Aus dem Italienischen übertragen
und mit Erläuterungen von Karl Witte
Mit 136 Illustrationen von Gustave Doré
Anaconda
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Titel der italienischen Originalausgabe: La Divina Commedia (Foligno 1472)
Die Übertragung von Karl Witte erschien zuerst 1865 bei Becker in Berlin.
Sie wurde für diese Ausgabe auf neue deutsche Rechtschreibung umgestellt.
Die 136 Illustrationen von Gustave Doré wurden der Ausgabe Dante Alighieri’s Göttliche Komödie. Uebersetzt von Wilhelm Krigar. Illustrirt von Gustav Doré. Mit einem Vorwort von Dr. Karl Witte. 3 Bände. Berlin o. J. [1870–1871] entnommen.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.
© 2015 Anaconda Verlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Umschlagmotiv: nach Gustave Doré (1832–1883), Paradiso, Canto 31, Illustration zu Die göttliche Komödie von Dante Alighieri (digital kolorierte Radierung), Private Collection / © Costa / Leemage / Bridgeman Images Umschlaggestaltung: Druckfrei. Dagmar Herrmann, Bonn
ISBN 978-3-7306-9154-0
V002
www.anacondaverlag.de
Es war in unseres Lebensweges Mitte, | (1) |
Als ich mich fand in einem dunklen Walde; | |
Denn abgeirrt war ich vom rechten Wege. | |
Wohl fällt mir schwer, zu schildern diesen Wald, | (4) |
Der wildverwachsen war und voller Grauen | |
Und in Erinnrung schon die Furcht erneut: | |
So schwer, dass Tod zu leiden wenig schlimmer. | (7) |
Doch um das Heil, das ich dort fand, zu künden, | |
Will, was ich sonst gesehen, ich berichten. – | |
Wie ich hineingelangt, kann ich nicht sagen, | (10) |
So schlafbenommen war ich um die Zeit, | |
Als ich zuerst den wahren Weg verlassen. | |
Doch, als ich eines Hügels Fuß erreichte, | (13) |
An welchem jenes Tal zu Ende ging, | |
Das mir das Herz mit solcher Furcht befangen, | |
Blickt’ ich empor, und sah des Hügels Schultern | (16) |
Bekleidet schon mit des Planeten Strahlen, | |
Der uns den rechten Pfad zeigt allerwege. | |
Beruhigt wurde da die Furcht ein wenig, | (19) |
Die in des Herzens See mir angedauert | |
Die Nacht durch, die so angstvoll ich verbrachte. | |
Wie einer, der mit ganz erschöpftem Atem, | (22) |
Dem Meer entronnen, das Gestad’ erreicht, | |
Auf die verräterische Flut zurückblickt, | |
So wandte sich mein Geist, noch immer fliehend, | (25) |
Zurück, um zu beschaun die dunkle Talschlucht, | |
Die keinen, der drin weilt, lebendig ließ. – | |
Als etwas ich den müden Leib gerastet, | (28) |
Setzt’ ich den Weg am wüsten Abhang fort, | |
Sodass der ruh’nde stets der untre Fuß war. | |
Doch, siehe, fast bei dem Beginn des Anstiegs, | (31) |
Ein Panthertier, leichtfüßig und behände, | |
Das überdeckt war mit geflecktem Haare. | |
Vor meinen Augen wich das Untier nimmer | (34) |
Und störte mich so sehr in meinem Wege, | |
Dass mehrmals schon zur Umkehr ich mich wandte. | |
Es war die Zeit der ersten Morgenfrühe; | (37) |
Die Sonne stieg empor mit jenen Sternen, | |
Die sie begleiteten, als Gottes Liebe | |
Zuerst bewegte diese schönen Dinge, | (40) |
Sodass kein Unheil mich befürchten ließ | |
Von jenem Tier mit bunt geflecktem Felle | |
Die Stunde, wie die schöne Jahreszeit. | (43) |
Doch war darum der Schrecken nicht geringer, | |
Der mich ergriff beim Anblick eines Löwen, | |
(Erhabnen Hauptes und mit grimmem Hunger | (46) |
Kam dieser dräuend auf mich zugeschritten, | |
Sodass die Luft vor ihm zu fürchten schien) | |
Und einer Wölfin, die von jeder Gier | (49) |
Besessen schien in ihrer Magerkeit, | |
Und über viele schon Verderben brachte. | |
Sie gab mir durch die Furcht, die von ihr ausging, | (52) |
So großes Ungemach, dass ich die Höhe | |
Des Berges zu erreichen nicht mehr hoffte. | |
Und wie der Mann, der gern Reichtümer sammelt, | (55) |
Wenn eine Zeit kommt, die Verlust ihm bringet, | |
In seinem Herzen sich betrübt und wehklagt, | |
So ward mir ob des friedelosen Tieres, | (58) |
Das wie es auf mich zukam, ganz allmählich | |
Mich dahin drängte, wo die Sonne schweiget. | |
Und während ich zur Tiefe niederstürzte | (61) |
Erschien mir plötzlich eines Manns Gestalt, |
Der heiser mir, vor langem Schweigen, däuchte. | |
Als in der großen Wüst’ ich den erblickte, | (64) |
Rief flehend ich ihn an: Erbarm dich meiner, | |
Sei’st du ein Lebender, sei’st du ein Schatten. – | |
Kein Lebender, wohl war ich einst ein solcher. | (67) |
Lombarden waren meine Eltern beide | |
Und ihre Vaterstadt war Mantova. | |
Geboren unter Julius, wenn auch spät, | (70) |
Lebt’ ich in Rom zur Zeit Augusts des guten, | |
Als man die falschen Lügengötter ehrte. | |
Ein Dichter war ich, sang von des Anchises | (73) |
Gerechtem Sohne, der von Troja kam, | |
Als Ilion war verbrannt, die stolze Veste. | |
Doch du, weshalb zu so viel Plage kehrst du? | (76) |
Weshalb ersteigt du nicht den schönen Berg, | |
Der Anfang ist und Ursach aller Freude? – | |
So bist du der Virgil und jene Quelle, | (79) |
Der so gewalt’ger Redestrom enfließet? | |
Entgegnet ich mit schamgefärbter Stirne. | |
O Licht und Ehre du der andren Dichter, | (82) |
Mein Eifer, meine Liebe für dein Buch, | |
Die ich bewährt, sei’n mir bei dir Empfehlung. | |
Du bist mein Meister, du mein hohes Vorbild, | (85) |
Und nur von dir hab’ ich die schöne Schreibart | |
Entnommen, die zur Ehre mir gereichte. | |
Sieh jenes Tier, das mich zur Umkehr trieb. | (88) |
