D O R O T H E E
A C H E N B A C H
Meine Wäsche
kennt
jetzt jeder
Droste Verlag
»Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug.«
(Epikur)
I N H A L T
Vorwort 1990 – 2014
JUNI 2014
Ela und andere Katastrophen
Meine Wäsche kennt jetzt jeder
Die Bombe platzt
Redakteur vor dem Kollaps
Zellengymnastik
JULI 2014
Mamarazzi
Man wächst mit seinen Herausforderungen
Wo ist der Six-Speck?
Und wo ist das Sparschwein?
Textile Notlösung
AUGUST 2014
Wie klebt der Kuckuck auf dem Koi?
Koi die Zweite oder Hund, Teil 1
Frauenpower
Der Hund, Teil 2
SEPTEMBER 2014
Susanna und die Vollzieher
Highlight des Monats
Ein Haufen Steine
Ermordete Enten und weitere Schicksalsschläge
Ein bisschen Casablanca
OKTOBER 2014
Der Retter des Imperiums
Der Kosmotop
Was bin ich?
NOVEMBER 2014
Das Leben der Anderen
Glückstag
Karnevalsauftakt mal anders
DEZEMBER 2014
Friede, Freude, Familie
Operation Bücherwurm
Kollektiver Wahn
Herzarbeit
»Heute, Kinder, wird’s wahas geben«
Stille
Kofferklau
JANUAR 2015
Sein und Schein
Tunnel mit Endloskurve
FEBRUAR 2015
Schreib-Therapie
MÄRZ 2015
Das Urteil
Genug ist nicht genug
APRIL 2015
Osterhasen, Stachelschweine und kleine Monsterländer
Vollstrecker, die fünfte
Drei Zimmer, Küche, Bad gesucht
Bernhard unkaputtbar
MAI 2015
Wonnemonat?
JUNI 2015
Ausverkauf – alles muss raus
Noch ein Sonderangebot
Privatsphäre – Light Version
Stellengesuch in XXL
Liegt in jedem Ende ein Anfang?
Dank
Alle sagen: Den Humor hat sie nicht verloren. Und: Diese Geschichte muss man aufschreiben. Dann übernehme ich das mal.
Die im Folgenden geschilderten Begebenheiten haben so stattgefunden und sind aus persönlicher Sicht dargestellt.
Die den Kapiteln vorangestellten Schlagzeilen sind authentisch.
Lediglich ein Name wurde geändert.
»The higher the top, the longer the drop.«
(Neil Diamond)
»Seine Partys waren legendär.
Egal ob sie in Manhattan stattfanden, in Basel oder in Miami. Wenn Bernhard einlud, kamen die Leute gerne, Promis, Künstler, Galeristen – und genossen die prickelnde Atmosphäre zwischen Kunst und Geld.«
(dw.de vom 16. 3. 2015)
V O R W O R T
1990 – 2014
Mein Mann Bernhard und ich lernten uns kennen, als er 38, ich 27 Jahre alt war. Das ist nun 24 Jahre her. Er, ein studierter Sozialpädagoge, hat in Düsseldorf vor 40 Jahren ein Unternehmen für Kunstberatung und Kunsteditionen aufgebaut, das zu jener Zeit in Deutschland mehrere Niederlassungen betrieb. Hauptkunden waren Banken, Unternehmen und Versicherungen. Ich hatte nach Forschungsaufenthalten in Paris und Rom in München in Kunstgeschichte promoviert und arbeitete bei einem Fernsehsender, als mir der Job als Art Consultant in der Münchener Filiale angeboten wurde. Ich nahm an.
Bernhard und ich heirateten fünf Jahre später, zu seinen bereits vorhandenen sechs Kindern von drei Frauen kamen unsere beiden hinzu. Unser Sohn wurde in München geboren, unsere Tochter in Düsseldorf, wohin ich kurz nach ihrer Geburt 1999 zog. Freiberuflich schreibe ich seit 15 Jahren als freie Mitarbeiterin für verschiedene Zeitungen über Kunst, Kultur und Mode und engagiere mich ehrenamtlich in mehreren Vereinen und Stiftungen für Kinder. Seit fünf Monaten gehört auch ein junger Hund zu unserer Familie.
In den letzten Jahren hat sich Bernhards Geschäftsfeld verschoben. Die Firmen-Niederlassungen wurden geschlossen. Da Bernhard viele Kontakte in die Welt der Kunst und in die der Wirtschaft hat, wurde er zunehmend Vermittler zwischen großen Unternehmen und Kulturinstituten, für die er gemeinsame Projekte entwickelte. So beispielsweise die Zusammenarbeit zwischen dem MoMa New York und einem deutschen Autokonzern. Hauptkunden in der Kunstberatung und -vermittlung wurden nun Privatpersonen – häufig Erben sehr großer Vermögen.
