DAS BUCH
Komm, setz dich. Erzähle mir deine tiefsten und dunkelsten Geheimnisse – oder traust du dich nicht?
Mein Name ist Dr. Dixon Mathews, ich bin New Yorks renommiertester Psychiater. Für 500 Dollar die Stunde entlocke ich meinen Patienten ihre kleinen schmutzigen Geheimnisse. Ich bin smart, arrogant, sehe blendend aus und nehme garantiert keine Frau ein zweites Mal. Das aber wird sich bald ändern – dank zweier vollkommen unterschiedlicher Frauen, die doch eines gemeinsam haben: Leidenschaft und Hingabe. Für welche werde ich mich entscheiden?
DIE AUTORIN
Monica James lebt mit ihrer Familie und ihren Haustieren in Melbourne, Australien. Wenn sie nicht an ihren Romanen schreibt, dann leitet sie ihr eigenes Unternehmen. Sie liebt es, authentische, herzergreifende und leidenschaftliche Geschichten zu erfinden, die ihre Leser begeistern. Ihre Romane waren in den USA, in Australien, Kanada und Großbritannien auf den Bestsellerlisten. ADDICTED TO SIN ist ihre erste Serie bei Heyne.
MONICA JAMES
ADDICTED
TO SIN
Du gehörst mir ...
Aus dem Englischen
von Rebecca Lindholm
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel
Dirty Dix bei Bookouture.
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Taschenbucherstausgabe 05/2017
Copyright © 2016 by Monica James
Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81637 München
Redaktion: Anita Hirtreiter
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München
unter Verwendung von shutterstock/Tonhom1009
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN 978-3-641-19028-6
V002
www.heyne.de
Für meinen wundervollen Mann Daniel.
Ich sehe was, was du nicht siehst,
und das fängt an mit
ICH LIEBE DICH …
Danke, dass du mir das Gefühl gegeben hast,
es zu schaffen,
auch wenn ich mir da selbst nicht so sicher war.
ERSTER TEIL
1
Süchte
Dixon
»Ich kann einfach nicht aufhören zu essen«, sagt Sharon und schiebt sich ein mit Vanillecreme gefülltes Küchlein in den Mund. Es ist bereits ihr drittes.
Eigentlich sollte es mich schockieren, wie diese stark übergewichtige junge Frau, die an Shamu den Wal erinnert, mit der Nascherei vor meinen Augen rummacht, aber komischerweise tut es das nicht. Und das liegt daran, dass ich mich nur noch darauf konzentrieren kann, wie ihre vollen geschmeidigen Lippen den goldfarbenen Biskuit verschlingen, und ich mir dabei vorstelle, dass es mein Schwanz ist, den sie da gerade in den Mund nimmt, und nicht dieses verdammte Küchlein.
Ich rutsche einmal im Ledersessel hin und her, weil ich leicht erregt bin und meine Patientin das nicht bemerken soll. Schließlich bin ich ja hier, um Shamu – sorry, Sharon – dabei zu helfen, ihre Sucht zu bekämpfen.
Sucht oder Abhängigkeit bezeichnet laut Wikipedia – wo man fast alles nachlesen kann – »die fortwährende Wiederholung eines Verhaltens trotz nachteiliger Konsequenzen oder eine neurologische Beeinträchtigung, die zu einem solchen Verhalten führt«.
Also, was löst eine Sucht aus? Was bringt Menschen wie Sharon dazu, süchtig nach etwas zu sein, ohne das sie nicht mehr sein können. Es klingt im Grunde total lächerlich, dass wir nicht in der Lage sind, bestimmte Verhaltensweisen zu unterlassen, obwohl wir selbst doch diejenigen sind, die diese Handlungen kontrollieren.
Ist es vielleicht Gewohnheit? Aber auch die basiert auf Freiwilligkeit – also könnten wir eigentlich damit aufhören, wenn wir es wollten. Wenn dem so ist, handelt es sich vielleicht um eine unterdrückte Erinnerung, die wir nicht loswerden und als Entschuldigung dafür nehmen, um uns mit Drogen vollzupumpen, zu betrinken, mit allen möglichen sexuell übertragbaren Krankheiten anzustecken oder – in Sharons Fall – um fett zu werden?
Wir haben alle unsere Süchte, die mehr oder weniger krankhaft sind, und da wir Menschen nun einmal vielschichtige Charaktere sind, kommen wir mit ihnen klar, kehren sie unter den Teppich oder reden einfach nicht darüber. Aber die Menschen, die darüber sprechen wollen, kommen mit den unterschiedlichsten Süchten zu mir.
Mein Name ist Dr. Dixon Mathews, und für fünfhundert Dollar die Stunde kann mir jeder seine tiefsten, dunkelsten Geheimnisse anvertrauen, um dann wie neu geboren und mit dem Gefühl, geheilt zu sein, meine Praxis zu verlassen. Die meisten Leute wollen allerdings einfach nur die Bestätigung, dass mit ihnen alles in Ordnung ist und ihre abnormen Neigungen gar nicht so abnorm sind, wie sie befürchten. Und genau das gebe ich meinen Patienten: Als einer von New Yorks Spitzenpsychiatern versichere ich ihnen, dass ihr Drang, Katzenhaare zu essen oder in der Öffentlichkeit zu masturbieren, völlig normal ist.
Ich verspreche ihnen, sie in nur wenigen Sitzungen von ihrem neurotischen Verhalten zu heilen. Nach meiner Behandlung könnten sie sich wieder unters Volk mischen, ohne dass jemand auf die Idee käme, mit ihnen würde etwas nicht stimmen.
Der Grund, weshalb ich imstande bin, dies zu garantieren, ist der, dass die Mehrzahl der Leute, die in meine Praxis kommen, sich einfach nur ausjammern wollen, und sobald sie all das losgeworden sind, was sie sich von der Seele reden wollten, geht den meisten ein Licht auf, und sie benehmen sich nicht mehr länger so bescheuert. Der kleinen Minderheit, die wirklich ernsthafte Probleme hat, verschreibe ich die stets verlässlichen Benzodiazepine, und die Welt dankt es mir, dass ich einen weiteren Pillen einwerfenden, asozialen Zombie erschaffen habe.
