
© Mirabilis Verlag 2016
www.mirabilis-verlag.de
Text, Grafik und Covergestaltung: © Florian L. Arnold
Satz: Philipp Andersson, Rostock/Wolfgang Schanz, Miltitz bei Meißen
Druck und Bindung: OOK-Press Kft. Veszprém Hungary
ISBN Print 978-3-9816674-4-8
ISBN eBook 978-3-9816674-8-6
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Die Ferne. Man kommt nicht an sie heran.
Erstaunlich seid ihr Reisenden!
und welche erhabenen Geschichten lesen wir in euren Augen, die wie die Meere tief sind!
Eröffnet uns die Schätze eurer reichen Gedächtnisse, zeigt uns jene wunderbaren Kleinodien aus Sternenglanz und Himmelsklarheit. Sagt, was habt ihr gesehn?
Charles Baudelaire, Les Fleurs du Mal, CXXVI, Die Reise

Nächtelang hört man Stimmen, Lärm, Fahrzeuge, Sirenen, schwarzer Karneval im steten Trommelrhythmus der schlagenden Herzen und der Fluchtschritte. Es gibt weder Tag noch Nacht, der Staub zerbrach vor Tagen schon die Herrschaft des Lichts und lässt keinen Blick zu. Mit gesenktem Kopf geht voran, wer sich nach draußen begeben muss. Ohnehin gibt es keinen erreichbaren Ort, an den man flüchten könnte. Immer wieder sucht jemand die Radiofrequenzen nach einem menschlichen Laut ab, ein Versehen vielleicht, dass der Lautstärkeregler bis zum Anschlag aufgedreht ist:
… Ausbruch der Stärke acht … Auswurfmenge von mindestens eintausend Kubikkilometern …
Hatte es nicht in den Tagen vor dem Ereignis fortwährend und schließlich sogar ohne die Unterbrechung durch Musik oder Werbung Meldungen gegeben, die zur Flucht aufforderten, und dazu geheimnisvolle Sichtungen: … Anhebung des Erdbodens um eineinhalb Meter … Schwefelwolken über der Stadt … Weiß knisternde Wolken, den ganzen Tag schon … Seien sie nicht beunruhigt, aber gehen Sie nicht aus dem Haus … Lassen Sie das Radio oder den Fernseher für weitere Meldungen eingeschaltet! … Elektrische Entladungen im Großraum von …
Von allen Ecken des Landes hörte man solche Meldungen, und nun antwortet ausschließlich weißes Rauschen. Selbst wenn der Lautstärkeregler bis zum Anschlag aufgedreht ist, keine verstehbaren Worte, alles ist zusammengeschrumpft auf die wenigen Laute des Überlebens: der eigene Atem, ein Raunen aus den Räumen, ein Seufzen, ein Kinderweinen.
Die Fenster sind verhängt durch Stoffe, Vorhänge, aber auch aneinandergeheftete Kleidung. Es dürfen keine Löcher in diesen Stoffen sein, durch die Stoffe gehen Geister, böse Geister. Ohnehin möchte niemand aus den Fenstern blicken und an die fliegenden Feuer erinnert werden, an das tizianrote Dämmerlicht, das dem Verlöschen des ersten Ausbruchs folgte, an die stumme Ergebenheit der Gebäude, die, tagelang von glühender Luft umgeben, lautlos in sich zusammenfielen. Dann wurde es Nacht. Aus der Nacht fiel Schnee in die Straßenschluchten, Schnee, der die Haut verbrannte, der das Wasser vergiftete, Feuerregen, Glutgestöber.
Anfangs noch hatten Kinder gelacht, hatten das ferne Leuchten als Feuerwerk missdeutet und Flammenräder und Lichtkreisel sehen wollen, blendeten sich an den hoch in den Himmel jagenden Fontänen geschmolzener Erde, begriffen noch nicht, warum die Skyline sich neu zeichnete aus allen Tönen von Rot und Weiß und dann ins Meer sank. Erst das Schweigen machte ihnen Angst, das Zerfallen aller Worte. Hoch am Himmel standen die Feuergarben, die sich in Schleiern auf das Land senkten, selbst das für die Ewigkeit gedachte künstliche Leuchtfeuer der Kraftwerke löste sich auf in Dampf und Schaum. Aluminiumrauch, Regenbogen über verdampfenden Flüssen, galoppierende Feuerfiguren in den Wäldern, die Baumgestalten versteift in Getöse und Feuer, erstaunt, wie leicht sie ihrem Erdreich enthoben wurden. Rabenschwärme, durch heiße Partikel aufgescheucht, spiegeln sich in den Straßen von zerstoßenem Glas.
Eingeschlossen von den Feuertänzen brennender Wälder drängen Menschen zur Küste, die meisten in den Masken des Neujahrsfestes. Tausende Teufel und purpurne Nixen, Hexengestalten mit Schellen, Dämonen mit vergoldeten Gesichtern und schleifenden Schwänzen schlagen im Ufersand auf, davon überzeugt, das alles müsse geträumt sein, so jenseits des Vorstellbaren ist das Erlebte. Nicht erwachend blicken sie lange zurück in den großen Raum aus Glut.
