DIE AUTORIN
Foto: © Joel Holmberg
Ali Novak, geb. 1991, stammt aus Wisconsin und hat vor Kurzem ihr Creative-Writing-Studium an der University of Wisconsin-Madison abgeschlossen. Ihr Debüt »Ich und die Walter Boys« begann sie im Alter von 15 zu schreiben und stellte den Text 2010 auf Wattpad online. Inzwischen haben ihre Geschichten über 150 Millionen Leser. Wenn sie nicht gerade schreibt oder Fantasyromane liest, ist Ali gern auf Reisen oder veranstaltet Netflix-Marathons mit ihrem Mann Jared.
Mehr über Ali Novak und cbt auf Instagram unter @hey_reader
Aus dem Englischen
von Michaela Link
Für Wattpad – ich danke sowohl meinen Lesern als auch den Menschen hinter den Kulissen, deren Begeisterung und Unterstützung meine Träume haben wahr werden lassen.
KAPITEL 1
Cara umklammerte die aktuelle Ausgabe der People, als sei es die Heilige Schrift.
»Wenn du mir keine Zeitschriften bringen würdest«, sagte sie, »würde ich hier einen Koller kriegen.«
»Ich musste mit einer Fußballmami um das letzte Exemplar kämpfen«, erwiderte ich. Und ich meinte es ernst. Frischer Lesestoff war heiß begehrt im Krankenhaus.
Cara hörte mich nicht. Sie blätterte bereits in der Zeitschrift, ganz versessen auf ihre wöchentliche Dosis Promiklatsch. Neben ihr lümmelte Drew in dem einzigen Sessel des Raums und starrte auf sein Telefon. Sein finsterer Gesichtsausdruck verriet mir, dass er entweder etwas über das Baseballspiel des vergangenen Abends las oder die Internetverbindung ziemlich schlecht war.
Anders als an einem typischen Krankenhaustag hatte ich heute tatsächlich etwas, womit ich mich während der Besuchszeit beschäftigen konnte. Nachdem ich mir einen Stuhl an Caras Bett gezogen hatte, scrollte ich durch die Fotos, die ich mit meiner neuen Canon gemacht hatte. Meine Eltern hatten mir den Fotoapparat vorzeitig zum Geburtstag geschenkt und ich hatte ihn heute Morgen im Skulpturengarten von Minneapolis ausprobiert.
»Mein Gott, perfekter könnte er nicht sein.«
Ich sah, dass Cara ein Interview mit einem der Jungs von den Heartbreakers aufgeschlagen hatte, ihrer Lieblingsband. Die Schlagzeile lautete: »Bad Boy bricht immer noch Herzen.« Die Unterzeile war ein Zitat: »Ich bin nicht auf der Suche nach einer festen Freundin. Single zu sein macht einfach zu viel Spaß.« Als ich Caras Gesichtsausdruck sah – die Augen lebhaft, der Mund halb geöffnet –, stellte sich mir die Frage, ob sie gleich die Seite ablecken würde. Ich wartete einen Moment ab, ob sie es wirklich tat, aber sie stieß nur einen Seufzer aus, aus dem ich schloss, dass sie mir etwas über ihren Lieblingsstar vorschwärmen wollte.
»Owen irgendetwas?«, fragte ich höflichkeitshalber, doch meine Aufmerksamkeit galt bereits wieder meinem Fotoapparat.
