f.
Günther Franz, S. 26f.
S. 164, 28f.
S. 162, 14f.
S. 162, 21f.
S. 210, 10f.
Erwin Iserloh in: «Handbuch der Kirchengeschichte». Hg. von Hubert Jedin. Freiburg i.B. 1967. Bd. IV, S. 133
S. 211, 1f.
S. 212, 2f.
S. 213, 12f.
S. 213, 33f.
S. 211, 22
S. 220, 2f.
S. 222, 22 und 29
B. 46, S. 398, 4f.
B. 47, S. 398, 28
S. 400, 16
Protestation, S. 225
S. 236, 22
Hinrichs, a.a.O., S. 18
Bekenntnis Thomas Müntzers, S. 548, 14f.
B. 52, S. 407
B. 53, S. 408f.
B. 84, S. 463
B. 84, S. 463, 16f.
Smirin, a.a.O., S. 333
Hinrichs, a.a.O., S. 35f.
Manfred Bensing: «Thomas Müntzer und der Thüringer Aufstand 1525». Berlin 1966. S. 49f.
a.a.O., S. 50f.
An Jeori B. 61, S. 424
Fürstenpredigt, S. 242, 5–10
S. 244, 21
S. 249, 5–10
S. 250, 9–12
S. 251, 16–21
Gerhard Wehr: «Thomas Müntzer deutet die Schrift». In: «Die Christengemeinschaft», 43. Jg. 1971, S. 283f.
Zit. bei Steck, a.a.O., S. 25; weitere Belege bei Otto Dilschneider: «Ich glaube an den Heiligen Geist». Wuppertal 1969
S. 255, 20–26
S. 256, 17–21
S. 259, 1–6
S. 261, 28f.
Hinrichs, a.a.O., S. 63
B. 59, S. 421, 10f.
Hinrichs, a.a.O., S. 69
B. 59, S. 422, 3–12
B. 57, S. 417, 11–17
B. 57, S. 417, 19f.
B. 59, S. 422, 24f.
S. 422, 37f.
Hinrichs, a.a.O., S. 75f.
Hochverursachte Schutzrede, S. 343, 17–22
Über Müntzers prekäre Lage s. Hinrichs, a.a.O., S. 126f.
Hochverursachte Schutzrede, S. 342, 19f.
Ausgedrückte Entblößung, S. 267, 24–30
S. 298, 28–299, 34
S. 318, 22–37
S. 319, 14–19
Günther Franz: «Der deutsche Bauernkrieg». 8. Aufl. Bad Homburg 1969. S. 80
a.a.O., S. 89f.
Keßlers Bericht in: «Flugschriften des Bauernkrieges». Reinbek 1970 (= Rowohlts Klassiker. 526/527). S. 219
«Die 12 Artikel der Bauernschaft» in: Flugschriften, a.a.O., S. 14
Franz, a.a.O., S. 125
Martin Luther: «Von weltlicher Obrigkeit». Weimarer Ausgabe Bd. 11, S. 245–280
Paul Althaus: «Luthers Haltung im Bauernkrieg». Basel 1953. S. 8
Martin Luther: «Hauptschriften». Berlin 1951. S. 281–298
Luther, a.a.O., S. 299–333
B. 84, S. 463, 12–22
Martin Luther: «Ein Sendbrief vom harten Büchlein wider die Bauern». In: «Hauptschriften», a.a.O., S. 304–319
Kurt Dietrich Schmidt: «Grundriß der Kirchengeschichte». Göttingen 1967. S. 337
Walther von Loewenich: «Der Weg des Evangeliums». 7. Aufl. München 1966. S. 81
Hanns Lilje: «Martin Luther». Reinbek 1965 (= rowohlts monographien. 98). S. 91, 94f.
Martin Luther: «Tischreden». Weimarer Ausgabe Tr. 3, 75
In diesem Sinne – abgesehen von marxistischen Historikern – äußert sich zum Beispiel Erwin Iserloh im «Handbuch der Kirchengeschichte», a.a.O., S. 145; dagegen: Franz Lau in: Lutherjahrbuch 26 (1959), S. 104–134
Franz, a.a.O., S. 265
Bensing, a.a.O., S. 23
Karl Marx: «Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie». In: Marx-Engels Werke I. Berlin 1956. S. 386
Bensing, a.a.O., S. 25
B. 65, S. 432
B. 75, S. 456, 1
Belege bei Bensing, a.a.O., S. 64
Zitiert nach Druckexemplar aus der Stadtbibliothek Nürnberg
B. 69, S. 439, 1f.
Bensing, a.a.O., S. 68f.