Seinen wohlhabenden Kunden hilft er, qualitätsvolle Sammlungen mit Wertsteigerungspotenzial aufzubauen. Er führt sie in die Welt der Kunst und deren begehrte Events ein. Bernhard gilt als kreativ und sehr einflussreich in der internationalen Kunstszene. Seit er das 60. Lebensjahr erreicht hat, bezeichnet man ihn schon mal bewundernd als »Doyen« und begnadeten Netzwerker. Zudem hat er einen Gastronomiebetrieb mit drei Restaurants gegründet, in dem viele Veranstaltungen stattfinden und sich neben lokaler Prominenz auch internationale Berühmtheiten treffen – Künstler, Hollywoodstars, Modedesigner und Sportler. Auch war Bernhard einige Jahre Präsident des hiesigen Fußballvereins. In der Stadt sind wir ein bekanntes Paar, wir erscheinen häufiger in der Presse, erhalten zahlreiche Einladungen, sind gern gesehene Gäste.
Wir selbst sind ebenfalls gerne Gastgeber. Vor drei Jahren sind wir in ein Haus gezogen, von dem wir lange träumten: Es bietet Platz für viele Gäste und ermöglicht den Übernachtungsbesuch der großen Familie mit den inzwischen drei Enkeln.
Finanziell scheint es uns gut zu gehen, jedenfalls mache ich mir in dieser Hinsicht keine Sorgen. Bernhard ist in letzter Zeit geschäftlich viel alleine unterwegs; wenn er zu Hause ist, wirkt er häufig gehetzt. Im Sommer zuvor hatte nach 22 gemeinsamen Jahren eine schwere Ehekrise begonnen, die wir zu meistern versuchen.
Dann bricht unsere Welt komplett zusammen.
J U N I 2 0 1 4
KUNST-PAPST IN U-HAFT
KRÄMER IN HAFT
BERNHARD KRÄMER – VON DER WM INS GEFÄNGNIS!
KRÄMER FUHR IM KNAST EIN
ERBIN ZEIGTE KRÄMER AN
KRÄMER, DIE SCHILLERNDE KUNST-FIGUR
FRÜHER HIGH SOCIETY, JETZT GITTER – BITTER
DAS UNDURCHSCHAUBARE GESCHÄFT MIT DER KUNST
ERNEUT DURCHSUCHUNG BEI KRÄMER
EIN BUDDY UND SEINE BILDER
KUNSTHÄNDLER KRÄMER: BETRÜGER ODER FEINER KERL?
Ela und andere Katastrophen
Drei Tage dauert das Fest in Washington. Meine älteste Freundin und ihr Ehemann feiern dort runden Geburtstag, fast 40 Freunde sind aus ihrer alten, deutschen Heimat angereist. Mein Mann Bernhard und ich erleben wunderschöne, unterhaltsame und sonnige Tage in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten.
Unser Flug zurück in die Heimat verläuft ruhig. Bis auf die Tatsache, dass ich meinem Gatten gleich nach dem Start meinen E-Reader an die Stirn knalle und dieser daraufhin seinen Geist aufgibt (der E-Reader, nicht der Gatte). Aber irgendwie muss man ihm – dem Mann – ja klarmachen, dass der Blackberry aus Sicherheitsgründen während des Fluges ausgeschaltet werden muss. Auf die beiden Stewardessen und die sich beschwerenden Mitreisenden hinter uns hört er nicht. So ist er halt. Frei nach Louis XIV.: »La loi, c’est moi« – Das Gesetz bin ich.
Leicht zerknittert steigen wir zwölf Stunden später aus dem Flieger. Es ist der Dienstag nach Pfingsten. Da es erst kurz nach sechs Uhr am Morgen ist, beschließen wir, im Flughafen noch frische Brötchen für die Familie zu Hause zu kaufen. Da warten Oma, Opa, der Hund und die Kinder auf die Rückkehr der lieben Eltern.
Daraus wird erst mal nix.
