Cover

DAS BUCH

Willkommen in der Welt nach der Apokalypse! Eine globale Epidemie hat einen Großteil der Erdbevölkerung in blutrünstige Zombies verwandelt, die Jagd auf die wenigen Überlebenden machen. Einer dieser Überlebenden – ein ehemaliger Soldat, der nun akribisch Tagebuch schreibt – befindet sich mit seinem Boot gerade auf Aufklärungsmission, als er vor der Küste Floridas einen Notruf empfängt. Doch an der Quelle des Signals angekommen, entdeckt er lediglich eine Leiche – und einen vierbeinigen Kampfroboter, den er Laska tauft. Dann geht ein neues Funksignal ein: vom kläglichen Rest der Kampfgruppe Phoenix, die ein Seuchen-Gegenmittel entwickelt und sich südlich von Atlanta auf dem Dach des Wachovia Tower vor den Zombie-Horden verschanzt hat. Gemeinsam mit Laska macht sich unser Soldat auf den Weg, um sie zu retten. Ist das der Beginn der letzten großen Schlacht gegen die Untoten?

DER AUTOR

J. L. Bourne, geboren in Arkansas, arbeitet hauptberuflich als Offizier der US-Marine, aber widmet jede freie Minute dem Schreiben. Seine Romanserie Tagebuch der Apokalypse hat weltweit inzwischen Kultstatus erlangt. Im Heyne-Verlag sind die Bände 1 bis 4 erschienen.

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Roman

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN

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Titel der amerikanischen Originalausgabe

DAY BY DAY ARMAGEDDON: GHOST RUN

Deutsche Übersetzung von Wally Anker

Deutsche Erstausgabe 05/2017

Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer

Copyright © 2016 by J. L. Bourne

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Animagic, Bielefeld

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN: 978-3-641-20397-9
V003

www.diezukunft.de

Ich widme diesen Roman meiner Mutter und meinem Vater, die diese Erde für immer verlassen haben.

Für diejenigen, die noch Eltern haben:

Legen Sie das Buch weg, nehmen Sie den Telefonhörer in die Hand und sagen Sie ihnen, wie sehr Sie sie lieben. Und zwar sofort.

Ich warte.

Vorbemerkung

Wenn Sie bis hierher gekommen sind, haben Sie wahrscheinlich einige Zeit auf den Seiten meiner postapokalyptischen Welt der ersten drei Tagebuch-der-Apokalypse-Romane verbracht. An erster Stelle möchte ich Ihnen – meinen passionierten Leserinnen und Lesern – dafür danken, dass Sie eine weitere Fahrkarte für einen Nonstop-Trip durch die düsteren Landschaften der untoten Apokalypse gelöst haben. Von den ersten Tagen an, seit dem Buch mit dem schwarzen Cover sind Sie mir zur Seite gestanden, und demgegenüber empfinde ich tiefe Demut.

Obwohl die Reihe vorzugsweise chronologisch zu genießen ist, möchte ich Sie auf den neuesten Stand bringen, für den Fall, dass Sie erst mit diesem Buch einsteigen.

Hier also die Drei-Minuten-Version:

Der erste Roman der Tagebuch-der-Apokalypse-Reihe versetzte uns tief in die Seele eines Armeeoffiziers und Überlebenden, der sich für das neue Jahr vornahm, Tagebuch zu führen. Der Mann hielt sich an seinen Vorsatz und zeichnete fortan täglich den Verlauf des Untergangs der Menschheit auf. Wir erleben den Übergang von einem Leben, wie Sie und ich es führen, hin zu einem fortwährenden Kampf gegen die überwältigenden Horden der Untoten. Wir erleben, wie er leidet, sind dabei, wenn er Fehler begeht, und können bezeugen, wie er sich entwickelt.

Während unser Protagonist zahlreiche Prüfungen und erhebliche Mühsal über sich ergehen lassen muss, flüchten er und sein Nachbar John vor der durch die Regierung abgesegneten atomaren Vernichtung von San Antonio, Texas. Sie schaffen es, sich auf einem Dock im Golf von Mexiko kurz vor der texanischen Küste vorübergehend in Sicherheit zu bringen. Dort empfangen sie kaum entzifferbare Funksprüche. Eine Familie, die überlebt hat – ein Mann namens William, seine Frau Janet und deren junge Tochter Laura, die letzten Überbleibsel einer einst florierenden Dorfgemeinde –, findet auf dem Dachboden ihres Hauses Zuflucht, während unzählige Untote unter ihnen auf sie lauern. Nach einer unglaublichen Rettungsaktion schließen sie sich mit unserem Protagonisten zusammen. Ihr gemeinsames Ziel heißt Überleben. Auf ihrer Suche nach Vorräten in der Umgebung stoßen sie auf eine Frau namens Tara, die dem Tode nahe in einem kaputten Auto umgeben von Ghulen gefangen ist. Nach ihrer Rettung baut sie eine Beziehung zu unserem Protagonisten auf, die sich nach und nach zu einem Liebesverhältnis entwickelt.

Die Überlebenden finden schließlich Zuflucht in einer verlassenen Atomraketenabschussbasis, die dessen längst verstorbene Besatzung Hotel 23 getauft hatte. Doch möglicherweise wird ihr Zusammenschluss in dieser neuen Welt, in der eine eigentlich harmlose Wunde den sicheren Tod bedeuten kann, nicht genügen – von den Abermillionen Untoten ganz zu schweigen.

Die Situation brachte die schlimmsten Seiten mancher Überlebender zutage …

Ohne Vorwarnung attackierte eine Gruppe Briganten, die Verlockungen des Bunkers vor Augen, das Hotel 23 unnachgiebig. Ihr Ziel: die Bewohner umzubringen, um sich die Vorräte unter den Nagel zu reißen. Sie wurden um Haaresbreite zurückgeschlagen, sodass unsere Überlebenden zumindest vorübergehend die Kontrolle über Hotel 23 behielten.