Dietrich Lösche: «Über die Lage der Bauern im Gebiet der freien Reichsstadt Mühlhausen». (Diss.) Berlin 1961; vgl. Bensing, a.a.O., S. 67f.
«Mühlhäuser Artikel» in: Flugschriften, a.a.O., S. 37–39
B. 70, S. 447, 19f.
S. 268, 22f.
Georg Baring: «Hans Denck und Thomas Müntzer in Nürnberg 1524». In: «Archiv für Reformationsgeschichte» 1959, H. 2, S. 145f.
Zettel zu B. 71, S. 450, 12–22
Hochverursachte Schutzrede, S. 343, 9–14
S. 544, 11–19; Bloch, a.a.O., S. 54
Max Steinmetz: «Das Müntzerbild in der Geschichtsschreibung von Luther und Melanchthon bis zur Französischen Revolution» (Habilitationsschrift [MS]). Jena 1956. S. 81f.
Zit. bei Steinmetz, a.a.O., S. 60f.
Bensing, a.a.O., S. 76f.
Hochverursachte Schutzrede, S. 322, 11–14
S. 325, 29–326, 10
S. 329, 27f.
S. 332, 1f.
S. 341, 27f.
B. 64, S. 430f.
Bensing, a.a.O., S. 91
Franz, a.a.O., S. 263
B. 88, S. 468, 16–24
Bloch, a.a.O., S. 76
B. 75, S. 454, 1–8
In Joachim Seyppel: «Texte deutscher Mystik des 16. Jahrhunderts». Göttingen 1963. S. 15f. – Smirin hat insbesondere den starken Einfluss Taulers und der spätmittelalterlichen Ketzerbewegungen auf Müntzer hervorgehoben.
Ausgedrückte Entblößung, S. 308, 31f.
Alexander Weill: «Der Bauernkrieg». Weimar 1947. S. 163
B. 77, S. 457
Zit. bei Bensing, a.a.O., S. 122f.
Bensing, a.a.O., S. 151f.
B. 88, S. 467f.
B. 89, S. 469f.
B. 92, S. 472
B. 93, S. 472f.
Franz, a.a.O., S. 269
Bloch, a.a.O., S. 87
Steinmetz, a.a.O.
Prager Manifest (kürzere Fassung), S. 494, 27f.
B. 94, S. 473, 18f.
Bensing, a.a.O., S. 245
B. 52, S. 407, 23f.
B. 64, S. 430, 29f.
S. 278, 37–279, 7
Vieles haben die kleinen Leute, die Hungrigen, die Gebundenen, die Entrechteten, die «Bettler um Geist» den Satten, den Etablierten, den vermeintlich Freien voraus: den Durchblick durch die allzu engen Horizonte, das Verlangen, aufzubrechen, um selbst Unmögliches zu erreichen, eine Hoffnung, die mehr ist als ein abstraktes Prinzip, Hoffnung als eine Gewissheit und als Triebkraft auf dem Richtweg nach vorne.
Das bekamen die Sklavenhalter Altägyptens zu spüren, als die Söhne Jakob-Israels ihren Stammesgott als den Gott des Exodus, des Aufbruchs und des Voranschreitens begriffen und als sie sich auf den Weg machten. Im Namen dieses Gottes wurde der Kleinbauer und Schafzüchter Arnos von Tekoa zum Propheten wider die Unterdrücker und Ausbeuter, wider die Opferpriester und Verwalter eines veräußerlichten, geistig ausgehöhlten Kultus. Und der Rabbi Jesus von Nazareth, «der Zöllner und der Sünder Geselle» – all denen ein Dorn im Auge, die seit eh und je Heiliges wie ein Gewerbe treiben –, nährte die unauslöschliche Sehnsucht in den Herzen seiner Nachfolger, als er sie inbrünstig beten lehrte: Dein Reich komme! Das musste viele beunruhigen, ja den «ganzen Weltkreis erregen» (Apostelgeschichte 17, 6).
