cover

Jack Cheng

Hallo Leben,
hörst du mich?

Aus dem Amerikanischen
von Bernadette Ott

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

1. Auflage 2017

© by Jack Cheng, 2017

By Agreement with Pontas Literary & Film Agency

Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel

»See You In the Cosmos, Carl Sagan!« bei

Dial Books for Young Readers

Penguin Young Readers Group

An imprint of Penguin Random House LLC, New York

© 2017 für die deutschsprachige Ausgabe cbt Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Übersetzung: Bernadette Ott

Umschlaggestaltung: Suse Kopp, Hamburg unter Verwendung

des Originalumschlags © Design by Jason Henry,

Coverillustration © The Heads of State, 2016

jb · Herstellung: sto

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-18781-1
V001

www.cbt-buecher.de

Für Mom, Dad und Charlie

Neue Aufnahme 1

6 Min. 19 Sek.

Wer seid ihr?

Wie seht ihr aus?

Habt ihr einen Kopf oder zwei?

Oder noch mehr?

Habt ihr hellbraune Haut wie ich oder glatte graue Haut wie ein Delfin oder eine grüne Haut mit Stacheln wie ein Kaktus?

Wohnt ihr in Häusern?

Ich wohne in einem Haus. Mein Name ist Alex Petroski und unser Haus steht in Rockview, Colorado, Vereinigte Staaten von Amerika, Planet Erde. Ich bin elf Jahre und acht Monate alt und die Vereinigten Staaten sind zweihundertzweiundvierzig Jahre alt und die Erde ist 4,5 Milliarden Jahre alt. Wie alt unser Haus ist, weiß ich nicht genau.

Vielleicht lebt ihr ja auf einem Eisplaneten und deshalb habt ihr keine Häuser, sondern Iglus, und eure Hände sind Eispickel und eure Füße sind Schneeschuhe und überhaupt ist euer ganzer Körper mit goldbraunem Fell bedeckt, so wie bei Carl Sagan. Das ist mein Hund. Ich habe ihm den Namen nach meinem großen Helden und Vorbild gegeben – Doktor Carl Sagan, einem der größten Astronomen unserer Zeit. Mit der Hilfe von Doktor Sagan war es möglich, die Raumsonden Voyager 1 und Voyager 2 ganz weit ins Weltall zu schicken, und er hat auch eine goldene Datenplatte mitgeschickt mit allen möglichen Lauten und Geräuschen von unserem Planeten. So Sachen wie singende Wale und Menschen, die in fünfzig unterschiedlichen Sprachen Guten Tag sagen, und ein neugeborenes Baby, das lacht, und die Aufzeichnung der Gehirnströme von einer Frau, die sich verliebt hat, und dann noch die großartigsten Musikstücke, die wir Menschen komponiert haben, von Bach und Beethoven und Chuck Berry. Habt ihr sie vielleicht schon mal gehört?

Meinen Carl Sagan habe ich als Welpen auf dem Parkplatz hinter dem Safeway bei uns in der Nähe gefunden. Safeway, das ist eine große Supermarktkette. Ihr wisst doch, was ein Supermarkt ist, oder? Carl Sagan war dreckig und hungrig und versteckte sich hinter einem Müllcontainer. Ich hab zu ihm gesagt: »Komm her, mein Junge, du brauchst keine Angst zu haben.« Aber er heulte und rollte seinen Schwanz ein, weil wir uns damals ja noch nicht gekannt haben. Ich erklärte ihm, dass ich ihm nichts Böses antun würde, weil ich ja Pazifist bin, und ich vermute mal, das hat er mir auch geglaubt, denn als ich ihn hochgehoben habe, da hat er sich überhaupt nicht dagegen gewehrt und auch nicht versucht wegzurennen. Dann habe ich ihn mit zu mir nach Hause genommen, wo meine Mutter auf dem Sofa lag und sich im Fernsehen ihre Lieblingssendungen angeguckt hat, wie jeden Tag, und ich hab zu ihr gesagt, dass ich Lebensmittel eingekauft habe und einen kleinen Hund hätte ich jetzt außerdem auch noch und dass ich mich um ihn kümmern würde, so wie es sich gehört, fest versprochen. Ich würde mit ihm spielen und ihm zu fressen geben und in die Badewanne würde ich ihn auch stecken und alles andere würde ich auch machen. Was man in so einem Fall eben alles verspricht.

Und sie hat darauf geantwortet: »Du stehst im Weg!« Deshalb bin ich dann aus dem Weg gegangen. Die Mutter meines besten Freundes Benji würde ausflippen, wenn er einen Welpen nach Hause brächte, aber meiner Mutter ist das total egal, solange ich nur das Abendessen für uns beide mache und sie nicht störe, wenn sie ihre Lieblingssendungen guckt. Ich habe eine ziemlich coole Mom.

Keine Ahnung, welche Sendungen ihr bei euch so habt, aber meine Mutter mag vor allem Spielshows und Gerichtsserien und eine Serie, in der fünf alte Damen in einem künstlich aufgebauten Wohnzimmer sitzen. Wenn ich bei Benji bin, gucken wir beide im Fernsehen immer Zeichentrickfilme, weil seine Familie so was alles abonniert hat. Benji mag vor allem Battlemorph Academy, wie die meisten anderen aus unserer Klasse auch. Ich finde Battlemorph Academy ganz okay, aber wenn ich ehrlich bin, gefallen mir die altmodischeren Zeichentrickfilme wie Dexter’s Laboratory besser.

Dieser Dexter ist echt schlau. Ich hasse es, wenn seine Schwester Didi sich immer einmischt und alles durcheinanderbringt. Da bin ich immer echt froh, dass ich keine Schwester habe, die bei mir ein Chaos veranstaltet, vor allem wenn ich an meiner Rakete baue.

