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Zum Buch

Sie nennt sich selbst Ash, doch das ist nicht ihr wahrer Name. Eigentlich ist sie Constance, die treusorgende Ehefrau eines Farmers in Indiana. Aber sie ist die bessere Schützin und die mutigere von beiden. Also schneidet sie sich die Haare ab und verbirgt ihre weiblichen Formen unter der Uniform der Nordstaaten, um für die Freiheit zu kämpfen. Doch was treibt sie wirklich in den Krieg? Warum verlässt sie ihren Ehemann auf der Farm, um den Terror des Krieges in seiner ganzen Grausamkeit zu erleben? Und wird es ihr gelingen, jemals wieder zur heimischen Farm zurückzukehren?

»Der Roman ist gefühlvoll und unterkühlt zugleich, die Heldin ist Retterin und Mörderin in einer Person. Sie ist eine starke und verletzte Frau. Und sie ist eine Lügnerin, bei der doch im Kern jedes ihrer Worte die Wahrheit spricht.«

New York Times

Zum Autor

LAIRD HUNT ist amerikanischer Schriftsteller, dessen Romane mehrfach für den Pen/Faulkner Award nominiert waren. Er arbeitete als Pressereferent bei den Vereinten Nationen und unterrichtet heute Creative Writing an der Universität von Denver. Er lebt mit seiner Frau, der Lyrikerin Eleni Sikelianos, und ihrer gemeinsamen Tochter in Boulder, Colorado.

Laird Hunt

Die Zweige der Esche

Roman

Aus dem Amerikanischen
von Kathrin Razum

Für meine Großmütter und Großväter

Eine hehre und ehrfurchtgebietende Schönheit –
eine furchterregende und schreckliche Herrlichkeit …

John Quitman Moore,
DeBow’s Review, 1861

EINS

Ich war stark und er nicht, also bin ich und nicht er in den Krieg gezogen, um die Republik zu verteidigen. Ich bin aus Indiana über die Grenze nach Ohio. Zwanzig Dollar und zwei belegte Brote mit Pökelschinken, und außerdem hatte ich noch Dörrfleisch, Hartkekse, sechs alte Äpfel, frische Unterwäsche und eine Decke dabei. Hitze hing in der Luft, also lief ich in Hemdsärmeln, den Hut ins Gesicht gezogen. Es waren noch mehr unterwegs, um sich freiwillig zu melden, und bald waren wir ein ganzer Haufen. Auf den Farmen haben sie uns zugejubelt, wenn wir vorbeikamen. Uns Essen gegeben. Die besten Schattenplätze zum Rasten. Haben uns was auf der Fiedel gespielt. All das, was man eben so über die Anfangszeit hört, dabei war Fort Sumter schon ein Jahr her, die erste Schlacht am Bull Run geschlagen, und Shiloh hatte seine vielen Seelen eingefordert, die Anfangszeit war aus und vorbei und hinüber.

Am zehnten oder elften Abend unseres Zugs tranken wir Whiskey und krakeelten unter dem Sternenhimmel. Es gab einen Wettlauf. Messerwerfen. Ein Zwieback-Wettessen. Kraftproben. Einer der Jungs maß sich im Armdrücken mit mir und schürfte sich die Hand auf, als ich sie auf den Tisch knallte. Danach hat es keiner mehr versucht.

Bei Kettering hat mir eine alte Dame Wasser aus ihrem Brunnen geschöpft, mich ausgiebig betrachtet, während sie es mir reichte, und gesagt, ich soll mich vorsehen. Niemand außer dieser Dame hat gemerkt, was ich war. Ich hab auf diesem Marsch wie ein Brett geschlafen. Aus Dayton hab ich Bartholomew meinen ersten Brief geschrieben. Aus Cincinnati noch mal ungefähr den gleichen. Ich schrieb, dass ich ihn arg vermisse. Und auch, dass ich arg froh bin.

Ich gab Ash Thompson als meinen Namen an, aus Darke County. »Wo in Darke County?«, haben sie mich gefragt, und ich sagte, obwohl ich gleich gemerkt hab, dass sie nicht zuhörten, im Nordwesten von diesem schönen County, auf der Farm von meinem Daddy. Nachdem sie auf meine Zähne geklopft und beim Anblick meiner dicken Finger gepfiffen und mich mit meinem schwieligen Daumen über den Tisch hatten reiben lassen, gaben sie mir mein Blauzeug. Eine Woche später, als sie gesehen hatten, dass mir Arbeit nichts ausmacht und ich nicht weggelaufen bin, bekam ich meine Schusswaffe. Es war eine Springfield M 1861, ein Vorderlader mit Perkussionsschloss und Klappvisier, und es hieß, damit könnte man einen Mann auf vierhundert Meter töten. Das hat mir zu denken gegeben. Dass man einen Mann niederschießen kann, der einen anguckt, und man selbst guckt ihn auch an, aber man sieht sein Gesicht nicht. So hatte ich mir das nicht vorgestellt, als ich zu Hause darüber nachdachte. Ich hatte mir schön große Gesichter vorgestellt, die da aufeinander schießen, nicht farbige Striche am Horizont. Ein Tanz von Männern, nicht nur von ihren Gewehrkugeln. Da war noch ein andrer, ein schmächtiger kleiner Kerl, gegen den ich geradezu groß wirkte, der hat so was Ähnliches laut ausgesprochen, als wir da standen und unsere Springfields betrachteten.