Errette mich vor ihm, gepriesner Weiser, | |
Denn Puls’ und Adern macht es mir erbeben. – | |
Willst du entgehen diesem argen Orte, | (91) |
Erwidert’ er, als er mich weinen sah, | |
So musst zu and’rer Reise du dich wenden, | |
Denn jenes Tier, das deiner Klagen Anlass, | (94) |
Gestattet niemand, diesen Weg zu ziehen. | |
Es hindert jeden, bis es ihn getötet. | |
So bös geartet ist es, so verworfen, | (97) |
Dass seine schnöde Gier es nimmer sättigt | ||
Und nach dem Fraß mehr Hunger als zuvor hat. | ||
Viel Tiere sind, mit denen es sich gattet, | (100) | |
Und mehr noch werden sein, bis dass der Rüde | ||
Erscheinen wird, der unter Qual es tötet. | ||
Nicht Land, nicht Silberblech sind seine Speise, | (103) | |
Wohl aber Weisheit, Christenlieb’ und Tugend. | ||
Daheim ist zwischen Feltro er und Feltro. | ||
Italien wird er retten, das gebeugte, | (106) | |
Für das Camilla einst, die Jungfrau, starb, | ||
Eurialus, Turnus, Nisus sich verblutet. | ||
Von Stadt zu Stadt wird er die Wölfin jagen, | (109) | |
Bis er zurückgetrieben sie zur Hölle, | ||
Von wo der erste Neid sie losgelassen. | ||
Weshalb zu deinem Heil ich denk’ und ordne, | (112) | |
Dass du mir folgst; ich will dein Führer sein. | ||
Geleiten werd’ ich dich durch ew’ge Räume, | ||
Wo der Verzweiflung Schrei du wirst vernehmen | (115) | |
Von jenen alten schmerzgebrochnen Geistern, | ||
Die alle nach dem zweiten Tod begehren. | ||
Dann wirst du jene sehn, die in den Flammen | (118) | |
Zufrieden sind, weil sie, wie spät auch immer, | ||
Zu den Erwählten zu gelangen hoffen. | ||
Willst auch zu diesen du empor dann steigen, | (121) | |
Wird eine Seele, würdiger als ich bin, | ||
Dahin dich führen, wenn ich von dir scheide. | ||
Denn der dort oben herrscht, des Weltalls Kaiser, | (124) | |
Will, weil ich unbefolgt ließ sein Gesetz, | ||
Nicht, dass durch mich in seine Stadt man komme. | ||
Im Weltenall gebeut, doch dort regiert er, | (127) | |
Dort ist die Stadt und dort sein hoher Thron. | ||
Gesegnet ist, wen dort er auserkoren. – | ||
Und ich zu ihm: O Dichter, ich beschwöre | (130) | |
Bei jenem Gotte dich, den du nicht kanntest, | ||
Damit ich dies und größ’res Unheil fliehe, |
Dass du mich dorthin führest, wo du sagtest, | (133) |
Sodass des heil’gen Petrus Tür ich sehe, | |
Und jene, die du schilderst als so traurig. – | |
Dann ging er, und ich folgte seinen Schritten. | (136) |
Der Tag entfloh, das abendliche Dunkel | (1) |
Entnahm die Tiere, die auf Erden weilen, | |
Allseitig ihrer Müh; nur ich allein | |
Bereitete mich vor zum Doppelkampfe | (4) |
Der Wanderschaft sowohl als auch des Mitleids, | |
Den die Erinn’rung, die nicht irrt, nun melde. | |
Jetzt, Musen, helft mir, hilf erhabner Geist, | (7) |
Gedächtnis, das verzeichnet, was ich schaute, | |
Hier möge sich dein Adel offenbaren! | |
O Dichter, hub ich an, der du mich leitest, | (10) |
Erwäge meine Kraft, ob sie auch hinreicht, | |
Eh du mich wagen lässt die kühne Wandrung. | |
Zwar sagst du, dass des Silvius frommer Vater, | (13) |
Verweslich noch zur wandellosen Welt | |
Gepilgert sei mit seinem Erdenleibe; | |
Doch, wenn der Feind des Bösen, in Erwägung | (16) |
Der Zukunft, die sich an Aeneas knüpfte, | |
Des wer und was, ihm solche Gunst gewährte, | |
Kann tiefer Denkende das nicht befremden, | (19) |
Weil er erkoren war im Empyreum | |
Zum Vater Roms und seines hohen Weltreichs. | |
Denn beides war, die Wahrheit zu bekennen, | (22) |
Vorherbestimmt zum gottgeweihten Orte, | |
Wo der Nachfolger Petri seinen Sitz hat. | |
Auf jener Wanderung, die du ihm nachrühmst, | (25) |
Vernahm er Dinge, die zu seinem Siege |
Und zu der Päpste Mantel mitgewirket. | ||
Auch das erwählte Rüstzeug ging hinüber, | (28) | |
Um für den Glauben Kräftigung zu bringen, | ||
Der Anfang ist zum Wege der Erlösung. | ||
Doch welchen Grund hab’ ich und wer gewährt mir’s | (31) | |
Aeneas bin ich nicht und bin nicht Paulus; | ||
Für würdig hält mich niemand und ich selbst nicht. | ||
Drum, wenn dem Wunsch des Gehns ich mich ergebe, | (34) | |
Befürcht’ ich Törichtes zu unternehmen. | ||
Erwäg’ es selbst, der weiser du als ich bist. – | ||
Und wie, wer nicht will, was zuvor er wollte, | (37) | |
Und, Neues sinnend, seinen Vorsatz ändert, | ||
Sodass sein erstes Ziel er gänzlich aufgibt, | ||
So widerfuhr mir an dem düstren Abhang. | (40) | |
Bedenkenvoll entsagt ich dem Beginnen, | ||
Das, als ich es ergriff, bei mir so feststand. – | ||
Wenn richtig deine Meinung ich verstanden, | (43) | |
Erwiderte der Schatten jenes Hohen, | ||
Hat Kleinmut deiner Seele sich bemächtigt, | ||
Der oft in solchem Maß den Mann betöret, | (46) | |
Dass er von ehrenvoller Bahn ihn abzieht, | ||
Wie falsches Sehn die Tiere, wenn sie scheuen. | ||
Damit von solcher Furcht du dich befreiest, | (49) | |
Vernimm, weshalb ich kam und was ich hörte, | ||
Als deiner mich zum ersten Mal erbarmte. | ||
Ich weilte da, wo Freude nicht noch Pein ist. | (52) | |
Da rief ein Weib mich, die so schön als selig, | ||
Sodass, mir zu gebieten, ich sie ansprach. | ||
Ihr Auge leuchtete so hell als Sterne, | (55) | |
Und leis’ und langsam hub sie zu mir an | ||
Mit engelgleichem Laut in ihrer Rede: | ||
Du wohlgesinnte Mantuanerseele, | (58) | |
Von deren Ruhm die Welt noch itzt erfüllt ist | ||