In der ersten Fortsetzung, Tagebuch der Apokalypse 2, nimmt unser Protagonist Kil Kontakt mit den Überresten der Bodentruppen in Texas auf. Als der letzte aktenkundig überlebende Offizier auf dem Kontinent findet er sich schon bald in befehlshabender Position wieder. Kurz darauf nimmt er Verbindung mit dem stellvertretenden Chief of Naval Operations – nach dem Admiralstabschef ranghöchster Offizier der US Navy – auf, der sich an Bord eines nuklear angetriebenen Flugzeugträgers im Golf von Mexiko befindet.

Kil entdeckt außerdem einen handgeschriebenen Brief, der von der Familie Davis berichtet, die sich in einem abgelegenen Flughafen in Flugreichweite von Hotel 23 verschanzt. Die Rettungsaktion endet mit der Bergung der Familie – ein Junge namens Danny und seine Großmutter Dean, eine äußerst fähige Kleinflugzeugpilotin.

Unserem Protagonisten wird ein funktionierender Aufklärungshelikopter von dem Kader des Flugzeugträgers zur Verfügung gestellt, und er und seine Mannschaft beginnen in der Umgebung von Hotel 23 nach Vorräten zu suchen. In der Mitte von Tagebuch der Apokalypse 2 erleidet er mehrere Hundert Kilometer von der Abschussbasis entfernt eine katastrophale Bruchlandung. Er trägt schwerste Verletzungen davon und ist der einzige Überlebende.

Unter lebensbedrohlichem Mangel an Vorräten begibt er sich auf den Rückweg nach Süden. Schon bald gerät er mit Remote Six aneinander, einer undurchsichtigen Vereinigung mit unbekannten Zielen, die allerdings wild entschlossen scheint, ihn zurück zum Hotel 23 zu geleiten. Auf seinem Weg dorthin stolpert er über einen afghanischen Scharfschützen namens Saien, dessen fragwürdiges Verhalten nicht gerade dazu beiträgt, seine zwielichtige Vergangenheit zu erhellen. Anfangs traut keiner dem anderen, aber letztendlich arbeiten unser Protagonist und Saien zusammen und bahnen sich unter den wachsamen Augen von Remote Six den Weg zu Hotel 23 zurück.

Remote Six befiehlt unserem Protagonisten, den noch vorhandenen nuklearen Sprengkopf auf den Flugzeugträger zu feuern. Der Befehl wird ignoriert, was einen hochtechnologischen Vergeltungsschlag gegen Hotel 23 nach sich zieht. Eine akustische Waffe in Form eines Bienenstachels, die unter dem Namen Projekt Hurrikan bekannt ist, wird von Remote Six auf das Gelände abgeworfen und lockt Legionen von untoten Kreaturen in das Zielgebiet.

Am Ende wird die akustische Waffe entschärft, aber es ist zu spät.

Eine kilometerhohe Staubwolke, aufgeworfen von der sich nähernden Megaherde, macht eine Notevakuierung unabdingbar. Es folgt eine grausame Schlacht, die sich bis zum Golf von Mexiko zieht, wo der Flugzeugträger USS George Washington auf die Überlebenden wartet, um sie an Bord zu nehmen.

Kurz nachdem unser Protagonist an Bord kommt, trifft ein Befehl der obersten Kommandoebene ein: die Direktive, zu dem Unterwasser-Schnellboot USS Virginia zu stoßen, das westlich von Panama wartet.

Im dritten Roman wird Kil zusammen mit der Kampfgruppe Sanduhr nach China geschickt, um die Ursache der Untoten-Anomalie zu untersuchen. Zur gleichen Zeit wird die Kampfgruppe Phoenix, angeführt von einem speziell ausgebildeten Soldaten namens Doc, zum Hotel 23 gesandt, um den letzten dort befindlichen atomaren Sprengkopf zu sichern. Einige der Geheimnisse von Remote Six werden aufgedeckt, ehe sie von der Kampfgruppe Phoenix vernichtet wird.

Die USS George Washington wird von Untoten ausgeschaltet und läuft vor Key West auf Grund. In der Zwischenzeit macht die Kampfgruppe Sanduhr eine atemberaubende Entdeckung in China, etwas, durch das die Menschheit gegen die überwältigende Anzahl von Untoten wieder die Oberhand gewinnen könnte. Als Kil endlich in die Arme seiner schwangeren Frau Tara zurückkehrt, erfährt er, dass kein Funkkontakt zur Kampfgruppe Phoenix hergestellt werden kann.

Die Menschheit beginnt mit dem Wiederaufbau der Zivilisation in unmittelbarer Nähe der zwei funktionstüchtigen Atomreaktoren im Flugzeugträger, aber Selbstgefälligkeit, Bequemlichkeit und leibliches Wohl bergen wenig Reize für Kil. Entdecker geben nie auf.

Also, meine treuen Leserinnen und Leser, willkommen zurück.

Setzen Sie Ihre Gasmasken auf, ziehen Sie sich Ihre Strahlenschutzanzüge an, laden Sie Ihre Geigerzähler auf, überprüfen Sie Ihre Waffen, und blättern Sie weiter.

Machen Sie sich auf etwas gefasst, denn die Untoten lauern hinter jeder Ecke.

Landgang

Tag 1

Der Strahlenschutzanzug klebte an meiner schweißnassen Haut, und mein Atem rasselte laut durch die Gasmaske. Ich befand mich dreihundert Kilometer von dem nächsten lebenden Menschen entfernt mitten im Sperrgebiet von New Orleans. Zur Zeit des Geschehens war es niemandem bewusst, aber nachdem die Regierung die Atombombe über New Orleans abgeworfen hatte, erlitt der Waterford-Atommeiler eine Kernschmelze, was die Strahlenwerte in der Gegend noch weiter in die Höhe hatte schießen lassen. Obwohl mein Geigerzähler Hintergrundstrahlungswerte jenseits akzeptabler Risiken anzeigte, lagen sie nicht allzu hoch darüber. Jedenfalls ließ ich Vorsicht walten. Meine Jacht, die Solitude, lag gute eineinhalb Kilometer von meinem Standpunkt entfernt ungefähr hundert Meter vor der Küste vor Anker.

