N. Bernhardt
Buch XX: Licht am Horizont
Der Hexer von Hymal
N. Bernhardt
Buch XX: Licht am Horizont
Der Hexer von Hymal
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
3. Auflage, ISBN 978-3-954188-44-4
null-papier.de/402
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel: Ein Feind weniger
Zweites Kapitel: Alles hat seinen Preis
Drittes Kapitel: Mehr Ärger
Viertes Kapitel: Noch mehr Ärger
Fünftes Kapitel: Ein Problem als Chance
Sechstes Kapitel: Die Schlacht um Malgâr
Siebtes Kapitel: Eine überraschende Zusammenkunft
Ausblick
In Hymal laufen die Dinge nicht so gut, wie Nikko und Danuwil es sich erhoffen. In zwei abtrünnigen Grafschaften muss der Zauberer zeigen, ob er wirklich das Zeug zum Herzog hat.
Zu allem Überdruss meldet sich auch der Gefallene wieder bei Nikko und fordert diesmal sogar ein Opfer. Kann der junge Meister wirklich so weit gehen?
Weitere Informationen zur Reihe und zum Autor finden Sie unter:
hymal.info
Mit einem eher mulmigen Gefühl hatte Nikko den Magierturm der Burg von Sinál verlassen und schlenderte nun zum Palas hinüber. Vorsichtshalber hatte er zuvor noch einige Schutzschilde gewirkt. Bei diesen Kultisten wusste man ja nie.
Als der Zauberer die Stufen zum Eingang des Haupthauses emporstieg, befürchtete er sogar, man würde ihn hier gleich verhaften … oder Schlimmeres. Als er dann an den Wachen vorbei in das Gebäude ging, konnte er sein eigenes Herz kräftig schlagen spüren. Auch schwitzte er vor Anspannung.
Aber es passierte nichts. Im Gebäude schien ebenfalls alles ruhig zu sein. War der Gesandte, nachdem er bei seinem letzten Besuch keine Audienz bekommen hatte, etwa gar nicht wieder hier gewesen oder hatte er nur noch nicht herausgefunden, dass Nikko ein Zauberer war, also einer jener Meister, von denen dieser Kult das Reich zu … befreien versuchte?
Da im Palas alles seinen normalen Gang zu gehen schien, kam auch Nikkos Selbstbewusstsein langsam wieder zurück, obwohl er noch immer ein mulmiges Gefühl hatte. Schließlich konnte der Gesandte ja jeden Moment hier auftauchen.
Auf seinem Weg, der ihn eher unbewusst in die Nähe des Thronsaals geführt hatte, traf der Magier dann glücklicherweise auf Danuwil. Der Kastellan bemerkte Nikko zunächst gar nicht, da er mit einigen Beamten in eine angeregte Diskussion vertieft war, freute sich dann aber umso mehr, den Truchsess hier zu treffen.
»Ah, Eure Erlaucht«, lächelte er und schickte die Beamten weg, um dann mit Nikko zusammen in den Thronsaal zu gehen. »Wie ich sehe, seid Ihr schon wieder zurück. Leider habe ich Euch vor Eurer Abreise nicht mehr rechtzeitig finden können.«
»Rechtzeitig?«, war Nikko verwirrt. »Was meint Ihr denn damit?«
»Oh, entschuldigt bitte«, lachte der Graf. »Ich weiß heute wieder einmal kaum, wo mir der Kopf steht. Jedenfalls ist der Gesandte dieser … ähm Eminenz? … jedenfalls ist dieser Gesandte mit all seinen Schiffen bereits heute Vormittag wieder abgereist. Ich fürchte also, Ihr hättet Euch die Besprechung mit dem Großmeister auch sparen können.«
»Abgereist?«, wusste Nikko nicht, ob er darüber wirklich froh sein konnte. »Hat er denn keine eine Nachricht oder Ähnliches hinterlassen?«
»Nein«, schüttelte Danuwil den Kopf und knurrte: »Ziemlich unhöflich, wenn Ihr mich fragt. Allerdings weiß ich auch nicht, wer sich hinter dieser sogenannten Eminenz verbirgt.«
Nikko war erst einmal erleichtert. Die Abreise des Gesandten bedeutete ja, dass er zunächst etwas Zeit gewonnen hatte. Zu einer Konfrontation würde es heute jedenfalls nicht mehr kommen – und wohl auch nicht in den kommenden Tagen.