Am Ende bleiben das Wort und das Papier,
an den Strand geschwemmt, Bleistift auf Papier, Blätter aus Büchern, Tagebuchnotizen, Aufschriebe. Am Ende bleibt das Papier, vom Meer geborgen, von langen Stöcken an Land geholt. Während das Land verschwindet und die Uferstreifen schmaler werden, während die Überlebenden an den Küstenlinien dem Morgen entgegensehen, schwimmen Hunderttausende, nein, Millionen von Blättern an Land. Hinaufkatapultiert in den Himmel, von den Druckstößen der vulkanischen Explosionen weit hinaus aufs Meer gewirbelt, kehren sie zurück zu den Menschen. Behutsam findet jedes Blatt eine sorgende Hand, aufgereiht im Sand ihre Geschichten, ihr Land auf Papier. Ihre Füße eingegraben in den sämigen Grund von Sand und Papier stehen sie staunend.
Am Ende bleibt das Papier, bleiben die Worte in einer kleinen, gekrümmten, rätselhaft springenden Schrift. Sofort sehen sie die wichtigsten Wörter: Orte ihres Landes, Namen, Gedichtzeilen, in einem Wort sehen sie ganze Bücher. Jedes Blatt steht für eine Bibliothek, die verloren ist, jede Berührung wiegt so viel wie ein ganzes Leben.
Kostbar auch die unlesbaren Worte und Fotos. Doch zuerst sortieren sie die Blätter. Die Worte sind wichtiger, entscheiden sie und schütteln sich still vor Scham, so etwas zu denken, blicken die Augen der Fotografierten sie nicht direkt an? Die Farbe ist verloren, das Papier dünn, abgeschmirgelt. Sie stellen sich vor, dass Fotografien eine Seele besitzen, dass sie noch Geschichten herausfühlen können, die ins Papier belichtet wurden: der Klang der Stimmen derer, die abgelichtet wurden, wie auch die Stimmen derer, die diese Fotos betrachteten.
Vielleicht ist aus den Zeiten etwas in diesen Fotos bewahrt, ein Klang, eine Ahnung der hohen Himmel, der flüsternden Baumkronen hoch über den Menschen oder der trüben Lichtkreise, in denen man beisammen saß in den Zeiten, als es keinen Strom gab und man sich vor dem Feind in tiefe Dunkelheit flüchtete. Oder ist das alles verschwunden in den Fingerspitzen derer, die diese Fotos in den Händen hielten?
Ein Maskenträger reißt sich den Teufel vom Kopf, in seiner Tasche findet er seine Flöte: Er spielt eine Melodie, ratlos folgt man dem ersten Tanzschritt, den er macht, schwankend und unsicher sind seine Bewegungen, aber dann reißen auch andere sich die Masken vom Kopf und folgen den Sprüngen des Flötenspielers, in denen nichts von Takt oder Komik ist. Sie tanzen auf Scherben, vor den Blättern, vor den Fotografien. Und während der Strom von Papier nicht abreißen will, während die Küsten des Landes mit Worten sich füllen, taumeln Musikanten Arm in Arm in Reihentänzen. Der unbändige Wunsch, dem Tod zu entgehen, mündet in einen wilden Tanz der Farben und Töne, der Worte und der Wirklichkeiten. Am Ende bleiben Wort und Papier.

Ich sah mit ihren Augen diese fremden Straßen und Häuser, ich sah die Kleidung der Menschen und ich hörte ihre Sprache, und alles jagte mir Angst ein und peinigte mich mit der Sehnsucht, selbst all das zu sehen und zu hören.
Ich betrachte das Haus meiner Kindheit, das dem Verfall preisgegeben ist. Es war der Traum meiner Eltern, dieses Haus an diesem Ort zu bauen, im Schutz eines hellen Birkenwaldes, auf dem schwarzen Geröll alter Vulkane. Weit geht der Blick hinaus über den Rakjafjord, an dessen äußerstem Ende, von blauschwarzen Nebelbänken verborgen, der dunkle Kegel des Vulkans Rakja sich erhebt. Und obgleich man in dieser fast leeren Landschaft unentwegt etwas hört, zumeist die Schreie der zu jeder Tageszeit jagenden Möwenschwärme und das ebenmäßige Raunen der Brandung, habe ich diesen Ort als Inbegriff des Schweigens und der Stille in Erinnerung.
