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N. Bernhardt

Buch XX: Licht am Horizont

Der Hexer von Hymal

N. Bernhardt

Buch XX: Licht am Horizont

Der Hexer von Hymal

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
3. Auflage, ISBN 978-3-954188-44-4

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Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel: Ein Feind we­ni­ger

Zwei­tes Ka­pi­tel: Al­les hat sei­nen Preis

Drit­tes Ka­pi­tel: Mehr Är­ger

Vier­tes Ka­pi­tel: Noch mehr Är­ger

Fünf­tes Ka­pi­tel: Ein Pro­blem als Chan­ce

Sechs­tes Ka­pi­tel: Die Schlacht um Mal­gâr

Sieb­tes Ka­pi­tel: Eine über­ra­schen­de Zu­sam­men­kunft

Aus­blick

Inhalt

Ornament

In Hy­mal lau­fen die Din­ge nicht so gut, wie Nik­ko und Da­nu­wil es sich er­hof­fen. In zwei ab­trün­ni­gen Graf­schaf­ten muss der Zau­be­rer zei­gen, ob er wirk­lich das Zeug zum Her­zog hat.

Zu al­lem Über­druss mel­det sich auch der Ge­fal­le­ne wie­der bei Nik­ko und for­dert dies­mal so­gar ein Op­fer. Kann der jun­ge Meis­ter wirk­lich so weit ge­hen?

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Website

Wei­te­re In­for­ma­tio­nen zur Rei­he und zum Au­tor fin­den Sie un­ter:

hy­mal.info

Erstes Kapitel: Ein Feind weniger

Mit ei­nem eher mul­mi­gen Ge­fühl hat­te Nik­ko den Ma­gier­turm der Burg von Sinál ver­las­sen und schlen­der­te nun zum Palas hin­über. Vor­sichts­hal­ber hat­te er zu­vor noch ei­ni­ge Schutz­schil­de ge­wirkt. Bei die­sen Kul­tis­ten wuss­te man ja nie.

Als der Zau­be­rer die Stu­fen zum Ein­gang des Haupt­hau­ses em­por­stieg, be­fürch­te­te er so­gar, man wür­de ihn hier gleich ver­haf­ten … oder Schlim­me­res. Als er dann an den Wa­chen vor­bei in das Ge­bäu­de ging, konn­te er sein ei­ge­nes Herz kräf­tig schla­gen spü­ren. Auch schwitz­te er vor An­span­nung.

Aber es pas­sier­te nichts. Im Ge­bäu­de schi­en eben­falls al­les ru­hig zu sein. War der Ge­sand­te, nach­dem er bei sei­nem letz­ten Be­such kei­ne Au­di­enz be­kom­men hat­te, etwa gar nicht wie­der hier ge­we­sen oder hat­te er nur noch nicht her­aus­ge­fun­den, dass Nik­ko ein Zau­be­rer war, also ei­ner je­ner Meis­ter, von de­nen die­ser Kult das Reich zu … be­frei­en ver­such­te?

Da im Palas al­les sei­nen nor­ma­len Gang zu ge­hen schi­en, kam auch Nik­kos Selbst­be­wusst­sein lang­sam wie­der zu­rück, ob­wohl er noch im­mer ein mul­mi­ges Ge­fühl hat­te. Schließ­lich konn­te der Ge­sand­te ja je­den Mo­ment hier auf­tau­chen.

Auf sei­nem Weg, der ihn eher un­be­wusst in die Nähe des Thron­saals ge­führt hat­te, traf der Ma­gier dann glück­li­cher­wei­se auf Da­nu­wil. Der Kas­tel­lan be­merk­te Nik­ko zu­nächst gar nicht, da er mit ei­ni­gen Be­am­ten in eine an­ge­reg­te Dis­kus­si­on ver­tieft war, freu­te sich dann aber umso mehr, den Truch­sess hier zu tref­fen.