Zwei Herren mit einem Foto in der Hand stehen am Ende der Fluggastbrücke, gucken meinen Angetrauten forschend an, fragen höflich, aber bestimmt: »Bernhard Krämer?« Und fügen hinzu: »Polizei. Bitte kommen Sie mit.« Mein Gatte schaut verdutzt, bejaht die Frage, und schon traben die drei mit den an mich gerichteten Worten »Sie können jetzt gehen« davon. Wie bitte? Ich laufe hinterher und rufe panisch: »Ist den Kindern was passiert?« Das ist mein erster Gedanke – denn was um Himmels willen sollte vernunftbegabte Polizisten so früh dazu veranlassen, vor Airbussen zu lauern? Etwas Furchtbares muss vorgefallen sein! »Wir haben einen Haftbefehl gegen Ihren Mann«, erklärt einer der Beamten.
Da klappt mir erst mal die Kinnlade runter. Einen was? Zwei weitere Beamte in Zivil kommen dazu, nicken ernst, und ich marschiere wie in Trance hinterher. Kleinlaut frage ich nach, ob ich vielleicht den Koffer am Gepäckband holen dürfe? Darf ich. »Aber nicht anfassen!«, ruft einer der Gesetzeshüter und nimmt ihn selbst vom Band.
Cool, endlich schleppt mir mal jemand das schwere Ding.
Eskortiert von zwei der Polizisten geht’s in einen zivilen Streifenwagen, und wir fahren zur Polizeidienststelle am Flughafen. Ich werde in einen quietschorangen Plastikstuhl befördert und soll mich nicht rühren, während das Dreigestirn irgendwo verschwindet und – wie ich hinterher sehe – jedes Teil unseres Gepäcks akribisch durchsucht wird. »Nach was suchen die?«, frage ich mich und sage zur Auflockerung der angespannten Atmosphäre zu Bernhard: »Gut, dass wir das ganze Ecstasy schon verbraucht haben.« Da ernte ich einen unmissverständlichen Blick des älteren der beiden Beamten: »Wir sind eigentlich von der Drogenfahndung!«, knurrt er.
Jetzt versteh ich gar nichts mehr. Wieso denn Drogenfahndung? Ich weiß, jeder Mann hat Geheimnisse vor seiner Frau. Aber darauf wäre ich nicht gekommen. Bernhard und bewusstseinserweiternde Substanzen? Schwer vorstellbar.
Wieso die Koks-&-Co.-Experten hier im Einsatz sind, wird uns wenig später klar. Freundlich sagt man mir, dass man mir nun ein Taxi bestelle, damit ich heimfahren könne. Aber kein Telefonat geht durch. Tote Leitungen. »Das ist wegen Ela«, meint ein Beamter. Wer ist denn jetzt schon wieder Ela? Nie gehört. Da beschließen die netten Fahnder, uns beide nach Hause zu fahren, damit der Herr Krämer auch frisch geduscht abgeführt werden kann.
Kaum verlässt der Wagen das Flughafengelände, trauen wir unseren Augen nicht: Hat einer von Hollywoods Katastrophenspezialisten hier einen Endzeitfilm gedreht, oder was ist los? Entwurzelte Bäume, umgestürzte Bauzäune, umgeknickte Straßenschilder, blockierte Straßen und das absolute Verkehrschaos. Stoßstange an Stoßstange, nichts geht mehr. Hupen sinnlos. Nach Hause fahren ebenfalls.
Während wir selig im Flugzeug schliefen, war unten auf der heimischen Erde der Teufel los gewesen: Ela war ein Orkantief – ich frage mich, warum die fast immer Frauennamen haben –, das in der Nacht durch das Land getobt war. Der Sturm hatte eine nie dagewesene Schneise der Verwüstung hinterlassen und sogar Todesopfer gefordert. Daher die Drogenfahnder – die zuständigen Polizisten waren schlicht nicht zum Flughafen durchgekommen. Die Kollegen mussten einspringen.
Wir kommen allerdings auch nicht weiter. Also greife ich zum Mobiltelefon und hoffe, dass es funktioniert – irgendjemand muss den Lieben daheim ja sagen, dass wir a) noch leben und b) der Papi wieder mal ganz ungewöhnliche Bekanntschaften geschlossen hat. Aber da habe ich nicht mit dem gestrengen Herrn auf dem Beifahrersitz gerechnet: »Sie telefonieren mit niemandem, bis die Hausdurchsuchung abgeschlossen ist!«
HAUSDURCHSUCHUNG? Das wird ja immer besser! Ein paar Sekunden halte ich den Mund, doch dann werde ich auch mal streng: »Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich zulasse, dass meine Eltern gleich die Haustür aufmachen und unvorbereitet einem Dutzend Polizisten gegenüberstehen! Sie sind jetzt 75 Jahre alt und NIE auch nur bei Rot über die Fußgängerampel gegangen! Für den Herzinfarkt meines Vaters mache ich Sie persönlich verantwortlich! Und für die schockierten Kinder auch!« Richtig aufgebracht bin ich und rechne schon mit einer mehrjährigen Haftstrafe wegen Beamtenbeleidigung, als es vom Beifahrersitz versöhnlich meint: »Okay, aber im Moment nur ein Telefonat!«
Gottlob ist die Leitung frei, und auf die Botschaft, dass der einzige amtierende Schwiegersohn verhaftet worden sei und gleich wahrscheinlich eine ganze Truppe Beamte von Staats wegen ins Haus einfallen wird, antwortet mein Vater nur: »Alles klar. Ich koch schon mal Kaffee für alle.« Das nenne ich mal souverän.
