Das Buch
Fast scheint es, als könnten Lilly Caul und die anderen Überlebenden im Städtchen Woodbury eine Atempause schöpfen. Die Bedrohung durch den verrückten Prediger und seine Anhänger ist abgewendet, und nun denken Lilly und ihre Mitstreiter an den Wiederaufbau von Woodbury. Geplant ist sogar, die Straße nach Atlanta wieder instand zu setzen. Bis das Team nach einem langen Baueinsatz wieder nach Woodbury zurückkehrt und nur noch brennende Ruinen und ermordete Erwachsene vorfindet – aber keine Kinder. Nur wer hat sie entführt? Und warum auf einmal, wie aus dem Nichts, diese sinnlose Gewalt? Lilly schwört Rache. Die aufreibende Suche nach den Kindern beginnt. Niemand hat jedoch die Überlebenden auf das Grauen vorbereitet. Das wahrhaft Böse wartet da draußen … und es sind nicht bloß die Untoten.
Die Autoren
Jay Bonansinga studierte Filmwissenschaften am Columbia College in Chicago und zählt heute zu den vielseitigsten Thriller- und Horrorautoren der Gegenwart. Gemeinsam mit The Walking Dead-Erfinder Robert Kirkman schreibt er die Romane zur Erfolgsserie. Jay Bonansinga lebt mit seiner Familie in Evanston, Illinois.
Robert Kirkman ist der Schöpfer der mehrfach preisgekrönten und international erfolgreichen Comicserie The Walking Dead. Die gleichnamige TV-Serie wurde von ihm mit entwickelt und feierte weltweit Erfolge bei Kritikern und Genrefans gleichermaßen.
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Jay Bonansinga
Robert Kirkman’s
The Walking Dead 7
Roman
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Titel der amerikanischen Originalausgabe
ROBERT KIRKMAN’S THE WALKING DEAD – SEARCH AND DESTROY
Deutsche Übersetzung von Wally Anker
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Deutsche Erstausgabe 07/2017
Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer
Copyright © 2016 by Robert Kirkman LLC
Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Animagic, Bielefeld,
unter Verwendung von Fotolia/windu
Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München
ISBN 978-3-641-20495-2
V001
www.diezukunft.de
Dieses Buch ist allen
vermissten Kindern gewidmet
Teil 1
Steinsuppe
Errette,
die man zum Tode schleppt,
und entzieh dich nicht denen,
die zur Schlachtbank wanken.
Sprüche 24,11-12
Eins
An jenem drückend heißen Altweibersommermorgen hat keiner der Eisenbahnarbeiter auch nur eine Ahnung davon, was gerade in der kleinen Siedlung von Überlebenden, ehemals bekannt als Woodbury, Georgia geschieht. Die Reparatur der Schienenstränge zwischen dem Städtchen Woodbury und den Vororten Atlantas bedarf ihrer ganzen Konzentration – das beschäftigt sie rund um die Uhr, und zwar schon seit beinahe zwölf Monaten –, und der heutige Tag bildet keine Ausnahme. Bald schon haben sie die Hälfte geschafft. In etwas weniger als einem Jahr haben sie die Strecke einer Länge von circa dreißig Kilometern geräumt und mit einem von Maschendraht verstärkten Weidezaun auf beiden Seiten abgesichert, um das Eindringen herumstreunender Untoter, wilder Tiere oder sonstiger Störenfriede, die über die Schienen wehen, sickern, wachsen, kriechen oder ranken, zu verhindern.
In diesem Augenblick hört die Anführerin der Gruppe, Lilly Caul, zu graben auf, erhebt sich und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Sie hat keine Ahnung, dass sich gerade eine Katastrophe mitten in Woodbury aufbaut.
Reflexartig hebt sie den Blick zum aschfahlen Himmel. Die Luft vibriert vom Brummen der vielen Insekten und trägt den faulen Geruch der umliegenden brachen Felder an ihre Nase. Das gedämpfte Wummern von Vorschlaghämmern – um Stifte in uralte Bahnschwellen zu treiben – liefert einen synkopierten Rhythmus für die schwitzenden Arbeiter. Unweit sieht Lilly die große Frau aus Haralson – jeder nennt sie Ash –, die die Baustellengrenze mit einer Bushmaster AR-15 an der Hüfte patrouilliert. Sie macht eine Show daraus, die Augen nach herumlungernden Untoten offenzuhalten, die von dem Lärm der Baustelle angelockt werden, aber auf einer tieferen Ebene ist sie hyperwachsam. Irgendetwas scheint nicht richtig. Niemand vermag es in Worte zu fassen, aber jeder spürt es.