Thomas Müntzer ist einer von ihnen, ein tief Erregter, Erregender, Beunruhigender, einer, der für die Vergessenen, immer wieder Eingeschüchterten eingetreten ist; der sich nicht gescheut hat, im Blick auf den Anbruch des Reiches im Zeitalter der Reformation zum Anwalt der Revolution zu werden. Ernst Bloch hat recht: «Mit Zeus, Jupiter, Marduk, Ptah, gar Vitzliputzli hätte Thomas Münzer das nicht geschafft, was er mit dem Auszug aus Ägypten und dem gar nicht so sanften Jesus zu läuten anfing.»[1] Um Müntzer und um jene zu verstehen, für die er den Mund auftat und sein Leben riskierte, muss man das 15., 16. Jahrhundert als zwei Jahrhunderte großer religiöser und gesellschaftlicher Unruhe zu verstehen suchen.
Wann und wo fing das an? Es ist schwierig, einen Punkt zu bezeichnen, von dem aus die Entwicklung ihren Lauf genommen hat, die zu Thomas Müntzer und über ihn hinaus führte. Der Ruf nach einer umfassenden «Reformation an Haupt und Gliedern» ging im 15. und 16. Jahrhundert durch die gesamte Christenheit. Gewiss ist das religiöse Moment dieser Forderung nicht zu verkennen. Es war zunächst in erster Linie die Kirche, bei der die Reform anzusetzen hatte. Die Einheitskultur des Spätmittelalters ist aber schwerlich in eine geistliche und in eine weltliche Sphäre aufzuspalten. Richtig ist daher auch, dass das Verlangen nach einer grundlegenden Reformation Kirche und Welt, den religiösen und den gesellschaftlichen Bereich umfasste. Reformation wollen und Reformation auch tatsächlich betreiben war aber offenbar zweierlei, bedeutete doch gerade die reformatorische Tat massive Kritik an den alteingesetzten Institutionen, an der so gut wie unangreifbaren Kirche und den oft fragwürdigen Praktiken ihrer Führungsschicht. Nicht wenigen ist es übel bekommen, die folgerichtig die Konsequenzen aus dem allgemeinen Wunsch nach einer Veränderung aller Dinge gezogen haben. Die Ketzergeschichte, vornehmlich des ausgehenden Mittelalters, kann mit Belegmaterial aufwarten.
Am 4. Mai 1415 fällte das in Konstanz tagende «Reform»-Konzil der römischen Kirche sein Urteil über 45 Sätze des englischen Theologen John Wyclif, der ähnlich wie Petrus Waldus, der Kaufmann aus Lyon, und später der Italiener Girolamo Savonarola zu den Vorreformatoren gezählt wird. Wyclifs Theologie, die der Selbstentfremdung der katholischen Kirche zu Leibe ging, hatte in Böhmen ebenso entschiedene Parteigänger wie Gegner gefunden. Am 6. Juli 1415 stand der Tscheche Jan Hus, Theologieprofessor und Prediger in Prag, in Konstanz auf dem Scheiterhaufen, weil er sich nicht nur zu Wyclifs Thesen bekannt hatte, sondern einer Reform der Kirche den Weg bereiten wollte. «Das Konzil hatte über ihn triumphiert. Aber nur dem äußeren Schein nach war er unterlegen», schreibt Renate Riemeck in ihrer bemerkenswerten Hus-Biographie.[2] Ein Schrei der Entrüstung ging durch Böhmen. In der hussitischen Bewegung der Utraquisten und der radikalen Taboriten brach sich der reformerische und der revolutionäre Wille Bahn. Mit Feuer und Schwert verkündeten die Taboriten ihre Botschaft vom Anbruch des Jüngsten Gerichts, als dessen Vollstrecker sie sich fühlten. Während die Gemäßigten (Kalixtiner) für den Laienkelch bei der Austeilung des Abendmahls, für eine communio sub utraque specie, für eine Kommunion unter beiderlei Gestalt (Brot und Wein), eintraten, verfolgten die Radikalen nicht zuletzt sozialrevolutionäre Ziele.
