Hrsg. von Vera Bernard-Opitz
• Lernen mit ABA und AVT (Vera Bernard-Opitz/Christos Nikopoulos)
• Anders denken lernen – Kognitive Verhaltenstherapie (Jed Baker)
• Lernen von positiven Alternativen zu Verhaltensproblemen (Vera Bernard-Opitz)
• Lernen durch visuelle Hilfen (Anne Häussler)
• Lernen im Sekundentakt – Präzisionslernen (N.N.)
• Lernen durch Apps (N.N.)
• Lernen durch Videomodellierung (Christos Nikopoulos)
• Lernen von Spiel und Beziehungen zu Gleichaltrigen: Integrierte Spielgruppen (Pamela Wolfberg)
• Lernen im inklusiven schulischen Setting (Britta Schirmer)
• Lernen im Alltag – Natürliches Lernen (Hans-Rüdiger Röttgers)
• Die Suche nach den Ursachen von Autismus-Spektrum- Störungen (Hans-Ulrich Bernard)
• Medikamentöse Hilfe (Luise Poustka)
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.
Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.
1. Auflage 2017
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-030854-1
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-030855-8
epub: ISBN 978-3-17-030856-5
mobi: ISBN 978-3-17-030857-2
Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.
Das afrikanische Sprichwort »It takes a village to raise a child«/Deutsch: »Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen«« gilt sicherlich auch für Kinder und Jugendliche mit einer Autismus Spektrum Störung (ASS). Und vielleicht braucht es sogar mehr als ein Dorf: nämlich das Wissen von Spezialisten in verschiedenen Ländern, die sich Autismus Spektrum Störungen auf ihre Fahnen geschrieben haben. Ziel unserer Reihe »Autismus Konkret« ist es daher, das Wissen internationaler Experten zu relevanten Themen zu bündeln und Eltern, Therapeuten, Lehrer und anderen Fachkräften dieses Wissen in leicht verständlicher Form und so konkret wie möglich zur Verfügung zu stellen.
Oft ist es nicht einfach, Betroffenen mit ASS zu helfen. Eltern und Fachkräfte wissen, dass Zeit besonders kostbar ist, wenn es darum geht, effektiv Veränderungen zu bewirken. Daher sollten Erklärungsmodelle und Hilfen bewährt und wissenschaftlich anerkannt sein. Wir haben daher Kollegen in Deutschland, Österreich, England und den USA gebeten, ihr Spezialwissen über bestimmte evidenzbasierte und praxiserprobte Therapiemethoden in kurzer, konkreter Form mit unseren Lesern zu teilen.
Hierbei wird ein Einblick in folgende Themen gegeben: Lernen durch ABA und AVT, Anders denken lernen – Kognitive Verhaltenstherapie zum Abbau von Frustration und Ängsten und zum Aufbau von sozialen Fähigkeiten, Lernen von positiven Alternativen zu Verhaltensproblemen, Lernen im Alltag – Natürliches Lernen, Lernen im Sekundentakt – Präzisionslernen, Lernen durch Apps, Lernen durch visuelle Hilfen, Lernen durch Videomodellierung, Lernen von Spiel und Beziehungen zu Gleichaltrigen: Integrierte Spielgruppen, Lernen im inklusiven schulischen Setting, Medikamentöse Hilfe und die Suche nach den Ursachen von Autismus-Spektrum-Störungen.
Wir hoffen dass die Bände unserer Reihe »Autismus Konkret« Eltern und Kollegen helfen, Ursachen besser zu verstehen und wissenschaftlich anerkannte Therapiemethoden kennenzulernen. Hierbei wünschen wir, dass jeder Praxisband der Serie einen Beitrag leistet, therapeutische Hilfen für Betroffene mit ASS konkreter zu machen und Kindern und Jugendlichen mit ASS eine echte Chance zu geben, sich so zu entwickeln, dass eine Teilhabe am Leben der Gemeinschaft auch tatsächlich möglich wird. Und dazu braucht es sicher »Mehr als ein Dorf«.
