D O R O T H E E
A C H E N B A C H
Ich liebte
Sträfling Nº 1
DROSTE VERLAG
I N H A L T
NACHT 2014 – 2016
JUNI 2014 – JUNI 2015
Lustige Witwen, stürzende Adler und griechische Philosophen
Sträfling Nº 1
SOMMER 2015
Viva Italia!
Mäuse-Autos und persische Köstlichkeiten
Aqua Alta – Herbst, 24 Jahre zuvor (1991)
Zerronnenes Glück
Charme, Chance und Carabinieri
Hunde sind auch nur Menschen
HERBST 2015
Vor Gericht und auf hoher See …
Meine Wäsche kennt jetzt jeder
Kollateralschaden: Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen
Das Hobby der Erben
Fremdgeh-Experte
Der Anfang vom Ende – Juni, zweieinhalb Jahre zuvor (2013)
Feigheit vor dem Freund
Damokles-Schwert
WINTER 2015/16
Last Christmas
Big Apple – Mai, 23 Jahre zuvor (1992)
Das Damokles-Schwert fällt
Abschied
Die Saat ist gelegt – Juni, zweieinhalb Jahre zuvor (2013)
Die blanken Füße des heiligen Herrn Jesus
Damals in der Höhle
Fliegende Fernseher und Leichen im Pool – Sommer, fast 24 Jahre zuvor (1992)
Leonardo, der Airbus und ich
Die Saat geht auf – Juli, zweieinhalb Jahre zuvor (2013)
Tanz auf dem Vulkan – Juli, zweieinhalb Jahre zuvor (2013)
Monsterbaum – August, zweieinhalb Jahre zuvor (2013)
Weiberfastnacht
FRÜHLING 2016
Das Leben steckt voller Überraschungen
Botanische Besonderheiten
Der Mann mit den zwei Gesichtern
Sechs Hochzeiten und fast ein Todesfall – Sommer, 19 Jahre zuvor (1996)
Frühlingsgefühle
Nagende Fragen
Herr »Wo« ist ausgezogen
Serenissima
Familienbande
SOMMER 2016
Göttergatte
Sommer, Sonne, Mega-Glück
Insel der Hähne
Yoga oder wenn der CEO das Bein hinters Ohr klemmt
HERBST 2016
Stehaufmännchen
Die Würfel fallen
Absurdes Theater
Wundersame Gene
Schickse in Hausschuhen – Frühling, fünf Jahre zuvor (2011)
Ich liebte ihn und ich mochte ihn nicht
»Forgive your enemies.
But never forget their names.«
(John F. Kennedy)
»The pen is mightier than the sword.«
(Edward Bulwer-Lytton)
N A C H T
2014 – 2016
Am schlimmsten sind die Nächte. Dann kriecht die Angst leise von allen Seiten auf mich zu. Sie umkrallt mit gierigen Fingern mein Herz, bildet einen dicken Knoten in meinem Bauch. Wenn ich mich dann unruhig hin und her werfe, mein Herz rast und mein Hirn nicht zur Ruhe kommt, steigt sie triumphierend auf den Trümmerhaufen, der einmal mein Leben war, und grinst mich breit aus einem dümmlichen, verlebten Gesicht an. Wenn ich dann irgendwann wieder in einen unruhigen Schlaf falle, träume ich häufig Dinge, die einem surrealistischen Film von Luis Buñuel oder Salvador Dalí alle Ehre gemacht hätten.
Gemälde fliegen in den Himmel, ihre Farben lösen sich auf. Sie fließen in dicken Tränen herab und platschen vor meine bloßen Füße, bis ein klebriger, zähflüssiger See entsteht. Ein kleiner, spitznasiger Mann mit Brille und viel zu großem Anzug steht am anderen Ufer des Farbsees und stopft sich lachend Geldscheine in den Mund. Hinter ihm liegen überdimensionierte, zerfledderte Bücher mit kostbaren Buchmalereien.
In einem riesigen Garten mit perfekt getrimmtem Rasen türmen sich bunte Oldtimer aufeinander, sie sind mit einer dicken, gepunkteten Schleife als Geschenk verpackt. Eine beschwipst wirkende Frau mit dickem Bauch und dicken Ketten um den Hals wirft lachend einen kleinen Hund in die Höhe, der pieseln muss. Entsetzt weichen herumstehende Menschen dem Tier aus. Die Frau lacht weiter und setzt sich einem Klavierspieler auf den Schoß, der auf einem Piano herumhämmert, aus dem keine Töne kommen.