Was von Böhmen aus in den übrigen mitteleuropäischen Umkreis hinein ausstrahlte, entsprach im 15. Jahrhundert der allgemeinen Erwartung großer Dinge. Die große Verderbnis in der Kirche, bei Klerikern und Mönchen, war ebenso wenig zu übersehen wie der Egoismus der Grundherren und Adeligen. Volksprediger wie Geiler von Kaysersberg und Satiriker von der Art eines Sebastian Brant («Das Narrenschiff») haben je auf ihre Weise die Zeitlage mit scharfem Wort und mit spitzer Feder kritisiert. «Der Himmel selbst ist käuflich geworden!», so lautete eine der bitteren Anklagen. Nikolaus von Kues, der spätere große Kardinal, schrieb noch als unbekannter Theologe und Teilnehmer beim Baseler Konzil sein Buch «De concordantia catholica», in dem er die «Verunstaltungen und Gefahren» in Kirche und Reich als eine «tödliche Krankheit» charakterisierte. Aber die Konzile von Pisa und Konstanz (1409–18) bzw. von Basel und Ferrara-Florenz (1431–49) gaben keine Antwort auf die brennenden Fragen der Zeit. Die zur politischen Führung Berufenen wussten keinen Ausweg, um die Bedrängnis der Geringen, das heißt der kleinen Bauern und der unbemittelten Handwerker und Kleinbürger, zu beseitigen. Vor allem fehlte es an dem nötigen Mut zu einer Veränderung der Gesellschaft, die dem im aufblühenden Humanismus sich herausgestaltenden Bild vom autonomen Menschen entsprochen hätte.
Wie groß die Hoffnung auf die Neuwerdung aller Dinge war, drückt auch die politisch-kirchenpolitische Programmschrift eines Ungenannten aus, die unter der Bezeichnung «Reformatio Sigismundi» um das Jahr 1439 in Umlauf kam und bis ins 16. Jahrhundert hinein mehrere Auflagen erlebte. «Die hohen Häupter sind nicht zu mahnen, wann sie das Unrecht innehaben mit Gewalt», heißt es da. «Aller Gebrechen Grund aber liegt in zwei Stücken: an der Simonie, das ist der Hang zum Wucher bei der Geistlichkeit und bei den Weltlichen am Hang zum Geiz.» Damit ist das Grundübel auf eine kapitalistische Gesinnung zurückgeführt. Die Reformatio, die als ein Traum des Kaisers Sigismund vorgestellt wird, zielt auf Umgestaltung der sozialen und politischen Ordnung hin, eine Umgestaltung, die beim «Haus des Herrn», bei der Kirche also, beginnen müsse. Das Papsttum, die Bischöfe, Kirchengemeinden, Klöster und geistlichen Orden sind in die reformatorischen Maßnahmen einzubeziehen. «Soll man aber kommen zu göttlicher Ordnung, so muß es geschehen durch Gottes und durch das weltliche Schwert. Man soll es brauchen in rechten Nöten um Gottes und des Glaubens willen und um Gerechtigkeit.» Voraussetzung für die Neuwerdung ist das richtige Verständnis der sieben Sakramente. Es unterliegt keinem Zweifel, dass einige Gesichtspunkte der Reformation Luthers durch die «Reformatio Sigismundi» bereits vorweggenommen erscheinen, zumal das Prinzip eines allgemeinen Priestertums aller Gläubigen zur Sprache kommt.
Hauptziel des ungenannten Verfassers wie das anderer Kritiker seiner Zeit ist die Herstellung einer gerechten und vollkommenen Weltordnung, in der das alte, das überkommene Recht zurückgewonnen werden soll, die iustitia dei (Gerechtigkeit Gottes) im Gegensatz zu dem späteren, vor allem von den Bauern nicht verstandenen Römischen Recht, dessen sich die Unterdrücker bedienten. Eine Unterscheidung von «göttlichem» und «natürlichem» Recht, wie sie etwa in Luthers Zwei-Reiche-Lehre begegnet, kennt die «Reformatio Sigismundi» nicht. Alles Recht, alle Rechtsprechung habe letztlich von dem Kaiser auszugehen. Und da sich die Schrift gleichzeitig mit der ländlichen Bevölkerung beschäftigt, gilt es, die Interessen des kleinen Mannes, des Bauern, des Handwerkers und Tagelöhners zu schützen. An der Änderung der Dinge wird ein geweissagter, hier und andernorts oftmals anvisierter «Kaiser Friedrich» beteiligt sein. Bald ist der erhoffte Reformator ein «oberster Pfarrer», der über die Autorität verfügt, um selbst den Papst einzusetzen und abzuberufen, ein «starker Mann» also, vor dem die Machthaber und Gewaltigen dieser Zeit nicht bestehen können. Was Kaiser Sigismund über die nach ihm benannte Reformatio träumt, erschaut drei Jahrzehnte danach einer aus dem Volk, Hans Böhm, Hirt im fränkischen Taubergrund, genannt der Pfeifer (oder Pauker) von Niklashausen.