»Ah, Eure Er­laucht«, lä­chel­te er und schick­te die Be­am­ten weg, um dann mit Nik­ko zu­sam­men in den Thron­saal zu ge­hen. »Wie ich sehe, seid Ihr schon wie­der zu­rück. Lei­der habe ich Euch vor Eu­rer Abrei­se nicht mehr recht­zei­tig fin­den kön­nen.«

»Recht­zei­tig?«, war Nik­ko ver­wirrt. »Was meint Ihr denn da­mit?«

»Oh, ent­schul­digt bit­te«, lach­te der Graf. »Ich weiß heu­te wie­der ein­mal kaum, wo mir der Kopf steht. Je­den­falls ist der Ge­sand­te die­ser … ähm Emi­nenz? … je­den­falls ist die­ser Ge­sand­te mit all sei­nen Schif­fen be­reits heu­te Vor­mit­tag wie­der ab­ge­reist. Ich fürch­te also, Ihr hät­tet Euch die Be­spre­chung mit dem Groß­meis­ter auch spa­ren kön­nen.«

»Ab­ge­reist?«, wuss­te Nik­ko nicht, ob er dar­über wirk­lich froh sein konn­te. »Hat er denn kei­ne eine Nach­richt oder Ähn­li­ches hin­ter­las­sen?«

»Nein«, schüt­tel­te Da­nu­wil den Kopf und knurr­te: »Ziem­lich un­höf­lich, wenn Ihr mich fragt. Al­ler­dings weiß ich auch nicht, wer sich hin­ter die­ser so­ge­nann­ten Emi­nenz ver­birgt.«

Nik­ko war erst ein­mal er­leich­tert. Die Abrei­se des Ge­sand­ten be­deu­te­te ja, dass er zu­nächst et­was Zeit ge­won­nen hat­te. Zu ei­ner Kon­fron­ta­ti­on wür­de es heu­te je­den­falls nicht mehr kom­men – und wohl auch nicht in den kom­men­den Ta­gen.

Die Tat­sa­che, dass der Kult ein­fach so ab­ge­reist war, ohne ihm als Truch­sess sein Be­gehr vor­zu­tra­gen, sprach hin­ge­gen Bän­de. Das war so­gar dem jun­gen Zau­be­rer klar.

Ver­mut­lich sah sich der Ge­sand­te nicht im­stan­de, die Si­tua­ti­on vor Ort ohne eine Rück­spra­che mit dem Ge­salb­ten zu klä­ren. Dass es da­bei le­dig­lich um das Ab­le­ben des Her­zogs und sei­nes … nun ja, ei­gent­li­chen Truch­sess ging, war eher un­wahr­schein­lich. Ir­gend­wie schätz­te Nik­ko den Kult da­für dann doch als zu prag­ma­tisch ein, um nur an der Machter­grei­fung An­stoß zu neh­men.

Nein, der wah­re Grund der über­has­te­ten Abrei­se war wohl Nik­ko selbst. Si­cher­lich hat­te der Ge­sand­te in der Burg oder der Stadt mit ei­ni­gen Leu­ten ge­plau­dert und auf die­se Wei­se er­fah­ren, dass der am­tie­ren­de Truch­sess ein Zau­be­rer war. Das war hier ja auch kein großes Ge­heim­nis. Dazu kam noch die Sa­che mit dem Dra­chen.

»Geht es Euch gut?«, un­ter­brach Da­nu­wil den Zau­be­rer beim Über­le­gen. »Ihr seid so ru­hig und … schon wie­der so blass.«

»Es geht«, lä­chel­te Nik­ko und frag­te sich, ob es nicht bes­ser wäre, Da­nu­wil voll­stän­dig ein­zu­wei­hen. Es war doch oh­ne­hin nur noch eine Fra­ge der Zeit, bis der Graf et­was über die Ak­ti­vi­tä­ten des Kul­tes er­fuhr. Der alte Truch­sess hat­te ja auch schon Be­scheid ge­wusst.

»Es ist nur …«, woll­te Nik­ko er­klä­ren, ge­riet aber gleich ins Sto­cken. »Also … es ist so.«

»Am bes­ten, Ihr sagt es ein­fach frei her­aus«, grins­te Da­nu­wil.

»Also gut«, stöhn­te der Zau­be­rer. »Ich bin ei­ner­seits froh, dass der Ge­sand­te ab­ge­reist ist. An­de­rer­seits bin ich mir si­cher, dass er frü­her oder spä­ter wie­der­kom­men wird … ver­mut­lich dann so­gar der Ge­salb­te selbst.«

»Der was?«

»Sei­ne Emi­nenz«, ant­wor­te­te Nik­ko. »Ähm … den Na­men habe ich wie­der ver­ges­sen. Er ist aber als der Ge­salb­te be­kannt.«

»Also, Ihr müsst da schon et­was ge­nau­er wer­den, Eure Er­laucht«, dräng­te der Kas­tel­lan.