Vor mir befand sich etwas Hochinteressantes und völlig Unerwartetes – ein der Zeit vor den Untoten entstammendes Stück hoch entwickelter Technik, das nie das Licht der Welt erblickt hätte, wenn die Toten nicht auferstanden wären, versteckt in einem Bunker. Ein großer Ballon, der an einem dünnen Kabel schwebte, markierte die Stelle wie die Kennzeichnung einer Smartphone-App. Mehr dazu später.

Vor einer Woche stolperte ich während eines Angelausflugs mit John über einen Notruf. Wir befanden uns einen Segeltag entfernt von unserem Stützpunkt in Key West. Ich verriet es ihm nicht, da ich nicht wollte, dass er wusste, dass ich die alten Remote-Six-Frequenzen checkte. Sicherheitshalber. Menschen tendieren dazu, nervös zu werden, wenn sie glauben, dass Psychopathen mit mörderischen Absichten herumlungern und sie mit atomaren Waffen oder Lärmspeeren beglücken, die dem Läuten einer Essensglocke für die Untoten gleichen. Remote Six wollte mich vor einiger Zeit schon beseitigen, aber eine Truppe Männer opferte ihr Leben, damit die Keys und unser Leben dort erhalten werden konnten.

Ich blieb bei meiner Entscheidung, John diesbezüglich im Dunkeln zu lassen, als die Solitude mit vollem Wind in den Segeln nach Hause glitt. Es gab keinen speziellen Grund dafür, außer vielleicht, dass Johns Rat normalerweise unfehlbar war und ich Angst hatte, seine Meinung darüber zu hören. Ich hatte meine Entscheidung bereits getroffen und wollte nicht, dass mich womöglich gesunder Menschenverstand davon abbrachte. Nachdem wir Fisch, Krabben und Krebse und diverses Treibgut abgeladen hatten, segelte ich die kurze Strecke zur Marina. Jan, Tara und unser Baby, Bug, warteten bereits auf mich, und John stand an der Anlegestelle, als wir ankamen und das Boot vertäuten. Obwohl Jan einen großen Teil ihres Lebenswillens durch Wills Tod verloren hatte, erholte sie sich nach und nach. Sie und John verstanden sich blendend. Mittlerweile waren schließlich auch schon Monate vergangen. Jeder hatte nur ihr Bestes im Sinn. Es schien, als ob sie glaubte, dass wir sie dafür verurteilten, wieder nach vorne zu schauen, aber genau das Gegenteil war der Fall.

Ich möchte vermerkt wissen, dass ich bereits seit einer Weile nichts mehr geschrieben habe … nun, außer vielleicht einige Messergebnisse mit Kreide auf den Rumpf der Solitude. Obwohl ich lautstark protestiert hatte, wurden meine Tagebücher nach dem Sanduhr-Vorfall beschlagnahmt und irgendwo aufs nördliche Festland geschickt, wo sie mit fast allem, was wir während der Tour mitgenommen hatten, gelesen und studiert werden sollten.

Nach der Operation Sanduhr war ich der ehrlichen Überzeugung, dass es an der Zeit war, mich zur Ruhe zu setzen und niederzulassen. Die Solitude sollte unsere neue Heimat werden. Hier wollten Tara und ich den Rest unseres Lebens verbringen und unsere Familie großziehen. An Bord waren wir in unserer eigenen Welt. Wir stellten unser eigenes Trinkwasser her und generierten anhand von Wind und Sonne unseren eigenen Strom. Die Untoten behielten die Vorherrschaft über das gesamte Festland, aber die Solitude stand unter meinem Kommando. Diese erbärmlichen Kreaturen wurden immer wieder an Land gespült und lösten Chaos in unserer wachsenden Barackenstadt aus. Das von den Atomreaktoren gespendete Licht sowie die entsprechenden Geräusche lockten sie an. Das Leben auf der Insel war wohlgemerkt nicht sicherer als auf dem Festland, wenn auch etwas entspannter. Die Alten und Kranken starben noch immer, um daraufhin reanimiert zu werden und einen in Stücke reißen zu wollen.

Trotz der Schrecken, die das Leben an Land barg, drängte Tara mich, wahrscheinlich auch aufgrund der Geburt unseres Babys, das Leben auf festem Boden in Erwägung zu ziehen. Nach langem Überlegen gab ich nach. Sie hatte recht: Das Familienleben an Bord einer Jacht war eine ziemlich innige Angelegenheit, um es gelinde auszudrücken. Vor ungefähr einem Monat war uns ein verlassenes Haus am Strand ganz in der Nähe von John und Jan aufgefallen, das sich weit innerhalb der bewachten Eingrenzung befand. Wie jeder andere auch war ich sehr auf Sicherheit bedacht. Ich ersetzte die leichte Tür mit Kartonkern zum Babyzimmer durch eine Stahltür, und Bugs Wiege bestand aus einem umgebauten Hundezwinger aus Metall. Sollte ein Ghul also bei ihr einbrechen, müsste er noch immer den schweren Käfig knacken, um sich an ihr zu vergehen.

Das war der neue Alltag. Wir sterben aus, und es lag an uns Überlebenden, den Prozess wenigstens zu verlangsamen.

Nach einer Woche an Land überzeugte ich Tara von der Tatsache, dass wir weiteren Proviant für die angehende Hurrikansaison benötigten. Als frischgebackener Vater war ich natürlich besorgt, dass wir während der folgenden paar Monate nicht genug zwischen die Zähne kriegten. Ich musste da raus und Besorgungen machen, um unseren Unterhalt zu bestreiten.