«Zum ersten untersteht er sich, ohne Unterlaß vor dem Volk zu predigen und zu sagen, so wie im folgenden geschrieben steht: Wie ihm die Jungfrau Maria, die Mutter Gottes, erschienen sein soll und ihm offenbart habe den Zorn Gottes wider das Menschengeschlecht und insbesondere wider die Priesterschaft. Daß Gott daher habe strafen wollen und Wein und Korn auf den Kreuztag hätten sollen erfroren sein, das aber habe er abgewandt durch sein Gebet. Wie im Taubertal ebenso große, vollkommene Gnade sein soll und noch mehr als zu Rom oder sonstwo. Welcher Mensch ins Taubertal kommt, der erlange alle vollkommene Gnade, und wenn er sterbe, so fahre er vom Mund (aus dem die Seele entfleucht) auf zum Himmel.» Aber nicht nur dies berichtet einer der Informanten, den die kirchliche Obrigkeit nach Niklashausen geschickt hat. Der «heilige Jüngling», der zur Fastenzeit des Jahres 1476 als ungelernter Laie zu predigen begann und dem die Bauern von nah und fern zu Tausenden zuströmten, bis ihn der Würzburger Bischof gefangen nehmen ließ und mundtot machte, erregte nicht allein um des Predigens willen Ärgernis. Die revolutionäre Note erweckte tiefes Erschrecken, denn in dem Bericht über diese Predigt heißt es weiter: «Wie der Kaiser ein Bösewicht sei, und mit dem Papst ist es nichts. Der Kaiser verleihe dem Fürsten, Grafen und Ritter und Knecht, geistlichen und weltlichen Zoll und Steuer über das gemeine Volk, ach weh, ihr armen Dummköpfe! Die Geistlichen haben viele Pfründen, das soll nicht sein. Sie sollen nicht mehr haben als von Mal zu Mal. Sie werden erschlagen, und in Kürze werde es dazu kommen, daß der Priester sein kahles Haupt mit der Hand bedecken möchte, damit man ihn nicht erkennt. Wie der Fisch im Wasser und das Wild auf dem Feld Gemeineigentum sein soll … Es kommt noch dazu, daß die Fürsten und Herren um einen Taglohn arbeiten müssen … Er wolle noch eher die Juden [die kein sonderliches Ansehen hatten] bessern als die Geistlichen und Schriftgelehrten … Die Priester sagen, ich sei ein Ketzer, und wollen mich verbrennen. Wüßten sie, was ein Ketzer ist, sie erkennten, daß sie Ketzer sind und ich keiner. Verbrennen sie mich aber – weh ihnen! Sie werden wohl merken, was sie getan haben, und der Schaden wird an ihnen abgehen!»[3]
Im Jahre 1476 genügten solche Sätze, als gefährlicher Ketzer und Volksaufwiegler durch Verbrennung gerichtet zu werden. Im Juli ereilte Hans Böhm dies Schicksal, das er geahnt hatte. Und die Prophetie seiner Worte, die die geistlichen und weltlichen Herren betraf? – Weniger als ein halbes Jahrhundert später wütete der Bauernkrieg in den deutschen Gauen. Die Ungeduld der Bauern, der Lohnknechte und der noch Ärmeren war nicht länger zu zügeln. Böhms Flammentod wurde zum Fanal für die unzähligen, meist unbekannt gebliebenen kleinen und großen Bauernführer samt ihren Genossen, die sich endlich mit Gewalt das Recht verschaffen wollten, das ihnen und ihren Vorfahren durch Bitten und durch Fronen nicht zuteilgeworden war. Und als die verschiedenen Bauernbünde im süddeutschen Raum, in der Schweiz und in Österreich, im Südschwarzwald, am Oberrhein, in Franken und in Mitteldeutschland ihre Fahnen entrollten, hatte sich längst einer mit ihnen solidarisiert, der zwar nicht ihrem Stand angehörte, aber für ihr Recht eiferte und für den die Gerechtigkeit Gottes eine Sache war, bei der es um Sein oder Nichtsein ging, eine Sache, die man nicht nur mit religiös Begabten erörtern oder vor einer beschaulichen Gemeinde im umfriedeten Kirchenraum predigen konnte, sondern die man den Betroffenen – Bauern wie Herren – Auge in Auge sagen musste. Thomas Müntzer war dieser Mann, ein Umstrittener und Angefochtener, jedenfalls kein Leisetreter. Und da er scheiterte und zu seinen Lebzeiten keinen ebenbürtigen Anwalt seiner Sache fand, dafür aber prominente, nicht weniger eifrige Gegner und Verleumder, fiel von Anfang an ein tiefer Schatten auf sein Leben und Wirken.
