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Stuart David

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Aus dem Englischen von
Friedrich Pflüger

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1. Auflage 2017
© Stuart David 2015
Die Originalausgabe erschien 2015
unter dem Titel »Jackdaw and The Randoms« bei
Hot Key Books, London.
© 2017 für die deutschsprachige Ausgabe
cbt Kinder- und Jugendbuchverlag
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Übersetzung: Friedrich Pflüger
Umschlaggestaltung: © init | Kommunikationsdesign,
Bad Oeynhausen
Umschlagillustration: © Dominik Rupp
jb · Herstellung: RN
Satz und eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN: 978-3-641-17753-9
V001

www.cbt-buecher.de

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Da sitze ich also in Glatzkopf-Baines Naturkundeunterricht und sehe zu, wie draußen vor dem Fenster eine totale Loser-Taube über einen nicht mehr ganz taufrischen Hotdog herfällt, als ohne jede Vorwarnung die Glatze des Grauens in die Luft geht.

»Du da!«, bellt er. Ich drehe mich nach vorn, um zu sehen, wen er diesmal aufs Korn nimmt. Mich, dummerweise. »Hier spielt die Musik!«, sagt er. »Wie sollte ich – deiner geschätzten Meinung nach – in diesem besonderen Fall vorgehen?«

Ich widme mich der Angelegenheit mit voller Aufmerksamkeit.

»Sie könnten Ihren Bart in den Bunsenbrenner halten«, rutscht mir beinahe heraus, aber ich besinne mich gerade noch rechtzeitig. Dies ist bedauerlicherweise schon das dritte Mal, dass er mich in dieser Stunde aufruft und ich nicht die geringste Ahnung habe, worum es gerade geht. Ich werfe einen Blick in die Runde, aber niemand hilft mir mit einem versteckten Hinweis. Alle atmen erleichtert auf, weil ich in die Schusslinie geraten bin und nicht sie. Baine starrt mich mit lodernden Augen an, und mir fällt nichts anderes ein als:

»Bitte, wie war noch mal die Frage?«

Damit scheint für diesen Morgen die Schmerzgrenze erreicht.

»Raus!«, brüllt er. »Auf den Flur, bis zum Ende der Stunde. Und falls dich der Rektor bis dahin nicht in die Mangel genommen hat, dann werde ich das tun.«

Krass.

Die Taube, der ich einen letzten Blick zuwerfe, liegt immer noch im Clinch mit dem Gammelfleischwürstchen. Ich schleiche zur Tür. Aufgeflogen. Manche feixen ein bisschen und kichern. Baine geht sofort wieder durch die Decke, aber da bin ich schon draußen auf dem Korridor, und das Ganze geht mich nichts mehr an.

Und in diesem Moment nimmt mein Leben eine Wendung.

Wie ich so an der Wand lehne und über den Gang auf ein Poster gegen ungewollte Schwangerschaft oder so was starre, schlägt es bei mir plötzlich ein: das ganz große Ding. Der Geistesblitz, auf den ich immer gewartet habe. Die Idee für eine App, die so genial ist, dass sie mich zum Millionär machen muss – nein, zum Milliardär.

Ich reiße das Handy aus der Tasche und checke online, ob eine solche App tatsächlich noch nicht existiert. Während ich noch herumscrolle, gehen mir schon mögliche Namen dafür durch den Kopf – Minder, iKnow, Class Monitor? Meine Maschine läuft auf Hochtouren, und alles andere ist mit einem Mal egal: dass ich peinlicherweise schon wieder aus dem Unterricht geflogen bin; dass in wenigen Monaten die Abschlussprüfungen drohen; ja sogar, dass ich im ganzen Schuljahr noch kein einziges Nanobyte an Information gespeichert habe – in keinem Fach. Das alles kratzt mich jetzt nicht im Geringsten. Mit dieser Idee habe ich auf Jahre ausgesorgt. Jahrzehnte. Jahrhunderte.

Es ist einfach fantastisch.

Und als ich mich gerade mit den Einzelheiten befassen will, wie ich das Projekt zum Laufen bringe, werden meine wertvollen Gedankengänge aufs Gröbste vom Schrillen der Pausenglocke unterbrochen …

Die Normalos strömen neben mir aus der Tür, fast jeder mit einem wahnsinnig geistreichen Spruch wie »Du da!« oder »Hier spielt die Musik!«. Zum Kreischen. Ich starre einfach auf das Schwangerschafts-Plakat und warte stoisch, bis es vorbei ist. Was wird Baine diesmal wohl mit mir anstellen? Mit Glatzkopf ist es nämlich so: Er ist schon eine Art Genie, wenn es um chemische Reaktionen und solches Zeug geht, aber damit hat sich’s dann auch schon. Sein Kopf ist so mit Wissen vollgestopft, dass kaum Platz ist für ganz alltägliche Dinge – dass man sich die Essensreste aus dem Bart klaubt zum Beispiel oder dass man irgendwas mit dem Jungen anstellen muss, den man aus dem Unterricht geworfen hat, weil er eine Taube angestarrt hat, also kurz gesagt: Er vergisst mich einfach. Ich warte, bis die Normalos verschwunden sind, und dann noch mal ein paar Minuten, bis mein bester Kumpel Sandy Hammil aus dem Klassenzimmer schwebt und Entwarnung signalisiert.