Lilly zieht sich die verdreckten Handschuhe von den Händen und streckt die wunden Finger. Sie trägt ihre goldbraunen Haare in einem hastig geflochtenen französischen Zopf, sodass der unbarmherzige Sommer Georgias die Sonne auf ihren feingliedrigen, geröteten Nacken herabbrennen lässt. Ihre haselnussbraunen Augen, umringt von kleinen Krähenfüßen, suchen die Baustelle ab. Ihr Blick schweift über den Fortschritt der anderen Arbeiter entlang des Zauns. Obwohl Lilly Caul noch keine vierzig ist, haben sich bereits Sorgenfalten gebildet, die man erst bei viel älteren Frauen erwartet. Ihr schmales, jugendliches Gesicht ist in den vier harten Jahren, seitdem die Seuche über sie hereingebrochen ist, finsterer geworden. Ihre unerschöpflichen Energiereserven ließen während der letzten Monate nach, und ihre immerwährend hängenden Schultern verleihen ihr das Auftreten einer Frau mittleren Alters, obwohl sie noch immer ihre übliche Hipsterkluft in Form eines zerlumpten Indie-Rock-T-Shirts, einer kaputten Jeans, zerfledderter Motorradstiefel und unzähliger lederner Armreifen und Ketten trägt.
Jetzt erspäht sie einige umherwandelnde Untote hundert Meter westlich von ihr, die sich durch die Bäume schleppen – auch Ash hat sie bereits gesichtet. Man muss sich ihretwegen noch keine Sorgen machen, aber sie weiter im Auge behalten. Lilly betrachtet die anderen Mitglieder ihres Teams, die in regelmäßigen Abständen am Schienenstrang verteilt sind und den widerspenstigen, von Kopoubohnen und Scheinastern durchwurzelten Boden mit Handbaggern bearbeiten. Sie blickt in vertraute Gesichter, andere hingegen sind erst seit einigen Tagen dabei. Dort stehen Norma Sutters und Miles Littleton, unzertrennbar, seit sie vor über einem Jahr nach Woodbury kamen. Dahinter arbeitet Tommy Dupree, ein Junge im Alter von vierzehn Jahren, der wie dreißig wirkt. Die Pandemie hat ihn gestählt. Er ist ein Wunderknabe, wenn es um Feuer- oder Schlag- und Stichwaffen geht. Jinx Tyrell, eine Eigenbrötlerin aus dem Norden, hat sich als wahre Untoten-Killermaschine herausgestellt. Jinx zog vor wenigen Monaten nach Woodbury, nachdem Lilly sie angeheuert hatte. Das Städtchen benötigt Neuzugänge, um zu gedeihen, und Lilly ist dankbar, diese krassen Typen auf ihrer Seite kämpfend zu wissen.
Zudem arbeiten vereinzelte Anführer der umliegenden Ortschaften mit, die zwischen Woodbury und Atlanta liegen. Es handelt sich um gute, vertrauenswürdige Menschen wie zum Beispiel Ash aus Haralson, Mike Bell aus Gordonburg und eine Anzahl anderer, die sich Lillys Mannschaft aus Gründen gemeinsamer Interessen, Träume und Ängste angeschlossen haben. Einige sehen ihre Mission, die Ortschaften mit der großen Stadt im Norden anhand dieser eher schlecht als rechten Eisenbahnlinie zu verbinden, noch immer mit skeptischen Augen, aber viele haben sich ihr trotzdem angeschlossen, weil sie an Lilly glauben. Sie scheint diesen Effekt auf Menschen auszuüben – eine Art Osmose der Hoffnung –, und je länger diese Menschen an dem Projekt mitarbeiten, desto mehr werden sie Teil davon. Mittlerweile sehen sie es sowohl als einen bewundernswerten Versuch, ihre außer Rand und Band geratene Umwelt zu kontrollieren, als auch als eine Anstrengung, eine lang verlorene Zivilisation wieder herzustellen.
Lilly will sich gerade die Handschuhe wieder anziehen und weiterarbeiten, als der Mann namens Bell in einem knappen halben Kilometer Entfernung auf seinem Pferd mit merklichem Senkrücken von Norden um die Ecke galoppiert kommt. Der Anführer einer kleinen Gruppe Überlebender, die sich in einer Ortschaft, die sich früher einmal Gordonburg nannte, wacker schlagen, ist Mitte dreißig, klein gewachsen und weist einen rotblonden Schopf auf, der jetzt hinter ihm im Wind weht, während er sich rasch den Arbeitern nähert. Die anderen – Tommy, Norma, Miles – schauen von ihrem Tun auf, wie immer besorgt um ihre Freundin und Anführerin.
Lilly hüpft über den Schienenräumer auf den Schotter, als der Mann auf seinem räudigen Rotschimmel durch den trockenen Dunst auf sie zureitet.