Der eine oder andere würde mich vielleicht als Scheißkerl bezeichnen, doch ich finde, dass ich mit meinen zweiunddreißig Jahren durchaus ein bisschen abgestumpft und gleichgültig gegenüber dem Abschaum der Gesellschaft sein darf. Das würde wohl jeder sein, wenn er sich tagaus, tagein die gleiche alte Leier von verwöhnten reichen Leuten anhören müsste, die in ihrem Leben noch keinen einzigen Tag richtig gearbeitet haben, aber dennoch mit ihren erbärmlichen Geschichten über Unrecht und Ungerechtigkeit zu mir kommen, ohne sich dabei bewusst zu sein, was für ein unglaubliches Glück sie in Wahrheit haben.
Also zurück zu meiner ursprünglichen Frage: Wodurch wird eine Sucht ausgelöst? Viele Fachleute haben dargelegt, dass die Ursachen einer Sucht ganz unterschiedlicher Natur seien, sie jedoch im Allgemeinen durch eine Kombination aus physischen, mentalen, emotionalen und vielerlei begleitenden Faktoren ausgelöst wird. Aber ich weiß, dass der Grund für eine Sucht ganz primitiv ist und immer dasselbe dahintersteckt.
Begierde.
Egal, ob es uns nach Erfolg, Schönheit, Essen, Alkohol, Drogen, Nikotin oder Sex verlangt, wir wollen dabei immer die Euphorie erfahren, die diese Faktoren begleiten, und das ist es, wonach wir süchtig werden. Der eigentliche Schlüsselreiz, der sogenannte »Trigger«, ist bei jedem Menschen ein anderer, doch am Ende wollen wir alle nur eins: glücklich sein. Und in den meisten Fällen führt Verlangen zu positiven Empfindungen wie Vergnügen, Lust und Wohlbehagen.
Suchttypen übertreiben es mit ihren Süchten, bis diese unheimliche Ausmaße annehmen, aber die meisten von uns stümpern nur ein bisschen herum, um dieses Glücksgefühl, diese Euphorie zu erlangen, weil wir eben nur Menschen sind und uns danach sehnen, vergnügt bis an unser seliges Ende zu leben.
Hatte ich bereits erwähnt, dass ich wirklich gut bin?
»Dr. Mathews«, sagt Sharon mit leiser Stimme, »sollten Sie sich das nicht notieren?«
Ich nicke gedankenverloren, richte meinen Blick dann wieder auf sie. »Wieso erzählen Sie mir nicht etwas mehr über Ihren Vater«, schlage ich mit sanfter Stimme vor und schenke ihr ein leichtes Lächeln.
Fünf, vier, drei, zwei … und eins.
Genau aufs Stichwort beginnt Sharons Unterlippe zu zittern, und ihre Augen füllen sich mit Tränen.
»Da gibt es nichts zu erzählen«, erklärt sie, verschränkt die Arme vor ihrem üppigen Busen und beißt sich auf die Lippe, um die Tränen zurückzuhalten.
»Wie würden Sie Ihre Beziehung zu ihm beschreiben?«, hake ich nach und schlage dabei beiläufig die Beine übereinander, um meine sich anbahnende Erektion zu verbergen, und versuche, nicht auf ihre Titten zu starren.
»Gut.« Sie schnieft, sinkt in sich zusammen, und ihr hellrotes Haar verbirgt ihre Tränen.
Wir haben alle unsere Trigger, und sehr viel öfter, als ich zugeben mag, ist der fehlende Vater bei übergewichtigen Frauen genau dieser Auslöser. Ich werde niemals begreifen, warum sie Essen als Trostspender benutzen, aber möglicherweise füllen sie bei ihren Fressattacken ein Loch – und das meine ich im buchstäblichen Sinne.
Also, wie schon gesagt, der eine oder andere wird mich einen Scheißkerl nennen, denn wenn’s haufenweise Probleme mit Daddy gibt, bedeutet das für mich immer eins: zu versuchen, die perfekte Vaterfigur zu finden, um diese lieblose Leere zu füllen. Diese Frauen suchen unbewusst nach ihrem zukünftigen Partner und benutzen dabei ihre Arschlöcher von Vätern als Blaupause für das, was sie in einem Lebensgefährten zu finden hoffen. Oder in manchen Fällen … in einem Fick.
Mit einem Mal zeigt mein Schwanz großes Interesse an Sharon Witherstone. Zugegeben, sie mag gut zwanzig Kilo zu viel wiegen, aber in diesem Fall übernimmt mein Schwanz die Führung, denn wie schon gesagt, wir alle haben einen Trigger, und auch ich möchte wie jeder andere Mensch glücklich sein – vorzugsweise bis ans Ende meiner Tage. Und in diesem Moment würde es mich sehr glücklich machen, wenn ich Sharon über meinen Schreibtisch gebeugt von hinten nehmen und sie bis zur Besinnungslosigkeit vögeln könnte.
Ich mag zwar einen Wisch von der Uni besitzen, der mich dazu berechtigt, die Probleme anderer Leute zu lösen, doch was meine eigenen angeht, so bin ich ein hoffnungsloser Fall. Ich bin ein Arschloch, und jeden Tag verliere ich mehr und mehr aus den Augen, wer ich einmal gewesen bin.
Aber ich bin kein totaler Scheißkerl, und ich gebe Frauen wie Sharon Witherstone ein gutes Gefühl, denn Sex ohne emotionale Bindungen ist so viel leichter als … etwas zu empfinden.