Das war zumindest der Hauptgrund dafür – wie ich mir einredete –, meine Familie zu verlassen.

Der Besitzer des Bootes in der Slipanlage gegenüber von mir sagte kein Wort, als er sah, wie ich mein Maschinengewehr, den Strahlenschutzanzug und die Gasmaske an Bord der Solitude hievte. Ich besaß genügend Konserven für ein paar Wochen, und der Wasserentsalzer funktionierte einwandfrei. Zudem hatte ich einen halben Tank Propan dabei, aber davon war mehr auf dem Festland zu haben, als ich jemals verbrauchen konnte. Millionen vorstädtischer Gärten waren mit Gasgrills bestückt, deren Tanks nur darauf warteten, abgeholt zu werden. Die Funksprüche vom Festland waren verstummt, nur hier und da empfing man einen vereinzelten Funkamateur. Die unbekannte Station, die mit uns Kontakt gehalten hatte, gab es nicht mehr, und niemand wusste, was das zu bedeuten hatte.

Als ich alleine Richtung Nordwesten in den Golf von Mexiko segelte, fand ich kaum Schlaf, da ich alle Hände voll mit Steuern und Navigieren zu tun hatte. Nur während der längeren Törns durch tiefes Wasser war ich in der Lage, mich hinzulegen, allerdings selbst dann nur in kurzen Intervallen und ausschließlich, wenn der Radaralarm angeschaltet war. Ingenieure in Key West arbeiteten an einem neuen Navigationssystem, das sich an dem alten Loran-Standard orientierte, aber es war noch längst nicht so weit, um für die Schiff- oder Luftfahrt eingesetzt zu werden. Die meisten GPS-Satelliten waren offline, einige sogar beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre aufgrund fehlender Bodenkorrekturen verglüht. Der Garmin-Kartenplotter zeigte für die Stärke des GPS-Signals unheimlicherweise eine Null an.

Je näher ich dem Land kam, desto stärker wurde das Signal des Notrufs. Mithilfe einfacher Maßnahmen suchte ich mit der Antenne meines Handsprechfunkgeräts den Horizont ab, wobei ich ständig an der Verstärkung schraubte und Signal- und Lautstärke nicht außer Acht ließ. So kam ich langsam, aber sicher der Quelle auf den Grund und steuerte direkt auf sie zu. Ich trug die Signallinien auf die Seekarten ein, die ich an Bord der Solitude hatte. Diese Linien überschnitten sich und boten mir die Möglichkeiten der Triangulierung. Je schneller das Boot, desto besser und genauer funktionierte diese Methode mit RF-Linien auf einer Karte. An Land würde ich mich nicht so schnell bewegen können. Da konnte ich genauso gut das Beste daraus machen.

Ich umsegelte eine interessante Gegend in der Größe von ungefähr zehn Häuserblocks, faltete die Karte zusammen und stopfte sie in meine Tasche. Als ich in der Ferne Land durch eine Nebelbank über dem Bug auftauchen sah, warnte mich mein Geigerzähler, dass es an der Zeit war, den mir wohlbekannten gelben Strahlenschutzanzug und die Gasmaske überzuziehen.

Ich ankerte, ruderte an Land, und es dauerte nicht lange, bis ich das erste Mal auf die Untoten traf.

Ich band mein Kajak an den Docks fest und warf meinen Rucksack und die Knarre auf die ausgeblichenen Holzdielen. Ich achtete darauf, stets eine zusätzliche Ration Wasser, Munition und Essen in einem wasserdichten Fach in meinem Beiboot mitzuführen, denn es war nicht nur einmal geschehen, dass ich mit einem furztrockenen, noch rauchenden Maschinengewehrlauf, der von meinem Rücken hing, Richtung Wasser rennen musste, nachdem ich mich einer ganzen Armee dieser elenden Dinger hatte erwehren müssen. Widerwillig kletterte ich einen Pfahl zum Kai empor und stellte mich mit meinen Strahlenschutzgummistiefeln auf die Holzdielen, wobei ich darauf achtete, nicht an den herausstehenden rostigen Nägeln hängen zu bleiben.

In meiner Maske befand sich etwas Kondenswasser, aber das störte mich nicht weiter. Ich hörte meinen Atem, mit dem ich die tödlich verstrahlte Luft durch die Filter sog. Ich schulterte meinen Rucksack und hielt das schallgedämpfte Maschinengewehr kampfbereit vor der Brust. Das war bereits mein zweiter Schalldämpfer, ein SiCo Saker. Der erste hatte rasch den Geist aufgegeben, als das Gasrohr meines Maschinengewehrs bei einer ähnlichen Exkursion auf dem Festland schmolz. Das Tauschgeschäft, um den Saker zu ergattern, war zwar ein schlechter Deal gewesen, aber eine gut funktionierende Knarre hier im Ödland ist eine gottverdammte Notwendigkeit, deren Wert nicht einmal mit Uran aufzuwiegen ist.

Langsam arbeitete ich mich den Kai entlang Richtung Festland vor. Ich spürte bereits ihre mir folgenden Augen. Durch die Maske bemerkte ich rechts eine Bewegung, tat sie aber als ein im Wind flatterndes Segel ab, das durch seine blaue Persenning lugte. Ich ging vorbei, ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, bis ich Vibrationen durch die dicken Gummisohlen meines Strahlenschutzanzugs verspürte. Schwere Fußstapfen auf dem Kai. Ohne mich umzublicken, sprintete ich davon, um genügend Distanz zwischen mich und meinen Angreifer zu bringen und mir zumindest die Chance einer Verteidigung zu verschaffen. Mein Anzug warf Falten und kratzte auf meiner Haut. Kurz vor dem Festland stolperte ich über ein vermodertes Seil und dann über eine Klampe. Ich war mir sicher, dass das Ding mir im Nacken war.

