Virginia Woolf
Jacobs Zimmer
Roman
Herausgegeben von Klaus Reichert
Übersetzt von Heidi Zerning
FISCHER E-Books
Virginia Woolf wurde am 25. Januar 1882 als Tochter des Biographen und Literaten Sir Leslie Stephen in London geboren. Zusammen mit ihrem Mann, dem Kritiker Leonard Woolf, gründete sie 1917 den Verlag The Hogarth Press. Ihre Romane stellen sie als Schriftstellerin neben James Joyce und Marcel Proust.
Zugleich war sie eine der lebendigsten Essayistinnen ihrer Zeit und hinterließ ein umfangreiches Tagebuch- und Briefwerk. Virginia Woolf nahm sich am 28. März 1941 in dem Fluß Ouse bei Lewes (Sussex) das Leben.
Klaus Reichert, 1938 geboren, ist Literaturwissenschaftler, Autor, Übersetzer und Herausgeber. Von 1964 bis 1968 war er Lektor in den Verlagen Insel und Suhrkamp, von 1975 bis 2003 war er Professor für Anglistik und Amerikanistik an der Frankfurter Universität, 1993 gründete er das »Zentrum zur Erforschung der Frühen Neuzeit«. Von 2002 bis 2011 war er Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Er schrieb Bücher über Shakespeare, Joyce, moderne Literatur und über die Geschichte und Theorie des Übersetzens, veröffentlichte drei Gedichtbände und ein Wüstentagebuch. Er übersetzte u.a. Shakespeare, Lewis Carroll, Joyce, John Cage und das Hohelied Salomos. Er war Herausgeber der deutschen Ausgabe von James Joyce und gibt seit 1989 im S. Fischer Verlag die Werke Virginia Woolfs heraus. Bei S. Fischer erschien seine Prosaübersetzung der Sonette Shakespeares.
Heidi Zerning, geboren 1940 in Berlin, studierte Anglistik, Amerikanistik, Geschichte und Philosophie und ist seit 1990 hauptberuflich als Übersetzerin tätig. Neben Alice Munros Erzählungen hat sie Werke von Virginia Woolf, Truman Capote und Steve Tesich übersetzt.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Jacob Flanders, jung, intelligent, hochgebildet, hat sein Studium beendet und das College in Cambridge verlassen. Im Londoner Leben, bei flüchtigen Freundschaften und Liebesabenteuern, verstärkt sich sein immerwährendes Gefühl, in der Gegenwart fremd zu sein. Mehr und mehr zieht er sich in sein Zimmer, in seinen eigenen geistig-seelischen Raum zurück, liest bis spät in die Nacht Autoren der griechischen und römischen Antike und bricht schließlich zu einer Reise nach Griechenland auf. Er will die klassischen Kunstdenkmäler als den Ausdruck von Einheit und Größe erleben, der seinem Ideal entspricht. Ist es wirklich das, was er dort erlebt? Kurz nach seiner Rückkehr bricht der Erste Weltkrieg aus; Jacobs Spur verliert sich in Flandern. In sein leeres Zimmer dringen jetzt durch das offene Fenster die Laute des modernen Lebens.
»Der Versuch, Menschen in ihrer Gänze zu erfassen, ist zwecklos«, steht an zwei Stellen in diesem Buch. »Man muß Andeutungen nachgehen, nicht unbedingt dem, was gesagt wird, auch nicht völlig dem, was getan wird.« Damit könnte auch die impressionistische Erzählweise gemeint sein, die Virginia Woolf hier zum ersten Mal an einem Roman erprobt und später in ›Mrs Dalloway‹, ›Zum Leuchtturm‹, ›Die Wellen‹ virtuos eingesetzt hat, womit sie großes Aufsehen in der literarischen Welt erregte.
Erschienen bei FISCHER E-Books
Die Originalausgabe erschien 1922 unter dem Titel ›Jacob's Room‹ im Verlag The Hogarth Press, London.
© 1922 Quentin Bell und Angelica Garnett
© 1998 Estate Virginia Woolf
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 1998 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: Manfred Walch, Frankfurt
Coverabbildung: Sarah Schumann, Berlin
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-490493-1
The Strand Magazine. An Illustrated Monthly, 1891 gegründet, war die führende Illustrierte der Jahre um die Jahrhundertwende. Autoren wie Conan Doyle oder H. G. Wells veröffentlichten darin ihre Romane in Fortsetzungen.
Dods Hill ist eine Erfindung. Der Berg, der Scarborough überragt, heißt Castle Hill.
Im Krimkrieg (1853–56) kämpften England und Frankreich gegen Rußland, um die Expansionspolitik Zar Nikolaus' I. zu verhindern, der sich über die Türkei einen Zugang zum Mittelmeer verschaffen wollte. Es war für alle beteiligten Mächte ein sehr harter Krieg, der im Gedächtnis der Völker durch bedeutende oder vaterländisch-rührselige Literatur weiterlebte. (Ein Beispiel für das erste wäre Tolstois Novelle Sebastopol, ein Beispiel für das zweite Tennysons Ballade »The Charge of the Light Brigade«, die noch in VWs Roman To the Lighthouse leitmotivisch eingesetzt ist.
Rugby, 1567 gegründet, wurde im 19. Jahrhundert eine der renommiertesten Internatsschulen Englands, neben den älteren und aristokratischeren Eton und Harrow.
Leg of Mutton Pond befindet sich am Westrand von Hampstead Heath, im Norden Londons.
Die Zeitung ist eine Erfindung VWs.
Francis Orpen Morris (1810–1893) schrieb beliebte Bücher über Naturkunde, ähnlich unserem ›Brehm‹, die schon Kinder in die Natur einführten.
Queen Victoria (1819–1901), 1837 gekrönt, feierte ihr goldenes Thronjubiläum 1887, ihr diamantenes 1897. Beide Daten wurden prunkvoll gefeiert und können hier gemeint sein.