Und bleiben wird so lang’ als die Bewegung, | ||
Mein Freund, der aber nicht des Glückes Freund ist, | (61) |
Wird an dem wüsten Berghang so behindert | ||
In seinem Weg, dass er vor Furcht zurückweicht. | ||
Nach dem, was ich von ihm im Himmel hörte, | (64) | |
Besorg’ ich fast, er sei schon so verirret, | ||
Dass ich zu spät zur Hilfe mich erhoben. | ||
So eile denn, mit kunstgeübter Rede | (67) | |
Und dem, was sonst zu seiner Rettung nottut, | ||
Ihm so zu helfen, dass ich sei getröstet. | ||
Ich bin Beatrix, die zu gehn dir aufträgt. | (70) | |
Dorthin zurück, woher ich kam, verlangt mich. | ||
Die Liebe hieß mich gehn und heißt mich reden. | ||
Bin ich demnächst aufs Neu vor meinem Herren, | (73) | |
So werd’ ich oft, was du getan, ihm rühmen. – | ||
Dann schwieg sie; aber ich begann zu reden: | ||
O Frau, so hochbegnadigt, dass die Menschheit | (76) | |
Nur ihretwillen alles überraget, | ||
Was sonst noch in sich schließt der engste Himmel, | ||
So sehr ist mir, was du befiehlst, willkommen, | (79) | |
Dass, hätt’ ich’s schon getan, zu spät mir’s schiene; | ||
Mir deinen Wunsch mehr zu enthüll’n bedarf’s nicht. | ||
Doch, sage mir den Grund, dass du nicht Scheu trägst, | (82) | |
In diesen Mittelpunkt herabzusteigen | ||
Vom weiten Raum, wohin du dich zurücksehnst. – | ||
Verlangst du denn so tief eingehnde Auskunft | (85) | |
Sprach sie zu mir, will ich dir kurz berichten, | ||
Warum, hierherzukommen ich nicht fürchte. | ||
Furcht hegen soll man nur vor solchen Dingen, | (88) | |
Die Schaden uns zu tun, die Macht besitzen; | ||
Vor andren nicht, weil nichts an ihnen furchtbar. | ||
Durch seine Gnade schuf der Herr mich also, | (91) | |
Dass all’ eu’r Elend mich nicht kann berühren, | ||
Und dieses Brandes Flamme mir nichts anhat. | ||
Ein holdes Weib beklagt im Himmel droben, | (94) | |
Das Hindernis, zu dem ich dich entsende, | ||
Sodass sie harten Richterspruch dort umstößt. | ||
Lucien trat sie an mit ihrer Bitte, | (97) | |
Und ihre Worte waren: dein Getreuer | ||
Bedarf itzt dein und dir sei er empfohlen. – | ||
Lucia, die jedweder Härte Feind ist, | (100) | |
Begab sich zu dem Ort, wo ich verweilte, | ||
Wo ich mit Rahel saß, der Tochter Labans. | ||
Beatrix, sprach sie, wahres Lob des Herr’n, | (103) | |
Was hilfst du dem nicht, der dich so geliebt hat, | ||
Dass er um dich verließ den großen Haufen? | ||
Vernimmst du nicht den Schmerzlaut seiner Klage, | (106) | |
Gewahrst du nicht den Tod, der mit ihm streitet | ||
Am Flussgestade, schlimmer als der Meerstrand? – | ||
Dort in der Welt war niemand je so eilig, | (109) | |
Ihm Dienliches zu tun, zu fliehn den Schaden, | ||
Als ich, nachdem ich dieses Wort vernommen. | ||
Zu dir kam ich von meinem sel’gen Sitze, | (112) | |
Auf deiner würd’gen Rede Macht vertrauend, | ||
Die dich und alle, die sie hörten, ehret. – | ||
Als diese Wort sie zu mir gesprochen, | (115) | |
Verwandt’ in Tränen sie den Glanz der Augen, | ||
Wodurch sie zu noch größ’rer Eil mich antrieb. | ||
Wie sie geboten, kam ich her zu dir, | (118) | |
Und führte dich hinweg von jenem Tiere, | ||
Das dir zum Berg den graden Weg versperrte. | ||
Was hast du nun, dass du noch länger zauderst, | (121) | |
Was nährest solchen Kleinmut du im Herzen? | ||
Was hegst du Zuversicht und frischen Mut nicht, | ||
Da drei so hoch gebenedei’te Frauen | (124) | |
Im Himmelshof fürsorgend dein gedenken | ||
Und meine Rede solches Heil dir zusagt? – | ||
Wie Blümlein, die der Nachthauch schloss und senkte, | (127) | |
Sobald die Morgensonne sie erleuchtet, | ||
Sich auf dem Stiel aufrichten und erschließen, | ||
So kräftigte sich mein gesunkner Mut, | (130) | |
Und so viel Sicherheit gewann mein Herz, | ||
Dass ich begann, wie wer von Zweifeln frei ist: | ||
Gesegnet sei, die mir zu helfen eilte. | (133) | |
Dir aber dank ich, dass du gern bereit warst, | ||
Zu tun, wie wahrheitstreu sie dir gesagt hat. | ||
Den Wunsch, mit dir zu gehn, hast du im Herzen | (136) | |
Mir also angefacht durch deine Worte, | ||
Dass ich zurück zum ersten Vorsatz kehrte. | ||
So geh’ denn; nur ein Will’ ist in uns beiden. | (139) | |
Sei du mir Herr, mir Meister, sei mir Führer. – | ||
Da wandt’ er sich zum Gehn, und unsre Schritte | ||
Betraten einen Pfad, der rau hinabstieg. | (142) |
Der Eingang bin ich zu der Stadt der Schmerzen, | (1) | |
Der Eingang bin ich zu den ew’gen Qualen, | ||
Der Eingang bin ich zum verlor’nen Volke. | ||
Gerechtigkeit bestimmte meinen Schöpfer, | (4) | |
Geschaffen ward ich durch die Allmacht Gottes, | ||
Durch höchste Weisheit und durch erste Liebe. | ||
Vor mir entstand nichts, als was ewig währet, | (7) | |
Und ew’ge Dauer ward auch mir beschieden; | ||
Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren. | ||
In dunkler Farbe sah ich diese Zeilen | (10) | |
Als einer Pforte Inschrift. Drum begann ich: | ||
O teurer Meister, düster ist ihr Sinn mir. – | ||
Er aber sprach, das rechte wohl erfassend: | (13) | |
Absagen musst du jeglichem Bedenken | ||
Und jeden Kleinmut hier in dir ertöten. | ||
Gelangt sind wir dahin, wo ich dir sagte, | (16) | |
Du würdest sehn die schmerzerfüllten Scharen, | ||
Die der Erkenntnis hohes Gut verloren. – | ||
Als seine Hand er dann gelegt in meine | (19) |
Mit heit’rer Miene, die mir Mut gewährte, | |
Führt’ er mich ein in die geheimen Dinge. | |