»Oliver Perry«, verbesserte sie. Ich brauchte Cara nicht anzusehen, um zu wissen, dass sie die Augen verdrehte, auch wenn ich meine Abneigung gegen die Band oft genug bekundet hatte, zum Beispiel jedes Mal, wenn sie ihre Musik laut durchs Haus schallen ließ. Ich interessierte mich nicht genug für die Heartbreakers, um mir die Namen der Bandmitglieder zu merken; sie waren bloß eine x-beliebige Boygroup, die zwar momentan total angesagt war, aber bestimmt bald wieder in Vergessenheit geriet. »Ich könnte schwören, du bist eine Vierzigjährige, die in einem Teenagerkörper steckt oder so etwas.«
»Warum?«, fragte ich. »Weil ich den Namen irgendeines Boygroup-Typen nicht kenne?«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte mich an. Anscheinend hatte ich eine Grenze überschritten. »Sie sind keine Boygroup. Sie sind Punker.«
Es gab zwei Gründe, warum ich die Heartbreakers nicht mochte. Vor allem fand ich ihre Musik furchtbar, was ja schon alles sagte, aber mich störte noch etwas anderes: Die Heartbreakers versuchten so angestrengt, etwas zu sein, was sie nicht waren, und spielten sich als Rockmusiker auf, während sie in Wirklichkeit einfach eine Boygroup waren. Sicher, sie spielten Instrumente, aber ganz gleich, wie viele alte Band-T-Shirts und zerrissene Jeans sie auch trugen – nichts konnte darüber hinwegtäuschen, dass die einfallslosen Songtexte und eingängigen Beats schlicht Popmusik waren. Außerdem bewies die Tatsache, dass ihre Fans die Welt ständig daran erinnern mussten, die Heartbreakers wären eine »richtige« Band, genau das Gegenteil.
Ich presste die Lippen aufeinander, um nicht zu lachen. »Dass sie sagen, die Misfits und die Ramones hätten sie inspiriert, macht sie noch lange nicht zu Punkern.«
Cara legte den Kopf schräg und runzelte die Stirn. »Die wer?«
»Siehst du?« Ich beugte mich vor und schnappte mir die Zeitschrift. »Du weißt gar nicht, was echter Punk ist. Und das da«, fügte ich hinzu und deutete auf die Seite, »ist es sicher nicht.«
»Nur weil ich mir nicht deine schräge Undergroundmusik anhöre, heißt das nicht, dass du dich mit Musik besser auskennst als ich«, versetzte sie.
»Cara«, ich rieb mir den Nasenrücken, »so habe ich das überhaupt nicht gemeint.«
»Was soll’s, Stella.« Cara zog die Zeitschrift zurück auf ihren Schoß. Sie wandte den Blick von mir ab und ihre Schultern sackten herunter. »Ehrlich, es ist mir egal, dass du sie nicht magst. Ich bin einfach schlecht gelaunt, weil ich zu ihrem Konzert gehen wollte.«
Die Heartbreakers waren im vergangenen Monat in Minneapolis aufgetreten, und obwohl Cara sich sehnlichst gewünscht hatte, hinzugehen, hatte sie beschlossen, keine Eintrittskarten zu kaufen. Es war eine harte Entscheidung gewesen, vor allem, weil sie monatelang dafür gespart hatte, aber meiner Meinung nach war es richtig gewesen. Denn letzten Endes spielte es keine Rolle, wie sehr sie sich wünschte, hinzugehen. Ihr Körper signalisierte ihr, dass sie es nicht konnte – Übelkeit, Erbrechen und Müdigkeit, um nur einige Beschwerden zu nennen –, und das wusste sie. Eine wichtige Lektion, die Caras Krebs uns gelehrt hatte, war, dass es Zeiten gibt, Hoffnung zu haben, und dann wieder welche, realistisch zu sein.
Vor zwei Wochen hatte Cara die erste Chemotherapie bekommen. Die Behandlung erfolgte in Zyklen – drei Wochen, in denen man ihr unzählige Medikamente ins Blut pumpte, dann eine Ruhephase, bevor die ganze Prozedur von Neuem begann. Nachdem die normale Chemotherapie all das böse Zeug in ihrem Körper abgetötet hatte, verabreichte man Cara noch eine hochdosierte Chemo, um sicherzugehen, dass der Krebs nicht streuen würde.
Ich war nie gut in Naturwissenschaften gewesen, doch durch Caras Krankenhausaufenthalte hatte ich eine Menge gelernt. Für gewöhnlich wird die Dosis einer Chemotherapie wegen der bedrohlichen Nebenwirkungen begrenzt. Eine höhere Dosis würde vielleicht den Krebs auslöschen, aber sie zerstört auch Knochenmark, das, wie ich erfahren habe, lebenswichtig ist. Manchmal reicht allerdings eine normale Chemo nicht.
