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ZUM BUCH

»Wo beim Hades ist der Rest der Kohorte?«, fragte Cristus. »Wie lange sollen wir hier noch aushalten, bevor sie die Aufständischen von den Dächern runterholen?«

Cato saß mit angezogenen Knien gegen ein Wagenrad gelehnt, eine Hand am Griff seines Schildes. Die andere ruhte auf dem Schwertknauf, den er langsam hin und her drehte. Seit einer Weile war es ruhig auf dem Dorfplatz. Da die Römer nicht aus ihrer Deckung gekommen waren, hatten die Angreifer irgendwann eingesehen, dass es sinnlos war, sie weiter mit ihren Steinschleudern zu attackieren.

»Centurio Macro wird uns bestimmt zu Hilfe kommen, sobald die Kohorte so weit ist«, antwortete Cato langsam. »Bis dahin, Tribun, wäre ich dir dankbar, wenn du deine Sorgen für dich behalten würdest. Du trägst die Uniform und nimmst das Geld des Kaisers. Du hast es selbst so gewählt. Wie alles andere in deinem Leben.«

Ein nervöses Zucken lief über das Gesicht des Tribuns. »Wie meinst du das, Herr?«

Cato schwieg einen Moment. Er hatte gute Lust, dem Kerl das Messer in den Leib zu rammen. Doch jetzt war nicht der Moment für offene Rechnungen. Dafür war später immer noch Zeit, wenn – oder falls – sie dieser Falle entkommen konnten.

ZUM AUTOR

Simon Scarrow wurde in Nigeria geboren und wuchs in England auf. Nach seinem Studium arbeitete er viele Jahre als Dozent für Geschichte an der Universität von Norfolk, eine Tätigkeit, die er aufgrund des großen Erfolgs seiner Romane nur widerwillig und aus Zeitgründen einstellen musste. Besuchen Sie Simon Scarrow im Internet unter www.scarrow.co.uk

SIMON SCARROW

INVICTUS

Roman

Aus dem Englischen von
Sven-Eric Wehmeyer und
Norbert Jakober

WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN

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Die Originalausgabe INVICTUS erschien 2016
bei Headline Publishing Group, London

Vollständige deutsche Erstausgabe 10/2017

Copyright © 2016 by Simon Scarrow

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Heiko Arntz

Umschlagillustration: Nele Schütz Design, München,
unter Verwendung eines Motivs von © Arcangel/Collaboration JS
und shutterstock/Studio10Arthur

Umsetzung Ebook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-20802-8
V004

www.heyne.de

Für Louise
LMLX

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Trotz Pein, die mir das Leben war,

man sah kein Zucken, sah kein Toben.

Des Schicksals Schläg’ in großer Schar.

Mein Haupt voll Blut, doch stets erhoben.

Jenseits dies’ Orts voll Zorn und Tränen

ragt auf der Alp der Schattenwelt.

Stets finden mich der Welt Hyänen.

Die Furcht an meinem Ich zerschellt.

William Ernest Henley,
»Invictus«

PROLOG

Römische Provinz Hispania Tarraconensis,
Frühsommer 54 n. Chr.

Im Herzen von Asturica Augusta ertönten aufgebrachte Schreie aus der großen Menschenmenge, als der Gefangene, geblendet vom Licht der strahlenden Sonne, auf das Forum geschleift wurde. Man hatte ihn über einen Monat in einem der nasskalten Verliese unter dem Sitz des Senats in Ketten gelegt, während er darauf wartete, dass der römische Magistrat von seinem Landgut zurückkehrte, um Recht zu sprechen. Nun stand der Magistrat, umgeben von den in ihre prächtigsten Togen und schmuckvollsten Tuniken gewandeten Würdenträgern der Stadt, auf den Stufen des Senatshauses und war bereit, sein Urteil zu verkünden. Das Schicksal des Gefangenen war besiegelt, daran zweifelte niemand im Volk und auch nicht der Gefangene selbst.

Iskerbeles hatte den Gesandten niedergestreckt und getötet, der in sein Dorf gekommen war, um Sklaven einzufordern, zwecks Tilgung der Schulden bei einem reichen römischen Senator. Der Mord hatte sich vor den Augen Hunderter Zeugen und in Gegenwart der Soldaten ereignet, die den Freigelassenen eskortierten. Es war nicht von Bedeutung, dass der Gesandte befohlen hatte, zehn Kinder des Dorfes zu ergreifen und der gewaltige Hieb in einem Augenblick unbeherrschten Zornes erfolgte. Iskerbeles war ein Mann von mächtiger Gestalt, mit dunklem, wildem Blick unter einer breiten Stirn. Er hatte dem Freigelassenen die Faust ins Gesicht gehämmert, woraufhin dieser rückwärts getaumelt und mit dem Schädel an die Kante eines steinernen Trogs schlug. Es hatte sich um eine grausame Laune des Schicksals gehandelt, deren Grausamkeit noch gesteigert wurde, als der befehlshabende Offizier der Eskorte seinen Männern befahl, den Dorfvorsteher gemeinsam mit den Kindern in Gefangenschaft zu nehmen. Doch während es den Kindern bestimmt war, in die Sklaverei verkauft zu werden, wartete auf Iskerbeles eine Anklage wegen Mordes und die öffentliche Hinrichtung.

Das Letzte, was er von seiner Frau gesehen hatte, war ihre Verzweiflung gewesen, als sie ihre zwei jungen Töchter in die Arme geschlossen und ihr Schluchzen in den Falten ihrer Tunika zu ersticken gesucht hatte. Ein Tagesmarsch hatte die Gefangenen nach Asturica Augusta geführt, wo man Iskerbeles in den Kerker warf und die Kinder einem Sklavenzug übergab, der dazu verdammt war, auf dem großen Sklavenmarkt der Provinzhauptstadt Tarraco verkauft zu werden. In der Zwischenzeit war Iskerbeles halb verhungert, und die schweren eisernen Handschellen hatten schwärende Wunden an seinen Gelenken hinterlassen. Sein Haar war verfilzt und sein Leib derart von seinem eigenen Unrat besudelt, dass die zehn Wachen, die ihn eskortierten, gebührenden Abstand zu ihm hielten und ihn mit den Spitzen ihrer Speere dazu bewegten, durch die Menge bis zum Fuße der Treppe zu gehen.

Die wütenden Rufe der Stadtbewohner und zahlreichen Schaulustigen aus den umliegenden Landstrichen verstummten, als sie sahen, in welch erbarmungswürdigem Zustand der Gefangene sich befand, und als sein Leidensweg vor den Stufen ein vorläufiges Ende fand, herrschte Stille auf dem Forum. Sogar die Händler und Kunden der Marktstände auf der gegenüberliegenden Seite hielten, von der spannungsvoll aufgeladenen Atmosphäre erfasst, mit ihrem Treiben inne, um sich umzuwenden und zum Senatshaus hinüberzublicken.