»Vergessen?«, frage ich. Er nickt.

»Ich habe ihn noch eine Weile über Protonen schwafeln lassen«, sagt er, »und irgendwann ist er einfach ins Nebenzimmer abgezogen.«

Ich drücke mich von der Wand ab und folge Sandy die Treppe hinunter. Ich bin ziemlich erleichtert.

»Was hast du dir vorhin eigentlich dabei gedacht?«, fragt er. »So langsam solltest du dich wirklich mal zusammenreißen. Nur noch zwei Monate. Mehr Zeit bleibt uns nicht.«

»Ich weiß«, antworte ich, »aber das ist jetzt egal. Ich hab’s, Sandy. Ein ganz großes Ding.«

Er starrt mich verständnislos an. »Was für ein großes Ding?«

»Das ganz große. Das mein Leben verändern wird. Die Idee, auf die ich immer gewartet habe. Eben ist sie mir gekommen, auf dem Flur vor der Klasse. Baine hat mich zum Millionär gemacht.«

»Nicht schon wieder«, stöhnt Sandy. »Von dir lasse ich mich nicht noch einmal in so eine hirnverbrannte Geschichte hineinziehen.«

Ich schüttele den Kopf. »Diesmal ist es wirklich so«, beteuere ich. »Es kann einfach nicht schiefgehen.«

»So wie das mit den Fahrrädern, das nicht schiefgehen konnte? Oder das Fiasko mit den Mensatabletts, das ich mit ausbaden durfte? Und das auch so eine todsichere Sache war?«

»Ganz ruhig«, sage ich ihm. »Das hier ist völlig anders. Außerdem brauche ich dich auch gar nicht dazu. Ich lasse dich in Frieden. Es geht um eine App. Ich muss nur noch jemanden finden, der mir das programmiert, ohne was dafür zu verlangen.«

Er schaut mich zweifelnd an. »Wenn du im Informatikkurs besser aufgepasst hättest, dann könntest du es ja selbst programmieren.«

»Schon möglich«, gebe ich zu. »Aber wenn ich immer im Unterricht aufgepasst hätte, wäre ich im Leben nicht auf diese Idee gekommen. Genau darum geht’s in meiner App. Dass man nicht in Schwierigkeiten kommt, wenn man sich mal ein bisschen ausgeklinkt hat.«

Und dann sagt er etwas, das bei mir fast einen Herzanfall verursacht.

»So was gibt es doch schon.«

Ich kann das nicht glauben. Online habe ich nichts in der Art finden können. Meine Beine werden ganz weich. Ich muss mich am Geländer festhalten und tief durchatmen. Ich frage ihn, wie dieses Ding heißt.

»Aufpassen im Unterricht«, antwortet er lachend, und ich bin erleichtert. Ich knuffe Sandy in die Schulter und zerzause ihm die Haare.

»Das ist es«, sage ich ihm. »Darauf habe ich mein ganzes Leben lang gewartet. Meine ganz große Chance, Sandy.«

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Ich bin übrigens Jack. Jack Dawson. Die meisten nennen mich Jackdaw. Und wenn nicht, dann sage ich ihnen, sie sollen mich so nennen. Jackdaw heißt nämlich Dohle, und genau so sehe ich aus: graue Augen und ganz schwarze Haare mit einem kleinen bisschen Weiß, wo die Pigmente abgestorben sind. Wahrscheinlich durch den Schock, als mir klar geworden ist, welches Leben auf mich wartet, jetzt wo es bald mit den ganzen Klausuren losgeht. Jedenfalls sieht mein Haar ziemlich schräg aus, aber mir gefällt es. Und deswegen pflege ich es auch. Ich lasse es ganz fedrig schneiden und streiche es nach einer Seite, hier lang und da kurz. Ist wichtig, dass man gut aussieht. Finde ich wenigstens.

Kein Grund, so herumzulaufen wie eine Loser-Taube, oder?

Fällt mir jedenfalls keiner ein.

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»Was hast du als Nächstes?«, fragt Sandy, während wir über den Schulhof gehen, und ich sage ihm, Doppelstunde Geschichte, bei Feldwebel Monahan.

»Du armes Schwein«, seufzt er, und normalerweise müsste ich ihm recht geben. Monahan ist völlig durchgeknallt. Aber heute ist alles anders, weil ich in Geschichte neben Mark Walker sitze, und Mark Walker ist ein Streber der Extraklasse. Immer wenn ich im Informatikkurs bei irgendwas stecken bleibe, und das passiert mir fast immer, dann frage ich Mark. Und er lässt mich nie hängen.