So wie bei Cara. Nach zwei Rezidiven, also Rückfällen, fanden ihre Ärzte, dass es Zeit für eine aggressivere Behandlung sei. Sobald sie die hochdosierte Chemo bekommen hatte, würde sie eine autologe Stammzelltransplantation benötigen. Bei einer autologen Transplantation wurden Cara vor der Behandlung eigene Stammzellen aus ihrem Knochenmark entnommen. Die Zellen wurden eingefroren und Cara nach der Chemo durch eine Blutinfusion wieder verabreicht. Anders könnte sie nicht wieder gesund werden.
Ein kleiner Seufzer entrang sich mir und ich wählte meine Worte mit Bedacht. »Ich bin mir sicher, dass es noch weitere Konzerte geben wird«, sagte ich und schenkte ihr ein schwaches Lächeln. »Ich gehe sogar mit dir hin, wenn du willst.«
Cara musste kichern. »Da ist es wahrscheinlicher, dass Drew unter die Cheerleader geht.« Beim Klang seines Namens schaute unser Bruder auf und sah Cara mit hochgezogenen Augenbrauen an, bevor er sich wieder seinem Telefon zuwandte.
»Es war ja nur ein Vorschlag«, fügte ich hinzu, aber es freute mich, dass sie ihn witzig fand.
»Du bei einem Konzert der Heartbreakers?«, sagte sie, mehr zu sich selbst als zu mir. »Ja klar.«
Daraufhin verstummten wir beide. Es herrschte betretenes Schweigen, und ich wusste, dass sie wie ich unglücklich ihren Gedanken nachhing. Das war eine Folge von langen Tagen im Krankenhaus und nach einer Weile war man zwangsläufig eher pessimistisch als optimistisch gestimmt.
Ein Klopfen an der Tür holte mich in die Realität zurück, und Jillian, Caras Lieblingskrankenschwester, kam herein. Als ich sie sah, schaute ich auf die Uhr und stellte zu meiner Überraschung fest, wie schnell der Tag vergangen war.
»Stella, Drew«, begrüßte sie uns beide. »Wie geht es euch?«
»So wie immer«, antwortete Drew, stand auf und rekelte sich. »Und wie geht es Ihnen?«
»Gut, danke. Ich will nur mal nach Cara schauen.« Zu ihr sagte sie: »Brauchst du irgendetwas, Liebes?«, aber Cara schüttelte den Kopf.
»Werfen Sie uns hinaus?«, fragte ich. Die Besuchszeit war bald vorüber, und das bedeutete, dass es Zeit wurde für Caras abendliche Medikamente, wie Penicillin und eine Menge anderer, deren Namen ich mir nicht merken konnte.
»Nein«, antwortete Jillian. »Ihr habt noch Zeit, aber vielleicht wollt ihr noch in die Cafeteria, bevor sie schließt.«
Bei dem Gedanken an Essen knurrte mir der Magen. Ich war vom Skulpturengarten direkt ins Krankenhaus gegangen und hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. »Das ist wahrscheinlich eine gute Idee.« Ich legte mir den Kamerariemen um den Hals und stand auf. »Wir sehen uns morgen, Punk.«
Ich wollte mich vorbeugen und meiner Schwester einen Kuss geben, aber ich durfte nicht.
Cara hatte ein Non-Hodgkin-Lymphom. Das ist eine Krebsart, die in den Lymphozyten entsteht, den weißen Blutkörperchen, die zum Immunsystem des Körpers gehören. Normalerweise werden Menschen mit Non-Hodgkin-Lymphom ambulant versorgt. Sie kommen täglich ins Krankenhaus, um sich behandeln zu lassen, ehe sie wieder nach Hause fahren, und während ihrer beiden ersten Schübe der Krebserkrankung war Cara ebenfalls eine ambulante Patientin gewesen. Jeden Tag hatte meine Mom sie ins Krankenhaus gefahren und man hatte ihr intravenös Medikamente verabreicht – eine Chemotherapie. Normalerweise hatte es eine Stunde gedauert, und manchmal waren Drew und ich mitgekommen, um im Wartezimmer Hausaufgaben zu machen.