Dr. Vera Bernard-Opitz, Herausgeberin der Reihe, Irvine, November 2016
Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Autismus Spektrum Störungen benötigen oft dringend Hilfe, da in vielen Fällen Verhaltensauffälligkeiten ihren Chancen auf ein möglichst stressfreies Leben und eine Teilhabe an der Gesellschaft im Wege stehen. In den vergangenen Jahren haben sich speziell bei Betroffenen mit guten verbalen Fähigkeiten Strategien der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) bewährt. Dieser Ansatz erweitert die Prinzipien der Angewandten Verhaltensanalyse (ABA: Applied Behavior Analysis). Hierbei geht man davon aus, dass eine Veränderung von Auslösern und Konsequenzen von Verhalten allein oft nicht ausreichend ist, Problemverhalten zu verringern. Um Verhalten umfassend zu verstehen und behandeln zu können, müssen biologische Einflussfaktoren sowie das Denken über herausfordernde Situationen berücksichtigt werden. Anhand von zahlreichen Beispielen wird gezeigt, wie durch KVT die Probleme verhindert werden können, wie Krisen gemanagt werden können und Sozialverhalten und Kommunikation verbessert werden kann.
Jed Baker ist bekannter Buchautor und international anerkannter Sprecher, der viele praxisnahe Bücher zur Entwicklung von sozialer Kompetenz sowie zum Abbau von Wutausbrüchen und Ängsten geschrieben hat. Sein vorliegender Beitrag ist ein weiteres Highlight unserer Praxisserie »Autismus Konkret«.
Wir bedanken uns bei Lena Salinger für die gute Übersetzungsarbeit und bei Frau Filbrandt und Herrn Dr. Poensgen vom Kohlhammer-Verlag für die hervorragende Unterstützung dieser Serie.
Vera Bernard-Opitz, BCBA-D, Irvine, Hildesheim, November 2016
Verhaltenstherapie hat sich im späten 20. Jahrhundert als Antwort auf die damals vorherrschende Psychoanalyse nach Freud entwickelt. Diese betonte bewusste und unbewusste Vorgänge und damit schwer oder gar nicht messbares Verhalten. Der Behaviorismus (abgeleitet vom englischen Begriff behavior = Verhalten) entwickelte eine wissenschaftlich fundierte Richtung der Psychologie, die sich auf beobachtbares und messbares Verhalten stützt. Anfangs ignorierten die Behavioristen deshalb kognitive Denkprozesse, da diese nicht direkt beobachtbar und daher schwer messbar sind. Sie gingen davon aus, dass Verhalten allein durch Konditionierung gelernt wird, die durch Interaktion mit der Umwelt auftritt. Diese geschieht durch Reize, die wiederum Reaktionen hervorrufen, die entweder verstärkt oder bestraft werden.
Jahrelang sprachen Behavioristen nicht über Gedanken oder Emotionen, da diese nicht objektiv messbar sind. Viele der frühen Lernexperimente wurden mit Tieren durchgeführt. Dabei wurden die Ergebnisse zunächst besonders auf nicht-sprechende Individuen mit schweren Entwicklungsstörungen übertragen. Später begannen Verhaltenstherapeuten auch mit Menschen zu arbeiten, die sprechen konnten und die damit über ihre Interpretation der Umwelt berichten können. Sie wandten einen kognitiven verhaltenstherapeutischen Ansatz an, der sich auf Konzepte der Kognitionspsychologie wie Denken, Entscheidungsfindung, Sprache und Problemlösung konzentriert. Dieser Ansatz ignoriert die mentalen Prozesse nicht mehr, sondern beachtet, wie diese Veränderungen das direkt beobachtbare Verhalten beeinflussen.
Wenn man einem Kind zum Beispiel beibringt, dass jemand, der es ärgert, nur einen Spaß macht und sich danach sein Verhalten gegenüber der Person, die es ärgerte, ändert, es etwa weniger schlägt oder schreit, kann man das Verhalten als Ergebnis einer kognitiven Intervention messen. Solange eine kognitive Intervention zu messbaren Veränderungen im Verhalten führt, handelt es sich um einen wissenschaftlichen Ansatz.