»Keine Sorge, Herzchen«, hat der Offizier, der die Schießeisen austeilte, zu ihm gesagt, »ihr werdet den Rebellenjungs so nah kommen, dass ihr nicht wisst, ob ihr sie küssen oder abknallen sollt.«

Wir sind ungeordnet ein paar Tage nach Süden marschiert und zu einem großen Lager am Fluss gekommen. Dort hab ich zu meinem Gewehr noch einen Spaten gekriegt und musste neue Latrinen ausheben. Ein paar von denen, die schon dort waren, hatten an meinem ersten Tag eigentlich vor, mich auszuziehen und ins Wasser zu schmeißen, aber einer aus dem Haufen, mit dem ich gekommen war, hat ihnen gesagt, es wär den Ärger nicht wert, den ich ihnen machen würde, wenn sie es auch nur versuchten, also haben sie sich wen andres rausgesucht. Ich stand am Ufer und lachte mit den andern, als sie ihn bis auf die schmutzige Haut ausgezogen hatten, aber als sich dann herausstellte, dass er nicht schwimmen konnte, war ich ruckzuck im Wasser, um ihn rauszuholen. Ich war gar nicht böse drum, denn die kühle Nässe hat meinen Gestank etwas gemildert. Am Abend bin ich dann ein ganzes Stück den Fluss langgelaufen, hab all die Augen hinter mir gelassen, und dann bin ich aus meinen Kleidern geschlüpft und noch mal ins Wasser. Normalerweise hätte ich mich eine Weile gemütlich auf dem Rücken treiben lassen, aber ich sah schon, dass so ein Lager eine ziemlich weitläufige Angelegenheit ist, und wer weiß, wer sonst noch die gleiche Idee gehabt hatte wie ich, also bin ich flugs rein und wieder raus und hab mich abgetrocknet und wieder angezogen.

Als ich zurückkam, hatten die Jungs aus meinem Zelt angefangen, Karten zu spielen, und ich hab mich eine Weile dazugestellt und geguckt. Zwischen ihren Wetten haben sie von den Abreibungen geredet, die sie den Rebellen verpassen würden. Pfeife im Mund, die Backen noch füllig vom Leben auf der Farm. Ich wusste genauso wenig wie sie, was kommen würde, aber mir schien es nichts zu sein, worüber man fröhlich im Dunkeln plappert. Aber als dann einer von ihnen von seinem schlechten Blatt aufschaute und mich fragte, wie viele Rebellen ich umzubringen gedachte, hab ich trotzdem gelächelt, mir auch meine Pfeife in den Mund gesteckt und gesagt, hundert würden es schon werden. Etwas später, als ich mein Gewehr gereinigt und das Bajonett blank gewienert hatte, lag ich unter meiner Decke und dachte an diese Hundert. Und an meinen Bartholomew dachte ich auch. Ich dachte an die Hundert, dann dachte ich an Bartholomew, und dann schlief ich ein und träumte, ich würde mausetot im kühlen Flusswasser treiben.

Wir hatten zwei Monate lang darüber geredet, bevor ich ging. Ich glaube, wir wussten beide von Anfang an, wo das hinführen würde, aber wir haben weiter geredet, es gedreht und gewendet und festgeklopft, bis nicht mehr dran zu rütteln war. Ich würde gehen, und er würde bleiben. Einer von uns musste sich um die Farm kümmern, und einer musste gehen, und das war er, und das war ich. Wir waren beide etwa gleich klein, aber er war aus Wolle und ich aus Draht. Er hat im Winter immer Migräne gekriegt, und ich war keinen grauen Tag in meinem Leben je krank gewesen. Er konnte in der Ferne nicht besonders gut sehen, und ich konnte ein Auge zukneifen und einem Hasen aus fünfzig Metern Entfernung den Kopf zwischen den Ohren wegschießen. Er hat das Feld geräumt, wann immer es ging, und ich hab nie klein beigegeben.

Er sagte, es müsste doch keiner von uns beiden gehen, und ich sagte, irgendjemand, der nicht er war, müsste gehen und seine Farm vertreten, und als ich ein bisschen barscher wurde und es ein paar Mal gesagt hatte, war die Sache besiegelt. Wir behielten es für uns. Der einzige andere Mensch, mit dem ich darüber redete, war meine Mutter, und die war schon längst in die Grube gefahren. Ich begann meine Besprechungen mit ihr, wenn Bartholomew friedlich schnarchte oder wir an entgegengesetzten Enden des Feldes waren oder wenn die Reihe an mir war, in den Stall zu gehen und Wange und Schulter gegen unsre Kuh zu lehnen. Ein, zwei Mal bin ich auch auf den Friedhof, wo ich ihren Grabstein aufgestellt hatte. Ich hab den frischen Schmodder und das feuchte Moos weggerieben und dann losgezwitschert wie ein Vögelchen. Meine Mutter war mal mit der Eisenbahn gefahren, und ich sagte ihr, dass ich reisen wollte, so wie sie. Durchs Land rauschen, seine langen Ströme mit dem Schiff befahren. Ich wollte, erzählte ich ihr, unter dem Sternenhimmel liegen und andere Luft schnuppern. Ich wollte anderes Wasser trinken, eine andere Hitze spüren. Mit meinen Kameraden auf den Ruinen alter Ideen stehen. Mit tausend andern vorwärtsmarschieren. Meine Stiefel auf den Boden pflanzen, meinen Blick stählen und nicht weglaufen.

