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Buch

Frankreich 1536. In ihrem Schwiegervater Franz I., König von Frankreich, hat Caterina de’ Medici einen starken Fürsprecher. Doch sie fühlt sich schwach, weil sie ihrem Mann Heinrich keine Nachkommen schenkt. Überzeugt davon, Opfer eines Fluches zu sein, bittet sie Nostradamus um Hilfe. Und tatsächlich wird sie bald danach schwanger und bekommt einen Sohn. Als Franz I. stirbt, wird Heinrich König von Frankreich und Caterina somit Königin. Im aufflammenden Religionskrieg zwischen Katholiken und Hugenotten schmiedet Caterina jedoch gefährliche Allianzen. Der Konflikt mündet schließlich in der blutigen Bartholomäusnacht. Und als ihr Mann Heinrich II. kurz darauf stirbt, steht Caterina allein und schutzlos da …

Autor

Matteo Strukul wurde 1973 in Padua geboren. Er hat Jura studiert und in Europäischem Recht promoviert. Er gehört zu den neuen Stimmen der italienischen Literatur und hat sich bisher vor allem als Autor von Thrillern einen Namen gemacht, die für die wichtigen italienischen Literaturpreise nominiert wurden. Strukul lebt mit seiner Frau Silvia abwechselnd in Padua, Berlin und Transsilvanien.

MATTEO STRUKUL

MEDICI

Das Blut der Königin

Historischer Roman

Aus dem Italienischen

von Ingrid Exo und Christine Heinzius

Die Originalausgabe erschien 2017
unter dem Titel »Medici. Una regina al potere«
bei Newton Compton editori, Rom.


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Deutsche Erstveröffentlichung August 2017

Copyright © der Originalausgabe 2017

© Newton Compton editori s.r.l.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017

by Wilhelm Goldmann Verlag, München

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur München

Umschlagfoto: gettyimages/De Agostini/A. Dagli Orti

FinePic®, München

Redaktion: Sigrun Zühlke

BH · Herstellung: kw

Satz: omnisatz GmbH, Berlin

ISBN: 978-3-641-21001-4
V002


www.goldmann-verlag.de

Für Silvia

Juni 1525

Prolog

Stolz erhob sich die Kathedrale Santa Maria del Fiore, das Meisterwerk Filippo Brunelleschis, über der Stadt, so stolz, dass es aussah, als wollte sie den Himmel selbst herausfordern. Caterina ging mit kleinen Kinderschrittchen auf dieses Wunderwerk zu. Ihre Tante hatte befürchtet, das imposante Bauwerk würde ihr Angst machen, aber nein, ganz im Gegenteil. Fasziniert hob sie den Blick zu der roten Kuppel empor, als wolle sie deren Höhe ermessen.

»Wie hoch ist die, Tante?«, fragte sie ganz begeistert.

Clarice betrachtete die Kleine. »Vom Grund bis zur Laterne oben auf der Kuppel sind es über zweihundert braccia«, antwortete sie.

Caterina riss die Augen auf. »So hoch?«

Die Tante nickte.

Die Sonne strahlte am Himmel. Die Kathedrale schien den Sonnenschein einzufangen und sich in eine Wolke aus Goldstaub zu hüllen, um ihre eigene Pracht zu verstärken.

Caterina war noch nicht fertig. Sie liebte Fragen. Fragen kosteten keine Mühe. Bei den Antworten war das schon anders, dachte sie. Aber sie war ein Kind und wusste keine Antworten, oder zumindest dachten die Erwachsenen das. Das nutzte sie aus, um alles zu fragen, was ihr einfiel.

»Und wer hat sie gebaut?«, fragte sie.

»Ein großer Künstler.«

»Wie heißt er?«

»Filippo Brunelleschi. Und er war der fähigste und außergewöhnlichste Architekt seit Menschengedenken. Nun, eigentlich war er ein Goldschmied, aber er hat das Problem der Kuppel gelöst.«

»Was meinst du damit?« Caterina lachte kurz. Noch eine Frage. Sie liebte dieses Spiel.

»Die Kathedrale hatte über hundert Jahre lang gar keine Kuppel, sie war in gewisser Weise offen geblieben …«

»Und was ist dann passiert?«, drängte das Mädchen die Tante, weil diese Geschichte sie mehr interessierte als jede andere.

»Die Dombauhütte, die über die Pläne zur einer möglichen Bedachung entschied, hatte zwei großartige Modelle zu Auswahl: Eines von Lorenzo Ghiberti und das andere von Filippo Brunelleschi. Ghiberti wurde von der Familie Strozzi unterstützt und Brunelleschi von den Medici, der Familie, zu der ich gehöre.«

»Und ich auch, nicht wahr?«, fragte Caterina. Sie war sich sicher, aber sie mochte es, bestätigt zu werden.

Ihre Tante nickte. »Ganz genau.«

»Erzählst du mir das Ende der Geschichte?«

»Ghiberti und Brunelleschi gewannen beide. Denn die Dombauhütte beschloss, beiden die Leitung der Arbeiten für den Bau der Kuppel anzuvertrauen. Aber es war Filippo, der die besten und revolutionärsten Einfälle hatte.«

»Und was ist dann passiert?«, beharrte Caterina.

»Nach einigen Jahren, in denen Lorenzo und Filippo Seite an Seite gearbeitet hatten, Letzterer aber praktisch auf alle Lösungen gekommen war, um eine Kuppel mit einer Spannweite von über hundert braccia zu errichten, beschloss der große Goldschmied, sich wegen einer Krankheit nach Hause zurückzuziehen.«

»Und stimmte das?«

»Was denn?«

»Dass er krank war?«

Clarice lachte laut auf. »Du bist wirklich aufgeweckt!«

»Findest du?«, fragte Caterina und zog eine Augenbraue mit einer Art unschuldigen Heimtücke hoch, was die Tante noch mehr zum Lachen brachte.

»Ja.«

»Und, stimmte es denn?« Die Kleine ließ nicht locker.

»Natürlich nicht. Wie du schon begriffen hast, wollte Filippo auf diese Weise nur erreichen, dass Lorenzo seine Unfähigkeit bewies. Filippo blieb der Baustelle fern, bis einige Vertreter der Dombauhütte zu ihm nach Hause kamen, weil die Arbeiten nicht mehr wie geplant vorangingen. Als die wichtigsten Familien der Stadt ihn baten zurückzukehren, forderte er, die Leitung der Arbeiten ganz allein übertragen zu bekommen.«

»Und hat er es geschafft?«

»Was glaubst du?«

Caterina hatte keinerlei Zweifel: »Natürlich. Denn die Medici hatten ihn ausgewählt.«

Clarice blieb erstaunt der Mund offen stehen. »Du hast deine Lektion gut gelernt«, sagte sie verblüfft.