Der prominenteste Widerpart, einer der ganz wenigen, die Müntzers Elan geistig und religiös gewachsen waren, wurde Martin Luther. Der Erfurter, später Wittenberger Augustiner hatte der mächtigen römischen Kurie den offenen Kampf anzusagen gewagt, als er die florierende, kirchlich geförderte Himmelslotterie des Ablassgeschäftes demaskierte (1517), als er verschiedene Glaubensverhöre und theologische Disputationen (1518/19) durchstand, in denen er sich gegen die Unfehlbarkeit von Päpsten und Konzilen wandte, die päpstliche Bannandrohungsbulle (1520) öffentlich verbrannte, in Worms (1521) vor Kaiser und Reich sich auf die Schrift und sein Gewissen berief und dadurch die alten Autoritäten durch neue ersetzte. Hätte der Feuergeist dieses Mönchs den Eiferer für die gerechte Sache der Bauern nicht begeistern müssen? Es geschah. Müntzer ergriff zunächst Luthers Partei. Und doch zeigte der rasche Verlauf des Reformationsgeschehens, dass der Wittenberger lediglich eine theologisch-kirchliche Reform, keinesfalls aber eine religiös motivierte Revolution wollte, die auch die materiellen Voraussetzungen der gesellschaftlich Deklassierten änderte. So konnte Luther die in ihn gesetzten Hoffnungen und Sympathien der Bauern ebenso wenig erfüllen wie die der Ritter (Franz von Sickingen, Ulrich von Hutten) oder der Humanisten (Erasmus von Rotterdam). Mit großem Misstrauen blickte der Reformator auf die entschiedenen und eilfertigen Verfechter seiner Lehre, die von der Predigt flugs zur Aktion schritten und die gewohnte Kindertaufe durch die in Verbindung mit ernsthafter Christusnachfolge geübte Glaubenstaufe der Erwachsenen ersetzten. Aufrührern, Empörern wider die Obrigkeit und Bilderstürmern gegenüber konnte Luther nur mit dem Ausdruck des Abscheus und des Hasses reagieren.
So war der Reformation binnen kurzer Zeit vor und nach dem Jahr 1525 ein «linker Flügel» erwachsen. Er setzte sich aus Täufern und Spiritualisten, aus Sozialrevolutionären wie Müntzer und sogenannten Schwärmern zusammen, zu denen Luther selbst die oberdeutschen und schweizerischen Reformatoren wie Huldrych Zwingli oder Johannes Oekolampadius rechnete. Besonnene Historiker, die Luthers Bewertung dieser Gruppen mit kritischer Distanz beurteilen, erblicken in ihnen Anzeichen von «Mangelerscheinungen der sich damals unter Luthers Einfluß konstituierenden evangelischen Christenheit»[4]. Es ist aber auch nicht so, dass heute Thomas Müntzer allein von seinen sozialistischen Schülern gegen manche allzu orthodox-lutherischen Verleumder in Schutz genommen wird. Seine Parteigänger finden sich an allen Fronten.