Mudie's Leihbibliothek, 1842 gegründet, seit 1852 an der Ecke Oxford Street/Museum Street in Bloomsbury, erfreute sich generationenlang größter Beliebtheit. Noch VW war eine regelmäßige Benutzerin. Den großen Erfolg der Leihbibliothek im 19. Jahrhundert hat man mit dem Ausbau des englischen Eisenbahnsystems in Zusammenhang gebracht.
Morning Post und Daily Telegraph waren die führenden Morgenzeitungen Londons.
W. E. Norris (1847–1925), erfolgreicher Unterhaltungsschriftsteller, dessen schlichte Romane VW häufig besprach.
Das Kuppeldach der King's College Chapel, um 1515 von John Wastell gebaut, ist berühmt wegen seiner eigenartigen Lichteffekte.
»Kröten«, schrieb VW einmal in einem Brief, »sind (ihrem Wesen nach) Insekten, behaupte ich.«
Nach dem großen 32bändigen Zyklus der Waverley Novels (seit 1814) von Walter Scott (1771–1832).
Girton College, ein College für Frauen, 1869 gegründet, seit 1873 in Cambridge.
Reform Bill, Wahlrechtsreform von 1832, die alte Adelsvorrechte der parlamentarischen Repräsentanz beseitigte und einen gerechteren Zugriff auf die Sitze sichern wollte, dabei aber vor allem die Upper Middle Classes begünstigte.
H. G. Wells (1866–1946), Autor sozialkritischer und technologisch-phantastischer Romane (The Time Machine, 1895; The War of the Worlds, 1898). – George Bernard Shaw (1856–1950), Verfasser Dutzender, sehr erfolgreicher ›moralischer‹ und sozialreformerischer Stücke von oft sehr bissigem irischem Witz (Mrs. Warren's Profession, 1898; Man and Superman, 1903; The Doctor's Dilemma, 1906). – Beide Autoren waren für VW Vertreter eines nicht mehr zeitgemäßen, ›edwardianischen‹ Schreibens.
Gemeint sind die relativ teuren intellektuellen Wochenschriften wie der Spectator, der damals Sixpence kostete, während das populäre London Journal einen Penny kostete.
George Gordon, Lord Byron (1788–1824), der Dichter der jüngeren Romantikergeneration, wegen seines freizügigen Lebenswandels gefürchtet und scharf kritisiert. Von enormem Einfluß auf die Romantik und Spätromantik in ganz Europa.
Trinity College, neben King's das berühmteste (und größte) der Colleges, 1546 von Henry VIII. gegründet.
Neville's Court, ein »Hof« in Trinity College, der zum Great Court führt. Neville's Court wird auf der einen Seite von der von Sir Christopher Wren erbauten Bibliothek, auf der anderen von den Studentenwohnungen gesäumt.
Der Essay bezieht sich wohl auf Thomas Carlyles (1795–1881) Schrift Heroes and Hero-Worship (1841). Darin heißt es: »Die Universalgeschichte, die Geschichte dessen, was der Mensch in dieser Welt vollbracht hat, ist wesentlich die Geschichte großer Männer.«
Arthur Wellesley, first Duke of Wellington (1769–1852), als Feldherr Sieger über Napoleon in der Schlacht bei Waterloo (1815), Premierminister 1828–30, Außenminister 1834–45. Spitznamen: »Iron Duke« und »Old Nosey«. Beliebt bei Karikaturisten. – Der unter Atheismusverdacht stehende pantheistische Philosoph Baruch de Spinoza (1632–1677) trat für die Freiheit des Denkens auf naturrechtlicher Basis ein. – Neben Reiseskizzen aus Amerika und Italien dürften die »Werke« von Charles Dickens (1812–1870) nur aus seinen rund zwei Dutzend Romanen bestanden haben. – Edmund Spenser (ca. 1552–1599) schrieb sein Fragment gebliebenes Riesenepos The Faerie Queene (1589–96) zum allegorischen Preis der Tugendkönigin Elizabeth I. (1533–1603). – Vermutlich das berühmte Greek Lexicon von Henry George Liddell und Robert Scott (Erste Auflage 1843, achte Auflage 1897, nachgedruckt 1901, 1908 u. ö). Liddell war der Vater der historischen Alice, die das Vorbild für Lewis Carrolls Alice in Wonderland (1865) abgab. – Mit »allen Elisabethanern« dürften die Dramatiker gemeint sein, die in der von Henry Vizetelly und Havelock Ellis begründeten Reihe der Mermaid Series endlich wieder in unbereinigten Ausgaben zugänglich gemacht wurden.
Sir Joshua Reynolds (1723–1792), vor allem als Porträtmaler berühmt, schrieb aber auch stilistisch brillante Discourses (1769–90), die den neoklassizistischen Stil in der Kunst mitbegründeten.
Wie der Penguin-Kommentar vermutet, gehörte ein ›Handbuch der Pferdekrankheiten‹ in die Bibliothek jedes Gentleman.
Huxtable, Sopwith and Cowen sind natürlich Erfindungen VWs.
Dante Gabriel Rossetti (1828–1882), der prä-raphaelitische Maler (und Dichter). – Zur Zeit als diese Episode spielt, kann es kaum van Gogh-Reproduktionen gegeben haben. Seine Bilder, zusammen mit denen Cézannes, Gauguins und anderer, wurden erstmals in der First Post-Impressionist Exhibition, die VWs Freund Roger Fry 1910 organisiert hatte (Anm. 81), in London ausgestellt und lösten einen Skandal aus.