Manchmal träume ich von meinen Mann. Er kommt wieder nach Hause, bleibt im Flur an der Eingangstür stehen, sagt kein Wort, dreht sich um und geht wieder.
Mein Mann und ich sitzen in einem kleinen Boot. Da ist noch ein anderer Mann, doch ich kann sein Gesicht nicht sehen. Wir schaukeln nahe am Ufer, das Wasser ist türkis. Dann kommen Wellen auf, immer mehr und mehr, ein aufziehendes Unwetter und große Schiffe verursachen sie. Ich bekomme Angst, das kleine Boot droht zu kentern. Von der Seite naht ein gigantischer, schwarzer Schiffsrumpf, und ich weiß: Nun sind wir verloren. Da telefoniert der fremde Mann auf seinem Mobiltelefon, und der Spuk ist vorbei.
Eine Frau mit aufgebauschtem Haar steht vor einer trüben Scheibe, sie dreht sich immer wieder um sich selbst, sie lacht und lacht. Dann ist die Scheibe klar, und im Spiegelbild erscheint eine Frau. Doch sie sieht ganz anders aus, größer, schlanker, jünger, sie lacht nicht und hält ein Buch in den Händen. Die lachende Frau hebt die Hand und schlägt den Spiegel mit einem Gegenstand in Stücke. Doch er setzt sich wieder zusammen, das Bild erscheint erneut. Die lachende Frau hält eine riesige, zerbrochene Weinflasche in der Hand.
Ich bin in einem kleinem Holzhaus und weiß, dass es brennt. Doch das Feuer ist hinter und zwischen den Wandschichten, ich kann es nicht wirklich sehen, sondern nur prasseln hören. Doch ich sehe, wie die Wände sich in der Glut zu wölben scheinen, wie es durch die Ritzen feuerrot wie glühende Lava blitzt. Ich möchte es löschen, doch ich komme nicht dran, es kokelt weiter versteckt hinter der Wand. Immer wieder schluchze ich stumm und verzweifelt gegen diese Wand, aber es bleibt unerreichbar. Ich kann es nicht löschen.
Jemand steht an einem Fluss, es ist stürmisch, das trübe Wasser steigt und steigt. Der Jemand bin ich. Meine Kinder verharren vollkommen reglos auf der gegenüberliegenden Seite. Ich rufe, sie sollen weglaufen und sich in Sicherheit bringen, aber ich bekomme keinen Ton heraus. Dann bringt der reißende Fluss Baumstämme und Geäst mit, es stapelt sich meterhoch zwischen uns auf. Ich kann sie nicht mehr sehen. Plötzlich versiegt der Strom, und alles, was er mitriss, verschwindet. Nichts ist mehr da. Kein Baum, kein Busch, kein Grashalm, nichts. Auch die Kinder nicht mehr. Ich stehe vollkommen allein in einer Wüstenei.
Wenn ich nach solchen Träumen schweißgebadet aufwache, liegt das garantiert nicht an den Wechseljahren. Meist sind sie nach dem Aufwachen schon vergraben im Unterbewusstsein und nur noch eine ferne, undeutliche Ahnung von etwas; lediglich schnell verschwimmende Bilderfetzen flackern nach. Doch manchmal gelingt es mir, die Bilder und Gefühle wieder einzufangen, bevor sie im Nebel verschwinden. Dann stehen sie klar und deutlich vor mir, und ich schreibe sie auf. Im Laufe des Tages wären sie sonst ausgelöscht.
Doch die Erinnerungen an das, was in den letzten Monaten geschah, kann ich nicht auslöschen.
J U N I 2 0 1 4 – J U N I 2 0 1 5
Lustige Witwen, stürzende Adler und griechische Philosophen
Unser Drama begann in den frühen Morgenstunden im Sommer des Jahres zuvor. Es war ein Kriminalfall aus der glamourösen Welt der Kunst und der Superreichen, den sich kein Medienmacher besser hätte ausdenken können: Ein als »Kunstpapst« bezeichneter Impresario entpuppt sich als verbrecherischer Millionenbetrüger und wird unter großer Anteilnahme der Medien vor Gericht gestellt. Der »Fall« von ganz oben nach ganz unten füllt regelmäßig die Gazetten. Wegen Betrugs angezeigt haben ihn die erwachsenen Kinder und Erben eines verstorbenen, milliardenschweren Kunden. Nicht, wie es in den Medien heißt, dessen Witwe, die dem mutmaßlichen Betrüger einst freundschaftlich verbunden war. Denn diese sollte später als Hauptbelastungszeugin gegen ihn aussagen. Vielleicht wäre es deswegen unschön gewesen, hätte sie ihn selbst angezeigt.
