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Die Sorgen eines Königs
Der König war offensichtlich beunruhigt.
Die Nachricht vom Tod des Dauphins und dass er wahrscheinlich ermordet worden war, hatte Frankreich erschüttert: Franz war sehr beliebt gewesen, und Caterina selbst hatte ihn sehr gemocht. Die Königinmutter hatte sich nun schon seit Tagen in ihre Gemächer eingeschlossen. Der König versuchte den Schmerz mit langen Ritten zu verarbeiten.
Der Krieg ging weiter, aber dieser glühend heiße Sommer schien für die kaiserlichen Truppen, angeführt von Antonio de Leyva und Ferrante Gonzaga, der heimtückischste und grausamste Feind zu sein: Die Männer starben in großer Zahl, und das Ausbleiben von Siegen machte sich bemerkbar, so dass die Franzosen auf einen baldigen Zusammenbruch der Invasoren hofften.
Caterina war daher besorgt und bitter, als sie vom König persönlich gerufen wurde.
Zum Zeichen der Trauer hatte sie an diesem Morgen gemäß der französischen Tradition ein weißes Kleid angelegt. Mit ihrer von Natur aus blassen Haut und den hellbraunen Haaren sah sie aus wie die Gestalt gewordene Melancholie und Bestürzung.
Sie betrat den Saal mit aller Demut und Bescheidenheit, die sie aufbringen konnte, denn sie wusste, dass Franz’ Tod ihre Position zwar stärkte, sie aber auch angreifbar machte. Dass sie die Erste war, die von seinem Tod profitierte, weil sie dadurch zur Dauphine von Frankreich wurde, machte sie verdächtig.
Als sie Franz I. erblickte, in einem prächtigen Samtwams mit goldenen Knöpfen, den dunkelbraunen Bart gelockt und üppig, ganz ohne Allüren, versank sie in einem so tiefen Hofknicks, dass es ihr kurz den Atem nahm.
»Nicht doch, ma fille, was sollen diese Formalitäten?«, sagte der König mitfühlend. »Umarmt mich lieber, denn ich weiß, wie sehr Ihr Franz gemocht habt.« Der König ging auf Caterina zu und drückte sie an seine Brust.
Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, denn es stimmte, sie hatte Franz geliebt. Sie hatte Heinrich geheiratet, sicher, aber ihr Gatte hatte seine Unzulänglichkeiten nur allzu bald enthüllt: Er war schüchtern und scheu, und vor allem wurde er vollkommen von der Schlampe kontrolliert, die ihn seit jeher schon herumkommandierte: Diana von Poitiers, die schönste Frau Frankreichs und vielleicht der Welt, war seine Herrin und Geliebte, und Caterina war sehr schnell schmerzlich klar geworden, wie schwierig ihr Leben bei Hofe werden würde. Das hatte sie natürlich nicht daran gehindert, Heinrich zu lieben, denn er war schön, jung und stark. Aber Franz war aus ganz anderem Holz geschnitzt gewesen. Er war ein Mann von Ehre und Prinzipien.
Und jetzt war er tot.
Daher waren ihre Tränen aufrichtig, denn sie waren Ausdruck eines Schmerzes, der an Verzweiflung grenzte. Der König war jetzt der einzige Verbündete, der ihr geblieben war.
»Eure Majestät, Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr er mir fehlen wird«, sagte sie einfach nur.
Franz I. seufzte. Dann löste er sich, ziemlich verlegen, aus der Umarmung und blickte Caterina mit einer tiefen Traurigkeit in die Augen, weil er überhaupt keine Lust hatte, mit ihr über Montecuccoli zu sprechen, sich dieser Aufgabe aber auch nicht entziehen konnte.
Caterina erkannte, dass ihn etwas bedrückte, und zog es vor, ohne Umschweife direkt auf den Punkt zu kommen.
»Etwas belastet Euch, mein Herr, etwas, das über den Tod Eures Sohns hinausgeht. Ich sehe es in Euren Augen, daher sprecht aus, was Ihr mir sagen wollt, und ich werde Euch angemessen antworten.«
Franz I. schüttelte den Kopf. »Wie klug Ihr doch seid, Caterina, mein Kind, für Euch bin ich inzwischen ein offenes Buch. Und ich muss zugeben, es ist so, deswegen sage ich Euch alles. Aber setzt Euch doch erst einmal«, antwortete der König und deutete auf zwei bequeme, mit blauem Samt bezogene Sessel, die mit goldenen französischen Lilien, dem königlichen Wappen, verziert waren.
Während Caterina sich setzte, begann der König zu erzählen.