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) basiert auf der Annahme, dass das Denken über sich und die Umwelt eine ursächliche Rolle für emotionale Reaktionen spielt. Diese führen dann zu verändertem Verhalten in Alltagssituationen. Autoren wie Beck, Ellis, Burns, Barlow und andere entwickelten KVT-Verfahren zur Behandlung von Depressionen und Angststörungen. Hierbei lernen Betroffene ihr Denken über Ereignisse so zu verändern, dass eine Veränderung der depressiven oder ängstlichen Reaktionen erreicht wird. KVT-Verfahren für Kinder zielen so auf den Umgang mit Wut, Frustration und Angst ab sowie den Aufbau von sozialen Fähigkeiten. Sie wurden später auf Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) übertragen (Baker, 2001, 2003, 2005, 2006, 2008, 2013, 2015; Reaven et al., 2011; Durand, 2011; Garcia-Winner, 2007).
Die folgenden Aspekte müssen berücksichtigt werden um Verhalten zu verstehen:
Die Klassische Konditionierung betont die Bedeutung des Assoziativen Lernens, bei welchem bestimmte Umweltfaktoren mit einer bestimmten Verhaltensreaktion assoziiert werden. Beispielsweise kann das bloße Erwähnen eines schriftlichen Tests Frustration hervorrufen, wenn ein ähnlicher Test in der Vergangenheit negative Gefühle ausgelöst hat.
Durch Assoziation können bestimmte Umweltfaktoren eine positive oder negative Reaktion wie Frustration, Angst oder Wut auslösen. Schlüssel zur Prävention von Verhaltensproblemen ist es, die Auslöser von herausforderndem Verhalten zu verstehen.
Operantes Konditionieren zeigt die Bedeutung der Konsequenzen eines Verhaltens auf. Wenn auf ein Verhalten eine positive Konsequenz folgt, wird das Verhalten verstärkt und es ist wahrscheinlicher, dass dieses erneut auftritt. Die Theorie des operanten Konditionierens (d. h. welche Konsequenzen das Verhalten produziert) führt zu einem besseren Verständnis für das Auftreten eines Verhaltens und zum Einsatz wirksamer Verstärker, um erwünschtes Verhalten ebenso wie auch soziale Fähigkeiten zu erhöhen.
Kognitive Ansätze betonen das menschliche Denken und die Interpretation der Umwelt, die Verhalten und emotionale Reaktionen bestimmen. Beispielsweise kann eine schriftliche Hausaufgabe Frustration hervorrufen, sie muss es aber nicht zwangsläufig. Das ist abhängig von der individuellen Wahrnehmung der Hausaufgabe und den eigenen Fähigkeiten. Carol Dweck (2006) zeigt, dass kindliche Theorien über Intelligenz Einfluss auf den Umgang mit schwierigen Aufgaben und Fehlern haben. Kinder, die Probleme und Fehler als dem Prozess des Lernens zugehörig sehen, sind weniger frustriert als Kinder, die Probleme und Fehler als Zeichen geringer Fähigkeit und schwacher Intelligenz betrachten.
Kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze berücksichtigen den Einfluss biologischer Faktoren auf das Denken und die Reaktionen auf Umweltauslöser. Beispielsweise können Reaktionen stärker ausfallen, wenn Kinder Müdigkeit, Hunger oder Schmerz verspüren.
Berücksichtigt man alle obenstehenden Elemente, kommt man zu mehreren Kategorien, die das menschliche Verhalten beeinflussen:
Abb. 2.1: Kognitives Verhaltensmodell
Wenn man dieses Modell zugrunde legt, kann das Verhalten auf verschiedenen Ebenen angegangen werden. Verändern lassen sich die Auslöser eines Verhaltens, die biologischen Einflussfaktoren, das Denken und die Fähigkeiten zur Bewältigung einer herausfordernden Situation. Außerdem lassen sich auch die Konsequenzen verändern, die die Wahrscheinlichkeit für ein erneutes Auftreten des Verhaltens bestimmen. Der Fokus dieses Buchs liegt auf der Veränderung des Denkens und auf Bewältigungsstrategien, dennoch ist es wichtig zu verstehen, dass manchmal auch die Umwelt verändert werden muss. Wenn das Kind zum Beispiel von Mitschülern gemobbt wird, ist es nicht ausreichend, ihm beizubringen, anders über Gleichaltrige zu denken, um ihnen gegenüber weniger ängstlich zu sein. In diesem Fall ist es viel mehr notwendig, das Mobbing zu stoppen und einen angenehmen Umgang innerhalb der Klasse zu schaffen, anstatt sich auf die Wahrnehmung der Mitschüler durch das Kind zu beschränken.
