Günther Dellbrügger

AKTIVE PAUSE

P l ä d o y e r   f ü r   e i n e n   n e u e n   Z e i t b e g r i f f

ISBN 978-3-8251-6137-8 (epub)

Erschienen 2016 im Verlag Urachhaus

www.urachhaus.com

© 2016 Verlag Freies Geistesleben & Urachhaus GmbH, Stuttgart

Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg

Umschlagabbildung: © plainpicture/Cultura

Gesamtherstellung: CPI books GmbH, Leck

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016

INHALT

Zitate

Einleitung: Sinn für Pause

1 Von der Zeit zur Uhr

2 Urbilder der Pause

3 Sabbat – Sonnabend – Sonntag

4 Wiedergewinnung der Zeit

5 Schöpfung aus dem Nichts

6 Im »und« lebt eine Welt

7 Zeit-Zeuge werden aus der Kraft des Verweilens

8 Pausenlose Gesellschaft

9 Richtungspause – Wandlungspause – Bereitschaftspause

10 Slow!

11 Schweigen als Pause

12 Stille hören

13 Momo in uns

14 Die versiegelte Zeit: Andrej Tarkowskijs Idee des Films als Zeitkunst

15 Zeitinseln schaffen im Kampf für die Freiheit des Menschen

Ausblick: Zeit schenken

Anhang 1: Anfang der Zeit

Anhang 2: Augenblick und Ewigkeit

Anmerkungen

Dank

Impressum

EINLEITUNG

SINN FÜR PAUSE

Verbringe jeden Tag

einige Zeit mit dir selbst.

Dalai Lama

Das Verhältnis des modernen Menschen zur Zeit tritt drastisch ins Bewusstsein an den gängigen Ausdrücken »keine Zeit haben, die Zeit vertreiben, die Zeit totschlagen«. Der technische Fortschritt hat sein Versprechen, Zeit zu gewinnen, letztlich nicht eingelöst, im Gegenteil! Der Mensch der modernen Welt fühlt sich gehetzt, gestresst, unter Zeitdruck und wird infolgedessen häufig krank.1

Und so wächst langsam eine neue Wertschätzung der Zeit, ihre Bedeutung für das menschliche Leben und für den sinnvollen Umgang mit ihr. Zu der »Entdeckung der Langsamkeit« (Nadolny) möchte ich mit diesem Buch zur Entdeckung der Pause beitragen. Denn bei der Überfülle der Zeit-Literatur erstaunt es, dass die Pause bisher so stiefmütterlich behandelt wurde.2 Aber je stärker wir unter der Pausenlosigkeit unseres modernen Lebens leiden, desto mehr werden wir wieder Sinn für Pause bekommen, für ihre erquickende, schöpferische und heilsame Wirkung.

Die Pause als eigene Qualität im Strom der Zeit ist eine Wohltat für den Menschen in seiner Ganzheit. Die Pausen, und zwar die rechtzeitigen Pausen vor Ermüdung, bringen eine ungeahnte physische Leistungssteigerung. Wir sind heute im Begriff, diese Fähigkeit der rechtzeitigen Pause als »Zeitmanagement« für unser eigenes Leben zu lernen und davon zu profitieren. Der Seele ermöglicht die Pause ein Ausatmen, Loslassen, Abstand gewinnen, Träumen und vieles mehr. Hierbei ist nicht ihre Länge das Entscheidende, sondern ihr Erfülltsein! Wenn es wahr ist, dass jeder Tag gleich lang ist, aber unterschiedlich breit, woran liegt das? Wann wird ein Tag zu einer »Schmalspur«, wann breitet sich etwas aus an diesem Tag, wann springt er aus der vorgegebenen Spur?

In diesem Zusammenhang scheint es mir sehr wichtig, dass wir uns unser eigenes inneres Zeiterleben bewusster machen und ernst nehmen. Es ist viel realer für unser Leben als die Tyrannei der Uhr! Ob Stunden und Tage Breite, Fülle, Dichte bekommen, hängt von der Intensität unseres Erlebens und diese wiederum von unserer Aufmerksamkeitskraft, unserer Achtsamkeit ab. Gewohntes neu zu erleben, ist eine hohe Kunst. »Wenn Sie nach einer Ihrer vielen Geschäftsreisen zurückkehren und beim Zubettgehen das Schokoladentäfelchen auf Ihrem Kopfkissen vermissen«3 – dann ist es Zeit umzudenken: Die Seele bedarf der Pausen, um nicht zu verkümmern.