Und wenn man schon mal das Telefon in der Hand hält: Einem als Anwalt zugelassenen Freund des Angetrauten zwei Stunden später eine Nachricht zu senden, dass wir gerade Ungewöhnliches erleben und er entweder sich oder einen anderen juristisch versierten Kollegen zum Polizeipräsidium schicken solle, ist sicher nicht verkehrt. Die Herren gucken und haben offenbar nichts dagegen, da die Durchsuchung inzwischen sicher in vollem Gange ist. In Filmen heißt es ja auch immer, man solle in solchen Fällen besser einen Rechtsbeistand holen.
Bernhard hält meine Hand, streichelt sie mechanisch und beschwichtigt mich alle paar Minuten: »Das kann nichts Schlimmes sein, es wird sich alles aufklären, mach dir keine Sorgen.« Klingt eher so, als wolle er sich selbst beruhigen.
Wenn ich zu diesem Zeitpunkt nur ansatzweise gewusst hätte, was uns in den nächsten Monaten Unvorstellbares blüht, wäre ich aus dem Auto gesprungen, hätte die Kinder geschnappt und wäre mit ihnen auf den Ausläufern von Ela Richtung Mars getürmt.
Als wir nach über vier Stunden im Schneckentempo das knapp 30 Kilometer entfernte Präsidium erreichen, erwartet uns zwischen umgestürzten Müllcontainern und kreuz und quer liegenden Bäumen ein seriöser Herr nebst Aktenkoffer. »Gestatten, ich bin Anwalt. Für Strafrecht«, stellt er sich vor. Einen Mann dieses Fachgebietes braucht Bernhard, denn wie wir im Haftbefehl lesen durften, lautet der Vorwurf Betrug und Untreue. Damit kenne ich mich als Ehefrau des Beklagten zwar seit letztem Sommer leider bestens aus, aber das ist in unserem Kulturkreis ja nicht strafbar. (Wobei ich denke: Schade eigentlich.)
In diesem Fall geht es jedoch um Geld, und zwar um sehr viel Geld: Die Witwe eines Kunden rief im Namen der fünf volljährigen Kinder und Erben des Verstorbenen und möglicherweise auch auf anwaltlichen Rat hin die Staatsanwaltschaft auf den Plan, genauer zu überprüfen, ob mehrstellige Millionenbeträge zu Unrecht vom Konto ihres verstorbenen Gatten – einem Milliardenerben – auf Konten von Bernhard oder seinen Firmen gewandert seien. Die Verhaftung folgte relativ prompt.
Der Strafrechtler und die Beamten verschwinden nach knapper Begrüßung mit Bernhard im Treppenhaus des Präsidiums, und ich sitze wieder mal auf einem bunten Plastikstuhl. Da ich als treusorgendes Weib die Bedürfnisse meines Mannes kenne und mir langweilig wird – mein E-Reader ist ja bedauerlicherweise nicht mehr einsatzbereit –, frage ich nach dem nächsten Kiosk, erstehe dort ein Mettbrötchen mit einem Tütchen Senf und stopfe es, ganz praktische Hausfrau, nebst seinem Kulturbeutel und Wechselwäsche aus seinem Koffer in meine Handtasche. Als die Herren nach zwei Stunden wiederkommen, drücke ich sie meinem Mann in die Hand. Er soll ja nicht hungern und schön sauber und frisch sein. Wie er mit dieser gelben Damenhandtasche unterm Arm zurück in das Präsidium geht, ist das Letzte, was ich die nächsten Wochen von ihm sehen werde.
Zwölf Monate später habe ich die Tasche trotz wiederholten Nachfragens immer noch nicht wiederbekommen. Hoffentlich haben sie das Mettbrötchen rausgenommen. Sonst krabbelt es jetzt durchs Präsidium.