»Das ist ganz dein Verdienst, Tante.«

»Glaubst du wirklich?«

»Ich bin mir sicher.«

»Nun gut. Jetzt, wo du weißt, wie die Kuppel gebaut wurde, was meinst du, sollen wir nach Haus zurückkehren? Irre ich mich, oder musst du noch Latein lernen?«

»Uff.«

»Nur Mut. Wie willst du denn eine echte Medici werden, ohne zu lernen?«

»In Ordnung, in Ordnung«, sagte die Kleine, hob die Händchen und imitierte die Geste, die ihrem Onkel oft entwischte, wenn er mit Clarice sprach und wusste, dass er nicht gegen sie ankam. »Aber können wir zuerst noch etwas bleiben und die Kuppel anschauen?«

»Na gut«, antwortete die Tante und strich ihr über den Kopf.

Dann hob auch sie den Blick und betrachtete verzaubert die große Kuppel von Santa Maria del Fiore.

Sie war wirklich wunderschön.

August 1536

1

Der Dauphin

Er hatte geschrien, bis ihm der Hals brannte.

Er hatte die Hände an die Brust geschlagen, während ihn ein tiefer Schmerz zerriss: Flüssiges Feuer verbrannte seine Seele. Er hatte den Kelch mit kristallklarem Wasser fallen lassen, der zerbrochen war.

Und jetzt waren seine Augen gläsern. Der Kopf lag auf der Schulter. Die weißen leeren Hände hingen über den Armlehnen des Sessels, die Finger schneeweiß und kalt. Das Gesicht war eine eisige Maske: noch schön, doch in einer Starre, die nur einen Namen kannte.

Er konnte denen, die ihn riefen, nicht mehr antworten.

Er war tot.

Es klopfte an der Zimmertür. Ein Trupp Soldaten versuchte, die Tür aufzubrechen. Dumpf klangen die Schläge, bis es ihnen schließlich gelang, sie zu öffnen.

Monsieur Raymond de Polignac, Kapitän der zweiten Kompagnie der Pikeniere von Frankreich, eilte in das Zimmer des Dauphins, gefolgt von seinen Männern und zwei Dienerinnen. Als er Franz in dem Sessel sah, fiel ihm der Hut mit der Krempe und der weißen Feder aus den Händen.

»Hoheit«, murmelte er mit gebrochener Stimme.

Eine der Dienerinnen schrie auf. Raymond bedeutete einem Pikenier, die beiden Frauen hinauszubringen.

Während Raymonds Blick auf dem schlichten, mit blauem Samt bezogenen Sessel ruhte, dachte er an seinen König, der seinen Lieblingssohn verloren hatte, und schüttelte den Kopf. Dann trat er zu Franz und schloss ihm sanft die Augenlider, hob den Federhut wieder auf und hielt ihn sich vor die Brust.

Er seufzte.

Er sah das Sonnenlicht, das in goldenen Strahlen zwischen den kaum geschlossenen Brokatvorhängen hineinfiel. Die Luft füllte sich bereits mit dem Odem des Todes.

Der Krieg war bis hierher gekommen. Der Habsburger Karl V. war mit seinen Truppen in die Provence einmarschiert bis nach Tournon-sur-Rhône. Doch nun, da dieser feuchte Sommer voller Stechmücken begonnen hatte, die Soldaten zu schwächen, sie matt und krank machte, überlegte er, nach Savoyen zurückzukehren. Und es war nicht nur das. Franz I. von Frankreich hatte aus seinem eigenen Reich verbrannte Erde gemacht. Die Felder waren abgebrannt, die Brunnen vergiftet worden. Das Land hatte sich geleert, und jetzt wuchs dort nichts mehr. Die Erde war von ihrem eigenen Herrscher getötet worden, nur um das Heer des Kaisers von Österreich und Spanien mit dem Tod zu empfangen.

»Gebt mir einen Augenblick. Ich werde dem König schreiben. Übergebt den Brief direkt den Händen Seiner Majestät, der sich derzeit in Lyon aufhält«, befahl er den Wachen, die bei ihm waren.

»Ich werde ihm erklären, was vorgefallen ist. In der Zwischenzeit ruft Ärzte und Chirurgen herbei, damit ich sie nach der Todesursache befragen kann. Bis dahin darf niemand erfahren, was hier geschehen ist. Dunkle Tage stehen Frankreich bevor.«

Monsieur de Polignac verlor keine Zeit. Er setzte sich an den Schreibtisch des Dauphins und schrieb in schöner Schrift einige Zeilen. Er faltete die Bogen zusammen, schmolz über einer Kerzenflamme Siegellack, ließ ihn auf die Seiten tropfen und drückte sein Siegel hinein.

Währenddessen gingen seine Pikeniere hinaus, einer suchte die Stallungen auf, um einen Boten nach Lyon loszuschicken. Monsieur de Polignac blieb und betrachtete den Toten.

Er hatte eine Hand auf das Gesicht des Dauphins gelegt. Dann hatte er die Lider geschlossen, aus Mitleid mit dem armen Jungen, aber sonst hatte er nicht ein Haar geändert. Alles im Zimmer musste genau so bleiben, wie er es vorgefunden hatte.

Er stand mitten im Raum, reglos, während sein Geist in einem Meer aus Fragen ohne Antworten ertrank: War es ein natürlicher Tod? Wenn nicht, wer hätte den Dauphin ermorden wollen? Wieso? Bei längerem Nachdenken blieb nur die Qual der Wahl.

Seufzend richtete er sein Samtwams, während die blendenden Strahlen der aufgehenden Sonne von seinem Schwert, das er am Gürtel trug, reflektiert wurden. Er ging ein paar Schritte, und die Absätze der Stiefel schienen den Takt des Wartens anzugeben. Er zog den linken Handschuh aus und schlug ihn mit der rechten Hand in die offene linke. So machte er weiter, bis Monsieur Guillaume Maubert, der Leibarzt des Dauphins, das Zimmer betrat.

Polignac blickte ihm mit aufrichtiger Bestürzung entgegen. In seinen hübschen, hellen Augen stand Bitterkeit. Mit dem linken Zeigefinger strich er sich den dünnen Schnurrbart glatt, während er neugierig diesen kleinen Mann mit dem schelmischen Blick musterte.

Die roten Wangen, die ungekämmten Haare und die kleinen, lebhaften Augen hätten auch den aufmerksamsten Beobachter täuschen können und ihn glauben machen, dieser Mann sei seiner Aufgabe nicht gewachsen, aber Polignac konnte über den äußeren Anschein hinaussehen und wusste, dass sich hinter dem schlichten Äußeren ein brillanter Verstand verbarg.

