Buch
Tenzin Wangyal Rinpoche vereint in seinem aktuellen Buch auf einfache und pragmatische Weise komplexe buddhistische Praktiken. Ziel dieser Übungen ist es, sich mit der Natur und den fünf Elementen zu verbinden und damit die Seele zu heilen. Erst wenn dies gelingt, wenn das Gefühl der Zerrissenheit und des Nicht-Verbundenseins überwunden wurde, ist ein glückliches und erfülltes Leben möglich. Begleitet werden diese Übungen durch Audio-Meditationen.
Der Autor
Tenzin Wangyal Rinpoche ist ein Tulku, ein bewusst wiedergeborener Lama. Er wurde 1961 in Tibet geboren und floh mit seinen Eltern nach Indien, wo er später zum Meditationsmeister ausgebildet wurde und den Titel eines Geshe erhielt, den höchsten akademischen Titel in der tibetischen Tradition. 1991 ging er in die USA und gründete dort das Ligmincha-Institut. Er war einer der ersten Lamas, die die Lehren der Bön-Schule im Westen bekannt machten und wurde 1986 vom Dalai Lama zum offiziellen Repräsentanten der Bön-Tradition in der Abgeordnetenversammlung der Exiltibeter ernannt. Er lehrt seit Jahren auch regelmäßig im deutschsprachigen Raum. Seine als Verein organisierte Sangha in Deutschland trägt den Namen Ligmincha Deutschland e.V..
Von Tenzin Wangyal Rinpoche sind bei Goldmann außerdem erhältlich:
Übung der Nacht. Tibetische Meditationen in Schlaf und Traum (21806)
Die heilende Kraft des Buddhismus. Leben im Einklang mit den fünf Elementen (21975)
Tenzin Wangyal Rinpoche
Die Quelle der Heilung
Wie die alte tibetische Praxis der Seelenrückholung Ihr Leben transformieren und heilen kann
Aus dem Englischen
von Claudia Fregiehn
Mit geführter Meditation
Für meinen Lehrer, Yongdzin Tenzin Namdak Rinpoche
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Ihr Leben ganz genau betrachten
Die Seele in der Natur regenerieren
Die Seele durch die innere Zufluchtnahme regenerieren
Die Seele durch Beziehungen regenerieren
Einsamkeit überwinden
Unser inneres Sein nähren
Unseren Körper nähren
Nachwort
Dank
Über den Autor
Vorwort
Ich glaube, dass es keinen besseren Zeitpunkt gibt als jetzt, um die Praktiken der Seelenrückholung vorzustellen – Übungen, die Ihnen auf sehr kraftvolle Weise dabei helfen, sich mit Ihrer natürlichen Umgebung, mit anderen Menschen und mit Ihrer Seele zu verbinden. Wenn sie täglich ausgeführt werden, können diese Praktiken Ihr Leben verändern. Sie helfen Ihnen dabei, Ihre innere Freude wiederzufinden, neuen Schwung in Ihre Beziehungen zu bringen, sich bei der Arbeit eingebundener zu fühlen und produktiver zu werden. Die Praktiken unterstützen Sie auch bei der Heilung von körperlichen Leiden, und sie können auch anderen Menschen Glück und Wohlergehen bringen.
Die Weisheit in diesem Buch ist sehr alt. Sie hat ihren Ursprung im tibetischen Bön-Buddhismus – der indigenen spirituellen Tradition Tibets –, einer der reichsten und ältesten, lückenlos weitergegebenen spirituellen Traditionen der Welt. Die Praktiken und Rituale der Seelenrückholung des Bön sind heute noch genauso lebendig und gültig wie lange Zeit bevor der Buddhismus im 7. Jahrhundert nach Tibet kam. Die meisten Schüler in westlichen Ländern sind so stark in ihre Alltagsverpflichtungen eingebunden, dass sie keine Zeit haben, komplexe Rituale zu lernen. Deshalb lasse ich in diesem Buch die Erläuterungen der traditionellen Rituale und Zeremonien der Seelenrückholung weg und konzentriere mich stattdessen auf die wesentlichsten Bestandteile der Kernlehren.1
Obwohl ich die Praktiken und Anleitungen zum Üben so einfach und verständlich wie möglich vorstelle, bleibe ich den alten Texten treu. Ich habe die Absicht, hier einen klaren Pfad zu soliden Erfahrungen anzubieten. Er richtet Ihre Energie und Ihr Verständnis auf Heilung und Erneuerung aus und hilft Ihnen, negative Gedanken und Emotionen zu klären, die Ihr Glück und Wohlergehen stören. Darüber hinaus unterstützt dieser Pfad Sie dabei, die Begeisterung und Lebendigkeit zurückzugewinnen, die Ihnen im Leben vielleicht verloren gegangen sind. Letztendlich geht es in den hier vorgestellten Lehren darum, sich wieder innig und vollständig mit der eigenen Seele zu verbinden, mit Ihrer wahren Natur, damit Sie ein authentischeres, ausgeglicheneres und erfüllteres Leben führen können.
Ich wurde auf sehr traditionelle Art großgezogen und ausgebildet. Mein Vater war buddhistischer Lama und meine Mutter Bön-Praktizierende. Kurz nach ihrer Flucht aus Tibet, während der chinesischen Kulturrevolution, wurde ich in Indien geboren. Nach dem Tod meines Vaters heiratete meine Mutter einen Bön-Lama. Mit zehn Jahren trat ich in das Menri-Kloster in der Nähe von Dolanji in Indien ein – heute eines der beiden größten Bön-Klöster außerhalb von Tibet. Ich besuchte elf Jahre lang als Mönch die Dialektik-Schule von Menri und absolvierte einen traditionellen, strengen Studiengang, den man mit dem Titel des Geshe abschließt. Zu meinen Studienfächern gehörten buddhistische Erkenntnistheorie, Kosmologie, Sutra, Tantra und Dzogchen. 1986 machte ich meinen Abschluss, und seitdem lebe und lehre ich im Westen. Momentan wohne ich mit meiner Frau und meinem Sohn in Nordkalifornien.