»Der Ge­salb­te führt eine Grup­pe an, einen Kult«, er­klär­te Nik­ko. »Die­ser Kult … also … die­se Grup­pe scheint das Ziel zu ha­ben, alle Zau­be­rer zu … also zu ent­mach­ten.«

»Wie bit­te?«, war Da­nu­wil er­staunt. »Ja, wie soll­te die­ser Kult es denn schaf­fen, den bei­na­he all­mäch­ti­gen Or­den zu ent­mach­ten?«

»Nun ja«, schwitz­te der Ma­gier. »Also, um die Wahr­heit zu sa­gen, ähm … vom Ar­ka­nen Or­den ist ei­gent­lich nicht mehr … all­zu viel üb­rig.«

»Was?«, er­schrak der Graf. »Was er­zählt Ihr denn da? Da­von habe ich ja noch gar nichts ver­nom­men. Wann soll denn das al­les ge­sche­hen sein?«

»Lasst mich über­le­gen«, bat Nik­ko. »Zum Ende letz­ten Jah­res, den­ke ich. Al­ler­dings be­stand der Or­den zu die­sem Zeit­punkt schon kaum mehr.«

»Mo­ment mal«, wie­gel­te Da­nu­wil ab und dräng­te: »Also, jetzt ganz lang­sam und von An­fang an – was ist pas­siert?«

»Im Or­den gab es wohl schon seit lan­ger Zeit in­ne­re Kon­flik­te«, ant­wor­te­te der Zau­be­rer. »In den letz­ten bei­den Jah­ren sind die­se der­art es­ka­liert, dass … nun ja, die meis­ten Meis­ter ha­ben sich da­bei wohl ge­gen­sei­tig um­ge­bracht. Zu­letzt wa­ren hier im Nor­den ne­ben mir und dem Groß­meis­ter nur noch zwei an­de­re Meis­ter üb­rig.«

»Ei­nen da­von ha­ben die Jün­ger des Ge­salb­ten in­zwi­schen noch auf dem Ge­wis­sen«, er­zähl­te er wei­ter. »Sie ha­ben uns zu­dem un­se­ren Haupt­sitz in Zun­daj weg­ge­nom­men und grei­fen nun auch nach al­len an­de­ren Ka­pi­teln.«

»Ja, aber wer ist denn die­ser Ge­salb­te und wie kann er es mit den Zau­be­rern auf­neh­men?«, war Da­nu­wil noch im­mer ver­wirrt.

»Ihr habt den Na­men heu­te Mor­gen selbst ge­hört«, er­wi­der­te Nik­ko. »Mehr weiß ich über den Kerl auch nicht. Er und sei­ne Jün­ger schei­nen je­doch ge­wis­se … über­na­tür­li­che Kräf­te zu be­sit­zen, die es ih­nen er­lau­ben, ge­gen uns Ma­gier an­zu­tre­ten. Das habe ich selbst be­reits zu spü­ren be­kom­men!«

»Aber warum er­zählt Ihr mir das al­les erst jetzt?«, woll­te der sicht­lich be­un­ru­hig­te Kas­tel­lan wis­sen. »Da­von hät­te ich doch viel frü­her Kennt­nis ha­ben müs­sen!«

»Nun, also …«, stam­mel­te Nik­ko. »Das sind ja … also kei­ne … ähm …«

»Ver­ge­sst es«, stöhn­te Da­nu­wil und über­rasch­te: »An Eu­rer Stel­le hät­te ich so et­was ja auch für mich be­hal­ten. Was aber sagt der Kö­nig denn dazu?«

»Der hat den Or­den ein­fach auf­ge­löst«, ant­wor­te­te Nik­ko. »Wohl nicht ganz ohne Ge­nug­tu­ung.«

»Tat­säch­lich?«, wun­der­te sich Da­nu­wil. »Dann war all die Katz­bu­cke­lei vor dem Or­den also doch nur ge­spielt. Ei­gent­lich hät­te ich mir das auch den­ken kön­nen.«

»Wie aber soll es nun wei­ter­ge­hen?«, stöhn­te er schließ­lich. »Ich bin ja stets da­von aus­ge­gan­gen, dass der Ar­ka­ne Or­den mit all sei­nem Ein­fluss hin­ter Euch und Eu­ren Am­bi­tio­nen steht. Nun aber er­fah­re ich, dass die­ser längst auf­ge­löst ist und – wenn ich Euch recht ver­ste­he – alle Zau­be­rer bei Sei­ner Ma­je­stät zu­dem noch in Un­gna­de ge­fal­len sind. Also auch Ihr!«

»Wie soll­te das Reich denn un­ter sol­chen Um­stän­den einen Zau­be­rer als neu­en Her­zog von Hy­mal ak­zep­tie­ren?«, seufz­te er.