Meine Wäsche kennt jetzt jeder
Nach weiteren vier Stunden bin ich endlich zu Hause. Der Strafrechtler musste erst sein Auto halb umräumen, damit das Gepäck und ich reinpassten. Anwälte nehmen anscheinend ganz gern Dutzende Aktenordner und Papierstapel mit nach Hause; nach entspanntem Pfingstwochenende sieht das jedenfalls nicht aus. Ich bin froh, dass der vielbeschäftigte Jurist so kurzfristig Zeit hatte.
Auf der Rückfahrt hatte ich ihn noch darum gebeten, im Namen der Familie eine juristisch korrekte Pressemitteilung mit Hinweis auf die unserer Meinung nach persönlichen Gründe der Witwe zu formulieren. Man weiß ja nie. So was sollte man immer in der Schublade haben.
Seit der Landung sind fast 14 Stunden vergangen, und so ganz realisiert habe ich das alles noch nicht. Der Außenzustand der Welt verhält sich kongruent zu meinem Inneren: ein komplettes Durcheinander. In unserem Garten liegt der Baum des Nachbarn, die Steinplatten sind zertrümmert, Teile des Kamins haben sich auf der Terrasse ausgebreitet, Dachziegel garnieren die umgefallenen Gartenmöbel. In der Nacht mache ich kein Auge zu, obwohl ich todmüde bin. Am nächsten Tag sehe ich, dass am Rheinufer fast kein Baum mehr steht. Was für eine Naturgewalt.
Auch in unserem Haus hat eine getobt. Hier hatten die Beamten, wie man mir berichtet, nahezu alles durchgesehen. Sie sind jetzt auf jeden Fall firm in unserem Familien- und Sozialleben, kennen jede Urlaubsreise, jedes Weihnachtsfest und jedes spannende Schulevent. Ich besitze 72 (!) Fotoalben, weil ich so ziemlich alles mit der Kamera festhalte. Meine Kinder nennen mich nicht umsonst Mamarazzi. Jedes einzelne Album wurde anscheinend durchgeschaut. Ebenso die Ordner und der Computer. Auch wissen jetzt vermutlich einige Staatsdiener bzw. -dienerinnen, welche Dessous ich trage. Meine Wäscheschubladen blieben wohl ebenso wenig verschont wie irgendein sonstiges Behältnis. Das ist unter diesen Umständen selbstverständlich zulässig, wenn auch äußerst unangenehm. Ich bin jedenfalls froh, dass alles schön ordentlich sortiert ist – die Höschen immer zum passenden BH und so. Nicht dass es heißt, die Frau vom Krämer, die trägt ja vielleicht olle Unterhosen.
Mitgenommen wurde allerdings bis auf einige Ordner nichts, und höflich seien sie auch gewesen, bestätigt meine Mutter. Parallel wurde das Büro durchsucht. Dort wurden unter den unerbittlichen Augen einer jungen Staatsanwältin stundenlang Kisten mit Unterlagen rausgeschleppt. Dann fiel auf, dass die Buchhaltung der Firmen ihren Sitz woanders hat.
Im Durchsuchungsbeschluss, den die Beamten freundlicherweise auf unserem Küchentisch zurückließen, heißt es, dass Bernhard wegen Verdachts des Betrugs und der Untreue in 15 Fällen belangt werde.
Es sollen bei Kunstkäufen mindestens 11.776.890,31 Euro sein, die er unter Täuschung des Geschädigten innerhalb dreier Jahre in betrügerischer Weise erlangt habe. Dieser habe insgesamt 28 Kunstgegenstände zu einem Preis von 47.907.918,74 Euro sowie Oldtimer für 72.514.475,77 Euro erworben. Laut Aussage der Witwe seien diese Geschäfte auf Kommissionsbasis getätigt und drei bzw. fünf Prozent Provision des Nettokaufpreises vereinbart worden. Nach ihren Angaben sei das Ehepaar davon ausgegangen, dass Bernhard die erworbenen Kunstwerke und Oldtimer ohne weitere Aufschläge »durchreichte«. Bernhard wird nun vorgeworfen, er habe nicht nur unter »Missbrauch seiner kommissionsrechtlichen Befugnisse die Pflicht aus dem Kommissionsgeschäft zur korrekten Angabe der zur Ausführung des Geschäftes getätigten Anwendungen in Form des jeweils an den Verkäufer gezahlten Kaufpreises verletzt«, sondern auch dem Verstorbenen Oldtimer und Kunstwerke entgegen der Absprache zu überhöhten Preisen und ohne entsprechenden Gegenwert verschafft und dadurch das Milliardenvermögen geschädigt. Von Bernhards »Machenschaften« ist in diesem Beschluss die Rede, von einer verdächtigen Liste mit weiteren Kundennamen und von betrügerischen Manipulationen. Man prognostiziert einen vorläufigen Gesamtschaden von 60.368.719,73 Euro. Das ist unterstrichen und fett gedruckt.