Die Tatsache, dass der Kult einfach so abgereist war, ohne ihm als Truchsess sein Begehr vorzutragen, sprach hingegen Bände. Das war sogar dem jungen Zauberer klar.
Vermutlich sah sich der Gesandte nicht imstande, die Situation vor Ort ohne eine Rücksprache mit dem Gesalbten zu klären. Dass es dabei lediglich um das Ableben des Herzogs und seines … nun ja, eigentlichen Truchsess ging, war eher unwahrscheinlich. Irgendwie schätzte Nikko den Kult dafür dann doch als zu pragmatisch ein, um nur an der Machtergreifung Anstoß zu nehmen.
Nein, der wahre Grund der überhasteten Abreise war wohl Nikko selbst. Sicherlich hatte der Gesandte in der Burg oder der Stadt mit einigen Leuten geplaudert und auf diese Weise erfahren, dass der amtierende Truchsess ein Zauberer war. Das war hier ja auch kein großes Geheimnis. Dazu kam noch die Sache mit dem Drachen.
»Geht es Euch gut?«, unterbrach Danuwil den Zauberer beim Überlegen. »Ihr seid so ruhig und … schon wieder so blass.«
»Es geht«, lächelte Nikko und fragte sich, ob es nicht besser wäre, Danuwil vollständig einzuweihen. Es war doch ohnehin nur noch eine Frage der Zeit, bis der Graf etwas über die Aktivitäten des Kultes erfuhr. Der alte Truchsess hatte ja auch schon Bescheid gewusst.
»Es ist nur …«, wollte Nikko erklären, geriet aber gleich ins Stocken. »Also … es ist so.«
»Am besten, Ihr sagt es einfach frei heraus«, grinste Danuwil.
»Also gut«, stöhnte der Zauberer. »Ich bin einerseits froh, dass der Gesandte abgereist ist. Andererseits bin ich mir sicher, dass er früher oder später wiederkommen wird … vermutlich dann sogar der Gesalbte selbst.«
»Der was?«
»Seine Eminenz«, antwortete Nikko. »Ähm … den Namen habe ich wieder vergessen. Er ist aber als der Gesalbte bekannt.«
»Also, Ihr müsst da schon etwas genauer werden, Eure Erlaucht«, drängte der Kastellan.
»Der Gesalbte führt eine Gruppe an, einen Kult«, erklärte Nikko. »Dieser Kult … also … diese Gruppe scheint das Ziel zu haben, alle Zauberer zu … also zu entmachten.«
»Wie bitte?«, war Danuwil erstaunt. »Ja, wie sollte dieser Kult es denn schaffen, den beinahe allmächtigen Orden zu entmachten?«
»Nun ja«, schwitzte der Magier. »Also, um die Wahrheit zu sagen, ähm … vom Arkanen Orden ist eigentlich nicht mehr … allzu viel übrig.«
»Was?«, erschrak der Graf. »Was erzählt Ihr denn da? Davon habe ich ja noch gar nichts vernommen. Wann soll denn das alles geschehen sein?«
»Lasst mich überlegen«, bat Nikko. »Zum Ende letzten Jahres, denke ich. Allerdings bestand der Orden zu diesem Zeitpunkt schon kaum mehr.«
»Moment mal«, wiegelte Danuwil ab und drängte: »Also, jetzt ganz langsam und von Anfang an – was ist passiert?«
»Im Orden gab es wohl schon seit langer Zeit innere Konflikte«, antwortete der Zauberer. »In den letzten beiden Jahren sind diese derart eskaliert, dass … nun ja, die meisten Meister haben sich dabei wohl gegenseitig umgebracht. Zuletzt waren hier im Norden neben mir und dem Großmeister nur noch zwei andere Meister übrig.«
»Einen davon haben die Jünger des Gesalbten inzwischen noch auf dem Gewissen«, erzählte er weiter. »Sie haben uns zudem unseren Hauptsitz in Zundaj weggenommen und greifen nun auch nach allen anderen Kapiteln.«
»Ja, aber wer ist denn dieser Gesalbte und wie kann er es mit den Zauberern aufnehmen?«, war Danuwil noch immer verwirrt.