»Es wird wohl zu ei­nem Kon­flikt kom­men«, pieps­te Nik­ko.

»Ein Kon­flikt?!«, höhn­te Da­nu­wil. »Es wird zu ei­nem ver­damm­ten Krieg kom­men! Wenn die Ma­gier tat­säch­lich so in Un­gna­de ge­fal­len sind, wird sich dar­an wohl das gan­ze Reich be­tei­li­gen … mit Be­geis­te­rung!«

»Nicht das Gan­ze«, be­schwich­ti­ge Nik­ko ihn. »Ihr wisst es ja noch nicht, aber der Her­zog von Khond­harr ist eben­falls ein Meis­ter. Ne­ben mir und dem Groß­meis­ter ist er der letz­te be­kann­te Zau­be­rer hier im Nor­den.«

»Wie bit­te?«, war der Kas­tel­lan ent­setzt. »Her­zog Rho­ba­ny ist ein Zau­be­rer?«

»Ja, das ist er«, nick­te der jun­ge Ma­gier. »Im Or­den ist … war er als Meis­ter Khon­dyr be­kannt.«

»Das ist … das ist … gut«, über­leg­te Da­nu­wil wild. »Ja, das ist aus­ge­zeich­net! Wenn wir die­se hei­kle In­for­ma­ti­on im Reich streu­en, wird ihm doch nichts An­de­res üb­rig­blei­ben, als un­ser Ver­bün­de­ter zu wer­den. Je­den­falls kann er sich dann nicht mehr ei­nem Feld­zug ge­gen uns an­schlie­ßen, son­dern wäre selbst ein Ziel.«

»Die Fra­ge ist nur, ob Hy­mal und Khond­harr ge­mein­sam ge­gen die Hee­re des Reichs be­ste­hen könn­ten«, seufz­te er schon we­ni­ge Au­gen­bli­cke spä­ter.

»Wa­rum denn nicht?«, wun­der­te sich Nik­ko. »Der Her­zog von Khond­harr hat­te vor dem Reich doch nie große Angst, oder? Au­ßer­dem ha­ben wir auch noch den Dra­chen.«

»Das ist ja al­les schön und gut«, wie­gel­te der Graf ab, »aber habt Ihr Euch denn schon ein­mal Ge­dan­ken dar­über ge­macht, wie die Sa­che aus­sieht, wenn dut­zen­de Le­gio­nen und sons­ti­ge Hee­re hier ein­fal­len?«

Auch dem jun­gen Zau­be­rer be­hag­te die­ses Bild nicht son­der­lich, doch muss­te er da­bei gleich an den Ge­fal­le­nen den­ken. War das etwa die Si­tua­ti­on, für die der Geist ihm Hil­fe an­ge­bo­ten hat­te? Auf je­den Fall fühl­te Nik­ko sich bei dem Ge­dan­ken, zur Not auch noch über die­se Op­ti­on zu ver­fü­gen, wie­der deut­lich woh­ler.

»Ob­wohl«, sin­nier­te Da­nu­wil wei­ter, »sie müss­ten hier al­le­samt an­lan­den – ganz so, wie da­mals Fy­dal und sei­ne Ver­bün­de­ten. Ich war ja selbst mit da­bei und kann da­her be­zeu­gen, dass eine sol­che Ope­ra­ti­on be­reits mit ei­nem klei­ne­ren Heer ein äu­ßerst schwie­ri­ges Un­ter­fan­gen ist.«

»Ja, und auf dem of­fe­nen Meer wä­ren ihre Schif­fe für Eu­ren Dra­chen eine sehr leich­te Beu­te«, fletsch­te er die Zäh­ne und nick­te: »Auch über den Vyldam­pass kön­nen sie nicht kom­men, da Ho­ca­tin noch im­mer vom Rho­ba­ny be­setzt ist. So schlecht sieht die Sa­che also gar nicht aus!«