Hier tönten Seufzer, Schluchzen, laute Klagen | (22) |
Erschütternd durch die sternenlose Luft, | |
Sodass zu Anfang ich mitweinen musste. | |
Verschiedne Zungen, grauenvolle Sprachen, | (25) |
Des Schmerzens Worte, zornentbrannte Töne, | |
Erstickt’ und laute Rufe, Schlag der Hände, | |
Sie bildeten ein wildverworrnes Tosen, | (28) |
Das in der ewig düstren Luft sich umtreibt, | |
Wie bei des Wirbelwindes Wehn der Sand tut. | |
Ich aber, dem das Haupt Entsetzen einnahm, | (31) |
Begann: Was ist das, Meister, was ich höre, | |
Und was für Volk, das übermannt vom Schmerz scheint? | |
Und er zu mir: Solch’ jammervolle Weise | (34) |
Verführen die unwürdigen Geister deren, | |
Die ohne Lob gelebt und ohne Schande. | |
Der Engel schlechter Schar sind sie verbunden, | (37) |
Die, ohne gegen Gott sich zu empören, | |
Ihm treu nicht, sondern unparteiisch waren. | |
Der Himmel Schönheit hätten sie getrübt, | (40) |
Auch nimmt die tiefre Hölle sie nicht auf, | |
Weil etwas Ruhm sie den Verdammten brächten. – | |
Da sprach ich: Meister, was ist denn so quälend | (43) |
Für sie, dass solche Klagen es hervorruft? – | |
Und er: Das will ich kürzlich dir berichten: | |
Der Tod hat Hoffnung ihnen nicht zu bieten, | (46) |
Und so verächtlich ist ihr blindes Leben, | |
Dass sie jedwedes andre Los beneiden. | |
Die Welt gestattet ihnen keinen Nachruhm; | (49) |
Erbarmen und Gerechtigkeit verschmäht sie. | |
Kein Wort von ihnen; schau, und geh vorüber. – | |
Ich blickte hin: Da sah ich eine Fahne, | (52) |
Die so geschwind umkreisend sich bewegte, | |
Dass zu verschmähn sie mir jedwede Rast schien. | |
Und hinterdrein lief solch endloser Haufen | (55) |
Von Volke, dass ich nimmermehr vermutet, | |
So viele habe schon der Tod vernichtet. | |
Und als erkannt ich hatte den und jenen, | (58) |
Erblickt’ und kannte ich den Schatten dessen, | |
Den Feigheit zum Verzicht, dem großen, antrieb. | |
Sofort ward ich bewusst mir und versichert, | (61) |
Dies sei die Schar der schmachbeladenen Seelen, | |
Die Gott und seinen Feinden gleich missliebig. | |
Die Elenden, die nimmer wahrhaft lebten, | (64) |
Sie waren nackt und wurden schwer gepeinigt | |
Von Bremsen und von Wespen, die dort waren. | |
Bei deren Stichen troff von Blut ihr Antlitz, | (67) |
Das tränenuntermischt zu ihren Füßen | |
Von ekelhaften Würmern ward verschlungen. | |
Und als ich weiter noch den Blick entsandte, | (70) |
Sah Schatten ich am Ufer eines Stromes; | |
Weshalb ich sprach: Gewähre mir nun, Meister, | |
Dass, wer sie sind, ich hör’, und welcher Antrieb | (73) |
Sie scheinbar so zur Überfahrt geneigt macht, | |
Wie in dem falben Licht ich unterscheide. – | |
Erfahren wirst du, sagt’ er, was du fragest | (76) |
Sobald wir hemmen werden unsre Schritte | |
Am Uferrand des traur’gen Acheron. – | |
Da senkte schamerfüllt ich meine Blicke | (79) |
Und, fürchtend, dass ihm lästig sei mein Reden, | |
Enthielt ich bis zum Flusse mich der Worte. | |
Und, sieh’, im Nachen kam herangefahren | (82) |
Ein Greis, der ob des Haares Alter weiß war, | |
Und ausrief: Weh euch, ihr verruchten Seelen! | |
Den Himmel hoffet nimmermehr zu schauen. | (85) |
Ans andre Ufer komm’ ich euch zu führen | |
In ew’ge Finsternis, in Frost und Hitze. | |
Und, die du dort verweilst, lebend’ge Seele | (88) |
Entferne dich von diesen, die gestorben. – |
Und als er sah, dass ich mich nicht entfernte, | |
Sprach er: Nicht hier, durch andre Weg’ und Häfen | (91) |
Wirst du zum Strand der Überfahrt gelangen; | |
Das Schiff, das einst dich tragen soll, ist leichter. – | |
Mein Führer aber sprach: Sei ruhig Charon. | (94) |
So will man’s droben, wo jedwedes Wollen | |
Zugleich ein Können ist; nicht frage weiter. – | |
Da glätteten sich die behaarten Wangen | (97) |
Des Fährmanns auf dem trübgefärbten Sumpfe, | |
Der um die Augen Flammenräder hatte. | |
Doch jene Seelen, nackend und ermattet, | (100) |
Verfärbten sich und klappten mit den Zähnen, | |
Sobald die harten Worte sie vernahmen. | |
Sie fluchten Gott und fluchten ihren Eltern, | (103) |
Der Menschenbrut, dem Ort, dem Tag, dem Samen, | |
Durch die gezeugt sie wurden und geboren. | |
Dann drängten sie sich unter lautem Weinen | (106) |
In dichten Scharen an das schlimme Ufer, | |
Das jedes wartet, welcher Gott nicht fürchtet. | |
Mit feur’gen Augen sammelt Teufel Charon | (109) |
Gebieterischen Winks die Seelen alle, | |
Schlägt mit dem Ruder jeden, der da zaudert. | |
Gleichwie zur Herbsteszeit die Blätter alle, | (112) |
Eins nach dem andern abfall’n, bis der Zweig | |
Am Boden alles sieht, das ihn bekleidet, | |
So stürzt hier Adams schuldbeladener Samen | (115) |
Sich Haupt für Haupt vom Ufer in den Nachen, | |
Wie Vögel tun, wenn sie den Lockruf hören. | |
Hinüber fahren sie auf dunkler Flut, | (118) |
Und eh’ dem Kahne drüben sie entstiegen, | |
Hat diesseits schon sich neue Schar gesammelt. | |
Mein Sohn, begann zu mir der güt’ge Meister, | (121) |
Die unter Gottes Zorne sterben, alle | |
Versammeln hier sich aus jedwedem Lande. | |
Auch ist zur Überfahrt bereit ein jeder; | (124) |
Die göttliche Gerechtigkeit ist ihnen Sporn, | |
Sodass die Furcht sich wandelt in Verlangen. | |
Nie fuhr noch fährt ein Guter hier hinüber! | (127) |
Darum, wenn Charon scheltend dich zurückweist, | |
Verstehst du nun den Sinn von seinen Worten. – | |