Das alles sagte ich meiner toten Mutter, in die Erde hinein: Eine Feuersbrunst stand bevor, und ich wollte meinen Funken dazu beitragen. Wir wussten beide, Bartholomew und ich, was meine Mutter zur Antwort gegeben hätte, und so hat sie es dann auch jedes Mal gesagt, wenn ich sie nach ihrer Meinung fragte.

Geh. Geh und schau, was in dir steckt.

Im Lager wurde jeden Tag exerziert. Wir haben unsere Tornister vollgepackt und unsere Musketen geschultert und sind viele Meilen ins Nirgendwo und wieder zurück marschiert, wir haben zum Appell strammgestanden und uns jede Sekunde, die wir dort standen, gewünscht, das heiße Wetter würde umschlagen. Wenn ich mit dem Exerzieren fertig war, hob ich Schützengräben aus und alles, wofür man sonst noch einen Spaten brauchte. Einmal war es eine Abfallgrube für die Köche. Ein andermal war es eine Reihe schöner neuer Gräber, die ich ausheben und dann wieder füllen half. Die Kameraden, die sie da reinlegten, waren an Diphtherie gestorben. Ein oder zwei davon hatten zu dem Haufen gehört, mit dem ich zum Lager marschiert war. Fünfminütige Beerdigungen waren nur einer unserer vielen hübschen Zeitvertreibe. Es wurde auch gestohlen und getrunken und gekämpft. Es gab eine kleine Bühne, auf der Possen über die Offiziere aufgeführt wurden oder Geschichten, die ich gut kannte, wie die von dem armen Geschwisterpaar, das Brotkrumen im Wald ausstreut. Ich hab einen Mann sagen hören, die beiden hätten Glück gehabt, schließlich wären sie nicht im Ofen gelandet, sondern freigekommen, aber ein andrer hat gesagt: Wenn man so jung solche Angst eingejagt kriegt, wird man die nie wieder ganz los.

Ob das nun stimmte oder nicht, es gab auch Minstrel Shows zu unsrer Unterhaltung und aus der Sklaverei befreite echte Neger, sogenannte Konterbande, die für uns tanzten und sangen. Es gab da einen Entlaufenen, einen riesigen Kerl, der angeblich auf einem Esel ohne Ohren aus Tuscaloosa hier hochgekommen war, der hat auf einem kleinen Podest, das er vorher auf einem Zaunpfahl balanciert hatte, für uns gesungen. Als er fertig war mit Singen, hat er sich verbeugt und ist mit einem Salto rückwärts vom Podest gesprungen. Das konnte er so gut, dass die Jungs ihn dazu brachten, es gleich noch mal zu machen. Beim dritten Mal, als fast das halbe Regiment zuguckte, ist er schlecht gelandet und hat sich ein Bein gebrochen.

Aber nicht nur die Konterbande hatten Erstaunliches zu bieten. Es gab einen Mexikaner, der in einem der Küchenzelte arbeitete, der konnte so schnell Banjo spielen, dass man seine Hand auf den Saiten nicht mehr gesehen hat, und es wurde geraunt, nur der Teufel an seinem guten Tag könnte ihn auf dem Banjo schlagen. An manchen Nachmittagen haben die Offiziere Wettkämpfe veranstaltet. An solchen Tagen ging der Whiskey rum, und die Jungs sind um die Wette gelaufen oder haben mit bloßen Fäusten geboxt oder eine Art Baseball mit alten Äpfeln gespielt, wo keiner ahnte, dass die uns später mal fehlen würden, oder sind gefettete Stangen hochgeklettert.

Das Lager war ungefähr einen Tagesritt von allem entfernt, was man eine schöne Gegend hätte nennen können. Ringsum waren zerwühlte Weiden, und der Wald war zur Hälfte abgeholzt und zu Bau- und Feuerholz gemacht. Ein Gestank wie aus einem bösen Traum vollführte sein Tänzchen auf jedem Luftzug, der des Weges kam. Männer, die von ihrem eigenen abscheulichen Luftzug getragen wurden, waren in alle Richtungen unterwegs, manche zu Pferd, die meisten jedoch zu Fuß, und es gab eine Handvoll Kanonen, die dann und wann abgefeuert wurden, wenn der Rauch und der teuflische Gestank noch nicht reichten. Die Zelte waren dunkle Löcher, obwohl die Männer Böden legten und Konterfeis und allerlei Kram von zu Hause aufhängten. Manchmal waren auch Frauen im Lager. Aber ob es nun Offiziersgattinnen waren oder Topfschrubberinnen oder Damen, die schon lang ihre Tugend verloren hatten, ich hielt mich von ihnen fern.