Der Verstorbene stammt aus einer Familie, deren Gründerväter das Vermögen eine Generation vorher mit einer sehr bekannten Discounterkette verdient hatten. Diese Familie ist äußerst zurückhaltend, verschwiegen und stellt keinen Luxus zur Schau. Die den Haftbefehl mit ihrem Anwalt initiierende Schwiegertochter bzw. Schwägerin schaltet nun jedoch einen 1600-Watt-Scheinwerfer an. Der Lichtstrahl fällt auf alle. Sie genießt die Aufmerksamkeit, wie Pressefotos belegen, zumeist mit strahlendem Lächeln.
Die beiden Protagonisten dieses Falles – eine Zeitung bezeichnet sie als »Die Witwe und der Wirbelwind« – sind verquickt in einem Gemisch aus Freundschaft und Eifersucht, Betrug und Gier, verletzten Gefühlen, Lügen und Minderwertigkeitskomplexen. Ein Mix, aus dem Tragödien entstehen. Das Gemisch ist so uralt wie die Welt – und es wird mitnichten Gewinner zurücklassen. Außer denen, die am Streit gut verdienen. Das sind zum Beispiel die Anwälte. Jedenfalls einige davon.
Der kriminelle Wirbelwind ist mein Mann Bernhard, ein erfolgreicher und international bekannter Kunstberater. Nach einem Besuch in den USA wurde er an diesem fatalen Sommermorgen noch an der Flugzeugtür verhaftet und von mehreren Beamten abgeführt. Leider in meinem Beisein. Wir wurden zum Polizeipräsidium in eine nur wenige Kilometer entfernte Stadt gefahren, was jedoch mehrere Stunden dauerte, da in der Nacht ein Orkan getobt und sämtliche Straßen in einen Hindernisparcours aus entwurzelten Bäumen, zerfledderten Ästen, herumliegenden Straßenschildern und umgekippten Mülltonnen verwandelt hatte. So ähnlich sah dann auch sehr bald unser Leben aus. Telefonieren durften wir auf der Fahrt im Polizeiwagen nicht, denn parallel fand in den Firmenräumen meines Mannes und in unserem Wohnhaus eine Hausdurchsuchung statt, deren Zeugen meine Eltern, unsere beiden schulpflichtigen Kinder sowie der ebenfalls noch minderjährige Hund wurden. Noch heute erzählt meine Tochter davon, wie es sich anfühlt, wenn morgens die Oma mit einer fremden Frau vor dem Bett steht und einen mit den ungewöhnlichen Worten weckt: »Lili, steh schnell auf, da ist die Polizei.« Sie war damals 15.
Im Polizeipräsidium wurde meine amtierende Ehehälfte zum Verhör geführt. Was wir beide nicht ahnten: Ich sah, sprach und hörte ihn für lange Wochen zum letzten Mal. Es gab keinerlei Kontakt mehr zu ihm. Er wurde nämlich umgehend ins Gefängnis gesteckt. Da sitzt er auch heute noch.
Was meine damalige, wunderbare Hilfe Susanne mit den lakonischen Worten kommentierte: »Jetzt wissen Sie wenigstens immer, wo er ist.« Auch wieder wahr.
Im Haftbefehl wurde ein Gesamtschaden von auf den allerletzten Cent genau ausgerechneten 60.368.719,73 Euro diagnostiziert (fragen Sie mich jetzt nicht, wie wer da was ausgerechnet hat). Das stellte sich zwar als deutlich übertrieben heraus, überzeugte aber die Staatsanwaltschaft. Der an einer langjährigen, von seinem Bruder dezent als »Leberleiden« umschriebenen Erkrankung in einem Schweizer Kurort verstorbene Ehemann hatte bei Bernhard Kunst und Oldtimer für 120 Millionen Euro gekauft – Wagen und Werke, die erfreulicherweise inzwischen mindestens 80 Millionen mehr wert sind. Bernhard hat das nicht ganz unbedeutende Vermögen also um einiges vermehrt. Und er hat dem Ehepaar den Zugang zu elitären Kreisen der Welt der Kunst und Oldtimer ermöglicht und dem oft schwermütigen Verstorbenen glückliche, unbeschwerte Tage geschenkt. Aber er hat seinen Kunden zweifelsfrei auch hintergangen. Was schwerer wiegt: Er war sein Freund.