Dafür habe ich aber einen Bruder. Er heißt Ronnie, aber bis auf meine Mutter und mich und ein paar seiner alten Freunde von der Highschool nennen ihn alle nur RJ, weil sein mittlerer Name nämlich James ist. Ronnie ist viel älter als ich, mehr als doppelt so alt. Er ist vierundzwanzig. Er lebt in Los Angeles und ist von Beruf Agent, und ich weiß, was ihr jetzt glaubt, aber diese Art von Agent ist er nicht. Er ist kein Spion oder so eine Sorte Agent wie James Bond. Er bekämpft auch keine Terroristen oder lässt Drogenringe auffliegen oder spielt mit den allerschlimmsten Schurken auf der Welt Poker. Er hilft nur Basketball- und Footballspielern dabei, einen Werbevertrag mit einem Schuhhersteller zu bekommen. Trotzdem geht er auf tolle Partys und hat immer eine supercoole Sonnenbrille auf. Deshalb glaub ich, dass seine Agententätigkeit ganz ähnlich ist.

Ronnie wollte zuerst nicht, dass ich Carl Sagan behalte. Er mag es nicht, dass Mom und ich für irgendwas, das kein Essen ist oder eine Rechnung, die wir fürs Haus bezahlen müssen, Geld ausgeben. Als ich ihm am Telefon von Carl Sagan erzählt habe, sagte er: »Ähm, äh, wir können uns keinen Hund leisten.« Ich finde aber, dass wir uns sehr wohl einen Hund leisten können, denn ich nehme jetzt bei Safeway immer nur die Lebensmittel, die es gerade im Sonderangebot gibt, und mache mir für die Schule Sandwiches, statt ein warmes Mittagessen in der Mensa zu kaufen, und außerdem habe ich noch einen kleinen Aushilfsjob bei Mr Bashir. Ich ordne bei ihm in seiner Tankstelle nämlich die Zeitschriften ins Regal ein. Und ich habe zu Ronnie auch noch gesagt, dass ich Geld für meine Rakete gespart habe, aber dass ich einen Teil davon gut dafür hernehmen kann, das Futter für Carl Sagan zu kaufen, weil er nämlich kein sehr großer Hund ist, und überhaupt komm doch erst einmal nach Rockview und lern ihn kennen, bevor du so eine unmögliche Ansage machst.

Das war vor fast einem Jahr und Ronnie hat Carl Sagen immer noch nicht persönlich kennengelernt. Aber ich bin mir ganz sicher, wenn sie sich endlich kennenlernen, dann wird Ronnie ihn mögen. Denn wer kann ein so nettes Hundegesicht nicht mögen?

Das findest du doch auch, Carl Sagan! Wer kann es nicht mögen?

Ganz genau, ich rede von dir. Willst du mal Hallo sagen?

Na, komm schon, sag Hallo.

Na gut. Carl Sagan will also nicht Hallo sagen. Er schaut mich an, als würde er sich fragen: Was machst du denn da? Mit wem redest du? Ist da drin ein Mensch versteckt? Da drin kann ich aber keinen Menschen entdecken.

Da drin ist auch niemand, kleiner Freund. Das ist nur ein iPod. Du warst doch dabei, als ich ihn mit goldener Farbe angesprüht habe. Erinnerst du dich nicht mehr? Ich mache hier Aufnahmen, damit die intelligenten Wesen, die den iPod Millionen Lichtjahre entfernt eines Tages vielleicht finden werden, erfahren können, wie es auf der Erde so war. Verstehst du, was ich meine?

Er versteht nicht, was ich meine. Er schaut jetzt aus dem Fenster. Er lässt sich echt leicht ablenken.

Also, dann … ähm … Wo war ich stehen geblieben?

Na egal, ich hab jedenfalls gedacht, dass ihr da draußen ja vielleicht schon die goldene Datenplatte meines großen Helden und Vorbilds habt, aber vielleicht habt ihr dazu kein Abspielgerät, ich weiß ja nicht, wie ihr ausgestattet seid. Oder vielleicht hattet ihr mal eins, aber jetzt habt ihr keins mehr. Ich kenne so Abspielgeräte auch nur aus dem Secondhand-Laden, wo sie gebraucht herumstehen, und keiner kauft sie mehr, weil iPods und iPhones viel besser in die Hosentaschen passen. Und außerdem kann man damit viel mehr aufnehmen als auf so einer Datenplatte. Ich hab alles, was auf der goldenen Platte ist, aus dem Netz hier drauf runtergeladen, und dann war immer noch total viel Platz, und da kam mir, dass ich ja auch selber noch andere Geräusche und Laute von der Erde aufzeichnen kann, sodass ihr auch noch was anderes zu hören bekommt, das ihr ganz bestimmt noch nicht kennt. Außerdem werde ich euch auch alles erzählen, was hinter den Kulissen passiert, während der Countdown zum Start meiner Rakete läuft. Das ist für euch noch so was wie ein Bonusmaterial, kostenlos obendrauf!

Es gibt so viel, was ich euch gern erzählen möchte, Jungs. Aber das muss jetzt erst einmal warten, weil nämlich Carl Sagan neben der Tür steht und darauf wartet, dass ich mit ihm Gassi gehe. Er muss nämlich ganz dringend mal pinkeln und groß muss er bestimmt auch. Und ich muss noch alles für meine Reise packen! Deshalb erzähle ich euch vom SHARF und meiner Rakete das nächste Mal. Fest versprochen!