Publius Vergilius Maro (70–19 v.u.Z.) schrieb die Hirtenlieder der Eclogae, das Lehrgedicht vom Landbau, die Georgica, sowie das Nationalepos Aeneis. – Gaius Valerius Catullus (ca. 84-ca. 54 v.u.Z.), vor allem Verfasser leichter, anzüglicher Liebesgedichte und ernster Elegien. Das Folgende – »… was, wenn der Dichter hereingeschritten käme?« – bezieht sich mit Sicherheit auf ein Gedicht von William Butler Yeats (1865–1939), ›The Scholars‹, aus dem Band The Wild Swans at Coole (1919):
The Scholars
Bald heads forgetful of their sins,
Old, learned, respectable bald heads
Edit and annotate the lines
That young men, tossing on their beds,
Rhymed out in love's despair
To flatter beauty's ignorant ear.
All shuffle there; all cough in ink;
All wear the carpet with their shoes;
All think what other people think;
All know the man their neighbour knows.
Lord, what would they say
Did their Catullus walk that way?
Die Gelehrten
Kahlschädel, uneingedenk ihrer Sünden,
Alt, angesehn – gelehrte kahle Schädel
Ediern und annotiern die Zeilen,
Die Jünglinge, auf ihrem Bett sich wälzend,
In Liebespein dagegenreimten,
Der Schönheit tumbem Ohr zu schmeicheln.
Alle schlurfen; alle husten tintig;
Alle wetzen den Teppich mit den Schuhn ab;
Alle denken, was die andern denken;
Alle kennen, den ihr Nachbar auch kennt.
Mein Gott, was würden sie da sagen,
Käm ihr Catull des Wegs gegangen? (K. R.)
Mit der Anrufung der Waffen beginnt die Aeneis; den Bienen ist das vierte Buch der Georgien gewidmet; der Pflug spielt natürlich im ganzen Landbau-Gedicht eine Rolle, insbesondere im zweiten Buch. Ein Zitat, das die drei Begriffe – Waffen, Bienen, Pflug – vereint, konnte ich nicht ermitteln.
John Keats (1795–1821), mit Byron und Shelley Dichter der jüngeren Romantikergeneration.
Julian Apostata (332–363), der römische Kaiser, der das Christentum noch einmal aufzuhalten versuchte und die alten Götter wieder in ihre Rechte einsetzte.
Scilly Islands, zu Cornwall gehörende Inselgruppe, 25 Meilen südwestlich von Land's End.
Domesday Book (zu doomsday: Jüngster Tag, Tag des Gerichts) war das Verzeichnis der Ländereien (mit Angabe der Größe, des Werts, der Bewohner, des Viehbestands), das William the Conqueror 1086, also zwanzig Jahre nach seiner Eroberung Englands, anlegen ließ.
Robert Gascoyne-Cecil, Marquess of Salisbury (1830–1903), wurde 1878 Außenminister, 1881 Führer der Konservativen Partei und war dreimal Premierminister (1885–86, 1886–92 und 1895–1902).
Beliebtes viktorianisches Kirchenlied von H. F. Lyde (1793–1847). (»Geh ein zu mir:/ Rasch fällt die Abendzeit;/ Der Schatten Schwärze;/ Herr, zu mir geh ein.« H. Z.) Die zweite Strophe beginnt: »Swift to its close ebbs out life's little day« (»Rasch verebbt des Lebens kleiner Tag«),
Aus einem anonymen Kirchenlied von 1802 (»Großer Gott, was hör und seh ich?«).
Beliebtes Kirchenlied von A. M. Toplady (1740–1778). (»Fels der Zeiten, tu dich auf,/ Birg mich vor der Erde Lauf.« H. Z.)
Gurnard's Head, ein Felsvorsprung an der Nordküste Cornwalls bei Zennor.
Lady Cynthia Charteris heiratete 1910 den Sohn des Premierministers, Herbert Asquith, in der Westminster Abbey in London.
Sidonia ist kein Sternbild, auch kein Stern, sondern frei, wenn auch gut erfunden, denn die phönizischen Bewohner des antiken Sidon waren durchaus sternkundig. Diese Erfindung – d.h. der alte Mr Clutterbuck erzählt teilweise und unbemerkt Mumpitz – paßt ins parodistische Bild des Abends. (A.d.Ü.)
Henry Petty Fitzmaurice, Lord Lansdowne (1845–1927), Außenminister seit 1900; Führer der Opposition der Konservativen im Oberhaus 1905–15.
Zu Mudie's Leihbibliothek vgl. Anm. 9. Wir befinden uns hier in Bloomsbury, also zwischen dem eleganten West End und dem Geschäfts- und Banken viertel, der sog. City. Die Grenze wird etwa durch die Southampton Row markiert. Holborn verbindet Bloomsbury mit der City. Am Rand der City liegt auch Ludgate Hill mit der St. Paul's Cathedral.
Shepherd's Bush, Viertel der Lower Middle Class im Norden Londons. Die Pointe hier scheint das Nebeneinander der Klassen in der Öffentlichkeit zu sein: der eine fährt ins Bankenviertel, der andere in die kleinbürgerliche Vorstadt, und sie kreuzen sich an einem Punkt. (So der Penguin-Kommentar.)
Gemeint ist die Prudential Assurance Company, eine Versicherungsgesellschaft. Das neo-gotische rote Backsteingebäude stand an der Holborn, auf halbem Weg von Bloomsbury zu St. Paul's. (Mitgeteilt von Julia Briggs.)
Das Grab des Duke of Wellington (Anm. 23), in der Krypta von St. Paul's Cathedral.
Ebenfalls in der Krypta. Horatio, Viscount Nelson (1758–1805), der Admiral, der am 21. Oktober 1805 die Flotte Napoleons bei Trafalgar schlug, selbst dabei aber umkam. Er wurde am 6. Januar 1806 in der Krypta von St. Paul's beigesetzt. Sein Kolossal-Denkmal steht seit 1849 auf Trafalgar Square.
George Finlay, History of the Byzantine and Greek Empires, front 716 to 1453, 1854 in zwei Bänden erschienen. Jacob liest offensichtlich die 1906 erschienene einbändige Taschenausgabe der Everyman's Library.