»Dann bis zur Mittagspause«, sagt Sandy. »Für mich gibt’s jetzt erst mal eine lässige Doppelstunde Hauswirtschaft.« Er trollt sich in Richtung Treppe in den Altbau hinauf und ich schwebe selig über den Schulhof davon.

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Irgendwann, an einem fernen Vor- oder Nachmittag, muss ich mich tatsächlich für das Fach Geschichte entschieden haben. Was habe ich mir bloß dabei gedacht? Ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, und wenn ich könnte, würde ich ganz bestimmt etwas anderes wählen. Besonders, wenn ich wüsste, dass ich Monahan kriege. Es heißt, bevor er Lehrer wurde, sei er bei der Armee gewesen. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Ich bin mir nicht sicher, ob die Armee ihn überhaupt genommen hätte. Ich glaube, dazu ist er viel zu durchgeknallt. Er hat kurzes, weißes Haar, das wie eine zu lange benutzte Zahnbürste aussieht, und sein großes, rundes Gesicht ist fast immer hellrot angelaufen – meistens aus Wut. Sein Schnauzer erinnert eher an die Schnurrhaare einer Katze als an etwas, das gewöhnliche Menschen im Gesicht tragen. Dazu trägt er meistens eine Fliege, die aussieht, als würde sie ihn erwürgen.

Ich wünschte, sie täte es.

Heute dauert es keine zehn Minuten, da muss Fritten-Mackenzie schon vorne an der Seite stehen und mit ausgestrecktem Arm ein dickes Geschichtsbuch hochhalten. Dabei hatte er beim Bearbeiten einer Aufgabe nur ein bisschen vor sich hin gepfiffen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Frittes Menschenrechte verletzt, aber wahrscheinlich verletzt das meiste, was Feldwebel Monahan tut, unsere Menschenrechte. Fritte bekommt ganz rote, aufgequollene Augen, während er so dasteht, und wenn er seinen Arm nur einen Millimeter senkt, läuft der Feldwebel sofort hin und hebt ihn wieder haargenau auf 90 Grad an.

»Noch mal von vorn«, sagt Monahan. »Zehn Minuten, ohne dich zu rühren. So machst du es dir nur unnötig schwer.«

Fritte hat ganz zittrige Arme und das Buch wippt die ganze Zeit rauf und runter. Kaum jemand schafft volle zehn Minuten, und das heißt, dass man fast die ganze Stunde vorn stehen muss.

»Ich muss mit dir reden«, raune ich Mark Walker bei der ersten Gelegenheit zu. Monahan kehrt uns den Rücken zu und notiert auf seinem Block etwas für eine andere Schulstunde. Trotzdem schaut Mark nicht zu mir her. Er schüttelt nur steif den Kopf und starrt weiter nach vorn.

»Dann stehen wir auch gleich vorn«, wispert er mit bebender Stimme.

»Du brauchst bloß zu flüstern«, antworte ich, aber er zuckt nur noch einmal mit dem Kopf und bleibt stumm.

Ich sehe ihn an, seufze, reiße ein Blatt aus meinem Heft und schreibe: »Du musst für mich was programmieren. In Objective-C.« Ich schiebe ihm den Zettel zu. Er dreht den Kopf und sieht mich an, als würde er mich für einen totalen Nullchecker halten, was er wahrscheinlich auch tut. Er dreht das Papier um, schreibt auf die Rückseite und schiebt es zurück.

»Weißt du überhaupt, was Objective-C ist?«, lese ich. Ich starre eine Weile darauf. Dann reiße ich noch ein Blatt heraus.

»Ich weiß, dass das die Programmiersprache für Apps ist«, schreibe ich. »Und außerdem weiß ich, dass ich dazu deine Hilfe brauche.«

»Aber ich kann kein Objective-C«, antwortet er.

»Wie das?«, schreibe ich. »Du bist doch in meinem Informatikkurs.«

Ich lege ihm das Blatt hin und er sieht mich wieder wie einen Volltrottel an. Dann zuckt er mit den Achseln, als wollte er sagen: »Na und?«

»Aber wir machen dort doch Objective-C«, flüstere ich. Er runzelt die Stirn und dreht das Blatt um.

»Tun wir nicht, du Blödmann«, schreibt er, und in diesem Moment dreht sich der Feldwebel herum.

»Ruhe!«, brüllt er mit feuerrotem Kopf. »Wer redet da? Wer wagt es, meinen Unterricht zu stören?«

Alles Blut weicht aus Marks Gesicht. Er ist weiß wie ein Gespenst, und ich starre auf den Tisch herunter und bin mir sicher, dass er uns mit seiner Angst verraten wird. Dann fällt mir ein, ich könnte ja jemand anderen anstarren. Wenn Mark mitmacht, dann wird der durchgeknallte Monahan den anderen vielleicht für den Schuldigen halten. Ich konzentriere meine Bemühungen auf Amanda Gray, aber dann fällt mir auf, dass fast die ganze Klasse kreidebleich geworden ist und kein besonderer Verdacht mehr auf Mark fällt. Wütend mustert der Feldwebel ein Gesicht nach dem anderen, aber dann bemerkt er, dass Fritte das Buch schon wieder sinken lässt. Er geht hin und nimmt es ihm aus der Hand.