»Nimm Haltung an!«, zischte einer der Gardisten und stieß dem Gefangenen das stumpfe Ende seines Speeres in die Seite. Iskerbeles taumelte einen halben Schritt nach vorne, streckte sich trotzig zu voller Größe und sah mit zornigem Blick zum Magistrat auf. Der die Eskorte leitende Centurio räusperte sich und erhob die Stimme, damit alle auf dem Forum ihn hören konnten. »Ehrenwerter Titus Pelonius Aufidius, Magistrat von Asturica Augusta, ich übergebe deiner Gerichtsbarkeit Iskerbeles, Dorfvorsteher von Guapacina, angeklagt des Mordes an Gaius Democles, Bevollmächtigter des Lucius Annaeus, Senator in Rom. Der Mord trug sich an den Iden des vorangegangenen Monats zu, unter meiner Zeugenschaft sowie jener Männer, deren Eskorte den Auftrag hatte, Democles Schutz zu gewähren. Er erwartet nun demütigst dein Urteil.«

Der Centurio salutierte mit einem zackigen Kopfnicken und trat zur Seite, als der Magistrat einige Treppenstufen hinabstieg, sodass er sich von den anderen lokalen Senatoren und städtischen Amtsträgern absetzte, ohne seine erhöhte Stellung gegenüber der vor ihm versammelten Schar einzubüßen. Aufidius setzte eine verächtliche Miene auf und las in den vielen Gesichtern. Ihre Feindseligkeit war nicht zu übersehen. Die vielen primitiven Gewänder und verwilderten Haarschöpfe, die vor ihm standen, ließen darauf schließen, dass sich Volksgenossen des Gefangenen unter die Städter gemischt hatten, und diese würden keineswegs gutheißen, was er ihnen zu sagen hatte. Es könnte Schwierigkeiten geben, überlegte der Magistrat, und er war erleichtert darüber, in weiser Voraussicht den Rest der Hilfssoldaten in der Gasse direkt neben dem Senatsgebäude postiert zu haben. Zwar hatte Augustus, der erste Kaiser, Hispanien bereits vor beinahe einhundert Jahren zur befriedeten Provinz erklärt, aber dieser Befriedung waren zwei Jahrhunderte des Kampfes vorausgegangen. Unter den nördlichen Stämmen gab es nach wie vor etliche, die es verweigerten, sich vor Rom zu beugen, andere taten es nur widerwillig und hätten nichts lieber getan, als das römische Joch eher heute als morgen abzuschütteln. Tatsächlich war es ein Wunder, so dachte Aufidius, dass ein derart stolzes Kriegervolk jemals die Pax Romana akzeptiert hatte. Frieden war schlicht wider ihre Natur.

Weshalb man sie mit eiserner Faust regieren musste. Seine Stirn legte sich in strenge Falten.

»Es besteht keinerlei Zweifel daran, dass du das Verbrechen begangen hast. Es gab mehr als genug Menschen, die Zeugen dieser Tat wurden. Somit bin ich verpflichtet, dich zum Tode zu verurteilen. Bevor ich dieses Urteil verkünde, gebe ich dem Gerichteten jedoch gemäß des römischen Rechtes eine letzte Möglichkeit, für sein schändliches Tun um Vergebung zu bitten und seinen Frieden mit dieser Welt zu schließen, bevor er der Welt der Schatten anheimfällt. Iskerbeles, hast du ein letztes Wort zu sagen?«

Der Dorfvorsteher reckte das Kinn, nahm einen tiefen Atemzug und erwiderte dann mit kräftiger, klarer Stimme: »Römisches Recht? Ich spucke auf römisches Recht!«

Der Centurio hob seine Faust und setzte zu einem Hieb an, doch der Magistrat hieß ihn mit einer winkenden Geste innehalten. »Nein! Lass ihn sprechen. Soll er vor dem Gesetz und vor den Augen des Volkes seine Verdammung besiegeln mit seinen frevelhaften Reden!«

Der Soldat nahm widerstrebend seine alte Position wieder ein, und Iskerbeles verzog verächtlich die Lippen, bevor er fortfuhr. »Der Tod dieses verfluchten Hurensohns von einem Freigelassenen war der Vollzug natürlichen Rechtes. Er kam in unser Dorf, um uns unser Getreide, unser Öl und alles zu nehmen, was für uns von Wert ist. Als wir uns weigerten, seinen Forderungen nachzugeben, drohte er, uns unsere Kinder zu nehmen. Er vergriff sich an einem Sohn unseres Dorfes, und so schlug ich ihn. Ich wollte ihn nicht töten.«

Aufidius schüttelte den Kopf. »Das ist nicht von Belang. Das Opfer handelte in Erfüllung seiner Pflicht, für seinen Herrn eine Schuld einzutreiben.«

»Ja, für ebenjenen Herrn, der meinem Dorf bei der Missernte vor drei Jahren ein Darlehen gewährte und dann an jedem Jahrestag dieses Darlehens den Zinssatz erhöhte, sodass wir ihm die Schuld niemals zurückzahlen können.«

Der Magistrat zuckte mit den Schultern. »Dem mag so sein, doch auch das ist rechtens. Ihr hattet eine Vereinbarung mit Senator Annaeus, vermittelt durch seinen Bevollmächtigten. Die Vertragsbedingungen waren dir vertraut, bevor du im Namen deines Volkes dein Siegel auf das Dokument gesetzt hast. Dementsprechend agiert der Senator im Rahmen seiner Rechte, wenn er die vollständige Rückzahlung verlangt.«

»Vollständig plus Zinsen. Noch mal die Hälfte des ursprünglichen Kredits dazu! Wie sollen wir ihn je auszahlen können? Abgesehen davon, dass dieser elende Hund nicht nur uns ausblutet.« Iskerbeles vollführte eine halbe Drehung, um das Wort an die Menge zu richten. »Ihr alle kennt den Mann, dem ich das Leben nahm – den niederträchtigen Democles. Seine Männer haben bereits Hunderte von Angehörigen meines Stammes verhaftet und verschleppt. Die meisten von ihnen wurden in die Bergminen geschickt. Dort müssen sie schuften, bis sie vor Erschöpfung sterben. Die Stollen, die in die Klippen gegraben sind, sind Orte des Schreckens – aber all das ist bekannt, und ich muss es euch nicht erklären.«

