Ich habe Tesla missverstanden. Ich glaube, wir alle haben Tesla missverstanden. Wir dachten, er wäre ein Träumer und Fantast. Er träumte wirklich, und seine Träume sind wahr geworden. Er fantasierte wirklich, aber seine Fantasien bildeten wahrhaft die Zukunft ab, nicht irgendeine imaginierte.
JOHN STONE STONE, 1915
In den Jahrzehnten seit Teslas Tod hat sein Vermächtnis ein höchst eigenwilliges Eigenleben angenommen. Auf der einen Seite hat Tesla unter Ingenieuren einen guten Ruf aufgrund seiner maßgeblichen Beiträge zur Entwicklung des Wechselstroms. Tatsächlich wird der Name »Tesla« seit 1956 benutzt, um die Maßeinheit für die Flussdichte eines Magnetfelds zu bezeichnen. Auf der anderen Seite ist Tesla vor allem dank seiner schillernden Prophezeiungen über seine Erfindungen zu einer Kultfigur der Populärkultur avanciert. Auf diesen abschließenden Seiten möchte ich Tesla nicht nur als kulturwissenschaftliches Phänomen betrachten, sondern reflektieren, was wir durch ihn über den Entstehungsprozess von Erfindungen lernen können und darüber, welche Rolle Innovationen in der Wirtschaft spielen. Damit wäre dann auch jene Aufgabe erfüllt, die Brisbane in jener Sommernacht des Jahres 1894 aufwarf, als er Tesla interviewte: dass wir uns bemühen sollten, »diesen großartigen neuen Elektrotechniker voll und ganz zu entdecken, das Interesse der Amerikaner an [Teslas] Persönlichkeit zu wecken, sodass sie seine zukünftigen Errungenschaften mit großer Sorgfalt erforschen mögen«.1
Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen Edison und Marconi hat es Tesla nie richtig in die Geschichtsbücher der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschafft. Zwar wären seine Erfindung des Wechselstrommotors und seine Pionierarbeit auf dem Gebiet der elektromagnetischen Wellen ein Garant dafür gewesen, ihm einen Platz in der großen amerikanischen Geschichtsschreibung einzuräumen. In den Geschichtsbüchern fehlt Tesla jedoch teilweise aus dem Grund, weil er nie ein bedeutendes gleichnamiges Unternehmen gegründet hat, das seine Erfindungen im großen Stil produzierte. Bis zur Gründung von Tesla Motors im Jahre 2003 hatte es kein Pendant zu Firmen wie Marconi Cable & Wireless Commmunications oder Consolidated Edison gegeben. Statt nach Profiten aus der Herstellung zu streben, hat Tesla, wie wir gesehen haben, die Strategie »Patentieren, bewerben, verkaufen« verfolgt. Daher gab es keinen Konzern, wie General Electric (der Edison als seinen Gründer betrachtet) oder die Radio Corporation of America (die auf Marconis Patenten beruhte), der es für nötig hielt, mit Tesla als »Gründungsvater« aufzuwarten. Westinghouse hätte Tesla auf diese Weise herausstellen können, doch Teslas Beziehungen zu George Westinghouse waren in erster Linie persönlicher Natur – zu den Managern, die die Firma im 20. Jahrhundert bis zum Ende leiteten, hatte er keinen so persönlichen Kontakt.
Ein weiterer Grund, warum Tesla in den Geschichtsbüchern des späten 20. Jahrhunderts nicht erwähnt wird, ist der, dass man sich während des Kalten Kriegs in Amerika ungern auf ihn bezog. Er war nicht wie etwa Thomas Edison und die Wright-Brüder in Amerika geboren und repräsentierte somit nicht die »Genialität der Yankees« – die landläufige Auffassung, dass Amerikaner von Natur aus praktisch veranlagt und technisch innovativ seien. Zudem vermuteten viele Leute, dass Tesla ein Mystiker war, der seine Erfindungen nicht aufgrund wissenschaftlicher Theorien entwickelt hatte, weshalb sich die Aposteln der Moderne, die glaubten, Technologie erwachse aus Forschungen von Wissenschaftlern an Universitäten und in Firmenlaboren, kaum auf ihn beriefen. Und im Gegensatz zu Edison oder Henry Ford, die beide als gewöhnliche Menschen betrachtet wurden, die die Bedürfnisse einfacher Leute verstanden und daraufhin massentaugliche Güter wie Automobile, elektrische Beleuchtungen und Kinofilme schufen, erschien Tesla ihnen wohl prätentiös, elitär und, ja, exzentrisch.2 Für das Establishment während des Kalten Kriegs war Tesla daher ein Mann, den man am besten ignorierte – ein merkwürdiger Außenseiter, den man gut und gerne vergessen konnte.3
Doch genau dieser Status als Außenseiter – seine mystischen Eigenschaften, seine unpraktische Ader, die Ablehnung, die er von Persönlichkeiten des Establishments wie Edison und Morgan erfuhr – machte ihn zum Helden der Gegenkultur. Wie unwiderstehlich faszinierend waren doch Teslas wundersame Behauptungen, es gebe drahtlosen Strom umsonst, man könne mit dem Mars Kontakt aufnehmen, oder seine Ankündigungen von einer Armee der Roboter, von der Abschaffung des Krieges und von Todesstrahlen? Bereits in den 1950er Jahren wurde Tesla von fragwürdigen Individuen vereinnahmt, die vor allem sein Interesse an interplanetarischer Kommunikation herausstellten. So behauptete zum Beispiel Arthur H. Matthews, dass er mit Tesla zusammengearbeitet habe und der Magier ihm beigebracht habe, wie man ein »Teslaskop« baut, um mit Außerirdischen auf anderen Planeten zu kommunizieren. Matthews verkündete zudem, dass Tesla auf der Venus geboren sei und dass er dies wisse, weil es ihm »Venusianer« während eines Besuchs bei ihm in Kanada erzählt hätten. Margaret Storm stand dem in nichts nach und veröffentlichte ein mit grüner Tinte geschriebenes Buch, in dem zu lesen war, dass Tesla mit einem Raumschiff von der Venus gekommen sei, begleitet von seiner »Twin-Ray«, einer weißen Taube. Storm hatte ebenfalls eine eigene spezielle Radioanlage, mit der sie Außerirdische kontaktierte.4