Eine weitere Dimension der Pause betrifft den menschlichen Geist und kann als vertikale Pause erlebt werden. Momente werden zu Lichtungen in der Zeit, zu Blitzen, zu Schneisen für den Geist – ungeahnt und ungeplant. Davon wusste u. a. die Dichterin Hilde Domin (1909  2006). Ihr bis heute wegweisendes Buch Wozu Lyrik heute (1968) ist ein flammendes Plädoyer für die Pause, für Lyrik als Pause, notwendig für das geistige Überleben der Menschheit, was sich wohl von allen Künsten sagen lässt.

Wie sind wir an diesen desolaten Punkt in unserer Zivilisation gekommen? Mit der Zerteilung, ja Zersplitterung der Zeit, mit ihrer Verdinglichung wurde auch der Mensch seiner Wesenhaftigkeit beraubt und einer Verdinglichung unterworfen. Zunächst lebte der Mensch lange im Einklang mit dem Zeitrhythmus der Natur. Erst um 1300 wurde die mechanische Räderuhr erfunden, und als Turmuhr hat sie Jahrhunderte lang das Leben der Menschen gegliedert. 1748 prägte Benjamin Franklin (1706  1790) die langlebige Devise »Zeit ist Geld«. Der Mensch geriet unter das Diktat der Beschleunigung und der Ökonomie. Haben und immer mehr haben wurde zum Ziel des Lebens.

Heute wird in Nanosekunden gerechnet. Was hat das mit mir als Mensch noch zu tun? Durch stetig wachsende Beschleunigung haben wir Substanz und Orientierung verloren. Das Sein wird vom Haben verdrängt. Es gedeiht nur noch in Freiräumen oder Frei-Zeiten, in den Pausen, die – selbstbestimmt und schöpferisch verbracht – das Wesentliche im Menschen stärken.

Die Devise der Stunde könnte lauten: Zeit ist Gold! Darin leuchtet ihre Bedeutung auf: Zeit ist des Menschen höchstes Gut.

1 VON DER ZEIT ZUR UHR

Die Europäer haben die Uhr,

wir haben die Zeit.

(aus Südamerika)

Es ist für uns schwer vorstellbar, dass für eine frühere Menschheit einmal alles vom Göttlichen durchdrungen war: das Wehen des Windes, das Rauschen des Meeres, das Wachsen der Pflanzen, das Leben der Tiere und Menschen. Insbesondere aber wurden als göttlich erlebt: das ewige Antlitz der Sterne, die so verschieden erstrahlenden Planeten in ihren je eigenen ewigen Bahnen, der Lauf der Sonne. Auch die Zeit selber war Ausdruck göttlichen Wirkens. Man erlebte darin das Handeln und Erscheinen der Götter. Zeit war sakrale Zeit, ein heiliges, von den Göttern geschenktes Gut. Zeit war Gnade. Denn nur in der Zeit kann sich Leben, Freiheit, Entwicklung abspielen, »zeitigen«. Zeit wurde erlebt wie ein heiliger Mutterschoß alles Werdens. Zeit ist aber auch die Strenge des Endes, des »Vorüber und nie wieder«, Zeit des Abschieds und des Vergehens. Die Griechen erlebten deshalb zwei polare Gesten in der Zeit, in denen zwei sehr gegensätzliche Götter sich offenbarten.

»Kairós« wirkt so, dass der Mensch – ist er dafür vorbereitet und empfänglich – die Gunst der Stunde erspüren, die Gelegenheit beim Schopf ergreifen, ein »Zeitfenster« wahrnehmen und etwas tun kann, was nicht vorher, nicht nachher möglich war bzw. sein wird, sondern nur jetzt! Kairós schafft Gelegenheiten, Chancen, günstige Konstellationen, schenkt überraschende Begegnungen, lässt Menschen und Dinge »zufällig« zusammentreffen, gestaltet Schicksal.