Thomas à Kempis (1380–1471), berühmter deutscher Mystiker, Vertreter einer neuen, verinnerlichten Frömmigkeit (›devotio moderna‹). Sein Hauptwerk De imitatione Christi war eines der erfolgreichsten Bücher des späten Mittelalters und der beginnenden Neuzeit.
Tristan und Isolde, Oper von Richard Wagner, 1865 in München uraufgeführt. Die im nächsten Absatz erwähnte Brangäne ist die Dienerin, die für beide den Liebestrank mischt.
Sir Horace Walpole, der große, von VW als Stilist hochverehrte Briefschreiber und Erfinder des Schauerromans (The Castle of Otranto, 1764), starb 1797. (Siehe VWs Essays ›Die menschliche Kunst‹ und ›Zwei Altertumsforscher: Walpole und Cole‹, in Der Tod des Falters. Essays, Frankfurt: S. Fischer, 1997.) – Victoria wurde 1819 geboren und bestieg 1837, also mit 18 Jahren, den Thron.
Sophokles (496–406 v.u.Z.), der von VW am meisten geschätzte der drei großen attischen Tragiker (Antigone, Oedipus Rex). Siehe ihren Essay ›Von der Unkenntnis des Griechischen‹, in Der gewöhnliche Leser, Band 1, Frankfurt: S. Fischer, 1989.
Titus Lucretius Carus (ca. 99 – 55 v.u.Z.), Verfasser des großen Lehrgedichts De natura rerum. Das erste Buch handelt vom Raum und der Leere und ihrem Verhältnis zueinander. Es könnte damit durchaus in Beziehung zur Thematik des Romans stehen.
William Wycherley (1641–1715), ein Hauptvertreter der Restoration Comedy. Seine Stücke sind scharfsinnig und witzig, wurden aber wegen seines oft pikanten bis schlüpfrigen Tons in Dingen der Geschlechts- und Ehemoral später von den Viktorianern scharf kritisiert. (The Piain-Dealer, 1677)
The Fortnightly Review (seit 1865), The Contemporary Review (seit 1866) und The Nineteenth Century (seit 1877) waren ›respektable‹ literarische Zeitschriften, in denen die Elite der Viktorianer, dann der Edwardians publizierte.
Mr Letts war der wichtigste Drucker kleiner Taschenkalender und -diarien, hauptsächlich für Damen.
Alfred, Lord Tennyson (1809–1892), der Haupt- und Staatsdichter der Viktorianer, trotz seines unbestreitbaren poetischen Rangs von der jüngeren Generation belächelt.
Parliament Hill, oberhalb von Hampstead in Nordlondon, so genannt, weil die Verschwörer der sog. ›gun powder plot‹ um Guy Fawkes am 5. November 1605 von dort aus das brennende Parlament beobachten wollten. Zur Erinnerung an die vereitelte Verschwörung (und geplante Rekatholisierung) finden alljährlich am 5. November Feuerwerke und karnevaleske Lustbarkeiten in London statt.
Populäre schottische Volksweise, z.T. von dem schottischen Nationaldichter Robert Burns (1759–1796) verfaßt, die häufig als Kehraus bei fröhlichen Feiern »mit gereichten Händen« gesungen wurde.
In der Faszination durch die Griechen »im Original« (nicht ganz selbstverständlich in der in langer Tradition vom Lateinischen geprägten englischen Kultur) trifft sich Jacob mit VWs eigener Vorliebe. Vgl. den in Anm. 51 genannten Essay von VW.
Der erste Teil von Dantes (1265–1321) großem Gedicht La Divina Commedia.
Die Aerated Bread Company gründete Teestuben in ganz London, Billig-Lokale, die Frauen unbegleitet besuchen konnten.
Percy Bysshe Shelley (1792–1822), mit Byron und Keats der dritte der großen Dichter der jüngeren Romantikergeneration. Sein wenige Zeilen später erwähntes Gedicht Adonais ist eine Elegie auf den mit 26 Jahren verstorbenen John Keats, 1821 veröffentlicht.
George Berkeley (1684–1753) lehrte, daß eine vom Wahrnehmen und Denken unabhängige Außenwelt nicht existiert. Real existiert überhaupt nichts außer der Substanz des Geistes, der Seele und des Ich. (A.d.Ü.)
Wohl nach Vergil, Ecloga III, 93, »Latet anguis in herba«, »es verbirgt sich (es lauert) die Schlange im Gras«.
Es soll ein Brauch gewesen sein, daß Prostituierte als Zeichen ihrer Bereitschaft den Handschuh fallen ließen.
Notting Hill (im Westen) und Clerkenwell (im Osten Londons) waren zur Zeit des Romans Armenviertel.
Beginn der ersten Strophe und – ein paar Zeilen später – die dritte Strophe des Schäferliedchens aus Shakespeares Two Gentlemen of Verona, IV, ii, 38ff. In der Übersetzung Dorothea Tiecks lauten die Verse:
Wer ist Silvia? Was ist sie?
Die aller Welt Verehrung?
…
Dich, o Silvia, singen wir,
Die hoch als Fürstin thronet;
Du besiegst an Huld und Zier,
Was auf Erden wohnet.
Kränzt das Haupt mit Rosen ihr.
Franz Schubert hat das Lied 1826 zur Übersetzung von Eduard von Bauernfeld vertont (op. 106,4; Deutsch-Verzeichnis 891), und es wurde zu einem beliebten Salonlied. In Bauernfelds Übersetzung lauten die erste und die dritte Strophe:
Was ist Silvia, saget an,
Daß sie die weite Flur preist?
Schön und zart seh ich sie nahn,
Auf Himmelsgunst und Spur weist,
Daß ihr alles Untertan,
Daß ihr alles Untertan.