»Monsieur Maubert«, sagte er, »ich möchte keine Zeit mit Vorreden verlieren. Ich danke Euch für Eure Bereitwilligkeit und bedaure, dass wir uns unter so denkbar traurigen Umständen treffen. Ich bitte Euch, nehmt Euch alle Zeit, die Ihr braucht, um die Todesursache des Dauphins sicher festzustellen.«

»Wurde der König benachrichtigt?«, fragte der Chirurg mit leiser Stimme.

»Ich habe bereits einen Brief nach Lyon auf den Weg gebracht.«

»Großartig. Dann fangen wir mal an.«

»Ich muss Euch nicht sagen, dass diese Angelegenheit mit äußerster Diskretion behandelt werden muss, bis wir die Gründe für Franz’ Ableben zweifelsfrei kennen.«

»Selbstverständlich.«

Caterina spürte die frische Brise auf dem Gesicht. In diesem feuchten, glühend heißen August war ein Ausritt am frühen Morgen ein Vergnügen, auf das sie nicht verzichten wollte. David, ihr geliebter Rotschimmel, flog nur so im Galopp durch die leuchtend grünen Felder.

Sie hatte den Wallach nach Donatellos Statue benannt, um ihre Identität als Medici und Florentinerin zu unterstreichen: Eine Herkunft, auf die sie stolz war, obwohl sie viele bei Hofe genau deswegen eine italienische Krämerstochter schalten.

Dabei missachteten sie die Tatsache, dass sie die Gattin von Heinrich von Valois war und somit Herzogin von Orléans und Prinzessin von Frankreich.

Doch Caterina war das gleichgültig: Sie wusste, dass sie bei Hofe gehasst und gleichzeitig gefürchtet wurde. Auch ihre Art zu reiten, wie eine Amazone, war den Damen des Königs verdächtig, vor allem seiner Mätresse, Madame d’Étampes.

Die schöne Herzogin machte keinen Hehl aus ihrer Verachtung, die nur gemildert wurde, weil der Herrscher Caterina vom ersten Tage an mit einer Begeisterung empfangen hatte, die beinahe an Bewunderung grenzte. Und das besonders wegen ihrer Unternehmungslust.

Sie lächelte. Dieser helle Morgen war so voller Eleganz. Die frische Brise verstärkte die tausenderlei Gerüche, die die Luft mit dem süßem und belebenden Duft von Thymian und wildem Lavendel erfüllten. Caterina atmete tief ein, dankbar für diese Augenblicke der Einsamkeit und Ruhe und der verführerischen Schönheit der Natur.

Sie blickte über die Weinberge, die sich über die sanften Hügel erstreckten, und die Wasser der Rhone, die wie ein Band aus flüssigem Silber unter dem durchsichtigen, aber schon lebendigen und strahlenden Licht des hellblauen Himmels glitzerten.

Wie schön diese Landschaft war mit ihren Bauernhäusern aus roten Ziegeln und den majestätischen Olivenbäumen, die die mediterranen Anklänge des Midi noch verstärkten.

Schon bald würde die Sonne hoch am Himmel stehen, und man musste sich in die großen Salons des Schlosses zurückziehen oder im kühlen Schatten Erleichterung suchen.

Sie träumte davon, so bald wie möglich ein Glas eiskaltes Wasser zu trinken.

2

Der Graf von Montecuccoli

Nachdem er den Fall überprüft hatte, hatte Monsieur Guillaume Maubert vermutet, dass der Dauphin eines natürlichen Todes gestorben war. Doch er hatte andere Hypothesen, ja sogar eine Vergiftung, nicht a priori ausschließen können.

Daher hatte Kapitän de Polignac darauf gedrängt, zur Sicherheit absolute Diskretion zu wahren, und unverzüglich begonnen, persönlich rasche und diskrete Nachforschungen anzustellen. Vielleicht war das alles ja nur ein Strohfeuer, aber er wollte kein Risiko eingehen.

Nichts war durchgesickert, auch weil der persönliche Chirurg des Dauphins Zeit brauchte, um eventuelle Verdachtsmomente zu beweisen.

Inzwischen musste der König die Nachricht bereits erhalten und Tournon-sur-Rhône verlassen haben.

Währenddessen hatte der Kapitän herausgefunden, dass Franz am vorigen Nachmittag sehr unbesonnen eiskaltes Wasser getrunken hatte. Die Hitze stieg einem zu Kopf, und so hatte er gehofft, wenigstens etwas Erfrischung erhaschen zu können.

Das hatte ihm jedenfalls ein gewisser Gasquet erzählt, einer seiner Pagen. Er hatte noch ergänzt, dass es einer seiner Schildknappen gewesen war, der den Dauphin so schlecht beraten hatte: Sebastiano di Montecuccoli, Graf von Modena.

Gasquet hatte auch erzählt, dass der Dauphin, als er im Lager in Tournon-sur-Rhône bei seinem Vater dem König gewesen war, der sich in wenigen Tagen mit weiteren Soldaten zusammenschließen sollte, um gegen die kaiserlichen Truppen von Karl V. zu ziehen, sich die Zeit mit einer Partie Jeu de Paume vertrieben hatte.

Sie hatten mit Sebastiano di Montecuccoli gespielt. Danach hatte er, erhitzt und in brütender Hitze, als alle sich im Schatten der Zelte erholten, mit dem Graf eiskaltes Wasser getrunken. Er erinnerte sich, dass es der Schildknappe selbst war, der darum gebeten hatte, zwei große Amphoren mit kaltem Wasser zu füllen. Nicht nur das: Montecuccoli hatte Gasquet zum Brunnen begleitet.

Deswegen sprach Kapitän Raymond de Polignac nun mit dem Edelmann.

Er kannte den Mann nicht, aber kaum dass er ihn erblickte, hatte er einen miserablen Eindruck von ihm: Er erschien ihm aalglatt, sein Verhalten so ausweichend, dass er ihm sofort unsympathisch war. Es war vollkommen unklar, welche Aufgaben ihm gegenüber dem Dauphin oblegen hatten.

Er hatte zarte Züge, kalte Augen, und sein Aussehen war überaus gepflegt: Die Haut weich und hell, der Blick entspannt. Er trug ein elegantes Samtwams. Seine ganze Erscheinung war alles andere als durchschnittlich.

»Also, wenn ich das richtig verstanden habe, seid Ihr im Gefolge von Caterina de’ Medici, der Gemahlin des Herzogs von Orléans, an den Hof gekommen?«

»Ganz genau«, erwiderte Montecuccoli. Auf seinem Gesicht lag ein Grinsen, als wüsste er genau, worauf Polignac hinauswollte. Er spielte mit einer Strähne seiner braunen Haare, drehte sie um den rechten Zeigefinger.

»Und doch seid Ihr Schildknappe des Dauphins geworden«, und noch während er das aussprach, wurde ihm klar, wie unglaubwürdig es klang.

»So kann man sagen, ja.«

Polignac zog eine Augenbraue hoch. Dieses lässige und vage Verhalten erstaunte ihn immer mehr.