Ich muss angesichts dieser gigantischen Summe erst einmal tief durchatmen und frage mich: Wer rechnet so etwas auf den Cent genau aus? Mir kommen Geschäfte im diffizilen Oldtimer- und Kunstbereich, bei denen Preise lediglich »durchgereicht« werden und auf reiner Kommissionsbasis von drei oder fünf Prozent gearbeitet wird, nicht realistisch vor, da Aufwand und die Unternehmenskosten dazu in keinem Verhältnis stehen. Doch bei den wie es scheint nicht schriftlich fixierten Geschäftsabkommen zwischen den Männern war ich ebenso wenig anwesend wie meines Wissens die Witwe. Ihr Ehemann hatte Bernhard gegenüber betont, dass es sich um sein Vermögen handele und er allein darüber verfügen könne. Die Herren besprachen Geschäftliches – so hatte ich stets den Eindruck – lieber unter sich.
Die Witwe hatte nach dem Tod ihres Mannes ein Wertermittlungsgutachten im Zuge des Erbfalls fertigen lassen. Dies lag um etwa die Hälfte niedriger als der einst von ihrem Ehemann gezahlte Preis und auch als der zu diesem Zeitpunkt aktuelle Marktpreis. Dieses Gutachten wird nun unter anderem als Beleg für den Betrug bzw. die Untreue angeführt, obwohl es bei dieser Expertise um die Erbschaftsteuer ging. Da ist – wie jeder nachvollziehen kann – eine niedrige Schätzung für die Erben nützlich, weil man ein paar Millionen Steuern sparen kann.
Dies scheint jedoch juristisch hier irrelevant zu sein und auch das Finanzamt nicht zu interessieren. Inzwischen dürfte die von Bernhard für den Verstorbenen zusammengestellte Sammlung eine Wertsteigerung im sehr hohen zweistelligen Millionenwert erreicht haben. Allein die Gemälde von Gerhard Richter und Pablo Picasso sind heute ein Vielfaches wert. Das zeigt ein Blick auf die Auktionsergebnisse vergleichbarer Objekte.
Wenn die Anschuldigungen ansatzweise stimmen – wieso ließ man Bernhard noch ins Ausland reisen? Er war in den letzten Monaten mehrmals in Spanien, Brasilien und zuletzt in den USA. Bei so einer Summe hätte man den Burschen doch gleich festsetzen müssen. Aber das mit dem Verstehen der Logik von Geschehnissen und Entscheidungen werde ich in den nächsten Wochen ohnehin aufgeben müssen.
Auch die nächste Nacht verläuft weitgehend schlaflos – wie die meisten Nächte der nächsten zwölf Monate. Aber das weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Jetzt gilt es, Schadensbegrenzung zu betreiben: Welche Anwälte können helfen, wie wird mit der Firma verfahren, wer ist für was zuständig? Wichtigstes Gebot: bloß nichts an die Medien durchsickern lassen, absolutes Stillschweigen vor Außenstehenden bewahren. Bernhard wird sicher bald wieder zu Hause sein. Und alles wird sich klären.
Es folgen endlose Sitzungen: Papiere, Verträge und Rechnungen werden gewälzt, Lösungen erörtert und verworfen. Konten wurden nahezu zeitgleich mit der Inhaftierung gesperrt, Rücklagen, Versicherungen, Guthaben blockiert. Wie geht es weiter? Was ist mit den Angestellten? Den laufenden Kosten? Büro- und Lagermieten? Gehältern? Den Verbindlichkeiten? Juristen beruhigen, Steuerberater beschwichtigen, Berater raufen sich die Haare, Aufsichtsräte grübeln, Geschäftsführer schauen ratlos von einem zum anderen. Ich frage mich, ob überhaupt jemand in Bernhards Unternehmen durchblickt.
Zwei Wochen lang herrscht nach außen trügerische Ruhe. Ich komme mir vor, als säße ich auf einem heißen Kessel, dessen Deckel uns jede Sekunde um die Ohren fliegen kann. Es gibt keinerlei Kontakt zu Bernhard, auch Familienmitglieder haben keinen Zugang zu ihm, weder telefonisch noch persönlich. Seine Geschäftstermine werden von seinem Büro für die nächsten Wochen abgesagt. Nachfragenden Menschen erzähle ich, wir hätten ihn aus gesundheitlichen Gründen aus dem Verkehr ziehen und zur Ruhe verdonnern müssen – er habe zu viel Stress gehabt und seine Herzprobleme würden uns Sorge bereiten.