Ich lege meinen Notizblock auf die Armlehne, stehe langsam auf und blicke auf Sharon hinab, wobei ich ihr ein Lächeln schenke, von dem ich weiß, dass es ihr Höschen innerhalb von Sekunden feucht werden lässt. Sie sieht zu mir auf, und ich kann die Verwirrung in ihren smaragdgrünen Augen sehen. Doch ihr Blick wandert an meinem gestählten Körper herab, und ihre Verwirrung verwandelt sich in … Verlangen.
Ihr ganzes Verhalten ändert sich, und heraus kommt Daddys kleines Mädchen, als sie auf ihrem Platz hin und her rutscht und provozierend die Brust herausstreckt. Eigentlich ist es zu leicht, aber ich hab’s lieber leichter, als mich ins Zeug zu legen und mein inneres Gleichgewicht aufs Spiel zu setzen, bloß um dann feststellen zu müssen, dass die eigene Verlobte mit dem besten Freund schläft.
Das hier ist sehr viel leichter.
»Lieben Sie Ihren Vater?«
»Nein, ich hasse ihn«, gesteht sie mit einem verführerischen Flüstern und beißt sich auf die Lippe.
»Ach ja? Können Sie mir sagen wieso?« Ich setze mich neben sie auf das Ledersofa und stelle dabei sicher, dass unsere Knie nur wenige Zentimeter voneinander entfernt sind.
»Weil er meine Stiefmutter mehr liebt als mich«, erwidert sie, und ihr lustvoller Blick ist auf meinen Schritt gerichtet, wo meine Erektion zweifellos an der Erhebung in meiner gebügelten Hose zu sehen ist.
»Tut mir leid, das zu hören«, murmele ich sanft. Auch wenn ich kein Wort davon ernst meine. »Das muss hart für Sie sein.«
»Ja, das ist es. Sehr hart.« Sie nickt, und ich spüre, wie ein einzelner Finger an meinem Oberschenkel in Richtung meines Schritts hinaufgleitet.
Ich öffne bereitwillig die Beine und frage: »Glauben Sie, dass das der Trigger für Ihre Sucht gewesen ist?«
»Was soll ich da sagen, Dr. Mathews? Wenn ich etwas Köstliches sehe, dann kann ich einfach nicht widerstehen«, säuselt sie mit heiserer Stimme, während ihre Finger um meinen sich wölbenden Hosenstall tanzen.
»Nun«, flüstere ich, auch wenn ich weiß, dass ich dafür in die Hölle kommen werde, »manchmal ist es in Ordnung, Ja zu sagen.«
Und mehr Trigger benötigt Ms. Witherstone gar nicht. Ihr Kopf taucht in meinen Schoß ab, während sich ihre Finger an meinem Reißverschluss zu schaffen machen.
Als sich ihr warmer hungriger Mund um meine rot glühende Erektion schließt, schließe ich angewidert die Augen. Es widert mich an, dass ich diese Frau benutze, ohne die Absicht zu hegen, sie jemals wiederzusehen. Allerdings habe ich ja nie behauptet, der Held dieser Geschichte zu sein oder auch nur der gute Kerl darin.
Aber wer will schon gut sein, wenn es sich so toll anfühlt, böse zu sein?
2
Innere Schönheit
Dixon
Beim Griff nach dem Sakko, das über der hohen Rückenlehne meines Ledersessels hängt, muss ich mich zusammennehmen, um nicht zurückzuzucken, als dabei mein Blick auf den verrutschten Papierkram auf meinem Schreibtisch fällt. Erinnerungen an Ms. Witherstone werden wach, die ihr Gesicht auf die Arbeitsplatte meines Mahagoni-Schreibtischs drückt, während ich sie von hinten vögele, und ich gehe schnurstracks auf den Ausgang zu, ehe ich mich noch übergeben muss.
Als ich die Tür abschließe, sehe ich, dass meine Sprechstundenhilfe, Susanna, noch da ist.
»Ms. Vale, Sie hätten doch eigentlich schon vor Stunden nach Hause gehen sollen«, ermahne ich sie, da es inzwischen bereits halb acht ist.
»Ach, das ist schon in Ordnung. Leroy ist mit Freunden beim Angeln, und da macht es mir nichts aus, so lange zu arbeiten«, erwidert sie mit einem Nicken, und ihr graues Haar wippt bei der Bewegung.
Susanna Vale hätte eigentlich schon vor einigen Jahren in Rente gehen sollen, aber sie erklärt mir immer wieder, dass sie noch nicht bereit ist, ihren Beruf endgültig an den Nagel zu hängen. Und weil sich eine so gute Kraft wie sie nur schwer finden lässt, versuche ich es ihr gar nicht erst auszureden.
»Vergessen Sie nur nicht, die Überstunden zu notieren. Ich werde dafür sorgen, dass Nancy sie bezahlt.«
»Ach, Dr. Mathews«, protestiert sie und macht eine wegwerfende Bewegung mit ihrer runzeligen Hand, »seien Sie nicht albern. Wer soll denn sonst dafür sorgen, dass Sie zu einer annehmbaren Zeit Schluss machen?«
Ich schenke ihr ein leichtes Lächeln, denn sie hat ja recht. Susanna hat mich schon häufiger zu unchristlichen Zeiten nach Hause geschickt, aber was erwartet mich da schon? Ich kehre regelmäßig in eine leere Eigentumswohnung in Manhattan zurück, die mich viel zu sehr an sie erinnert. Selbst nach einem Jahr spüre ich ihre Anwesenheit dort noch, ganz so, als würde das, was ihr Wesen ausmacht, immer noch in den Wänden leben.
Ich schüttele die unliebsamen Erinnerungen ab und lasse mir nichts anmerken, schließlich soll niemand mitbekommen, dass ich meiner Verflossenen noch immer nachtrauere. »Wenn Sie nur zehn Jahre jünger wären«, scherze ich und zwinkere ihr zu.
