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1. Auflage 2017
Text copyright © Julian Clary, 2016
Illustrations copyright © David Roberts, 2016
Die englische Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel
THE BOLDS TO THE RESCUE bei Andersen Press Limited, UK.
© 2017 für die deutschsprachige Ausgabe by cbt Verlag
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten.
Aus dem Englischen von Mareike Weber
Umschlaggestaltung: Suse Kopp, Hamburg
Umschlag- und Innenillustrationen: David Roberts
MI · Herstellung: sto
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-18296-0
V001
www.cbt-buecher.de
Für meine Eltern,
Peter und Brenda Clary
Für meinen Neffen,
Joel Roberts-Maloney
Eine kleine Warnung, bevor ich anfange: Es ist wahrscheinlich das Beste, wenn Erwachsene dieses Buch nicht in die Hände bekommen. Sie würden es einfach nicht verstehen. Sie würden sagen: »Das ist ja alles völliger Unsinn!«, oder fragen: »Warum liest du nicht etwas Vernünftigeres?«
Nun, Erwachsene haben nicht immer recht. (Ich sollte das wissen, schließlich bin ich selbst ein Erwachsener.) Sie lesen langweilige Zeitungen und eintönige dicke Bücher ohne Bilder und Witze, in denen rein gar nichts Interessantes passiert.
In diesem Buch passiert so viel, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Es ist ein sehr ungewöhnliches Buch. Wie Ihr gleich herausfinden werdet. Aber ungewöhnlich bedeutet nicht, dass es albern ist oder völliger Unsinn. Es ist eine wahre Geschichte. Da könnt Ihr Euch drauf verlassen. Ihr werdet das verstehen. Erwachsene nicht.
Und wenn Erwachsene Euch dies womöglich als Gutenachtgeschichte vorlesen, müssen sie sich ihre Bemerkungen eben verkneifen.
So. Das wollte ich unbedingt noch loswerden. Und jetzt lasst uns anfangen.
Habt Ihr schon einmal von den Kecks gehört? Bestimmt habt Ihr das. Die Kecks wohnen in der Greenfield Street Nummer 41 im englischen Städtchen Teddington und sind eine reizende Familie. Sie lachen die ganze Zeit und machen ständig Quatsch. Herr Keck schreibt Scherzfragen für den örtlichen Hersteller von Weihnachts-Knallbonbons. Frau Keck bastelt und verkauft kunstvolle Hüte auf Märkten. Und Betty und Bobby sind solch süße, liebenswerte Kinder.
Ebenfalls im Haus der Familie Keck wohnen Onkel Tony und Miranda. Die Kecks haben sie aus einem Safaripark gerettet. Ja, genau, ein Safaripark – Ihr habt mich schon richtig verstanden. Denn die Kecks sind eine ziemlich außergewöhnliche Familie, die außergewöhnliche Dinge macht. Wir haben alle unsere Geheimnisse, aber das Geheimnis der Kecks ist besonders groß und haarig …
Hinter verschlossenen Türen sind sie gar keine Familie wie Eure oder meine. Eine menschliche Familie. Oh nein. Sie sind eine Familie von Hyänen, die nur so tun, als ob sie Menschen sind – von ihren pelzigen Ohren bis hinunter zu den Pfoten.
Niemand weiß davon. Außer uns.
Jetzt seid Ihr wahrscheinlich ganz schön geschockt. Zugegeben, das war ich auch, als ich das erste Mal von den Kecks hörte, aber im Grunde genommen ist es gar nicht so schockierend, wie man vielleicht meinen sollte. Es gibt da draußen einige Tiere, die ihr Leben als Menschen verkleidet leben. Giraffen, die als Regalauffüller im Supermarkt arbeiten; Schweine, die im Kino den ganzen Film über laut Popcorn mampfen; Bulldoggen, die als Türsteher in Nachtklubs beschäftigt sind. Tatsächlich ist auch der Nachbar der Kecks, Herr Kamuffel, ein Tier. Ein Grizzlybär. Und auch wenn er und die Kecks in der Vergangenheit ihre Meinungsverschiedenheiten hatten, ist er jetzt dick mit ihnen befreundet und kommt fast jeden Abend auf eine Partie Domino und ein paar Koteletts vorbei.