Ich muss mich von der physischen Existenz des Hauses überzeugen, vielleicht lassen sich die matt und unwirklich gewordenen Teile meiner eigenen Geschichte durch eine Berührung der brüchigen Wände wiederherstellen, vielleicht kann mir ein Blick durch die angelaufenen dunklen Fenster Absolution erteilen. Doch ich irre mich, denn als ich die von Wasser, Frost, Hitze, Efeu und Wein aufgebrochenen Wände wirklich berühre, da empfinde ich einen tiefen Schmerz: als erblicke man die erste Liebe in einem sterbenden Körper wieder. Streng und bitter ist dieser Moment, und der nicht abzuwehrende Gedanke, dass unbelebte Materie doch mit einer Seele erfüllt sei, berührt mich mit einer Traurigkeit, mit der sich hier jeder Stein, jeder Laut, jedes Stück Inventar aufgeladen hat. Wenn dieses Haus in sich zusammenfällt, dann, dessen bin ich sicher, werden Funken seiner Traurigkeit überall dort spürbar sein, wo die Luft etwas von seinen Überresten im Land verteilt.

Das Haus war der Traum meiner Eltern. Ich sehe sie vor dem großen Fenster im Erdgeschoss: Ein mit weißer Holzvertäfelung nur für diesen Ausblick gedachter Raum, der die Sehnsucht nach den Feuerbergen, vor allem aber nach dem Rakja fokussierte und dem der geheime Wunsch zugrunde lag, beim Ausbruch dieses Vulkans in nächster Nähe zu sein, die Vorboten zu spüren im Vibrieren des eigenen Heims, sein Glühen, sein Explodieren als Schimmer auf der eigenen Habe zu sehen, das war eine Art von Glücksfantasie meiner Eltern.
Aus einem alten Einödhof bauten sie dieses Haus nach ihren Vorstellungen um. Ein Architekt, den sie engagierten, schüttelte erst den Kopf und machte sich dann an die Arbeit, das aus brüchigen Grundmauern und morschem Holz gebaute und vor Langem aufgegebene Haus einer Fischerfamilie in die Behausung eines Vulkanologenpaars umzuformen.
Ein Jahr wurde gebaut, bis das Haus fertig war: Lauter starrende Augen besäße der Bau, sagte der Architekt, es sei ein in Stein gesetzter, fortwährend auf den Rakja gerichteter Blick. Warum an diesem abgelegenen Ort jemand freiwillig leben mochte, war ihm selbst dann noch unverständlich, als er erfuhr, dass meine Eltern Vulkanologen waren und dass der Rakja, wenn Gott es nur wolle, in Bälde ausbrechen werde.
Sie blickten hinaus auf den Rakjafjord, hinaus zu ihrem Vulkan, der sich, wie um sie zu narren, an klaren Tagen mit einem Kranz heller Wolken schmückte oder einen tiefen Atemstoß ans Haus Rakjablick sandte, aber niemals mehr tat, als seinen schlummernden Abgrund mit verheißungsvollen Schwefelwolken zu bedecken.
Ich wurde in diesem Haus aufgezogen, hier erlebte ich das Sterben meiner Mutter, hier sah ich ihren toten Körper nach alter Sitte aufgebahrt. Ich erinnere mich, dass der einzige Freund, den wir hatten, auf der anderen Seite des Sarges mit uns trauerte und dass er, dessen Namen Itys ich so vertraut in mir spüre wie die Namen meiner Eltern, eine ebenso tiefe Trauer um Mutter empfand. Itys‘ so offensichtliche Untröstlichkeit war mir ein Trost nach diesem Verlust. Erst nach Wochen in stumpfer Selbstverlorenheit bildete sich der wahre Schmerz und mit ihm die Erkenntnis, dass die Zeit keine Wunden heilt, wie ein Sprichwort so dreist behauptet, sondern nur immer neue Lagen von Erlebnissen über den Kummer legt, sodass dessen Umrisse allmählich ausfransen.
Ich blicke hinüber zum Rakja, der mir heute so merkwürdig klein und harmlos erscheint, während er in meinen Kinderjahren doch ein so großer Quell eines unartikulierbaren, unter der Haut lauernden Schreckens war. Und wie oft träumte ich von seinem Ausbruch: Dann wuchs er ins Unermessliche, sein Vulkanschild hob sich bis in die höchsten Gewölbe des Himmels, er schob seine Glutwolken bis vor unser Haus, sodass mein träumendes Ich aus allen Fenstern ins Innerste des Feuers blickte.
Wie viele Nächte lag ich wach und lauschte in die Geräusche des Fjords hinein, wie oft lief ich zu den Eltern und berichtete ihnen mit wildem Herzschlag von einem Brummen, einem Rumoren, das ich gehört zu haben glaubte. Wie oft führten Mutter oder Vater mich nach einem solchen Vorfall zurück ins Bett, nicht ohne zuvor mit mir an meinem Zimmerfenster zu stehen und meinen immer noch traumfremden Augen den nachtstillen Ausblick auf den Rakja zu zeigen, der sich nicht einmal mit einem matten Glühen aus dem Dunkel herausheben mochte. Andere Kinder mögen sich vor Monstern gefürchtet haben, die aus Bilderbüchern oder Erzählungen erstanden. Ich fürchtete mich vor dem Feuerberg. Es war nicht etwa so, dass wir auf den Feuerberg blickten, nein, er beobachtete uns.