Aber was das Schicksal einem da »in die Hand spielt«, lässt uns dennoch frei, es ist Angebot – oft nicht zum »Sparpreis«, sondern wie sich später zeigt mit harter Arbeit verbunden. Gelegenheiten kann man nicht »machen«, sie kommen unversehens, sind Spuren des Kairós. Und bin ich nicht wach, sind sie vorüber, ehe ich sie bemerkt habe.

Ganz anders »Chronos«. Er ist Namenspate unseres »Chronometers«, der mechanischen Uhr geworden. Er frisst wie Kronos – so die griechische Mythologie – seine eigenen Kinder. So grausam wird mitunter auch Zeit erlebt: Alles geht vorbei, alles ist vergänglich, was erblüht, verwelkt, was sich erfüllt, bleibt nicht ewig bestehen. Die Zeit vernichtet selber, was sie ermöglicht und hervorgebracht hat.

Also gibt es nichts Ewiges? Nichts, was der Zeit enthoben ist, kein zeitloses Sein?

Wenn wir von Zeit sprechen, denken wir oft nur an Zeitmessung. Ja, es gibt die Auffassung, nur messend könne man die Zeit erfassen. Denn nur dann tritt sie äußerlich gegenüber, wird objektiv greifbar. Diese Objektivierung der Zeit, um sie anschaulich und messbar machen zu können, hat eine Entwicklung hinter sich, die zugleich die Entwicklung der Menschheit sichtbar macht.

Ein indigener Stamm im Urwald des Amazonasgebietes kennt in seiner Sprache nur die Gegenwart, aber keine Vergangenheit oder Zukunft! Alles ist Gegenwart oder anders gesagt: Gegenwart ist alles! Das Licht bzw. der Aufblick zur Sonne gibt ihnen das Zeitgefühl für das, was zu tun und zu lassen ist.

Zeit wird als ausgebreitete Gegenwart über den gesamten Zeithorizont hin erlebt, und es fehlt ein spezifisches Bewusstsein von dem, was vorüber ist und von dem, was kommen wird.

Der Beginn des Ackerbaus war auch im Bezug auf das Zeitbewusstsein eine Revolution. Der Mensch nahm jetzt Veränderungen im Jahreslauf bewusster wahr: Wachstumszeiten, Blüh- und Fruchtzeiten. Es entstand der Gedanke, diesen Naturprozess selber nachzuahmen. So wurden die ersten Hochkulturen gegründet und eine ungeheure revolutionäre Entwicklung eingeleitet, die bis heute nicht abgeschlossen ist.

Der Mensch emanzipierte sich nach und nach von der Natur. Dasselbe geschah im Bezug auf die Zeitmessung: Es wurden die ersten Sonnenuhren erfunden. Die Sonne wurde sozusagen auf die Erde geholt. Als Kinder waren wir wohl alle von der Sonnenuhr fasziniert und darüber erstaunt, dass man die Zeit am sich verändernden Schatten des Stabes ablesen kann. Aber scheinen muss sie!

Ein weiterer wesentlicher Schritt, der die Entwicklung der Menschheit signifikant spiegelt, ist die Erfindung der mechanischen Uhr. Bei allen mechanischen Uhren, sei es am Kirchturm, sei es bei der Stand- oder der Armbanduhr, blieb zunächst das Bild des Kreises durch das Ziffernblatt erhalten! Der Zeiger zeigt an, macht mathematisch sichtbar den Umlauf der Sonne, wie wir ihn tagtäglich erleben. Die mechanische Uhr leistet einen großen Schritt zur Abstraktion. Sie abstrahiert davon, dass die Tage im Sommer länger, im Winter kürzer sind. Sie egalisiert die Stunde, während noch die Römer sich einig waren, dass dieselbe Anzahl von Stunden im Sommer länger, im Winter kürzer war! Die Mechanik schiebt sich immer mehr vor das kosmische Bild. Ein letztes kosmisches Element blieb aber erhalten, indem man mit der Zwölfheit rechnete und sie dem Ziffernblatt zugrunde legte. An älteren öffentlichen Uhren sieht man den Ziffern für die Stunden die Tierkreiszeichen zugeordnet. Die Zeiger der Uhr bilden im Grunde den Umlauf der Sonne durch den kosmischen Kreis der zwölf Tierkreiszeichen ab.