Außer am Dienstag. Da wird kein Domino gespielt, denn Dienstagabend ist ein ganz besonderer Abend im adretten Vorstadthaus der Familie Keck. Dienstag ist Pflege- und Wellness-Tag. Jetzt denkt Ihr vielleicht, ich rede von Gesichtsmasken und Maniküre, aber da habt Ihr Euch getäuscht. Vielmehr sitzen die Kecks und der alte schwerhörige Onkel Tony und Miranda, das Weißbüscheläffchen, alle zusammen im Kreis. Sie kratzen, rubbeln und knabbern einander am Pelz, um auch jedes lose Fellbüschel, jedes Krümchen Dreck und jede Fussel loszuwerden, die sich darin verstecken. Ganz zu schweigen von den Flöhen …
Da müssen sie natürlich aufpassen, dass die Vorhänge zugezogen sind und niemand einen Blick durchs Fenster erhaschen kann. Wir Menschen kratzen und jucken uns zwar auch manchmal, aber man sieht uns selten auf dem Rücken liegen, während unsere Mütter mit scharfen Zähnen an unseren Bäuchen knabbern. Auch wird man uns selten beobachten, wie wir einander mit riesigen, langen Zungen, die über unser ganzes Gesicht und darüber hinaus reichen, die Ohren abschlecken.
So angenehm und gut diese Beschäftigung auch für die Kecks ist, sie kitzelt auch, und so liegt zum Schluss jeder der Hausbewohner kichernd und wiehernd vor Lachen auf dem Boden. Und damit sind sie dann genau in der richtigen Stimmung, um sich die neuesten Witze von Herrn Keck anzuhören:
So dauert es am Dienstagabend nicht lange und in der Greenfield Street 41 kugeln sich alle vor Lachen.
An einem dieser Abende, nachdem die Fellpflege beendet und die Zwillinge im Bett waren, ging Frau Keck ins Badezimmer, um sich die Zähne zu putzen und ihr freundliches, pelziges Gesicht zu waschen und einzucremen. Als sie sich auf die Toilette setzte, war ihr, als hörte sie ein gedämpftes Husten, gefolgt von einem platschenden Geräusch. Sie legte den Kopf schief und lauschte angestrengt. Hyänen haben ein sehr gutes Gehör.
Dann blinzelte sie überrascht, als ihr klar wurde, dass die Geräusche, die sie hörte, von unten kamen … aus der Toilettenschüssel!
Doch bevor sie aufspringen konnte, um nachzusehen, spürte sie ein kleines Zwicken an ihrem Hintern.
»Autsch!«, kreischte sie und schoss in die Höhe. Dann lugte sie vorsichtig in das Klosett.
Ein Kopf mit zwei riesigen grünen Augen und einer sehr langen Schnauze spähte zu ihr herauf und sagte mit einer tiefen, rauen Stimme: »’tschuldigung! Ich bin’s nur!«
Was auch immer das für ein Wesen war, er oder sie schien eine Menge Zähne zu haben …
»Gütiger Himmel!« Frau Keck spähte in die Toilettenschüssel. »Wie? Wer? Was um alles in der Welt machst du da unten?«
»Verzeihung«, sagte die Stimme. »Ich lebe da unten in der Kanalisation und ich habe genug davon!« Und damit glitt das Wesen aus der Toilette, hievte sich ächzend auf den Sitz und warf den Kopf hin und her, um das Wasser abzuschütteln.
Jetzt konnte Frau Keck sehen, dass der unerwartete Besucher ein ziemlich aufgekratztes Krokodil war, fast so groß wie sie selbst.
»Schon besser!«, sagte der ungebetene Gast, als er trocken war. »Guten Tag erst mal. Ich bin Sheila und ich bin ein Krokodil.«
»Das sehe ich!«, sagte Frau Keck und kratzte sich am Kopf. »Ich bin Amelia Keck. Ähm, vielleicht sollte ich besser meinen Mann rufen?«
»Einen Augenblick noch, meine Liebe«, sagte Sheila. »Ich muss erst noch ein bisschen verschnaufen. Hast du was dagegen, wenn ich erst mal kurz dusche? Es ist nur, ich hab doch unten in der Kanalisation gelebt, und du weißt ja, wie es da aussieht.«
»Nein, eigentlich nicht«, sagte Frau Keck blinzelnd.