»Ach, hören Sie doch auf«, entgegnet sie und bugsiert mich zur Tür hinaus. »Sehen Sie zu, dass Sie etwas essen, Sie haben heute Mittag durchgearbeitet.«
Bei der Bemerkung erbleiche ich, da meine Mittagspause irgendwie doch mit Essen zu tun gehabt hat, nur eben keine herkömmliche Mahlzeit gewesen ist. Und mit diesem verabscheuungswürdigen Gedanken verabschiede ich mich rasch von meiner Sprechstundenhilfe und nehme den Aufzug ins Erdgeschoss.
Ich treffe mich mit meinen beiden besten Freunden, Finch und Hunter, in einer Bar in der Nähe. Wir waren einst zu viert, aber das war in einem anderen Leben, als ich noch an Treue und Liebe geglaubt habe.
»Hier kommt Mr. Richie Rich«, ertönt Hunters laute, nervige Stimme von der anderen Seite des Raums.
Das sagt mir wenigstens, wo er sitzt, auch wenn ich das im Grunde bereits wusste, weil er hier eigentlich zum Inventar gehört.
»Meine Fresse«, flucht er laut und kneift die Augen zusammen. »Da hat heute mal wieder einer rumgevögelt.« Er hebt sein Budweiser zum Gruß in die Höhe, während Finch in sich hineinlacht.
»Wieso schreist du nicht noch lauter? Ich glaube, unsere Nachbarn in New Jersey haben dich noch nicht gehört.« Ich versetze ihm einen scherzhaften Klaps auf den Hinterkopf.
Im Setzen hebe ich die Hand, um die hübsche Blondine hinter der Bar auf mich aufmerksam zu machen, die gerade einen Cocktail mixt. Sie blinzelt mir zu.
»Wer war denn die Glückliche?«, erkundigt sich Finch, neben dem ich Platz genommen habe und der mir nun seinen spitzen Ellenbogen in die Rippen stößt.
»Kann mich nicht mehr erinnern.« Ich greife nach seinem Glas und nehme einen Schluck. »Igitt, wo ist denn der Rum?«, frage ich hustend und muss angesichts der verwässerten Cola ein Würgen unterdrücken.
Finch lacht und dreht lächelnd seinen goldenen Ehering am Finger. »Ich muss mich morgen früh um Gabriella kümmern. Heidi hat irgendeinen Termin mit ihrem Mütterklub, deshalb habe ich Babydienst.«
Ich nicke, denn das ist es, was ein verantwortungsvoller Vater tut, auch wenn er mit seinem ungebundenen, wild in der Gegend herumvögelnden Freund verabredet ist, der beabsichtigt, sich zu betrinken und seine Sorgen in einer Flasche Jack Daniel’s zu ertränken, die zwischen die Titten einer blonden Kneipenhockerin gerammt ist. Genau so sieht ein typischer Freitagabend für mich aus, während Finch, der seit zwei Jahren mit Heidi, seiner großen Liebe, verheiratet ist, auf Alkohol verzichtet und nach nur einem Glas mit seinen besten Kumpels nach Hause zu seiner heißen, ihn liebenden Ehefrau verschwindet, um mit ihr umwerfenden, irren Sex zu haben.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf greife ich an ihm vorbei und schnappe mir Hunters Bier.
»Du siehst scheiße aus«, stellt der fest, und sosehr ich auch seine Ehrlichkeit zu schätzen weiß, bin ich doch im Augenblick nicht in der Stimmung dafür.
Obwohl ich kein Wort darauf erwidere und sofort dichtmache, lässt er nicht locker. »Es ist jetzt ein Jahr her, Alter.« Er hält einen Finger in die Höhe für den Fall, dass ich ihn nicht verstanden habe, aber das habe ich. Klar und deutlich.
»Ich will nicht darüber reden«, sage ich mit einem energischen Kopfschütteln und trinke den Inhalt des gestohlenen Bierglases in einem Zug aus.
»Wir machen uns bloß Sorgen um dich«, stimmt Finch mit ein, und seine Augen nehmen einen weichen Ausdruck an, als er meinen emotionalen Rückzug registriert.
»Mir geht’s gut«, erkläre ich. Ich brauche nur unbedingt noch was zu trinken.
Ich versuche die Barfrau herbeizuwinken, aber der Laden hat sich mit einem Mal gefüllt, und sie kümmert sich um andere durstige Gäste.
»Willst du, dass dir irgendwann der Schwanz abfällt?«, fragt mich Hunter, und sein unordentliches blondes Haar fällt ihm in die Stirn, als er nickt, um damit die Ernsthaftigkeit seiner Frage zu unterstreichen.
»Wie bitte?«, sage ich und kann mir angesichts seiner Melodramatik ein Lächeln nicht verkneifen.
»Du hast mich schon verstanden.« Er lehnt sich nach vorn, und sein hünenhafter Körper kommt Finchs schmaler Gestalt bedrohlich nah.
»Nein, Hunter, ich möchte nicht, dass mir der Schwanz abfällt. Komm endlich zur Sache«, erwidere ich und verdrehe dabei die Augen.
»Tja, genau das wird aber passieren, wenn du weiter so rumbumst.«
»Das wage ich zu bezweifeln«, entgegne ich spöttisch, aber Finch, der Hunter offenbar zustimmt, nickt.
»Die Mädels lassen gleich ihre Höschen fallen, wenn du ihnen mit deinen großen himmelblauen Augen einen Blick zuwirfst. Sie machen’s dir einfach zu leicht, und deshalb entwickelst du dich zu New Yorks größtem Aufreißer«, verkündet Hunter, und es kotzt mich an, wie richtig er damit liegt.
»Seit wann bist du denn so ein Weichei?«, blaffe ich und kneife die Augen zusammen. »Von ihm hätte ich’s ja erwartet …« Ich deute mit dem Kopf in Finchs Richtung. »Nichts für ungut«, füge ich hinzu, und er zuckt mit den Schultern, nicht im Mindesten beleidigt.