…
Darum Silvia tön, o Sang,
Der holden Silvia Ehren,
Jeden Reiz besiegt sie lang,
Den Erde kann gewähren,
Kränze ihr und Saitenklang,
Kränze ihr und Saitenklang.
Tottenham Hotspurs war ein Football-Club; The Harlequins ein Rugby-Team.
The Star, eines der auflagenstärksten Massenblätter. Gray's lnn war einer der vier Londoner Anwaltsdistrikte.
Hühnerrassen.
Das berühmte russische Ballett von Serge Diaghilev (1872–1929) trat seit 1911 regelmäßig in London auf. Diaghilev hatte das Ballett revolutioniert durch die Verbindung moderner Musik (Strawinsky) mit moderner Ausstattung (Picasso, Andre Derain) und exzentrischer Choreographie (Nijinsky). Die neue Form stieß bei der Bloomsbury-Gruppe auf größtes Interesse.
Der von VW geschätzte Dichter William Cowper (1731–1800) war auch ein namhafter Briefschreiber. Die Heldin von VWs erstem Roman The Voyage Out, Rachel Vinrace, hat Cowper's Letters in ihrem Gepäck.
Eine Straße in Soho, also im Londoner Vergnügungsviertel.
Das Albany war ein Gebäudekomplex in Piccadilly mit 69 noblen Wohnungen für Junggesellen.
Walworth, eine Unterschichtsgegend im Südosten Londons; Putney, eine Mittelschichtsgegend im Südwesten. Die dort lebenden Frauen (die Proletarierin Moll Pratt und die Bürgersfrau Mrs Hilda Thomas) ergeben zusammen mit der Aristokratin am Grosvenor Square wieder ein Bild des Nebeneinanders verschiedener Gesellschaftsschichten.
Joseph Chamberlain (1836–1914), liberaler Politiker, Gegner Gladstones in der Frage der Unabhängigkeit Irlands. Gladstone trat für die sog. ›Home Rule‹, also ein eigenes irisches Parlament in Dublin, ein.
Baschan, Name des nördlichen Teiles des Ostjordanlandes, vom Hermongebirge im Osten zur Hochebene im Westen reichend. Außerordentlich fruchtbar. In der Bibel werden insbesondere die fetten Weiden (Micha 7, 14) und das fette Vieh (Deuteronomium 32,14; Amos 4,1; Psalm 22,13) gerühmt. Die »starken Büffel« des Psalmisten symbolisieren die wütenden Feinde, die den Gerechten bedrängen.
The Spectator, bereits 1711 von Steele und Addison gegründet als »moralische Wochenschrift«, in der wichtige Debatten vor allem zur Ästhetik geführt wurden. Im 19. Jahrhundert mit der Zielsetzung eines »educated radicalism« neu organisiert. Herausgeber war von 1898 bis 1925 John St Coe Strachey, ein Vetter Lytton Stracheys, der häufig im Spectator publizierte.
Nicht die liberale Abendzeitung Westminster Gazette, sondern deren literarisches wöchentliches Supplement, Saturday Westminster.
James Abbott McNeill Whistler (1834–1903), aus Amerika stammender Maler, der prägenden Einfluß auf die Kunstszenen und ästhetischen Debatten in London und Paris hatte. Befreundet in London mit Oscar Wilde und Swinburne, in Paris mit Mallarmé. Am berühmtesten waren seine Bilder der Themse im Abendlicht, die Nocturnes.
Ein Theorem von VWs Freund Roger Fry (1866–1934), dem Maler und Kunsttheoretiker, der die erste Ausstellung post-impressionistischer Malerei (Cézanne, Gauguin, van Gogh, Picasso, Matisse) im November 1910 in London organisiert hatte. Seine folgenreichen Kunstauffassungen sind in dem Essay-Band Vision and Design (1920) gesammelt.
Herbert Henry Asquith (1852–1928), seit 1908 Premierminister, setzte 1912 die ›Home Rule Bill‹ (Anm. 76) durch, die Irland weitgehende Selbstbestimmung sicherte. – Königin Alexandra war die (dänische) Frau von Edward VII. (1901–1910).
Christopher Marlowe (1564–1593), der nach Shakespeare bedeutendste Dramatiker der elisabethanischen Zeit. Auch Marlowes Werk war in der Ausgabe der Mermaid Series (Anm. 23) wieder unbereinigt zugänglich.
George Eliot (1819–1880) und Charlotte Brontë (1816–1855) oder Emily Brontë (1818–1848), die drei großen Romanautorinnen der viktorianischen Ära. Über alle drei hat VW wiederholt geschrieben.
John Masefield (1878–1967), außerordentlich fruchtbarer Schriftsteller mit rund 50 Gedichtbänden und über 20 Romanen. – Arnold Bennett (1867–1931), erfolgreicher realistischer Erzähler. Beide Autoren sind für VW Repräsentanten einer altmodischen, »unwahren« Schriftstellerei, gegen die sie häufig polemisierte und denen sie ihre eigene Form des Schreibens – zuerst in Jacob's Room – gegenüberstellte.
Die Penguin-Ausgabe vermutet, mit den sechs jungen Männern könnte der Kreis um VWs Bruder Thoby Stephen, also der Nucleus des Bloomsbury-Kreises, gemeint sein: der Kunstkritiker Clive Bell (1881–1964), der Essayist und Biograph Lytton Strachey (1880–1932), der Wagnerianer und spätere Regierungsbeamte Saxon Sydney-Turner (1880–1962), der Literaturkritiker Desmond MacCarthy (1877–1952) und der Ökonom Maynard Keynes (1883–1946).
Gemeint sein dürfte Clive Bell (Anm. 86), verheiratet mit VWs Schwester Vanessa.