Dass ich den Berg in meiner kindlichen Fantasie ganz natürlich zu einem lebenden, atmenden Geschöpf machte, gefiel meinen Eltern. Es gefiel ihnen so sehr, dass sie sich über die Folgen dieser Vorstellung kaum Gedanken machten, und meine Alpträume nahmen sie lange Zeit als erfreuliches Indiz meines wachen Verstandes, der aus ihren Erzählungen machtvolle eigene Bilder schuf.
Nun stehe ich vor dem Elternhaus und blicke hinüber auf den Schrecken meiner Kindheit und finde ihn klein und harmlos, so weit vom Haus entfernt scheint er mir jetzt. Der Blick des Kindes vergrößert und verziert im gleichen Maße, in dem der Blick des Erwachsenen die Dinge harmlos und schäbig in die Realität zurückholt.
Der Schlüssel für das Haus Rakjablick liegt klein und abgestoßen in meiner Hand: Früher war er groß, kalt und voller Magie. Er öffnete ein Haus, das bis unter die Dachbalken mit Wundern und Schrecken gefüllt war, dessen Vorderseite auf einen still schlummernden Vulkan gerichtet lag, und dessen Rückseite in die schwarzen Weiten dieses Landes wies, in dem ich niemals zu Hause war.
Es bläst ein beträchtlicher Wind, das überrascht mich - ich habe diesen Ort als windstill in Erinnerung. Dieser Geruch von Erde und feuchtem Gras ist mir vertraut, nicht aber der herbe Duft von Salz und Sand. Die trügerischen Launen des Gedächtnisses spiegelten mir auch eine doppelflügelige Eingangstür vor. Stattdessen blicke ich auf ein kleines Türchen, das ich nicht öffnen kann: Sturm riss einer Eibe den Seitenstamm aus dem Leib und drückte ihn gegen den Eingang. Die Holzverkleidung ist aufgerissen, der Stamm ist unbewegbar in die Wand gerammt.
Eine formidable Einbruchssicherung, denke ich und gehe zur Hintertür. Ich erinnere mich an diese Tür als weißlackierten Ausgang in den Garten, darin ein gelb getöntes Glasfenster, das zu jeder Jahreszeit Licht in den schmalen Küchenraum sandte. Verschwunden ist der Garten, den Mutter so liebevoll pflegte; jetzt muss ich durch ungestümes Rankenwerk, Brombeeren und Brennnesseln. Die Tür ist verschlossen und häutet sich; den abgelegten zusammengerollten Häuten exotischer Tiere gleich liegt der einst weiße Lack auf dem Erdreich.
Ich schlage das Küchentürfenster ein, die Tür ist nicht versperrt. Glassplitter knirschen unter meinen Sohlen, die ich zögernd auf den vertrauten Holzfußboden setze. Auch hier empfangen mich Staub, Spinnwebe und Splitter.
Ich nehme die Streichholzschachtel aus der Jacke, Aufflammen der ersten Lichtfunken. Über mir eine nackte Glühbirne, tot und nutzlos wie der ihr zugeordnete Lichtschalter. An der Wand meine Geburtsanzeige: E. Attocker, Geburtsgewicht 3000 g, 48 cm.
Der Boden ist eingesunken, sumpfiger Geruch nach Regen und Holzfäule, die Zimmerdecke verdunkelt von Sickerwasserwolken. Wenn man genau hinhört, könnte man glauben, man höre Tropfen und das unterschwellige Grollen eines nahenden Gewitters. Die alten Kinderängste regen sich unter der Haut: Räuspert sich der Rakja? Steht schon das Vulkanfeuer unter der dünnen Kruste aus rauer Erde, Sand und weißem Gras? Da ist wieder dieses meine Kindheit durchziehende Traumbild, das mir auch jetzt wieder scharf umrissen vor Augen steht: Das rote Magma, das sich durch die Bodendielen drückt, an den Wänden hochsteigt, das sich das Haus zum Ausbruchskanal macht. Ich öffne die Zimmertür und sehe in den Vulkanschlund …! Nein. Eine alte Einbildung nur. Still ist alles, einsam, unberührt seit Langem. Traurige Oberflächen der Möbel, altes, unansehnliches Sofa mit Streifenmuster, lieblos aufeinandergestapelte Umzugkartons in der hintersten Ecke des Raums, leere Bilderrahmen, verbogene Nägel, ein Kinderspielzeug und mehr verlorene Besitztümer, begraben unter einer dicken Schicht von Staub. Das Haus wieder herzurichten hätte einer Kraft bedurft, zu der ich nicht fähig wäre. Es ist tot. Ich durchwandere eine leblose Hülle: Ich spreche mit der Zeit, die nicht mehr ist.