Wenn ich meinen Tag hinter mich gebracht hatte, griff ich zur Feder, um Bartholomew zu schreiben. Ich hatte weder ihm noch sonst wem je zuvor Briefe geschrieben, und es gefiel mir nicht so recht, wie das aussah, was ich ihm zu sagen hatte. Inzwischen bin ich im Schreiben etwas besser geworden, wie man sich hier selbst überzeugen mag, aber damals ging es mit dem Schreiben nur langsam, und die Feder zu benutzen, um Worte zu formen, die noch etwas bedeuten würden, nachdem sie so viele Meilen gereist waren, schien mir ein seltsames, mühseliges Geschäft. Ich hab meine Briefe noch mal gelesen, bevor ich sie abschickte, und es kam mir vor, als würde ich die Briefe von einem fremden Menschen an einen andern fremden Menschen lesen, und dieses Gefühl gefiel mir gar nicht.

Mein lieber Bartholomew,

Liebster Bartholomew,

Bartholomew, mein trefflicher Freund,

Zu Hause waren es gesprochene Worte gewesen oder kleine Geschenke oder Sächelchen, die wir einander hinlegten. Wir hatten so ein Spiel, da ging es darum, wer im Frühling die erste Narzisse entdeckte oder die erste Tulpe oder die erste Schwertlilie, die das frische violette Dotter ihrer Blüte zeigte. Wer diese erste Blume sah, musste sie pflücken und dem andern hinlegen. In dem Frühling, bevor ich in den Kampf zog, war es Bartholomew, der den ersten Flieder gesehen hatte. Er band ein paar Zweige mit einem gelben Faden zusammen und legte sie mir neben meine Frühstücksschüssel. Ich hab beim Briefeschreiben mehr als einmal an dieses leuchtende Bündel gedacht und überlegt, ob es irgendwelche erfreulichen Erstlinge gibt, von denen ich ihm berichten könnte, aber das Einzige, was mir einfiel, waren Latrinen und hässliche nackte Rücken bei der Arbeit und angebrannter Kaffee und Mehlwürmer, die ihre Köpfe aus unsern Hartkeksen streckten. Auf einem Marsch hab ich zwar mal einen Graureiher gesehen, der in einem Tümpel einen Fisch aufgespießt hat, größer als sein Schnabel, aber als ich das dann aufschrieb, wirkten der Reiher und der Fisch und der Tümpel so blass, dass ich sie fast wieder durchgestrichen hätte.

Bartholomews Briefe an mich waren von einem ganz andern Kaliber. Er konnte mit wenigen Worten meine alte Welt wieder aufleben lassen. Wenn ich seine Briefe las, konnte ich die ersten Herbstgerüche riechen und die ersten Herbstgeräusche hören. Einmal hat er eine leuchtend rote Kardinalfeder in den Umschlag gelegt und geschrieben, sie wäre »auf dem Brunnenrand gegaukelt«, und womöglich wär sie für immer in den Brunnen gefallen, wenn er sie nicht aufgehoben und losgeschickt hätte, damit sie durch die weite Welt bis zu mir fliegt. Ich kann nicht genau sagen, warum, aber diese Feder und der Satz, dass sie den ganzen weiten Weg bis zu mir fliegen soll, haben mir eine Träne in die Augenwinkel getrieben, die nicht mehr verschwinden wollte, obwohl ich sie weggewischt habe. Aber ich war nicht allein mit meinen glühenden Wangen nach einem Brief von zu Hause. Bei anderen war es noch viel schlimmer. Da gab es junge Burschen, die haben Briefe von ihrer Mutter gekriegt und die restliche Nacht wie Säuglinge geplärrt. Einmal hab ich einen alten Sergeant gesehen, der hat ein Paar frisch gestrickte Socken von seiner Frau gekriegt und arg gegen die Tränen ankämpfen müssen. Zwei Kerls, die in der Nähe saßen, haben versucht, ihn ein bisschen zu necken, aber er hat gesagt, wenn sie nicht sofort damit aufhören, sticht er ihnen eine Gabel in die Augen.

Derselbe Sergeant hat uns beigebracht, ein Bajonett auf die Springfield aufzupflanzen und auf Strohpuppen einzustechen und eine Angriffsformation zu bilden, und denen, die es noch nicht konnten, hat er auch das Schießen beigebracht. Ich hab ja schon erwähnt, dass ich schießen konnte, und fünfzig Meter oder fünfhundert, das war in diesem Lager fast einerlei. Ich konnte mit meiner Springfield treffen, was immer ich treffen sollte, wo immer sie es hintaten, und es hat mir auch nichts ausgemacht, wenn sie hinter uns standen, während wir am Schießen waren, und uns in die Ohren brüllten oder betäubend laut die Trommel rührten. Es gab viele, die länger marschieren oder stehen konnten als ich oder heftiger auf das Stroh einstechen, aber am Gewehr übertrafen mich nur wenige.