Aufidius lächelte. »Und doch bemühst du dich offenkundig genau darum. Das Schicksal jener, die zur Arbeit in den Minen verurteilt sind, ist in der Tat allen bekannt, Iskerbeles. Es ist die wohlverdiente Strafe für jene, die das Gesetz brechen.«

»Ha! Ihr sprecht von Gesetz. Dieses Gesetz wurde uns von den römischen Herren aufgezwungen. Es ist nur das Mittel, unser Gold und Silber zu rauben, uns unser Land und unsere Freiheit zu nehmen. Das römische Gesetz ist ein Hohn auf alles, was Recht ist, eine Beleidigung unseres Stolzes und unserer Würde.« Er unterbrach sich und ließ seinen zornigen Blick über die Menge schweifen. »Wie lange wollt ihr diese Schande noch ertragen? Seid ihr denn Hunde, die sich nicht zu schade sind, um Küchenabfälle zu betteln und denen die Stiefel zu lecken, die sie mit der Peitsche knechten? Gibt es unter euch keinen, der sich der Tyrannei Roms widersetzt? Niemanden?«

»Nieder mit Rom!«, rief eine Stimme inmitten des Menschengewühles. Köpfe schauten sich suchend um. Eine weitere Stimme ertönte, und dann stimmten immer mehr in den anschwellenden Zorn ein, bis ein Mann vorne im Pulk die Faust schüttelte und schrie: »Tod dem Aufidius!« Er war ein stattlicher Kerl, kahlköpfig, trug einen Hirtenmantel eng. Er schüttelte die Faust und skandierte immer und immer wieder seinen Schlachtruf. Diejenigen, die unmittelbar um ihn herumstanden, fielen ein.

Der Magistrat trat angesichts des Protests erschrocken einen Schritt zurück. Dann fuhr er den Centurio an: »Vollstreckt das Urteil. Schafft ihn fort von hier. Sofort!«

Der Centurio nickte und räusperte sich. »Eskorte! Schließt einen Ring um den Gefangenen!«

Die Wachsoldaten bildeten einen Schutzwall um Iskerbeles, indem sie ihre Schilde und Speere hoben, während der Centurio die Kette ergriff, mit der der Gefangene am Hals gefesselt war, und mit einem kräftigen Ruck daran zog, um ihn fortzuführen. »Los.«

Sie brachen vom Fuß der Treppe des Senatssitzes auf und bahnten sich ihren Weg vom Forum bis zur Straße, die zum östlichen Stadttor führte. Jenseits davon lag ein flacher Hügel, auf dessen höchstem Punkt die Hinrichtungen stattfanden. Iskerbeles ließ seinen Blick über die ziegelgedeckten Dächer der Stadt schweifen und konnte in der Ferne seinen Henker erkennen, den man vorausgeschickt hatte, um das Pfostenloch auszuheben und das Holzgerüst zu errichten, an dem man ihn zu kreuzigen gedachte. Dann zerrte der Centurio ihn mit einem schmerzhaften Ruck an der Kette in die schmale Gasse. Wie im Falle der meisten traditionell errichteten römischen Siedlungen wurden die Hauptverkehrswege Asturica Augustas von bescheidenen Kaufläden gesäumt, während man zusätzliche Stockwerke darüber gebaut hatte, um der stetig wachsenden Stadtbevölkerung Wohnungen zu bieten.

Mit harschen Worten wies der Centurio die Leute in der Straße an, den Weg freizugeben, und die Städter sprangen angesichts der bewaffneten Männer eilig zur Seite. Frauen rissen ihre Kinder an sich, und ältere Leute drückten sich ängstlich an die Hausmauern. Hinter dem Gefangenen und seiner Eskorte füllte die Menge erneut die Straße. Das Gemurre wurde wieder lauter. Der Centurio warf einen Blick über die Schulter auf den Gefangenen und setzte ein höhnisches Grinsen auf.

»Deinen Leuten werden die aufmüpfigen Töne schon noch vergehen, wenn sie dich erst am Kreuz hängen sehen.«

Iskerbeles entgegnete nichts darauf. Er hatte genug damit zu tun, auf den Beinen zu bleiben, als man ihn über das Straßenpflaster zerrte. Um ihn herum schoben sich die Soldaten mit Mühe an den zahllosen Gaffern vorbei, die sich auf dem Gehsteig drängten.

»Was hat er getan?«, wollte ein runzeliger alter Mann vom Centurio wissen.

»Geht dich verdammt noch mal nichts an«, schnauzte der Offizier zurück. »Macht den Weg frei da vorne!«

»Das ist Iskerbeles«, teilte eine dicke Frau dem Alten mit.

»Iskerbeles? Häuptling Iskerbeles?«

»Gewiss. Man wird den armen Kerl hinrichten. Weil er einen Geldverleiher getötet hat.«

»Hinrichten?« Der alte Mann spuckte verächtlich aus. »Was er getan hat, ist kein Verbrechen. Oder sollte es zumindest nicht sein.«

Die Frau erhob eine Faust. »Lasst ihn frei, ihr römischen Hunde! Gebt ihm seine Freiheit!«

Ihr Ruf wurde von den Menschen um sie her aufgegriffen, und bald schon dröhnte der Name Iskerbeles durch die enge Gasse, und der Häuptling konnte ein zaghaftes Lächeln der Genugtuung nicht unterdrücken, auch im Angesicht seines nahen qualvollen Todes. Der Widerstandsgeist war noch nicht gebrochen unter den Angehörigen seines Stammes, aber auch unter den vielen Menschen, die es in die Städte verschlagen hatte. Der Preis für die Pax Romana war ein Leben in Knechtschaft, ein Leben unter der römischen Knute, und Iskerbeles betete zur Göttin Ataecina, sie möge Rom ihren Zorn entgegenschleudern und ihre Anhänger dazu anspornen, sich gegen die Eindringlinge zu erheben und sie ins Meer zurückzutreiben.

Ein kurzes Stück voraus war eine Schar junger Männer aus einem Wirtshaus ins Freie getreten, um nachzusehen, was es mit dem Tumult auf sich hatte. Als Iskerbeles aufschaute, nahm er ihre eleganten Tuniken und sauber rasierten Wangen zur Kenntnis und erkannte sie als das, was sie waren: Sprösslinge der wohlhabenderen Familien der Stadt, die sich seit geraumer Zeit mit dem Usurpator arrangiert und die römisches Gehabe und Überheblichkeiten mit Begeisterung übernommen hatten. Ein paar der jungen Männer trugen gläserne Karaffen in den Händen, und der nächststehende von ihnen hob die seine wie zu einem Trinkspruch, als er lautstark ausrief: »Tod allen Mördern! Tod dem Iskerbeles, sage ich!«

Einige seiner Gefährten warfen ihm unsichere Blicke zu, doch der Rest wiederholte den Trinkspruch und verspottete den nahenden Gefangenen. Die dicke Frau drehte sich zu ihnen herum, hob den Saum ihrer zerlumpten Stola, stürmte über den Gehsteig auf sie zu und verpasste dem Rädelsführer mit ihrer feisten Hand eine schallende Ohrfeige. »Elender Trunkenbold.«

Der junge Mann schüttelte kurz den Kopf, um sich von dem Schlag zu erholen, dann ballte er die Rechte zur Faust und schmetterte sie der Frau ins Gesicht. Ihre Nase brach krachend. Hellrotes Blut ergoss sich über Wange und Kinn.