»Und wart Ihr es auch, der dem Dauphin gestern empfohlen hat, eine große Menge kaltes Wasser zu trinken?«

»Kapitän, Franz war langweilig, deshalb hat er mich gebeten, mit ihm eine Partie Jeu de Paume zu spielen. Ich habe ihm davon abgeraten, da die Sonne das Lager praktisch anzünden wollte. Aber er hat nicht auf mich hören wollen. Nach der Partie waren wir so erhitzt, dass der Dauphin darauf bestanden hat, einen Pagen zu schicken, um kaltes Wasser zum Trinken zu bringen.«

»Und Ihr habt den Pagen, wie heißt er doch … Gasquet, zum Brunnen begleitet?«

»Exakt.«

Polignac seufzte. »Gut«, sagte er, »ich nehme zur Kenntnis, was Ihr mir gesagt habt. Ich bitte Euch, in den nächsten Tagen unter keinen Umständen das Lager zu verlassen.«

»Ist dem Dauphin etwas zugestoßen?«

»Nichts Besorgniserregendes. Eine leichte Unpässlichkeit. Ich frage einfach nur nach.«

»In Ordnung«, stimmte Montecuccoli zu, aber es war offensichtlich, dass er keine Silbe von dem, was der Kapitän der Pikeniere gerade gesagt hatte, glaubte.

Raymond de Polignac stand auf. Er reichte dem Grafen die Hand und ging ohne ein weiteres Wort zur Tür.

Als er seinen Erstgeborenen leichenblass sah, weinte Franz I.

Er konnte die Tränen nicht zurückhalten: Nicht nur, weil es sein Lieblingssohn war, sondern auch wegen der Schmerzen, denen er selbst ihn vor zehn Jahren ausgesetzt hatte.

Und von dieser Scham und dieser Qual hatte sich der König nie ganz erholt. Er fühlte seinen Söhnen und vor allem seinem Erstgeborenen gegenüber eine gewisse Schuld, von der er sich jetzt, nach diesem harten und ungerechten Tod, niemals würde befreien können.

Er erinnerte sich noch genau, wie er nach der Unterzeichnung des Vertrags der Schande in Madrid unwürdigen Kapitulationsbedingungen zugestimmt hatte, die bestimmten, dass er nur nach Frankreich zurückkehren durfte, wenn er seine Kinder als Geiseln zurückließ. So waren Franz und Heinrich dem habsburgischen Kaiser übergeben worden, der sie für drei Jahre in den Verliesen des Schlosses in Madrid verrotten ließ.

In dieser Gefangenschaft hatte Franz Seele Schaden genommen. Für immer. Und die Bemühungen des Vaters, diese Wunde zu heilen, waren fruchtlos geblieben. Franz I. hatte gehofft, in diesem neuen Krieg gegen Karl V., der sich zu seinen Gunsten entwickelte, Seite an Seite mit seinem Sohn zu kämpfen und dessen Hochachtung zurückzuerlangen. Doch zum zweiten Mal hatte ihn das Schicksal betrogen.

Kaum hatte er Polignacs Zeilen gelesen, war der König auf sein Pferd gestiegen und hatte sich im Galopp auf den Weg nach Tournon-sur-Rhône gemacht.

Seinen Sohn so leichenblass zu sehen, die Haut schimmerte beinahe grünlich, und vom Tod verzehrt, hatte ihm diese Tage der Angst und Unzulänglichkeit erneut in Erinnerung gerufen, die dazu geführt hatten, dass er seine Söhne verraten hatte.

Und diese Erinnerung war für ihn die schlimmste aller Strafen.

Der einzige Trost lag in den Nachforschungen, die Kapitän de Polignac über den Tod des Dauphins anstellte: Dieser Mann war ein Soldat von großem Wert und unverbrüchlicher Treue, und er zweifelte nicht daran, dass er dem Rätsel auf den Grund gehen würde.

»Tut, was Ihr könnt«, sagte Franz I. »Ich verleihe Euch jegliche Autorität, die Ihr benötigt, und ich bitte Euch, diesen Montecuccoli zu verhaften. Sein Verhalten ist zumindest verdächtig, und ein paar Tage in einer Zelle werden ihn nicht umbringen, während wir auf Beweise warten. Was die Nachricht über den Tod meines Sohnes angeht, so gibt es keinen Grund, sie zu verschweigen.«

»Meint Ihr wirklich, Eure Majestät?«

»Ich weiß, was Ihr denkt, Kapitän, und prinzipiell stimme ich Euch zu. Wieso Panik und Hass schüren? Was nützt es, gerade jetzt, da das Heer von Karl V. festsitzt, was durch die unerträgliche Hitze dieses glühenden Sommers noch begünstigt wird? Das verstehe ich. Andererseits, stellt Euch nur vor, welche Energien eine nationale Trauer freisetzen kann. Franz war sehr beliebt, und da ihn mir niemand mehr zurückbringt, kann es auch bekannt werden. Gebt mir aber noch ein paar Tage Zeit, damit seine Mutter ihn sehen kann und seine sterblichen Überreste nach Lyon überführt werden können. Ich werde anweisen, dass er noch heute transportiert wird.«

»In Ordnung«, bestätigte der Kapitän.

»Etwas anderes.«

»Ich höre, Eure Majestät.«

»Lassen wir den Namen Montecuccoli als einen möglichen Verdächtigen durchsickern. Vielleicht können wir damit die Bürger selbst dazu bringen, eventuelle Nachrichten zu ihm zu melden.«

»Gut. Ich erlaube mir zu bemerken, dass es sich um einen skrupellosen Mann handelt, der sicher etwas verbirgt. Er macht auf mich keinen besonders klugen Eindruck, aber es könnte auch sein, dass er nichts zu befürchten hat.«

»Weil er tatsächlich unschuldig ist oder weil er an seine eigenen Fähigkeiten glaubt?«

»Das müssen wir herausfinden. Noch etwas, Eure Majestät …«

»Ich höre.«

»Montecuccoli hat erklärt, im Gefolge Caterina de’ Medicis an den französischen Hof gekommen zu sein.«

Franz I. sah seinen Kapitän ungläubig an. Er schwieg, brachte einen Augenblick lang kein Wort über die Lippen.

»Ich verstehe«, sagte er düster. »Keine Sorge, ich bin bereit, jegliche Theorie zu überprüfen. Sobald ich wieder in Lyon bin, und das wird bereits morgen der Fall sein, werde ich mit Caterina sprechen und versuchen, etwas zu erfahren.«

»Sehr gut. Und … Eure Majestät, ich möchte nichts andeuten, aber jetzt, da Franz tot ist …« Polignac zögerte.