Ich hab das Bartholomew geschrieben, und in seinem nächsten Brief hat er geantwortet, das wär sehr schön, und ich könnte stolz darauf sein, aber – wie wir es besprochen hätten – wenn ich nicht die neugierigen Blicke der gesamten Kompanie auf mich ziehen wollte, müsste ich ab und zu mal danebenschießen. Ich hab zurückgeschrieben, vielleicht wär es ja gar nicht so schlimm, für das erkannt zu werden, was ich war, und heimgeschickt zu werden. Er hat geantwortet, mehr als alles andere auf dieser grünen, guten Erde wollte er mich wieder bei sich haben, aber ich sollte trotzdem nicht zurückkommen. Er wüsste, dass ich noch nicht bereit wäre, nach Hause zu kommen, und wenn ich nicht bliebe, um ein paar Kampfhandlungen zu erleben, dann würden mich auf immer der Nachhall des Bedauerns und der Schauder der Reue erfüllen.

Es gab einen Burschen, der hatte sein Zelt in der Nähe von unsrem und sah klüger aus als die andern, und nachdem ich diesen Brief von Bartholomew bekommen hatte, hab ich ihn gefragt, ob er glaubt, dass die Liebe die Pflicht übertrumpfen sollte. »Die Liebe? Was zum Teufel soll das denn sein?«, hat dieser klug aussehende Mann gesagt und ausgespuckt.

Irgendwann befanden sie uns für genügend ausgebildet – so weit, dass wir uns beim Stechen und Schießen nicht mehr allzu oft gegenseitig in die Quere kamen –, also sind wir in Paddelboote gestiegen und den Fluss runtergefahren, wieder an Land gegangen und in den lodernden Süden marschiert. Vor uns waren Gefechte im Gange, und als sich rumsprach, dass wir auf sie zuhielten, um nähere Bekanntschaft mit ihnen zu schließen, begannen sich die Reihen zu lichten. Es war keine große Kunst, auszuscheren und nicht wiederzukommen. Eine Art schlammiger Niederschlag bedeckte unsere Gesichter. Wir waren unbekannte Wesen, die mit Musketen marschierten. Im Lager mochten wir uns durch dies oder das hervorgetan haben, aber das lag jetzt alles hinter uns. Der Sergeant, der gesehen hatte, dass ich schießen konnte, war nicht mitgekommen. Die Jungs aus meinem Haufen, die mich beim Armdrücken erlebt hatten, waren auch nicht da. Ich geb es offen zu, will ich damit sagen, ich hab beim Marschieren so manches Mal ans Abhauen gedacht. Trotz dem, was Bartholomew mir geschrieben hatte, von wegen, ich wär noch nicht bereit, nach Hause zu kommen. Trotz alldem, was ich zu meiner toten Mutter gesagt hatte.

»Ich werde nicht weglaufen«, hatte ich zu ihr gesagt.

Du wirst weglaufen oder eben nicht, hatte sie geantwortet.

»Mich bringt kein Eis- und kein Feuersturm dazu wegzulaufen«, sagte ich zu ihr.

Du wirst herausfinden, ob das gelogen ist, irgendwann und irgendwie, antwortete sie.

Als ich gerade mal wieder daran dachte, abzuhauen und mich mit meinen Füßen selbst Lügen zu strafen, kamen wir auf unserem Marsch durch einen dieser Orte, wo alle am Straßenrand standen, um uns zuzujubeln, und da ist ein Mädchen auf einen Baum geklettert, um uns besser zu sehen. Von einem der Äste muss wohl was Spitzes hochgeragt sein, denn ihr Kleid ist hängen geblieben, als sie hochgeklettert ist, und aufgerissen. Das hat ein rechtes Gejohle gegeben bei den Kameraden ringsum, und das Mädchen im Baum hat das Kleid genommen, das es nicht mehr anhatte, und uns damit zugewinkt. Aber man konnte sehen, dass sie es bedauerte, auch während sie ihr zerrissenes Kleidungsstück schwenkte, wie da so alles an ihr im Wind wippte, und eh ich mich’s versah, war ich den Baum hoch, als wär’s eine Leiter, hatte meine Jacke ausgezogen und sie ihr umgelegt. Sie schön drin eingehüllt. »So, Miss«, hab ich gesagt und eine kleine Verbeugung gemacht, da oben im Baum, und sie hat mich angeguckt und noch mal genauer hingeguckt, und dann hat sie erkannt, was ich bin, und ist so erschrocken, dass ihre blauen Augen grün wurden, aber in dem Moment kam von den Jungs unten wieder fröhliches Gejohle – diesmal wegen mir –, und ich bin wieder runtergeklettert und hab mich eingereiht. Ich hab sie gesehen da oben in meiner Jacke, wie sie mich immer noch angeguckt und auf mich gezeigt hat, aber noch ehe ich fünf oder zehn Atemzüge getan hatte, war die Kompanie weitermarschiert und das Mädchen außer Sicht.