Bernhards Kunstfirmen und seine drei Restaurants gingen nach der von den Klägern bzw. der Staatsanwaltschaft veranlassten Sperrung und Pfändung sämtlicher Konten und Mittel innerhalb weniger Wochen pleite. Das ist logisch, wenn man keine Geschäfte mehr tätigen und keine Rechnungen mehr bezahlen kann, keine Mieten, keine Pacht und keine Löhne. Dutzende Menschen verloren ihren Arbeitsplatz und mussten oder müssen dem Staat auf der Tasche liegen.
Auch mich und damit die Kinder verschonten die Witwe und ihr Nachwuchs nicht: Sie schickten unangekündigt zwei Gerichtsvollzieher, dazu einen jungen Anwalt und mehrere Möbelpacker, als die beiden Kinder Max und Lili allein zu Hause waren. Sie wurden ohne jeden Respekt behandelt – man kann sich nur fremdschämen für solch ein Vorgehen. Mit Blick auf unseren jungen Hund meinte der eifrig hinter den Vollziehern hertrabende junge Anwalt sogar, dass man auch Tiere beschlagnahmen könne. Alle Anwesenden verstummten daraufhin, meine Kinder waren entsetzt.
Im Zivilverfahren wurde Bernhard fünf Monate nach seiner Inhaftierung in einer einzigen Verhandlung ohne Zeugenanhörung vom Richter zu einer Schadensersatzleistung von knapp 20 Millionen Euro an die Erben verdonnert. Dagegen legte sein Anwalt Berufung ein.
Schließlich wurde der Firmenbestand an Kunstwerken in einer Reihe von Massenauktionen unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit mit für mich teils schwer nachvollziehbaren Schätzungen versteigert.
Der Strafprozess gegen Bernhard begann im Winter sechs Monate nach der Verhaftung, er dauerte vier Monate. Dann wurde er dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgend zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Ihm und den Zeugen, die zu seinen Gunsten ausgesagt hatten, glaubte das Gericht in weiten Teilen offenbar nicht. Der Witwe schon. Ihr von ihrem lächelnden Anwalt in Tuchfühlung begleiteter Auftritt vor Gericht war nach Meinung der anwesenden Medienvertreter jedoch unterhaltsam, teilweise sogar lustig.
Nach dem Urteil ließ sie in der Presse verkünden, sie »empfände Genugtuung«. Laut Wikipedia ist dies ein Gefühl vollständiger Zufriedenheit. Doch es scheint, dass sie den Zustand dieser Zufriedenheit noch nicht erreicht hat. Obwohl wir nahezu alles verloren haben, die Firmen zerstört und die Kinder traumatisiert sind, geht es weiter mit den Forderungen. Obwohl weder ich noch sonst jemand in meiner Familie mit den kriminellen Umtrieben meines Mannes etwas zu tun hat, sollen es zusätzlich zu den fast 20 Millionen noch einmal fünf Millionen von meinem einsitzenden Mann sein, und eine knappe weitere Million fordert sie in einer weiteren Klage von uns beiden. Warum die Witwe angesichts ihrer »Genugtuung«, des ererbten Reichtums und dazu noch Auszahlungen von 100 Millionen Euro an sie und die Kinder1 nicht irgendwann mal aufhört oder dem Anwalt sagt: »Jetzt lass mal gut sein«, mag sich jeder selbst ausmalen. Andererseits sind Klagen sehr solventer Kunden ein Glücksfall für Rechtsvertreter.
Der Anwalt erhielt von den Erben jedenfalls eine Generalvollmacht, und seine Honorare dürften ihm und seiner Kanzlei ein steter Quell der Freude sein, den man ungern versiegen lassen möchte. Über mögliche Motive, berufsethische Grundsätze und die Zulässigkeit von nachweisbarem Eigeninteresse bei Anwälten kann ich nichts sagen, doch die Zukunft wird zeigen, dass der Mann sehr weitreichende Eigeninteressen hat.2 Bernhards Verteidiger sprach in einer großen Tageszeitung von einem »wirtschaftlichen und menschlichen Existenzvernichtungsfeldzug« gegen uns.3 Ein Satz, der offenbar ohne erfolgreiche Abmahnung blieb, obwohl der Anwalt diese sonst gerne an Redaktionen verschickt, sobald jemand etwas vermeintlich Negatives über die Witwe veröffentlicht.