»Ihr habt den Namen heute Morgen selbst gehört«, erwiderte Nikko. »Mehr weiß ich über den Kerl auch nicht. Er und seine Jünger scheinen jedoch gewisse … übernatürliche Kräfte zu besitzen, die es ihnen erlauben, gegen uns Magier anzutreten. Das habe ich selbst bereits zu spüren bekommen!«
»Aber warum erzählt Ihr mir das alles erst jetzt?«, wollte der sichtlich beunruhigte Kastellan wissen. »Davon hätte ich doch viel früher Kenntnis haben müssen!«
»Nun, also …«, stammelte Nikko. »Das sind ja … also keine … ähm …«
»Vergesst es«, stöhnte Danuwil und überraschte: »An Eurer Stelle hätte ich so etwas ja auch für mich behalten. Was aber sagt der König denn dazu?«
»Der hat den Orden einfach aufgelöst«, antwortete Nikko. »Wohl nicht ganz ohne Genugtuung.«
»Tatsächlich?«, wunderte sich Danuwil. »Dann war all die Katzbuckelei vor dem Orden also doch nur gespielt. Eigentlich hätte ich mir das auch denken können.«
»Wie aber soll es nun weitergehen?«, stöhnte er schließlich. »Ich bin ja stets davon ausgegangen, dass der Arkane Orden mit all seinem Einfluss hinter Euch und Euren Ambitionen steht. Nun aber erfahre ich, dass dieser längst aufgelöst ist und – wenn ich Euch recht verstehe – alle Zauberer bei Seiner Majestät zudem noch in Ungnade gefallen sind. Also auch Ihr!«
»Wie sollte das Reich denn unter solchen Umständen einen Zauberer als neuen Herzog von Hymal akzeptieren?«, seufzte er.
»Es wird wohl zu einem Konflikt kommen«, piepste Nikko.
»Ein Konflikt?!«, höhnte Danuwil. »Es wird zu einem verdammten Krieg kommen! Wenn die Magier tatsächlich so in Ungnade gefallen sind, wird sich daran wohl das ganze Reich beteiligen … mit Begeisterung!«
»Nicht das Ganze«, beschwichtige Nikko ihn. »Ihr wisst es ja noch nicht, aber der Herzog von Khondharr ist ebenfalls ein Meister. Neben mir und dem Großmeister ist er der letzte bekannte Zauberer hier im Norden.«
»Wie bitte?«, war der Kastellan entsetzt. »Herzog Rhobany ist ein Zauberer?«
»Ja, das ist er«, nickte der junge Magier. »Im Orden ist … war er als Meister Khondyr bekannt.«
»Das ist … das ist … gut«, überlegte Danuwil wild. »Ja, das ist ausgezeichnet! Wenn wir diese heikle Information im Reich streuen, wird ihm doch nichts Anderes übrigbleiben, als unser Verbündeter zu werden. Jedenfalls kann er sich dann nicht mehr einem Feldzug gegen uns anschließen, sondern wäre selbst ein Ziel.«
»Die Frage ist nur, ob Hymal und Khondharr gemeinsam gegen die Heere des Reichs bestehen könnten«, seufzte er schon wenige Augenblicke später.
»Warum denn nicht?«, wunderte sich Nikko. »Der Herzog von Khondharr hatte vor dem Reich doch nie große Angst, oder? Außerdem haben wir auch noch den Drachen.«
»Das ist ja alles schön und gut«, wiegelte der Graf ab, »aber habt Ihr Euch denn schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie die Sache aussieht, wenn dutzende Legionen und sonstige Heere hier einfallen?«
Auch dem jungen Zauberer behagte dieses Bild nicht sonderlich, doch musste er dabei gleich an den Gefallenen denken. War das etwa die Situation, für die der Geist ihm Hilfe angeboten hatte? Auf jeden Fall fühlte Nikko sich bei dem Gedanken, zur Not auch noch über diese Option zu verfügen, wieder deutlich wohler.