An diesem Abend stand ich vor unserem Colonel, und nachdem er mir eine Woche nächtlichen Vorpostendienst aufgebrummt hatte, weil ich meine Uniform verschenkt hatte, ehe ich auch nur darin hätte beschossen werden können, hat er mir Komplimente wegen meinen Kletterkünsten und meiner Galanterie gemacht. Er hätte gar nicht gewusst, hat er gesagt, dass es auch Farmjungs gab, die man Manieren gelehrt hatte. Die Welt wär doch voller Überraschungen. Eigentlich wär die Welt eine einzige große Überraschung.

»Was überrascht Sie denn, Gefreiter Thompson aus Darke County?«, hat er mich gefragt.

»Sir?«

»Ich habe Sie gefragt, was Sie überrascht in dieser weiten Welt des Kriegs und seines Donners.«

Ich hatte meine Antwort schnell parat, aber ich hab trotzdem erst noch ein bisschen nachgedacht, ehe ich sie ausgesprochen habe.

»Alles, Sir.«

Der Colonel hatte die Gewohnheit, seinen Schnurrbart zu zwirbeln. Erst hat er ihn auf der einen Seite gezwirbelt, dann auf der andern, und dann hat er genickt. Er hat mir eine Weile ins Gesicht geschaut, und ich hab gemerkt, dass er dabei einen Baum und eine Jacke und eine hübsche junge Frau sah, die nicht ich war.

An diesem Abend hat meine Tat an den Lagerfeuern für gute Stimmung gesorgt. Es gab einen Burschen, der konnte ziemlich gut Gitarre spielen, ein Instrument, das ich noch nie draußen im Freien gehört hatte, und der hatte den Vorfall bereits in ein Lied umgemünzt: »Auf den Baum steigt Ash, der Kavalier, hilft ’nem Mädchen, das dort friert …«

Der Bursche hatte nicht so ’ne Stimme wie Bartholomew, wenn wir abends unter dem Sternenhimmel auf einem Strohballen saßen und er gefiedelt hat, aber ich hatte schon Schlechteres gehört. Ein anderer Junge, der die Bones spielen konnte, hat sich zu ihm gesellt. Einige haben mitgeklatscht. Und zwei oder drei haben angefangen, eine Art Jig zu tanzen, und mich dabei in ihre Mitte genommen, und ich musste ein bisschen mit ihnen herumhopsen.

Als ich später zu meinem ersten Vorpostendienst aufgebrochen bin, hat mich das Lied begleitet. Ein Kamerad aus Louisville, der mit mir Dienst hatte, hat mich Kavalier Ash genannt und das Lied gesummt. Ich hab ihm gesagt, er soll den Namen lieber für sich behalten, aber ein paar von den andern haben ihn gehört und übernommen, und es war nichts dagegen zu machen. Selbst der Colonel hat ihn mir am nächsten Tag angeheftet, also hab ich ihn getragen.

Unter diesem Namen hab ich dann in der nächsten Nacht meinen ersten Menschen erschossen. Sechs oder sieben Kerle, die uns überrumpeln oder überfallen wollten oder weiß der Himmel was, sind einen Fingerbreit vor Tagesanbruch zwischen den Bäumen hervorgekommen. Die Hälfte der Jungs von unserm Teil der Vorpostenkette hatte es sich im Laub gemütlich gemacht und kam nicht so schnell hoch, und so hatten nur ein paar von uns die Muskete im Anschlag und schossen auf die verschwommenen Flecken, die durch die Talmulde auf uns zugerannt kamen. Von unseren Schusswaffen hat nur eine richtig funktioniert, und das war meine. Ich hab mir den Mann, den ich getötet hab, kurz angeschaut, als seine Gefährten davongelaufen waren. Er hatte dunkle Locken und ein Bärtchen. Einen großen Mund und hohe Wangenknochen. Die Kugel hatte ihn links oben in der Brust getroffen. Auf seiner hellen Jacke hab ich einen bräunlichen Fleck aufblühen sehen. Er hatte einen schmutzigen alten Verband an der linken Hand, und seine Fingernägel hätten mal geschnitten werden müssen.

Unsere Ablösung kam bei Sonnenaufgang, und die Kameraden haben gemeint, wir sollten gleich zurück und Meldung erstatten, aber ich bin noch einen Moment bei dem Getöteten geblieben. So wie alle hatte auch ich schon jede Menge Tote gesehen, aber nie einen, den ich selbst dazu gemacht hatte. Noch an diesem Vormittag hatte ich wieder mal leichthin eine hübsch zurechtgelegte Bemerkung dazu fallen lassen, für wie viele Rebellen ich verantwortlich zu zeichnen gedachte, wie viele ich zu erschießen und zu fleddern plante. Wir hatten jeden Tag über dieses Thema herumgeflachst. Ein paar von denen, die schon im Kampf gewesen waren, hatten uns gesagt, wenn wir erst mal der feindlichen Linie gegenüberstehen würden und die auf uns zielten, würden wir höchstwahrscheinlich die Flucht ergreifen. Aber ich hatte nicht die Flucht ergriffen. Ich hatte meine Waffe abgefeuert.

»Hast du das gesehen, Mutter?«, hab ich geflüstert.

Hab ich, hat sie zurückgeflüstert.