Neue Aufnahme 2

6 Min. 41 Sek.

Hallo, Jungs! Ich bin’s wieder. Ich hab euch doch versprochen, euch mehr vom SHARF zu erzählen, und das tu ich jetzt auch. Ein Mann, ein Wort. SHARF ist der Name eines Raketenfestivals, das in der Nähe von Albuquerque in New Mexico stattfindet, mitten in der Wüste. Dort werde ich in drei Tagen meine Rakete ins All hochschicken!

Der offizielle Name des Festivals ist Southwest-High-Altitude-Rocket-Festival, also ein Raketenfestival für Raketen, die vom Südwesten der Vereinigten Staaten aus ins Weltall hochgeschossen werden. Alles klar? SHARF ist die Abkürzung davon, zusammengesetzt aus den jeweils ersten Buchstaben der Wörter. Genauso wie NASA die Abkürzung für National Aeronautics and Space Administration ist. Man nennt das auch ein Akronym. In der vierten Klasse haben wir mal so was Ähnliches gemacht, da mussten wir uns zu den Buchstaben unserer Vornamen Wörter ausdenken, die zu uns passen sollten. Ich hab meinen Vornamen in voller Länge genommen, obwohl Mrs Thompson gesagt hat, ich könnte auch einfach nur Alex nehmen. Aber ich wollte mich der Herausforderung stellen. Wenn schon, denn schon. Herausgekommen ist dann das:

Astronom

Liebt Lagerfeuer

Erdbewohner

X-Beine (nur ein bisschen)

Autofan

Nett

Durchhalten!

Einfach neugierig

Raketenbauer

Und für meinen Helden und mein großes Vorbild Carl Sagan hab ich das gleich auch noch gemacht:

Cosmos (da wusste ich noch nicht, dass man Kosmos mit K schreibt)

Asteroid

Richtig schlau

Leben

In unserem Rocketforum im Internet sind alle schon ganz aufgeregt und freuen sich richtig, richtig doll aufs SHARF. Ganz oben auf der Website steht OFFIZIELLES SHARF-DISKUSSIONSFORUM – und Mannomann, ich kann euch sagen, da stehen schon sooo viele Einträge drin. Frances19 schreibt, dass sie ihre Haare fürs SHARF extra in einer besonderen Farbe färben will, und Ganymede und Europa haben sich gegenseitig erzählt, wie viel Spaß sie letztes Jahr bei dem Treffen hatten, und Calexico hat ein paar coole Tipps fürs Zelten gegeben, zum Beispiel, dass man seine Schuhe, wenn man sie draußen stehen lässt, am Morgen umdrehen und schütteln soll, um sicher zu sein, dass sich darin keine Skorpione versteckt haben. Er hat auch geschrieben, dass Skorpione gern als Paar auftreten, wenn man also einen gefunden hat, dann ist der zweite normalerweise auch nicht weit. Ob sie sich wohl so richtig gernhaben?

Ich hab schon alles gepackt: Rakete, Zahnbürste, Ronnies altes Zelt und ein 2-in-1-Haarpflegeshampoo. So spart man nämlich Platz. Carl Sagans Hundeleckerlis habe ich auch eingepackt – es soll beim SHARF nämlich auch ein großes Grillfest geben, aber Carl Sagan verträgt kein Grillfleisch, weil er einen empfindlichen Magen hat.

Ich muss auch noch mehr einpacken, aber jetzt brauchte ich erst mal eine Pause und deshalb bin ich hier hoch aufs Dach von unserem Haus. Ich würd mich total gern auf die Motorhaube eines Autos legen, so wie Dr. Arroway es in dem Film Contact macht, aber meine Mutter fährt nicht mehr Auto und es steht nur noch in der Garage. Deshalb klettere ich jetzt immer mit der Leiter hoch aufs Dach von unserem Haus. Normalerweise mache ich das immer in der Nacht, weil ich dann näher bei den Sternen bin, auch wenn es nur ein Stockwerk näher ist.

Aber auch tagsüber gefällt es mir hier oben. Unser Viertel liegt an einem Hügel und vom Dach aus kann man wirklich viel sehen. Bis zu den Eisenbahnschienen und zu Burger King und zur Tankstelle von Mr Bashir, vor der ein Fahnenmast steht, an dem die größte amerikanische Nationalflagge von ganz Rockview flattert. Sie ist wirklich riesengroß. Etwas weiter in der Ferne ist auch noch der Mount Sam zu sehen, mit dem großen weißen R für Rockview, das dort am Hang angebracht ist. Einmal, das war vor Ronnies wichtigstem Baseballspiel gegen unsere stärksten Gegner hier in der Stadt, die Mannschaft von Belmar, also da haben ein paar Jungs von der Belmar-Highschool mitten in der Nacht heimlich das R in ein B umgewandelt, und Ronnie war deswegen am nächsten Tag so wütend, dass er fünf Touchdowns gemacht hat. Unser Team hat sie vernichtend geschlagen. Ihr Plan ging also mächtig nach hinten los.

Manchmal, wenn meine Mutter einen ihrer besseren Tage hat und etwas an die frische Luft will, dann macht sie einen kleinen Spaziergang. Und wenn ich dann hier oben bin, kann ich beobachten, wohin sie geht. So wie jetzt. Ich sehe, wie sie gerade in Richtung des Hauses von Justin Mendoza geht, das am Ende unserer Straße liegt, ein ganzes Stück hügelabwärts, und wenn sie dann am Haus von Justin angekommen ist, biegt sie entweder nach links zur Mill Road ab oder nach rechts zur Straße, in der Benji wohnt. Bis dorthin kann ich nicht so gut sehen, weil da so viele Bäume stehen.