»Setzen«, sagt er und stellt das Buch wieder ins Regal. »Es steht jetzt wieder zur Verfügung, falls jemand nach vorn kommen möchte«, sagt er und starrt noch einmal in die Zombie-Gesichter. »Niemand? Also schön. Belassen wir’s dabei. Macht euch wieder an eure Aufgaben.« Er blättert seinen großen Block um und kritzelt weiter.

Mark linst mit zusammengekniffenen Augen zu mir herüber und ich verfasse schnell die nächste Nachricht für ihn.

»Ich bin mir sicher, dass Bronson über Objective-C geredet hat«, steht da, aber ich kann Mark nicht dazu bringen, den Zettel auch nur anzusehen. Ich muss ihm androhen, ihn zu kitzeln. Dann muss er lachen und todsicher vorn das Buch übernehmen, bevor er noch etwas antworten kann.

Er presst die Lippen zusammen. »Klar redet er darüber«, schreibt Mark, »aber deswegen bringt er es uns noch lange nicht bei. Wo bist du denn das ganze Schuljahr gewesen?«

Er lässt den Zettel vor sich liegen, schiebt ihn nicht einmal zu mir herüber, und ich muss mich zum Lesen hinüberlehnen. Es überrascht mich doch einigermaßen, was ich da entziffere. Bronson reitet doch dauernd darauf herum, dass Apps in Objective-C geschrieben werden. Ich war mir völlig sicher, dass er uns das auch beizubringen versucht, aber offensichtlich passe ich dort noch weniger auf, als ich dachte. Ich weiß schon, dass ich ab und zu ein bisschen abschalte, aber das ist schon der Hammer. So muss das wohl sein, wenn man eine Ideenmaschine ist – da kann man nicht ständig auf einen Lehrer hören, der einem etwas über die Ideen andere Leute erzählen will.

Besser, man hält seine eigenen Gehirnströme in Fluss.

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Die Doppelstunde Geschichte dauert schier endlos. Ein paar Normalos schrammen noch haarscharf an einer Begegnung mit dem dicken Wälzer vorbei, aber er bleibt dann doch im Regal stehen. Emma Wilkinson schafft es allerdings beinahe, weil ihr versehentlich der Bleistift aus der Hand rutscht und quer durchs ganze Klassenzimmer rollt. Sie steht auf und will ihn holen, ohne den Feldwebel um Erlaubnis zu fragen, worauf er komplett durchdreht. Bedauerlicherweise fängt Emma sofort an, sich furchtbar zu entschuldigen, droht schließlich sogar, in Tränen auszubrechen, sodass der Feldwebel sie mit einer Ermahnung davonkommen lässt und wieder Ruhe einkehrt. Als es läutet und der Tortur ein Ende bereitet wird, greife ich mir Mark, packe mein Zeug zusammen, und wir gehen zusammen den Schulflur entlang.

»Und was ist mit den anderen Nerds, mit denen du rumhängst«, frag ich ihn. »Einer von denen muss doch Objective-C draufhaben.«

Er schüttelt den Kopf, als wäre ich gerade in seinen Schachklub marschiert und hätte ein Damespiel aufgestellt. Das ist schon ein starkes Stück, aber ich lasse mich nicht aus dem Takt bringen. Ich muss jetzt alles erfahren, was er weiß.

»An der ganzen Schule gibt’s eigentlich nur eine Person, die Objective-C kann«, sagt er. »Vielleicht noch ein paar Lehrer, aber von den Schülern nur einer.«

»Einer genügt mir«, antworte ich ihm. »Mehr brauche ich gar nicht.«

»In diesem Fall schon«, sagt er. »Du solltest dir das lieber aus dem Kopf schlagen.«

»Wer ist es denn?«, frage ich ihn.

Er schüttelt den Kopf. »Denk dir lieber was anderes aus«, meint er. »Das willst du gar nicht wissen.«

Ich bleibe stehen und packe ihn am Ellenbogen. Sofort hat er wieder diesen Gespensterblick drauf, wenn auch nicht so krass wie eben in der Geschichtsstunde. »Jetzt sag schon«, sage ich, »und dann lass mich entscheiden, ob ich es wissen will oder nicht.«

Er windet sich aus meinem Griff und wischt sich trotzig den Jackenärmel ab. Ich stehe immer noch und warte, bis er schließlich ein einziges Wort sagt – den Namen, den ich von ihm wissen will.

»Greensleeves.«

Ich nicke bedeutungsvoll und lasse ihn gehen. Greensleeves. Elsie Green. So eine verdammte Scheiße.

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Weil die Schulmensa drüben im Neubau liegt, hat Sandy Mittagessen-mäßig einen Vorsprung. Bis ich die furchterregende Bratwurst mit Zwiebeln zu ihm an den Tisch geschleppt habe, hat er das Martyrium schon zur Hälfte hinter sich gebracht.