Und da saß ich nun. Am liebsten hätte ich den Kopf des Toten in meine Hände gebettet, aber ich hab es nicht getan, und mir war klar, dass ich lernen musste, auch solche Ideen abzutöten. Ein paar von der Ablösung haben sich ein bisschen über mich lustig gemacht, wie ich da einen Moment lang hockte, aber ich hab sie gar nicht beachtet. Die hatten an diesem Morgen schließlich noch niemanden umgebracht. Als die Sonne aufzugehen begann, konnte ich sehen, dass die offenen Augen des Toten blau waren.

Eine Woche später hat der Colonel, dessen Pferde gerade woanders im Einsatz waren, einen Leutnant angewiesen, ein Kommando zusammenzustellen, um einen guten Ort für ein Feldlager zu suchen, und mich mitzunehmen. So ist dann ein Dutzend von uns durch Wald und Feld gestiefelt, und nach einem Leben in Gesellschaft von tausend andern war es, als würden nur noch wir und die Vögel eine leere Erde bevölkern. Vom Feind war weit und breit nichts zu sehen, und auch von andern Zweibeinern nicht, ob weiß oder dunkelhäutig. Wir haben eine Weile gekundschaftet und auch das eine oder andere verlassene Haus gefunden, aber nichts, was sich für ein Feldlager geeignet hätte. Dann hat uns der Leutnant aufgeteilt, damit wir noch weiter ausschwärmen, und nachdem wir eine Stunde gelaufen waren, haben ich und der Kamerad, mit dem ich unterwegs war, etwas gefunden, was uns passend erschien, zwischen Bäumen versteckt.

Ein schönes Stück Land, durch das ein hübscher, klarer Bach floss. Es gab eine Steinbrücke, die unsere schweren Geschütze tragen würde, und ein Blockhaus für den Colonel und seine Offiziere. Außerdem einen Stall, in dem noch Stroh war, eine große Eiche, unter die wir uns kurz setzten, um unsre Äpfel und Hartkekse zu essen, und einen Brunnen, aus dem wir gutes Wasser zogen. Neben dem Brunnen war ein Schuppen, und in dem fanden wir eine Kette mit einer offenen Fußschelle, neben einer Vertiefung im Lehmboden. Man konnte erkennen, dass die Fußfessel sehr fest und wahrscheinlich ziemlich oft etwas Weiches umschlossen hatte.

Möglicherweise hätten wir noch ein Weilchen dort gestanden und dieses traurige Bild betrachtet, aber in dem Moment ist ein stattliches Schwein vorbeigeschnauft gekommen, das sichtlich noch nicht lange wild lebte. Wir haben das Schwein erschossen, ihm die Beine zusammengebunden und es an einen Birkenast gehängt, und mit dem auf den Schultern haben wir den Rückweg zu unserm Treffpunkt angetreten, wo wir nach zahlreichen Rasten schließlich unser Schwein präsentierten und Meldung erstatteten. Wie sich zeigte, hatten ein paar von den andern einen noch geeigneteren Platz gefunden, und dahin wurde das Regiment dann auch verlegt, aber das hat nichts daran geändert, dass eine ganze Reihe von uns, darunter auch der Colonel, an diesem Abend frisches Schweinefleisch zu kauen hatten.

In meinem nächsten Brief an Bartholomew hab ich ihm von diesem Tag und dieser Mahlzeit erzählt. Ich hab an ein paar von den Vögeln gedacht, die ich gesehen hatte, und davon geschrieben, und an bestimmte Bäume und an die solide Bauweise der Brücke und an das Rauschen des Bachs, der drunter durchgeflossen ist, und das alles hab ich auch in meinen Brief geschrieben. Das Schwein, das wir erschossen hatten, hat beim Sterben so gellend gequiekt wie ein Schwein namens Cloverleaf, das wir früher mal zu Hause hatten, und in meinem Brief an Bartholomew hab ich diesen Vergleich auch gezogen und fand ihn sehr treffend. Als ich das Gefühl hatte, dass der Brief einigermaßen fertig ist und ich ihn nicht völlig verpfuscht hatte, hab ich ihn noch mal durchgelesen und war schon dabei, ihn zusammenzufalten, um ihn abzuschicken, da fiel mir dieser Schuppen wieder ein. Ich hab die Fußschelle vor mir gesehen und das auf dem Eisen verkrustete alte Blut und bin erschaudert. Dieser Schauder hat unten in meinem Kreuz angefangen und ist aufgestiegen, durch meine Kehle bis zu den Lippen. Es gab niemanden auf dieser Welt, der nicht schon mal jemanden mit irgendeiner Art von Fessel gesehen hatte, das wusste ich, aber in diesem leeren Raum hatte ein Leid in der Luft gehangen, das einen regelrecht anfiel, und deshalb war ich froh, dass wir einen andern Platz gefunden hatten und nicht dorthin zurückkehren würden.