»Obwohl«, sinnierte Danuwil weiter, »sie müssten hier allesamt anlanden – ganz so, wie damals Fydal und seine Verbündeten. Ich war ja selbst mit dabei und kann daher bezeugen, dass eine solche Operation bereits mit einem kleineren Heer ein äußerst schwieriges Unterfangen ist.«
»Ja, und auf dem offenen Meer wären ihre Schiffe für Euren Drachen eine sehr leichte Beute«, fletschte er die Zähne und nickte: »Auch über den Vyldampass können sie nicht kommen, da Hocatin noch immer vom Rhobany besetzt ist. So schlecht sieht die Sache also gar nicht aus!«
»Wisst Ihr, Eure Erlaucht«, grinste er schließlich, »wenn Ihr Euren Thron ohnehin gegen das ganze Reich verteidigen müsst, dann braucht Hymal eigentlich auch nicht länger ein Teil dessen zu sein. Ja, dann könntet Ihr Euch im Grunde auch gleich zum König krönen lassen!«
»Zum König?«, war Nikko nun völlig verblüfft. »Ihr meint, ich soll ein König werden?«
»Warum denn nicht?«, zuckte der Graf die Schultern. »Wie gesagt, wenn Ihr Euch sowieso gegen das ganze Reich behaupten müsst, dann könnt Ihr Euch genauso gut auch von Seiner Majestät lossagen.«
Nikko wusste ja noch nicht einmal, was nun der Unterschied zwischen einem König und einem Herzog war. Er selbst wäre zwar mit dem Herzogstitel mehr als zufrieden, aber Danuwil wusste sicher besser, was hier angebracht war … und für ihn selbst am einträglichsten.
»Aber kümmern wir uns zunächst lieber um die dringenden Probleme«, ruderte der Graf schon wenig später wieder zurück. »Es steht schließlich so einiges an.«
»Da habt Ihr wohl recht«, lächelte Nikko. »Ich denke, vor dem Gesalbten haben wir nun ein paar Wochen Ruhe, wenn nicht sogar noch länger.«
»Er sitzt in Zundaj, nehme ich an?«, nickte Danuwil. »Der Gesandte wird dann wohl mit seinen Schiffen bis nach Terys fahren und von da aus über Land weiterreisen. Selbst wenn sie von Terys aus einen schnellen Boten nach Zundaj vorausschicken, wird man dort also erst in … drei bis vier Wochen von der Lage hier erfahren.«
»Nun, der Gesalbte reist auch selbst durch das Reich«, korrigierte Nikko. »Vor vielleicht einem Monat habe ich ihn noch in Khond gesehen.«
»Hm«, überlegte Danuwil. »Im schlimmsten Fall befindet er sich gerade in Terys, wenn der Gesandte dort eintrifft. Trotzdem werden sie wohl nach Zundaj weiterreisen, um auch den König zu informieren. So oder so, es dürfte Monate dauern, bevor wir mit einem Angriff rechnen müssen. Ich vermute sogar sehr, dass es damit in diesem Jahr nichts mehr wird.«
»Ja«, nickte er. »Mit einem Angriff ist nicht vor dem nächsten Frühjahr zu rechnen. Schließlich müssen sie ihre Truppen erst einmal sammeln und dann auch noch verschiffen.«
»Da haben wir ja eine ganze Menge Zeit, um uns hier darauf vorzubereiten«, freute sich Nikko.
»Die haben wir«, lächelte Danuwil. »Wir sollten sie jedoch gut nutzen. Es gibt schließlich so einiges zu tun.«
»Womit fangen wir an?«, war Nikko jetzt ganz begeistert.
»Wir müssen noch immer das Herzogtum unter unsere Kontrolle bringen«, erinnerte ihn Danuwil. »In knappen einhundert Tagen ist der Ständetag. Wir können uns noch überlegen, ob wir Euch da nicht gleich zum König küren lassen wollen. Vorher aber müssen wir Euch ohnehin die Unterstützung der Ritter sichern, wobei wir nun jedoch weit weniger Rücksicht zu nehmen brauchen.«
»Wie meint Ihr das?«, wollte Nikko wissen.
»Wenn wir uns ohnehin vom Reich loslösen wollen, brauchen wir uns auch nicht mehr an dessen Kodex zu halten«, erklärte Danuwil. »Letztlich basiert unser … ähm Euer Machtanspruch nur noch auf – und das muss ich leider so drastisch formulieren – Selbstermächtigung mittels roher Gewalt. Diese sollten wir natürlich auch nutzen, um jegliche Opposition zu vernichten.«
Nikko war im ersten Augenblick zwar erschrocken, erkannte dann aber, dass Danuwil wieder einmal recht hatte. Er hatte eben keinen Rechtsanspruch auf den Thron. Selbst wenn die Stände ihn zum Herzog küren würden, könnte der König ihn offenbar jederzeit wieder absetzen – und würde das auf Geheiß des Gesalbten wohl auch ohne Weiteres tun.