»Pass auf, was du sagst, Weib. Es sei denn, du willst deinem Freund da Gesellschaft leisten.«

Die Frau hielt sich die blutende Nase, dann stieß sie einen schrillen Schrei aus, als sie sich mit wild rudernden Fäusten auf den Jüngling stürzte.

»Ihr elenden Hunde! Mistkerle, die ihr uns bis aufs Blut aussaugt!«

Ihr Gezeter war so laut, dass sich alle Köpfe nach ihr umwandten. Im nächsten Moment brandete dem Wirtshaus eine Welle von Menschen entgegen, die der Frau zu Hilfe eilen wollten. Es flogen Fäuste, man riss einander an den Haaren, Beschimpfungen wurden ausgespien und Tritte verteilt. Der ganze Haufen landete schließlich auf der Gasse vor dem Gefangenen und dessen Eskorte. Der Centurio hielt an, stöhnte laut.

»Verdammt. Das hat mir gerade noch gefehlt.« Er übergab einem seiner Männer die Kette und hob seinen Rebenholzstab. »Haltet euch geschlossen, wenn wir uns durch den Pöbel kämpfen. Und ich will keinen sehen, der sich einmischt. Zieht ihnen eins über, wenn sie den Weg versperren, aber mehr nicht. Ich will sie nicht unnötig reizen. Ist das klar? Also, dicht zusammenbleiben und Abmarsch.«

Er wies mit seinem Stab in Richtung Stadttor und setzte sich in Bewegung. Als der Trupp sich dem Tumult näherte, hob der Centurio erneut seinen Stab und rief: »Gebt den Weg frei!«

Ein einarmiger Mann sah sich nervös um und hastete zum Straßenrand, doch der Rest setzte die Prügelei fort, ohne dem Befehl Beachtung zu schenken.

»Na gut«, brummte der Centurio. Er schwang seinen Stab und ließ ihn auf die Schulter des nächsten Mannes vor ihm krachen. Sein Opfer taumelte unter schmerzerfülltem Grunzen tiefer in die Menge, während der Offizier abermals ausholte und die knotige Spitze des Stabes dieses Mal einer Frau in den Rücken stieß. Sie sank mit einem Schmerzensschrei auf die Knie. Der Centurio schob sie grob zur Seite. Es waren lediglich wenige weitere Schläge nötig, um unter den Stadtbewohnern eine Schneise zu bilden. Die Soldaten folgten auf dem Fuß und benutzten ihre Schilde, um sich ihren Weg durch den verknäuelten Pulk zu bahnen. Iskerbeles gab sein Bestes, um sich auf den Beinen zu halten, während die Männer ihn von allen Seiten anrempelten. Nachdem sie das Gewühl hinter sich gelassen hatten, kamen sie an eine Kreuzung. Iskerbeles nahm aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Er blickte in die Querstraße und erkannte eine kleine Gruppe von Männern, die in dunkelbraune Mäntel gehüllt waren. In diesem Moment huschten sie in eine schmale Seitengasse und waren auch schon verschwunden.

Ein stechender Ruck der Kette ließ ihn herumfahren. Der Soldat, der die Kette hielt, knurrte: »Beweg deinen Arsch.«

Der Mann sprach mit hiesigem Akzent. Iskerbeles starrte ihn an. »Du bist kein Römer. Du bist aus dem Osten der Provinz, habe ich recht?«

Der Hilfssoldat zuckte mit den Schultern. »Barcino.«

»Dann bist du einer von uns. Warum dienst du diesen römischen Hunden? Bedeutet dir die Freiheit nichts?«

»Welche Freiheit?« Der Soldat lachte abfällig. »Die Freiheit, mich auf einem furztrockenen Acker abzuschinden für eine jämmerliche Ernte, die kaum zum Überleben reicht? Diese Freiheit kannst du für dich behalten.«

Iskerbeles’ Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Hast du kein Herz? Keinen Stolz?«

»O doch, und deswegen werde ich mir dein Gerede nicht länger anhören.« Der Soldat zerrte kurz an der Kette. »Also halte die Klappe, mein Freund, und erspare mir deine Belehrungen.«

Der Centurio beschleunigte jetzt seine Schritte, als die Straße sich nach links um einen kleinen Tempel bog. Vor ihnen kam das Stadttor in Sicht. Der Anblick eines Offiziers weckte die Lebensgeister der Wachen zu beiden Seiten. Sie stellten sich aufrechter hin, während er sich näherte. Im Gegensatz zu den Hilfstruppen handelte es sich bei ihnen nicht um echte Soldaten, sondern um einfache Männer, die der Stadtsenat rekrutiert hatte, damit sie die beim Betreten der Stadt fälligen Wegezölle kassierten. An den Waffen und Rüstungen, mit denen sie ausgestattet waren, hatte man gespart, so gut es ging – sie sollten lediglich den Zweck erfüllen, sie in ihrer Rolle glaubwürdig wirken zu lassen. Der Centurio schenkte ihnen weiter keine Beachtung, als er seinen Trupp durch den Torschatten und in das helle Sonnenlicht jenseits der Stadtmauer führte. Das Straßenpflaster währte einige Meilen, bevor der Weg in einen staubigen Pfad mündete, der sich durch die umliegenden Hügel wand. Eine Reihe Kaufmannskarren und schwer beladener, von Bauern geführter Maultiere warteten darauf, die Stadt betreten zu dürfen. Ein Pferdehändler und seine Gesellen zogen am Ende der Schlange ihre Lebendware hinter sich her, und der Centurio musterte sie voller Neid – im Vergleich zu den minderwertigen Gäulen, mit denen seine Kohorte sich zufriedengeben musste, waren es prächtige Reittiere.