»Wird Heinrich Dauphin von Frankreich und sie daher ebenfalls? Wolltet Ihr das sagen?«

»Ja.«

Der König seufzte. »Nun«, sagte er, »hoffen wir, dass Caterina eine gute Erklärung hat.«

3

Die Sorgen eines Königs

Der König war offensichtlich beunruhigt.

Die Nachricht vom Tod des Dauphins und dass er wahrscheinlich ermordet worden war, hatte Frankreich erschüttert: Franz war sehr beliebt gewesen, und Caterina selbst hatte ihn sehr gemocht. Die Königinmutter hatte sich nun schon seit Tagen in ihre Gemächer eingeschlossen. Der König versuchte den Schmerz mit langen Ritten zu verarbeiten.

Der Krieg ging weiter, aber dieser glühend heiße Sommer schien für die kaiserlichen Truppen, angeführt von Antonio de Leyva und Ferrante Gonzaga, der heimtückischste und grausamste Feind zu sein: Die Männer starben in großer Zahl, und das Ausbleiben von Siegen machte sich bemerkbar, so dass die Franzosen auf einen baldigen Zusammenbruch der Invasoren hofften.

Caterina war daher besorgt und bitter, als sie vom König persönlich gerufen wurde.

Zum Zeichen der Trauer hatte sie an diesem Morgen gemäß der französischen Tradition ein weißes Kleid angelegt. Mit ihrer von Natur aus blassen Haut und den hellbraunen Haaren sah sie aus wie die Gestalt gewordene Melancholie und Bestürzung.

Sie betrat den Saal mit aller Demut und Bescheidenheit, die sie aufbringen konnte, denn sie wusste, dass Franz’ Tod ihre Position zwar stärkte, sie aber auch angreifbar machte. Dass sie die Erste war, die von seinem Tod profitierte, weil sie dadurch zur Dauphine von Frankreich wurde, machte sie verdächtig.

Als sie Franz I. erblickte, in einem prächtigen Samtwams mit goldenen Knöpfen, den dunkelbraunen Bart gelockt und üppig, ganz ohne Allüren, versank sie in einem so tiefen Hofknicks, dass es ihr kurz den Atem nahm.

»Nicht doch, ma fille, was sollen diese Formalitäten?«, sagte der König mitfühlend. »Umarmt mich lieber, denn ich weiß, wie sehr Ihr Franz gemocht habt.« Der König ging auf Caterina zu und drückte sie an seine Brust.

Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, denn es stimmte, sie hatte Franz geliebt. Sie hatte Heinrich geheiratet, sicher, aber ihr Gatte hatte seine Unzulänglichkeiten nur allzu bald enthüllt: Er war schüchtern und scheu, und vor allem wurde er vollkommen von der Schlampe kontrolliert, die ihn seit jeher schon herumkommandierte: Diana von Poitiers, die schönste Frau Frankreichs und vielleicht der Welt, war seine Herrin und Geliebte, und Caterina war sehr schnell schmerzlich klar geworden, wie schwierig ihr Leben bei Hofe werden würde. Das hatte sie natürlich nicht daran gehindert, Heinrich zu lieben, denn er war schön, jung und stark. Aber Franz war aus ganz anderem Holz geschnitzt gewesen. Er war ein Mann von Ehre und Prinzipien.

Und jetzt war er tot.

Daher waren ihre Tränen aufrichtig, denn sie waren Ausdruck eines Schmerzes, der an Verzweiflung grenzte. Der König war jetzt der einzige Verbündete, der ihr geblieben war.

»Eure Majestät, Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr er mir fehlen wird«, sagte sie einfach nur.

Franz I. seufzte. Dann löste er sich, ziemlich verlegen, aus der Umarmung und blickte Caterina mit einer tiefen Traurigkeit in die Augen, weil er überhaupt keine Lust hatte, mit ihr über Montecuccoli zu sprechen, sich dieser Aufgabe aber auch nicht entziehen konnte.

Caterina erkannte, dass ihn etwas bedrückte, und zog es vor, ohne Umschweife direkt auf den Punkt zu kommen.

»Etwas belastet Euch, mein Herr, etwas, das über den Tod Eures Sohns hinausgeht. Ich sehe es in Euren Augen, daher sprecht aus, was Ihr mir sagen wollt, und ich werde Euch angemessen antworten.«

Franz I. schüttelte den Kopf. »Wie klug Ihr doch seid, Caterina, mein Kind, für Euch bin ich inzwischen ein offenes Buch. Und ich muss zugeben, es ist so, deswegen sage ich Euch alles. Aber setzt Euch doch erst einmal«, antwortete der König und deutete auf zwei bequeme, mit blauem Samt bezogene Sessel, die mit goldenen französischen Lilien, dem königlichen Wappen, verziert waren.

Während Caterina sich setzte, begann der König zu erzählen.

»Seht, meine Tochter, als ich vor einigen Tagen vom Tod meines geliebten Franz erfahren habe, haben andere Stimmen mein Herz durchbohrt.«

»Meint Ihr die Gerüchte, er sei ermordet worden?«

»Ganz genau, Caterina. Das Problem ist, dass es nicht bloß Gerüchte sind. Erlaubt mir, ganz offen zu sein: Der persönliche Chirurg des Dauphins, Monsieur Guillaume Maubert, behauptet, dass der Tod, der natürlich aussieht, in Wirklichkeit ein gut verborgener Mord sein könnte.«

Als Caterina diese Worte hörte, legte sie unwillkürlich eine Hand auf den Mund. Sie riss die Augen auf. Allmählich wurde ihr klar, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde.

Und sie bekam Angst.

Der König nickte milde, als wüsste er, was sie dachte. »So ist es«, bekräftigte er, »und seid gewiss, Guillaume Maubert ist niemand, der leichtfertig solche Behauptungen macht. Aber da ist noch mehr. Zu unserem Glück hatte ein herausragender Soldat, der Kapitän der vierten Kompagnie der Pikeniere, Raymond de Polignac, bereits begonnen, Nachforschungen anzustellen, so dass er mich, als ich nach Tournon-sur-Rhône kam, um meinen Sohn ein letztes Mal in die Arme zu schließen, über einen Verdacht informieren konnte.«

»Und wer steht im Zentrum dieses Verdachts?«, hakte Caterina mit Tränen in den Augen nach.

Der König seufzte. »Anscheinend hat ein gewisser Sebastiano di Montecuccoli, Graf von Modena, Franz irgendwie dazu gebracht, nach einer ebenso merkwürdigen wie unbedachten Partie Jeu de Paume unmäßig viel eiskaltes Wasser zu trinken. Beim bloßen Gedanken daran fällt es schwer, die Wut zu unterdrücken …« Die Stimme des Königs zitterte vor Trauer und Wut. »… auf jeden Fall weiß niemand, ob Montecuccoli diesen Moment genutzt hat, um irgendein Gift in Franz’ Glas zu schütten. Das, was ich Euch aber sagen möchte, Caterina, ist, dass Montecuccoli, als der Kapitän Polignac ihn gebeten hat, seine Rolle bei Hofe zu erläutern, ohne zu zögern gesagt hat, dass er in Eurem Gefolge hergekommen sei. Eine Aussage, die seine offensichtlich italienische Herkunft nur zu bestätigen scheint.«

Caterina war sprachlos. Einen Augenblick lang wusste sie nicht, was erwidern angesichts dieser dreisten Lüge. Sie wurde blass, dann übernahmen Wut und Empörung.