Doch die Zeitmessung wurde immer weiter verfeinert. Mit der Einführung von 60 Minuten pro Stunde und 60 Sekunden pro Minute wurde das Bild des Tierkreises verlassen. Heute messen wir in Hundertstelsekunden usw. Aber wo ist dabei die Zeit als Gegenwart geblieben? Denn unsere gemessene Gegenwart wird unendlich klein, geht mathematisch gegen null.

Wie sehr stehen wir damit im Gegensatz zu den erwähnten Ureinwohnern im Amazonasgebiet, deren Gegenwartsbewusstsein bis heute so groß ist, dass Vergangenheit und Zukunft darin aufgehen. Zeit ist Gegenwart, und Gegenwart ist Zeit. Dies ist auch für das kleine Kind so. Es lebt ganz in der Gegenwart. Mit dem Blick auf die Uhr stellen wir uns der Situation gegenüber: Es prallen zwei Formen des Zeiterlebens aufeinander. Die als grenzenlos empfundene Gegenwart des Kindes und die Zeitmessung des Erwachsenen. Erst allmählich findet sich das Kind hinein in das Zeitbewusstsein des Erwachsenen, das für unsere Zivilisation unumgänglich notwendig ist.

Mit der digitalen Uhr hat sich unser Zeiterleben ein weiteres Mal entscheidend verändert, hin zu einer linearen Zeitauffassung. Die Digitaluhr zeigt uns Zahlen, die sich in der Regel jede Sekunde verändern. Wie wirkt das auf unser eigenes Zeitgefühl? Die medizinische Physiologie hat durch Untersuchungen herausgefunden, dass heutige erwachsene Menschen eine Zeitspanne von etwa drei Sekunden als Gegenwart empfinden, als das Zeitfenster, durch das sich alle Ereignisse hindurchbewegen. Das bedeutet, dass Digitaluhren für das Lebensgefühl des Menschen zu schnell sind. Ein Gegenwartsempfinden kann sich nicht einstellen. Es entsteht Anpassungs- und damit Zeitdruck.

Die Digitaluhr kann als Urphänomen modernster Beschleunigung angesehen werden: Die Zeit wird als knapp erlebt, sie vergeht zu schnell, lässt mich dabei leer, ist nicht menschengemäß. Sie droht, uns zu versklaven, uns zu mechanisieren. Wo bleibt hier die Zeit?

An dieser Frage können wir aufwachen und entdecken, dass der Pause m.E. eine Schlüsselrolle in dem Bemühen um eine eigenständige Gestaltung der Zeit zukommt. Daraus kann eine neue Zeitkultur erwachsen, für die gelten kann:

»Im Ewigen lernt leben, wer sein Verhältnis zur

Zeit zu lösen versteht.«

Rudolf Steiner4

In diesem Ausspruch wird ein ganz neues Verhältnis zum Leben, zur eigenen Existenz eröffnet. Durch die Eingeweihten war früher eine Zeitkultur vorgegeben, die das Leben der Menschen gelenkt und getragen hat. Diese Zeit ist vorüber. Neue Ordnungen werden gesucht, brechen sich Bahn und müssen teilweise unter großen Opfern errungen werden. Es gibt immer weniger kollektiv sakrale Zeiten, geschweige denn, dass die Zeit selber sakral, das heißt als göttliche Gabe und Gnade erlebt wird. Auch in seinem Verhältnis zur Zeit ist der moderne Mensch auf sich selbst gestellt. Er kann frei gestalten, ist immer weniger gebunden durch äußere Ordnungen. Im Bezug auf die Zeit bedeutet dies: Jeder Einzelne möchte heute Herr seiner Zeit werden. Der Mensch beginnt zu ahnen, welch kostbares Gut die Zeit ist. Er beginnt, sie als Wesen wieder zu schätzen und will Verantwortung für seine Zeit übernehmen. Es gibt keine »Zeitpolizei« oder »Zeitgerichte«, und doch scheinen wir zu spüren, dass wir einmal gefragt werden: Was hast du aus deiner Zeit gemacht? Wie hast du dein Leben verbracht? Hast du die Zeit genutzt für deine Impulse, Aufgaben, Herausforderungen? Welche Früchte hat dein Leben gebracht, was kann die göttlich-geistige Welt daraus ernten?