Verändern lassen sich die Auslöser und Konsequenzen eines Verhaltens, aber auch die biologischen Einflussfaktoren, das Denken sowie die Fähigkeiten zur Bewältigung einer herausfordernden Situation.
In den folgenden zwei Kapiteln werden Verhaltensprobleme auf der Basis eines kognitiven Verhaltensmodells verstanden und entsprechende Interventionen geplant. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit Krisenmanagement und Prävention von herausforderndem und unkontrollierbarem Verhalten. Einiges aus dem Inhalt dieses Kapitels entstammt dem Buch No More Meltdowns (Baker, 2008). Kapitel vier behandelt hauptsächlich, wie Ängste überwunden werden können, und ist eine Zusammenfassung des Buchs Overcoming Anxiety in Children and Teens (Baker, 2015). Kapitel fünf konzentriert sich auf die Verbesserung von sozialen Fähigkeiten und betont mehrere Aspekte des obenstehenden Modells. Dazu gehören Veränderung des Denkens über soziale Situationen und das Geben direkter Anweisungen, ebenso wie die Verstärkung der Fähigkeiten und Tipps zur besseren Generalisierung der Fähigkeiten. Interessierte Leser finden mehr Information über soziale Kompetenztrainings in verschiedenen Büchern des Autors (Baker, 2001, 2003, 2005, 2006).
Eltern, die herausforderndes Verhalten ihrer Kinder als vorsätzliche und manipulative Handlung ansehen, entwickeln eher negative Gefühle und verhängen entsprechende Konsequenzen für das Fehlverhalten. Sie fühlen sich persönlich angegriffen und herausgefordert, was die negativen Gefühle verstärken kann. Obwohl Regeln und Konsequenzen für viele Kinder ein guter Ausgangspunkt bei herausforderndem Verhalten sind, führen sie bei Kindern mit ASS, ADHS und Lernschwächen oft zur Eskalation des Problems, da Abwehr und Machtkämpfe entstehen.
Wenn herausforderndes Verhalten andauert, ist es nicht mehr wichtig, ob dieses absichtlich oder unabsichtlich ist. In beiden Fällen ist es wichtig zu wissen, warum das Verhalten andauert. Zunächst muss verstanden werden, dass es einen Grund für die Schwierigkeiten des Kindes gibt. Erst wenn man den Grund und die Funktion des Problems versteht, kann man das Problem letztendlich lösen.
Abb. 3.1: Das Denken der Eltern über ein Verhaltensproblem ist entscheidend
Mark Durand (2011) weist in seinem Buch Optimistic Parents auf Forschungsergebnisse zum Zusammenhang zwischen elterlichem Verständnis des kindlichen Verhaltens und deren Umgang mit herausforderndem Verhalten hin. Hierbei nimmt der sog. »Attributionsstil« eine wichtige Rolle ein. Als Attributionsstil eines Menschen bezeichnet man seine Art, Ereignissen bestimmte Ursachen zuzuschreiben. So zeigt Durand auf, dass ein optimistischer Attributionsstil der Eltern mit besseren Ergebnissen im Umgang mit herausforderndem Verhalten zusammenhängt. Es gibt hierbei drei Denkarten über das herausfordernde Verhalten, die mit deutlicheren Verhaltensverbesserungen einhergehen: (1) temporäre vs. stabile Attributionen, (2) spezifische vs. allgemeine Attributionen, (3) externe vs. interne Attributionen.