Es handelt sich um den Athener Parthenonfries, den Lord Elgin, um ihn vor weiterem Verfall zu bewahren, dem türkischen Staat abgekauft und 1812 nach England hatte transportieren lassen. Für die Hälfte der Transportkosten verkaufte er ihn und andere griechische Bildwerke dem englischen Staat. Seit 1816 im British Museum.
Thomas Babington Macaulay (1800–1859), der populärste und erfolgreichste englische Historiker (History of England in sechs Bänden, 1849–55); Thomas Hobbes (1588–1679), der Begründer der modernen, auf Gewaltenteilung basierenden Staatstheorie. – Edward Gibbon (1737–1794), Verfasser der History of the Decline and Fall of the Roman Empire in sechs Bänden (1776–88). Zu Gibbon siehe VWs Essays ›Der Historiker und »Der Gibbon«‹ und ›Betrachtungen in Sheffield Place‹, in Der Tod des Falters. Essays, Frankfurt: S. Fischer, 1997.
Richard Bentley (1662–1742), das Monument der englischen Altphilologie, berühmt für seine Despotie und Pedanterie. Satireobjekt von Swift und Pope.
Das British Museum hat seit 1789 seinen Sitz an der Great Russell Street in Bloomsbury.
Eine verwitterte Skulptur im British Museum. VW schreibt für »Odysseus« die anglisierte lateinische Form »Ulysses«. Ein Unterschied zwischen der deutschen und der englischen Kultur ist, daß die Engländer gewöhnlich griechische Namen und Titel in lateinischer Form geben, also »Jupiter« für »Zeus«, »Juno« für »Hera«, »Plato« für »Platon«. Diese »Kulturtatsache« haben wir in der Regel in der deutschen Übersetzung beibehalten. Bei »Ulysses/Odysseus« haben wir den im Deutschen geläufigen Namen benutzt, weil sonst vielleicht die Aufmerksamkeit auf den gerade aktuell gewordenen Roman von James Joyce (1922) gefallen wäre.
Phaedrus, griech. Phaidros, einer der platonischen Dialoge über die Liebe und die Unsterblichkeit der Seele.
Von Hammersmith im äußersten Westen Londons über Piccadilly bis zur Gegend um Holborn, wo Jacob wohnt, ist es eine weite, kaum zu Fuß zu bewältigende Strecke.
Somerset House, Adelssitz aus dem 18. Jahrhundert an der Strand, jetzt Sitz verschiedener Regierungsbehörden, z.B. des Standesamts.
Lothair (1870), populärer Roman von Benjamin Disraeli (1804–1881).
Wie Lincoln's Inn und Gray's Inn einer der Londoner Anwaltsdistrikte, nicht weit von Somerset House in westlicher Richtung.
Der Penguin-Ausgabe zufolge wählte VW St. Pancras, weil die dortige Kirche (von W. H. Inwood) das wichtigste Beispiel im neo-griechischen Stil sei, mit einer dem Erechtheion nachempfundenen Säulenvorhalle. Die Kirche entstand 1822, also nach der Ankunft der ›Elgin Marbles‹ in London.
Madame Tussauds berühmtes Wachsfigurenkabinett gab es seit Anfang des 19. Jahrhunderts.
Hausenblase, die getrocknete innere Haut der Schwimmblase verschiedener großer Fischarten, z.B. vom Hausen. In heißem Wasser aufgelöst, erstarrt sie zu einer durchsichtigen farblosen Gallerte. Man benutzte sie in begüterten Häusern u.a. für Gelees und zum Appretieren von Seide. (A.d.Ü.)
Empire Music Hall in Leicester Square, von besseren Prostituierten frequentiert.
Stadtanlage im Norden Londons, entworfen für ein Wohnen »im Grünen«.
Express Dairy Company, billige Teestuben-Kette, ähnlich den A.B.C.-Shops (Anm. 61).
Foundling Hospital, in der Nähe von Gray's Inn, wo Jacob wohnt. Es bestand seit 1742 und war für illegitime Kinder »gefallener« Frauen eingerichtet worden.
Swan and Edgars, eines der ersten großen (und eleganten) Kaufhäuser an der Prachtstraße Regent Street. – Der sog. »Farthing« war eine Münze im Wert von einem Viertelpenny.
Zu Walter Scott siehe Anm. 14.
Entweder »Dumas père«, Alexandre Dumas (1802–1870), oder »Dumas fils«, Alexandre Dumas (1824–1895), beide waren als Dramatiker seinerzeit sehr erfolgreich. Fanny meint mit Sicherheit den Vater, von dem so berühmte Bestseller stammten wie Les Trois Mousquetaires (1844) oder Le Comte de Monte Cristo (1845–46).
Die Slade School of Fine Art (University College, London), 1871 gegründet, versuchte eine gemäßigte Moderne zu lehren, wehrte sich aber gegen den Einfluß der von Roger Fry propagierten post-impressionistischen Kunst. Vanessa Bell und Duncan Grant studierten dort kurz. Die weiter unten erwähnten englischen Maler Henry Tonks (1862–1937) und Philip Wilson Steer (1860–1942) unterrichteten dort.
Henry Fielding (1707–1754) ist einer der Begründer des englischen Romans. Sein Tom Jones (1749), einer der Meilensteine der englischen Romankunst überhaupt, ist keineswegs, wie Fanny meint, ein »mystisches Buch«, sondern witzig, skurril und bisweilen anstößig.
New Forest Staghounds: »Staghounds« sind eine speziell für Rot- oder Hochwild gezüchtete Hunderasse. Die Jagd ist zu Fuß, nicht zu Pferde wie bei der Fuchsjagd. Diese Form der Jagd galt als »aristokratisch« und war bei Studenten aus Oxford und Cambridge beliebt. Der New Forest in Hampshire war das letzte verbliebene große königliche Wald-Jagdgebiet. Mit »New Forest Staghounds« kann sowohl diese Hunderasse wie eine Art informeller Jagdklub gemeint sein. (Nach freundlicher Auskunft von Julia Briggs).