»Aber du? Soweit ich weiß, hast du doch selbst kein Problem damit, rumzubumsen. Also lass diesen selbstgefälligen Scheiß.«
Zugegeben, ich werde ziemlich schnell sauer, aber wenn mir ausgerechnet Hunter mit Ratschlägen kommt, der wirklich der Letzte ist, der mir in dieser Hinsicht Vorhaltungen machen sollte, dann kann ich schon mal die Beherrschung verlieren. Ich kenne die Jungs schon fast mein ganzes Leben. Wir haben alles zusammen gemacht. Und daher weiß ich auch, was wir bereits alles verbrochen haben – insbesondere Hunter.
Finch dagegen ist unsere Stimme der Vernunft. Er hat uns schon des Öfteren mit seiner Besonnenheit aus der einen oder anderen brenzligen Situation gerettet. Aber Hunter hat sich immer schon einen Dreck um gesellschaftliche Konventionen geschert.
Ich liebe diese beiden Schwachköpfe wie Brüder. Sie haben mich schon von meiner schlimmsten Seite erlebt und bis jetzt nicht ein einziges Mal deshalb verurteilt.
»Was soll denn das Kreuzverhör überhaupt?«, frage ich, nachdem ich mich einigermaßen abgeregt habe.
Finch senkt nervös den Blick. Ich habe immer noch keinen Schimmer, was hier eigentlich los ist.
Als Hunter meine Verwirrung bemerkt, versucht er Klarheit zu schaffen. »Wir machen uns Sorgen, Alter. Nächste Woche ist doch … du weißt schon.«
»Nein, weiß ich nicht. Bist du high?« Ich lockere meine marineblaue Krawatte, die mir plötzlich die Luft abzuschnüren droht.
Finchs Lippen verziehen sich zu einer schmalen Linie, was niemals ein gutes Zeichen ist.
»Spuck’s schon aus, Finch.«
»Bald ist der 13.«, erwidert er und sieht mir endlich in die Augen.
»Richtig. Und?«, antworte ich mit einem ratlosen Schulterzucken.
»Oh, Mann«, sagt er seufzend, und ich vermag das Mitleid in seiner Stimme zu hören. »Das wäre dein erster –« Er verstummt mit einem Mal, will es nicht laut aussprechen.
Mein erster was?
Ach du Scheiße, darum geht es hier! Vor einem Jahr wollte ich eigentlich die Liebe meines Lebens, Lillian Davis, heiraten. Bei dem bloßen Gedanken an sie würde ich mir am liebsten das Hirn mit einem Eisportionierer herausschaufeln.
Wenn ich daran glauben würde, dass es für jeden Menschen einen Seelenverwandten gibt, dann wäre Lily wohl meiner. Wir haben uns vor drei Jahren in einer Warteschlange bei Starbucks kennenglernt, und es war Liebe auf den ersten Latte macchiato. Schon bald habe ich ihr einen Heiratsantrag gemacht, weil wir glücklich waren und bereit, den nächsten Schritt zu tun. Nun, zumindest war ich es. Aber ich dachte, es ginge ihr genauso, bis sie meinen Kumpel Leo kennenlernte.
Leo ist auch gemeinsam mit Hunter, Finch und mir in New Jersey aufgewachsen und genau wie wir in den Big Apple gezogen. Doch für Leo hatte unsere Freundschaft offenbar nicht die gleiche Bedeutung wie für mich, denn er hat Lily monatelang hinter meinem Rücken gevögelt.
Lily hat mich sechs Wochen vor dem Hochzeitstermin sitzen lassen, weil sie sich in Leo verliebt hatte. Ich vermochte die Worte nicht zu akzeptieren, als sie ihr über die Lippen kamen, aber als sie mir den Grund für ihre kürzliche Gewichtszunahme nannte, da war mit einem Mal alles glasklar. Sie hatte sich nicht nur in meinen besten Freund verliebt, sondern war auch von ihm schwanger. Ich wusste, dass das Kind nicht von mir war, weil wir über drei Monate nicht mehr zusammen geschlafen hatten. Ich weiß, ich weiß, ich hätte die Warnsignale erkennen sollen, aber Liebe macht nun mal blind und der ganze Scheiß.
Danach hätten die Dinge nicht klarer sein können.
Sie gab mir die Schuld an ihrer Untreue, weil ich nie Zeit für sie gehabt und meine Arbeit immer an erster Stelle gestanden hätte. Ja, meine Arbeit hat an erster Stelle gestanden, aber nur, damit ich ihr einen Diamantring mit drei Karat an den Finger stecken und die großzügige, exklusive Eigentumswohnung in Manhattan kaufen konnte, auf der sie bestanden hatte.
All das habe ich für sie getan. Und sie hat es mir damit gedankt, dass sie meinen besten Freund vögelte und sein Balg zur Welt brachte.
Also habe ich mich ein bisschen ausgetobt, als sie mich verlassen hat.
Aber dieser Lebensstil ist nicht mehr länger nur eine Phase – so bin ich, und ich stehe dazu. Ich bin süchtig nach diesen sinnlosen, schamlosen sexuellen Abenteuern mit weiblichen Zufallsbekanntschaften, weil ich hoffe, dadurch das Gesicht der einen Frau ersetzen zu können, die mir das Herz gebrochen und aus dem Mann, der ich einst gewesen bin, ein seelisches Wrack gemacht hat.
Diese One-Night-Stands, die ja manchmal nicht einmal eine Nacht lang währten, verloren allerdings so langsam ihren Reiz, und ich fürchte, dass ich eines Tages aufwachen und beim Blick in den Spiegel die Person nicht mehr erkennen werde, die mich darin anstarrt.
Das also ist kurz zusammengefasst mein Leben. Ich esse, schlafe, arbeite und vögele, weil ich anders nicht überleben kann. Es ist ein trauriges, jämmerliches Leben, aber immer noch besser, als sich nach einer Frau zu verzehren, der man scheißegal ist.