»Da ist wieder einer im Weg«, ruft er ihr zu. Bei dem Pferd, ein unruhiger Zosse mit kräftigem Hals, handelt es sich wahrscheinlich um einen Mischling mit einem Schuss Arbeitsrappen. Bell bewegt sich mit dem ungeschickten Auf und Ab des autodidaktischen Reiters. Er zerrt an den Zügeln und hält auf dem Kies vor Lilly an, sodass er eine kleine Staubwolke aufwühlt.
Das Pferd wirft den Kopf wild hin und her, und Lilly kümmert sich sofort darum, nimmt es am Zaum und versucht es zu beruhigen. Dreckiger Schaum tropft aus seinem Maul, und es ist schweißnass. »Wieder ein was?«, fragt sie und blickt zu Bell auf. »Ein Untoter? Ein Wrack? Vielleicht ein Einhorn? … Was denn?«
»Eine Bockbrücke«, entgegnet Bell und gleitet vom Pferd, um mit einem Grunzen hart auf dem Boden zu landen. Der ehemalige IT-Typ aus Birmingham hat ein jungenhaftes, sonnenverbranntes Gesicht mit Sommersprossen und trägt selbstgemachte Cowboy-Überhosen aus Planen. Er hält sich für einen Jungen vom Land, aber allein die Art, wie er mit seinem Pferd kämpft, und sein nahezu makelloser Akzent weisen eindeutig auf einen Städter hin. »Ungefähr einen knappen Kilometer gen Norden«, fügt er hinzu und weist mit dem Daumen in die angegebene Himmelsrichtung. »Das Land fällt ab. Die Schienen führen fünfzig Meter über das klapprige Gerüst.«
»Und? Wie lautet die Prognose?«
»Du meinst mit der Brücke? Schwer zu sagen, aber das Holz ist schon ganz schön bemoost.«
»Hast du es dir genauer angeschaut? Oder bist du drüber geritten, um es zu testen oder so was?«
Er schüttelt mit dem Kopf. »Tut mir leid, Lilly. Ich dachte nur, du solltest sofort Bescheid wissen.«
Sie reibt sich die Augen und denkt nach. Es ist schon eine Weile her – mehrere Monate –, seit sie über eine Bockbrücke mussten. Und die war nur ein paar Meter lang. Sie macht den Mund auf, um etwas zu sagen, als das Pferd sich plötzlich aufbäumen will – entweder hat ein Geräusch oder ein von Menschennasen nicht aufspürbarer Geruch es erschreckt. Lilly wendet sich an das Tier und streichelt sanft seinen Widerrist. »Schhhhhh«, besänftigt sie es und fährt mit der Hand über die verfilzte Mähne. »Ist schon gut, Freundchen, beruhige dich wieder.«
Das Tier riecht nach Ziege. Seine mit Dreck verkrusteten, schweißnassen Fesseln geben einen moschusartigen Duft ab. Seine Augen sind ganz rot vor Anstrengung. Es ist vielleicht überraschend, aber dieser in Grund und Boden gerittene Rotschimmel – wie so ziemlich alle seine Artgenossen – ist mittlerweile so wertvoll für die Überlebenden wie bereits im neunzehnten Jahrhundert für solche Menschen, die versuchten, den Wilden Westen zu bändigen. Funktionierende Autos und Laster sind ein immer seltener werdender Anblick – auch wird das Pflanzenöl immer rarer, um Biodiesel herzustellen. Menschen mit Elementarkenntnissen der Pferdezüchtung sind heiß begehrt und werden als weise Führungspersonen angesehen, von denen erwartet wird, dass sie ihr Wissen weitergeben. Auch Lilly hat einige von ihnen in Woodbury eingebürgert.
Während der vorangegangenen Monate haben sie viele der uralten, völlig verrosteten Autokarosserien entzweigeschnitten und sie zu behelfsmäßigen Kutschen umfunktioniert, die von einem oder mehreren Pferden gezogen werden. In den Jahren seit Anbeginn der Seuche hat sich der Asphalt derart verschlechtert, dass an Reparaturen nicht mehr zu denken ist. Die Überreste der überwachsenen, zerfallenen und unwegsamen Straßen stellen einen Fluch für jeden Überlebenden dar. Das ist auch der Grund, warum sie ein sicheres, verlässliches und schnelles Transportsystem erschaffen wollen.