Justin ist der, der mir den iPod hier geschenkt hat! Er war in der Highschool eine Klasse unter Ronnie und ist oft bei uns gewesen und hat die ganze Zeit mit Ronnie gespielt, aber nach dem College ist er dann nicht weggezogen so wie Ronnie, sondern in Rockview geblieben. Ich bin gestern zu ihm gegangen, um ihm den iPod für zwanzig Dollar abzukaufen, so wie wir es ausgemacht hatten, aber dann hat er zu mir gesagt, er gibt ihn mir umsonst, weil der Akku spinnt. Er ist ins Haus rein, um ihn zu holen, und ich hab in der Garage gewartet und mir sein Motorrad angeschaut, eine Honda, an der er dauernd am Rumbasteln ist, und dann habe ich ein bisschen an einem der Griffe herumprobiert. Aber da ist dann gleich eine Schraube rausgefallen, und ich hab sie auf die blaue Plastikplane neben die anderen Teile gelegt, die dort ausgebreitet waren.

Justin ist mit dem iPod und dem Ladegerät zurückgekommen und ich hab gesagt: »Hey, Justin, du bist doch Automechaniker. Warum ist dein Motorrad dann immer noch nicht repariert?« Und er hat darauf geantwortet, das Problem sei, dass er jedes Mal, wenn er glaubt, dass er mit dem Motorrad fertig ist, eine Weile damit herumfährt und dann feststellt, dass er immer noch irgendwas weiter verbessern kann. Deshalb nimmt er das Motorrad dann wieder auseinander und fängt noch einmal von vorne an. Ich hab ihm gesagt, dass er sich doch einen Simulator für seine Motorradreparaturen runterladen soll, genauso wie ich es für den Bau meiner Rakete gemacht habe. Mein Simulator heißt OpenRocket. Ich kann da unterschiedliche Motoren einbauen und die Spitze anders gestalten und auch die Flossen. Und der Simulator erzählt mir auch, wie hoch die Rakete fliegen kann, und deshalb muss ich überhaupt keine überflüssigen Teile kaufen und immer wieder rumprobieren, bevor ich sie starten lasse. Ich hab ihm erzählt, dass ich so Voyager 3 konstruiert habe, meine Rakete, die den iPod ins Weltall transportieren wird.

Justin hat geantwortet: »Dann wird das dein allererster Raketenstart sein?« Und ich hab gesagt: »Ganz genau.« Und darauf er: »Musst du da nicht vorher ein paar Teststarts machen?« Und darauf ich: »Aber kapierst du denn nicht? Das ist doch der ganze Witz an so einem Simulator, dass du solche Tests dann nicht mehr machen musst!«

Justin hat daraufhin nur gelacht und mich gefragt, wie’s Ronnie denn so geht, und ich hab ihm erzählt, dass Ronnie wie immer ganz viel zu tun hat und sich um künftige Kunden kümmern muss. Ein künftiger Kunde ist jemand, von dem Ronnie will, dass er ihn als seinen Agenten will. Deshalb geht er mit ihnen immer Mittag essen und bezahlt es ihnen. Justin hat gesagt, dass er Ronnie total bewundert. Er sei für ihn ein echter älterer Bruder gewesen. Und ich hab gesagt: »Das ist ja lustig. Mein älterer Bruder ist er nämlich auch, aber wir beide sind doch gar nicht miteinander verwandt.« Da hat Justin wieder laut gelacht. Er hat zu mir gesagt, dass ich ihm erzählen soll, wie es mit meinem Raketenstart gelaufen ist, und ich hab zu ihm gesagt, dass er mal den rechten Griff an seinem Motorrad überprüfen soll, ob da nicht vielleicht irgendein Teil fehlt.

Neue Aufnahme 3

6 Min. 16 Sek.

Was macht ihr Jungs denn so, wenn ihr nicht einschlafen könnt?

Vielleicht braucht ihr ja überhaupt keinen Schlaf. Vielleicht seid ihr die ganze Zeit immer nur wach, weil euer Planet sich so langsam dreht, dass ihr immer in die Sonne schaut. Immer nur Tag, ununterbrochen.

Oder vielleicht macht ihr ja das Gegenteil und schlaft ganz viel. Außer dann, wenn ihr gerade was esst. Koalabären schlafen auch ganz viel. Oder Carl Sagan. Der rollt sich immer auf dem Bett oder dem Sofa oder auf meinem Schoß zu einem Donut zusammen und dann schläft er ganz schnell ein.

Schlaft ihr jetzt gerade?

Ich glaub es ja nicht, denn wie könntet ihr euch diese Aufnahme anhören, wenn ihr gerade schlafen würdet?

Vermutlich heißt das, dass wir jetzt gerade beide wach sind …

Gestern Abend hab ich noch zu Ende gepackt. Und heute hab ich den ganzen Tag damit verbracht, Essen für meine Mutter zu kochen. Für die Tage, wenn ich nicht zu Hause bin. Meine Mutter kann natürlich selber kochen, und sie ist auch eine ganz großartige Köchin, aber ich habe dieses Jahr so viel für uns beide gekocht, dass ich ein schlechtes Gewissen hätte, wenn ich jetzt nichts für sie zum Essen vorbereiten würde.

Außerdem hat sie heute mal wieder einen ihrer ruhigen Tage, wo sie im Bett liegen bleibt und nichts anderes tut, als die kleinen Löcher und Hügel an der Decke anzustarren. Ich glaube, sie zählt sie jedes Mal. Ich hab ihr ein Glas Wasser gebracht und ihr erzählt, dass ich ihr für die nächsten drei Tage, wenn ich auf dem SHARF bin, Essen gekocht habe, und alles, was sie tun muss, ist, die Behälter aus dem Kühlschrank nehmen und das Essen in der Mikrowelle aufwärmen. Ich hab dich lieb, Mama.