»Ich habe diesen Herrn nie in meinem Gefolge oder meinen Diensten gehabt. Ich kannte weder seinen Namen noch seinen Titel, bevor Ihr ihn genannt habt. Montecuccoli, keine Ahnung, wer das ist. Doch in meinen Augen ist er nur eines: Der Mann, der mir meinen geliebten Franz genommen hat. Und Ihr wisst nur zu gut, wie sehr ich an ihm gehangen habe, ein wie guter Freund er mir war, sogar noch mehr als mein Gemahl, der mich seit dem Hochzeitstag praktisch ignoriert. Und mehr sage ich nicht.«

Franz I. überdachte diese Worte, dann versuchte er aus reiner Vorsicht nachzuhaken, weil er sich absolut sicher sein wollte, was Caterina sagte.

»Seid Ihr sicher, dass Ihr nichts verbergt? Entschuldigt, wenn ich es Euch noch einmal frage, aber ich muss es tun, ma fille.«

»Eure Majestät, ich kann nichts anderes sagen. Wenn Ihr mir nicht mehr vertraut, wenn der Verdacht so groß ist, dass er die Treue und Aufrichtigkeit überschattet, die ich Euch gegenüber immer an den Tag gelegt habe, nun, dann zögert nicht, mir sofort den Kopf abschlagen zu lassen.«

Caterina hielt dem Blick des Königs mit einer solchen Sicherheit und einem so strahlenden Leuchten in den Augen stand, dass die Wahrheit klar hervortrat.

Der König atmete erleichtert auf. Er hatte ein Aufblitzen in Caterinas Iris gesehen, und falls sie nicht eine meisterhafte Schauspielerin war, war er sich sicher, dass sie die Wahrheit sagte. Andererseits konnte er ihr die Ungewissheit, die er tief in seiner Seele spürte, nicht verschweigen: Er mochte sie zu sehr und wusste, dass die beste Art, die Position dieser jungen, scharfsinnigen und mutigen Frau zu stärken, war, ihr seine Fehler einzugestehen.

»Caterina, Eure Worte sind wahrer Balsam. Ich weiß, dass meine Sohn Heinrich wankelmütig ist, aber ich werde ihm das sicher nicht zum Vorwurf machen. Ich weiß um meine Schwächen und bin wohl der Letzte, der ihn auf seine Pflichten hinweisen darf. Außerdem hasst Heinrich mich …«

»Das ist nicht wahr, Eure Majestät.«

»Doch, das ist es, seit ich ihn als Geisel den Gefängniswärtern in Madrid überlassen habe. Und ich kann es ihm nicht einmal übelnehmen. Wie dem auch sei, was jetzt zählt, ist die Thronfolge. Ich möchte nicht zynisch erscheinen, Caterina, aber ich weiß bereits, was man von nun an bei Hofe sagen wird: dass Heinrich und Ihr die Ersten seid, die von Franz’ tragischem Tod profitieren. Ihr seid jetzt die Dauphins Frankreichs. Ich will nicht wissen, wie oft Heinrich Euch in Eurem Bett besucht, aber zu Eurer eigenen Sicherheit rate ich Euch, ihm bald einen Sohn zu schenken. Ich werde immer meine schützende Hand über Euch halten, Caterina, weil ich in Euren Augen diese Intelligenz und Sensibilität sehe, die zu den ersten Eigenschaften gehören, die ich bei einer Frau bewundere, aber Ihr seid dem Thron so nah, dass Ihr es Euch nicht mehr erlauben könnt, ohne Sohn zu sein …«

»Eure Majestät …«, wollte Caterina einwerfen.

»Unterbrecht mich nicht, ma fille. Was ich Euch sage, ist: Bringt einen Sohn zur Welt. Und tut es so bald wie möglich. Nur so könnt Ihr Euch vor den Intrigen Diana von Poitiers schützen. Seid sehr vorsichtig, Caterina. Clemens VII. ist seit zwei Jahren tot. Und nun ist auch Franz, der Euch sehr mochte, von uns gegangen. Ich bin der letzte Freund, der Euch geblieben ist, und Ihr müsst mir zugestehen, dass ich sehr offen mit Euch spreche. Aber wenn ich das tue, dann eben weil ich Euch so sehr liebe und weil ich in Euch die Tochter sehe, die ich nie hatte. Euer Wissen über Philosophie und Astrologie überrascht mich, genau wie die Gewandtheit und Unternehmungslust, die Ihr zu Pferde und sogar bei der Jagd an den Tag legt, als wärt Ihr die neue Artemis. Und genauso denke ich über Euren Geschmack und diese nüchterne Eleganz, die Euch schon immer charakterisiert. Voilà! Jetzt habe ich es ausgesprochen. Aber es wäre naiv von Euch zu glauben, dass das reicht, um Euch zu retten. Findet eine Möglichkeit, Heinrich wieder in Euer Bett zu locken. Macht auch ihm bewusst, dass ein Sohn seine Stellung als Thronfolger stärkt. Ich habe vor, noch einige Jahre auf dem Thron zu bleiben, aber es bringt nichts, der Wahrheit nicht ins Auge zu sehen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

Caterina nickte. Sie hätte gern vieles gesagt, begriff aber nur zu gut, dass eine Gegenrede sinnlos war. Dieses Gespräch bot in seiner unverblümten Härte viel mehr Gutes, als anfangs abzusehen gewesen war, nicht zuletzt, weil es ihr ganz genau aufzeigte, wie sie sich in Zukunft verhalten musste.

»Ich werde tun, wie Ihr mich geheißen habt, Eure Majestät«, antwortete Caterina folgsam.

»Das wird kein Fehler sein, glaubt mir. Und ratet auch meinem unglückseligen Sohn, Eurem Beispiel zu folgen«, fügte er deutlich hinzu, »denn ohne Erben wird Euch kein langes Leben bei Hofe beschieden sein.«

»Eure Majestät … was die andere Frage angeht?«

»Ihr meint Montecuccoli?«

Caterina nickte.

»Ma fille … glaubt Ihr wirklich, dass ich so offen mit Euch gesprochen hätte, wenn ich Euch nicht glauben würde? Macht Euch keine Sorgen, ich werde Polignac sagen, was ich in Euren Augen gesehen und in Eurer Stimme gehört habe, und Ihr habt nichts zu befürchten. Ich bin mir sicher, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Nun lasst mich allein, damit ich Nachrichten an meinen guten Kapitän schicken kann, um ihm zu sagen, welchem Weg er folgen soll.«

Ohne ein weiteres Wort stand der König auf und bot Caterina die Hand.