»Der führt sich schon den ganzen Tag so auf«, erklärt Bell und nickt respektvoll in Richtung Pferd. »Irgendetwas dort draußen gefällt ihm nicht, das mit Untoten aber nichts zu tun hat.«
»Und woher weißt du das? Es könnte doch ein Schwarm oder so etwas in der Art sein.«
»Wir sind heute früh an einigen von ihnen vorbeigeritten, was ihn nicht einmal gekratzt hat.« Er legt die Hand auf den Widerrist und flüstert dem Pferd zu: »Oder, Gipsy? Oder?« Bell blickt Lilly in die Augen. »Nein, heute liegt etwas anderes in der Luft. Ich kann es nicht genau ausmachen.« Er seufzt und wendet den Blick wie ein schüchterner Schuljunge ab. »Es tut mir leid, dass ich die Brücke nicht auf ihre Belastbarkeit geprüft habe – das war schon verdammt dumm von mir.«
»Verschwende keinen weiteren Gedanken daran, Bell«, lächelt Lilly ihn an. »Über sieben Brücken musst du gehen und so weiter.«
Bell kichert ein wenig zu hysterisch, hält Lillys Blick ein wenig zu lange. Andere halten in der Arbeit inne und schauen zu den beiden. Tommy stützt sich auf seine Schaufel und grinst. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Bell sich Hals über Kopf in Lilly verschossen hat, aber es ist nichts, was Lilly sonderlich interessiert. Sich um die Dupree-Kinder zu kümmern füllt bereits ihr ganzes Privatleben, und außerdem trauert sie noch immer all den Menschen nach, die sie je geliebt hat. Sie ist einfach noch nicht bereit, sich in einer weiteren Liebschaft zu verlieren, was aber nicht heißt, dass sie nicht ab und zu an Bell denkt – für gewöhnlich nachts, wenn der Wind durch die Gassen fegt und die Einsamkeit sie schier zu erdrücken droht. Sie träumt davon, mit den Fingern durch Bells großartigen dichten Rotschopf zu fahren, stellt sich vor, wie sein heißer Atem auf ihr Schlüsselbein trifft …
Lilly schüttelt das wehmütige Nachsinnen von sich und zieht eine alte Westclox-Taschenuhr aus der Hüfttasche. Sie hängt an einer angelaufenen Uhrenkette – ehemals war sie im Besitz von Bob Stookey, Lillys bestem Freund und Mentor, der vor etwas über einem Jahr einen heroischen Tod starb, indem er unter anderem auch die Kinder von Woodbury rettete. Vielleicht ist das der Grund, warum Lilly so gut wie jedes Waisenkind in Woodbury adoptiert hat. Sie trauert noch immer ihrer Fehlgeburt nach, dem Funken Leben, der Josh Hamiltons Nachkömmling hätte sein können, den sie aber im Tumult des Regimes des Governors verloren hatte. Vielleicht ist sie deswegen als Ersatz-Mama wie geschaffen. Zudem ist es ein integraler Bestandteil des Überlebens an sich – ein angeborener Teil ihrer eigenen Zukunft wie auch der Zukunft der gesamten Menschheit.
Sie wirft einen Blick auf das vergilbte Ziffernblatt und ist überrascht, dass es schon fast Mittag ist.
Sie hat keinen blassen Schimmer davon, dass ihre Stadt bereits seit über einer Stunde angegriffen wird.
Als Lilly noch ein kleines Mädchen war, erzählte ihr Vater, Everett Caul, ihr einmal eine Geschichte über die Steinsuppe. Es handelt sich um ein beliebtes Volksmärchen mit unzähligen Versionen in verschiedenen Kulturen. Drei umherwandernde, völlig ausgehungerte Fremde stoßen auf ein kleines Dorf. Einer der Fremden hat eine Idee. Er sucht und findet einen weggeworfenen Kochtopf, sammelt Steine zusammen und füllt den Topf mit Wasser aus dem naheliegenden Bach auf, woraufhin er Feuerholz sammelt und es anzündet, um die Kieselsteine zu kochen. Die Dorfbewohner werden neugierig. »Ich mache Steinsuppe«, erzählt er ihnen auf die Frage, was er denn dort treibe. »Und ich lade Sie gerne zum Essen ein, wenn sie fertig ist.« Ein Bewohner nach dem anderen zeigt sich hilfsbereit. »Ich habe ein paar Karotten im Garten«, offeriert einer. »Wir haben ein Huhn«, meint ein anderer. Und bald schon wird aus der Steinsuppe ein wohlriechendes Mahl aus Gemüse, Fleisch und Kräutern aus dem Dorf.
Vielleicht erinnerte sich Lilly Caul ja an ihre Lieblingsgutenachtgeschichte, als sie sich dazu entschied, die diversen Gemeinden von Überlebenden mit der großen Stadt im Norden anhand der brachliegenden Schienenstrecke zu verbinden.