Darauf erzitterte die düstre Fläche | (130) |
So heftig, dass noch itzt in der Erinn’rung | |
Mich des Entsetzens Schweiß kalt überrieselt. | |
Ein Luftstoß drang aus dem betränten Boden, | (133) |
Worin ein roter Lichtesglanz erblitzte. | |
Darob entschwand mir jegliches Bewusstsein, | |
Und nieder sank ich, wie wen Schlaf ergriffen. | (136) |
Es brach den tiefen Schlaf in meinem Haupte | (1) |
Ein Donnerschlag, von dem ich jäh emporfuhr, | |
Gleich einem, den gewaltsam man erwecket. | |
Das ausgeruhte Auge ließ ich schweifen! | (4) |
Grad’ aufgerichtet schaut’ ich in die Runde, | |
Den Ort, wo ich verweilte, zu erforschen. | |
In Wahrheit fand ich mich am jähen Absturz | (7) |
Des tränenreichen Tals der Unterwelt, | |
Aus dem unnennbar’n Schmerzes Wehruf aufstieg. | |
So qualmerfüllt, so dunkel und so tief war’s, | (10) |
Dass ich, wie sehr ich auch das Auge schärfte, | |
In seinem Grunde nichts erkennen konnte. | |
Lass denn zur blinden Welt uns niedersteigen! | (13) |
Begann der Meister mit verstörtem Antlitz, | |
Voraufgehn will ich, und sei du der Zweite – | |
Und weil ich seine Blässe wahrgenommen, | (16) |
Sagt’ ich: Wie soll ich folgen, wenn Du zagest, | |
Der meinem Zweifel sonst Beruh’gung bringt? – | |
Er aber sprach: Die Seelenpein der Geister | (19) |
In diesem Kerker malt auf meine Wangen | |
Des Mitleids Farbe, welche du für Furcht hältst. | |
Auf denn! Zur Eile treibt des Weges Länge – | (22) |
So schritt er vor, so ließ er mich betreten | |
Der Kreise ersten, die den Abgrund gürten. | |
Hier war, so viel als meinem Ohr vernehmlich, | (25) |
Kein Weheklagen, sondern nur ein Seufzen, | |
Das jene ew’ge Luft erbeben machte: | |
Gram ohne Qualen war des Seufzens Ursach, | (28) |
Der auf den Scharen all, die viel und zahlreich, | |
Von Kindern, Frau’n und Männern, ewig lastet. | |
Mein Meister sprach: Du unterlässt zu fragen, | (31) |
Was es für Geister sind, die du hier siehest; | |
Doch sollst Du, eh wir weiter gehn, vernehmen, | |
Dass sie nicht sündigten. Und wenn Verdienste | (34) |
Sie hatten, g’nügt es nicht, weil ohne Taufe | |
Sie starben, welche deines Glaubens Teil ist. | |
Und lebten sie noch vor dem Christentume, | (37) |
So beteten zu Gott sie falscher Weise; | |
Und diesen bin ich selber beizuzählen. | |
Ob solchen Mangels, nicht ob andren Fehles, | (40) |
Sind wir verloren, und nur dadurch leidend, | |
Dass, ohne Hoffnung, wir in Sehnsucht leben. – | |
Denn ich begriff, wie Seelen höchsten Wertes | (43) |
In dieses Vorhofs Mittelzustand schwebten. | |
Sag’ an, mein Meister, sage mein Gebieter, | |
Begann ich, um Bestätigung zu finden | (46) |
Des Glaubens, welcher jeden Wahn vernichtet: | |
Ward einer je von hier befreit und selig | |
Durch fremdes, oder eigenes Verdienst? – | (49) |
Und er, verstehend die verhüllte Rede, | |
Entgegnete: Noch neu in diesem Zustand | |
War ich, als ein Gewaltiger daher kam, | (52) |
Um dessen Haupt sich Siegeszeichen wanden. |
Er raubte uns des ersten Vaters Schatten | ||
Und Abel seinen Sohn, Noah und Moses, | (55) | |
Der die Gesetze schrieb, und doch gehorchte, | ||
Abra’m den Patriarchen, König David, | ||
Israel mit dem Vater und den Kindern | (58) | |
Und Rahel auch, um die er lang geworben, | ||
Viel andre noch, und alle macht’ er selig. | ||
Doch wissen sollst du, dass niemals vor ihnen | (61) | |
Die Seele eines Menschen ward errettet. – | ||
Nicht hemmten, weil er sprach, wir uns’re Schritte | ||
Rastlos durchschritten wir vielmehr den Wald; | (64) | |
Ich sage, Wald, von ungezählten Schatten. | ||
Und als wir lange Zeit noch nicht gegangen | ||
Seit mich der Schlaf befiel, sah ich ein Feuer, | (67) | |
Das eine Finsternishalbkugel hellte. | ||
Obwohl noch mäß’ge Fern’ uns von ihm trennte, | ||
So glaubt’ ich dennoch sicher zu erkennen, | (70) | |
Dass auserles’ne Seelen dort verweilten. | ||
O Meister, der du Wissenschaft und Kunst ehrst, | ||
Warum genießen diese solches Vorrecht, | (73) | |
Das von dem Los der Übrigen sie sondert? – | ||
Drauf er zu mir: Der ehrenvolle Namen, | ||
Der ihnen nachklingt dort im Erdenleben, | (76) | |
Gewinnet solche Gunst im Himmel ihnen. – | ||
Da hört’ ich einer Stimme Ruf erschallen: | ||
Erweiset dem erhabnen Dichter Ehre! | (79) | |
Sein Schatten kehrt zurück, der uns verlassen. – | ||
Als nun die Stimme schwieg und nicht mehr tönte, | ||
Sah ich vier hohe Schatten sich uns nahn; | (82) | |
Ihr Antlitz zeigte Trauer nicht, noch Freude. | ||
Mein Meister aber sagte rasch zu mir: | ||
Sieh jenen mit dem Schwert in seiner Hand, | (85) | |
Der vor den andren hergeht als ihr Meister! | ||
Das ist Homer, der königliche Dichter | ||
Der Zweit’ ist der Satiriker Horaz, | (88) | |
Als Dritter folgt Ovid, Lucan als Letzter. | ||
Weil jeder nun mit mir den Namen teilt, | ||
Den du die Einzelstimme nennen hörtest, | (91) | |
Tun sie mir Ehr’ an, und so ist’s geziemend. – | ||
So sah versammelt ich die schöne Schule | ||
Der Meister des erhabensten Gesanges, | (94) | |
Der ob den andren, gleich dem Adler, fliegt. | ||
Als miteinander etwas sie gesprochen, | ||
Da wandten sie zu mir sich, freundlich grüßend; | (97) | |
Mein Meister aber lächelte darob. | ||
Und mehr der Ehr’ erzeigten sie mir noch; | ||
Denn ihrer Schar gesellten sie mich zu, | (100) | |
Sodass ich Sechster ward im Kreis der Weisen. | ||