»Wisst Ihr, Eure Er­laucht«, grins­te er schließ­lich, »wenn Ihr Eu­ren Thron oh­ne­hin ge­gen das gan­ze Reich ver­tei­di­gen müsst, dann braucht Hy­mal ei­gent­lich auch nicht län­ger ein Teil des­sen zu sein. Ja, dann könn­tet Ihr Euch im Grun­de auch gleich zum Kö­nig krö­nen las­sen!«

»Zum Kö­nig?«, war Nik­ko nun völ­lig ver­blüfft. »Ihr meint, ich soll ein Kö­nig wer­den?«

»Wa­rum denn nicht?«, zuck­te der Graf die Schul­tern. »Wie ge­sagt, wenn Ihr Euch so­wie­so ge­gen das gan­ze Reich be­haup­ten müsst, dann könnt Ihr Euch ge­nau­so gut auch von Sei­ner Ma­je­stät los­sa­gen.«

Nik­ko wuss­te ja noch nicht ein­mal, was nun der Un­ter­schied zwi­schen ei­nem Kö­nig und ei­nem Her­zog war. Er selbst wäre zwar mit dem Her­zogs­ti­tel mehr als zu­frie­den, aber Da­nu­wil wuss­te si­cher bes­ser, was hier an­ge­bracht war … und für ihn selbst am ein­träg­lichs­ten.

»Aber küm­mern wir uns zu­nächst lie­ber um die drin­gen­den Pro­ble­me«, ru­der­te der Graf schon we­nig spä­ter wie­der zu­rück. »Es steht schließ­lich so ei­ni­ges an.«

»Da habt Ihr wohl recht«, lä­chel­te Nik­ko. »Ich den­ke, vor dem Ge­salb­ten ha­ben wir nun ein paar Wo­chen Ruhe, wenn nicht so­gar noch län­ger.«

»Er sitzt in Zun­daj, neh­me ich an?«, nick­te Da­nu­wil. »Der Ge­sand­te wird dann wohl mit sei­nen Schif­fen bis nach Te­rys fah­ren und von da aus über Land wei­ter­rei­sen. Selbst wenn sie von Te­rys aus einen schnel­len Bo­ten nach Zun­daj vor­aus­schi­cken, wird man dort also erst in … drei bis vier Wo­chen von der Lage hier er­fah­ren.«

»Nun, der Ge­salb­te reist auch selbst durch das Reich«, kor­ri­gier­te Nik­ko. »Vor viel­leicht ei­nem Mo­nat habe ich ihn noch in Khond ge­se­hen.«

»Hm«, über­leg­te Da­nu­wil. »Im schlimms­ten Fall be­fin­det er sich ge­ra­de in Te­rys, wenn der Ge­sand­te dort ein­trifft. Trotz­dem wer­den sie wohl nach Zun­daj wei­ter­rei­sen, um auch den Kö­nig zu in­for­mie­ren. So oder so, es dürf­te Mo­na­te dau­ern, be­vor wir mit ei­nem An­griff rech­nen müs­sen. Ich ver­mu­te so­gar sehr, dass es da­mit in die­sem Jahr nichts mehr wird.«

»Ja«, nick­te er. »Mit ei­nem An­griff ist nicht vor dem nächs­ten Früh­jahr zu rech­nen. Schließ­lich müs­sen sie ihre Trup­pen erst ein­mal sam­meln und dann auch noch ver­schif­fen.«

»Da ha­ben wir ja eine gan­ze Men­ge Zeit, um uns hier dar­auf vor­zu­be­rei­ten«, freu­te sich Nik­ko.

»Die ha­ben wir«, lä­chel­te Da­nu­wil. »Wir soll­ten sie je­doch gut nut­zen. Es gibt schließ­lich so ei­ni­ges zu tun.«

»Wo­mit fan­gen wir an?«, war Nik­ko jetzt ganz be­geis­tert.

»Wir müs­sen noch im­mer das Her­zog­tum un­ter un­se­re Kon­trol­le brin­gen«, er­in­ner­te ihn Da­nu­wil. »In knap­pen ein­hun­dert Ta­gen ist der Stän­de­tag. Wir kön­nen uns noch über­le­gen, ob wir Euch da nicht gleich zum Kö­nig kü­ren las­sen wol­len. Vor­her aber müs­sen wir Euch oh­ne­hin die Un­ter­stüt­zung der Rit­ter si­chern, wo­bei wir nun je­doch weit we­ni­ger Rück­sicht zu neh­men brau­chen.«

»Wie meint Ihr das?«, woll­te Nik­ko wis­sen.