»Alles klar?«, fragt er. Ich nicke, ziehe mir einen Stuhl heraus und setze mich hin. Während seine mahlenden Kiefer einen aussichtslosen Kampf gegen einen Mundvoll trockener Wurst führen, zeigt er mit der Gabel auf das jämmerliche Stückchen Biskuitkuchen auf meinem Tablett. Als seine Zunge endlich ein bisschen Platz geschaffen hat, verkündet er, den Kuchen könnte ich heute getrost liegen lassen.

»Warum?«, frage ich, und er macht eine Plastikdose auf, die auf dem Tisch steht.

»Muffins aus Hauswirtschaft.«

Sie sehen lecker aus. So lecker, dass ich überlege, die Bratwurst Bratwurst sein zu lassen und das Mittagessen einzig mit den Muffins zu bestreiten. Die ganze schwere Gedankenarbeit am Morgen hat aber so an meinen Kräften gezehrt, dass ich die Nase zukneife und mich doch erst einmal dem Hauptgericht widme.

»Wie war’s bei Monahan?«, fragt Sandy. »Wer hat das Buch gekriegt?«

»Fritten-Mackenzie«, antworte ich, »und Emma Wilkinson beinahe auch, aber als sie geweint hat, ist Monahan weich geworden.«

»Wenn ich im Kurs von diesem Typen wäre«, meint Sandy, »dann würde ich ans Europaparlament schreiben. Dem müssen sie unbedingt mal das Handwerk legen.«

»Eigentlich schon«, pflichte ich bei, »aber je mehr Zeit er mit diesem Irrsinn zubringt, desto weniger bleibt für Geschichte übrig. Und das ist gar nicht so schlecht.«

Sandy schaufelt noch einen letzten Löffel Haferbrei in den Mund. Dann angelt er sich die Dose mit den Muffins. Er klappt den Deckel auf, schnuppert genüsslich daran und nimmt sich das erste vor.

»Und du? Was ist los mit dir?«, fragt er. »Was ist passiert?«

»Mit mir?«, antworte ich verwirrt. »Was meinst du?«

»Deine Idee«, erklärt er. »Ich weiß doch, wie du sonst bist, wenn du eine Idee hast. Da lässt du mich kaum zu Wort kommen, aber jetzt hast du sie nicht einmal erwähnt. Also, was ist los?«

»Ah.« Darauf will er hinaus. »Da gibt’s ein Problem. Ich weiß nicht, ob die Sache klappt.«

Er scheint nicht besonders beeindruckt.

»War ohnehin ziemlich albern«, meint er. »Reine Hirngespinste.«

»Na hör mal!«, sage ich. »So dumm ist die Idee auch wieder nicht. Sie ist Gold wert.«

Er schüttelt den Kopf.

»Das ist doch Schwachsinn«, sagt er. »Außerdem funktioniert das doch gar nicht. Wie soll eine App verhindern, dass du Schwierigkeiten kriegst, wenn du nicht aufpasst?«

Ich überlege, ob ich ihm alles verraten soll, von der genialen Kombination aus Umwandlung von Sprache zu Text und der Vorschlagsuche. Aber von solchen Sachen hat er sowieso keinen Schimmer, und deshalb sage ich ihm, dass das im Augenblick alles noch vertraulich ist.

»Das Patent ist schon angemeldet«, erwidere ich. »Die Idee ist wirklich erste Sahne, sage ich dir. Das einzige Problem ist das mit dem Programmieren. Offenbar gibt’s an der ganzen Schule nur eine Person, die so was kann.«

»Und warum leistest du dir dann nicht einfach einen richtigen Programmierer?«, fragt er mich, und ich muss lachen.

»Meinst du das ernst? Hast du eine Ahnung, was das kostet? Da müsste ich erst eine Bank ausrauben.«

Ich überlege, ob ich ihm auch noch das Urheberrecht erklären soll, aber das wäre reine Zeitverschwendung. Er schwebt im Augenblick im siebten Muffin-Himmel, hebt sein Werk ans Licht, betrachtet ihn von allen Seiten und beißt ab und zu ein Stück ab. Langsam werde ich neidisch. Die Bratwurst ist zäh wie Leder und wird und wird nicht weniger. Als ich leise aufstöhne, findet Sandy zurück in die Realität und fragt mich, warum mir der eine Programmierer an der Schule nicht genügt.

»Wie viele brauchst du denn?«

»Zwei«, antworte ich.

»Wozu?«, fragt er. »Wieso genügt nicht einer?«

»Weil der eine ist, wer er ist«, erkläre ich. »Ich brauche zwei, damit ich dem Spinner den Laufpass geben und mit dem Normalen arbeiten kann.«

Er hört auf, seinen Muffin zu malträtieren, und schaut eine Minute lang ziemlich beschränkt aus der Wäsche. Es dauert eine Weile, bis er die von mir gelieferten Daten entzippt hat, aber schließlich begreift er.