»Seht, meine Tochter, als ich vor einigen Tagen vom Tod meines geliebten Franz erfahren habe, haben andere Stimmen mein Herz durchbohrt.«
»Meint Ihr die Gerüchte, er sei ermordet worden?«
»Ganz genau, Caterina. Das Problem ist, dass es nicht bloß Gerüchte sind. Erlaubt mir, ganz offen zu sein: Der persönliche Chirurg des Dauphins, Monsieur Guillaume Maubert, behauptet, dass der Tod, der natürlich aussieht, in Wirklichkeit ein gut verborgener Mord sein könnte.«
Als Caterina diese Worte hörte, legte sie unwillkürlich eine Hand auf den Mund. Sie riss die Augen auf. Allmählich wurde ihr klar, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde.
Und sie bekam Angst.
Der König nickte milde, als wüsste er, was sie dachte. »So ist es«, bekräftigte er, »und seid gewiss, Guillaume Maubert ist niemand, der leichtfertig solche Behauptungen macht. Aber da ist noch mehr. Zu unserem Glück hatte ein herausragender Soldat, der Kapitän der vierten Kompagnie der Pikeniere, Raymond de Polignac, bereits begonnen, Nachforschungen anzustellen, so dass er mich, als ich nach Tournon-sur-Rhône kam, um meinen Sohn ein letztes Mal in die Arme zu schließen, über einen Verdacht informieren konnte.«
»Und wer steht im Zentrum dieses Verdachts?«, hakte Caterina mit Tränen in den Augen nach.
Der König seufzte. »Anscheinend hat ein gewisser Sebastiano di Montecuccoli, Graf von Modena, Franz irgendwie dazu gebracht, nach einer ebenso merkwürdigen wie unbedachten Partie Jeu de Paume unmäßig viel eiskaltes Wasser zu trinken. Beim bloßen Gedanken daran fällt es schwer, die Wut zu unterdrücken …« Die Stimme des Königs zitterte vor Trauer und Wut. »… auf jeden Fall weiß niemand, ob Montecuccoli diesen Moment genutzt hat, um irgendein Gift in Franz’ Glas zu schütten. Das, was ich Euch aber sagen möchte, Caterina, ist, dass Montecuccoli, als der Kapitän Polignac ihn gebeten hat, seine Rolle bei Hofe zu erläutern, ohne zu zögern gesagt hat, dass er in Eurem Gefolge hergekommen sei. Eine Aussage, die seine offensichtlich italienische Herkunft nur zu bestätigen scheint.«
Caterina war sprachlos. Einen Augenblick lang wusste sie nicht, was erwidern angesichts dieser dreisten Lüge. Sie wurde blass, dann übernahmen Wut und Empörung.
»Ich habe diesen Herrn nie in meinem Gefolge oder meinen Diensten gehabt. Ich kannte weder seinen Namen noch seinen Titel, bevor Ihr ihn genannt habt. Montecuccoli, keine Ahnung, wer das ist. Doch in meinen Augen ist er nur eines: Der Mann, der mir meinen geliebten Franz genommen hat. Und Ihr wisst nur zu gut, wie sehr ich an ihm gehangen habe, ein wie guter Freund er mir war, sogar noch mehr als mein Gemahl, der mich seit dem Hochzeitstag praktisch ignoriert. Und mehr sage ich nicht.«
Franz I. überdachte diese Worte, dann versuchte er aus reiner Vorsicht nachzuhaken, weil er sich absolut sicher sein wollte, was Caterina sagte.
»Seid Ihr sicher, dass Ihr nichts verbergt? Entschuldigt, wenn ich es Euch noch einmal frage, aber ich muss es tun, ma fille.«
»Eure Majestät, ich kann nichts anderes sagen. Wenn Ihr mir nicht mehr vertraut, wenn der Verdacht so groß ist, dass er die Treue und Aufrichtigkeit überschattet, die ich Euch gegenüber immer an den Tag gelegt habe, nun, dann zögert nicht, mir sofort den Kopf abschlagen zu lassen.«
Caterina hielt dem Blick des Königs mit einer solchen Sicherheit und einem so strahlenden Leuchten in den Augen stand, dass die Wahrheit klar hervortrat.
Der König atmete erleichtert auf. Er hatte ein Aufblitzen in Caterinas Iris gesehen, und falls sie nicht eine meisterhafte Schauspielerin war, war er sich sicher, dass sie die Wahrheit sagte. Andererseits konnte er ihr die Ungewissheit, die er tief in seiner Seele spürte, nicht verschweigen: Er mochte sie zu sehr und wusste, dass die beste Art, die Position dieser jungen, scharfsinnigen und mutigen Frau zu stärken, war, ihr seine Fehler einzugestehen.