Nicht weit vom Tor entfernt, erstreckte sich ein Pfad von der Straße bis hinauf zur Hinrichtungsstätte. Auf einer Seite hatte sich eine kleine Schar von Stadtbewohnern versammelt, um dem Spektakel beizuwohnen, und diejenigen, die sich niedergelassen hatten, erhoben sich, als der Verurteilte und seine Eskorte auftauchten. Iskerbeles spürte, wie sich sein Magen beim Anblick des Holzkreuzes, das neben dem für das Pfostenloch ausgehobenen Stein- und Erdhaufen auf dem Boden lag, zu einem schmerzhaft engen Knoten zusammenzog. Bislang hatte er es vermocht, keine Regung zu zeigen, und auch jetzt biss er sich auf die Zähne, fest entschlossen, sich vor seinen Feinden keine Blöße zu geben. Es war wichtig, nichts von seiner Furcht und seiner Qual zu zeigen und Rom mit Verachtung zu strafen, bis zu seinem letzten Atemzug. Das Stadtvolk sollte dies bezeugen, und jene, die ihren Kampf gegen die Besatzer fortführten, sollten sich durch sein Beispiel gestärkt fühlen.

»Bewegt eure Ärsche!«, rief der Centurio noch im Laufen. Er wies hinter sich auf Iskerbeles. »Hier ist euer Kunde. Schlagt ihn unverzüglich ans Kreuz, damit wir uns wieder auf den Heimweg begeben können.«

Der den Kreuzigungstrupp befehligende Decurio war ihm entgegengeeilt. Jetzt nickte er eilfertig und wandte sich herum, um seinen Männern den Befehl zu erteilen. Sie hockten mit den Rücken zu den sich nähernden Soldaten und zeigten in Anbetracht des Geräusches von beschlagenen Stiefeln auf der ausgedörrten Erde keinerlei Anstalten, sich zu rühren.

»Auf die Beine!«, brüllte der Centurio, während er mit großen Schritten vorwärts eilte, den Stock erhoben und bereit, den nächstbesten unter den Männern zu züchtigen. Dann wurde er des dunklen Flecks von getrocknetem Blut neben dem Pfahl des Kreuzes gewahr. Auf dem Erdboden fanden sich weitere Flecken. Er hielt abrupt inne, und ein kaltes Kribbeln kroch ihm über den Schädel. Schließlich sah er den nackten Fuß, der hinter einem kleinen Felsvorsprung hervorragte. Unverzüglich griff er seinen Stab mit der linken Hand und zog mit der rechten sein Schwert.

»Ein Hinterhalt! Zu den Waffen!«

Bevor seine verdutzten Männer reagieren konnten, schrie der Decurio einen Befehl in seiner Muttersprache, und die Männer des Arbeitstrupps sprangen, Schwerter und Speere in Händen, auf die Beine und stürzten sich auf die Soldaten der Eskorte. Die Zuschauer, die daneben gewartet hatten, warfen ihrerseits ihre Umhänge von sich, um noch mehr Waffen zu enthüllen. Sie hasteten den Soldaten und deren Gefangenem entgegen, ohne eine einzige Silbe zu äußern. Iskerbeles erwachte wie aus einem schlimmen Traum. Er war sofort hellwach. Der Mann, der sich als befehlshabender Decurio des Hinrichtungskommandos ausgegeben hatte, stürmte seinen Männern voran und schwang sein Schwert in wildem Bogen nach dem Centurio. Letzterer war ein Meister seines Fachs und viele Jahre lang für einen solchen Augenblick ausgebildet worden. Er duckte sich weg und parierte den Hieb, bevor er seinem Gegner mit dem Rebenholzstab einen Streifschlag gegen den Kopf verpasste, wonach der Mann rückwärts taumelte. Der Offizier sah sich hastig zu seinen Männern um.

»Reihe schließen!«

Der Schreck der Überrumpelung verflog, als die Soldaten ihre Schilde hoben, die Speerspitzen senkten und eine Formation bildeten, in der sie dem Angriff von zwei Seiten begegnen konnten. Der Mann, dem die Aufgabe zugewiesen worden war, die Kette des Gefangenen zu halten, zögerte – er war sich nicht sicher, ob er sie fallen lassen und den anderen beistehen oder weiterhin den Verurteilten bewachen sollte. Iskerbeles schwang seine gefesselten Hände in die Höhe, entriss die Kette dem Griff des Hilfssoldaten und ließ deren kurzes Ende gegen den Helm des Mannes krachen. Metall schepperte gegen Metall, und der Soldat torkelte mit überraschter Miene zurück, genau in den Rücken eines seiner Kameraden, was beide Männer zu Boden stürzen ließ. Zwischen zwei der Soldaten klaffte auf einmal eine Lücke, woraufhin Iskerbeles seine erhobenen Hände zu Fäusten ballte und so schnell in den Spalt vorstieß, wie die Länge der Kette zwischen seinen Fußfesseln es erlaubte. Mit der rechten Schulter rammte er einen seiner Bewacher aus dem Weg und versuchte dann, eine kurze Strecke im Laufschritt hinter sich zu bringen, doch die Kette brachte ihn ins Stolpern, und er kam, lediglich zehn Fuß von den römischen Soldaten entfernt, zu Fall.

Der Centurio stieß seinen Stab in die Luft. »Lasst ihn nicht entkommen!«

Einer seiner Männer stürzte vor und brachte seinen Speerarm in Wurfposition. Iskerbeles rollte sich auf die Seite und hob in einem vergeblichen Versuch, die Attacke abzuwehren, die Hände. Er blinzelte, als er zu dem Soldaten aufsah, der sich als schwarze Silhouette vor dem grellen Hintergrund der gleißenden Sonne abzeichnete. Dann warf sich eine andere dunkle Gestalt gegen den Hilfssoldaten und schickte ihn zu Boden. Ein lautes Klappern ertönte, als der Schild des Soldaten auf den steinigen Boden traf. Aus dem Augenwinkel nahm Iskerbeles eine Klinge wahr, die dreimal herabfuhr, und dann packte eine Hand seinen Arm und zerrte ihn auf die Beine. Er blickte in das grinsende Gesicht des Mannes aus der Menge, der lautstark den Tod des Aufidius gefordert hatte.

»Gut gemacht, Callaecus, mein Freund.«

»Wir sprechen später«, keuchte der Mann. »Wir sind hier noch nicht fertig.«

Er brachte Iskerbeles ein Stück den Hügel hinunter, wo er in Sicherheit war. Dann rannte er zum Kampfgetümmel zurück. Etliche Männer lagen bereits im aufwirbelnden Staub, darunter drei Soldaten. Ihre Kameraden fochten Rücken an Rücken, unter ihnen ihr Centurio. Doch sie waren in der Unterzahl, und die todesmutige Wildheit ihrer Angreifer ließ keinen Zweifel am Ausgang des Kampfes aufkommen. Einer nach dem anderen wurde niedergestreckt und von wütenden Schwerthieben und Speerstößen erledigt, bis nur noch der Centurio und zwei seiner Männer am Leben waren, mit hektischen Blicken die sie umzingelnden Männer musternd, die Waffen vorgestreckt in der aussichtslosen Absicht, neuerliche Attacken abzuwehren. Wie in stillschweigender Übereinkunft zogen sich beide Seiten ein Stück voneinander zurück. Die Männer, die den Hinterhalt gebildet hatten – es waren um die zwanzig –, umringten die drei feindlichen Soldaten in einem Abstand von zwei Schwertlängen. Alle rangen nach Luft, sammelten Kraft für den letzten Angriff.