»Anfangen sollten wir bei dem unverschämten Grafen von Eruál«, zischte Danuwil schließlich. »Es wird Zeit, dass wir dieser … besonders renitenten Erlaucht ein paar Manieren beibringen!«
Obwohl das Wetter am folgenden Morgen nicht sonderlich gut war, wollte Danuwil den Flug nach Eruál nicht länger aufschieben. Der zum größten Teil bedeckte Himmel ließ bislang zwar nur gelegentliche Schauer auf sie herniedergehen, aber Nikko war dennoch nicht erpicht darauf, in die trüben Wolken aufzusteigen. Allerdings meinte der Kastellan, dass die Reise nach Eruál ohnehin kaum eine Stunde dauern würde. Also gab der Zauberer dessen Drängen letztlich nach.
Auch Ygrind sollte wieder dabei sein, um auf den Drachen aufzupassen, während der Truchsess und sein Kastellan mit dem widerspenstigen Grafen sprechen würden.
»Wollt Ihr nicht lieber noch ein paar Krieger mitnehmen?«, monierte die Frau, als sie dann auf die Echse stiegen.
»Wozu das denn?«, verdrehte Danuwil die Augen. »Als ob der Drache nicht einschüchternd genug wäre. Außerdem hätten die Männer auf ihm doch gar keinen Platz mehr.«
»Platz schon«, zuckte die Jägerin mit den Schultern. »Sie müssten sich allerdings irgendwie am Geschirr festhalten. Aber sagtet Ihr nicht selbst, dass der Flug nicht lange dauern wird?«
»Unsinn!«, wiegelte Danuwil ab. »Wer sollte sich schon eine Stunde lang auf dem Drachen festkrallen können, geschweige denn wollen? Nein, mit der Bestie allein werden wir furchteinflößend genug sein.« Mit einem Schulterzucken fügte er noch hinzu: »Vergesst auch nicht, dass unser werter Truchsess ein Zauberer ist, der es durchaus vermag, uns vor etwaigen Angriffen zu schützen.«
Nikko sah das zwar genauso wie Danuwil, hätte aber auch nichts gegen eine kleine Eskorte. Es würde schon irgendwie würdevoller aussehen, oder? Naja, der Kastellan hatte allerdings recht damit, dass es kaum jemandem zuzumuten wäre, sich während des vielleicht doch etwas unruhig werdenden Fluges am Geschirr festzuhalten. Dafür waren schließlich die Sättel da.
Als sie dann zum Abflug bereit waren, bemerkte Nikko, dass er gar nicht wusste, in welche Richtung er nun fliegen sollte. Danuwil warf noch einen letzten Blick in seine Karten und zeigte schließlich nach Südosten.
Der Zauberer ließ daraufhin den heute sichtbar gelassenen Drachen in die Lüfte steigen und kreiste einige Male über Sinál. Irgendwie hatte er das Gefühl, er müsste hier wieder einmal etwas Stärke zeigen, verkniff es sich jedoch, die Bestie auch ihren grässlichen Schrei ausstoßen zu lassen.
Die Sicht war bei der heute so diesigen Luft sehr eingeschränkt, auch die Sonne zeigte sich nur gelegentlich durch die Wolkendecke und erschien dort bloß als fahle Scheibe. Nikko befürchtete daher recht bald, dass er nicht in der Lage wäre, den von Danuwil angezeigten Kurs einzuhalten.
Auch am Boden gab es kaum etwas, das ihm bei der Orientierung helfen konnte. Das Wirrwarr von Straßen, Dörfern, Weiden und Feldern um die Hauptstadt herum hatte sich bereits nach wenigen Minuten aufgelöst. Nun gab es hier nur noch Gras. Falls es eine Straße in Richtung Eruál gab, hatten sie diese wohl schon längst verpasst.
Als vielleicht eine knappe Stunde später die Meeresküste in Sicht kam, hatten sie zwar noch ein paar vereinzelte Dörfer und Gehöfte überflogen, von einer großen Straße war jedoch nirgends eine Spur gewesen.
Da Nikko mittlerweile davon überzeugt war, dass sie sich gehörig verflogen hatten, landete er den Drachen wenig später auf einer Klippe direkt an der Steilküste, die auch einen guten Blick landeinwärts bot.
»Wir hätten wohl besser darauf achten sollen, die Straße nach Eruál nicht aus den Augen zu verlieren«, kommentierte Danuwil, dessen Nase bereits einen Augenblick später in den vor sich ausgebreiteten Karten versunken war.