Religiös gesprochen ist es der Auftrag, in unserem Leben, in der uns zugemessenen Erdenzeit Geistesfrüchte zu bringen: »… ich habe euch bestimmt, dass ihr des Erdendaseins Geistesfrüchte bringt, und dass eure Frucht erhalten bleibe.« (Jo 15,16)

Kehren wir noch einmal zurück zu dem Ausspruch Steiners:

»Im Ewigen lernt leben, wer sein Verhältnis zur

Zeit zu lösen versteht.«

Lernen! Das heißt doch, dass wir es noch nicht können, es noch nicht beherrschen, aber zugleich auch, dass wir es lernen können.

So kommt der Aufgabe einer eigenen, individuellen Zeitgestaltung besonderes Gewicht zu. Es gilt, Zeitkompetenz auszubilden, zu entwickeln, den beiden großen Gesichtern der Zeit bewusst ins Auge zu schauen und mit ihnen individuell umzugehen: Einerseits dem Kronos, der uns die Sanduhr vorhält: Ewig verrinnt die Zeit, daraus gibt es kein Entrinnen, alles ist vergänglich, wird vergehen … Andererseits aber das Angesicht des jugendlichen Kairós, der uns den Sinn wecken will für den rechten Augenblick, die Gunst der Stunde, die gute Gelegenheit. Er ist uns am nächsten, bringt höchste Erfüllung. Er lässt uns Sternstunden erleben, Sternstunden in unserem persönlichen Leben, aber auch »Sternstunden der Menschheit« (so der Titel des bekannten Buches von Stefan Zweig) und Sternstunden der Menschlichkeit.

»Willkommen zu dem Stern der Stunde« kann sprechen, wer sein Verhältnis zur Zeit zu gestalten versteht. Das griechische Wort für Ordnung ist Kosmos. Werden uns die kosmischen Bilder zu Gesten und Gebärden der Sternen- und Planetengeister, so beginnen die Sterne wieder zu uns zu sprechen. Einmal werden wir wieder zeitfähig werden und ahnen, wie kostbar Zeit ist.5

2 URBILDER DER PAUSE

Tief unten

krümmt sich grün

die Zeit.

Ilse Aichinger

Die Pause als wesentliches Moment eines neuen Zeitbegriffs hat ihre Urbilder im Kosmos. Das Pralaya – die große Pause zwischen den Werdestufen der Erde –, das Leben zwischen Tod und neuer Geburt und der Rhythmus von Tag und Nacht, Wachen und Schlafen, konstituieren unser Menschsein, aus dem wir in die irdische Freiheit mehr und mehr entlassen sind. Heute kann es als eine freie Tat des Menschen angesehen werden, wenn er seinem Tag selbstbestimmte und sinnvolle Pausen einfügt.

Die größte Dimension dessen, was sich als Pause verstehen lässt, begegnet uns im Pralaya, dem Zeitraum zwischen zwei Verkörperungen der Erde. Die Zeit zwischen Tod und neuer Geburt als Pause zwischen zwei Inkarnationen gehört zu der sich entwickelnden Individualität. Die Nacht als Unterbrechung und Aufschwung zwischen zwei Tagen ist ein kleineres Abbild der Pause. »Tod ist ein langer Schlaf, Schlaf ist ein kurzer Tod.«

Durch seine geisteswissenschaftlichen Forschungen ergibt sich für Rudolf Steiner im Bezug auf die Entwicklung unserer Erde ein Wechsel zwischen physischer und geistiger Existenz.6 Letztere nennt er »Pralaya«. Was geschieht in diesen Weltenpausen, Pralaya-Zuständen? Es wird das, was sich an allerersten Anfängen physischer Verdichtung schon gebildet hatte, aufgelöst, zurückgenommen, vergeistigt. Aus diesem Zwischenzustand heraus erscheint der ganze Planet in einer neuen Gestalt. Entscheidend ist nun, dass diese neue Gestalt mehr ist als eine Wiederholung. Aus der Vergeistigung bringt der Planet Erde die Potenz mit, über sich hinauszuwachsen. Erneuerung, Metamorphose, Höherentwicklung werden aus der Weltenpause möglich. Schon dieser erste Blick zeigt uns die Befruchtung echter Entwicklung durch geisterfüllte Pausen. Keine Entwicklung ohne Pausen.

Die Griechen hatten den kühnen Gedanken, den Tod als Pausevon Dasein zu Dasein