Vor Kurzem musste Cara der Blinddarm entfernt werden, weil es Komplikationen gegeben hatte. Da die Anzahl ihrer weißen Blutkörperchen zu gering war, befürchteten die Ärzte ein erhöhtes Infektionsrisiko, und sie musste ein paar Wochen im Krankenhaus bleiben. Wir durften nur mit Mundschutz zu Cara und sie nicht anfassen, weil die Gefahr bestand, dass wir sie krank machen könnten.
Ich wusste, dass es hart für sie war, nicht zu Hause zu sein, und es war frustrierend, dass ich sie nicht einmal tröstend in den Arm nehmen konnte.
»Du weißt ja, wo du mich findest«, sagte sie und verdrehte die Augen.
»Ruh dich ein wenig aus für mich, okay?«, bat Drew zum Abschied. Dann drehte er sich zu mir um. »Bist du so weit? Ich habe Hunger.«
»Na klar«, antwortete ich. »Ich auch.« Wir verabschiedeten uns schnell und machten uns auf den Weg in Richtung Cafeteria.
»Glaubst du, sie haben heute diesen Karamellpudding?«, fragte Drew, als wir durch die vertrauten Krankenhausflure gingen.
»Mann, ich liebe diese Dinger«, gab ich zurück, »aber ich bezweifle es. Die gab es schon eine ganze Weile nicht mehr.«
»War ziemlich lahm heute, oder?«
»Ja«, sagte ich und dachte über unseren Tag nach, »das war es wirklich.«
Jeden Tag erwähnten Drew und ich etwas Positives, das uns während unseres Besuchs bei Cara aufgefallen war. Das Blöde an Krankenhäusern ist nur, dass dort Ängste geschürt werden. Wenn man sich nicht immer wieder vornimmt, zuversichtlich zu sein, nehmen die negativen Gedanken überhand. Denn wenn ein Mitglied deiner Familie Krebs bekommt, bekommen alle Krebs. Vielleicht nicht dieselbe Art, aber der Krebs frisst trotzdem alle auf, bis nichts mehr übrig ist.
Alles fing an, als Cara ihre erste Krebsdiagnose erhielt, damals, als wir im ersten Jahr auf der Highschool waren. Es war mir nicht wirklich bewusst gewesen, dass meine Schwester krank war, dass ich sie tatsächlich verlieren könnte, bis sie nach ihrer Diagnose im Krankenhaus blieb, während ihre Ärzte die Position, das Ausmaß und das Stadium ihres Krebses bestimmten. Unsere Mom nahm Drew und mich zu den Besuchen bei Cara mit, und wir sahen Kinder in verschiedenen Krankheitsstadien, wobei bei einigen der Krebs schon sehr fortgeschritten war.
Das war das erste Mal, dass ich es mit der Angst zu tun bekam. Sie bohrte sich in meine Brust, zog mir den Boden unter den Füßen weg und sagte mir: »Siehst du diese Kinder? Diese Kinder sterben.« Und ich fragte mich: Wenn meine Schwester hier war, war sie dann nicht auch eins dieser Kinder?
»Was ist dir positiv aufgefallen?«, fragte ich Drew, als wir seinen alten Honda Civic auf der anderen Seite des Krankenhausparkplatzes erreichten. Er fummelte mit seinen Schlüsseln herum, und obwohl ich wusste, dass meine Tür immer noch verschlossen war, zerrte ich am Griff.
»Der Karamellpudding war echt köstlich«, antwortete er. Die Schlösser gingen mit einem Klick auf, nachdem er den richtigen Schlüssel gefunden hatte.
»Der Karamellpudding?«, wiederholte ich, und wir stiegen beide in den Wagen. »Der ist dir positiv aufgefallen?«
»Ja, und dass die Internetverbindung heute ganz okay war.«
Ich kämpfte mit meinem Sicherheitsgurt und versuchte, ihn zu entwirren und nach vorn zu ziehen, aber Drew benahm sich so seltsam, dass ich den Gurt zurückschnellen ließ. »Ist das dein Ernst?«, fragte ich und starrte meinen Bruder an. »Das sind doch lauter Belanglosigkeiten.«
»Wie meinst du das?«, fragte er. »Mir schmeckt dieser Karamellpudding eben.«
Ich blinzelte langsam und ganz bewusst. Bis heute hatten die Sachen, die uns positiv aufgefallen waren, immer eine Bedeutung und gaben uns immer wieder neuen Mut. Wenn jetzt der köstliche Karamellpudding zum einzigen Lichtblick des Tages wurde, dann steckten wir in Schwierigkeiten.