Während der Energiekrise in den 1970er Jahren wurde Tesla zum Helden der Freie-Energie-Bewegung. Anhänger dieser Bewegung glaubten, dass es zukunftsweisende Technologien gebe – häufig basierten diese auf Teslas Ideen –, die von der konventionellen Physik noch nicht hinreichend erforscht worden seien und die eingesetzt werden könnten, um Energie im Universum zugänglich zu machen. Freie-Energie-Forscher nehmen Teslas Losung ernst, dass es Menschen möglich sein sollte, Energie nutzbar zu machen, indem sie »ihre Maschinen an das Räderwerk der Natur anschließen«.5 Einige Mitglieder dieser Bewegung sind gar überzeugt, dass es eine Verschwörung von Konzernen gibt – die bis Edison und J. P. Morgan zurückreicht –, die sich einer verbesserten Energietechnologie entgegenstellen und verhindern, dass diese weiterentwickelt oder in die Realität umgesetzt wird. Robert Golka ist ein Beispiel für eine von Tesla inspirierte Forschung im Bereich der Energie. Von 1970 bis 1988 versuchte er, Teslas Versuche in Colorado wiederaufleben zu lassen, um künstliche Kugelblitze zu erzeugen. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern glaubte Golka, dass Feuerbälle genutzt werden könnten, um Techniken zu entwickeln, mit denen energiereiches Plasma für die Kernfusion eingeschlossen werden könnte.6
Um Freie-Energie-Forscher und andere an Tesla interessierte Personen zusammenzubringen, organisierten Wissenschaftler und Führungskräfte diverser Gruppierungen 1984 in Colorado Springs das erste Tesla-Symposium. Im Verlauf der nächsten 14 Jahre richtete dieser Verband jährliche Treffen aus, veröffentlichte Berichte, eröffnete ein Museum und rief die International Tesla Society ins Leben. Die Gesellschaft zählte sogar weltweit bis zu 7000 Mitglieder, ging aber 1998 infolge interner politischer Streitigkeiten bankrott. In der darauffolgenden Dekade fanden Tesla-Fans eine neue Heimat in der Tesla Engine Builders Association, der Tesla Memorial Society of New York sowie auf der Tesla Universe Website von Cameron B. Prince.7
Tesla übte auch Anziehungskraft auf die Anhänger der sogenannten New-Age-Bewegung aus. New Age lässt sich als eine Art der alternativen Subkultur beschreiben, als »eine Mischung spiritueller und metaphysischer Traditionen östlichen wie westlichen Ursprungs, die zudem von Einflüssen von Selbsthilfe und Motivationspsychologie, Ganzheitslehre und Parapsychologie, Bewusstseinsforschung und Quantenphysik durchzogen ist«.8 Gerade wegen seines Charismas (schlank, ansehnlich, düster und geheimnisvoll), seiner Anstrengungen, schon als Junge seine Willenskraft zu trainieren, und seines mutmaßlichen Interesses an übersinnlichen Phänomenen (was meines Erachtens seiner materialistischen Wahrnehmungsperspektive widersprach), überrascht es nicht, dass Tesla immer wieder in den Quellen und Praktiken des New Age erwähnt wird. Wie wir gesehen haben, definiert sich seine Geschichte enorm über die Kultivierung und Perfektionierung seines »starken und ungezügelten Wesens« (siehe Kapitel 12), ein Weg, auf dem er lernte, sich ebenso auf seine rationalen Fähigkeiten wie auf seine Vorstellungskraft zu verlassen. Tatsächlich kann Teslas Geschichte weitestgehend als eine der spirituellen Erleuchtung und der persönlichen Weiterentwicklung verstanden werden.9
Tesla-Kult und New-Age-Überzeugungen manifestieren sich etwa in den Purpurplatten (auch Teslaplatten genannt), die benutzt werden, um positive Energie zu bündeln und damit dann physische und psychische Leiden zu bekämpfen. Eingeführt wurden diese Platten von Ralph Bergstresser, der Tesla während der letzten sechs Monate seines Lebens kennengelernt hatte und in der Folge diese Platten auf Grundlage eines Patents von Tesla entwickelte.10 Mit einer Mischung aus wissenschaftlichen und spirituellen Überzeugungen beschreibt das Swiss Tesla Institute, ein Anbieter von Purpurplatten, dass diese Aluminiumscheiben eine bestimmte Gitterstruktur besitzen,
»um auf derselben Frequenz zu schwingen wie das Magnetfeld der Erde, das den Raum zwischen der Erdoberfläche und der Ionosphäre durchdringt. Dieses Feld ist bekannt als Schumann-Resonanz-Feld und […] steht in Verbindung mit dem Biofeld (Chi oder Qi, Prana, Orgon etc.), das jede essenzielle Information und alle Energie enthält, die für das einwandfreie Funktionieren, das Wachstum und die Evolution jeglicher Lebensform erforderlich sind«.11
Das große Interesse an Tesla im Bereich des New Age ist vielleicht auch dem Umstand geschuldet, dass sich nicht jeder mit dem Gedanken an die Rationalität des modernen Lebens anfreunden kann, besonders nicht mit der These, jede technische Innovation gehe mit der kompromisslosen Logik der Märkte oder der Wissenschaft einher. Heutzutage lautet die gängige Antwort auf die Frage, warum eine neue Technologie eingeführt wird, dass sie entweder auf eine Nachfrage am Markt reagiert oder das Ergebnis wissenschaftlicher Entdeckungen ist. Obwohl beide Faktoren ihren Beitrag zur Technologie leisten, sind sie nicht unbedingt für jeden ausschlaggebend. Manche Menschen sind vielmehr der Überzeugung, dass eine neue Technologie die Werte, Träume und Wünsche einer Kultur reflektieren sollte. Technologie ist so wichtig in unserem Leben, dass sie für viele nicht einfach auf die unpersönlichen Kräfte und Zwänge von Markt und Labor reduziert werden kann.
Für diese Menschen bietet Tesla eine willkommene Alternative. Er hat deutlich gemacht, dass Technologie mehr ist als erbarmungslose Wirtschaftlichkeit oder wissenschaftliche Vernunft. Tesla war zwar ein ausgebildeter Ingenieur, weigerte sich aber, sich ausschließlich vom Diktat des Marktes oder der Wissenschaft leiten zu lassen. Stattdessen kamen seine Erfindungen aus ihm selbst, und durch diese Erfindungen versuchte er, sein Leben und die Welt um ihn herum zu ordnen. In diesem Sinne war Tesla wie ein Künstler oder ein Dichter, und seine Zeitgenossen haben ihn bisweilen in der Tat als solchen beschrieben. Daher ist Tesla die ideale Identifikationsfigur für Menschen, die die Welt nicht ausschließlich in rationalen Kategorien verstehen wollen. Um Hamlet zu zitieren: »Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als eure Schulweisheit sich träumen lässt« (Akt 1, Szene 5).
Ich möchte nicht suggerieren, dass New-Age-Anhänger eine Dichotomie zwischen dem Materiellen und dem Spirituellen konstituieren oder dass Technologen keine Seele haben.12 Vielmehr dürstet es manche Menschen nach einer Kultur, in der das Spirituelle und das Materielle miteinander verwoben sind. Als Kulturikone löst Tesla diese Dichotomie geschickt auf: Er schuf großartige Technologie durch Introspektion und offenbarte so, wie sich das Spirituelle mit dem Materiellen verbinden lässt.