Neben der Küche führt der schmale Holzgang hinüber in Itys‘ Reich: ein schmaler Wohnraum voller leerer Bücherregale, Lichtränder an den Wänden, eine Koje für die Küche, verborgen neben dem Kleiderschrank der Zugang zu einem winzigen Badezimmer. Nie im Leben hätten Vater und Mutter sich von ihrem Assistenten getrennt, den man seiner ungeheuren Nase und auch um des langen Halses mit dem tänzelnden Adamsapfel wegen „den Vogel“ nannte - ein Spitzname, vielleicht sogar ein Spottname, den Itys allerdings nicht ablehnte, denn er sah tatsächlich aus wie ein Vogel. Lang, hager, das dichte Haar am Kopf anliegend wie gefaltete Federn; der gerundete Rücken, meist von einem Mantel aus dunklem Tweed bedeckt, schien das Geheimnis zweier aufmerksam gefalteter Vogelschwingen zu verbergen. Ein schönes Geheimnis, das in meinen Kinderaugen täglich wuchs, sodass Itys, wann immer ich ihn den Vogel nannte, mit einem freundlichen Lächeln antwortete. Ein Mensch ohne Umgebung nannte er sich selbst. Das verstand ich nicht. Lebte er nicht bei uns, im Haus, am Fjord, war das alles nicht Umgebung genug? Doch eines Tages zersprang der glückliche Kinderblick, und ich begann mit den Augen meines Umfelds auf Itys zu sehen: Er passte nicht zu den Menschen dieses Landstrichs. Er stammte nicht von hier. Er war ein Fremder. Ein Ausländer, aus einem fernen Land namens Gadjan. Ein Entwurzelter, dem die Sprache dieses Landes Schwierigkeiten bereitete. Und war er nicht wirklich ein Vogelmensch mit seiner seltsamen Adlernase im Gesicht, den vorspringenden Backenknochen und den hellen Augen, die eine Spur zu kühn blickten?
Man sah den Assistenten der Attockers niemals in einer Kneipe, niemals bei einem Fest, er schien an nichts Freude zu empfinden, das anderen Menschen Freude bereitete, und wenn man ihn lächeln sah, dann nur deshalb, weil er Taschen voller Bücher bei sich trug. Er sprach mit diesen Büchern und bemerkte nicht die Blicke, die man ihm zuwarf: Verständnislosigkeit, Amüsement, Spott, sogar Hass, ein Fremder aus einem fernen Land. Sein dunkler Teint passte nicht in diese Gegend. Die Lästersucht der Menschen ertrug seine Gegenwart kaum, das Fallbeil offenen Hasses zitterte über Itys‘ dürrem Hals. Doch niemand wagte Hand an den „Verrückten“ zu legen.
An einem Frühlingstag, ein halbes Jahr nur, nachdem er und die Attockers das Haus Rakjablick bezogen hatten, kam es zu einem verbalen Schlagabtausch zwischen Vater und einigen Männern, die wissen wollten, was die Verrückten am Fjord trieben, ob es Schwarzbrenner seien, Illegale vielleicht, die Frage müsse erlaubt sein, dröhnte der Anführer, wenn man sich wie lichtscheue Diebe so weit in die Wildnis hinaus verkrieche. Kein Mensch mit reinem Gewissen meide so offensichtlich die Gesellschaft anderer Menschen -!
Aus den verbalen Auslassungen wurde rasch mehr: Vater gelang es nicht zu erklären, dass sie den Rakja beobachteten, dass sie die Ruhe schätzten, dass sie nichts zu verbergen hatten; er nahm den aggressiven Unterton in der Stimme des Mannes nicht ernst genug. Einmal alle zwei Wochen tauchten sie im Ort auf, fuhr der Anführer fort, um sich einzudecken wie die Piraten, kauften den Laden leer mit ihrem Geld und trieben sich am Fjord herum, wo sie wer weiß was für gotteslästerliche Geschäfte betrieben. Ob sie wüssten, dass man hier sehr gläubig sei und dass man mit Schmugglern und Lumpen kurzen Prozess mache?
Es müsse ein Missverständnis sein, sagte Vater, vielmehr versuchte er das zu sagen - noch während er nach diesen und anderen gut gewählten Worten zur eigenen Verteidigung suchte, hatte Itys sich vor dem Anstifter in Position gebracht, seine rechte Hand schnellte vor und nagelte den Mann förmlich gegen eine Wand, seine Linke hielt die rechte Hand des Rädelsführers fest, die nach einem im Gürtel steckenden Messer hatte greifen wollen.
Es war nun gut sichtbar, dass Itys wenigstens zwei Köpfe größer war und dass in seinem Körper, so hager er auch scheinen mochte, eine ungeahnte Kraft steckte.
So leise, dass nur sie beide es vernehmen konnten, flüsterte Itys ihm etwas zu. Was auch immer es gewesen ist – niemand hörte den genauen Wortlaut, und weder Itys noch der Unruhestifter sollten jemals ein Wort über diesen Moment verlieren –, es ließ die Farbe aus dem Gesicht des von Alkohol und Adrenalin hochgepeitschten Kerls weichen. Itys ließ ihn los. Mit einem zerknirschten Nicken, einem halblauten Nichts für ungut zog er ab, und das Murren der von ihm aufgestachelten Männer, die sich um eine Prügelei geprellt fühlten, verstummte, als Itys jedem von ihnen in die Augen sah und ihnen in ihrer Muttersprache einen guten Tag sowie eine gefahrlose Rückkehr in ihre Häuser wünschte.