Ich riss mein Maschinengewehr herum und drehte mich, um meinem Verfolger von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen.

Der Kai war leer.

Ich hätte beinahe auf einen Geist geschossen, den ein Teil meiner Seele aus einer Dimension kurz vor oder hinter der unseren wahrgenommen hatte.

Nach Luft keuchend raffte ich mich auf und setzte einen Fuß auf Land – das erste Mal, seitdem ich im südlichen Florida Intensivstationen für Neugeborene nach Gerätschaften abgeklappert hatte. Die Menschen (so auch ich) zeugten noch immer Kinder in Key West, aber bei Weitem nicht genug. Der Anblick der frisch zur Welt gekommenen Babys, die allein durch die auf dem von Untoten überschwemmten Festland schwer aufzutreibenden mechanischen Ventilatoren zu atmen begannen, war die Abnutzung meines Schalldämpfers wert gewesen.

Mit Land unter den Füßen hielt ich mich bedeckt und zog mein Radio hervor, um eine weitere Peilung vorzunehmen. Der Notruf stammte aus Nord zu Nordwest.

Einige Hundert Meter weiter stand ein zweistöckiges Bistro, das die Bucht überblickte. Eine Leiter an seiner Seite führte bis zum Dach.

Ein idealer Platz, um sich umzuschauen.

Da Zombies normalerweise früher oder später von Dächern stolperten, schätzte ich es dort oben als semisicher ein. Ich zog mein Magazin heraus und unterzog es einer Sichtprüfung. Blackout-300-Unterschallpatronen mit schwarzen Hartmetallspitzen. Ich drehte das Maschinengewehr, hörte eine Reihe von Klicks und vergewisserte mich so, dass der Schalldämpfer fest am Ende des Laufs meiner Knarre arretiert war. Dann studierte ich meine Route zum Müllcontainer neben der Leiter näher.

Die Untoten bevölkerten die Straßen, bewegten sich aber nicht. Sie standen einfach da, leicht gebeugt, so gut wie eingefroren. Sie schwankten ein wenig, als ob sie zu einer Melodie tanzten, die eine untote Synapse in einem urzeitlichen Lappen ihrer verwesenden Gehirne vorgab.

Der Vorteil meines neuen Strahlenschutzanzugs: Ich würde nicht daran sterben, radioaktive Partikel einzuatmen oder an meine Haut zu kriegen.

Der Nachteil: Bis man ihn eingetragen hatte, fühlte er sich an wie eine gigantische Chipstüte.

Langsam arbeitete ich mich gebückt zu dem Müllcontainer vor. Der Anzug raschelte fortwährend, sodass eine Kreatur in der Nähe – mit freiem Oberkörper und einer goldenen Kette um den Hals – zu zucken begann und den Hals seitwärts nach mir reckte. Sie hob einen Arm und gestikulierte in meine Richtung. Ehe das Ding ein Stöhnen hervorröcheln konnte, zielte ich mit meiner Knarre, bis der rote Punkt auf der Stirn leuchtete, und drückte ab.

Plop.

Radioaktiver Staub wirbelte auf, als die Kreatur in beinahe tragischer Pose zu Boden ging.

Blackout-300-Unterschallpatronen waren der Hammer, wenn es darum ging, Untote in einem Umkreis von einigen Hundert Metern aus der Welt zu schaffen. Alles darüber hinaus? Wegrennen.

Kaum fassbar, aber mein Einhundertzwanzig-Dezibel-Schuss weckte lediglich zwei weitere Zombies aus ihrem Schlummer. Ich machte auch sie kalt und bemerkte, dass die übrigen Dinger, einen Häuserblock in alle Himmelsrichtungen entfernt, weiterhin in Stase blieben – oder wie immer man ihren Zustand auch nennen wollte.

Wäre ich dazu genötigt gewesen, auf dieser Straße ohne Schalldämpfer um mich zu ballern, hätte mich innerhalb von wenigen Minuten der Zorn der Hölle verfolgt. Genau deswegen waren Sachen wie Schalldämpfer auf dem Festland mehr wert als ein Königreich.

Mit durchgedrückten Beinen schlich ich wie auf Stelzen weiter in Richtung Müllcontainer, um die Geräusche meines Anzugs auf ein Minimum zu reduzieren. Vorsichtig rollte ich den großen Metallbehälter beiseite, um Zugang zur Leiter zu erhalten, und nahm dann meinen Rucksack ab, um zwischen die Sprossen und den Rückenschutz zu passen. Auf dem Weg nach oben drang ein gedämpftes metallisches Geräusch von unten an meine Ohren, und ich spürte einen Ruck an dem Seil, an dem mein Rucksack hing.

Ich befreite mich und kletterte weiter. Mein Rucksack schaukelte einen guten halben Meter unter mir an der Leine, die ich an meinen Gürtel gebunden hatte. Als ich auf dem Dach ankam, drehte ich mich um, um ihn hochzuziehen, und warf einen Blick die Leiter hinab zu Boden.

Sie, es … war beinahe hübsch.

Es starrte mich an, als ob es den Vollmond sah. Eine ganze Weile lang reagierte es nicht. Es war einen Meter achtzig groß und trug zu einem Pferdeschwanz zurückgebundene blonde Haare, kurze Jeans und ein T-Shirt. Es war barfuß, aber aufgrund der V-förmigen Streifen an seinen Füßen wusste ich, dass es zu dem Zeitpunkt seines Todes Flip-Flops oder vielleicht Sandalen getragen hatte. Seine weißen Augen folgten meinen Bewegungen, als ich von einer Seite der Leiter zur anderen schwang.