Einige Firmen haben erkannt, in welcher Weise Tesla die Mischung aus Spirituellem und Materiellem repräsentiert, und beziehen sich darauf. So hat das Marketing des von Tesla Motors hergestellten Elektro-Roadster etwas von einem Geniestreich: Wie sein Namenspatron hat das Unternehmen herausgefunden, wie man ein Automobil produziert, das die Emotionen anspricht, da es umweltverträglich ist und gleichzeitig die materiellen Bedürfnisse befriedigt, weil es schnell, cool und hochtechnologisiert ist. Ein griffiger Slogan auf der Webseite der Firma lautet: »Keine Emissionen, keine Schuldgefühle«. So schrieb ein Tesla-Auto-Fan im Jahre 2009 in den Blog von Tesla Motors:
»Ich habe genug von einer Grünen Revolution, in der es nur um Bohnensprossen und Fahrräder geht. Zur Hölle damit, jawohl, Tesla ist Grün mit Schärfe. […] [M]eine Philosophie [lautet]: Man muss keine Birkenstocks tragen, Nüsse und Beeren futtern und stundenlang im Yogasitz hocken und meditieren. […] Eine saubere, grünere Welt heißt nicht, dass wir uns ins Mittelalter zurückentwickeln müssen.«13
Als jemand, der von der Existenz außerirdischen Lebens überzeugt war, als Vorbild der freien Energie und New-Age-Heiliger ist Tesla für die Populärkultur eine überaus faszinierende Persönlichkeit. In ihm vereinigen sich das Spirituelle und das Materielle, er rüttelte an den Grundfesten des Wirtschafts-Establishments und verleiht noch heute der Fantasie Flügel, wenn es gilt, sich neue Technologien und neue Welten vorzustellen. Wenn Tesla auch in den Geschichtsbüchern fehlt, ist er aus all den vorgenannten Gründen in der Populärkultur allgegenwärtig: als Name einer Hardrockband, in Hollywoodfilmen wie Prestige – Die Meister der Magie (2006), in Romanen wie The Invention of Everything Else (2008), in Theaterstücken und Opern wie Jeff Stanleys Tesla’s Letters, und sogar als Figur in Videospielen wie Capcom Entertainments »Dark Void Saga«. Wie ein Sprecher von Tesla Motors feststellte: »Du weißt, dass du im Mainstream angekommen bist, wenn du in einem Videospiel auftauchst, dessen Zielgruppe 18-jährige Jungs sind.«14
Tesla ist gleichwohl mehr als nur eine verlockende Figur in der amerikanischen Popkultur, bietet er uns doch einen Einblick in das Wesen technologischer Innovation, aus dem wir relevante Lehren für die Gegenwart und die Zukunft ziehen können.
Auf den ersten Blick mag diese Behauptung überraschen, wäre es doch leicht, Tesla als Unikat abzuqualifizieren – schließlich war er ein enorm exzentrischer Erfinder, der vor mehr als hundert Jahren gearbeitet hat. Was sollten Erfinder, Ingenieure und Unternehmer heutzutage großartig von ihm lernen? Innovation im 21. Jahrhundert dreht sich vor allem um sich rapide erweiternde Grenzen der Wissenschaft, um große gemeinschaftliche Teams, Risikokapital und globale Märkte. Was sollte uns schon ein kapriziöser Visionär wie Tesla lehren, das für die moderne Wirtschaft von Relevanz wäre?
Um sich dieser Aufgabe zu stellen, müssen wir uns Schumpeters Idee in Erinnerung rufen, dass Wirtschaftssysteme aufgrund von zwei Arten der Innovation wachsen (siehe Kapitel 2). Auf der einen Seite gibt es die kreativen Reaktionen von Unternehmern und Erfindern, die neue Produkte, Prozesse und Dienste einführen und so in dramatischer Weise den Alltag verändern und die Industrielandschaft neu gestalten; wie Clayton Christensen vorgeschlagen hat, kann man diese als »disruptive Innovationen« bezeichnen.15 Auf der anderen Seite gibt es Manager und Ingenieure, die Anpassungen, Adaptionen, vornehmen, die die ständige und zunehmende Arbeit übernehmen, Firmenstrukturen, Herstellungsprozesse und Marketingpläne zu etablieren, die es ermöglichen, dass Produkte erzeugt und verbraucht, respektive Dienstleistungen in Anspruch genommen werden. Jeder wirtschaftliche Erfolg ist eindeutig abhängig davon, die richtige Mischung aus disruptiven und adaptiven Innovationen zu finden.
Tesla führte zwei disruptive Innovationen ein, die die amerikanische Wirtschaft im späten 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts veränderten. Sein Wechselstrommotor überzeugte in den 1880er Jahren die Energieversorger, von Gleichstrom auf Wechselstrom umzustellen, da sie so nicht nur eine Serviceleistung für Beleuchtung bieten, sondern auch Strom liefern konnten, der sowohl von der Industrie als auch von den Verbrauchern genutzt wurde. Mit dieser Erweiterung ihres Angebots bot Wechselstrom den Energieversorgern die Möglichkeit, ihre Systeme zu vergrößern, durch Massenproduktion wirtschaftlicher zu arbeiten und langfristig die Stromkosten zu senken. Ebenso wichtig war, dass Tesla den Mehrphasenstrom einführte. Da Wechselstrom sowohl zweiphasig als auch dreiphasig verfügbar war, konnten Energieversorger Strom effizient über längere Entfernungen leiten. Kurz und gut, Teslas Wechselstrom-Erfindungen waren essenziell, um Elektrizität in etwas zu verwandeln, das in Massen produziert und unter die Menschen gebracht werden konnte. Seine Erfindungen bereiteten den Weg für die Art und Weise, wie wir heutzutage Strom erzeugen und verbrauchen. Aus all diesen Gründen finden sich moderne Versionen von Teslas Wechselstrommotoren allerorten – sie treiben Haushaltsgeräte an, liefern Strom für Industriemaschinen und halten sogar die Festplatten von Laptops am Laufen.