Das versteht jeder: Ja, der Bernhard, immer unterwegs, immer neue Ideen, immer neue Projekte. Dass er auf seine Gesundheit aufpassen müsse, sei wahrlich kein Wunder.
Na, wenn das mal kein neues Projekt ist… Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich Freunde, die sich besorgt nach dem wie vom Erdboden verschluckten Bernhard erkundigen, anschwindeln muss. Und frage mich, wie lange dieser Zustand wohl noch andauern wird. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt.
Die Bombe platzt
Es ist Montagabend, die Verhaftung von Bernhard liegt 13 Tage zurück. Trotz des herrschenden Wahnsinns entschließe ich mich, zu einer Podiumsdiskussion in einem alternativen Theater zu gehen, weil ein guter Freund daran teilnimmt und mich gebeten hat zu kommen. Vielleicht tut die Ablenkung mir gut. Ich freue mich sehr, unverhofft zwei Freundinnen dort zu treffen. Draußen auf der Terrasse wird sogar Tango getanzt – es ist der erste halbwegs entspannte Abend seit meiner Rückkehr aus Amerika. Keiner ahnt, was in mir vorgeht. Oder merkt man etwa, wie nervös ich bin? Lache ich etwas zu laut? Zittern meine Hände? Wirke ich abwesend?
Ab 21.30 Uhr läutet mein Handy. Es ist natürlich stumm gestellt, man sitzt ja schließlich in einer intellektuellen Diskussion über den Musikgeschmack eines bedeutenden Museumsleiters. Immer wieder sehe ich anonyme Anrufe im Display. Ich werde nervös. Denn anonyme Anrufer kenne ich nur zwei: zum einen meine Schwiegermutter. Doch die müsste aus der Urne anrufen (was ihr durchaus zuzutrauen wäre), in der sie seit fünf Jahren hoffentlich in Frieden ruht. Zum anderen: die Mitarbeiter einer großen Boulevardzeitung.
Als mich kurz vor 23 Uhr deren Chefredakteur persönlich von seinem Mobiltelefon aus anläutet, weiß ich, was kommt. »Die Bombe ist geplatzt«, sagt er nur. Und ob er helfen könne. Doch da hilft im Moment nichts und niemand mehr. Die Hölle bricht los. Ich habe das Gefühl, dass sich vor mir der Erdboden auftut. Meine schlimmsten Vorahnungen werden erfüllt.
Es hagelt Schlagzeilen. Das Maß der Presseresonanz sprengt unsere Vorstellungen, der Fall übt in seiner Mischung aus Geld, Glamour und prominenten Protagonisten große Faszination aus: die faszinierende Kunstwelt, teure Karossen, der »Kunstpapst« sowie die Schwiegertochter einer der reichsten und bislang zurückhaltendsten und verschwiegensten Familien des Landes. Kaum ein Medium der Republik, das sich von da an nicht auf den »Skandal« stürzt; die lokalen Zeitungen berichten tagtäglich.
Und das, obwohl doch gerade WM ist! Nachrichtenmagazine, Wirtschaftspresse, Wochenzeitungen, Boulevardblätter, People-News, selbst Tageszeitungen in der tiefsten Provinz greifen das Thema auf. Ich meine: Wenn schon die Kegelbrüder bei den Eltern im beschaulichen Mosel-Tal anrufen und fragen, was denn da mit ihrem Schwiegersohn Unglaubliches los sei, ist ja wohl alles zu spät!
Mir kommt es vor, als hätten manche auf diesen Absturz gewartet. Bernhard wird zum Mittelpunkt einer Kampagne, die sämtliche Anschuldigungen ohne Für und Wider aufgreift. Nach dem Motto: Endlich sieht man mal, wie diese Kunstbranche wirklich tickt! Haben natürlich alle immer schon geahnt, dass bei diesen teils astronomischen Preisen nicht alles mit rechten Dingen zugehen kann. Und Bernhard, der nicht umsonst als »schillernd« beschrieben wird, hat sich und seine Aktivitäten stets gerne in der Presse gesehen. Nun schlägt die Popularität zurück. Mein Telefon klingelt fast pausenlos, ständig piepst der Mail-Empfang. Wieso hat jeder dritte Journalist meine Nummer oder E-Mail-Adresse?
Redakteur vor dem Kollaps
Kurz nach der ersten Veröffentlichung in einer Boulevardzeitung telefoniere ich mit einem mir bis dato unbekannten Redakteur. Er beginnt unvermittelt mich zu beschimpfen, weil ich angeblich dieser Zeitung zuerst die Information über Bernhards Inhaftierung weitergegeben, ja womöglich verkauft hätte.