»Unaussprechlich dreckig ist es da. Ich bin sicher, ich stinke fürchterlich!«
»Also, jetzt wo du es erwähnst«, sagte Frau Keck und rümpfte die Nase bei dem durchdringenden, sagen wir mal »strengen« Aroma, das sich im Zimmer verbreitete.
Mit einem Schwanzschlag schnellte Sheila von der Toilette und sprang unter die Dusche. Während sie an dem Temperaturregler herumdrehte, sagte sie: »Amelia, meine Süße, sei so gut und schrubbe mir den Rücken, machst du das? Ich hab so kurze Arme, ich komme da nicht ran.«
»Natürlich«, sagte Frau Keck zuvorkommend. »Wir nehmen ordentlich viel Duschgel und dann bist du im Nu blitzsauber.«
»Richtig kräftig schrubben bitte«, wies Sheila sie an. »Ich bin sehr dickhäutig. Pass auf, dass du keine Furche auslässt. Ich bin mein Leben lang in dieser dreckigen Brühe herumgeschwommen. Aber während du weiterschrubbst, sollte ich wohl erst mal einiges erklären.«
»Das wäre schön«, sagte Frau Keck, während sie begann, Sheilas knubbeligen Rücken mit einer Nagelbürste zu bearbeiten. Sheila hatte recht – es waren mehrere Lagen von Schmutz und Schlacke, und da war ordentliche Muskelkraft gefordert.
»Ah! Das tut gut!«, seufzte Sheila. Und dann setzte sie an, Frau Keck ihre Geschichte zu erzählen. »Bevor ich anfange, meine Liebe, gehe ich recht in der Annahme, dass du eine Hyäne bist?«
»Nun, äh, wenn du es so sagen willst, ja, das bin ich«, sagte Frau Keck etwas erschrocken. »Aber das ist ein Geheimnis.«
»Oh, ich weiß.«
»Du weißt? Woher weißt du das?«
»Dazu komme ich später«, sagte Sheila. »Nun, sag mir, wenn ich falschliege, aber eine Gruppe Hyänen nennt man doch Rudel, oder?«
»Ja«, bestätigte Frau Keck. »Manchmal nennt man uns allerdings auch Lachhyänen, und das trifft es noch besser, finde ich, vor allem in unserem Fall. Wir lachen wirklich für unser Leben gern.«
Sheila schnaubte. »Wie dem auch sei. Weißt du denn auch, wie wir Krokodile leben?«
»Nein«, sagte Frau Keck. »Ich glaube nicht.«
»Nun, meine Liebe, in der Kanalisation unter Teddington leben eine ganze Menge von uns. Schon seit Generationen. Wie wir da hingekommen sind, weiß niemand so genau. Wir nehmen an, dass irgendwann mal ein ziemlich exzentrischer Mensch ein Krokodil als Haustier hielt, das eines Tages eine Menge Eier legte. Als all die kleinen Krokodile schlüpften, bekam der Besitzer Panik. Spülte die Babys einfach die Toilette hinunter, um sie loszuwerden, und da sind wir noch heute.«
»Wie grausam!«, sagte Frau Keck entsetzt.
»Ja, das finde ich auch. Aber das können Menschen manchmal sein. Es sind auch einige Goldfische da unten. Die armen Dinger bleiben nur nicht lange golden, bei all dem Mist und Dreck, durch den sie da schwimmen …«
»Igittigitt!«, rief Frau Keck.