Allerdings bin ich doch zurückgekehrt. Schon am nächsten Tag hat der Colonel mich und meinen Kameraden angewiesen, einen Fouragiertrupp dort in die Gegend zu führen und zu schauen, ob wir noch so ein schönes Stück Schweinefleisch aufscheuchen können. Ich hab uns direkt hingelotst, als hätte ich die Wegbeschreibung auf dem Ärmel stehen. Es war so sonnig wie am Tag zuvor, und es ging ein noch angenehmerer Wind. Wir haben ein weiteres Schwein getötet, und die Jungs, mit denen ich unterwegs war, fanden alle, dass wir unser Lager hier hätten aufschlagen sollen, aber ich hab kein Wort gesagt. Aus der Ferne hat der Schuppen ausgesehen, als wäre hinter der Tür, die an nur einem Scharnier hing, eine Finsternis, die einen, wenn man sich genauer damit befassen würde, in eine Tiefe ziehen könnte, aus der man nur mit allergrößter Mühe wieder hochkäme.

Es haben mich weiterhin viele bei meinem Spitznamen genannt, aber ich hab mich in den folgenden paar Tagen nicht sehr kavaliersmäßig gefühlt. Ich nehme mal an, wenn eine von den Damen, die wir auf unserem Weitermarsch sahen, in ihrer Begeisterung ihr Hemd verloren hätte, dann hätte ich sie wohl ihre Preziosen im Wind auslüften lassen. Wieder und wieder bin ich aus dem Glied getreten, um mich nach dem nächsten Busch umzusehen, und musste mich danach in Trab setzen, um aufzuschließen. Doch nicht nur ich hatte an dem Lagerplatz, den wir ausgewählt hatten, Sumpfwasser getrunken und musste jetzt den Preis dafür bezahlen. Keiner von uns hatte irgendein Interesse daran, sich vor den andern hinzukauern, und alle haben versucht, ausreichend Abstand zu halten, aber trotzdem war es keineswegs unwahrscheinlich, dass einer von den andern zufällig auf mich stoßen und mein Geheimnis entdecken würde, während ich, alle zehn Minuten statt alle zehn Stunden, mein Geschäft verrichtete, und das hat nicht gerade meine Stimmung gehoben. Genauso wenig hat es meine Stimmung gehoben, als ein Kamerad von seinem Ausflug hinter einen Busch mit einem Schädel in der Hand wiederkam.

Wie sich herausstellte, hatte auf dem Gelände, über das wir gerade marschierten, eines der ersten Gefechte stattgefunden, und etliche Gefallene waren nicht begraben worden, sodass die Tiere und der Wind ihre Gebeine verstreut hatten. Sobald wir das erfuhren, konnten wir an nichts anderes mehr denken, und die nächsten ein, zwei Kilometer haben wir nur noch Grün und Braun und bemoostes Weiß gesehen.

»Da drüben ist noch einer«, hat zum Beispiel jemand gesagt.

Oder ein anderer rief: »Da drüben unter dem Baum ist ein Stiefel, wo der Fuß noch drinsteckt.«

Es lagen Gebeine in den Gräben, Gebeine unter den Zäunen, Gebeine in den Rohrkolben, Gebeine in einer Art Kreis am schwarzen, seichten Grund eines Bachs. Einigen von uns haben diese ständigen Rufe nicht gefallen, sie fanden, dass wir anhalten und den Gebeinen Gerechtigkeit widerfahren lassen sollten, egal ob das nun Blaue oder Graue gewesen waren, aber der Colonel hatte seine Order, und das Regiment war auf dem Marsch, also blieben unsere Münder offen und die Finger ausgestreckt und die Spaten unangetastet.

Dieses Gefühl, die Gebeine vor unseren Augen begraben zu wollen, hielt auch noch an, als wir sie längst nicht mehr vor Augen hatten, aber das hat den Kameraden mit dem Totenschädel nicht davon abgehalten, ihn in dem kleinen Ort, durch den wir ein paar Meilen später gestiefelt sind, hervorzuziehen und einer Schönen, die zum Gucken rausgekommen war, in die Hände zu werfen. Etliche von uns haben laut gelacht, als er das getan hat. Nicht so die Schöne. Sie hat weder gelacht noch gekreischt noch das bemooste Ding fallen lassen, sondern es einen Moment lang betrachtet und es dann sorgsam auf das Fensterbrett hinter sich gestellt. Ich hab sie über die Schulter noch kurz beobachtet und darüber gestaunt, dass sich ihr Mund nach diesem Geschenk zu einem entschlossenen kleinen Lächeln verzog und sie dem Blick von jedem standhielt, der sie anguckte oder ansprach, während wir an ihr vorbeimarschierten. Im Schatten hinter ihr waren ein, zwei Kinder zu sehen. Die Fassade des Hauses war brandgeschwärzt, und das Dach war teilweise eingedrückt. Mir hat es wieder im Bauch rumort, und ich hab mich abgewandt, aber nicht aufgehört, über sie nachzudenken, während ich wieder mal losrannte, um ein ruhiges Fleckchen zu finden. Wer weiß, was dieser Schädel ihr und den Ihren bedeutete. Und während ich dann da kauerte und mein Geschäft verrichtete, hab ich ein, zwei Mal auf meinen eigenen Schädel geklopft, um sicherzugehen, dass er schön fest auf meinem Hals sitzt.