Seit ich denken kann, gehören die Trommeln, Glocken und Muschel-Hörner der traditionellen Bön-Rituale zu meinem Leben – sie waren mir so vertraut wie Kindern heutzutage Videospiele. Mich hat als Kind das Ritual der Seelenrückholung besonders beeindruckt. In Tibet werden Rituale zur Seelenrückholung normalerweise Patienten empfohlen, die sich energetisch erschöpft fühlen, denen aber kein Arzt eine klare Diagnose stellen kann. Meiner Mutter ging es nur selten wirklich gut. Nachdem sie vielerlei Behandlungen erhalten hatte, kam man zu dem Schluss, dass ihre Heilung nur vorankommen würde, wenn man für sie aufwändige Zeremonien und Seelenrückholungs-Rituale praktizierte. Aus traditioneller tibetischer Sicht kann Krankheit mit dem Verlust der Seele zusammenhängen. Eine der vielen Ursachen dafür ist, dass man die Geister verärgert hat, weil man ihrer Welt geschadet hat. Deshalb wurde bei den Ritualen für meine Mutter unter anderem Harmonie mit den Geistern gestiftet: Man brachte ihnen die Opferungen dar, die nötig waren, um sie zu befrieden. Gleichzeitig forderte man die Geister auf, die Lebenskraft meiner Mutter nicht länger zu schädigen und ihr das zurückzugeben, was sie ihr gestohlen hatten. Nach einer dieser Zeremonien änderte meine Mutter sogar ihren Namen, um ihre Identität als Kranke aufzugeben und eine neue, gesündere Identität anzunehmen.
Obwohl dieses Buch keine traditionellen Bön-Rituale enthält, ist ihre Herzessenz in den hier gegebenen Anleitungen enthalten. Die Tibeter bezeichnen die Seele und die Wiedergewinnung der Lebenskraft als lagug tsegug: la bedeutet »Seele«, gug »zurückholen« oder »rufen« und tse »Lebenskraft«. Die Praktiken der Seelenrückholung bringen nicht nur Kranken und Sterbenden Linderung, sondern sie nützen auch körperlich gesunden Menschen. Sie sind ein hervorragendes Mittel, um Ihre Lebendigkeit Tag für Tag zu stärken. Wenn Sie sich unverbunden fühlen, können diese Praktiken Ihnen helfen, ein Gefühl der Verbundenheit mit sich selbst, mit anderen Menschen und mit Ihrer Umwelt zu entwickeln.
Wie auch bei vielen anderen indigenen Traditionen steht beim Bön das Bedürfnis im Mittelpunkt, die Seele zum Wohle aller Menschen und der Erde als solcher zu heilen. Die Philosophie, sich selbst zum Wohle anderer zu heilen, spielt eine wichtige Rolle in den Ursachen-Fahrzeugen des Bön. Dieses System von Lehren ist die ursprüngliche Quelle der Praktiken der Seelenrückholung. In dem umfangreichen Wissenssystem des Bön werden alle Hauptlehren seiner südlichen Schatz-Tradition in die neun Wege des Bön eingeteilt. Die ersten vier Wege sind als »Ursachen-Fahrzeuge« bekannt. Ihr Schwerpunkt liegt auf Methoden, mit denen man förderlich arbeitet: mit der Kraft und den Geistern der Natur, mit Astrologie, Orakeln, Medizin und mit der Kosmologie. Die Lehren bilden die Grundlage für die Praxis der höheren Fahrzeuge des Bön: Sutra, Tantra und Dzogchen. Dzogchen ist als das Fahrzeug der großen Vollendung bekannt.
Aus meiner Sicht sind alle Bön-Lehren miteinander verbunden und können alle – wie die in diesem Buch beschriebenen Methoden zeigen – zur Heilung der Seele beitragen. Die Seelenrückholung kann durch die Kommunikation mit den Elementen geschehen, durch die Klärung negativer Emotionen und die Förderung positiver Qualitäten oder durch die Verbindung mit den subtilen Weisheitszuständen der Dzogchen-Praxis. Alle diese Techniken richten uns auf dieselbe Erfahrung aus: auf eine tiefergehende Verbindung mit dem weiten Gewahrsein, das unser authentisches Selbst ist. Es ist die Quelle aller positiven Eigenschaften, die ein Mensch braucht, um freudig und erfüllt zu sein und um ein Leben zu führen, das anderen nützt.
1 Weitere Informationen über die traditionellen Praktiken und Rituale der Seelenrückholung sind in der Einleitung des Buches Die heilende Kraft des Buddhismus – Leben im Einklang mit den fünf Elementen von Tenzin Wangyal Rinpoche enthalten (München, Goldmann 2012).
Die positiven Qualitäten sind unvorstellbar
wie die Enthüllung eines königlichen Schatzes.
Derjenige, der in seiner wahren Bedeutung verweilt,
erfreut sich am unerschöpflichen Reichtum seines Resultates.
aus: Die Sieben Spiegel des Dzogchen, ein Bön-Dzogchen-Text2
2 Die sieben Spiegel des Dzogchen (rdzogs chen me long bdun pa) im Bön Kangyur (theg chen g yung dring bon gyi bka‘ ’gyur), Bd. 177, Hg.: Mongyal Lhasey Rinpoche (smon rgyal lha sras; Chengdu: si khron zhing chen par khrun lte gnas par ‘debs khang, 1999), S. 295–323.