Ihr kam die Idee das erste Mal Anfang letzten Jahres nach einem Treffen mit den Anführern der fünf größten Siedlungen. Es fand in Woodburys ehrwürdigem alten Gerichtsgebäude statt und sollte eigentlich darum gehen, Ressourcen und Informationen zu bündeln und zu teilen und sich gegenüber den anderen Städtchen im zentralen Georgia gefällig zu zeigen. Als die Anführer sich aber darüber ausließen, wie angespannt ihre eigene Lage angesichts der Nahrungsmittelknappheit und der Gefahren war, die stets auf Reisen um jede Ecke lauerten, und wie isoliert sie sich in ihrem Stück Hinterland fühlten, entschied Lilly sich, dagegen anzugehen. Anfangs erzählte sie niemandem von ihrem Plan. Stattdessen begann sie einfach damit, die uralten und brachliegenden Schienen der West-Central-Georgia-Chessie-Seaboard-Linie, die durch Haralson, Senoia und Union City führten, zu säubern und zu reparieren.
Sie fing klein an, nicht mehr als einige Stunden am Tag, zusammen mit Tommy Dupree, Hacke, Schaufel und einer Harke. Es war mühsame Arbeit – sie schafften nicht mehr als zwei oder drei Dutzend Meter am Tag, und das bei brütend heißem Sonnenschein und der immerwährenden Präsenz von Untoten, die von dem Lärm angezogen wurden. In diesen Anfangstagen mussten sie und der Junge unzählige Zombies aus dem Weg schaffen, die allerdings das geringste ihrer Probleme darstellten, denn der Boden machte ihnen wesentlich mehr zu schaffen.
Niemand kann sich die Tatsache erklären, aber das Ökosystem hat sich seit Anbeginn der Seuche während der letzten vier Jahre stark verändert. Opportunistisches Unkraut und wilde Gräser erobern Entwässerungsgräben, verstopfen Bachbetten, lassen ganze Straßen unter sich verschwinden. Kopoubohnen haben sich derart vermehrt, dass ganze Werbetafeln, Scheunen, Bäume und Telefonmasten unter ihren Ranken begraben sind. Die grüne Revolution bewirkt, dass alles unter einem Teppich saftiger Vegetation nach Atem ringt, selbst die unzähligen menschlichen Überreste, die noch immer in Gattern und Gräben liegen. Die Welt hat Haare bekommen, und die schlimmsten haben sich um den stählernen Schienenstrang der Chessie-Seaboard-Line in widerspenstigen Ranken so dick wie Kabel gewickelt.
Wochenlang kämpften Lilly und der Junge gegen die unerbittlichen Schlingpflanzen an, schwitzten in der Sonne, zogen den Bollerwagen mit quälender Langsamkeit hinter sich über den gerodeten Boden gen Norden. Aber die laute Arbeit – ähnlich wie der kochende Sud der Fremden in der Geschichte der Steinsuppe – zog neugierige Blicke auf sich. Menschen lugten über die Verteidigungswälle ihrer Gemeinden entlang des Wegs. Manche traten hervor und halfen mit. Es dauerte nicht lange, ehe Lilly mehr Mitarbeiter zur Verfügung hatte, als sie sich je zu erträumen gewagt hätte. Es gab sogar Leute, die ihre Werkzeuge wie Stangenbohrer, Handrasenmäher und Sensen zur Verfügung stellten. Andere brachten ihr Karten der stillgelegten Bahnlinien, die sie aus Bibliotheken entwendet hatten, handbetriebene Handfunksprechgeräte, die für Kommunikations- und Aufklärungszwecke unabdinglich wurden, und Waffen zur Verteidigung. Es herrschte allgemeine Faszination über Lillys donquijotisches Vorhaben, den Schienenstrang den gesamten Weg bis Atlanta freizulegen, und es dauerte nicht lange, ehe diese Faszination einen ungewollten Nebeneffekt heraufbeschwor, der sogar Lilly überraschte.
Im zweiten Monat des Projekts sahen die Menschen Lillys törichtes Projekt als Vorbote einer neuen Ära, gar als einen Anstoß für eine neue regionale Regierung in dieser postapokalyptischen Welt. Und niemand konnte sich einen besseren Anführer für dieses neue Regime vorstellen als Lilly Caul höchstpersönlich. Zu Beginn des dritten Monats wurde Lilly einstimmig als offizielle Repräsentantin von Woodbury gewählt, eine Tatsache, die ihr viel Verdruss bereitete. Sie sah sich nicht als Politikerin oder Anführerin oder – Gott verhüte – als Governor. Das höchste der Gefühle für sie war vielleicht ein Posten im mittleren Management.