Der Vorfall, von dem Vater mir in der langen Nacht an Mutters offenem Sarg berichtete, führte zwar nicht dazu, dass man die Vulkanologen zu schätzen lernte, wohl aber zu einer zähneknirschenden Friedlichkeit, die es insbesondere Itys ermöglichte, ganz unbehelligt zum Bahnhof der kleinen Ansiedlung zu gehen und sich dort seine Bücherkisten abzuholen.
Kein Mensch hatte ein größeres Verlangen nach Büchern als Itys. Wenn er nicht Vater und Mutter bei ihren Forschungsarbeiten unterstützte oder sich um die Instandhaltung des Hauses kümmerte, sah man Itys lesend. Vielleicht besaß er einmal etwas Geld, vielleicht sogar ein Vermögen, doch er steckte jeden Cent in seine Bücher, von denen er manche in bestimmten Abständen verkaufte, um neue Bücher erwerben zu können. Er trug die Bücher in seinen Anbau, wie ein verwildertes Tier seine Beute in Sicherheit bringt.
Gesichert ist dies: Ich besaß eine Mutter und zwei Väter, und der Anblick dieser drei Menschen war etwas ungemein Friedvolles. Nichts konnte mir zustoßen, solange es diese drei Menschen gab. Wenn Vater und Mutter zu einer Expedition aufbrachen, oblag es Itys, sich um mich zu kümmern. Er trug ihre Ausrüstung zum Auto, er half dabei, die schweren Geräte sicher zu verstauen, er winkte ihnen hinterher, wie ich ihnen winkte: mit lockerem Handgelenk und ohne Ermüdung solange die Hand am hochgestreckten Arm schwenkend, bis das Auto außer Sichtweite war.
Ich könne nicht alleine im Haus sein, sagte ich zu Itys, das Haus sei so groß und aus jedem Fenster erblicke man den furchtbaren Vulkan. Es würde mich verrückt machen.
Itys nickte: Dann schläfst du bei mir.
Er stellte mein Bett neben sein Bücherregal, und dort schlief ich selig jede Nacht, bis Vater und Mutter zurückkehrten. Von diesem Standort aus konnte ich mir in Ruhe ansehen, wie Itys sich mit allem eingerichtet hatte: Jeder Winkel war mit Regalen und Konstruktionen für seine Bücher genutzt, selbst in die Schrägen des Daches hatte er Bücher gefügt.
Hast du die alle gelesen?, fragte ich ihn. Er nickte nur. Was steht in den Büchern?, fragte ich weiter. Gedichte, antwortete er, Gedanken, auch Fragen, Vieles, das man nicht sofort verstehen soll, und darum muss man es immer wieder lesen.
Er schüttelte den Kopf, amüsiert über sich selbst: Er habe immer schon in Büchern blättern müssen, als Kind schon; wenn er einen Besitz habe, den er mit allem, was ihm zur Verfügung stehe, verteidigen werde, dann seien es diese Bücher, seine Bücher.
Sieh nur, sagte er und hielt mir einige seiner Schätze hin: Sie sind so kostbar, weil sie sich mit Geschichten vollgesogen haben, sie sind durch hunderte Hände gegangen. Sieh nur hier, sagte er und ließ mich selbst die Bücher durchblättern. Stempel prangten von ihren Schmutztiteln: Freiherr von Göfrersleben, las ich, Freifrau von Schmatonzbach, Baldwin T. U. Eyrer, Forscher der Urmaterie aus Glurns, las ich und L. Rabenstern, Gleisstopfer. In anderen Büchern dörrten mit farbiger Tinte träumerisch entrückte Namen: Asmodeos Eibenstrang, Feuermaler, Anton Hurva, Tschismenmacher, Amor Velletri, Kumpastenmacher; nutzlos prangten edle Stempel und Exlibris auf welkem Buchfleisch.
Itys forderte mich auf, am Papier zu riechen, forderte meine Fingerkuppen zu einer Reise über das Papier auf:
Nun rate, sagte er, wie viele Fingerkuppen sind wohl über diese staubstumpfen, sandgelben Papierebenen geglitten?
Und dann riss mich Itys‘ Geistertenor aus der Versunkenheit: Lass uns hinausgehen, lass uns an die frische Luft gehen.
Riechst du noch die Bücher?, fragte er draußen.
Ja, sagte ich.
Lange gingen wir draußen herum, erst in den Birkenwald, wo sich unsere Körper winzig ausmachten gegen die überraschend weißen Leiber der Findlingssteine, auf der Haut spürte ich die Berührung selbst der kleinsten Zweige. Gebeugt vom eigenen Gewicht senkten windgezauste Bäume ihre Zweige hinab zu meinem Gesicht. Wie im Widerspruch zur Weite des Fjords fanden wir uns in Senken, die uns den Blick nach oben zogen, hinauf in den Himmel, der als blaue Linse glatt und aufgebrochen zugleich auf uns hinabsah. Itys zog mich hinauf auf einen Findlingsstein, und wir sahen in der Ferne das Haus: eine winzige Erscheinung, von einer baumlosen Lichtung umgeben inmitten der gleichförmigen Masse des Waldes.