»Caterina, Eure Worte sind wahrer Balsam. Ich weiß, dass meine Sohn Heinrich wankelmütig ist, aber ich werde ihm das sicher nicht zum Vorwurf machen. Ich weiß um meine Schwächen und bin wohl der Letzte, der ihn auf seine Pflichten hinweisen darf. Außerdem hasst Heinrich mich …«
»Das ist nicht wahr, Eure Majestät.«
»Doch, das ist es, seit ich ihn als Geisel den Gefängniswärtern in Madrid überlassen habe. Und ich kann es ihm nicht einmal übelnehmen. Wie dem auch sei, was jetzt zählt, ist die Thronfolge. Ich möchte nicht zynisch erscheinen, Caterina, aber ich weiß bereits, was man von nun an bei Hofe sagen wird: dass Heinrich und Ihr die Ersten seid, die von Franz’ tragischem Tod profitieren. Ihr seid jetzt die Dauphins Frankreichs. Ich will nicht wissen, wie oft Heinrich Euch in Eurem Bett besucht, aber zu Eurer eigenen Sicherheit rate ich Euch, ihm bald einen Sohn zu schenken. Ich werde immer meine schützende Hand über Euch halten, Caterina, weil ich in Euren Augen diese Intelligenz und Sensibilität sehe, die zu den ersten Eigenschaften gehören, die ich bei einer Frau bewundere, aber Ihr seid dem Thron so nah, dass Ihr es Euch nicht mehr erlauben könnt, ohne Sohn zu sein …«
»Eure Majestät …«, wollte Caterina einwerfen.
»Unterbrecht mich nicht, ma fille. Was ich Euch sage, ist: Bringt einen Sohn zur Welt. Und tut es so bald wie möglich. Nur so könnt Ihr Euch vor den Intrigen Diana von Poitiers schützen. Seid sehr vorsichtig, Caterina. Clemens VII. ist seit zwei Jahren tot. Und nun ist auch Franz, der Euch sehr mochte, von uns gegangen. Ich bin der letzte Freund, der Euch geblieben ist, und Ihr müsst mir zugestehen, dass ich sehr offen mit Euch spreche. Aber wenn ich das tue, dann eben weil ich Euch so sehr liebe und weil ich in Euch die Tochter sehe, die ich nie hatte. Euer Wissen über Philosophie und Astrologie überrascht mich, genau wie die Gewandtheit und Unternehmungslust, die Ihr zu Pferde und sogar bei der Jagd an den Tag legt, als wärt Ihr die neue Artemis. Und genauso denke ich über Euren Geschmack und diese nüchterne Eleganz, die Euch schon immer charakterisiert. Voilà! Jetzt habe ich es ausgesprochen. Aber es wäre naiv von Euch zu glauben, dass das reicht, um Euch zu retten. Findet eine Möglichkeit, Heinrich wieder in Euer Bett zu locken. Macht auch ihm bewusst, dass ein Sohn seine Stellung als Thronfolger stärkt. Ich habe vor, noch einige Jahre auf dem Thron zu bleiben, aber es bringt nichts, der Wahrheit nicht ins Auge zu sehen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Caterina nickte. Sie hätte gern vieles gesagt, begriff aber nur zu gut, dass eine Gegenrede sinnlos war. Dieses Gespräch bot in seiner unverblümten Härte viel mehr Gutes, als anfangs abzusehen gewesen war, nicht zuletzt, weil es ihr ganz genau aufzeigte, wie sie sich in Zukunft verhalten musste.
»Ich werde tun, wie Ihr mich geheißen habt, Eure Majestät«, antwortete Caterina folgsam.
»Das wird kein Fehler sein, glaubt mir. Und ratet auch meinem unglückseligen Sohn, Eurem Beispiel zu folgen«, fügte er deutlich hinzu, »denn ohne Erben wird Euch kein langes Leben bei Hofe beschieden sein.«
»Eure Majestät … was die andere Frage angeht?«
»Ihr meint Montecuccoli?«
Caterina nickte.
»Ma fille … glaubt Ihr wirklich, dass ich so offen mit Euch gesprochen hätte, wenn ich Euch nicht glauben würde? Macht Euch keine Sorgen, ich werde Polignac sagen, was ich in Euren Augen gesehen und in Eurer Stimme gehört habe, und Ihr habt nichts zu befürchten. Ich bin mir sicher, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Nun lasst mich allein, damit ich Nachrichten an meinen guten Kapitän schicken kann, um ihm zu sagen, welchem Weg er folgen soll.«
Ohne ein weiteres Wort stand der König auf und bot Caterina die Hand.
»Nun seid Ihr die Gemahlin des Dauphins von Frankreich, auch wenn ich zugeben muss, dass es mir lieber gewesen wäre, wenn Ihr es unter anderen Umständen geworden wärt …« Einen Augenblick lang brach seine Stimme. »Versprecht, dass Ihr diesen Titel mit Euren Handlungen ehrt.«
»Das verspreche ich«, sagte sie.
»Dann geht nun«, schloss der König. »Die Zeit drängt.«