Ich nahm den Geigerzähler aus meinem Rucksack und band ihn an einer Leine fest, ehe ich die Lautstärke voll aufdrehte. Dann ließ ich ihn die Leiter in Richtung der Kreatur hinab. Als er aus dem Schutz des metallenen Rückenschutzes baumelte, wurden meine Vermutungen bestätigt. Der Geigerzähler schlug aus, dass die Balken krachten: Die Kreatur glich einem wandelnden Kernreaktor. Ich gab noch etwas mehr Leine frei, um eine genauere Messung zu erhalten.

Das Ding griff nach dem Gerät.

Ich riss an der Schnur und zog den Geigerzähler aus seiner Reichweite wie ein Spielzeug für eine Katze. Der verstrahlte Leichnam wurde wütend und kletterte auf den Müllcontainer, ehe er langsam eine Stufe nach der andern in Angriff nahm.

Ich beobachtete ihn, gelähmt vor Schock.

Die Kreatur fletschte ihre scharfen Zähne und zischte, als sie näher kam. Ich verpasste ihr einen Schuss in den Schädel und sah dabei zu, wie sie einer Flipperkugel gleich die Leiter hinunterstürzte. Der Lärm zog zwei weitere wandelnde Untote an, aber aus ihrem fortgeschrittenen Zustand der Verwesung schloss ich, dass sie nicht verstrahlt waren und daher auch nicht wussten, wie man auf das Dach kam.

Ich benutzte meinen Feldstecher, um mir die Straßennamen anzuschauen, und suchte sie dann auf den elektronischen Karten auf meinem Tablet-PC, den ich im Rucksack mit mir führte. Offenbar befand ich mich im östlichen Teil von Perdido Key, ganz in der Nähe von Pensacola. Ein Check auf der Papierkarte, auf der der Name der Marina stand, an der ich unweit vom Dach mein Beiboot angebunden hatte, bestätigte dies.

Ich schaltete den Tablet-PC aus und steckte das von Solarzellen gespeiste Ladegerät an. Die Zellen an meinem Rucksack luden normalerweise die Batterien für mein Nachtsichtgerät, den Tablet-PC, das Funksprechgerät, den Geigerzähler und die Taschenlampe. Ich maß die Hintergrundstrahlung, nahm dann Kapuze und Maske ab, zog stattdessen eine N95-Maske über Nase und Mund und setzte eine Schutzbrille auf. Ich benutzte die Pause, um zu verschnaufen, und ließ das Kondenswasser in meiner Maske verdampfen. Hier oben auf dem Dach des Bistros hielten sich die Strahlenwerte in erträglichen Grenzen.

Ich aß zwei Dosen Wiener Würstchen und blickte mich dann vom Dach aus in alle Himmelsrichtungen um. Gen Süden erkannte ich das Radar und den Verklicker auf dem Mast der Solitude. Gen Norden befand sich ein verwahrlostes Bankgebäude – es stand kurz vor dem völligen Zerfall. Sämtliche Fensterscheiben und ganze Gebäudetrümmer waren vor langer Zeit nach außen gesprengt worden, und auf dem Bürgersteig vor dem Eingang lag eine große kreisrunde Tresortür. Die Schäden an der Bank waren alt und erzählten eine Geschichte. Verstümmelte Untote wanden sich noch immer in dem Schutt und glichen zerdrückten Spinnen in ihren letzten Zuckungen.

Eine hellblaue Tasche auf der Straße ganz in der Nähe der riesigen rostenden Tresortür bildete einen krassen Kontrast. Irgendein armes Schwein dachte wohl, dass Geld ihm einen Vorteil verschaffen oder gar das Leben retten konnte. Selbst in den Anfängen, als John und ich uns gerade getroffen hatten, war Geld das Letzte, das uns interessierte.

Laut dem Handfunkgerät und den Karten stammte der Notruf unweit von meiner jetzigen Position. Noch immer Nord zu Nordwest. Stationär. Ich hatte etwa drei Kilometer mitten durch die Stadt vor mir, und es wurde rasch dunkel. Mein Nachtsichtgerät – oder NSG – erlaubte es mir, im Finstern zu sehen, aber der Blickwinkel war eingeschränkt. Jan war unsere ansässige Krankenschwester für alles, und laut ihr und dem restlichen Medizinkader verfügten die Kreaturen über eine Art thermische Wahrnehmung, wenn auch nur im Nahbereich. Mit diesem Hintergrundwissen stand ein nächtlicher Ausflug zu den leistungsgesteigerten verstrahlten Untoten nicht an der Spitze meiner Liste von Freizeitbeschäftigungen.

Ich konnte zurück zur Solitude, um mich dort zu verschanzen, aber auch sie lag gute dreihundert Meter entfernt.

Ich traf meine Entscheidung, kletterte die Leiter weit genug hinunter, um den Müllcontainer wegzutreten, und stieg dann zurück aufs Dach, um mein Nachtlager aufzuschlagen.

Die modrigen Paletten, die neben der Belüftungsanlage des Bistros lehnten, eigneten sich hervorragend für ein kleines unscheinbares Feuerchen. Ich befand mich im sonnigen Florida, aber eine Unterkühlung konnte man sich auch hier einfangen. Im flackernden Licht des Palettenholzes überprüfte ich immer wieder meine Ausrüstung für die morgige Mission.

Zwischen dem Knistern des brennenden Holzes hörte ich die Untoten in den Straßen unter mir. Meine schallgedämpften Schüsse waren wohl doch ein wenig zu laut gewesen. Das kehlige Stöhnen und die unbeholfenen Bewegungen der Dinger vermischten sich zu einem unheiligen Dröhnen, das einem die geistige Gesundheit raubte, wenn man unachtsam wurde. Würde ich jetzt lieber in Taras Armen liegen und dem Atem meines neugeborenen Babys lauschen?

Ja.

Aber es gibt ein paar Leute hier, die so sind wie ich und sich nie wohlfühlen, bis sie sich an einem Belüftungsrohr auf einem Dach irgendwo im Ödland festklammern. Ein Teil von mir war während dieser Anomalie gestorben, genau wie die umherstolpernden Kreaturen unter mir. Ein Teil von mir ging verloren und entschwebte in den Äther, verflüchtigte sich irgendwo zwischen dem, was einst war, und dem, was jetzt jedermanns Wirklichkeit ist.