Tesla sah in seinem drahtlosen Strom den Beginn einer zweiten elektrischen Revolution. Mit dieser Technik wollte er an den existierenden verkabelten Netzwerken für Strom, Telefon und Telegrafie vorbeiziehen. Wie wir gesehen haben, gelang es Tesla nicht, sein System zu vollenden, weil er die benötigten zusätzlichen Geldmittel nicht aufbringen konnte, nachdem Morgan seine Unterstützung eingestellt hatte, und weil er keinen Weg fand, elektrischen Strom in die Erdkruste zu leiten. Stattdessen griffen diverse Firmen in Europa und Amerika Marconis Ideen zur drahtlosen Telegrafie auf. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass Marconi lediglich eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung für die drahtlose Telegrafie erarbeitete, während eine Reihe anderer Erfinder – Lee De Forest, Reginald Fessenden, John Stone Stone und Edwin H. Armstrong – Innovationen beisteuerten, die für die Entwicklung der Radioübertragung notwendig waren. Das Radio wurde nicht von Marconi erfunden. Es war das Resultat eines Entwicklungsprozesses, an dem eine Reihe unterschiedlicher Leute beteiligt waren, darunter Tesla.16
Tesla spielte bei der Entwicklung des Radios in zweierlei Hinsicht eine wesentliche Rolle. Erstens lieferte er entscheidende Ideen und Elemente – die Wichtigkeit, Sender und Empfänger zu erden, Kapazität und Induktion zu justieren, um die Geräte aufeinander abzustimmen, sowie die Teslaspule – all das wurde von anderen Pionieren des Radios entlehnt und adaptiert. Wie sein Rivale Arthur Percy Morris Fleming im Jahre 1943 anmerkte,
»produzierte [Tesla] fast nebenbei eine ganze Reihe von Apparaturen, die dann von anderen Arbeitern, die weit weniger ambitionierte Ziele verfolgten, erfolgreich verwendet wurden. Wäre er bereit gewesen, diesen Geräten, die sein erfinderisches Genie so frei improvisierte, mehr Aufmerksamkeit zu widmen, wäre sein großer Einfluss auf die Entwicklung des Radios jedem viel offensichtlicher geworden«.17
In Radios, Fernsehern und Handys werden heute Variationen von Teslas Ideen über abgestimmte Stromkreise, die auf bestimmten Frequenzen schwingen, verwendet.
Zweitens war Tesla für die Entwicklung des Radios wichtig, weil er seine Rivalen zum Handeln inspirierte – sie förmlich elektrisierte. Tesla war einer der ersten Erfinder, der elektromagnetische Wellen erforschte, und sein Zeitgenosse John Stone Stone betonte, dass Tesla »in den Jahren 1891 bis 1893 mehr getan hat, um an diesen Phänomenen Interesse zu wecken und zu deren besserem Verständnis beizutragen, als jeder andere«.18 Wie wir gesehen haben, war Tesla eine wahre Inspiration für De Forest (obwohl De Forests späteres Wirken Teslas eigenen Bestrebungen schadete), und Marconi und seine Partner hatten stets ein Auge darauf, woran Tesla gerade arbeitete. Darüber hinaus mussten Teslas Konkurrenten im Bereich der drahtlosen Technik Wege suchen, damit sie um seine Patente herumkamen, sei es indem sie Alternativen schufen oder gegen ihn vor Gericht zogen.
So sinnvoll es ist, sich anzuschauen, was Tesla erfand – Wechselstrommotoren und drahtlose Energie –, es ist noch wichtiger, darauf zu schauen, wie er diese Technologien erfand. Beide Facetten seines schöpferischen Stils – Ideal und Illusion – bieten Erkenntnisse für Erfinder, Ingenieure und Unternehmer, die ähnlich wagemutige Innovationen zu entwickeln wünschen. An Hochschulen für Ingenieure und Wirtschaftswissenschaften lernen Studenten, die Leistungen von Maschinen und Systemen objektiv zu analysieren, Verbraucherbedürfnisse einzuschätzen und auf Grundlage des eigenen Ermessens neue Geräte zu entwickeln. Schumpeter bezeichnete das als adaptive Innovation. Was wissen wir dagegen tatsächlich – als Historiker, Unternehmer und politische Entscheidungsträger – über die andere Art der Innovation, Schumpeters kreative Innovation respektive Christensens disruptive Innovation? Wo kommen diese Innovationen her? Kommen disruptive Innovationen einfach nur durch geheimnisvolle, unbekannte Kräfte wie Genie und Glück zustande? Wie macht man eine disruptive Technologie nutzbar, sodass sie einen positiven Einfluss auf eine Firma, ein Wirtschaftssystem oder die Gesellschaft im Allgemeinen ausübt? Dies sind die Fragen, die Teslas Geschichte beantwortet.
Teslas große Stärke war seine Bereitschaft, unkonventionell zu denken. Während etwa bei seinem Motor die meisten anderen Forscher sich Gedanken machten, wie sie die Richtung der Magnetpole im Rotor verändern könnten, fand Tesla stattdessen heraus, wie man ein magnetisches Drehfeld im Stator erzeugte (siehe Kapitel 2). Wo andere an der Vordertür klopften, empfahl Tesla, um das Haus herumzugehen und die Hintertür zu suchen.
Man muss jedoch über eine reiche Vorstellungskraft verfügen, um jene Hintertür zu finden. Der Wille zu weitläufigen Träumereien muss ebenfalls vorhanden sein, um nicht nur Schatten heraufzubeschwören, sondern komplette Maschinen und ganze Gesellschaftsformen. Nicht jeder Mensch ist in der Lage, einen Zugang zu seiner eigenen Vorstellungskraft auf diesem Level zu erreichen und Bilder von einer derart visuellen Klarheit zu erzeugen, wie Tesla dies konnte – seien wir ehrlich, er hatte eine ungewöhnliche Kindheit, in der er seine Vorstellungskraft einfach entwickeln musste –, aber es ist unabdinglich, dass man in seiner Vorstellung ausgedehnte Erforschungen pflegt oder zumindest zulässt. Wenn man in seinen Vorstellungen kein Risiko eingeht, wie soll man dann erst auf unkonventionelle Ideen oder Ideale stoßen?
Doch die Vorstellungskraft ist nur die eine Hälfte des Bewusstseinsprozesses; dies war die »ungezügelte« Seite des Wesens eines Erfinders, wie Tesla es beschrieb. Es gab auch in gleichem Maße eine »starke« Seite (siehe Kapitel 13). Trotz der ungeheuren Masse an Populärliteratur, in der Teslas Aha-Momente zelebriert werden, war Tesla der Meinung, dass mentale Erkenntnis, Intuition oder Ahnungen durch gründliche Reflexion und Analyse verfeinert werden mussten. Über diesen Schritt der Verfeinerung sprach Tesla, als er 1921 seinen kreativen Prozess beschrieb:
»Dies hier ist in Kürze meine Methode: Nachdem der Wunsch entstanden ist, eine bestimmte Sache zu erfinden, trage ich die Idee vielleicht monate- oder jahrelang in meinem Hinterkopf mit mir herum. Wann immer mir danach ist, durchstreife ich meine Vorstellungswelt, ohne mich bewusst auf die Aufgabenstellung zu konzentrieren. Das ist die Phase der Inkubation.