»Nun seid Ihr die Gemahlin des Dauphins von Frankreich, auch wenn ich zugeben muss, dass es mir lieber gewesen wäre, wenn Ihr es unter anderen Umständen geworden wärt …« Einen Augenblick lang brach seine Stimme. »Versprecht, dass Ihr diesen Titel mit Euren Handlungen ehrt.«

»Das verspreche ich«, sagte sie.

»Dann geht nun«, schloss der König. »Die Zeit drängt.«

4

Enthüllende Briefe

Als er von seiner nächtlichen Mission zurückkehrte, erwarteten Raymond de Polignac auf seinem Schreibtisch nicht ein, sondern zwei Briefe und ein Koffer. Er war schweißgebadet. Er hatte seine langen braunen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengenommen, aber die feuchte Hitze dieses Tages war so heftig, sogar nachts, dass sie ihn dennoch störten. Am liebsten hätte er sie sich abgeschnitten, aber abgesehen davon, dass es modern war, sie so lang zu tragen, waren die langen Haare über die Jahre das einzige Zugeständnis an seine Eitelkeit, das er sich gestattete, und er hatte nicht vor, darauf zu verzichten. Jedenfalls war Sergeant Bouillon aufmerksam genug gewesen, um ihm einen Krug mit kaltem Wasser und Fruchteis zu servieren.

Er zog die Jacke aus, worunter er nur noch ein Spitzenhemd trug. Er öffnete den Kragen, in der Hoffnung, wenigstens ein bisschen Luft zu bekommen. Dann goss er sich Wasser in ein Glas und leerte es, trocknete sich die Lippen mit dem Handrücken. Dann nahm er einen kleinen Silberlöffel vom Tablett, auf dem sich das Schüsselchen mit dem Eis befand, und probierte ein bisschen. Es war frisch und lecker. Die Himbeeren waren ausgezeichnet. Er trank noch etwas.

Dann nahm er den Brief mit dem königlichen Siegel und brach es, ohne zu zögern.

Er las schnell.

»An Monsieur Raymond de Polignac, Kapitän der vierten Kompagnie der Königlichen Pikeniere von Frankreich«, stand im Briefkopf.

Mein lieber Polignac,

ich habe getan, was Ihr mir empfohlen habt: Ich habe mit Caterina de’ Medici gesprochen, Herzogin von Urbino, Gemahlin meines Sohns Heinrich, Herzog von Orléans und neuer Dauphin Frankreichs. Ich habe ihr dargelegt, was Sebastiano di Montecuccoli, Graf von Modena, gesagt hat. Sie hat mir auf festeste und aufrichtigste Weise geantwortet, dass sie diesen Mann niemals kannte und er auch nicht zu ihrem Gefolge gehörte.

Ich garantiere Euch, dass die Art und Weise, in der sie ihre Position vertreten hat, und ihre Empörung mir eine unschuldige Frau zeigten. Ich glaube nicht, dass Caterina in irgendeiner Art in eine mögliche Verschwörung gegen mich oder Frankreich verwickelt ist. Das muss Euch reichen. Verhört also weiter den Gefangenen, ich nehme an, dass er nach meinen Befehlen in Ketten liegt, und spart nicht an der Peitsche.

Ich bleibe in Erwartung Eurer Antwort,

Seine Majestät, König von Frankreich,

Franz I., vormals Franz von Orléans

Ohne zu zögern, nahm er den zweiten Brief zur Hand, der auf dem Koffer lag, und erbrach das Siegel.

»An Monsieur Raymond de Polignac, Kapitän der vierten Kompagnie der Königlichen Pikeniere von Frankreich«. Der Briefkopf war derselbe wie vorher.

Mein lieber Kapitän,

mein Name ist Bernard Sorel, Leutnant der zweiten Kompagnie der Pikeniere Seiner Majestät des Königs.

Ich hielt es für nützlich, Euch mitzuteilen, was mir heute Morgen passiert ist, da ich glaube, dass es hilfreich sein kann, um die dramatischen Ereignisse dieser Tage zu verstehen. Ich meine damit die Gerüchte, die ich gehört habe, was die mögliche Ermordung des Dauphins durch die Hand eines nicht näher identifizierten Sebastiano di Montecuccoli angeht.

Ohne weitere Vorreden berichte ich Euch also, was mir geschehen ist. Vor einiger Zeit habe ich eine Verletzung am Bein erlitten durch eine Kugel aus einer Arkebuse. Nachdem die Chirurgen ihre Arbeit erledigt hatten, hat man mir Ruhe empfohlen, und ich habe in Lyon gewohnt, im Gasthaus Falkner, das Madame de Lille führt, eine joviale Dame voller Leben, die ihre Gäste wirklich verwöhnt. Wie Ihr Euch sicher denken könnt, sind die dramatischen Ereignisse um die Ermordung des Dauphins von Frankreich in diesen Tagen in aller Munde, genau wie der Name des möglichen Täters: Sebastiano di Montecuccoli.

Ihr könnt Euch daher mein Erstaunen vorstellen, als mir Madame de Lille gestern erzählte, dass ein Mann dieses Namens vor einiger Zeit bei ihr gewohnt hat, um dann ins Lager von Tournon-sur-Rhône umzuziehen, in Richtung der Front. Dabei hatte er einen Koffer bei ihr stehen lassen, bis er eine neue Unterkunft gefunden hat, dann wollte er einen Diener schicken, um ihn abzuholen.

Noch unglaublicher ist der Zufall, dass dieser Diener vor den Türen des Gasthofs stand und nach dem Koffer fragte und dass Madame de Lille zunächst zu mir kam, bevor sie ihn ihm aushändigte, um mich um einen Gefallen zu bitten.

Da sie nicht wollte, dass ihre Ehrlichkeit in Zukunft in Frage gestellt würde, hatte sie die Absicht, den Koffer im Beisein zweier Zeugen zu öffnen, um zu beweisen, dass während der Abwesenheit des Herrn Montecuccoli nichts entnommen worden war.

Angesichts dessen, was man sich über diesen Herrn erzählt, und weil ich Madame de Lille, die immer sehr gut zu mir war, damit behilflich sein konnte, habe ich ihr diesen kleinen Gefallen getan. Daher bin ich also mit ihr ins Erdgeschoss gegangen, und zusammen mit einem anderen Edelmann, Monsieur Henry de Rocheforte, haben wir den Koffer geöffnet.

Der Diener hat bestätigt, dass nichts fehlte, doch während Madame den Inhalt auflistete, entdeckte Monsieur de Rocheforte, der Apotheker von Beruf ist, zwei merkwürdige, durchsichtige Fläschchen, die ziemlich verdächtige Pulver enthielten.