»Genau«, fuhr Sheila fort. »Wie auch immer, da sind wir also. Eine Gruppe Krokodile, die da unten in der Kanalisation in Dreck und Dunkelheit leben. Tageslicht sehen wir nie, höchstens mal einen kleinen Schimmer durch einen Kanaldeckel.«
»Wovon ernährt ihr Armen euch denn?«
»Von Ratten vor allem. Ratten gibt es da unten viele. Aber das Leben ist kein Vergnügen dort. Stinkig und langweilig. Nicht viel los. Wir müssen selbst für unsere Unterhaltung sorgen. Was ich auch getan habe, als ich ganz jung war.«
»Und was hast du da gemacht?«
»Nun, wir konnten alle die gedämpften Stimmen aus den Häusern über uns hören, durch die Abflussrohre. Aber dann habe ich herausgefunden, dass ich durch einige Leitungen und die s-förmigen Rohre nach oben schwimmen konnte. Ich kam in den Badezimmern der Menschen raus, und wenn das stille Örtchen nicht gerade besetzt war, konnte ich für eine Weile dem Kanalisationsleben entfliehen.«
»Du bist durch die Toiletten der Menschen gekommen?«
»Ja, meine Liebe, das bin ich! Ich war noch sehr jung, als ich es das erste Mal tat, nicht größer als deine Tatze. Ich konnte ein paar Atemzüge frische Luft tanken, den Gesprächen der Menschen lauschen und dann wieder abtauchen, bevor irgendjemand etwas mitbekam!«
»Und es hat dich nie jemand erwischt?«
»Oh nein. Da bin ich immer sehr vorsichtig gewesen. Hier schaue ich schon seit Jahren regelmäßig vorbei. Schon viel länger, als ihr hier wohnt …«
Frau Keck hörte für einen Augenblick auf zu schrubben, während sie sich all das durch den Kopf gehen ließ. »Oh«, murmelte sie nachdenklich. »Dann erinnerst du dich an die Leute, die vor uns hier wohnten?«
»Nun, ja das tue ich, meine Werteste«, sagte Sheila, drehte sich um und fixierte Amelia mit einem durchdringenden Blick. »Ein reizendes Pärchen. So verliebt. Und voller Vorfreude auf ihren Urlaub in Afrika …«
»Ich verstehe.«
»Und dann kamen du und Herr Keck – Fred, nicht wahr? – an ihrer Stelle aus Afrika zurück. Sehr seltsam. Zwei Hyänen, die im Geheimen hier in Teddington leben und sich als Menschen ausgeben!«
Frau Keck wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Und dann habt ihr die Zwillinge bekommen. Natürlich, Klein Bobby und Betty. Wie geht es den beiden?«
Frau Keck blieb der Atem weg. »Du weißt aber auch alles!«
»Nur nicht, was mit den echten, den Menschen Fred und Amelia passiert ist. Das ist mir immer noch ein Rätsel. Was habt ihr mit ihnen gemacht?«
»Das kann ich erklären«, sagte die zweite Amelia Keck, die sich auf einmal unwillkürlich schuldig fühlte.
»Habt ihr sie gefressen, meine Liebe? Habt ihr das? Waren sie sehr lecker?«, fragte Sheila, während ihr sichtlich das Wasser im Mund zusammenlief und sie aufgeregt anfing zu sabbern.
»Nein, natürlich nicht! Aber wir haben gesehen, was mit ihnen passiert ist, und es war wirklich tragisch und traurig.«
»Ach ja?« Sheila tippte ungeduldig mit dem Fuß gegen die Duschwand.
»An einem Urlaubstag machten sie einen Spaziergang, und als ihnen zu heiß wurde, gingen sie in einem Wasserloch baden. Man hörte nur noch ein lautes Schnapp! und weg waren sie. Gefressen, aber nicht von uns – sondern von DIR!«
»Von mir?«
»Na ja, nicht wirklich von dir – du warst ja gar nicht dort – aber von irgendwelchen großen, hungrigen Krokodilen.«
»Meine Güte!«, rief Sheila. »Dass sich einige Krokodile aber auch wirklich nicht zurückhalten können.« »Dann haben mein Mann und ich also ihre Kleider angezogen und so getan, als ob wir Fred und Amelia Keck wären. Ich wollte meinem Leben ohnehin eine neue Richtung geben und da schien das eine großartige Gelegenheit.«
»Ich verstehe, na klar. Dann war das ja wirklich ein ausgesprochener Glücksfall für euch. Man muss die Gelegenheit beim Schopfe packen. Schrubb doch bitte weiter, Süße. Ich fühle mich schon viel besser.«
»Dann belauschst du uns schon eine ganze Weile durch das Klo?«, fragte Frau Keck, nahm ihre Arbeit wieder auf und fragte sich, wo das alles hinführen würde.
»Ja, das tue ich. Das hier ist mit Abstand mein Lieblingshaus. Einige Leute leben so ein eintöniges Leben. Reden kaum miteinander! Aber ihr hier seid anders. In der Greenfield Street Nummer 41 wird es nie langweilig. Reich mir doch mal ein Handtuch, Süße, ich glaub, jetzt ist erst mal genug mit der Schrubberei. Eins von den flauschigen Weißen, bitte.«
In diesem Moment klopfte es an der Badezimmertür.