Ich hab gedacht, nach dem vielen Essenkochen müsste ich echt müde sein. War ich aber nicht. Ich hab etwas Beethoven und Chuck Berry gehört und meine DVD von Contact angeschaut, aber das hat mich nur noch wacher gemacht. Ich hab sogar in Ronnies Bett zu schlafen versucht. In seiner Hälfte des Zimmers habe ich alles so gelassen, wie es war, als er ausgezogen ist. Damit er, wenn er nach Hause kommt, um uns zu besuchen, die ganzen Poster mit den halbnackten Frauen an der Wand und seine Sportpokale auf dem Regalbrett und überhaupt alles so wiederfindet, wie es war. Dann fühlt es sich für ihn so an, als ob er nie weg gewesen wäre.

Manchmal schlafe ich in seinem Bett. Weil vielleicht ist es ja so, wenn man in dem Bett schläft, in dem ein anderer Mensch geschlafen hat, und wenn man macht, was ein anderer Mensch gemacht hat, dass man sich dann irgendwann in diesen anderen Menschen verwandelt. Dann denkt man alles, was der andere denkt, und erinnert sich an das, woran er sich erinnert, und nach einer Weile ist man dann groß und stark und hat ganz viele Muskeln und auch ganz viel Geld. Und dann kann ich in den Supermarkt gehen und für meine Mutter alles zu essen einkaufen, was ich will.

Mein Zug nach Albuquerque, New Mexico, fährt morgen ganz früh. Calexico und noch ein paar andere Mitglieder aus dem Rocketforum haben sich bei Blake’s Lottaburger verabredet, das ist ein Schnellrestaurant in der Nähe von dem Bahnhof in Albuquerque. Von da aus wollen sie dann zusammen in ihren Autos in die Wüste rausfahren, dorthin, wo das Raketenfestival stattfindet. Und mich nehmen sie dann auch mit. Ich hoffe, dass ich schnell herausfinde, wer wer ist, denn von den meisten kenne ich nur die Namen und weiß überhaupt nicht, wie sie aussehen.

Es sind jetzt nur noch zwei Tage bis zu meinem Raketenstart und ich muss unbedingt noch ein paar wichtige Geräusche von der Erde für euch Jungs aufnehmen. Aber was? Vielleicht … also weil ihr ja vielleicht auf der goldenen Platte bereits den Herzschlag und die Hirnströme einer verliebten Frau habt hören können … wie wär’s dann mit den Geräuschen, die ein Mann macht, wenn er eine Frau liebt? Ich glaube, das sollte ich auf meinem goldenen iPod aufnehmen!

Ich würde ja gern mich selber dabei aufnehmen, aber ich hab mich bisher noch nicht verliebt. An der Schule habe ich jedenfalls kein Mädchen gefunden, in das ich mich verlieben könnte, weil sie alle nur shoppen und snapchatten wollen. Wir haben einfach nicht dieselben Interessen. Ich mache mir aber deshalb keine Sorgen, bestimmt treffe ich beim SHARF einen Mann, der verliebt ist. Verliebtsein gefällt nämlich ganz vielen. Ronnie zum Beispiel ist in seine Freundin Lauren verliebt und Benji ist in Miss Shannon verliebt, die bei uns Mathe unterrichtet. Er hat gesagt, dass sie sich einmal über ihn gebeugt hat, um ihm bei einem Matheproblem zu helfen, und dass sie nach Fruchtbonbons gerochen hat. Er hat mich danach schwören lassen, dass ich es keiner Menschenseele auf der ganzen Erde erzähle. Aber ihr seid ja keine Menschen und wohnt auch nicht auf der Erde, deshalb, glaub ich, ist es okay, wenn ich es euch weitersage.

Wirklich schade, dass Benji nicht auf das SHARF mitkommen kann …

Er ist nämlich mit seiner Mutter und seiner Schwester und dem neuen Freund seiner Mutter im Urlaub in Chicago.

Einmal hat Benji mich gefragt, ob es mir eigentlich was ausmacht, keinen Vater zu haben. Da habe ich ihn gefragt: »Macht es dir was aus, keinen Dinosaurier als Haustier zu haben?« Und Benji hat geantwortet, das wüsste er nicht, weil er ja noch nie einen hatte, und ich habe ihm gesagt, genauso würde es sich für mich anfühlen, keinen Vater zu haben. Benji hat dann noch gesagt, es wäre trotzdem bestimmt total cool mit so einem Triceratops als Haustier, man könnte auf ihm herumreiten und in der Schule die Wände durchbrechen, und wenn ein Lehrer dich aufschreiben will, weil du zu spät kommst, dann kannst du sagen: »Machen Sie das mit meinem Dinosaurier aus!« Ja, hab ich zu ihm gemeint, super Idee.

Manchmal glaube ich, dass es schon sehr cool wäre, einen Dad zu haben. In Contact ist der Vater von Dr. Arroway auch gestorben, als sie noch ein Kind war. Aber wenigstens war sie da älter, als ich es war. Sie kann sich noch daran erinnern, wie sie mit ihm auf ihrer Veranda durchs Fernrohr geschaut hat und wie sie zusammen ihr altes Radio dazu benutzt haben, um mit Leuten in Florida zu sprechen. Mein Vater ist gestorben, als ich drei war. Deshalb kann ich mich an gar nichts erinnern und weiß nur, was andere mir über ihn erzählt haben. Mom hat mir erzählt, dass er an dem Tag, an dem ich auf die Welt gekommen bin, eigentlich von seiner Geschäftsreise schon hätte zu Hause sein sollen, aber leider verpasste er seinen Flug, deshalb musste sie sich allein ins Auto setzen und ins Krankenhaus fahren. Ronnie war damals ja auch noch nicht alt genug zum Autofahren. Aber dann hat es mein Vater doch noch ins Krankenhaus geschafft – und zehn Minuten später war ich da.