»Für den Fall, dass es jemanden interessiert«, ertönt eine Stimme hinter Lilly, als sie in ihrer Tasche nach ihrer dürftigen Brotzeit herumkramt. »Wir haben gerade die Vierzig-Kilometer-Marke geknackt.«
Die Stimme gehört Ash. Sie gebärdet sich mit dem selbstbewussten Stolzieren einer Sportlerin, o-beinig und muskelbepackt. Heute trägt sie einen Patronengurt aus der Zeit des Vietnamkriegs mit einer Reihe von Magazinen à zwanzig Patronen über ihrem Hank-Williams-Jr.-Tanktop und ein Kopftuch um ihre rabenschwarzen Haare. Ihre Kluft lässt nicht auf ihren ehemaligen, eher aristokratischen Lebensstil in einer reichen Enklave des Nordostens schließen. Sie schlendert mit einer halb gegessenen Dose Frühstücksfleisch in der einen Hand und einer zerknüllten Karte in der anderen herbei. »Der Platz da noch frei?«, erkundigt sie sich und zeigt auf einen nicht besetzten Baumstumpf.
»Mach’s dir bequem«, lädt Lilly sie ein, ohne aufzublicken, während sie noch immer in ihrer Tasche nach der Portion getrockneter Früchte und Rinderdörrfleisch sucht, die sie bereits seit Wochen rationiert. Sie sitzt auf einem mit Moos bewachsenen Stein. Endlich hält sie ihr Mittagessen in den Händen. In letzter Zeit sah man kaum noch etwas anderes als Nahrungsmittel mit langen Verfallsdaten – wie etwa Rosinen, Dosenfutter, getrocknetes Fleisch oder Tütensuppen – in Woodbury. Die Gärten waren komplett abgeerntet, und es ist schon eine Weile her, dass sich Frischfleisch in Form von Wild oder Fisch in die Nähe des Städtchens verirrte. Woodbury musste unbedingt seine landwirtschaftlichen Kapazitäten erweitern, und Lilly beackerte bereits seit Monaten die umliegenden Felder.
»Dann lass uns das mal ausrechnen.« Ash steckt die Karte zurück in ihre Tasche, setzt sich neben Lilly und führt einen weiteren Löffel des Frühstücksfleischs in den Mund. Sie leckt sich die Lippen, als ob es Foie Gras wäre. »Wir sind seit letztem Juni an der Arbeit. Und wenn wir so weitermachen – dann was? Dann würden wir die Stadt nächsten Sommer erreichen?«
Lilly schaut sie fragend an. »Und? Ist das gut oder schlecht?«
Ash lächelt. »Ich bin in Buffalo aufgewachsen, wo ein Bauprojekt länger andauert als die meisten Ehen.«
»Das heißt dann wohl, dass wir ganz gut in der Zeit liegen.«
»Besser als nur ganz gut.« Ash wirft einen Blick über die Schulter auf die anderen Arbeiter, die auf der Baustelle verstreut ihr Mittag essen. Einige sitzen auf den Schienen, andere im Schatten der riesigen uralten knochigen Eichen. »Ich frage mich nur, ob wir dieses Tempo beibehalten können.«
»Glaubst du etwa nicht?«
Ash zuckt mit den Achseln. »Einige der Leute beschweren sich, dass sie kaum noch Zeit mit ihren Familien verbringen.«
Lilly nickt und mustert den Dschungel aus Kopoubohnen, der sich über den Boden erstreckt. »Ich finde, wir können eine Pause im Herbst einlegen, wenn die Regenfälle einsetzen. Dann haben wir auch eine Chance …«
»Tut mir leid, wenn ich wie eine Schallplatte mit einem Sprung klinge«, meldet sich eine Stimme hinter Ash, unterbricht sie und zieht Lillys Aufmerksamkeit fort von der dichten Flora im Osten. Sie sieht den schlaksigen, x-beinigen Mann mit dem Fedora-Hut und den Kakishorts, der von den Pferden weg auf sie zuschreitet. »Aber kann mir jemand erzählen, warum niemand auch nur die geringste Ahnung hat, wie es um unsere Treibstoffvorräte bestellt ist?«
Lilly seufzt. »Atme tief durch, Cooper. Iss dein Mittagsmahl, damit dein Blutzucker wieder den normalen Pegel erreicht.«
»Das ist kein Witz, Lilly.« Der knochige Mann stellt sich, die Hände in die Hüften gestemmt, vor ihr auf, als ob er auf einen Bericht wartet. An seinem Sam-Browne-Gürtel hängt ein Halfter mit einem Colt Single Action Army, und von der anderen Seite baumelt ein aufgerolltes Seil. Er streckt sein markantes Kinn beim Reden vor, sodass er wie ein draufgängerischer Abenteurer wirkt. »Das habe ich schon viel zu oft mitmachen müssen.«