»Wenn wir uns oh­ne­hin vom Reich los­lö­sen wol­len, brau­chen wir uns auch nicht mehr an des­sen Ko­dex zu hal­ten«, er­klär­te Da­nu­wil. »Letzt­lich ba­siert un­ser … ähm Euer Macht­an­spruch nur noch auf – und das muss ich lei­der so dras­tisch for­mu­lie­ren – Selbs­t­er­mäch­ti­gung mit­tels ro­her Ge­walt. Die­se soll­ten wir na­tür­lich auch nut­zen, um jeg­li­che Op­po­si­ti­on zu ver­nich­ten.«

Nik­ko war im ers­ten Au­gen­blick zwar er­schro­cken, er­kann­te dann aber, dass Da­nu­wil wie­der ein­mal recht hat­te. Er hat­te eben kei­nen Rechts­an­spruch auf den Thron. Selbst wenn die Stän­de ihn zum Her­zog kü­ren wür­den, könn­te der Kö­nig ihn of­fen­bar je­der­zeit wie­der ab­set­zen – und wür­de das auf Ge­heiß des Ge­salb­ten wohl auch ohne Wei­te­res tun.

»An­fan­gen soll­ten wir bei dem un­ver­schäm­ten Gra­fen von Eruál«, zisch­te Da­nu­wil schließ­lich. »Es wird Zeit, dass wir die­ser … be­son­ders re­ni­ten­ten Er­laucht ein paar Ma­nie­ren bei­brin­gen!«

Ob­wohl das Wet­ter am fol­gen­den Mor­gen nicht son­der­lich gut war, woll­te Da­nu­wil den Flug nach Eruál nicht län­ger auf­schie­ben. Der zum größ­ten Teil be­deck­te Him­mel ließ bis­lang zwar nur ge­le­gent­li­che Schau­er auf sie her­nie­der­ge­hen, aber Nik­ko war den­noch nicht er­picht dar­auf, in die trü­ben Wol­ken auf­zu­stei­gen. Al­ler­dings mein­te der Kas­tel­lan, dass die Rei­se nach Eruál oh­ne­hin kaum eine Stun­de dau­ern wür­de. Also gab der Zau­be­rer des­sen Drän­gen letzt­lich nach.

Auch Ygrind soll­te wie­der da­bei sein, um auf den Dra­chen auf­zu­pas­sen, wäh­rend der Truch­sess und sein Kas­tel­lan mit dem wi­der­spens­ti­gen Gra­fen spre­chen wür­den.

»Wollt Ihr nicht lie­ber noch ein paar Krie­ger mit­neh­men?«, mo­nier­te die Frau, als sie dann auf die Ech­se stie­gen.

»Wozu das denn?«, ver­dreh­te Da­nu­wil die Au­gen. »Als ob der Dra­che nicht ein­schüch­ternd ge­nug wäre. Au­ßer­dem hät­ten die Män­ner auf ihm doch gar kei­nen Platz mehr.«

»Platz schon«, zuck­te die Jä­ge­rin mit den Schul­tern. »Sie müss­ten sich al­ler­dings ir­gend­wie am Ge­schirr fest­hal­ten. Aber sag­tet Ihr nicht selbst, dass der Flug nicht lan­ge dau­ern wird?«

»Un­sinn!«, wie­gel­te Da­nu­wil ab. »Wer soll­te sich schon eine Stun­de lang auf dem Dra­chen fest­kral­len kön­nen, ge­schwei­ge denn wol­len? Nein, mit der Bes­tie al­lein wer­den wir furcht­ein­flö­ßend ge­nug sein.« Mit ei­nem Schul­ter­zu­cken füg­te er noch hin­zu: »Ver­ge­sst auch nicht, dass un­ser wer­ter Truch­sess ein Zau­be­rer ist, der es durch­aus ver­mag, uns vor et­wai­gen An­grif­fen zu schüt­zen.«

Nik­ko sah das zwar ge­nau­so wie Da­nu­wil, hät­te aber auch nichts ge­gen eine klei­ne Es­kor­te. Es wür­de schon ir­gend­wie wür­de­vol­ler aus­se­hen, oder? Naja, der Kas­tel­lan hat­te al­ler­dings recht da­mit, dass es kaum je­man­dem zu­zu­mu­ten wäre, sich wäh­rend des viel­leicht doch et­was un­ru­hig wer­den­den Flu­ges am Ge­schirr fest­zu­hal­ten. Da­für wa­ren schließ­lich die Sät­tel da.