Es kommt mir manchmal fast so vor, als wäre mein Vater wie ein Puzzle aus vielen Einzelteilen, und ein paar davon hält meine Mutter in der Hand und ein paar davon mein Bruder – aber jede Menge anderer Teilchen fehlen mir und deshalb kann ich das Puzzle nie ganz zusammensetzen. In der Schule haben wir dieses Jahr im Sozialkundeunterricht von Mrs Campos gelernt, was ein Stammbaum ist, da erfährt man nämlich, wo man herkommt, und wir hatten einen Projekttag, bei dem wir auf unseren Computern in unserer Schulbibliothek auf eine Website gegangen sind, die Ancestry.com heißt. Wenn man da seinen Nachnamen eingibt und die Nachnamen der Eltern und der Großeltern, wird für einen ganz schnell so ein Stammbaum erstellt, in dem alle aus der Familie versammelt sind, mit den ganzen Informationen, die in Urkunden zu finden sind, und auch noch Zeitungsartikel und lauter solche Sachen. Ich hab angegeben, dass mein Opa und meine Oma und die ganze Verwandtschaft meiner Mutter von den Philippinen stammen, weil das wusste ich bereits, und zu meinem Vater haben sie mir mitgeteilt, dass seine Familie im Jahr 1870 auf einem Schiff aus Europa nach Amerika gekommen ist. Die Leute von Ancestry schicken mir auch E-Mails, wenn sie etwas Neues über meine Familie herausgefunden haben. Das ist ein bisschen so, als hätte man jemand von der Spurensicherung engagiert. Nur dass keine Verbrechen aufgeklärt werden sollen, sondern dass es um die fehlenden Puzzlestücke zu meinem Vater geht. Vielleicht finden sie ja noch was Wichtiges heraus, wer weiß.

Mann, Mann, Mann, wenn ich so weitermache, schlafe ich nie ein …

Also, ich versuch jetzt noch mal ernsthaft, ob ich es nicht doch schaffe, einzuschlafen. Carl Sagan und ich haben morgen einen langen Tag vor uns.

Gute Nacht, Jungs.

Neue Aufnahme 4

[Aufnahme nicht verfügbar]

Neue Aufnahme 5

8 Min. 52 Sek.

Okay, dann will ich es noch mal versuchen. Ich wollte euch vorhin schon erzählen, was am Bahnhof alles passiert ist, aber dann hab ich plötzlich zu heulen angefangen. Und was ich erzählt habe, hat alles keinen Sinn ergeben, deshalb habe ich es gelöscht.

Ronnie hat immer zu mir gesagt, jetzt hab dich mal nicht so, sei ein richtiger Mann, wenn er mich beim Heulen erwischt hat. Er wollte, dass ich sofort damit aufhörte. Eine Heulsuse kann keiner leiden. Und ich versuch ja auch immer, nicht zu heulen. Aber manchmal kann ich eben einfach nicht anders. Manchmal sind die Wolken in meinem Kopf so groß und grau und dick, dass sich dann durch meine Augen Sturm und Gewitter entladen. Und ein heftiger Regenschauer folgt. Also, natürlich nicht wirklich. Ich habe ja schließlich in meinem Kopf keinen Himmel und keine Erde und kein eigenes Wetter. Aber vielleicht wisst ihr, was ich meine.

Heute Morgen jedenfalls, als Carl Sagan und ich gerade aus dem Haus gehen wollten, habe ich festgestellt, dass ich viel zu viele Sachen eingepackt hatte, trotz meines 2-in-1-Haarpflegeshampoos. Ich hab versucht, das alles zu tragen, aber es war für mich viel zu schwer. Nach fünf Schritten konnte ich schon nicht mehr. Ehrlich, Jungs, gestern hat das alles überhaupt nicht so schwer ausgesehen und jedes Teil für sich war vielleicht auch gar nicht so schwer – aber in der Menge, Mannomann. Da habe ich zu Carl Sagan gesagt: »Was machen wir denn jetzt?« Und er hat mich angeschaut, als wollte er sagen: Was fragst du denn mich? Und danach hab ich versucht, ihm den Seesack auf den Rücken zu laden. Aber er hat sich schnell weggeduckt, als ob er sagen würde: He, was glaubst du denn, was ich bin? Hältst du mich für einen Packesel?

»Nein«, hab ich ihm da versichert, »du bist für mich kein Packesel, du bist Carl Sagan.«

Aber dann kam mir eine großartige Idee.

Ich hab aus unserer Garage das Wägelchen geholt, mit dem ich immer zum Einkaufen losziehe. Dort hab ich alles draufgepackt und gut festgezurrt – und das war’s dann, Problem gelöst! Danach klopfte ich noch einmal leise an Moms Schlafzimmertür, ob sie vielleicht schon wach war. War sie aber nicht. Ich bin dann trotzdem auf Zehenspitzen zu ihrem Bett geschlichen und hab ihr ins Ohr geflüstert: »Wir brechen jetzt auf, Sonntag bin ich wieder da«, und außerdem hab ich auch noch gesagt, »Ich hab dich lieb«, falls sie mich vielleicht in ihren Träumen hören konnte.

Carl Sagan und ich sind danach die Straße runtergegangen und beim Haus von Justin Mendoza nach links abgebogen. Dann sind wir die Mill Road entlanggegangen. Ich hab mit der einen Hand mein Wägelchen hinter mir hergezogen und in der anderen Hand hab ich die Leine von Carl Sagan gehalten. Und wir sind an Mr Bashirs Tankstelle vorbeigekommen und an dem Super-8-Motel direkt daneben. Ich hätte gerne zu Mr Bashir Guten Tag und Auf Wiedersehen gesagt, aber ich wollte nicht zu spät kommen, und außerdem machte ich mir ein bisschen Sorgen, dass die Schaffner mir vielleicht nicht erlauben würden, mein Wägelchen in den Zug mitzunehmen. Da habe ich noch nicht geheult, das war erst später.