Shakespeare, Cymbeline, V, v,263. Der Zusammenhang: Posthumus hatte seine verlorene Imogen zunächst nicht wiedererkannt und niedergeschlagen. Imogen: »Why did you throw your wedded lady from you?/Think that you are upon a rock, and now/Throw me again.« Posthumus: »Hang there like fruit, my soul,/Till the tree die.« In der Übersetzung von Dorothea Tieck: Imogen: »Wirfst du so weg dein angetrautes Weib? (Sie umarmt Posthumus) Denk, daß du auf 'nem Felsen stehst, und wirf/Mich wieder fort.« Posthumus: »Häng hier als Frucht, mein Leben,/Bis der Baum stirbt.«
Macbeth, V, iii,11. Macbeth »weiß« auf Grund des Orakels, daß er »unbesiegbar« ist. Da tritt ein Diener auf, um das heranrückende Heer zu melden. Macbeth beschimpft ihn ob seiner Feigheit: »Der Teufel brenn dich schwarz, milchbleicher Lump!«
Nursery Rhyme: »Hei didel didel, die Katz und die Fiedel.«
Jean-Baptiste-Siméon Chardin (1699–1779), der große Stillebenmaler und Porträtist.
Pierre Louÿs (1870–1925), Autor erotischer Gedichte und Romane, oft mit pseudo-antikem Hintergrund.
Die Episode wäre somit 1911 anzusetzen, als der König zusätzlich Liberale Peers, also Oberhausabgeordnete, ernennen sollte, damit ein Finanzantrag des Unterhauses das Oberhaus passieren konnte, was zu einer Verfassungskrise führte.
Georgica II,221: »Illa tibi laetas intexet viribus ulmos«.
Die Querelle des Anciens et des Modernes stritt – gegen Ende des 17. Jahrhunderts – darum, ob es in der Literatur »besser« sei, die Autoren der Antike zu imitieren oder sich dem »Fortschritt« auch in den Künsten anzuschließen. Die Debatte zog sich bis ins 18. Jahrhundert und blieb nicht auf Frankreich beschränkt. Swift ridikülisierte sie in seinem Battle of the Books, 1697.
Hier scheint ein pompöser Stil gemeint zu sein, eine Ansicht hinsichtlich Gibbons Stil, die VW später revidierte. Siehe Anm. 89.
Daily Mail, konservative Tageszeitung, 1896 gegründet.
Vorher – S. 94 – hieß der Amerikaner Pilcher. Eine Boshaftigkeit Jacobs, weil »pilchard« Sardine heißt, oder ein Stück »Psychopathologie des Alltagslebens«?
Der russische Dramatiker und vor allem Erzähler Anton Tschechow (1860–1904) hat VW ihr Leben lang fasziniert und beeinflußt. Sie verlegte sogar kürzere Prosaarbeiten und half bei den Übersetzungen, für die sie Russisch zu lernen versuchte. Sandra Wentworth Williams drapiert sich als eine typisch Tschechowsche Heroine.
Politiker des 18. Jahrhunderts: William Pitt, first Earl of Chatham (1708–1778), Whig-Politiker, mehrfach Minister, galt als einer der größten Redner seiner Zeit. – Sein Sohn, William Pitt der Jüngere (1759–1806), wurde bereits mit 25 Jahren, 1783, Premierminister und blieb es bis 1801. – Edmund Burke (1729–1797), heute vor allem bekannt durch seine Theorie des Erhabenen und seine Kritik der Französischen Revolution, setzte eine größere Unabhängigkeit des Unterhauses gegenüber dem König durch, verteidigte die Unabhängigkeiten der amerikanischen Kolonien und Irlands und kritisierte die Mißwirtschaft in Indien. – Charles James Fox (1749–1806), bedeutender Redner und Whig-Politiker, Opponent der Politik des jüngeren Pitt.
Vom Hera-Tempel. Die Statue wurde 1877 entdeckt.
Das Erechtheion auf der Akropolis, 421–395 erbaut, ist charakterisiert durch die sechs Karyatiden – Säulen in Mädchengestalt –, die den Portikus tragen.
Die Berge Athens – wie alle griechischen Namen in diesem Kapitel von VW in lateinischer Form gegeben.
Unklar, wer gemeint ist: der weltflüchtige, asketische, bußpredigende Petrus Damianus aus dem 11. Jahrhundert? Der Volksprediger Damian dei Fulcheri aus dem 15. Jahrhundert? Der belgische Aussätzigenpriester Damian Deveuster (gest. 1889), der auf den Sandwich-Inseln, in Honolulu und auf den Molukken sich der Versorgung der Aussätzigen widmete und selbst an Aussatz starb? Wahrscheinlich bringt Mrs Duggan das Leben des letzteren in Verse.
Möglicherweise eine Anspielung auf Lord Kitcheners berühmtes Plakat – »Your Country Needs You!« –, mit dem er bis Mai 1915 eine Million siebenhunderttausend Kriegsfreiwillige anwerben konnte. (Ein Jahr später waren es bereits drei Millionen.)
John Donne (1572–1631), der ebenso witzige wie durch und durch erotische, »metaphysische« Dichter. Vgl. VWs Essay ›Donne nach drei Jahrhunderten‹, in Der gewöhnliche Leser, Band 2, Frankfurt: S. Fischer, 1990. Der im nächsten Satz erwähnte »sausende Stern« spielt vielleicht an auf den Anfang eines Liebesliedes von Donne: »Goe and catche a falling starre« (»Geh und fang eine Sternschnuppe«).
Der englische Außenminister Sir Edward Grey (1862–1933) bemerkte bei Ausbruch des Krieges: »The lamps are going out all over Europe. We shall not see them lit again in our lifetime.«
Lombard Street und Fetter Lane sind Straßen in der City, Bedford Square ein großer Platz neben dem British Museum.