Ich kehre mit einem Ruck in die Gegenwart zurück, wappne mich innerlich und tue so, als sei ich die Gleichgültigkeit in Person: »Was soll’s. Ich bin drüber weg. Das mit Lily ist doch schon ewig her.«
Finch runzelt die Stirn, während Hunter meine Behauptung gleich mal in gewohnt provokanter Manier auf die Probe stellt. »Na, wenn das so ist, dann hast du ja auch kein Problem damit, wenn ich dir erzähle, dass Leo, der Arsch, und Lily, die Schlampe, nächsten Monat heiraten werden.«
»Verdammt, Hunter!«, schimpft Finch und schüttelt den Kopf.
»Was denn? Wenn er über sie hinweg ist, dann sollte es doch wohl kein Problem sein, ihm das zu sagen«, erklärt Hunter mit einem Schulterzucken.
Seine Art und Weise, mir diese Neuigkeit beizubringen, macht mir weniger zu schaffen als der Inhalt seiner Worte.
»Sie heiratet den Arsch?«, fauche ich entrüstet, doch viel schlimmer ist, wie verletzt ich mich dabei fühle.
Was hat dieser Kerl, was ich nicht habe? Ich schlucke meinen Schmerz und meine Abscheu hinunter. Ich muss so schnell wie möglich die Fliege machen, bevor ich austicke.
»Dixon«, sagt Finch leise, aber ich will sein Mitleid nicht.
Ich wische mir mit dem Handrücken den Mund ab, nachdem ich mein lauwarmes gestohlenes Bier ausgetrunken habe, und hoffe, dass meine Freunde verstehen werden, warum ich eine Minute für mich allein brauche, als ich vom Tisch aufstehe.
»Ich geh mal eine rauchen«, sage ich und klopfe mein Sakko auf der Suche nach meinen Zigaretten ab.
Glücklicherweise lassen es die Jungs dabei bewenden und machen keinen Aufstand, als ich mir einen Weg durch die Menge bahne. Draußen angekommen zünde ich mir mit zittrigen Fingern eine Marlboro an und nehme einen dringend benötigten tiefen Zug, als ich mich gegen die Backsteinwand lehne.
Es wäre eine Lüge zu behaupten, ich hätte nie an Lily gedacht, denn ich denke öfter an sie, als ich eigentlich zugeben möchte. Ich träume längst nicht mehr von einer Versöhnung, aber tief drinnen wünsche ich mir, dass ihre Beziehung zu Leo in die Brüche geht.
Mein Leben ist ein einziges Chaos, und der einzige Mensch, mit dem ich darüber reden könnte, ist tot.
Meine Mutter ist vor einem halben Jahr an Brustkrebs gestorben, und mein Vater hat sich von dem Verlust nicht mehr erholt. Er hatte einen Nervenzusammenbruch und lebt nun im Sunnyfields Hospital. Was für eine Ironie, nicht wahr? Dixon Mathews, New Yorks bester Psychiater, kann nicht mal seinem eigenen Vater helfen.
Ich nehme mechanisch einen weiteren Zug von meiner Zigarette, während ich mich in der Vergangenheit verliere – einem Ort, an dem ich lieber nicht sein möchte. Und daher ist es eine willkommene Ablenkung, als ich zu meiner Linken die aufgebrachten Stimmen eines Paares vernehme.
Ich drehe mich um, um zu sehen, was die ganze Aufregung soll, und erblicke eine kleine Brünette, die von einem gedrungenen, athletischen Kerl unsanft an den Oberarmen gepackt wird. Sie ist wirklich winzig, und er wird sie mit seinen Riesenpranken noch entzweibrechen.
»Lass mich los«, sagt sie finster und versucht sich aus seinem Griff zu befreien.
Ich gebe ihr die volle Punktzahl für ihre Bemühungen, denn es scheint so, als würde sie sich tapfer schlagen. Aber dieser Mistkerl ist an die fünfzig Kilo schwerer als sie.
Ich schnipse meine Kippe in den Rinnstein und entscheide mich einzuschreiten, denn es ist ziemlich offensichtlich, dass sie versucht, von ihm wegzukommen. Ihr Blick schnellt zu mir herüber, als ich noch ein paar Meter entfernt bin, und ihre ängstlichen grünen Augen flehen mich an, ihr zu helfen.
»Wie wär’s, wenn du sie loslässt«, sage ich mit fester Stimme, und der Orang-Utan wendet sich mit einem großspurigen Lächeln in meine Richtung.
»Und wie wär’s, wenn du dich um deinen eigenen Scheiß kümmerst, Opa«, erwidert er mit einem Südstaaten-Singsang.
Opa?
Dieser pubertierende Vollidiot kann mich mal!
»Wie wär’s, wenn du dich ein bisschen benehmen würdest? Lass die Frau los.«
»Oder was?«, sagt er angriffslustig, lockert dabei aber glücklicherweise seinen Griff.
»Oder ich rufe die Polizei, denn so wie ich das sehe, sind diese Abdrücke auf ihren Armen« – ich deute auf ihren Bizeps, als er sie loslässt – »ein eindeutiges Indiz dafür, dass du ein verdammter Mistkerl bist, der gern Frauen schlägt, um sich wie ein Mann zu fühlen. Was ist los?«, setze ich spöttisch hinzu. »Mimst du etwa hier den Starken, weil du zu kompensieren versuchst, wo du schwächelst?« Ich halte meinen kleinen Finger in die Höhe.
Die Kleine kichert, legt aber rasch die Hand auf ihren Mund und verstummt, als sich der Mistkerl zu ihr umdreht und sie wütend anfunkelt.
»Ach, komm schon, es gibt doch Pillen, die du gegen deine Wut nehmen kannst, und auch welche für dein kleines Problem«, flüstere ich mit einem sarkastischen Tonfall und deute auf seinen Schritt.
Sein Gesicht wird puterrot, und ich muss unwillkürlich lachen. Wenn man die Männlichkeit solcher Typen infrage stellt, hat das immer die gewünschte Wirkung. Er mustert mich von Kopf bis Fuß, und ich sehe ihm an, wie ihm klar wird, dass er’s mit mir nicht aufnehmen kann. Dieser Typ hat sich mit zu vielen Steroiden vollgedröhnt, und seine lächerlich aufgepumpten Muskeln sind nur Show.