Eine Viertelstunde vor Abfahrt des Zugs waren wir am Bahnhof. Ich zeigte dem Typen, der meine Fahrkarte sehen wollte, mein E-Ticket, und er fragte mich, wo denn meine Eltern wären, und ich sagte: »Es gibt nur mich und Carl Sagan.« Er fragte mich, wo ist denn Carl Sagan, und ich habe einen Schritt zur Seite gemacht, weil Carl Sagan sich nämlich hinter meinen Beinen versteckt hatte. Der Kontrolleur hat gesagt: »Aber das ist eine Fahrkarte für Erwachsene!« Und darauf ich: »Ja, weil im Internet habe ich auch nur ein Erwachsenenticket kaufen können.« Er sagte, dass ich eine Kinderfahrkarte bräuchte, und ich fragte ihn, wie ich denn eine bekommen könnte, und er sagte, die müsste ich zusammen mit einer Erwachsenenfahrkarte kaufen, und da war ich allmählich wirklich verwirrt. Er sagte, ich dürfte nicht allein mit dem Zug fahren, ich bräuchte immer einen Erwachsenen als Begleitung, wenn ich jünger als dreizehn sei. Dann fragte er mich nach meinem Ausweis und ich zeigte ihm meinen Mitgliedsausweis von der Internationalen Planetariumsgesellschaft, und er sagte, er bräuchte einen Ausweis, auf dem mein Geburtsdatum steht, und da hab ich ihm meinen Schülerausweis unter die Nase gehalten, und deshalb hat er herausgefunden, dass ich noch nicht dreizehn bin.

Ich hab ihm erzählt, dass ich viel verantwortungsbewusster bin als die meisten Dreizehnjährigen, die ich kenne. Aber er hat gesagt, dass das keine Rolle spielt, das Einzige, was eine Rolle spielt, sei mein Alter, und ich hab gesagt, dass ich das total idiotisch finde, denn Kinder seien nun mal sehr unterschiedlich. Es sollte einen Test geben, mit dem bei allen Menschen überprüft wird, wie verantwortungsbewusst sie sind, und dann würde danach das Verantwortungsbewusstseinsalter errechnet werden. Ich weiß, dass ich mindestens dreizehn Jahre alt wäre, weil ich nämlich schon kochen und mich um einen Hund kümmern kann.

Das hab ich dem Kontrolleur aber nicht erzählt. Ich hab in dem Moment nur gedacht, dass ich alle meine Sachen gepackt hatte und auch die von Carl Sagan, und Carl Sagan hatte ich auch dabei, und ich wollte unbedingt auf das Raketenfestival, und deshalb habe ich mich auf einen der Stühle im Bahnhof gesetzt und habe zu heulen angefangen.

Carl Sagan hat auch gleich zu heulen angefangen, denn immer wenn ich heule, heult er auch. Und dann hab ich gedacht, vielleicht ist es ja besser, wenn ich nicht auf das SHARF fahre. Vielleicht ist es ja besser, wenn ich zu Hause bleibe, hier in Rockview, weil ich bisher noch nie ohne meine Mom oder Ronnie von zu Hause weg war, und wenn ich nicht wegfahre, hab ich außerdem auch noch mehr Zeit, um für euch Jungs Aufnahmen auf meinem iPod zu machen, und wenn ich dann genug Aufnahmen mit Geräuschen von der Erde habe, kann ich Voyager 3 ja auch allein ins Weltall schießen, dazu brauche ich das SHARF doch gar nicht, auch wenn ich mein ganzes Geld für die Fahrkarte und meine Anmeldung ausgegeben habe und jetzt leider auch nicht Europa und Calexico und alle anderen vom Rocketforum kennenlernen werde.

Und das war der Moment, in dem ich meinen goldenen iPod herausgezogen habe und versucht habe, euch Jungs zu erzählen, was passiert ist. Aber ich hab nur ein Schluchzen herausgebracht. Und dann hörte ich bereits das Pfeifen des Zugs, der immer näher kam, und ich heulte noch lauter und hatte das Gefühl, dass ich niemals mehr aufhören würde zu heulen.

Aber dann hörte ich auf einmal jemanden fragen: »Was ist denn los?« Ich hab hochgeschaut, und da stand vor mir ein Junge, der schon viel älter ist als ich. Er hatte ein blaues Bandana um den Kopf und einen Rucksack, der größer ist als ich. So groß ist der Rucksack.

Der Junge hat sich neben mich gesetzt, und ich hab etwas gebraucht, bis ich ihm alles erzählen konnte. Ich musste erst einmal aufhören, durch meine Augen ein Gewitter zu entladen. Sonst konnte er sich ja auf nichts einen Reim machen. Schließlich war ich so weit, dass es bei mir nur noch ab und zu einen kleinen Regenschauer gab, und dann hab ich ihm erzählt, dass ich zum SHARF fahren wollte, um dort meinen goldenen iPod ins Weltall zu schicken, und alle meine Freunde aus dem Rocketforum wären auch da und ich hätte mein ganzes Geld für die Fahrkarte ausgegeben und für Mom Essen gekocht, das sie nur noch in der Mikrowelle warm machen musste, und jetzt sei das alles umsonst gewesen und ich könnte nicht dorthin fahren, weil ich noch nicht dreizehn war, obwohl ich nach Verantwortungsbewusstseinsjahren gerechnet mindestens dreizehn Jahre alt war.