Dann folgt die Phase der Fokussierung. Sorgfältig überlege ich mir mögliche Lösungen des Problems, um das es gerade geht, und richte meinen Verstand auf ein begrenztes Feld meiner Nachforschung. Wenn ich nun bewusst über dieses Problem mit seinem besonderen Charakter nachdenke, beginne ich vielleicht zu spüren, dass ich der Lösung näher komme. Und die wunderbare Sache ist, wenn ich dieses Gefühl habe, dann weiß ich, dass ich das Problem wirklich gelöst habe und mein Ziel erreichen werde. [Hervorhebungen hinzugefügt]«19
Ein kleines, aber sichtbares Indiz für Teslas intensive Analyse fand sich in seinem Labor an der South Fifth Avenue: Dort war »eine kleine Tafel, die an der Wand hängt und der anzusehen ist, dass sie sehr viel benutzt wird. Das Schwarz ist an verschiedenen Stellen ausgeblichen und ansonsten ist sie mit Zahlen und kabbalistischen Zeichen bedeckt«.20 Tesla zeichnete keine Fantastereien auf die Tafel, sondern wendete seine mathematischen Kenntnisse an, um ein Ideal zu verfeinern und zu schärfen, während es in seiner Vorstellung Form annahm. Für Tesla erschien ein Ideal also nicht plötzlich in voller Pracht, sondern es war das Ergebnis zweier bewusster Aktivitäten: das Schweifen in seiner Vorstellungswelt und die sorgfältige Erforschung möglicher Lösungen. Ich vermute, dass Tesla ohne das Zusammenspiel dieser zwei Aktivitäten, die ihn zu höchster Anspannung trieben, überhaupt nichts erfunden hätte.
Wenn wir uns heutzutage Gedanken über Innovation und Entwicklung machen, neigen wir dazu, Vorstellung und Analyse deutlich voneinander zu trennen. Wir nehmen an, dass Erfinder in erster Linie mit ihrer Vorstellungskraft arbeiten und Ingenieure sich auf strenge analytische Techniken verlassen, die auf Wissenschaft und Mathematik bauen. Nur selten gestehen wir uns ein, dass für die Entwicklung disruptiver Technologien beide Aktivitäten gleichermaßen erforderlich sind: Man muss träumen, aber man muss seine Träume auch kritisch beurteilen und dabei wissenschaftliche Theorie ebenso berücksichtigen wie verfügbare Materialien und Techniken.21
Während Erfinder sich stets und unter höchster Anspannung mit ihrer Vorstellungskraft und ihren analytischen Fähigkeiten auseinandersetzen müssen, helfen ihnen Sponsoren und Mäzene, die richtige Balance zwischen diesen Polen zu halten. Tesla hatte bei seiner Entwicklung des Wechselstroms das enorme Glück, Charles Peck und Alfred Brown an seiner Seite zu haben. Diese Männer ermutigten Tesla, seine Ideen für einen Wechselstrommotor weiterzuverfolgen, aber gaben dem jungen Erfinder zugleich wertvolles Feedback, was tatsächlich funktionieren könnte und was auf Geschäftsleute Eindruck machen würde, die darin investieren oder seine Patente kaufen sollten. Peck und Brown waren der harte Feuerstein, auf den Teslas Stahl schlug, und dessen Funken dann das Feuer zündeten, das ihm zum Durchbruch verhalf.
Was Tesla betrifft, besteht eine der großen hypothetischen Fragen darin, was wohl geschehen wäre, wenn Peck nicht in den 1890er Jahren gestorben wäre. Hätte Tesla mit Pecks Geschäftssinn die nötige Führung gehabt, um aus seinen Ideen zum drahtlosen Strom eine Reihe starker Patente zu formen, die sich wiederum zu einem funktionsfähigen Produkt oder einer Anwendung hätten entwickeln lassen? Hätten sich Funkanwendungen stärker in Richtung Beleuchtung und Strom entwickelt als in Richtung Kommunikation? Unglücklicherweise waren Teslas spätere Förderer, Edward Dean Adams und J. P. Morgan, nicht in der Lage, so eng mit ihm zusammenzuarbeiten, dass sie seine Erfindungen hätten mitgestalten können. Ohne jemanden wie Peck, der eine Mischung aus Ermunterung und kritischem Feedback bot, ließ sich Tesla von der Schönheit seines Ideals des drahtlosen Stroms berauschen und war nicht fähig, sein Ideal den nötigen praktischen und geschäftlichen Erwägungen anzupassen.
Was wir von Tesla und Peck lernen können, ist, dass wir verstehen und schätzen müssen, wie Erfinder und Unternehmer Beziehungen formen, um eine Balance zwischen Vorstellungskraft und analytischem Denken zu pflegen: Der Geschäftsmann »erdet« die Träume des Erfinders in Geschäftspraktiken und -erwartungen, doch gleichzeitig »inspiriert« der Erfinder den Geschäftsmann, neue technologische Möglichkeiten zu erkennen. Alexander Graham Bell hatte eine derartige Beziehung zu seinem Schwiegervater Gardiner Hubbard, ebenso Thomas Edison zu William Orton von Western Union. Man kann nur mutmaßen, dass es ähnlich fruchtbare Beziehungen gab zwischen den Dampfmaschinenpionieren James Watt und Matthew Boulton oder zwischen Steve Wozniak sowie Steve Jobs und Mike Markkula in den Anfangstagen von Apple.22 Damit aus Ideen disruptive Technologien werden, müssen Erfinder nicht nur die mentale Balance zwischen Vorstellungskraft und analytischem Denken finden, sondern auch ein Gleichgewicht in den Beziehungen zu ihren Förderern.
Wenn man über die Wechselwirkung zwischen Erfindern und ihren Förderern nachdenkt, muss man nicht nur die Ideale, sondern auch die Illusionen in Betracht ziehen. Mein Eindruck ist, dass es selbst für einen Erfinder wie Tesla sehr schwer gewesen sein muss, ein Ideal vollkommen zu erfassen; in jedem Moment lassen sich vor dem geistigen Auge einige Facetten eines Ideals visualisieren, aber nicht unbedingt alle. Erfinder lernen, diese Schwierigkeit zu umgehen und tatsächlich sogar Vorteile aus der Ambiguität ihrer geistigen Modelle zu ziehen, indem sie alternative Entwürfe entwickeln.23 Aber wenn sie ein Ideal mit anderen Menschen teilen wollen, müssen sie sich diesem Problem geradeheraus stellen: Wenn sie selbst schon keinen vollkommenen Zugang zu dem Ideal haben, wie können sie es Freunden, Mäzenen, Patentprüfern und Verbrauchern vermitteln?
Im Falle von Tesla haben wir gesehen, dass er in Bildern, Metaphern und Geschichten Zuflucht gesucht hat – was ich in diesem Buch mit dem Begriff »Illusionen« beschrieben habe. Illusionen sind kein Blendwerk, sondern Annäherungen. Illusionen zeigen, wie ein Ideal dem Geist einer Person entflieht und in den Geist einer anderen Person eindringt. Kein Ideal, keine Idee, keine Erfindung führt irgendwohin, wenn man nicht gewillt ist, eine Geschichte darüber zu erzählen; eine Geschichte, die eine andere Person interessant und überzeugend findet.24
Ein wesentlicher Wendepunkt in Teslas Leben war, als er im Jahre 1887 seinen Motor mit der sich drehenden Blechdose zu Demonstrationszwecken in eine Ei-des-Kolumbus-Apparatur umwandelte. Dieser Motor begeisterte Tesla, weil er die physikalische Verwirklichung seines Ideals darstellte, aber Peck und Brown teilten seine Begeisterung nicht. Um auch ihnen dieses Ideal zu veranschaulichen, musste Tesla es in die Kolumbus-Geschichte hüllen und eine Vision erschaffen, die auch sie überzeugte. Mittels dieser Apparatur mit dem aufrecht stehenden Ei kreierte Tesla für seine Förderer eine Illusion dessen, was möglich ist. Dieser Motor könnte in der Elektroindustrie Begehrlichkeiten wecken. Peck und Brown wiederum arbeiteten mit Tesla, um mit Patenten, Artikeln in der Fachpresse, seinem Vortrag und Laborversuchen noch mehr Illusionen zu schaffen und somit Teslas Motor effektiv mit den Bedürfnissen und Zielen der entsprechenden Industriezweige von damals zu verbinden. Mit dieser geschickten Werbung lösten Peck, Brown und Tesla eine so große Begeisterung für den Motor aus, dass sie Westinghouse überzeugen konnten, einen lukrativen Vertrag zu unterschreiben.