»Also, wie wär’s, wenn du der Welt einen Gefallen tust und dich verpisst? Reagier dich irgendwo mit einem Foto von deiner Mutter ab.«
Dieses Mal lacht die Kleine schallend, und dieser Klang hat etwas Magisches an sich.
»Fick dich«, knurrt mich der Mistkerl an und zieht beleidigt ab.
Wir schauen ihm beide hinterher, wie er mit zu Fäusten geballten Händen, die rechts und links von seinem Körper herabhängen, um die Ecke verschwindet, und als ich sicher bin, dass er nicht wiederkommt, wende ich mich der Frau vor mir zu.
Während meiner Schimpfkanonade ist mir gar nicht aufgefallen, dass sie total heiß ist. Sie ist blutjung – ich schätze sie auf Anfang zwanzig –, aber so was von wunderschön! Sie hat große grüne Augen und langes braunes Haar, das ihr glatt über die Schultern hängt. Ihre vollen Lippen tragen das hübscheste Rosa, das ich je gesehen habe, und als sich ihr Mund zu einem scheuen Lächeln verzieht, da weiß ich, dass ich sie wie ein gruseliger alter Perversling anstarre.
Ich fange mich rasch wieder und frage: »Alles in Ordnung?«, wobei mein Blick auf ihre Arme gerichtet ist.
Sie schlingt ihre schmalen Finger um ihren linken Bizeps, als versuche sie die roten Fingerabdrücke zu verbergen. »M-mir geht’s gut«, stottert sie wenig überzeugend, nimmt sich dann aber zusammen. »Mir geht’s wirklich gut. Danke, dass du mir geholfen hast.«
»Oh, keine Ursache.« Ich bin ganz fasziniert davon, wie sie mit ihren wunderbar geraden Zähnen auf ihrer Unterlippe herumkaut, was sie keineswegs mit Absicht tut.
Sie flirtet nicht mit mir und legt es auch nicht darauf an, mich rumzukriegen, und zum ersten Mal seit langer Zeit bin ich sprachlos. Dieses heiße, unschuldige Mädel ist genau das: ein heißes, unschuldiges Mädel ohne irgendwelche Hintergedanken und Erwartungen, wohin uns diese seltsame und dennoch elektrisierende Begegnung führen könnte.
Ich hatte ganz vergessen, wie Unschuld aussieht – ist das nicht traurig?
»Mein Name ist Madison«, sagt sie, streckt mir die Hand hin, und meine große Hand lässt die ihre winzig erscheinen, als ich sie schüttele.
»Dixon«, erwidere ich mit einem Lächeln, das nicht aufgesetzt ist.
»Kommt es öfter vor, dass du den Helden spielst und einer Frau in Not zu Hilfe eilst?«
»Ist ein Hobby von mir«, entgegne ich mit einem lässigen Schulterzucken, und Madison lacht.
»Nun, Dixon, ich danke dir, dass du mir geholfen hast.« Ich nicke und lasse ihre Hand los, die ich zu meinem großen Erstaunen immer noch schüttele.
»Immer wieder gern! Geht es dir auch wirklich gut?«, frage ich, da ich bemerke, wie sie für einen Moment erschauert.
»Aber ja. Hunde, die bellen, beißen ja bekanntlich nicht.« Mir fällt auf, dass sie nicht näher ausführt, wer ihr Angreifer ist.
Ich würde gern noch mehr sagen, doch ausnahmsweise fehlen mir, dem erfolgreichen Seelenklempner und geborenen Charmeur, einmal die Worte. Und der Grund dafür ist, dass ich so ein Gefühl habe, Madison würde mich durchschauen und als den Hochstapler entlarven, der ich nun einmal bin.
»Maddy? Bist du da draußen?«, ertönt eine besorgte Stimme hinter uns.
Wir drehen uns beide um, und ich verspüre urplötzlich den Drang, mir an die Nüsse zu fassen, denn ein flammender Rotschopf kommt auf uns zugestürmt. Die Frau starrt mich zornig an, ehe sie sich Madison zuwendet.
»Alles in Ordnung bei dir?«
Madison nickt.
»Alles okay«, erwidert sie und wirft mir ein Lächeln zu, als sie in meine Richtung deutet. »Das hier ist Dixon.«
Ihre Freundin sieht mich an, mustert mich unverhohlen von Kopf bis Fuß, ignoriert mich aber ansonsten und fragt Madison: »Wo ist der Idiot hin?«
Sie hat Mumm, das gefällt mir.
Madison streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr und runzelt die Stirn. »Oh, er hat sich verzogen. Dixon hat die Lage gerettet«, gesteht sie und wirft mir ein schüchternes Lächeln zu.
Ihre Freundin schaut erneut zu mir herüber, und dieses Mal erweckt sie nicht den Eindruck, als wolle sie mir bei lebendigem Leibe die Haut abziehen. »Tja, in dem Fall freut es mich, dich kennenzulernen, Dixon«, sagt sie und winkt mir kurz zu.
»Geht mir auch so«, entgegne ich. »Es war wirklich nicht der Rede wert. Ich war lediglich zur richtigen Zeit am richtigen Ort.«
Oder zur falschen Zeit, denn je näher ich mir Madison betrachte, desto faszinierter bin ich von ihr. Was ist nur mit mir los?
»Trotzdem vielen Dank, dass du auf meine Freundin aufgepasst hast.«
Ich nicke ihr kurz höflich zu. Ihre Fürsorglichkeit gegenüber Madison erinnert mich an meine Freundschaft mit Hunter und Finch. Madison ist es zweifelsohne wert, beschützt zu werden. Man muss sie sich doch nur mal ansehen.