Inzwischen näherten wir uns der Flamme, | ||
Und sprachen, was sich zu verschweigen ziemet, | (103) | |
So wie sich’s ziemte, dort es zu besprechen. | ||
Zum Fuße einer stolzen Burg gedieh’n wir, | ||
Die siebenfache Mauern rings beschließen | (106) | |
Und die zur Wehr ein schöner Bach umgibt. | ||
Den überschritten wir gleich festem Boden; | ||
Durch sieben Tore traten dann wir ein | (109) | |
Und fanden uns auf frisch begrünter Matte. | ||
Die Geister dort, sie blickten ernst und ruhig, | ||
Es lag in ihrem Ausdruck hohe Würde, | (112) | |
Sie sprachen selten und mit sanfter Stimme. | ||
Wir wählten einen Platz, der licht und offen | ||
Zur Seite sich erhob, sodass von dort aus | (115) | |
Wir all die Scharen deutlich überschauten. | ||
Uns gegenüber auf dem grünen Teppich | ||
Wies mir mein Führer dann die großen Geister; | (118) | |
Weshalb ich noch mich rühm, und glücklich preise. | ||
Elektra sah ich unter viel Gefährten, | ||
Wovon Aeneas ich erkannt’ und Hektor, | (121) | |
Cäsar im Waffenschmuck mit Falkenaugen. | ||
Ich sah Cammilla und Penthesilea, |
Latinus auch den König, und die Tochter | (124) |
Lavinia, welche fern den andren saßen. | |
Den Brutus sah ich, der Tarquin vertrieben, | |
Lucretia, Julia, Martia und Cornelia, | (127) |
Und einsam und abseits den Saladin. – | |
Als etwas höher ich die Wimper hob, | |
Sah ich den Meister aller, die da wissen, | (130) |
Umgeben rings von Philosophen-Schülern; | |
Auf ihn nur schauen ehrerbietig alle. | |
Hier sah ich Sokrates sowohl als Plato, | (133) |
Die vor den andren ihm am nächsten stehn. | |
Auch Demokrit, dem alles gilt für Zufall, | |
Und Thales, Anaxagoras, wie Zeno, | (136) |
Empedokles und Heraklit, den dunklen, | |
Diogenes und Dioskorides, | |
Heilsamer Pflanzen Sammler, Orpheus, Linus, | (139) |
Cicero, Seneca, den Sittenlehrer, | |
Euklid, den Geometer, Ptolemäus, | |
Hippokrates, Galen und Avicenna, | (142) |
Averroës, den großen Kommentator. | |
Unmöglich kann ich einzeln alle nennen. | |
Zur Kürze treibt so sehr des Stoffes Länge, | (145) |
Dass dem Geseh’nen oft mein Wort nicht nachkommt. | |
Die Sechsgesellschaft mindert sich auf Zweie, | |
Und andre Pfade wählt der weise Führer. | (148) |
Aus ruh’ger Luft komm’ ich in die bewegte, | |
In ein Gebiet, wo nichts mehr ist, das leuchtet. |
So stieg ich nieder von dem ersten Kreise | (1) |
Zum zweiten, der gering’ren Raum umfasst, | |
Doch umso größ’re Qual, die Klagen auspresst. | |
Graunvoll steht Minos hier und fletscht die Zähne, | (4) |
Er prüft die Sünder einzeln, wie sie kommen, | |
Verurteilt sie, und bannt sie durch Umwinden. | |
Ich sage: wenn die schlimmgeborne Seele | (7) |
Ihm gegenübersteht, bekennt sie alles; | |
Er aber, als ein Kenner jeder Sünde, | |
Erwäget, welcher Höllenplatz ihr zukommt: | (10) |
Umwindet mit dem Schwanz so manches Mal sich, | |
Als Stufen sind, die sie soll niedersteigen. | |
Gar viele stehn vor ihm zu jeder Zeit, | (13) |
Und nacheinander gehn sie ins Gerichte, | |
Bekennen, hören, wenden sich zur Tiefe. | |
Du, der da kommt zum schmerzensvollen Hause, | (16) |
Sprach Minos, als er mich erblickt, zu mir, | |
Des Richteramtes Übung unterbrechend, | |
Sieh, was du tust, und wem du dich vertrauest; | (19) |
Lass dich nicht täuschen durch des Eintritts Weite. – | |
Mein Meister sagte drauf: Was soll dein Schelten? | |
Verhindre nicht die vorbestimmte Reise. | (22) |
So will man’s droben, wo jedwedes Wollen | |
Zugleich ein Können ist; nicht frage weiter. – | |
Doch nun beginnen herben Schmerzes Laute | (25) |
Vernehmlich mir zu werden; nun gelang ich | |
Dahin, wo vieles Wehgeschrei mein Ohr trifft. | |
Verstummt war alles Licht in diesem Raume, | (28) |
Der gleich dem sturmbewegten Meere brüllet, | |
Wenn es die Wind’ im Widerstreit bekämpfen. | |
Der höllische Orkan, der nimmer nachlässt, | (31) |
Erfasst mit seiner Windsbraut diese Geister, | |
Wirft qualvoll sie umher, stößt sie zusammen. | |
Wenn sie alsdann zum Absturz hingelangt sind, | (34) |
So schrei’n sie laut, wehklagend unter Tränen, | |
Und lästern Gott zugleich und seine Allmacht. | |
Und ich erfuhr, es sei’n zu solchen Qualen | (37) |
Verurteilt, die in Fleischeslust gesündigt, |
Weil die Vernunft dem Trieb sie unterworfen. | |
Und wie zur kalten Zeit ihr Flügelpaar | (40) |
Die Stare hinführt in gedrängter Menge, | |
So führt der Windshauch hier die argen Geister. | |
Er jagt sie hin und her, hinauf, hinab, | (43) |
Und keine Hoffnung bietet ihnen Trost | |
Geringrer Pein, geschweige denn der Ruhe. | |
Gleich wie die Kraniche wehklagend ziehn, | (46) |
Und lange Streifen in der Luft beschreiben, | |
So sah, getragen von der Macht des Windes, | |
Ich eine Schar mir nahn mit lautem Weinen. | (49) |
Zu meinem Meister sagt’ ich drum: Wer sind | |
Die Schatten, die die schwarze Luft so geißelt? – | |
Die vorderste der Schar, von welcher Kunde | (52) |
Du wünsch’st, entgegnete darauf mir jener, | |
Beherrschte Völker von gar vielen Sprachen | |
Der Wollust Laster war sie so ergeben, | (55) |
Dass durch Gesetz sie jede Lust erlaubte, | |
Die Schmach zu tilgen, welcher sie verfallen. | |
Sie ist Semiramis, von der wir lesen, | (58) |
Dass sie, des Ninus Gattin, ihn beerbte. | |
Das Land beherrschte sie, das jetzt des Sultans. | |
Die nun folgt, ist’s die sich aus Lieb’ ermordet | (61) |