Thomas Müntzers Aktivität, durch die er berühmt und berüchtigt geworden ist, scheint auf ein halbes Jahrzehnt zusammengedrängt. Es sind die Jahre von 1520 bis Ende Mai 1525, die zugleich zu den bewegtesten des Reformationsdramas gehören. In diesen fünf Jahren fallen wichtige Entscheidungen: für Martin Luther und die Reformation, für die Bauern in ihrem Ringen um elementare Menschenrechte, für Thomas Müntzer und die gesellschaftliche Revolution in Mitteldeutschland. Ins Licht der Geschichte tritt die Gestalt eines dreißig- bis fünfunddreißigjährigen Theologen und Predigers, den die Leidenschaft der reformatorischen Lehre ergriffen hat, über dessen Herkunft, Jugendentwicklung und erste Mannesjahre wir nur wenig wissen. Ein Biograph Müntzers muss sich daher mit einem Minimum an zuverlässigen Daten zufriedengeben.
1490 gilt als Müntzers Geburtsjahr, ist jedoch nicht exakt feststellbar. In Stolberg am Harz wird er als Sohn eines nicht ganz unvermögenden Handwerksmeisters geboren. Ich, Thomas Müntzer, bürtig von Stolberg[5], beginnt er selbstbewusst sein Prager Manifest im November 1521. In seiner Protestation von 1524 heißt es: Ich, Thomas Müntzer von Stolberg aus dem Harze, ein Knecht des lebendigen Gottessohns durch den unwandelbaren Willen und unverrückliche Barmherzigkeit Gottes …[6]
Die weiteren Stationen seines Lebensganges sind rasch aufgezählt. In Quedlinburg wächst der Junge heran. In Leipzig und Frankfurt an der Oder studiert er und erwirbt den Magistergrad. Es sind die Jahre zwischen 1506 und 1512. Das Wissen, das er sich angeeignet hat, übersteigt die Qualifikation eines Priesters bei weitem. Eine umfassende humanistische Bildung steht ihm zu Gebote. Neben der selbstverständlichen Kirchen- und Gelehrtensprache, dem Latein, beherrscht er das Griechische und das Hebräische. Die erste brauchbare hebräische Grammatik («De rudimentis hebraicis libri tres») hatte Johannes Reuchlin 1506, und die erste kritische Ausgabe des griechischen Neuen Testaments hatte Erasmus von Rotterdam zehn Jahre danach herausgebracht. Der literarisch gebildete Müntzer liest die antiken Schriftsteller, von Platons «Staat» bis Apuleius’ «Metamorphosen». Er nennt eine für die damalige Zeit umfangreiche Bibliothek sein Eigen. Neben einem intensiven Studium der Bibel, dessen Ertrag sich auf jeder Seite seiner mit Zitaten und Anspielungen angereicherten Schriften findet, steht das Studium der frühchristlichen Kirchenväter. Nachhaltigen Einfluss übt die mittelalterliche deutsche Mystik auf den späteren revolutionären Prediger und Flugschriftenautor aus. Durch Luther lässt sich Müntzer auf Johannes Tauler aufmerksam machen. Taulers Predigten begleiten ihn auf seinen zahlreichen Wanderschaften. Laufend informiert er sich über literarische Neuerscheinungen. «Buchführer», reisende Buchhändler wie Hans Hut, gehören daher auch zu seinen Briefpartnern.
Was die äußeren Ereignisse von Müntzers kurzem Leben anlangt, gestand er angeblich während der Gefangenschaft nach der Schlacht von Frankenhausen im Mai 1525, er sei in seiner Jugend zu Aschersleben und Halle an einem «Verbündnis» gegen Erzbischof Ernst von Magdeburg-Halberstadt beteiligt gewesen.[7] Da der Kirchenfürst bereits 1513 starb, wäre der – nicht sicher belegbare Vorgang – entsprechend früh anzusetzen. In Dresden wird eine Pergamenturkunde aufbewahrt, in der der Rat der Altstadt von Braunschweig «Thomam Munther Halber(stadensis)» für eine Altarpfründe in der Sankt Michaelskirche von Braunschweig vorschlägt. Das Dokument, das sich in Müntzers Briefsack gefunden haben kann, trägt das Datum vom 6. Mai 1514.
1516 hält sich Müntzer in Frose bei Aschersleben auf, wo er auch Unterricht erteilt. Halberstädter Bürgersöhne gehören zu seinen Schülern. In einem Brief an ihn vom 25. Juli 1517[8]