Monsieur de Rocheforte untersuchte sie genauer und schloss, dass es sich um Gift handelte, nachdem er den Diener darum gebeten hatte, das erste zu öffnen, hat er daran gerochen und gemeint, es müsse Arsen sein.

An dieser Stelle wurde aus der alltäglichen Situation eine verlegene, besonders weil ich es für angemessen hielt, darauf hinzuweisen, dass mir als Offizier der zweiten Kompagnie der Pikeniere Seiner Majestät, dem König von Frankreich, die Pflicht zufiel, diesen Koffer zu beschlagnahmen und ihn an einen meiner Vorgesetzten weiterzuleiten. Da meine Kompagnie in die Provence verlegt wurde, erschien es mir sicherer und schneller, ihn an Euch zu schicken, da Ihr meiner Unterkunft viel näher seid als Kolonel Franz de Chatillon, und deshalb habe ich den Koffer zu Euch geschickt. Auch weil sich der besagte Sebastiano di Montecuccoli in Tournon-sur-Rhône aufhält.

Ich hoffe, dass ich richtig gehandelt habe und Euch nützlich war.

In der Zwischenzeit bitte ich Euch, meine besten Grüße und Wünsche für einen raschen Sieg gegen die kaiserlichen Hunde von Karl V. anzunehmen.

Hochachtungsvoll,

Ihr Bernard Sorel

Offizier der zweiten Kompagnie der Pikeniere Seiner Majestät dem König von Frankreich, Franz I.

Was für ein glücklicher Zufall, dachte Raymond de Polignac.

Ohne zu warten, öffnete er den Koffer. Abgesehen von einigen persönlichen Habseligkeiten, zwei Paar Handschuhen, drei Leinenhemden und zwei roten Samthosen, fielen ihm sofort die beiden Glasfläschchen auf, von denen der Offizier in seinem zeitlich so passenden Brief sprach.

Er betrachtete den Inhalt, ein kristallines farbloses Pulver. Daraufhin rief er einen Soldaten und befahl ihm, Monsieur Guillaume Maubert so schnell wie möglich herbeizurufen.

5

Das Silberglöckchen

Der König hatte recht. Und sie war dumm, dass sie nicht schon früher daran gedacht hatte. Sie hatte sich Sorgen wegen dieser Dirne Diana von Poitiers und ihrem Einfluss auf Heinrich gemacht, aber das Problem war viel einfacher und konkreter.

Wenn ihr Gatte weiter im Bett ihrer Rivalin blieb, würde es für sie sehr schwierig, einen Sohn zu empfangen.

Und über das Wohlwollen des Herrschers hinaus, der ihr noch einmal seine Achtung und Zuneigung gezeigt hatte, würde sie sich schon bald mehr Sorgen um ihre Unversehrtheit als um ihre Ehre machen müssen. Kinder würden ihre Stellung stärken, die von Anfang an wegen ihrer Eigenheiten und ihrer italienischen Herkunft unsicher gewesen und jetzt schwierig, um nicht zu sagen, verzweifelt, war, weil doppelt Verdacht auf sie fiel: einerseits wegen der wirren Anschuldigungen von Sebastiano di Montecuccoli und andererseits wegen ihrer Aussichten auf den Thron.

Ehrlich gesagt kümmerte der zweite Aspekt Caterina herzlich wenig, aber Höflinge, Adlige und Bürokraten schätzten sie anders ein. Es war so klar! Wer, wenn nicht sie und Heinrich waren die größten Nutznießer von Franz’ Tod? Wer würde gemäß der Thronfolge zum Dauphin von Frankreich werden und eines Tages König?

Diese Gedanken bedrückten Caterina, und für diese Probleme musste sie eine Lösung finden. Aber sie würde sicher kein Kind empfangen, indem sie ihren Mann terrorisierte.

Nein! Es gab eine subtilere und geschicktere Art, um das Ergebnis zu erhalten, das sie für das Überleben an diesem neidischen und korrupten Hof benötigte.

Während sie sich im Spiegel betrachtete, schätzte sie die vollen Lippen und die schönen braunen Haare, akzeptierte die etwas farblosen Augen und die alles andere als perfekte Nase, die die Natur ihr geschenkt hatte, und schmiedete einen Plan. Er war eigentlich sehr einfach, aber um ihn erfolgreich umzusetzen, musste sie ihre vertrauenswürdigste und klügste Hofdame einweihen: Madame Antinori.

Von dem hübschen Eichentischchen nahm sie ein kleines Silberglöckchen und klingelte. Kurz darauf erschien Madame Gondi vor ihr.

»Ich möchte mit Madame Antinori sprechen«, verlangte Caterina. »Sagt ihr, sie soll sich sofort in meinen Gemächern einfinden.«

Raymond de Polignac stand vor Sebastiano di Montecuccoli.

Die Zelle stank nach Schweiß und Urin.

Wenige Tage hatten genügt, um aus dem sogenannten Edelmann, hübsch und gepflegt, ein menschliches Wrack zu machen. Schmutzige Haare, schwarze Augenringe, das Leinenhemd, das vorher rein war, nun an mehreren Stellen befleckt. Vor allem lagen Montecuccolis Hände in Ketten, die Handgelenke waren gerötet und von der Reibung des Eisens auf der Haut aufgeschürft.

Und doch hatte der angebliche Graf seine aalglatte Art und seinen spöttischen Blick noch nicht ganz verloren.

Er würde ihm schon noch die Laune verderben, dachte Raymond de Polignac.

»Monsieur Montecuccoli«, sagte er, »ich weiß nicht, ob Euch bewusst ist, wie schwierig Eure Lage geworden ist.«

SM

Montecuccoli nickte. Was sollte er sonst tun?

»Was ist los?«, drängte Polignac ihn. »Hat es Euch plötzlich die Sprache verschlagen?«

»Gar nicht«, platzte der Graf von Modena zähneknirschend heraus. »Er gehört mir, mir! Ich erkenne ihn wieder«, rief er verzweifelt.

Polignac hob die Hände in einer triumphierenden Geste. »Endlich! War es so schwer, das zuzugeben? Nun«, fuhr er fort, »wisst Ihr, was sich in diesem Koffer befand? Muss ich Euch vielleicht daran erinnern?« Ohne weiteres Zögern spornte der Kapitän der Pikeniere Montecuccoli offen an. »Nur zu, nicht so schüchtern, nehmt eine von diesen beiden Glasflaschen, die in Eurem Koffer blitzen.«

Der Graf von Modena folgte fast mechanisch der Aufforderung.

»Also gut, Monsieur, und nun frage ich Euch: Was für ein Pulver enthält die Flasche in Eurer Hand? Wollt Ihr es mir sagen oder nicht?«