Und Treu’ gebrochen des Sichäus Asche. | |
Dann kommt Cleopatra, die glutentbrannte. – | |
Helena sah ich, die so langes Unheil | (64) |
Verursacht, und Achilles auch, den großen, | |
Der noch zuletzt mit Liebe kämpfen musste. | |
Paris und Tristan und wohl tausend zeigte | (67) |
Virgil, sie mir benennend, mit dem Finger, | |
Die uns’rer Welt die Lieb entrissen hat. | |
Als mir die Frau’n der Vorzeit und die Ritter | (70) |
Namhaft gemacht von meinem Meister waren, | |
Ergriff mich Mitleid, dass ich kaum bewusst blieb. | |
Drauf sagt’ ich zu dem Führer: Gern spräch ich | (73) |
Mit jenen Zwei’n, die sich zusammenhalten, | |
Und die so leicht bewegt vom Wind’ erscheinen. – | |
Und er darauf: Beschwörst du, wenn erst näher | (76) |
Sie uns gekommen sind, sie bei der Liebe, | |
Die sie vereint, so zweifle nicht, sie kommen. – | |
Sobald der Wind sie zu uns hergewendet, | (79) |
Erhob die Stimm’ ich: Schmerzbeladene Seelen, | |
Ist’s nicht verwehrt, so kommt, mit uns zu reden. – | |
Wie Tauben, die, gerufen vom Verlangen | (82) |
Zum süßen Nest, mit ausgespannten Schwingen | |
Die Luft durchschneiden, so sah ich die beiden, | |
Kraft ihres Willens, durch die schlimme Luft | (85) |
Sich aus der Schar, wo Dido weilt, uns nahen; | |
So wirksam war mein anteilvolles Rufen. | |
O wohlgesinntes, liebereiches Wesen, | (88) |
Das du, die Nacht der Unterwelt durchwandelnd, | |
Uns heimsuchst, die mit Blut die Erde färbten, | |
Wär’ unser Freund des Weltgebäudes König, | (91) |
So wollten wir ihn flehn um deinen Frieden, | |
Weil du mit uns’rem Elend Mitleid fühlest. | |
Anhören und euch sagen woll’n wir alles, | (94) |
Was du zu reden und zu hören wünschest, | |
So lang der Wind noch, wie er itzt tut, schweiget. | |
Gelegen ist der Ort, wo ich geboren, | (97) |
Am Meeresstrand, zu dem der Po hinabsteigt, | |
Um mit den Nebenflüssen Ruh’ zu finden. | |
Die Liebe, leicht entflammend edle Herzen, | (100) |
Entflammte diesen für den schönen Körper, | |
Der mir geraubt ward, und das wie quält noch mich. | |
Die Liebe, die zur Gegenliebe nötigt, | (103) |
Ließ mich an ihm solch Wohlgefallen finden, | |
Dass, wie du siehst, sie noch nicht von mir ablässt. | |
Die Liebe führt’ uns zu vereintem Tode; | (106) |
Caïna wartet des, der uns gemordet. – | |
So lautete, was sie zu uns gesprochen. |
Als die unsel’gen Geister ich vernommen, | (109) |
Senkt’ ich das Haupt, und hielt es so geneiget | |
Bis mir der Meister sagte: Nun, was sinnst du? – | |
Darauf erwidernd, hub ich an: O Himmel, | (112) |
Wie mancher stille Liebeswunsch, wie manches | |
Verlangen führte sie zum Schritt voll Schmerzes! – | |
Dann wendet’ ich mich ihnen zu und sagte: | (115) |
Francesca, deiner Qualen Anblick macht | |
Vor Trauer mich und vor Mitleiden weinen. | |
Doch sage mir, zur Zeit der süßen Seufzer, | (118) |
An was und wie gestattete dir Amor, | |
Das schüchterne Verlangen zu erkennen? – | |
Drauf sagte sie zu mir: Kein Schmerz ist größer, | (121) |
Als sich der Zeit des Glückes zu erinnern, | |
Wenn man in Elend ist; das weiß dein Lehrer. | |
Heg’st du jedoch, die Wurzel uns’rer Liebe | (124) |
Zu erkennen, solch entschiedenes Verlangen, | |
So werd’ ich tun, wie wer im Reden weinet: | |
Wir lasen eines Tages zum Vergnügen | (127) |
Von Lanzelot, wie Liebe ihn umstrickte, | |
Allein und unbeargwohnt waren wir. | |
Oft hieß des Buches Inhalt uns einander | (130) |
Scheu ansehn und verfärbte unsre Wangen; | |
Doch nur ein Punkt war’s, welcher uns bewältigt. | |
Denn als wir, wie das lang ersehnte Lächeln | (133) |
Von solchem Liebenden geküsst ward, lasen, | |
Da küsste, dem vereint ich ewig bleibe, | |
Am ganzen Leibe zitternd, mir den Mund. | (136) |
Zum Kuppler ward das Buch und der’s geschrieben. | |
An jenem Tage lasen wir nicht weiter. – | |
Und während so der eine Schatten sprach, | (139) |
Vergoss der andre solchen Strom von Tränen, | |
Dass ich ohnmächtig ward, wie wenn ich stürbe, | |
Und niederfiel ich, wie ein toter Körper. | (142) |
Bei des Bewusstseins Rückkehr, welches Mitleid | (1) |
Mit den zwei Schwägern mir genommen hatte | |
Und mir das Herz erfüllt mit Traurigkeit, | |
Seh’ ringsum neue Qualen ich und neue | (4) |
Gequälte, wohin auch den Blick ich wende, | |
Wohin ich schaue und wohin mich kehre. | |
Ich bin im dritten Kreise, dem des ewgen, | (7) |
Verwünschten, kalten, qualenvollen Regens, | |
Des Art und Weise nimmer sich verändert. | |
Grobkörn’ger Hagel, Schnee und trübes Wasser | (10) |
Fällt rastlos durch die finstre Luft hernieder; | |
Der Boden stinkt, der solch Gemenge aufnimmt. | |
Und Cerberus, das Untier sondergleichen, | (13) |
Bellt aus drei Rachen, so wie Hunde pflegen, | |
Die Schatten an, die dort am Boden liegen. | |
Rot ist sein Auge, schwarz der Bart und schmierig, | (16) |
Der Bauch geschwollen, krallig sind die Hände; | |
Er kratzt die Geister, schindet und zerfleischt sie. | |
Der Regen macht sie heulen als wie Hunde; | (19) |
Oft wenden sich die elenden Verfluchten, | |
Dass eine Seite Schutz der andern biete. | |
Als Cerberus uns sah, der große Wurm, | (22) |
Riss er die Rachen auf, zeigt’ uns die Zähne, | |
Und seiner Glieder keines hielt er stille. | |
Mein Meister öffnete die beiden Hände, | (25) |
Griff Erdreich auf, und mit gefüllten Fäusten | |