Drew begann zu lachen und ich schlug ihn auf die Schulter. »Das ist nicht witzig«, brummelte ich.
»Ich habe nur Spaß gemacht, Stella. Schau nicht so finster.«
»Entschuldige«, sagte ich und griff wieder nach dem Sicherheitsgurt. »Ich habe heute Cara fast zum Weinen gebracht.«
»Du weißt, warum sie so außer sich ist, stimmt’s?«, fragte Drew mich dann. »Sie befürchtet, sie wird nie zu einem ihrer Konzerte gehen.«
»Warum muss sie so total negativ sein?«
Ich hatte nicht erwartet, dass für Cara die ganze Zeit eitel Sonnenschein herrschen würde. Tatsächlich hatte sie das Recht, zornig auf Gott und die Welt oder wen auch immer zu sein, der sie vor dieser Krankheit nicht bewahrt hatte. Aber ich hasste es, wenn sie so endgültig redete – ich werde nie hier rauskommen, ich werde niemals aufs College gehen, ich werde die Heartbreakers niemals live sehen –, als stünde ihr Tod bereits fest. Es gab mir das Gefühl, als hätte ich keine Kontrolle über mein Leben, als sei alles Schicksal.
»Nein, das meine ich nicht«, widersprach Drew. »Anscheinend macht ein Gerücht die Runde, dass die Heartbreakers sich auflösen, weil sich die Bandmitglieder zerworfen haben.«
»Oh! Das überrascht mich nicht«, sagte ich, doch im Stillen hoffte ich, dass die Gerüchte nicht wahr waren. Eigentlich war mir das ja egal, weil ich mit ihrer Musik sowieso nichts anfangen konnte, aber ich wollte Cara beweisen, dass es falsch von ihr war, die Hoffnung aufzugeben. Sie würde die Heartbreakers auf der Bühne sehen, denn ihr Gesundheitszustand würde sich verbessern.
Drew legte die Hand auf meine Kopfstütze und reckte den Hals, um zu sehen, ob jemand hinter uns war, bevor er mit voller Geschwindigkeit aus der Parklücke zischte. Die Besuchszeit war offiziell vorüber, und einige der Krankenhausangestellten hatten bereits Feierabend gemacht, daher war der Parkplatz relativ leer. Als wir die Ausfahrt erreichten, blinkte Drew, um nach links abzubiegen. Wir saßen beide für eine Weile einfach nur da und redeten nicht, während wir auf eine Lücke im Verkehr warteten.
Mir fiel ein, dass Drew meine Frage noch nicht beantwortete hatte, und so brach ich als Erste das Schweigen. »Also, was war es dann?«, fragte ich.
»Was war was?«
»Was dir positiv aufgefallen ist.«
»Ach ja«, antwortete er. Er drehte den Kopf vor und zurück, um sicherzugehen, dass kein Auto kam. Die Straße war frei, daher trat er das Gaspedal durch und schoss hinaus. »Ich habe eine Idee, was wir Cara zum Geburtstag schenken könnten.«
»Echt?«, fragte ich. Ich schenkte Drew meine ungeteilte Aufmerksamkeit. »Und was? Erzähl.«
Der nächste Freitag war nicht nur der vierte Juli, sondern er war auch Caras achtzehnter Geburtstag. Drew und ich wurden ebenfalls achtzehn; wir waren Drillinge. Jedes Jahr hatten wir einen Wettbewerb, wer dem anderen das tollste Geschenk machte, und normalerweise gewann Cara. In diesem Jahr hatten Drew und ich beschlossen, uns zusammenzutun und sie zu übertreffen, aber bisher war uns noch nichts eingefallen, mit dem wir den Sieg einheimsen könnten.