So weit weg sind wir schon, staunte ich.
Von jeder Erhebung aus kannst du das Haus sehen, sagte er. Du kannst dich hier niemals verlaufen.
Itys führte mich zum Aterberg: eine steile, schöne Krümmung, die aus den Wäldern himmelwärts sprang. Von dort oben gesehen war das Haus ein Spielzeug inmitten von Gras. Ich konnte das Staunen dieses Moments niemals ablegen: Wie konnte ich mit einem einzigen Blick den ganzen Heimweg zurücklegen, wie konnte mein Blick in Minutenschnelle eine Landschaft durchmessen, für die mein Körper Wochen benötigt hätte? Die Sonne hatte sich hinter die Horizontlinie abgesenkt und färbte den Himmelsdom in ein dunkles Blau.
Zurück, sagte Itys und brachte mich nach Hause, und als wir vor dem Haus standen, war alles zu einer einzigen schwarzen Silhouette zusammengeschmolzen, nur das Glas der lichtlosen Fenster und das Wasser des Fjords strahlten in hellem Silber. Itys machte uns etwas zu essen. Während wir aßen, ging mein Blick immerfort hinaus auf den Fjord (auf den unruhig im Nachtschwarz atmenden Punkt, wo ich den Vulkan wusste). Das Fenster hatte kein Glas mehr, schien mir, sondern war ein dunkles Auge, das die Landschaft ins Haus zog - sehr nah waren jetzt das Wasser und die kalten Ufer, meine Fantasie zeichnete Landschaft um Landschaft, hob schroffe Ufer aus den weichen Säumen des Landes, setzte glimmende Landschaften unter den unermesslichen Himmel.
In der Nacht schrie ich auf: Den Himmel hatte der matte Glanz von Feuer erhellt, nicht Sonnenglanz, wie ich Itys aufgelöst berichtete, nein: Feuerglanz. Und Itys, der wohl wusste, was mich ängstigte, öffnete das Fenster und hieß mich hinaussehen und hinaushorchen: Ist dort ein Geräusch?, fragte er, ist dort ein Geruch, der etwas mit dem Vulkan zu tun hat?, und ich horchte und schnupperte und konnte nichts ausmachen und sagte: Es wird passieren, das weiß ich, und Itys erwiderte: Bis es soweit ist, kannst du ruhig schlafen, ich halte Wache.
Das zweite Streichholz, das dritte Streichholz: In meinem einstigen Kinderzimmer unterm Giebel suche ich Gewissheit. Wie lange ist es her: zwanzig, dreißig Jahre?
Was für ein Unruhestifter doch die Erinnerung ist: Warum war mir das Haus nicht mehr wert, warum stehe ich hier wie ein Geist, warum erinnert sich niemand an mich und meine Eltern? Ich war doch glücklich hier. Sehe ich nicht die hellen Abende, an denen wir die Fjordufer abliefen und Vater und Mutter mir von ihren Exkursionen berichteten? Sie waren in fremden Ländern gewesen, deren Namen nichts in mir auslösten, und sie schrieben mir Briefe von dort, denen sie Postkarten, Fotografien und kleine Andenken beilegten. Als ich noch nicht lesen konnte, las Itys mir die Beschreibungen vor. So lernte ich, was eine Stadt ist. Ich sah mit ihren Augen diese fremden Straßen und Häuser, ich sah die Kleidung der Menschen und ich hörte ihre Sprache, und alles jagte mir Angst ein und peinigte mich mit der Sehnsucht, all das eines Tages selbst zu sehen und zu hören.
Ihren Briefen legten sie dicke Papierpakete bei, über die Itys sich lange Stunden beugte: Aufzeichnungen, die ins Reine zu schreiben waren oder mit bereits vorhandenen Daten abgeglichen werden mussten. Das ist Wissenschaft, erklärte mir Itys. Wenn Sehnsucht und Erkenntnis sich treffen, wird die Welt ein wenig heller.
Zweige der in den Jahren der Verlassenheit hochgeschossenen Bäume schaben am Haus. Im Innern hört es sich an wie ein Stöhnen. So weit entfernt schien die Kindheit, so nah kommt mir das Gewesene jetzt wieder.
Ich reiße ein Streichholz nach dem anderen an, doch die Streichhölzer brennen rasch ab, und wenn sie verlöschen, stehe ich in völliger Finsternis. Der vage Blick in der Dunkelheit genügt nicht, um den Treppenabsatz ins Obergeschoss zu finden. Ohne Licht ist der Weg über die Ruinen der engen Treppe mit den schmalen Stufen zu gefährlich.