»Werft eure Waffen nieder!«, rief in diesem Moment Iskerbeles.

Der Centurio verzog verächtlich den Mund, doch bevor er etwas erwidern konnte, ließ einer seiner Männer sein Schwert fallen und löste die Hand von seinem Schild, das scheppernd neben seiner Klinge zu Boden fiel. Sein Kamerad streifte den Centurio mit einem flüchtigen Blick, bevor er es ihm gleichtat.

Der Centurio schnaubte. »Ihr Feiglinge.«

»Ergebt euch!«, befahl Iskerbeles. »Auf der Stelle, oder ihr sterbt!«

Der Offizier biss die Zähne zusammen. Er sah sich zu den beiden letzten Überlebenden der Eskorte um, die unwillkürlich von ihm abrückten. Er stieß ein frustriertes Seufzen aus, reckte dann stolz die Brust und warf Iskerbeles sein Schwert und seinen Stab vor die Füße.

»Flieht, wenn ihr mögt! Aber wir werden euch sehr bald auf der Spur sein, und dann werdet ihr gejagt wie räudige Hunde.«

»Ach ja?« Iskerbeles lächelte. »Das werden wir sehen. Callaecus, befreie mich von diesen Ketten.«

Der Stammesangehörige trat zu ihm, zog den Bolzen aus dem Halsring und löste die Handschellen, bevor er sich niederbeugte, um die Fesseln an den Knöcheln seines Häuptlings zu öffnen. Iskerbeles rieb sich vorsichtig die wunde und verschorfte Haut an den Handgelenken, während er die anderen Männer aus seinem Dorf betrachtete. »Ihr seid Dummköpfe. Die Römer hätten sich mit meinem Blut zufriedengegeben für die Ermordung des Geldverleihers. Jetzt werden sie jeden Einzelnen von uns umbringen.«

»Nur, wenn wir sie lassen!« Callaecus grinste breit. Er wies mit dem Daumen auf die drei Hilfssoldaten. »Und wenn sie so kämpfen wie diese Hasenfüße, dann müssen wir uns keine Sorgen machen.«

Iskerbeles runzelte die Stirn. »Macht euch nichts vor. Wenn wir jetzt damit anfangen, Rom Widerstand zu leisten, werden sie uns vernichtend schlagen. Was wir brauchen ist Zeit – Zeit, um die anderen Stämme auf unsere Seite zu bringen.« Er sah in die Runde der Männer. »Die Chancen stehen schlecht für uns. Für uns und alle. Die Römer werden sich nicht damit begnügen, mich und euch zu verfolgen. Auch unsere Frauen und Kinder sind in Gefahr. Seid ihr bereit, diese Gefahr auf euch zu nehmen, meine Freunde? Denkt sorgfältig darüber nach.«

Callaecus warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Glaubst du etwa, wir hätten das nicht längst durchdacht und besprochen? Wir haben einen Eid geschworen, dich zu retten, Häuptling Iskerbeles. Du wirst uns zum Sieg führen, oder in den Tod.«

Iskerbeles musterte die erwartungsvollen Mienen der Männer. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Ihr müsst verrückt sein … Aber so sei es. Bis zum Sieg oder in den Tod!«

Callaecus hob den Schwertarm und stieß einen Jubelruf aus. Die anderen folgten seinem Beispiel. Iskerbeles rollte den Kopf hin und her und ließ seine Muskeln spielen. Dann bückte er sich nach dem Schwert des Centurios und untersuchte die Waffe. Sie war perfekt ausbalanciert, und ihr Elfenbeingriff lag dank des langen Gebrauches geschmeidig in der Hand. Die Klinge war geölt und scharf geschliffen. Er nickte dem Centurio anerkennend zu. »Du verstehst dein Handwerk.«

»Das tue ich. Und ich werde meine Waffe schon bald wieder in Händen halten. Das schwöre ich bei Mithras.«

»Er wird dir nicht beistehen, Römer. Nicht solange unsere Götter dies zu verhindern wissen. Und sollten sie scheitern, werden meine Freunde und ich es zu verhindern wissen.«

Der Centurio schnaufte verächtlich. »Ihr? Ihr seid nichts als ein Haufen nach Ziegenscheiße stinkender Bauern. Dieses Mal habt ihr uns überlistet. Aber das nächste Mal werden wir bereit sein, und dann werdet ihr sehen, wozu römische Soldaten in der Lage sind.«

»Mag sein.« Iskerbeles blickte zurück zum Stadttor. Er sah die dortigen Wachen, die ihre Augen vor der Sonne beschirmten und zur Hügelkuppe schauten. Sie hatten offensichtlich bemerkt, dass etwas nicht stimmte.

»Wir sollten besser aufbrechen, bevor sie Alarm schlagen.«

»Daran habe ich bereits gedacht.« Callaecus wandte sich Richtung Straße. Er machte ein Handzeichen. Unverzüglich schwangen sich die als Pferdehändler getarnten Männer in die Sättel und führten ihre aneinandergebundenen Reittiere den Hang hinauf. »Wir sind längst weg, bevor die Römer ihre fetten Ärsche hochkriegen.«

»Guter Mann.« Iskerbeles grinste voller Anerkennung. Doch dann wurde seine Miene ernst. »Doch was wird dann aus uns? Die Römer werden unser Dorf niederbrennen. Wir müssen die Frauen und Kinder holen und uns in den Bergen verstecken.«

Sein Gefährte zuckte mit den Schultern. »Es wird nicht leicht sein, aber wir kennen die Gegend. Wir werden es überstehen.«

»Überstehen?« Iskerbeles schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nicht genug. Wir sind keine räudigen Köter, die man einfach davonjagt. Wir müssen unsere Leute auf den Kampf vorbereiten, mein Freund. Wir müssen es schaffen, dass sie über sich selbst hinauswachsen, sich erheben und Rom Widerstand leisten. Solange wir die Römer nicht aus unserem Land vertreiben können, werden wir auf ewig ihre Sklaven sein.«

»Du denkst, wir können uns gegen Rom zur Wehr setzen?« Callaecus sah seinen Häuptling mit offenkundigem Entsetzen an. Er senkte seine Stimme, als er fortfuhr. »Hast du den Verstand verloren? Wir können gegen Rom nicht gewinnen.«