Lilly wirft ihm einen Blick zu. »Was hast du schon viel zu oft mitmachen müssen? Hat es schon einmal eine Seuche gegeben, die ich verpasst habe?«
»Du weißt genau, was ich meine. Ich komme gerade von dem Depot in Senoia, und die haben noch immer keinen Treibstoff in der Umgebung gefunden. Lilly, ich sage es dir im Guten, aber ich habe mit eigenen Augen zu viele Projekte scheitern sehen, weil die Treibstoffsituation außer Kontrolle geriet. Wenn du dich erinnerst, war ich mit dabei, als wir …«
»Ich weiß, das hast du uns bereits gesagt, und zwar mehr als nur einmal. Wir kennen die Geschichte in- und auswendig. Deine Firma hat mehr als ein Dutzend der höchsten Wolkenkratzer in Atlanta gebaut.«
Cooper schnaubt, und sein hervorstehender Adamsapfel bebt vor Frustration. »Ich will damit nur sagen, dass … dass ohne Treibstoff nichts geht. Ohne Sprit machen wir uns die ganze Mühe umsonst. Dann liegen die Schienen sauber geputzt da, führen aber nirgends hin.«
»Cooper …«
»Damals in ’79, als die OPEC an der Preisschraube gedreht und der Iran die Hähne zugemacht hat, mussten wir drei Projekte, drei Wolkenkratzer auf der Peachtree an den Nagel hängen. Die Fundamente standen da wie Dinosaurier in Teergruben.«
»Okay, jetzt hör mal bitte zu …«
Eine weitere Stimme hinter Ash meldet sich zu Wort. »Hey, Indiana Jones! Jetzt halt doch endlich den Mund!«
Alle Köpfe drehen sich zu Jinx um, der jungen Landstreicherin, die Lilly Anfang des Jahres aufgenommen hat. Sie ist eine wechselhafte, brillante, durchgeknallte Person mit bipolarer Störung und trägt ständig ihre schwarze Lederweste, sodass ihre vielen Tattoos zur Schau gestellt werden, eine Reihe Messer, die von ihrem Gürtel hängen, und die runde Sonnenbrille im Steampunk-Stil. Sie kommt in rasanter Geschwindigkeit auf Lilly und Cooper zu und hat die Hände zu Fäusten geballt.
Cooper Steeves weicht zurück, als ob er es mit einem tollwütigen Tier zu tun hat.
Jinx stellt sich vor ihm auf, ihr Körper angespannt wie ein Bogen. »Warum hast du es dir eigentlich zur Aufgabe gemacht, diese Frau tagein tagaus zu nerven?«
Lilly steht auf und versucht Jinx zu beruhigen. »Ist schon gut. Ich habe das im Griff.«
»Lass es gut sein, Jinx. Wir unterhalten uns hier nur.« Cooper Steeves lautes Gepolter vermag seine Angst vor der jungen Frau kaum zu verschleiern. »Du benimmst dich vollkommen daneben.«
Jetzt springen auch Miles und Tommy auf und stellen sich hinter Ash. Ihre Gesichter sind zerknirscht. Sie warten offensichtlich ab, ob sie eingreifen müssen. Während des letzten Jahres, wahrscheinlich mehr der enormen Hitze geschuldet als dem Stress, sich im Freien zu befinden, ist es immer wieder zu fürchterlichen Streitereien und sogar zu einigen Faustkämpfen entlang der Baustelle gekommen. Jetzt aber ist jeder wachsam. Selbst Norma Sutters, Vollweib und Zen-artige ehemalige Chorleiterin, legt langsam ihre dicke Hand auf den Griff ihres .44ers.
»Jetzt beruhigt euch alle!« Lilly hebt die Hände und spricht in angespanntem, aber entschiedenem Tonfall. »Jinx, verschwinde. Und Cooper, du hörst mir jetzt gut zu. Deine Bedenken sind vollkommen gerechtfertigt. Ich muss dir aber auch mitteilen, dass wir uns mehr und mehr Biodiesel zusammenbrauen und bereits eine Lok in Woodbury steht, die wir umfunktioniert haben und die mit dem Saft läuft. Außerdem haben wir Pferdewägen und einige Draisinen, mit denen wir auf den Schienen fahren können, bis wir mehr Loks umgebaut haben. Okay? Bist du jetzt glücklich?«
Cooper Stevens senkt den Blick zu Boden und stößt einen frustrierten Seufzer aus.