Dachdiplomatie

Tag 2

Ich wachte vor der Morgendämmerung zu den Geräuschen der entfernten Brandung und dem Wind auf. Keine Flugzeuge, Autos oder sonstiger von Menschenhand geschaffener Lärm drangen an meine Ohren. Genau wie Prypjat nach Tschernobyl war dies hier ein toter Ort. Ich setzte meine Maske auf, zog die Kapuze über den Kopf und bereitete mich darauf vor, mich in den Wahnsinn zu stürzen, der unten auf mich wartete.

Ich ließ meinen Rucksack zu Boden, um dann mit der Pistole in der rechten Hand die Leiter hinabzuklettern. Als ich auf der Straße angekommen war, ergriff ich meine M4 und überprüfte sie. Der Anblick des gelb schimmernden Messings in der Kammer beruhigte mich, und ich machte mich in Richtung des Kreises auf, den ich per Funkpeilung auf meiner Karte eingetragen hatte.

Ich hatte beinahe zweihundert Unterschallpatronen bei mir und ungefähr ein Magazin normaler Kugeln. Die leisen mit den schwarzen Spitzen an der linken Seite meiner Weste, die lauten mit den roten Spitzen an der rechten. Natürlich war es mein Ziel, so lange wie möglich so leise wie möglich zu sein, aber wenn es hart auf hart kommen sollte, würde ich zu den regulären Patronen greifen.

Ich schlich mich an Gebäuden entlang und mied die von Untoten verseuchten Straßen und Gassen. Ich konnte von Glück reden, dass ich mich nicht in der Nähe einer Großstadt befand und das Meer nicht weit entfernt war. Als die Anomalie ausgebrochen war, hatte Winter geherrscht, sodass das Seebad nicht von Touristen wimmelte.

Aber trotzdem, es war genug los. Mir sollte nicht langweilig werden.

Ich umging zwei Straßen voller wandelnder Leichen und bog dann in eine Gasse ein, in der lediglich zwei Kreaturen um einen Müllhaufen herumstolperten. Ich knipste beide aus zehn Metern Entfernung aus und nahm mir die Zeit, die leeren Patronenhülsen aufzuklauben. Währenddessen sammelte sich eine Gruppe Untoter an der Ecke, aus der ich gerade gekommen war.

Sie nahmen die Verfolgung auf.

Ich rannte die Gasse entlang, weg von dem sich nähernden Mob … aber als ich zur nächsten Straße gelangte, war ich im Handumdrehen umzingelt.

Die einzige Option war das große Backsteingebäude direkt vor meiner Nase. Ich rannte auf die Glastür zu und drehte den Knauf.

Verschlossen.

Ich erkaufte mir einige Sekunden, indem ich drei Kugeln in die mir am nächsten stehenden Ghule versenkte. Genug Zeit, um eine Fensterscheibe einzuwerfen und die Tür zu entriegeln. Ins finstere Gebäude stürzend, riss ich die Tür hinter mir zu und verschloss sie wieder. Fieberhaft stapelte ich so viel Zeug vor die Tür wie nur möglich, war mir aber im Klaren darüber, dass dies die Kreaturen nicht ewig abhalten würde. Es warteten mindestens zwei Dutzend vor der Tür. Sie hatten es auf mich abgesehen – auf den Leckerbissen im gelben Anzug, der gerade noch vor ihren Augen einen Haufen Lärm veranstaltet hatte.

Ich hatte keine Zeit, mein NSG aus dem Rucksack zu holen, und schaltete die auf meinem Maschinengewehr montierte Lampe an. Fünfhundert Lumen blitzten durch den dunklen Raum. Hinter mir zerschlugen die Untoten Fensterscheiben und rissen die Tür aus den Angeln, sodass ich in den dunklen Flur vor mir flüchten musste. Zu meiner Rechten lugte ich durch ein mit Brettern verschlagenes Fenster und sah etwas auf der Straße rennen. Von Panik ergriffen lief ich zu der ebenfalls vernagelten Glastür auf der anderen Seite des Gebäudes. Mein Herz sank in meine Hose, als ich das Vorhängeschloss samt Kette davor bemerkte. Es nützte nichts. Eine der Kreaturen traktierte bereits die Bretter auf der anderen Seite. Also ließ ich die Tür Tür sein, rannte auf die Treppe zu und nahm die Stufen im Laufschritt. Von oben fiel ein Leichnam herab, der sich offensichtlich schon länger im Gebäude befand. Er traf auf das Geländer hinter mir und lag dann gelähmt von dem Sturz auf dem Boden, streckte aber noch immer die Arme nach meinen Beinen aus. Ich ignorierte ihn und stieg weiter die Treppe empor, begleitet von den Geräuschen zerberstender Fensterscheiben und splitterndem Holz, die vom Erdgeschoss an meine Ohren drangen.

Oben angekommen stand ich vor einer roten Leiter, die an der Wand hinter einem Schreibtisch angebracht war. Ich kletterte um mein Leben und dachte an den Tower auf dem Flugplatz – aber das schien bereits Jahrzehnte zurückzuliegen. Außerdem befand sich diesmal kein Fallschirm in meinem Gepäck.

Jetzt hörte ich, wie die Untoten die Stufen emporkamen. Manche Schritte waren wesentlich schneller als andere.

Verstrahlte.