Mein Blick wandert immer wieder zu ihr hinüber, und zu meiner Überraschung erwidert sie ihn. Ihre Freundin scheint diese Blicke, die zwischen uns gewechselt werden, auch mitzubekommen, denn sie räuspert sich eine Oktave höher als nötig.
»Tja, dann sollten wir mal wieder reingehen. Unsere Freundinnen fragen sich wahrscheinlich schon, wo wir abgeblieben sind«, erklärt sie und durchbricht damit meine tranceähnliche Benommenheit.
Dixon, sei kein Trottel, sprich mit ihr. Aber was soll ich sagen? Ich habe schon so lange nicht mehr mit einem Mädel geredet; vor allem nicht mit einem Mädel, mit dem ich wirklich reden will. Ich habe vergessen, wie man sich mit dem anderen Geschlecht unterhält – und »Schneller« oder »Fick mich härter« zählt dabei nicht. Also stehe ich wie ein Idiot stumm da und lächele.
»Hat mich gefreut, dich kennenzulernen«, sagt Madison, zögert und beißt sich auf die Lippe.
»Mich auch. Pass auf dich auf!«
Ich kann gerade noch ein Stöhnen unterdrücken. Wer außer den Eltern sagt denn »Pass auf dich auf!«? Ich öffne den Mund, um einen witzigen Spruch hinterherzuschicken, allerdings wird Madison von ihrer Freundin schon Richtung Eingang gezerrt.
Aber plötzlich dreht sie den Kopf und ruft mir über die Schulter hinweg zu: »Ich arbeite in der Pony Bar. Komm doch mal vorbei, wenn du in der Nähe bist.«
Ehe ich antworten kann, ist sie verschwunden.
Was zum Teufel war das denn? Madison hat mich einfach hier auf dem Gehweg stehen lassen und damit meine Männlichkeit infrage gestellt.
Da lasse ich das erste Mädel, das mich seit einer halben Ewigkeit nicht anwidert, wie ein Schisser einfach so ziehen. Ich muss da rein und mit ihr reden. Sie muss unbedingt sehen, was für ein toller Kerl ich eigentlich bin. Aber genau das ist das Problem: Ich bin kein toller Kerl. Diese Woche habe ich vier verschiedene Frauen gevögelt, und ich kann mich nicht einmal mehr an ihre Namen erinnern. Oder an ihre Gesichter. Da ist nichts weiter als dieses fast schon übermächtige Gefühl des Bedauerns, von dem ich wünschte, ich könnte es irgendwie auslöschen. Doch das will mir einfach nicht gelingen.
Mädels wie Madison sind zu gut für meinesgleichen, und ich tue ihr wirklich einen Gefallen, wenn ich mich von ihr fernhalte. Aber sag das mal meinem Schwanz, der sich für Madison zu interessieren begann, als sie den Mund aufmachte. Klar sieht sie verdammt gut aus, was mich jedoch wirklich zu ihr hinzieht, ist die Tatsache, dass ich sie nicht als Eroberung betrachtet habe. So habe ich schon lange nicht mehr empfunden. Eigentlich seit Lily nicht mehr.
Und mit einem Mal kehren die Gedanken an sie zurück, und ich erinnere mich, warum ich überhaupt hier draußen gewesen bin.
»Hallo, mein Süßer«, schnurrt eine Stimme und katapultiert mich wieder ins Hier und Jetzt.
Als ich den Blick hebe, sehe ich die blonde Barfrau vor mir stehen.
»Hallo«, erwidere ich rasch, als ich sehe, dass sie auf eine Antwort wartet.
»Hab dich drinnen gesehen.« Sie deutet mit einer Kopfbewegung zur Bar hinüber, während sie mich abcheckt.
Ich weiß, dass ich nicht gerade hässlich bin, und wenn ich eine Tussi wäre, würde ich wahrscheinlich auch mit mir vögeln wollen. Ich bin schon immer groß gewesen, habe aber aufgehört zu wachsen, als ich einen Meter neunzig erreicht hatte. Mein dunkelbraunes Haar ist von Natur aus strubbelig, sieht aus wie ein Fake-Iro, wie mir ein Mädel, das ich mal gevögelt habe, gesagt hat, meine Augen sind blau, und da ich meistens zu faul bin, um mich zu rasieren, sind meine Stoppeln inzwischen so was wie mein Markenzeichen.
»Ach wirklich?«, frage ich und verspüre einen Brechreiz, denn ich weiß, wohin dies führt.
»Ja, wirklich«, bestätigt sie mit einem langsamen Nicken und beißt sich auf ihre mit Gloss beschmierten Lippen. »Kann ich ’ne Kippe von dir schnorren?«
»Klar.« Ich durchsuche meine Taschen und biete ihr eine an.
Als sie sich die Marlboro zwischen die Lippen schiebt, wartet sie darauf, dass ich ihr Feuer gebe. Ich versuche, nicht zurückzuweichen, als sie mir dabei einen anzüglichen Blick zuwirft und die Lippen spitzt wie ein Fisch. Meine geile Libido sagt meinem bescheuerten Hirn, dass dieses Bunny genau das ist, was ich jetzt brauche, um meine Begegnung mit der braunhaarigen Schönheit zu vergessen. Die beiden sind das genaue Gegenteil voneinander, und genau das brauche ich jetzt. Denn das hier kann ich am besten.
»Wie lange dauert deine Pause denn, Schätzchen?«
Sie klimpert mit ihren falschen Wimpern und grinst. »Fünfzehn Minuten.«
Ich beuge mich zu ihr hinab und flüstere: »Dann werde ich dafür sorgen, dass das die besten fünfzehn Minuten deines Lebens werden.«
Mehr muss ich gar nicht sagen. Sie schnippt die Zigarette mit einem verschmitzten Lächeln zu Boden, packt mich am Hemdkragen und führt mich um die Ecke, wo ich mein Versprechen einlöse.
Dies mögen die besten fünfzehn Minuten ihres Lebens sein, aber für mich sind sie alles andere als das.