Als sie dann zum Ab­flug be­reit wa­ren, be­merk­te Nik­ko, dass er gar nicht wuss­te, in wel­che Rich­tung er nun flie­gen soll­te. Da­nu­wil warf noch einen letz­ten Blick in sei­ne Kar­ten und zeig­te schließ­lich nach Süd­os­ten.

Der Zau­be­rer ließ dar­auf­hin den heu­te sicht­bar ge­las­se­nen Dra­chen in die Lüf­te stei­gen und kreis­te ei­ni­ge Male über Sinál. Ir­gend­wie hat­te er das Ge­fühl, er müss­te hier wie­der ein­mal et­was Stär­ke zei­gen, ver­kniff es sich je­doch, die Bes­tie auch ih­ren gräss­li­chen Schrei aus­sto­ßen zu las­sen.

Die Sicht war bei der heu­te so die­si­gen Luft sehr ein­ge­schränkt, auch die Son­ne zeig­te sich nur ge­le­gent­lich durch die Wol­ken­de­cke und er­schi­en dort bloß als fah­le Schei­be. Nik­ko be­fürch­te­te da­her recht bald, dass er nicht in der Lage wäre, den von Da­nu­wil an­ge­zeig­ten Kurs ein­zu­hal­ten.

Auch am Bo­den gab es kaum et­was, das ihm bei der Ori­en­tie­rung hel­fen konn­te. Das Wirr­warr von Stra­ßen, Dör­fern, Wei­den und Fel­dern um die Haupt­stadt her­um hat­te sich be­reits nach we­ni­gen Mi­nu­ten auf­ge­löst. Nun gab es hier nur noch Gras. Falls es eine Stra­ße in Rich­tung Eruál gab, hat­ten sie die­se wohl schon längst ver­passt.

Als viel­leicht eine knap­pe Stun­de spä­ter die Mee­res­küs­te in Sicht kam, hat­ten sie zwar noch ein paar ver­ein­zel­te Dör­fer und Ge­höf­te über­flo­gen, von ei­ner großen Stra­ße war je­doch nir­gends eine Spur ge­we­sen.

Da Nik­ko mitt­ler­wei­le da­von über­zeugt war, dass sie sich ge­hö­rig ver­flo­gen hat­ten, lan­de­te er den Dra­chen we­nig spä­ter auf ei­ner Klip­pe di­rekt an der Steil­küs­te, die auch einen gu­ten Blick land­ein­wärts bot.

»Wir hät­ten wohl bes­ser dar­auf ach­ten sol­len, die Stra­ße nach Eruál nicht aus den Au­gen zu ver­lie­ren«, kom­men­tier­te Da­nu­wil, des­sen Nase be­reits einen Au­gen­blick spä­ter in den vor sich aus­ge­brei­te­ten Kar­ten ver­sun­ken war.

»Bei bes­se­rer Sicht wäre uns das si­cher­lich nicht pas­siert«, maul­te Nik­ko, der bei die­sem Wet­ter ja gar nicht erst hat­te los­flie­gen wol­len.

»Mist­wet­ter!«, schnauz­te der Kas­tel­lan, der nun sein Fern­rohr be­müh­te, um sich land­ein­wärts einen Über­blick zu ver­schaf­fen.

»Eruál liegt ein oder zwei Weg­stun­den von der Küs­te ent­fernt im Lan­des­in­ne­ren«, mein­te er dann und seufz­te: »Wenn ich doch nur wüss­te, ob wir hier nun zu weit im Nor­den oder Sü­den sind. Lei­der kann ich bei der­art schlech­ter Sicht ein­fach nichts er­ken­nen.«

Als sich die Son­ne dann wie­der ein­mal kurz zwi­schen den Wol­ken zeig­te, ver­such­te Da­nu­wil sich an­hand des Son­nen­stan­des zu ori­en­tie­ren und mach­te dazu eine ab­wä­gen­de Be­we­gung mit der rech­ten Hand. Schließ­lich kon­sul­tier­te er noch ein­mal sei­ne Kar­ten.

»Ich bin mir fast si­cher, dass wir zu weit in Rich­tung Sü­den ab­ge­kom­men sind«, nick­te er letzt­lich. »Ja, un­ser Ziel soll­te sich von hier aus im … Nord­nord­ost be­fin­den, kaum mehr als eine Vier­tel­stun­de Flug.«

Da Nik­ko oh­ne­hin kei­ne an­de­re Wahl hat­te, als Da­nu­wil zu ver­trau­en, ließ er die Ech­se wie­der in die Lüf­te stei­gen und steu­er­te sie dann in die Rich­tung, in die der Kas­tel­lan nun wies.