In einem sehr hohen Maße geht es bei Werbung als Geschäftsstrategie vor allem um den geschickten Einsatz von Illusion. Der Promoter muss die Leute begeistern können, sie zum Investieren animieren, ohne sie misstrauisch zu machen. Die Erfindung muss eine gute Position im Spektrum zwischen Plausibilität und Unwahrscheinlichkeit einnehmen. Wenn sie völlig plausibel klingt, dann ist die Erfindung vielleicht gar nicht so neuartig und daher nicht sehr viel wert. Gleiches gilt, wenn der Promoter es übertreibt und die Erfindung zu fantastisch scheint, um wahr zu sein – in dem Fall betrachten Investoren sie gegebenenfalls als zu riskant und investieren erst gar nicht. Daher war es für Tesla und seine Förderer auf der Suche nach Investoren eine echte Herausforderung, eine perfekte Illusion zu kreieren – aufsehenerregend, aber glaubhaft. Zeitgenössische Erfinder und Unternehmer stehen vor derselben Herausforderung.
In diesem Kontext ist es offensichtlich, dass Erfinder nicht nur den Stand der Technik im Blick haben müssen, sondern auch ein Fingerspitzengefühl für den Puls der Zeit haben sollten: Was begeistert die Menschen? Was sind die brennenden Themen der Zeit? Welche Bedürfnisse oder Träume haben die Menschen, die sich mit einer Erfindung koppeln lassen würden? Von diesem Gesichtspunkt her ergibt es absolut Sinn, dass sich Tesla mit Robert Underwood Johnson und Mark Twain anfreundete, beobachteten doch beide ganz genau, wie sich die amerikanische Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts veränderte. An dieser Stelle möchte ich auf einen Brief verweisen, den Tesla 1899 aus Colorado an Scherff in New York schickte, in dem er sich erkundigte, welche Themen in den Tageszeitungen vorherrschten. Tesla fühlte sich in den Bergen einsam und sehnte sich nach Neuigkeiten über das, was die Menschen beschäftigte, um seinen Illusionen eine Form zu geben.25
Illusionen können für einen Erfinder und seine Förderer sehr heikel sein, da sie das Ausmaß einer erzeugten Illusion richtig einschätzen müssen. Soll die Erfindung an die besonderen und momentanen Bedürfnisse der betreffenden Industrie gebunden sein?26 Sollen sie behaupten, dass die Erfindung die gesamte Industrie revolutionieren wird? Oder sollen sie das, was die Menschen sonst so beschäftigt, ins Feld führen? Im Falle des Motors hielten sich Tesla und seine Förderer nahe an die Bedürfnisse und Erwartungen der elektrotechnischen Industrie. Ihr Erfolg kam durch den Vertrag mit Westinghouse zum Ausdruck. Im fortschreitenden Alter und unter dem Einfluss seiner Freunde erzeugte Tesla jedoch immer weitläufigere Illusionen für seine Erfindungen – sein funkgesteuertes Boot würde Kriege abschaffen, sein drahtloses Stromsystem würde das Fernmeldewesen und die gesamte Gesellschaft revolutionieren, seine Turbine war »die perfekte Rotationsmaschine«.
Betrachtet man diese großspurigen Behauptungen, könnte man einfach annehmen, dass Tesla der Erfolg zu Kopf gestiegen war. Andererseits könnte man meinen, dass er sich über die Maßen von befreundeten Journalisten wie T. C. Martin und Johnson beeinflussen ließ.27 Aber wir können das Thema auch von einer ganz anderen Seite her angehen: Wenn Tesla mit seinen Illusionen bescheidener gewesen wäre, hätte irgendjemand in den 1890er Jahren seinen Erfindungen die nötige Aufmerksamkeit geschenkt? In gewisser Weise reagierte Tesla auf die Boulevardpresse seiner Zeit. Da die großen New Yorker Zeitungen in den 1890er Jahren um die Leser wetteiferten, waren sie auf der Suche nach Geschichten mit überdimensionierten Behauptungen, und wer immer die Geschichte aufgriff, musste diese Behauptungen weiter aufbauschen.28 Das Ausmaß von Teslas Illusionen ist daher sowohl ein Produkt seiner Persönlichkeit als auch der Art und Weise, wie sich Populärkultur damals präsentierte.
Ideal und Illusion erzählen uns eine Menge über das Wie eines Erfinders und seiner Erfindungen, über den schöpferischen Entstehungsprozess disruptiver Technologien. Aber wir sollten auch nachfragen, warum ein Erfinder erfindet. Dies ist schließlich eine Biografie, und da ist die Frage nach der Motivation durchaus berechtigt.
Ich werde mein Augenmerk hier nicht darauf richten, worin die allgemeine Motivation besteht, kreativ zu werden, sondern mich auf den speziellen Fall konzentrieren, den Tesla darstellt: Warum nehmen Menschen die Schwierigkeiten auf sich, disruptive Technologien zu kreieren? Um eine disruptive Technologie zu entwickeln, muss man bedeutende Risiken eingehen, nach neuen Geräten und Geschäftspraktiken Ausschau halten, und auch wenn der persönliche und finanzielle Lohn manchmal groß ist, gibt es keine Garantie auf Erfolg. In einer frühen Phase ist sehr schwer vorherzusagen, welche disruptive Technologie sich durchsetzen wird und auf welche Schlüsselinnovation ein Erfinder oder eine Firma sich konzentrieren sollte, um von dieser disruptiven Erfindung optimal zu profitieren. Daher überrascht es nicht, dass viele talentierte Erfinder und Unternehmer den sicheren Weg einschlagen und eine Technologie als Antwort auf existierende Marktbedürfnisse entwickeln. So kann man die Erfolgschancen berechnen und in ein kalkulierbares Risiko umwandeln. Mehr als einmal erzählte Tesla in Interviews, dass er den sicheren Pfad hätte einschlagen können und dann mit der Entwicklung verschiedener Erfindungen ein Vermögen gemacht hätte, aber dass er sich für größere und schwierigere Herausforderungen entschieden habe.