Er sagte darauf: »Scheint dir ja wirklich wichtig zu sein.« Und darauf sagte ich: »Natürlich ist es für mich sehr wichtig, wenn es für mich nicht wichtig wäre, würde ich ja nicht heulen, du Idiot!« Das heißt, das habe ich nicht gesagt, ich habe nur genickt. Manchmal ist bei mir alles etwas kompliziert.

Er hat mich gefragt, ob ich ihm mal meine Fahrkarte zeigen kann, und da habe ich sie ihm gezeigt und auch meinen Seesack mit meiner Rakete und die Bestätigungsmail, dass ich zum SHARF angemeldet bin, und meinen Ausdruck von Google Maps mit dem SHARF-Gelände drauf und sogar mein 2-in-1-Haarpflegeshampoo, warum ich ihm das auch noch gezeigt habe, weiß ich nicht. Er hat mich gefragt, wo meine Eltern sind, und ich habe ihm erzählt, dass mein Vater gestorben ist, als ich noch ganz klein war, und dass meine Mutter zu Hause ist und dass ich machen kann, was ich will, solange ich sie in Ruhe lasse und sie mit mir keinen Ärger hat. Da hat er gesagt: »Alter, du fängst ganz schön früh damit an, was?« Und ich hab gefragt: »Ähm, was? Womit fang ich ganz schön früh an?« Und dann hat er mir meine Mappe mit den SHARF-Dokumenten zurückgegeben und zu mir gesagt, ich solle ihm jetzt folgen und zu allem nicken, egal was er gleich sagen würde, und daraufhin hab ich genickt und bin ihm gefolgt.

Und als er sich in der Schlange am Bahnsteig angestellt hat, hab ich das auch gemacht, und als wir bei der Fahrkartenkontrolle an der Reihe waren, hat der Schaffner erst ihn angeguckt und dann mich, und dann hat er den Jungen, der schon viel älter ist als ich, gefragt: »Ist der mit dir zusammen?« Und der Junge hat geantwortet: »Ja, ist mein Stiefbruder. Nur eine Minute lang hab ich ihn allein gelassen, weil ich mal pinkeln musste, und schon versucht er mir am Bahnhof zu entwischen. Das ist’n Bruder, was?« Und der Schaffner hat mich angeguckt und gefragt: »Ist das dein Bruder?« Ich hab zu dem Jungen geschaut und dann wieder zu dem Schaffner und hab genickt und dann sagte der Schaffner: »Das nächste Mal bleibst du bei deinem Bruder, okay?« Und da habe ich wieder genickt. Dann hat er unsere Fahrkarten entwertet und uns unsere Sitzplatznummern zugeteilt.

Der Junge, der schon viel älter ist als ich, hat mir geholfen, mein Wägelchen in den Zug hochzuhieven, und es gab ein oberes Stockwerk und ein unteres Stockwerk und wir hatten unsere Sitzplätze im oberen Stockwerk. Wir mussten durch mehrere Waggons gehen, bis wir zu dem Waggon gekommen sind, in dem man Haustiere dabeihaben darf, und zwischen den Waggons gab es Metalltüren mit einem großen rechteckigen Knopf, und wenn man den Knopf gedrückt hat, ist die Tür automatisch aufgegangen und es machte dabei kwtschschhhhh wie in einem Raumschiff. Das war echt sooo cool! Ich wünschte mir, wir hätten so eine Tür auch zu Hause!

Im Zug waren überhaupt nicht so viele Leute unterwegs, wie ich geglaubt hatte. Ungefähr die Hälfte der Sitze war leer. Na ja, es war auch noch ziemlich früh, was man bei den Leuten daran erkennen konnte, dass die meisten von ihnen geschlafen haben. Es waren vor allem alte Menschen und Familien mit Kindern im Zug. Nur ein Mann mit Glatze war hellwach, der eine graue Hose und eine graue Jacke anhatte, wie ein Martial-Arts-Meister. Als ich an seinem Sitz vorbeigegangen bin, hat er mich angelächelt und ich habe eine kleine Verbeugung gemacht und »Namaste« gesagt. So grüßt man nämlich einen großen Martial-Arts-Meister.

Jetzt sitze ich hier in dem Waggon, in dem man Haustiere dabeihaben darf, und Carl Sagan hat sich auf dem Sitz neben mir zu einem Donut zusammengerollt. Der Junge, der schon viel älter ist als ich, ist nicht mehr bei uns. Er ist nämlich gegen Katzenhaare allergisch und deshalb ist er weitergegangen. Ich hab ihn gefragt: »Musst du denn nicht auf dem Sitzplatz sitzen, den der Schaffner dir gesagt hat?« Und er hat darauf geantwortet: »Normalerweise ist das denen egal.« Er hat gesagt, wenn jemand mich fragen sollte, ob ich allein unterwegs bin, oder wenn es irgendwelche Probleme gäbe, dann sollte ich einfach ein paar Waggons weiter zu ihm gehen. Und ich hab gesagt: »Danke, dass du mein Erwachsener warst.« Darauf er: »Gern geschehen. Ich hoffe, du findest im Leben, wonach du suchst.« Darauf hab ich zu ihm gesagt: »Ich suche überhaupt nichts. Ich will nur eine Rakete ins Weltall schicken, das hab ich dir doch erzählt.« Und darauf hat er gelacht und gemeint: »Alles klar.« Und dann ist er gegangen und –

Oh, verdammter Mist. Bestimmt hat er die Geräusche von der Erde gemeint, die ich für euch Jungs aufnehmen will. Er hofft, dass ich da alles finde, was … Aber halt, genau! Vielleicht hat er ja eine Freundin! Dann ist er mein Mann! Der Mann, der verliebt ist! Ich muss ihn später suchen und ihn fragen.