Ich verliere ob dieses unmittelbaren Angriffs völlig die Fassung und muss laut losheulen. Die Spannung der letzten beiden Wochen entlädt sich vor einem Fremden. Ich kann mich nicht beherrschen und lasse die Tränen laufen. Was ist denn in ihn gefahren? Ich erkläre ihm, dass diese Unterstellung doch völlig unlogisch und es für uns alle doch grauenhaft sei, was in den Zeitungen steht. Wir hatten doch gehofft, dass Bernhard längst wieder frei sein würde und niemand seine Verhaftung mitbekommt. Und dass es nicht im Entferntesten in meinem oder der Kinder Sinne ist, dass dieser fürchterliche Kram in der Zeitung steht und der Papi gerade zum größten Verbrecher seiner Zunft avanciert.
Ich frage ihn, was ich dafürkönne, wenn andere Medien wahrscheinlich engere Bande zu Informanten aus Justizvollzugsanstalten haben und eine solche Sensationsmeldung als Erste bringen? Der Redakteur – offenbar betroffen über mein Weinen – entschuldigt sich dann in mein Geschluchze hinein und schaltet in Sekundenbruchteilen von wütend auf freundlich um.
Leider stehe ich bei meinem heftigen Weinkrampf mit unserem Hund Dexter – zu diesem Lümmel komme ich noch – auf den Rheinwiesen, und etwa ein halbes Dutzend Hundebesitzer schaut mich verdutzt an. Die denken wahrscheinlich, ich bin von einer Umweltschutzorganisation und völlig hysterisch angesichts der überall in ihrem toten Geäst liegenden Bäume. Ach Ela.
Anhand dieses Gesprächs wird mir klar, dass noch sehr viel Unberechenbares und Unabwägbares auf uns zukommt.
Als ich zu Hause in mein rot verquollenes Gesicht schaue, bedaure ich zutiefst, dass wir keine hochprozentigen Getränke im Schrank haben. Und dabei ist es erst neun Uhr morgens. Früher gehörte eine gut sortierte Hausbar in jeden Haushalt, der etwas auf sich hielt.
Zellengymnastik
Unser Haus liegt an einer stark befahrenen Straße, doch das hat uns nie sonderlich gestört. Was aber jetzt erheblich nervt, ist der Kiosk direkt gegenüber. Dafür können die wahnsinnig netten und hilfsbereiten Betreiber Sven und Benjamin nichts – die müssen die Zeitungen ja verkaufen und Werbung aufstellen –, doch jeden Morgen, wenn die Kinder und ich aus dem Küchenfenster schauen, sehen wir diverse Aufsteller mit riesigen Lettern (in die Ferne sehe ich ja noch ganz gut): »Krämer wegen Betrug verhaftet!«, »Skandal in der Kunstwelt!«, »Kunstpapst im Knast!«. 11 Millionen Schaden! 15 Millionen Schaden! 30 Millionen Schaden! 5 Jahre Haft! 10 Jahre Haft! 15 Jahre Haft! Die Zahlen werden immer absurder, eine Schlagzeile jagt die andere und ist dann am nächsten Tag überholt. Man kann froh sein, dass es nicht noch wie anno dazumal diese Zeitungsverkäufer gibt, die durch die Straßen laufen und lauthals schreiend die Neuigkeiten verkünden: »Aaabendblaaatt – Bernhard Krämer im Zuchthaus mit Doppelmörder in einer Zelle« oder so.
Fast jeder Artikel erwähnt, Bernhard sei direkt aus Brasilien gekommen, wo er das WM-Quartier der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Campo de Bahia mit Kunst ausgestattet habe. Monatelang wird dies wiederholt, obwohl es nicht stimmt: Wir kamen wie gesagt aus den USA. Aber von einem Trip mit Jogi Löw, Manuel Neuer, Poldi, Schweinsteiger & Co. direkt in den Knast zu wandern klingt interessanter, als von einer privaten Party aus in den selbigen umgesiedelt zu werden. Hat wohl mit der Fallhöhe zu tun.
Im Stillen denke ich: Mensch, der Bernhard! Der würde sich freuen. Er hat ja wie erwähnt immer gerne in der Zeitung gestanden. Und dass er es mal auf die Titelseiten so vieler Blätter schafft und sogar ins Fernsehen – da wäre er bestimmt stolz.
Aber Bernhard kriegt das alles nicht mit. U-Haft heißt für ihn zunächst: Er sitzt fast 23