Warf er hinein es in die gier’gen Schlünde. | |
Dem Hunde gleich, der im Heißhunger belfernd, | (28) |
Wenn er den Fraß gepackt hat, sich beruhigt, | |
Und ihn nur zu verschlingen strebt und trachtet, | |
So wandelten sich die unsaubern Schnauzen | (31) |
Des Teufels Cerberus, der jene Seelen | |
So anbellt, dass sie wünschten taub zu sein. |
Fort ging es durch die Schatten, die der Regen | (34) |
Danieder hält; es traten uns’re Sohlen | |
Auf ihre Nichtigkeit, die Wesen scheinet. | |
Sie lagen hingestreckt am Boden alle; | (37) |
Nur einer richtete sich eilend auf, | |
Als er uns sah, wie wir vorübergingen. | |
Der du geführet wirst durch diese Hölle, | (40) |
Erkenne mich, sprach er, wenn du’s vermagst; | |
Begann dein Leben doch, eh mein’s geendet. – | |
Ich sagte drauf: Die Qual, die du erduldest, | (43) |
Entfremdet dich vielleicht so der Erinnerung, | |
Dass es mich dünkt, ich sah zuvor dich nimmer. | |
Doch nenne dich, dem solch unsel’ge Stelle | (46) |
Beschieden ist, und eine Strafe, welche, | |
Wenn größer nicht, doch ekler ist als alle. – | |
Drauf sagt’ er: Deine Stadt, die so von Neide, | (49) |
Erfüllt ist, dass der Sack zu bersten droht, | |
Umfasste mich dereinst im lichten Leben. | |
Ihr Stadtgenossen nanntet mich nur Ciacco, | (52) |
Weil ich ergeben war der Schlemmerei, | |
Und wie du siehst, zernagt mich itzt der Regen. | |
Auch bin ich nicht allein hier, so zu trauern; | (55) |
Nein, alle dulden wir die gleiche Strafe | |
Aus gleicher Ursach. – Und damit verstummt’ er. | |
Ich sagte drauf: O Ciacco, deine Qual | (58) |
Rührt mich so sehr, dass ich dem Weinen nah bin; | |
Doch sage mir, wenn du es weißt, welch’ Ende | |
Der zwiegespalt’nen Bürger Streit nimmt, sage, | (61) |
Ob einer dort gerecht ist, und warum | |
Die Stadt von solcher Zwietracht ist befallen. – | |
Darauf erwidert’ er: Nach langem Hader | (64) |
Fließt endlich Blut, und die Partei der Fremden | |
Vertreibt die andre, vielfach sie beschäd’gend. | |
Dann, eh’ drei Jahre schwinden, fällt sie wieder, | (67) |
Und jene andre trägt den Sieg davon |
Durch dessen Hilfe, der jetzt noch laviert. | ||
Hoch wird sie lange Zeit die Stirne tragen, | (70) | |
Und schwere Last auf die besiegte häufen, | ||
Wie groß für diese Scham und Schmerz auch seien. | ||
Gerecht sind zwei; doch unverstanden sind sie. | (73) | |
Die Funken, welche jedes Herz entzündet, | ||
Sind Neid und Geiz mit Hochmut im Vereine. – | ||
Hier endet’ er die schmerzensvolle Rede. | (76) | |
Ich aber sprach: Belehre mich noch weiter | ||
Und schenke mir noch mehr von deiner Rede: | ||
Tegghiaio und Farinata, jene Wack’ren | (79) | |
Jacopo Rusticucci, Arrigo, Mosca, | ||
Die andren auch, die recht zu handeln strebten: | ||
Sag’ an, wo sind sie? Lass mich sie erkennen; | (82) | |
Denn groß Verlangen heg’ ich, zu vernehmen, | ||
Ob Höllengift, ob Himmelssüß’ ihr Los ist. – | ||
Und er darauf: Verschiedenart’ge Schuld | (85) | |
Stieß tiefer sie hinab zu schwärz’ren Schatten; | ||
Steigst du so weit hinab, kannst du sie sehen. | ||
Doch, bist du heimgekehrt zur schönen Welt, | (88) | |
So rufe mich den Leuten ins Gedächtnis. | ||
Mehr sag’ ich nicht, noch geb’ ich weiter Antwort. – | ||
Den graden Blick verdreht’ er nun zum Schielen; | (91) | |
Sach mich ein Weilchen an, den Kopf dann senkt’ er | ||
Und fiel zu Boden gleich den andren Blinden. | ||
Der Meister sprach: Der steht nicht wieder auf | (94) | |
Bis die Posaun’ am letzten Tag’ ertönet, | ||
Und die Gewalt erscheint, die ihnen feindlich. | ||
Sein unheilvolles Grab sucht jeder dann, | (97) | |
Sein Fleisch und sein Gebein nimmt er zurück, | ||
Was ewig wiederhallen wird, zu hören. – | ||
Indes durchgingen wir langsamen Schrittes | (100) | |
Der Schatten und des Regens schmutz’ge Mischung, | ||
Das künft’ge Leben im Gespräch berührend. | ||
Den Meister fragt ich: Werden diese Qualen | (103) | |
Noch wachsen nach dem großen Richterspruch, | ||
Wird Mind’rung folgen, oder gleich sie bleiben? – | ||
Drauf er: Gedenke deiner Wissenschaft, | (106) | |
Die jedem Ding, im Maß als es vollkommner, | ||
Mehr Sinn für Freuden, wie für Schmerzen beimisst. | ||
Ob niemals gleich dies fluchbeladene Volk | (109) | |
Zu wirklicher Vollkommenheit gelangt, | ||
Wird wesenhafter doch nach jenem Tag’ es. – | ||
In weitem Bogen gingen wir die Straße, | (112) | |
Besprechend manches, das ich nicht berichte. | ||
Und angelanget, wo der Weg hinabführt, | ||
Erblickten Pluto wir, den großen Feind. | (115) |
Pape, Satan, Pape Satan, Aleppe! – | (1) |
So hub mit rauer Stimme Pluto an; | |
Doch, alles wohlerkennend, sprach der Weise | |
Mir gütig zu: Lass nimmer dich von Furcht | (4) |
Beirren; denn, wie groß auch seine Macht sei, | |
Wird sie des Felsens Abstieg dir nicht rauben. – | |
Dann wandt’ er sich zu dem geduns’nen Antlitz | (7) |
Und sagte: Schweig vermaledeiter Wolf! | |
Verzehre deine Wut im eignen Herzen. | |
Nicht Willkür heißt zur Nacht uns niedersteigen; | (10) |
Dort oben will man es, wo Michael | |
Des Hochmuts Hurerei zu rächen wusste. – | |
Wie Segel, aufgebläht vom günstigen Winde, | (13) |
Zusammenfallen, wenn der Mast zerbricht, | |
So fiel zu Boden dieses grimme Untier. | |
Wir aber gingen ein zur vierten Lache, | (16) |
Das Ufer voller Schmerz noch mehr umkreisend, | |
Das alles Weh der Welt in sich begreift. |