Oft wird die disruptive Innovation auf verschiedenen Gebieten mit dem sogenannten Außenseiter-Argument erklärt. Warum entscheiden sich Personen, die außerhalb des sozialen, politischen und wirtschaftlichen Establishments stehen, zu erfinden? Manchmal, um in dieses hierarchische System einzudringen, manchmal, um den Status quo herauszufordern, und manchmal, um beides zu tun. Als Außenseiter sehen diese kreativen Köpfe die Dinge nicht auf die gleiche Art wie Menschen innerhalb der Hierarchie, zudem haben sie kaum etwas zu verlieren, können mit dem Erfinden aber viel gewinnen.
Auf Tesla kann man dieses Außenseiter-Argument ganz sicher anwenden. Während die meisten Elektroingenieure im Amerika des 19. Jahrhunderts einheimische Protestanten mit englischen, deutschen oder niederländischen Vorfahren waren, war Tesla ein slawischer Immigrant – ein Serbe –, und seine Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche unterschied sich deutlich vom weitverbreiteten amerikanischen Protestantismus. Ebenso haben wir Hinweise darauf, dass es Teslas heterosexuellen Standesgenossen unangenehm war, dass dieser sich zu Männern hingezogen fühlte. Zudem vermied es Tesla, wie wir gesehen haben, seine Forschungsergebnisse in wissenschaftlichen Abhandlungen darzulegen, wie es der aufkommenden professionellen Norm entsprochen hätte, und bevorzugte stattdessen plakative öffentliche Vorführungen und lebhafte Zeitungsinterviews. Ein Anzeichen dafür, wie sehr Teslas Zeitgenossen ihn als Außenseiter wahrgenommen haben, ist die Anekdote von Edison, der, kurz nachdem er Tesla angestellt hatte, ihn fragte, ob er wirklich ein Kannibale sei.29
Das Außenseiter-Argument mag hilfreich sein, aber es erfasst nicht vollkommen, was in Tesla wirklich vorging. Ja, Tesla war ein Außenseiter, der seinen Platz im Kreis der professionellen Elektroingenieure und in der honorigen New Yorker Society suchte, aber als er 1894 im Delmonico’s interviewt wurde, war er bereits angesehen und respektiert. Was veranlasste ihn danach, weiterzumachen? Haben wir wirklich vollkommen erfasst, was ihn antrieb?
Meiner Meinung nach ging Teslas Motivation noch tiefer. In seinen Erfindungen sah Tesla einen Weg, die Welt um sich herum neu zu ordnen. Der Wechselstrommotor ließ Tesla leidenschaftlich an seinem Ideal des magnetischen Drehfelds festhalten, selbst wenn dieses Ideal es erforderlich machte, von zwei auf vier oder sogar sechs Drähte zu gehen, die Frequenz in Wechselstromsystemen von 110 auf 60 Hertz zu verändern oder schließlich komplett neue Systeme zu bauen, um zwei- oder dreiphasigen Strom zu erzeugen und zu liefern. Für Tesla war das Ideal des magnetischen Drehfelds so zwingend, dass sich, bevor er sein Ideal an die Welt anpassen würde, die Welt neu ordnen müsste, um Raum für sein Ideal zu schaffen. Ebenso erwartete Tesla, dass die Leute seinen Plan für drahtlosen Strom so offenkundig wunderbar finden würden, dass sie von den existierenden Systemen mit Drahtverbindungen zu seinem Ideal wechseln würden.
Wie entwickelte aber Tesla seinen Wunsch, die Welt neu zu ordnen, damit sie zu seinen Idealen passte? Wie kam er dazu, auch nur zu denken, dass das möglich sei? Ich glaube, dass sich dieser Wunsch von der Art und Weise ableiten lässt, wie er als Junge seine Vorstellungskraft entwickelte, um seine Ängste zu bewältigen. Von Kindheit an war Tesla in vielerlei Hinsicht mit einer beängstigenden und chaotischen Welt konfrontiert: Seine Familie war durch den Verlust ihres ältesten Sohns Dane traumatisiert, und Tesla selbst litt unter furchteinflößenden Visionen und Albträumen. Wie wir gesehen haben, bewältigte Tesla diese Störung dadurch, dass er eine enorme Willensstärke entwickelte und diese auf seine Vorstellungswelt anwendete. Statt sich von beängstigenden Bildern beherrschen zu lassen, lernte Tesla als Kind, seine Vorstellungskraft derart zu kanalisieren, dass es ihm möglich war, die Albträume zu überwinden und sich schönen Fantasiereisen hinzugeben.
In dem Maße, wie er seine Vorstellungen zu meistern lernte, übertrug er dieses neu gewonnene Talent mit beträchtlichen emotionalen Folgen auf das Erfinden, was ihn an einen weiteren bedeutenden Wendepunkt in seinem Leben brachte. Da er in seiner Vorstellung fliegen konnte, fragte er sich, warum es ihm im wirklichen Leben nicht gelingen sollte zu fliegen. So experimentierte er, als er zwölf Jahre alt war, mit der Herstellung einer Flugmaschine, die von einer Vakuumpumpe angetrieben wurde. Nichts begeisterte Tesla mehr, als zu sehen, dass diese selbst gemachte Pumpe funktionierte, zumal selbst die kleinste Bewegung bestätigte, dass sich das, was er sich vorgestellt hatte, in der dinglichen Welt verwirklichen ließ und Vorstellung und Realität tatsächlich miteinander verbunden waren. In anderen Worten: Wenn sich Tesla eine systematische Welt vorstellen konnte, dann sollte es möglich sein, diesen Plan in der materiellen Welt zu manifestieren. Dies war ein mächtiger Ansporn, Erfinder zu werden.
Die Entdeckung, dass sich ein Plan in der Vorstellung auf materielle Praktiken übertragen ließ, wurde noch durch das verstärkt, was Tesla über den Logos aus dem orthodoxen Glauben seines Vaters verinnerlicht hatte: Dem materiellen Universum liegt nicht nur ein System zugrunde, sondern alles darin – Natürliches und von Menschen Geschaffenes – beruht auf einem grundlegenden Prinzip, das von jedem Individuum entdeckt werden kann. Mit diesem religiösen Hintergrund lernte Tesla sodann, dass es Ideale gab, die er sichtbar machen und auf die dingliche Welt anwenden konnte. Sein Leben lang war er bemüht, all seine Veranlagungen – geistige, physische und spirituelle – weiterzuentwickeln, sodass er das möglichst perfekte Instrument wäre, diese Ideale aufzuspüren.