»Bei besserer Sicht wäre uns das sicherlich nicht passiert«, maulte Nikko, der bei diesem Wetter ja gar nicht erst hatte losfliegen wollen.
»Mistwetter!«, schnauzte der Kastellan, der nun sein Fernrohr bemühte, um sich landeinwärts einen Überblick zu verschaffen.
»Eruál liegt ein oder zwei Wegstunden von der Küste entfernt im Landesinneren«, meinte er dann und seufzte: »Wenn ich doch nur wüsste, ob wir hier nun zu weit im Norden oder Süden sind. Leider kann ich bei derart schlechter Sicht einfach nichts erkennen.«
Als sich die Sonne dann wieder einmal kurz zwischen den Wolken zeigte, versuchte Danuwil sich anhand des Sonnenstandes zu orientieren und machte dazu eine abwägende Bewegung mit der rechten Hand. Schließlich konsultierte er noch einmal seine Karten.
»Ich bin mir fast sicher, dass wir zu weit in Richtung Süden abgekommen sind«, nickte er letztlich. »Ja, unser Ziel sollte sich von hier aus im … Nordnordost befinden, kaum mehr als eine Viertelstunde Flug.«
Da Nikko ohnehin keine andere Wahl hatte, als Danuwil zu vertrauen, ließ er die Echse wieder in die Lüfte steigen und steuerte sie dann in die Richtung, in die der Kastellan nun wies.
Zunächst schien es zwar, dass auch auf diesem Weg nur unendliches Gras und einige wenige Gehöfte auf sie warteten, dann aber kam doch noch eine Art Burg in Sicht und daneben ein größeres Dorf.
Als sie die Burg wenig später zum ersten Mal überflogen, konnte Nikko erkennen, dass es sich um eine gewaltige Festung handelte, die sich jedoch in einem ziemlich desolaten Zustand befand. Die äußeren Ringe waren mehr oder weniger vollständig verfallen, nur die innere Burg schien noch bewohnbar zu sein und war offenbar an einigen Stellen ausgebessert worden.
Um ihre Ankunft auch gebührend anzukündigen, ließ der Zauberer den Drachen einmal kräftig röhren, woraufhin das mittlerweile zu erwartende Schauspiel begann. In Panik lief die Burgbesatzung hin und her, viele verkrochen sich in diversen Unterschlüpfen.
Nikko nutzte das Wirrwarr und landete die Echse mitten im Burghof, wo er dann auch gleich seine Schutzschilde wirkte, vor allem natürlich einen gegen Geschosse.
Wie zu erwarten, waren sie nun ganz allein auf dem Hof. Die Leute des Grafen hatten sich erst einmal in Sicherheit gebracht. Zumindest hatte ihre Ankunft die Wirkung nicht verfehlt.
Nikko wirkte noch schnell einen stationären Schutzschild um den Drachen herum und gebot der Jägerin, dicht bei der Echse zu bleiben. Er selbst machte sich daraufhin mit Danuwil auf den Weg in Richtung des Gebäudes, das wie das Haupthaus der Burg wirkte. Dort würden sie den Grafen von Eruál wohl am ehesten antreffen.
Ihr Weg endete jedoch jäh an der fest verrammelten Tür des Palas, der insgesamt recht wehrhaft wirkte. Dieser Eindruck wurde auch dadurch verstärkt, dass alle Fenster des untersten Geschosses vergittert waren.
»Soll ich die Tür zerstören?«, fragte Nikko. »Ein Feuerball sollte dafür reichen. Falls nicht, hätte ich noch andere Zauber parat.«
»Nein, nein«, wiegelte Danuwil ab. »Noch sind wir ja nicht als Eroberer hier, sondern zum Verhandeln. Lasst mich doch erst einmal höflich anklopfen.«
Also klopfte der Kastellan kräftig an die Tür. Nichts geschah. Er klopfte noch einmal. Wieder geschah nichts. So ging das dann einige Minuten lang, bis letztlich das Geräusch sich bewegender Eisenriegel erklang.
»Seid gegrüßt«, piepste ein kreidebleiches Männlein in der nun offenen Tür und zitterte am ganzen Leib. »Wer seid ihr und was ist euer Begehr?«
»Dies ist Seine Erlaucht, der Graf von Halfuár und amtierende Truchsess des Herzogtums«, stellte Danuwil erst den Zauberer vor, dann sich selbst: »Ich bin der Graf von Telgâr und amtierender Kas