»Wer ist der Spinner?«, fragt er. Ich spähe im Speisesaal über seine Schulter hinüber zum Strebertisch, wo sie gerade über ein Kartenspiel diskutieren, das einer auslegt, dann zum Tisch mit den hübschen Mädchen, die mit Lippenstiften hantieren und mit winzigen Spiegeln ihr Haar bewundern. Dann drehe ich mich auf meinem Platz um und werfe einen Blick auf eine Gruppe Lehrer, die trübsinnig auf ihre Teller starren und nicht miteinander reden. Nicht zu übersehen ist auch ein großer Haufen Fünftklässler, die wild kreischen, sich mit Essen bewerfen und sich auch sonst wie Grundschul-Kleingemüse benehmen. Dann sehe ich sie. Sie sitzt allein an einem Tisch und sieht mit einem Blick in die Ferne, den sie selbst todsicher für »inständig poetisch« hält.

Elsie Green.

Ich drehe mich wieder Sandy zu und deute mit dem Daumen über meine Schulter.

»Sie.«

Er schaut in die grobe Richtung, und ich kann beobachten, wie sein Blick hin und her eiert, bis er schließlich das Ziel erfasst. Seine Augenbrauen schießen in die Höhe.

»Greensleeves?«

»Greensleeves«, antworte ich.

Er stößt einen leisen Pfiff aus. »Game over«, sagt er.

»Gut möglich«, sage ich. Urplötzlich sehe ich mich der Bratwurst mit Zwiebeln nicht mehr gewachsen, schiebe sie weg und greife mir einen Muffin. Er schmeckt gut. Verdammt gut.

Ich hätte Hauswirtschaft nehmen sollen und nicht Geschichte.

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An diesem Abend bricht bei uns zu Hause mal wieder der ganz normale Wahnsinn aus. War zwar mal wieder an der Zeit, aber ich bin trotzdem überrascht. Wie gewöhnlich fängt alles ganz ruhig an: Ich sitze mit meinen Erzeugern (also Mum und Dad, um die üblichen Begriffe zu verwenden) am Tisch, und wir essen schweigend zu Abend. Dad hat sich’s im Unterhemd bequem gemacht und wickelt eine Prise Tabak nach der anderen in kleine Papierblättchen. Eine Pyramide von frischen Zigaretten hat er schon fertig. Sein Vorrat für später. Mum trägt immer noch ihr Kostüm vom Büro und erzählt etwas über jemanden, der auch dort arbeitet, glaube ich. Ganz sicher bin ich mir nicht. Immer wieder schnappe ich kleine Schnipsel auf. Es scheint um eine Frau zu gehen, die der Firma einen Haufen Geld verloren hat, weil sie am Computer den falschen Knopf gedrückt hat. So was in der Art. So in etwa spielt sich das ab. Alles schön friedlich. Und dann, aus dem Nichts, macht Mum mir die Hölle heiß und stellt die 100 000-Dollar-Frage:

»Wie war’s denn heute in der Schule, Jack?«

Ich sehe gar nicht auf und nicke nur. »Prima.«

»Und?«, fragt sie. »Was war denn so los?

»Na ja …«, sage ich ihr, in Gedanken. »Ich hatte einen galaktischen Geistesblitz – einen einzigen Gedanken, der mich weltberühmt und steinreich macht und mir damit für alle Zeit erspart, jemals wieder Fragen wie diese hier beantworten zu müssen. Aber dann hat sich herausgestellt, dass die einzige Person, die mir dabei helfen kann, zu gefährlich ist, um sich auch nur in ihre Nähe zu begeben. Jedenfalls hasst sie mich. Deshalb hat sich die Sache in Luft aufgelöst und deshalb sitze ich jetzt hier und beantworte für den Rest meines Lebens solche Fragen.«

Aber aus meinem Mund kommt nur: »Nichts Besonderes. Nur das Übliche.« Aber das ist Mum natürlich alles andere als genug.

»Welche Fächer hattest du denn heute?«, fragt sie. An die meisten kann ich mich in diesem Augenblick überhaupt nicht erinnern.

»Am Schluss hatte ich Mathe«, antworte ich, und mir ist sofort klar, das hätte ich mir ein bisschen besser überlegen sollen. Wenn ich einfach Englisch oder Geschichte gesagt hätte, dann wäre Mum damit wahrscheinlich zufrieden gewesen. Hätte nur genickt und gesagt, das sei schön. Bei Mathe ist das anders. Sie hält sich da für eine Expertin, obwohl wir heute ganz andere Sachen machen als sie zu ihrer Schulzeit.

»Und was behandelt ihr gerade?«, fragt sie. »Was war heute Nachmittag dran?«

Ich denke nach. Mein Gedächtnis ist wie leer gefegt. Ich kann mich kaum erinnern, überhaupt dort gewesen zu sein. Die meiste Zeit habe ich überlegt, ob ich mir Objective-C selbst beibringen soll, aber dann war ich mir wieder sicher, dass es außer Greensleeves doch noch jemanden an der Schule geben muss, der sich damit auskennt. Aber es haut mich total um, dass ich in Mathe kein einziges Bit an Information heruntergeladen habe.