»Warum nicht? Wir wären nicht die Ersten in Hispanien, die das versuchen. Viriathus und Sertorius sind einem Sieg sehr nahe gekommen. Sie scheiterten nur, weil sie verraten wurden. Diesen Fehler werde ich zu vermeiden wissen.« Die Augen des Häuptlings funkelten. »Außerdem ist die Provinz reif für einen Aufstand. Unser Volk ist nicht das einzige, das unter der Knute des Feindes ächzt. Es dürstet die Menschen nach Rache, und diesen Durst werden wir stillen, mein Freund. Unser Beispiel wird all jene ermutigen, die Rom hassen. Doch jetzt ist nicht der rechte Zeitpunkt, um darüber zu sprechen. Erst müssen wir unsere Leute in Sicherheit bringen.«

Callaecus nickte und machte Anstalten, sich zu den herannahenden Pferden umzuwenden, als er innehielt und auf die drei Überlebenden der Gefangeneneskorte zeigte. »Was soll mit denen geschehen?«

Iskerbeles betrachtete den Centurio und dessen Kameraden für einen kurzen Moment, bevor er eine Entscheidung traf. »Tötet die Soldaten. Und was den Centurio angeht … es wäre eine Schande, das schöne Kreuz und all die Nägel ungenutzt zu lassen.«

KAPITEL 1

Der Hafen von Ostia,
einen Tagesmarsch von Rom entfernt

Was ist das für ein Trubel?«, fragte Macro den Wirt und nickte in Richtung der grölenden Horde im hinteren Teil der Kneipe namens Neptuns Prora. Die Männer teilten sich einen großen Krug Rotwein sowie zwei der mehr oder weniger zum Wirtshauspersonal gehörenden Dirnen, die abwechselnd auf den Schößen der Männer Platz nahmen und versuchten, ihren Anteil vom Wein zu ergattern.

Der Wirt – ein verwegen aussehender Kerl mit wettergegerbtem Gesicht und Augenklappe – musterte seinen Gast einen Moment, bevor er zurückfragte: »Grad vom Schiff geklettert, was?«

Macro bedachte die schroffe Frage mit einem Nicken. Er gab seinem Gefährten ein unauffälliges Zeichen. Cato, der soeben den Saum seines Umhanges dazu benutzte, die Sitzfläche einer Bank in der Nähe der Eingangstür abzuwischen, verzog angeekelt das Gesicht, doch schließlich setzte er sich. Seine hohe, schlanke Gestalt zeichnete sich als dunkler Umriss vor dem grell einfallenden Sonnenlicht ab. Auf der Straße herrschte reges Treiben. Das Kreischen der Möwen, die am klaren blauen Himmel dahintrieben, durchschnitt das Stimmengewirr der Menge und die Ausrufe der Straßenhändler. Obwohl es noch früh am Tag war, lastete bereits eine drückende Hitze über der Stadt, und das kühle Wirtshaus bot willkommene Erholung.

»Das stimmt. Hatte ein Gläschen nötig, bevor es mit dem Boot den Tiber rauf nach Rom geht.«

»Mit einem Boot? Wohl kaum. In der Hauptstadt bereitet man sich auf den Feiertag vor. Also ist jedes Boot zum Bersten voll mit Wein, Lebensmitteln, Leuten. Du wirst die Straße nehmen müssen, mein Freund. Reist du allein?«

»Nein. Zusammen mit dem Präfekten da hinten.«

»Präfekt?« Der Wirt machte große Augen. Sein Blick taxierte seine Gäste mit neu erwachtem Interesse. Es gab wenig äußerliche Anzeichen, die auf Rang und Wohlstand hinwiesen. Beide Männer trugen militärische Umhänge und schlichte Tuniken. Der Kleinere von beiden am Tresen trug robuste Soldatenstiefel, wohingegen sein Gefährte, der Präfekt, recht kostbar wirkende und rot gefärbte Kalbslederstiefel anhatte. Beide hatten kleine Rucksäcke dabei, deren Ausbeulungen womöglich auf schwere Geldbeutel hindeuteten. Der Wirt setzte ein zahnloses Grinsen auf. »Immer ein Vergnügen, wahre Edelmänner bedienen zu dürfen. Gleicher Dienstgrad?«

»Nein, nein.« Macro lächelte zurück. »Ich verdiene mein Brot mit ehrlicher Arbeit.« Er klopfte sich auf die Brust. »Centurio Macro. Zuletzt Mitglied der Vierzehnten Legion, in Britannien, davor bei der Zweiten Augusteischen, der besten Legion des Heeres. Aber du hast mir nicht geantwortet – warum herrscht hier so ein Trubel? Die ganze Stadt ist aus dem Häuschen.«

»Wundert dich das? Du solltest den Grund eigentlich kennen, wo du doch aus Britannien gekommen bist. Es ist wegen diesem König Caratacus, der unsere Feldherren so lange an der Nase herumgeführt hat.«

Macro seufzte. »Ich verstehe! Dieser Mistkerl war glatt wie ein Aal und grimmig wie ein Löwe. Gut, dass wir ihn am Ende schnappen konnten. Was ist aus ihm geworden? Das Letzte, was ich gehört habe, war, dass er nach Rom gebracht werden sollte.«

»Und das wurde er auch, Herr. Man hielt ihn und seine Sippschaft die letzten sechs Monate über im Mamertinischen Kerker gefangen, während der Kaiser darüber nachdachte, was mit ihm geschehen sollte. Nun wissen wir es. Claudius hat entschieden, dass die ganze Bande bei einem Triumphzug durch Rom zur Schau gestellt und zum Tempel des Jupiter Optimus Maximus geführt wird, um dort den Tod durch den Strang zu erleiden. Das wird ein hübsches Fest. Der gute Claudius wird die Stadt festlich bewirten und im Circus Maximus für eine Dauer von fünf Tagen Gladiatorenkämpfe und Wagenrennen veranstalten lassen.« Der Gastwirt hielt inne. Er zuckte mit den Schultern. »Natürlich wird es in Ostia still wie in einem Grab sein, wenn alle nach Rom ziehen. Schlecht fürs Geschäft. Demnach sollte ich mich besser darum bemühen, so viel wie möglich einzunehmen, solange es noch läuft. Was darf es also sein, Herr?«

»Was hast du denn anzubieten? Wir wollen unsere Heimkehr gebührend feiern. Also bitte nicht das wässrige Zeug, das du den gewöhnlichen Kunden andrehst, die gerade vom Schiff geklettert sind. Hast du mich verstanden?«

Der Wirt schaute beleidigt drein. »Du tust mir unrecht, Herr. Ich versichere dir, bei Lucius Scabarus bekommst du einige der besten Weine, die in Ostia überhaupt nur zu bekommen sind.«

Was nicht viel heißen will, dachte Macro. Diese Kneipe machte wie alle anderen ihrer Sorte, die sich in Hafennähe dicht an dicht drängten, das große Geschäft mit den Durchreisenden. Derlei Gäste tendierten zu einer gewissen Anspruchslosigkeit, was die Qualität der Getränke und Speisen betraf.