»Okay, weißt du noch, wie du pausenlos über diese Ausstellung in der Fotogalerie gesprochen hast?«, fragte Drew und sah mich an. »Die, die in Chicago eröffnet?«
»Du meinst Bianca Bridge?« Ich rutschte auf meinem Sitz nach vorn. Ich hatte keinen Schimmer, was Caras Geburtstagsgeschenk mit meiner absoluten Lieblingsfotografin zu tun hatte, aber worauf auch immer Drew hinauswollte, ich hatte das Gefühl, dass es gut sein würde.
Bianca war eine Inspiration für mich und mein großes Vorbild. Als eine der berühmtesten Fotojournalistinnen der Postmoderne war sie für aufschlussreiche Straßenfotografie bekannt, die Menschen aus allen Gesellschaftsschichten abbildete. Ich hatte ein Zitat von ihr auf die Wand meines Zimmers gemalt, und meine besten Bilder waren darum herum gehängt: »Die Welt dreht sich schnell und verändert jeden Tag alles um uns herum. Die Fotografie ist ein Geschenk, das uns für immer in einem Augenblick festhalten kann, in ewiger Glückseligkeit.«
Wann immer mich jemand fragte, warum ich so gern fotografierte, antwortete ich mit Biancas Zitat, als sei es mein eigenes persönliches Mantra. Mich begeisterte die Idee, dass ich mit einem einzigen Tippen auf den Auslöser der Zeit irgendwie ein Schnippchen schlagen konnte.
»Genau die«, sagte Drew und fuhr schneller, um noch über eine bereits gelbe Ampel zu kommen. »Ihre Galerie ist nur wenige Häuserblocks entfernt.«
»Wenige Häuserblocks wovon?« Drew spannte mich absichtlich auf die Folter, was mich total nervte. »Komm schon!« Ich hüpfte in meinem Sitz auf und ab. »Erzähl es mir!«
»Du hast echt keinen Funken Geduld.« Er schüttelte den Kopf, aber auf seinem Gesicht war der Hauch eines Lächelns. »Sie ist wenige Blocks von einem Radiosender entfernt, wo die Heartbreakers an diesem Wochenende eine Autogrammstunde geben.«
»Ist das dein Ernst?«
Drew reckte das Kinn vor und ein Grinsen blitzte in seinem Gesicht auf. »Na ja, Cara war sehr enttäuscht darüber, dass sie nicht zu dem Konzert gehen konnte, und das hat mich auf eine Idee gebracht. Es muss noch etwas anderes geben, das mit den Heartbreakers zusammenhängt und das sie glücklich machen würde. Also habe ich ihre öffentlichen Auftritte gegoogelt. Wir könnten hinfahren und uns eine ihrer CDs signieren lassen oder so.«
»Und?«
»Und dein Fotoding besuchen.«
»Ja!«, rief ich und riss die Faust hoch. »In diesem Jahr wird es Cara nicht gelingen, uns zu übertreffen.«
»Ich weiß«, stimmte er mir zu und klopfte sich auf die Schulter. »Bitte, keine Ursache.«
Ich verdrehte die Augen und verkniff mir ein Lächeln. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
Als Caras Krebs wieder zurückgekommen war, war es anders als bei den ersten beiden Malen – das hatte ich sofort gewusst. Tief im Innern war mir klar, dass Cara niemals wieder gesund werden würde, wenn diese Behandlung nicht anschlug. Das Ganze machte mir schwer zu schaffen.
Ich wusste, dass ich nichts tun konnte, das Caras Krebs vertreiben würde. Doch zum ersten Mal seit dem Rezidiv spürte ich, wie diese Last langsam leichter wurde. Es war töricht, denn was würde eine signierte CD bewirken? Aber wenn sie ihre Stimmung verbesserte, dann hatte Cara vielleicht eine Chance.
»Denkst du, Mom und Dad werden uns fahren lassen?«, fragte ich und biss mir in die Wange. Wenn nicht, hatte ich mir umsonst Hoffnungen gemacht und würde noch deprimierter sein als zuvor.
Drew zuckte die Achseln. »Wir fahren zusammen hin«, erklärte er, »daher sehe ich keinen Grund, warum sie etwas dagegen haben sollten.«
»Okay, gut«, antwortete ich und nickte. »Wollen wir das wirklich durchziehen?«
»Ja«, sagte Drew. »Wir fahren nach Chicago.«