Ich befand mich auf der Leiter, drei Meter fünfzig über dem Boden, und die Lampe meines Maschinengewehrs beleuchtete das Messingschloss, das mir den Weg zum Dach versperrte. Ich riss die Waffe herum, als der erste Untote die Treppe hinaufkam und angriff. Ohne Lippen und Lider starrten mich seine starren Augen an wie die eines Alkoholikers eine Flasche Whiskey. Verzweifelt richtete ich den Lauf auf das Schloss, sodass die Spitze des Schalldämpfers es berührte. Ich riskierte den Tod durch einen Querschläger oder musste, schlimmer noch, befürchten, dass ich in die Arme des radioaktiven Dämons stürzte, der sich jetzt die Treppe hinter mir hinaufbegab. Ich zog am Hahn und verfehlte das Schloss, aber die Kugel riss ein Loch in die metallene Luke. Ein einzelner Strahl Tageslicht schien durch das .30-Kaliberloch im Stahl. Ich verspürte den krallenartigen Griff der toten Hand an meinem Stiefel und drückte erneut ab. Das Schloss flog davon, und ein kleines Stück Metall traf mich an der Stirn, genau zwischen der Maske und der Kapuze. Blut verschmierte mein Sichtfeld und spritzte zu Boden.

Der Untote unter mir rastete vollends aus.

Ich trat mit aller Kraft zu, traf auf Knochen und Zähne, und der gleich Bärenpranken starke Griff der Kreatur um meinen Fuß ließ nach. Ohne mich vorerst zu vergewissern, was mich auf dem Dach erwartete, katapultierte ich mich nach oben und warf die Luke mit meinem Hinterkopf auf. Licht strömte in die Finsternis unter mir und gab den Blick auf etwas frei, das wie unnatürliche Tiefseepflanzen aussah. Ein Ozean aus Händen streckte sich mir wie auf Kommando entgegen, als ob sie mich durch schieren Willen die Leiter hinunter in ihre Arme befehligen konnten. Ein Untoter löste sich aus der Menge der Gliedmaßen und schob die weniger agilen Kreaturen beiseite. Er blickte mit lose hängendem Kiefer zu mir auf und knurrte, ehe er sich die Stufen hinaufmühte.

Ich zielte auf das Loch unter mir und schickte das Ding zurück in den Ozean winkender Hände.

Dann warf ich die Luke hinter mir ins Schloss und hoffte, dass niemand sonst aus der Finsternis des Gebäudes zu mir hochkam. Ich war mir nicht sicher, in welchem Stockwerk ich mich befand, sah aber, dass die umliegenden Gebäude verschiedene Höhen hatten. Der Geigerzähler knatterte unentwegt vor sich hin; die Maske musste also aufbleiben. Innen war sie voller Kondenswasser, ihr Äußeres mit Blut verschmiert, sodass mein Blickfeld eingeschränkt war. Der Wind musste wohl die restliche Strahlung aus New Orleans hierher blasen.

Ich warf einen Blick auf meine Karte und nahm erneut eine Peilung. Das Signal war jetzt so stark, dass ich die Entfernung bis zur Quelle nicht mehr einschätzen konnte. Als ich die Luke hinter mir klappern hörte, packte ich meine Sachen wieder ein und warf mir das Maschinengewehr über die Schulter. Das nächstliegende Gebäude war keine zwei Meter entfernt und ein Stockwerk niedriger. Also nahm ich Anlauf, sprang und landete mich abrollend mit dem Rücken in einer Regenpfütze. Sofort blickte ich mich auf dem neuen Dach um und bemerkte, dass sämtliche Fluchtwege aus abgeschlossenen Leitern mit Rückenschutz bestanden.

In fünfzig Meter Entfernung von dem Gebäude, von dem ich gesprungen war, sah ich eine Silhouette, umringt von der grellen Morgensonne. Sie stand da wie ein Wasserspeier, die Arme schlaff an den Seiten herabhängend, und starrte über den Abgrund, der uns trennte, in meine Richtung.

Die Tatsache, dass sie nicht über den Vorsprung trat, ließ es mir eiskalt den Rücken hinablaufen.

Diese gottverdammte Strahlung. Die Wissenschaftler hatten keinen blassen Schimmer bezüglich ihrer Auswirkung auf die Untoten, ehe man sich entschied, die Raketen auf die Großstädte hinabregnen zu lassen.

Ich ignorierte die Kreatur, nahm die Karte aus meinem Rucksack und drehte mich zur Quelle des Radiosignals.

Sie schien nur noch ungefähr zwei Häuserblocks entfernt zu sein.

Ich faltete die Karte zusammen, schnappte mir das Maschinengewehr von der Schulter und drehte mich dann zu dem Leichnam um. Er war verschwunden.

Ich sah ein Kantholz, das an einem Entlüftungsschacht lehnte, und benutzte es, um zum nächsten Gebäude zu balancieren. Als ich vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzte, sah ich sie unter mir, wie sie in scheinbarem Winterschlaf auf der Straße standen. Erst als ich mich in Sicherheit auf der anderen Seite befand, erlaubte ich mir die Vorstellung, dass das Kantholz meinem Gewicht vielleicht nicht hätte standhalten können und ich ins Nichts zu den schlafenden Untoten hinabgefallen wäre. Aber es war besser, derartige Gedanken gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Jetzt war Schluss mit meiner Dächertour. Die benachbarten Gebäude waren viel zu weit weg. Ich vergewisserte mich, dass die Luft rein war, und kletterte dann eine Fallrinne an der nördlichen Seite des Gebäudes hinab – ständig begleitet von dem Knistern der übergroßen Chipstüte, die ich trug.

Gebückt eilte ich zum nächsten Versteck, einem verlassenen Krankenwagen. Mein Geigerzähler schlug aus. Der metallene Kasten strotzte nur so vor Radioaktivität. Ich hockte mich daneben und spürte, wie er ein wenig schwankte.

Etwas Totes war darin gefangen. Ich musste weiter, konnte unmöglich hier innehalten.

Ich lief auf den Perdido-Schnapsladen auf der anderen Straßenseite zu. Auf halbem Weg fiel mir etwas auf, mit dem ich nie im Leben gerechnet hätte.