Zu­nächst schi­en es zwar, dass auch auf die­sem Weg nur un­end­li­ches Gras und ei­ni­ge we­ni­ge Ge­höf­te auf sie war­te­ten, dann aber kam doch noch eine Art Burg in Sicht und da­ne­ben ein grö­ße­res Dorf.

Als sie die Burg we­nig spä­ter zum ers­ten Mal über­flo­gen, konn­te Nik­ko er­ken­nen, dass es sich um eine ge­wal­ti­ge Fes­tung han­del­te, die sich je­doch in ei­nem ziem­lich de­so­la­ten Zu­stand be­fand. Die äu­ße­ren Rin­ge wa­ren mehr oder we­ni­ger voll­stän­dig ver­fal­len, nur die in­ne­re Burg schi­en noch be­wohn­bar zu sein und war of­fen­bar an ei­ni­gen Stel­len aus­ge­bes­sert wor­den.

Um ihre An­kunft auch ge­büh­rend an­zu­kün­di­gen, ließ der Zau­be­rer den Dra­chen ein­mal kräf­tig röh­ren, wor­auf­hin das mitt­ler­wei­le zu er­war­ten­de Schau­spiel be­gann. In Pa­nik lief die Burg­be­sat­zung hin und her, vie­le ver­kro­chen sich in di­ver­sen Un­ter­schlüp­fen.

Nik­ko nutz­te das Wirr­warr und lan­de­te die Ech­se mit­ten im Bur­g­hof, wo er dann auch gleich sei­ne Schutz­schil­de wirk­te, vor al­lem na­tür­lich einen ge­gen Ge­schos­se.

Wie zu er­war­ten, wa­ren sie nun ganz al­lein auf dem Hof. Die Leu­te des Gra­fen hat­ten sich erst ein­mal in Si­cher­heit ge­bracht. Zu­min­dest hat­te ihre An­kunft die Wir­kung nicht ver­fehlt.

Nik­ko wirk­te noch schnell einen sta­tio­nären Schutz­schild um den Dra­chen her­um und ge­bot der Jä­ge­rin, dicht bei der Ech­se zu blei­ben. Er selbst mach­te sich dar­auf­hin mit Da­nu­wil auf den Weg in Rich­tung des Ge­bäu­des, das wie das Haupt­haus der Burg wirk­te. Dort wür­den sie den Gra­fen von Eruál wohl am ehe­s­ten an­tref­fen.

Ihr Weg en­de­te je­doch jäh an der fest ver­ram­mel­ten Tür des Palas, der ins­ge­samt recht wehr­haft wirk­te. Die­ser Ein­druck wur­de auch da­durch ver­stärkt, dass alle Fens­ter des un­ters­ten Ge­schos­ses ver­git­tert wa­ren.

»Soll ich die Tür zer­stö­ren?«, frag­te Nik­ko. »Ein Feu­er­ball soll­te da­für rei­chen. Falls nicht, hät­te ich noch an­de­re Zau­ber pa­rat.«

»Nein, nein«, wie­gel­te Da­nu­wil ab. »Noch sind wir ja nicht als Ero­be­rer hier, son­dern zum Ver­han­deln. Lasst mich doch erst ein­mal höf­lich an­klop­fen.«

Also klopf­te der Kas­tel­lan kräf­tig an die Tür. Nichts ge­sch­ah. Er klopf­te noch ein­mal. Wie­der ge­sch­ah nichts. So ging das dann ei­ni­ge Mi­nu­ten lang, bis letzt­lich das Geräusch sich be­we­gen­der Ei­sen­rie­gel er­klang.

»Seid ge­grüßt«, pieps­te ein krei­de­blei­ches Männ­lein in der nun of­fe­nen Tür und zit­ter­te am gan­zen Leib. »Wer seid ihr und was ist euer Be­gehr?«

»Dies ist Sei­ne Er­laucht, der Graf von Hal­fuár und am­tie­ren­de Truch­sess des Her­zog­tums«, stell­te Da­nu­wil erst den Zau­be­rer vor, dann sich selbst: »Ich bin der Graf von Tel­gâr und am­tie­ren­der Kas­­­­­­­