»Ich …«, sage ich, »na ja, mir ist heute ziemlich viel durch den Kopf gegangen.«

Ab da läuft alles wieder ziemlich glatt. Mum legt Messer und Gabel auf dem Teller zusammen, streicht ihren Rock glatt und reckt sich auf dem Stuhl gerade.

»Ach, Jack«, sagt sie und scheint dann tatsächlich um Worte zu ringen. »Wie lange ist es noch bis zu den Prüfungen?«

»Zwei Monate«, murmele ich.

»Was kann einem da durch den Kopf gehen«, fragt sie, »außer den Prüfungen, meine ich?«

»Ich weiß nicht«, antworte ich. »Ich bin einfach ziemlich gestresst.«

»Weswegen?«

»Wegen der Prüfungen.«

»Jack«, sagt sie. »Jack. Wenn du besser aufpassen würdest, dann wären die Prüfungen gar kein Problem. Und du wärst nicht gestresst. Siehst du denn nicht ein, wie verrückt das ist?«

Ich nicke und dann mischt Dad sich ein.

»Er wird das schon hinkriegen«, sagt er. »Schau mich an – keine einzige Prüfung habe ich in der Schule gemacht, und es hat mir nicht geschadet. Er kann doch bei uns arbeiten. Gleich morgen früh werde ich mal Frank Carberry fragen. Lass dir da mal keine grauen Haare wachsen, Jack.«

»Red keinen Unsinn«, sagt Mum. »Dort wird er auf keinen Fall arbeiten. Er ist zu etwas Besserem bestimmt.«

»Und was meinst du da genau?«, fragt Dad und reißt die Augen dabei vielleicht ein bisschen zu weit auf.

»Ich meine, dass das nicht gut genug für ihn ist«, antwortet Mum, und obwohl das alles nicht besonders angenehm ist, bin ich froh, dass ich aus dem Schneider bin – mit ein bisschen Glück für den Rest des Abends. Normalerweise würde ich mich in diesem Augenblick dünne machen und die beiden das alleine ausdiskutieren lassen. Weil ich aber mittags in der Schulmensa schon nach der halben Bratwurst mit Zwiebeln schlappgemacht habe, bin ich völlig ausgehungert. Also esse ich zu Ende, und während sie weiterquasseln, verabschiede ich mich schließlich – was keiner zu bemerken scheint – und gehe in mein Zimmer. Dort lege ich mich aufs Bett und höre mir von oben noch ungefähr anderthalb Stunden lang den ganz normalen Wahnsinn an.

Einmal war ich in der Fabrik, wo Dad arbeitet. Er hatte vergessen, sein Mittagessen mitzunehmen, und Mum konnte es vor der Arbeit auch nicht bei ihm vorbeibringen. Deshalb hatte sie mich gebeten, es auf dem Weg zur Schule bei ihm abzugeben. Es war im Frühsommer, ziemlich warm draußen, aber als ich in die Fabrik kam, war es dort so heiß, dass ich kaum zu atmen wagte. Ich hatte Angst, mir die Lunge zu verbrennen. Ein paar Minuten lang hielt ich einfach die Luft an, und der Lärm war so gewaltig, dass ich glaubte, mir würde das Trommelfell platzen. Es hörte sich an, als würde ein ganzer Haufen Düsenflugzeuge gleichzeitig starten, direkt über meinem Kopf.

Die Frau am Empfang hatte mich gefragt, was ich wollte, und mich dann über lange Gänge geführt, zwischen lauter zischenden Maschinen. Von innen kam mir das Ganze groß wie eine Stadt vor. Es ist eine Abfüllanlage: Hier werden Whisky und Wodka in Flaschen gefüllt und dann Etiketten draufgeklebt. Mein Dad spielt beim Aufkleben der Etiketten eine wichtige Rolle, ich weiß nur nicht, welche. Als wir bei ihm ankamen, stand er vor einem riesig langen Fließband-Dings und klopfte mit einem Schraubenziehergriff immer wieder auf ein Plastikteil über der Anlage. Die Frau tippte ihm auf die Schulter und er drehte sich um. Es war zu laut, um irgendetwas zu verstehen, und außerdem hielt ich immer noch die Luft an. Deshalb hielt ich ihm einfach das Essenspaket hin und er reckte den Daumen nach oben. Dann versuchte ich, wieder hinauszufinden, aber ich verirrte mich, weil die Frau schon wieder weg war. Sie hatte mich einfach stehen lassen.

Es war, als ob ich in einem Albtraum gefangen wäre. Immer wieder liefen mir Leute über den Weg, die offenbar die Aufgabe hatten, den Whisky zu probieren – jedenfalls nach der Art zu urteilen, wie sie herumwankten und vor sich hin sangen. In einer Abteilung saß eine Handvoll trübsinniger Leute und klebte von Hand Etiketten auf seltsam geformte Flaschen, eine nach der andern, immer wieder. Jemand kehrte die Scherben einer zerbrochenen Flasche zusammen, wischte den Whisky auf und kippte alles in eine Metalltonne, und dann kam ein anderer vorbei, tauchte ein Marmeladenglas in die Tonne und trank die Whiskybrühe, mitsamt dem ganzen Dreck.