»Also«, versuchte er es erneut, »dein Bester?«

Der Wirt wies mit einem Nicken auf mehrere Krüge, die auf dem obersten Regal hinter dem Tresen standen. »Letzten Monat ist ein feiner Tropfen aus Barcino eingetroffen.«

»Guter Jahrgang?«

»Nun, inzwischen ist er prächtig gereift, Herr.«

Macro nickte. »Also dann, einen Krug und zwei Becher. Sieh zu, dass sie sauber sind. Der Präfekt ist recht empfindlich.«

Der Wirt runzelte die Stirn. »Genau wie ich, Herr. Eine Mahlzeit dazu?«

»Vielleicht später. Wenn der Wein unsere Innereien nach der Überfahrt von Massilia beruhigt hat. War ziemlich stürmisch.«

»Wie du wünschst, Herr. Ich werde eins der Mädchen anweisen, etwas vorzubereiten, sollte euch nach Essen sein. Ach, übrigens – die Mädchen sind sehr sauber und willig und haben eine Menge Tricks auf Lager. Für wenig Geld.«

»Nein, danke. Ich habe keine drei Feldzüge in Britannien überlebt, um mir dann von einem Tripper den Garaus machen zu lassen. Bring uns einfach den Wein.«

Macro wandte sich ab und bahnte sich seinen Weg zurück zum Tisch, an dem Cato Platz genommen hatte, den Rücken gegen den rissigen und fleckigen Wandputz gelehnt. Er blickte trübsinnig vor sich, und Macro wusste nur zu gut, woran sein Freund dachte. Einige Monate zuvor in Britannien hatte Cato die Nachricht vom Tod seiner Frau erhalten. Die Rückkehr zu seinem Haus in der Hauptstadt würde die furchtbaren Trauerwunden neuerlich aufreißen. Julia war ein entzückendes Mädchen gewesen, und auch er, Macro, trauerte um sie. Doch nicht alles war verloren. Sie hatte einen Jungen geboren, der Cato gewiss wenig Trost spenden würde. Bald würde er ihn zum ersten Mal sehen. Das immerhin war ihm geblieben, und ein Teil von Julia lebte im jungen Lucius fort. Macro zwang sich zu einem Lächeln, als er sich setzte.

»Wein ist auf dem Weg. Der beste, den diese Spelunke zu bieten hat. Wenigstens können wir den Salzgeschmack endlich herunterspülen. Besonders nach diesem verdammten Schiffbruch vor Creta.«

»Erinner mich nicht daran.«

Macro verfluchte sich innerlich. Das war die Zeit gewesen, in der Cato sich im ersten Liebesrausch mit Julia befunden hatte. Hastig wechselte er das Thema. »Es gibt interessante Neuigkeiten. Habe sie gerade vom Wirt erfahren. Er sagt, Claudius habe entschieden, mit Caratacus und seiner Sippe ein Ende zu machen. Deswegen sind alle so ausgelassen. Der Kaiser hat Feiertage ausgerufen, um das Ereignis zu begehen.«

Cato holte tief Luft. »Hinrichtung? Das ist nicht gerecht. Er hat Besseres verdient, auch wenn er unser Feind war. Er hat ehrenhaft gekämpft. Rom gereicht es nicht gerade zur Ehre, ihn wie einen gewöhnlichen Verbrecher zu exekutieren. Wenn die Kunde nach Britannien dringt, wird sich unter den Stämmen nur neuer Unmut ausbreiten. Wir können froh sein, wenn keine offene Revolte ausbricht.«

»Vielleicht«, gab Macro zurück. »Allerdings ist es genauso gut möglich, dass sie klug genug sind, um zu begreifen, dass es sich nicht lohnt, sich dem Willen Roms zu widersetzen. Caratacus’ Tod wird einen überzeugenden Beleg dafür liefern.«

Einen Augenblick lang schwiegen beide, bevor Cato sich räusperte. »Dennoch bin ich nicht überrascht. Wegen der jüngsten Geschehnisse in Britannien. Kaiser Claudius und seine Berater werden die Angelegenheit zu überspielen versuchen, so gut es geht. An Niederlagen hat der Pöbel immer schwer zu schlucken.«

»Das ist wahr.« Macro nickte. »Diese verdammten Bergvölker haben uns ganz schön in den Arsch getreten. Gesegnet sei Fortuna, dass es uns gelungen ist, mit derart vielen Männern da wieder rauszukommen.«

Der Wirt kam mit einer schmucklosen Karaffe Wein und zwei gläsernen Trinkkelchen und stellte sie mit einem lauten Knall auf den Tisch. »Der Beste des Hauses. Eigens reserviert für vornehme Gäste.«

Macro nahm eines der Glasgefäße und betrachtete es kritisch. »Dann kommt der edle Tropfen wohl nicht oft zum Einsatz.«

Der Wirt setzte zu einer Erwiderung an, besann sich dann jedoch eines Besseren und streckte die Hand aus. »Zehn Sesterzen, Herr.«

»Zehn?« Macro warf ihm einen giftigen Blick zu. »Reinster Wucher.«

»Keineswegs, Herr. Angebot und Nachfrage. Da in Rom die großen Feierlichkeiten anstehen, kauft der Palast überall die Weinvorräte auf.«

Cato räusperte sich. »Bezahl den Mann einfach.«

»Moment! Der Kerl versucht, uns übers Ohr zu hauen …«

»Hier.« Cato wühlte in seiner Börse nach ein paar Münzen und legte sie dem Mann in die geöffnete Handfläche. »Und jetzt geh.«

Die Finger des Wirtes schlossen sich rasch um das Silber. Er verbeugte sich dankend und zog sich zum Tresen zurück. Macro blies seine Wangen auf, ließ das Verhalten seines Freundes jedoch unkommentiert. Stattdessen griff er nach dem Weinkrug, zog mit einem dumpfen Ploppen den Korken heraus und roch.

»Erstaunlich gut.«

Er füllte die Glaskelche, schob einen davon zu Cato hinüber und erhob seinen eigenen. »Auf die abwesenden Kameraden.«

Cato erhob ebenfalls seinen Kelch. »Auf die abwesenden Kameraden.«