Das führt uns zurück zu Schumpeters Konzept von der objektiven und subjektiven Rationalität. Der typische Ingenieur und Manager wendet insofern objektive Rationalität an, als er sich auf Messungen aus der Außenwelt verlässt: Die Ordnung existiert bereits in der Außenwelt, und er muss nur die Muster erkennen. Im Gegensatz dazu kommt das Ordnende beim Erfinder und Unternehmer aus dem Inneren, und er versucht, es auf die Außenwelt anzuwenden. Neue Ideen, neue revolutionäre Technologien entstehen, wenn Erfinder und Unternehmer versuchen, dieses innere System auf die Außenwelt zu übertragen. Für subjektive Denker verläuft der Weg von innen nach außen, genau entgegengesetzt zu dem, wie objektive Denker die Welt wahrnehmen. Teslas Bewunderer Kenneth Swezey schätzte den Unterschied zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven richtig ein, als er 1924 an Tesla schrieb:
»Ich habe gesehen, wie renommierte Ingenieure über Ihre Ideen spotteten und auf Ihren unsteten Geisteszustand verwiesen – aber ein Geist sollte sicherlich ein wenig unstet sein, um das Momentum des flüchtigen Enthusiasmus ebenso zu überwinden wie die Trägheit des disruptiven Konventionalismus. Diese Herren sind so ausgeglichen, dass sie sich so gleichmäßig und unbeirrt immer wieder drehen können, dass eine abweichende Bewegung – die Energie und Kraft hinter der Geburt eines Satelliten [d. h. einer Erfindung] – unmöglich wird.«30
Weshalb jedoch versuchte Tesla, seine inneren Ideale der Außenwelt aufzuzwingen? Warum nahm er diesen Kampf auf sich? Obwohl es zweifellos bei jedem Erfinder und Unternehmer unterschiedlich ist, versuchte Tesla die Welt neu zu ordnen, um damit sein inneres Ungleichgewicht zu kompensieren. Während Tesla ein großes Selbstvertrauen in sein »starkes und ungezügeltes Wesen« – seine analytischen und imaginativen Gaben – besaß, mag er sich während seines gesamten erwachsenen Lebens innerlich hin- und hergerissen gefühlt haben. Wie wir gesehen haben, konnte er an einem Tag höchst charmant und gesellig sein, am nächsten verschlossen und einsilbig. Ebenso erlebte Tesla Phasen voll überbordender Energie und Enthusiasmus, gefolgt von Phasen der Depression. Und wie auch immer man es interpretiert, dass sich Tesla zu Männern hingezogen fühlte, dürfte sein Sexualempfinden sehr wohl zu seiner inneren Verwirrung beigetragen haben. Daher war Tesla zum Erfinden getrieben, er versuchte seine Ideale der dinglichen Welt aufzuzwingen, um seinem Gefühl des inneren Ungleichgewichts etwas entgegenzusetzen. Wenn er die Außenwelt dazu bringen konnte, sich den Idealen anzupassen, die seiner Fantasie entsprangen, hätte er wieder einen Beleg für die Sinnhaftigkeit des Universums.
Besonders im Hinblick auf den drahtlosen Strom war Tesla von dem Ehrgeiz besessen, seine Vision der materiellen Welt aufzuzwingen. Er glaubte wahrhaft, dass er das nahezu vollkommene Ideal gefunden habe oder, wie er es J. P. Morgan einmal beschrieb, den Stein der Weisen. Aufgrund der erfolgreichen Nachweise, die er in seiner Zeit in Colorado zusammengetragen hatte, war Tesla absolut davon überzeugt, dass sein System funktionieren würde. In den folgenden Jahren hörte Tesla auf, sich um die Beweiskraft seines Ideals zu kümmern und konzentrierte sich stattdessen darauf, die passende Illusion zu entwickeln. So lange er wie ein Millionär im Waldorf lebte, die Unterstützung von J. P. Morgan genoss, reichlich Presse bekam und an einer beeindruckenden Anlage in Wardenclyffe arbeitete, würde schon alles gut gehen. In dem Sinne, wie sich ein Magier Gedanken darüber macht, wie er in der Fantasie der Zuschauer die richtige Illusion erzeugen kann, so war auch Tesla so etwas wie ein Magier geworden. Wardenclyffe musste funktionieren, weil er nie falschlag. Was er vor seinem geistigen Auge sah, musste sich auch auf die Welt übertragen lassen. Aber in Wardenclyffe verdrängten die Illusionen das Ideal – Tesla erlitt einen Nervenzusammenbruch, als es ihm nicht mehr möglich war, die Widersprüchlichkeit zwischen seinen Vorstellungen, wie sein System funktionieren sollte, und der Art und Weise, wie die Erde tatsächlich reagierte, zu verstehen.
Teslas große Stärke, aber zugleich seine größte Schwäche war die Fähigkeit, ein Ideal sichtbar zu machen und die passende Illusion zu finden, also dieses Ideal anderen zu vermitteln. Mit dem Wechselstrommotor und anderen Erfindungen hatte Tesla in seinem Verstand und im Austausch mit der Gesellschaft erfolgreich die Balance zwischen Ideal und Illusion gefunden. Tragischerweise ließ sich Tesla bei der drahtlosen Stromtechnik von der Schönheit seines Ideals berauschen, aber von seinen Illusionen ablenken. Die richtige Balance zwischen beiden fand er nicht. Wie Tesla selbst einmal bemerkte: »Unsere Tugenden und Schwächen sind untrennbar, wie Kraft und Materie. Wenn sie sich trennen, wird die Menschheit zugrunde gehen.«31
Auf dem Höhepunkt seines Abenteuers in Wardenclyffe schrieb Tesla an Morgan: »Meine Feinde haben mich erfolgreich als Dichter und Träumer abgestempelt.«32 Damit warfen ihm seine Feinde vor, nicht die geschäftlichen und technischen Probleme zu lösen, die mit seinem Projekt verknüpft waren – und vielleicht hatten sie recht. Aber ihre Klagen sollten uns nicht davon abhalten, zu erkennen, was Tesla uns über disruptive Technologien lehrt. Radikal neue Technologien kommen aus dem Inneren, aus der Bereitschaft, Ideale wahrzunehmen und sie mit den Bedürfnissen und Wünschen der Gesellschaft zu verknüpfen. Tesla erinnert uns daran, dass Technologen genau wie Dichter scharf nachdenken und kühn träumen müssen. Nur wenn beides geschieht, sind wir in der Lage, Technologien so zu nutzen, wie Tesla es getan hat, um uns ein wenig den Himmel auf Erden zu ermöglichen.
Eines der größten Vergnügen, über Erfinder zu schreiben, besteht darin, dass man die Gelegenheit hat, mit einer umfassenden Auswahl an Materialien zu arbeiten: von Liebesbriefen und Tagebüchern über Notizbücher, Skizzen und Modelle bis hin zu Geschäftsberichten und Gerichtsakten. Für das in diesem Buch gezeichnete Porträt von Tesla habe ich diese Materialien miteinander verwoben, und an dieser Stelle möchte ich die wichtigsten Quellen auflisten, damit jedem, der sich in Zukunft wissenschaftlich mit Tesla beschäftigt, ein guter Start für seine Forschungen ermöglicht wird.
Das El Dorado für zukünftige Tesla-Studien ist das Nikola Tesla Museum im serbischen Belgrad. Wie ich in Kapitel 16Nikola Tesla Museum, 1952–2003