The Monument, Gedenksäule für das Große Feuer von 1666, von Sir Christopher Wren entworfen. Die stilisierten goldenen Flammen an der Spitze ähneln gesträubtem Haar.
Siehe Anm. 130. Grey hatte lange eine Friedenspolitik verfolgt, trat aber im August 1914 dafür ein, daß England dem bedrohten Belgien zu Hilfe kommen müsse.
Für die »Great Exhibition« von 1851 wurde auf dem Süd-Gelände des Hyde Park der Crystal Palace errichtet, der nach dem Ende der Ausstellung nach Sydenham transferiert wurde.
Die sechs Meter hohe bronzene Achilles-Statue an der Park Lane wurde aus erbeuteten französischen Kanonen »von den Frauen Englands« zu Ehren des Herzogs von Wellington errichtet.
Marble Arch, am nördlichsten Ende der Park Lane und des Hyde Park.
Alceste, die Hauptfigur in Molières Komödie he Misanthrope (1666). Alceste, ein Ehrlichkeitsapostel, verachtet jede Art der Konvention (Höflichkeit, Takt, Anstand), die er für Heuchelei hält; leider ist er in die kokette Célimène verliebt …
Syrien blieb bis zum Ende des Ersten Weltkrieges Teil des türkischen Reichs, seine Zukunft hing aber bereits in der Luft und erweckte Begehrlichkeiten. Es wurde 1920 französisches Mandatsgebiet.
Die Prozession – offensichtlich für den Krieg – bewegt sich durch das Regierungsviertel, also Whitehall hinunter bis zu den Parlamentsgebäuden mit »den stachligen Spitztürmen«.
Der Abschnitt komprimiert, mit Hebelscher Kürze, das hektische Durcheinander am 4. August 1914, dem Tag der Kriegserklärung Englands an Deutschland: deutscher Reichstag, Reisetätigkeit von Kaiser Franz Joseph, Konsultation mit dem türkischen Sultan, neutral zu bleiben oder sich den alliierten Engländern und Franzosen anzuschließen, Alarmbereitschaft der Flotte vor Gibraltar, Aufruhr im britischen Punjab (Cahore) usw. Die Stimme, die hier spricht, ist die des Premierministers Herbert Henry, first Earl of Oxford and Asquith (1852–1928).
Siehe Anm. 123. Hinzugekommen ist hier William Gladstone (1809–1898), Politiker der Liberalen, viele Jahre lang Victorias Premierminister, der vergeblich die irische Home Rule verfochten hatte.
Blue Book, von einem der Parlamente veröffentlichter Regierungsbericht.
Gaiety, Music Hall an der Strand.
Kensington Palace, am Westrand von Kensington Gardens und Hyde Park, im Besitz der königlichen Familie.
Diesmal wahrscheinlich eine Anti-Kriegs-Demonstration (von Frauenrechtlerinnen organisiert?) im Londoner Theaterviertel.
Der Pferdebasar in der Upper St. Martin's Lane, ebenfalls im West End, in der Nähe der Theater.
Das weitgereiste Volk der Phönizier soll bis Cornwall gekommen sein und dort mit Zinn gehandelt haben.
»So blieb eigentlich«, schrieb Betty Flanders und grub die Hacken noch tiefer in den Sand, »nichts anderes als wieder abzureisen.«
Langsam entquoll der Spitze ihrer Goldfeder blaßblaue Tinte und löste den Punkt auf; denn hier stockte ihre Feder; ihre Augen standen still, und langsam füllten sie Tränen. Die ganze Bucht zitterte; der Leuchtturm wackelte; und sie hatte die Illusion, daß der Mast von Mr Connors kleiner Jacht sich verbog wie eine Wachskerze in der Sonne. Sie blinzelte rasch. Unfälle waren etwas Schreckliches. Sie blinzelte noch einmal. Der Mast war gerade; die Wellen waren regelmäßig; der Leuchtturm war lotrecht; aber der Klecks hatte sich ausgebreitet.
»… nichts anderes als wieder abzureisen«, las sie.
»Also wenn Jacob nicht spielen will« (der Schatten von Archer, ihrem ältesten Sohn, fiel über das Briefpapier und sah auf dem Sand blau aus, und sie fröstelte – es war schon der dritte September), »wenn Jacob nicht spielen will« – was für ein scheußlicher Klecks! Es muß schon spät sein.
»Wo ist dieser kleine Quälgeist?« sagte sie. »Ich sehe ihn nicht. Lauf und such ihn. Sag ihm, er soll sofort kommen.« » … doch gottlob«, schrieb sie hastig und bekümmerte sich nicht um den Punkt, »scheint alles zur Zufriedenheit gelöst, wenn wir auch wie Heringe ins Faß gepfercht sind und den Kinderwagen hinausstellen müssen, was die Wirtin natürlich nicht dulden will …«
Solcherart waren Betty Flanders' Briefe an Kapitän Barfoot – etliche Seiten lang, tränenfleckig. Scarborough ist siebenhundert Meilen weit von Cornwall: Kapitän Barfoot ist in Scarborough: Seabrook ist tot. Tränen ließen alle Dahlien in ihrem Garten zu roten Wogen verfließen und blitzten ihr das Gewächshaus in die Augen und bestirnten die Küche mit blinkenden Messern und brachten Mrs Jarvis, die Pfarrersfrau, beim Gottesdienst, während die Choralmelodie erklang und Mrs Flanders sich tief über die Köpfe ihrer kleinen Jungen neigte, auf den Gedanken, daß die Ehe eine Festung ist und Witwen einsam auf weiter Flur umherirren, Steine aufklauben, einzelne goldene Strohhalme auflesen, allein, unbeschützt, arme Geschöpfe. Mrs Flanders war nun seit zwei Jahren Witwe.
»Ja-cob! Ja-cob!« schrie Archer.