Siebtes Streichholz, achtes Streichholz. Niemand schien zu wissen, dass wir hier lebten, niemand besuchte uns. Nur einmal im Jahr, zum Frühling hin, kam einer aus der nächsten Stadt und teerte das Dach neu und besserte Schadstellen am Haus aus. Zwei Tage, an denen das harte dürre Gras um das Haus herum plattgetreten wurde und man in allen Räumen die Laute des Handwerkers hörte. Ich mochte den Teergeruch, der noch lange Zeit blieb, nachdem der Handwerker wieder gegangen war. Immer ließ er etwas zurück, das ich meiner Schatzkiste hinzufügen konnte: schwarze Teerklumpen, in deren weichen Formen ich die unförmigen Leiber von Seeungeheuern erkannte, Stücke von Holz und Tau, Teerpappe und krumme Nägel.

In den Wintertagen waren Itys und ich oft allein. Wann immer es sich einrichten ließ, legten Vater und Mutter ihre Reisen in die Zeit zwischen Oktober und März. Das Geräusch des hochflammenden Streichholzes erinnert mich an die Abende meiner Kindheit, wenn es im Haus noch stiller wurde, weil Itys sich in seine Bücher zurückzog.
Du kannst nicht alleine lesen, sagte ich eines Abends, du musst mir etwas vorlesen, ich bin ein Kind und kann noch nicht gut genug lesen. Itys legte sein Buch fort, er lächelte. Na schön, sagte er, ich erzähle dir etwas. Er erzählte, bis ich einschlief, und am nächsten Abend wurde weitererzählt oder wieder von vorne angefangen. Itys beschrieb eine Wanderung um einen schönen Berg herum. Der schönste Berg, den man sich denken kann, begann seine Beschreibung, die mich langsam die Hänge hinab führte, hinein in hellen Birkenwald, weiter auf eine Lichtung, es wurde wärmer, wenn sich vor meinen Augen das Land öffnete zu einem grünen wilden Garten. Itys sprach von Sonnenschein und Sommerwind, vom Klang schaukelnder Blätter, vom Summen der Insekten und vom fernen Rauschen des Meeres, das eine sanfte Dünung mit schönen Mustern verziert. Dann kamen die Besucher: ein Mann, eine Frau, Kinder. Sie kamen über eine gewölbte Holzbrücke, eine sanft schwatzende Truppe, der Klang ihrer Stimmen gerade laut genug, um sich ein wenig über die anderen Laute dieses Tages zu erheben. Sie gingen hinaus ans Meer, sie suchten Holz, sie machten ein Feuer, sie fischten und aßen. Alles geschah, wie mir nun scheint, in großer Stille und sehr früh am Morgen.
Nun konnte ich die Gesichter der Menschen sehen, Itys beschrieb sie. Er erzählte von den Augenfarben, von den Händen, er hielt sich bei der Frau etwas länger auf, sie liebte er ganz besonders. Er ließ den Wind wehen und dann schweigen, er ließ schwere Wolken über den Hängen erscheinen und ein kurzes Gewitter sich entladen, damit die darauf folgende Stille umso vollkommener sein konnte. Er beschrieb blühende Obstbäume. Ich protestierte: Hier wachsen keine Obstbäume, es ist zu kalt! Aber Itys wollte davon nichts hören. Das, so sagte er, sei die Macht des Erzählers, er könne wachsen lassen, was immer ihm einfalle, und er lasse nun Apfelbäume und Birnbäume wachsen. Er erntete die Früchte, er biss hinein, aber weil ich immer wieder protestierte, ließ er die Obstbäume schließlich weg.
Er beschrieb das Haus: aus Holz gebaut, das vom vielen Wind, dem Wasser und dem Licht ganz silbrig wirkt, dessen Oberfläche, wenn man sie berührt, weich und sanft ist wie das Fell eines Seehunds.
Er beschrieb in größter Detailgetreue das Haus, das unserem Haus glich, aber er führte uns niemals hinein. Er wartete draußen und ich mit ihm, und wann immer wir uns anschickten, einen Blick durch die Fenster ins Innere zu werfen, schlief ich ein. Nur ein einziges Mal hatte ich mich auf die Schultern von Itys setzen und ins Haus sehen können, und dort ging meine Mutter herum und hatte an ihrer Hand ein Kind oder mehrere Kinder, und keines dieser Kinder glich mir.
Von da an hatte Itys jeden Abend mit mir diese Reise zu unternehmen. Ich wollte meine Mutter mit diesen Kindern noch einmal in diesem fremden vertrauten Haus sehen. Viele hundert Male gingen wir den Weg auf das Haus zu, doch wenn ich drängte, verdunkelte sich Itys‘ Stimme: So geht es nicht. Dann wurde das Tal weiter, den Himmel bestrich ein dichter grauer Nebel, und je schneller ich auf das Haus zueilte, desto schneller wurde alles in die Ferne geschoben und schließlich ausradiert. Vor meinen geöffneten Augen stand nur eine kalte Leere, und ich hörte Itys‘ Atem und das Knacken des Hauses, in dem nur wir zwei waren.