»Okay, jetzt hört alle zu!« Lilly lässt den Blick über die gesamte Truppe schweifen. Kurz hebt sie ihn gen Himmel, kneift die Augen zusammen, richtet sich dann aber wieder an die Menschen. »Lasst uns zunächst essen. Dann roden wir noch hundert Meter und zäunen sie ein, ehe wir für heute Schluss machen.«
Um vier Uhr an jenem Nachmittag rollte eine dünne Wolkenschicht über Central Georgia und blieb dort hängen. Der Nachmittag wurde grau und windig. Der Wind wehte den Menschen den Geruch von Rost und Verwesung in die Nasen. Das Tageslicht wurde diffus, reduzierte sich zu einem bloßen Leuchten hinter den Hügeln im Westen. Erschöpft, in Schweiß gebadet, mit vor unerklärlicher nervöser Anspannung prickelndem Nacken, ruft Lilly das Ende der Arbeiten aus. Endlich sieht sie ebenjene, Unheil verheißende Bockbrücke in der Ferne, von der Bell ihr erzählte. Die Schienen führen über sie in eine dicht bewaldete Senke. Die Brücke erinnert an das Bollwerk einer gotischen Zugbrücke. Das uralte, mehr als reparaturbedürftige, schimmelschwarze Gebälk ist mit Ranken und wildem Efeu überwachsen und schreit förmlich nach Befreiung und Fürsorge – das aber bedeutet einen irrwitzigen Aufwand, den Lilly auf morgen zu verschieben mehr als willig ist.
Sie möchte zusammen mit Tommy Dupree in einer der behelfsmäßigen Kutschen nach Hause reiten – die ausgebrannte Karosserie eines SUVs, dessen Motor, Vorderreifen und Seitenwände abmontiert und ausgebaut wurden, damit zwei Arbeitspferde davor gespannt werden konnten. Tommy hat ein ausgeklügeltes Zügelsystem mit unzähligen Laufknoten entworfen, und zwischen dem Schnauben und dem Hufklappern der Pferde und dem Knarren und Knarzen der ausgebrannten Karosserie veranstaltet die behelfsmäßige Kutsche einen Höllenlärm, als sie den Schotterweg hinabfahren, der in die südlichen Tabakfelder mündet.
Einspurig fahren sie vor sich hin, Tommys Kutsche allen voran. Dahinter befinden sich die restlichen Arbeiter, einige auf Pferderücken, andere in ähnlich zusammengebastelten Fuhrwerken.
Als sie den Highway 85 erreichen, teilt sich der Konvoi, um zurück nach Hause gen Osten und Norden zu fahren. Bell Cooper und seine Männer nicken den anderen zu, als sie gen Westen abbiegen und im trockenen Dunst des späten Nachmittags verschwinden. Ash winkt Lilly noch einmal zu und führt dann das halbe Dutzend ihrer Leute um die Überreste eines umgestürzten Greyhound-Busses, der auf der nach Norden führenden Spur liegt, zurück nach Haralson. Mit den Jahren ist die Karosserie völlig ausgeblichen und von der Vegetation völlig verschlungen, sodass es den Anschein erweckt, als ob die Erde selbst sich die metallene Schale einverleibt. Lilly wirft einen Blick auf ihre Taschenuhr. Es ist beinahe fünf. Sie würde es bevorzugen, vor Einbruch der Dunkelheit in Woodbury anzukommen.
Erst als sie die bedachte Brücke über den Elkins Creek erreichen, sehen sie die ersten Anzeichen des Angriffs.
»Warte … Was soll das? Was zum Teufel …?«, entfährt es Lilly, und sie rutscht auf ihrem Sitz nach vorne und starrt auf den zinnfarbenen Himmel über Woodbury, das in ungefähr drei Kilometern Entfernung vor ihnen liegt. »Was zum Geier geht da vor sich?«
»Warte!« Tommy reißt an den Zügeln und lenkt die Kutsche durch die Finsternis der bedachten Brücke. »Was war das, Lilly? War das etwa Rauch?«
Die dunklen Schatten scheinen sie einen Augenblick lang zu verschlucken, als die Pferde das Gefährt über die stinkende Brücke ziehen. Der Lärm hallt von den mit verwittertem Holz beschlagenen Wänden und dem Dach wider. Als sie auf der anderen Seite wieder das Tageslicht erblicken, ist Jinx längst an ihnen vorbeigeritten und lenkt ihr Pferd auf einen naheliegenden Hügel zu.
Lillys Herz beginnt zu rasen. »Jinx, kannst du etwas erkennen? Ist das Rauch?«
Sie erreicht den Scheitelpunkt, reißt an den Zügeln, um das Pferd anzuhalten, und holt dann ihr Fernglas hervor. Sie lugt hindurch und regt keinen Muskel ihres Körpers. Zwanzig Meter unter ihr tut Tommy Dupree es ihr gleich und hält die Kutsche auf dem Schotterweg an.
Lilly hört, wie die anderen hinter ihnen ebenfalls zum Stillstand kommen. Sie hört Miles Littletons Stimme: »Was geht da vor sich?«
Lilly wendet sich wieder zu Jinx um und brüllt: »Jinx, was passiert da?«
Jinx aber sitzt so steif wie ein Mannequin auf ihrem Pferd und starrt weiterhin durch den Feldstecher. In der Ferne erhebt sich eine Rauchwolke, so schwarz wie Tusche, vom Zentrum ihres Städtchens gen Himmel.