Irgendwie muss man an einem solchen Ort den Tag wohl rumkriegen. Ich war bloß froh, lebend wieder herauszukommen. Die Schule kam mir an diesem Tag jedenfalls längst nicht so schlimm vor wie sonst.

Aber ein Erlebnis war es schon gewesen.

»Für den Lebensunterhalt ist das doch prima«, höre ich Dad poltern, denn der Wahnsinn treibt unten weiter seine Blüten. »Er könnte es deutlich schlechter treffen.«

»Nein, das könnte er nicht«, keift Mum zurück. »Vielleicht ist es ein Lebensunterhalt, aber ein Leben ganz bestimmt nicht.«

»Was willst du damit sagen?«, fragt Dad.

»Was glaubst du denn, dass ich damit sagen will?«, antwortet sie.

»Willst du etwa, dass er sein ganzes Leben am Schreibtisch verbringt?«, meint Dad. »Zusammengekrümmt vor sich hin vegetiert?«

»Ich möchte, dass er einen nützlichen Beitrag zur Gesellschaft leistet«, erwidert Mum, »und zwar jenseits von Leberzirrhose.«

Und. So. Weiter.

Ich bin allerdings auch dort gewesen, wo Mum arbeitet. Schon öfter hat sie mich mit hineingeschmuggelt, jedes Mal unter einem anderen Vorwand, und ich bin mir ziemlich sicher, sie tut das in der Hoffnung, dass ich anbeiße, dass ich dem Reiz dieses Ortes erliege und mir später eine ähnliche Arbeit suche. Offen gestanden: Bis jetzt hat das nicht geklappt. Das Ganze lässt sich am ehesten als eine Art Schule für Erwachsene beschreiben. Eine Schule ohne die guten Sachen. Genau genommen ist mir dort überhaupt erst aufgegangen, dass die Schule auch gute Seiten hat. Aber jetzt ist mir das klar. Mal ein bisschen lachen, wenn der Lehrer einem den Rücken zudreht, oder den Tauben auf dem Schulhof dabei zusehen, wie sie über vergammelte Hotdogs herfallen, oder einfach ein bisschen tagträumen und verrückte Ideen weiterspinnen. So was scheint es bei Mums Arbeitsstelle nicht zu geben. Es ist eher dieses typische Am-Schreibtisch-Sitzen-und-seine-Aufgabe-Erledigen, bei dem man vor Langeweile langsam den Verstand verliert. Nicht einmal normal anziehen kann man sich dort. Kein Wunder, dass mir Pigmente in den Haaren abgestorben sind, als ich begriffen habe, dass ich bei Dad in der Fabrik enden werde, wenn ich die Prüfung verhaue, oder in einem Büro wie Mum, falls ich sie auf wundersame Weise doch irgendwie bestehen sollte.

Schon erstaunlich, dass ich über Nacht nicht komplett grauhaarig geworden bin.

»Die Leute werden immer Whisky trinken«, ruft Dad in der Küche.

»Ja, solange sie mit Leuten wie dir zusammenleben«, erwidert Mum.

Ich überlege, ob ich runtergehen und sie bitten soll, mit dem Streiten darüber aufzuhören, welche Welt für mich die richtige ist. Ich könnte ihnen ja sagen, dass sie alle beide eine Inspiration für mich sind. Das Problem ist nur, dass sie mich dann bestimmt fragen, was ich damit meine, und dann müsste ich erklären, dass mich beide Aussichten gleichermaßen erschrecken und aus mir deshalb fast zwangsläufig nur ein Mann der spektakulären Ideen werden kann. Also bleibe ich liegen und höre weiter zu, und irgendwann reift in mir ein ziemlich radikaler Entschluss: Ich werde in den sauren Apfel beißen und versuchen, mit Elsie Green Kontakt aufzunehmen. Ihr Wahnsinn darf mich nicht davon abhalten, aus dem Wahnsinn hier zu Hause auszubrechen. Also blende ich den ganz normalen Wahnsinn aus, so gut es eben geht, und setze meine Ideenmaschine in Gang. Ich brauche einen Plan, um Elsie irgendwie davon zu überzeugen, alles zu vergessen, was in der Vergangenheit zwischen uns vorgefallen ist, und mir bei meiner genialen Idee mit dem Programmieren zu helfen.

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Geschafft!

Manchmal bin ich selbst über mich erstaunt.

Eines Tages, wenn meine unglaublichen Ideen mich berühmt gemacht haben, dann werden sie im Fernsehen oder so wissen wollen, wie ich auf all diese Geistesblitze gekommen bin. Das weiß ich nicht, werde ich ihnen sagen müssen.