Trotz in meinen Augen ehrenrühriger Schriftsätze der Gegenseite lasse ich mich nicht nachhaltig einschüchtern und kämpfe trotz meiner inzwischen erheblichen Zweifel an manchem Vertreter der Justiz vor Gericht gegen die Erben um ein wertvolles, in meinem Haus gepfändetes Kunstwerk, das ich nachweislich von meinem eigenen Geld erworben habe. Es sollte meine Altersversorgung sein, jetzt bräuchte ich es wegen meiner Schulden und erheblichen Belastungen dringend schon vor der Zeit. Ich hatte die Witwe letztes Jahr über eine Freundin kontaktiert, ob man sich in all dem Streit nicht außergerichtlich einigen könne, da es mir sehr schlecht ginge. Aber das lehnte sie ab – ihr Lächeln ob meiner Verzweiflung, so die Freundin, habe man durchs Telefon ahnen können. Sie möchte sich nicht mit mir einigen. Sie ist offenbar siegesgewiss.
Nun ist es eben so. Meine Kinder und ich müssen trotz quälender Ängste und immensen psychologischen Drucks damit leben, dass manche Leute weiter treten, wenn man schon am Boden liegt.
Erschwerend kommt hinzu, dass Bernhards tiefer Fall sich vor den Augen der Öffentlichkeit abspielte. Schlagzeile jagte Schlagzeile – sie bieten eine treffende, in ihrer Widersprüchlichkeit manchmal amüsante Zusammenfassung der letzten langen Monate, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte:
KUNST-PAPST IN U-HAFT
FRÜHER HIGH SOCIETY, JETZT GITTER – BITTER
BETRÜGER ODER FEINER KERL?
SKANDAL IN FEINSTEN KREISEN
ERNEUT DURCHSUCHUNG BEI KRÄMER
HAT ER IN ÜBER 200 FÄLLEN BETROGEN?
DER KRÄMER-KRIMI: BETRUG ODER GEKRÄNKTE
EITELKEITEN? HÄME UM KRÄMER IST NICHT FAIR
DIE AFFÄRE WÄCHST UND WÄCHST
ERMITTLUNGEN AUSGEWEITET
KRÄMER KÖNNTE HEUTE FREIKOMMEN
KRÄMER BLEIBT IN U-HAFT
KRÄMERS SPRECHER LISTET
WERTSTEIGERUNG AUF
INSOLVENZ DREIER FIRMEN
NEUER JUSTIZÄRGER FÜR KRÄMER
ERBEN FORDERN 29 MILLIONEN
KRÄMER WEGEN BETRUGS ANGEKLAGT
KRÄMER DROHEN 15 JAHRE HAFT
DREI WEITERE FIRMEN MELDEN INSOLVENZ AN
KRÄMER UNTER BEWACHUNG IN KNAST-KLINIK
INSOLVENZVERWALTER RECHNET MIT
JAHRELANGEM VERFAHREN
WITWE: EIFERSUCHT AUF EINE
MÄNNERFREUNDSCHAFT
VERTEIDIGER SPRICHT VON
EXISTENZVERNICHTUNGSFELDZUG
AUFTAKT IM PROZESS
KUNSTPAPST WURDE VON POLIZEI ABGEHÖRT
TRÄNENGESTÄNDNIS VOR GERICHT
DER STURZ DES ADLERS
FRAU KRÄMER: MIR GEHT ES SUPERSCHLECHT
BRAVORUFE FÜR FRAU KRÄMER
KUNSTBERATER SCHICKT GEDICHTE
UND BILDER AUS JVA
KRÄMER PUTZT JETZT TOILETTEN UND
SINGT IM CHOR
SHOWDOWN IN ESSEN
DAS LUXUSLEBEN DER DISCOUNTER-ERBEN
KUNSTBERATER MUSS ÜBER
19 MILLIONEN ZAHLEN
KRÄMER UND DAS MILLIONENURTEIL –
WIE SOLL ER DAS BEZAHLEN?
KRIMI MIT LAUTER VERLIERERN
ERBEN WOLLEN WEITERE FÜNF MILLIONEN
EINKLAGEN
INSOLVENZVERWALTER ÖFFNET PLEITE-AKTE
KRÄMER ZIEHT IN BERUFUNG
MEHRERE ANKLAGEPUNKTE EINGESTELLT
ANKLAGE FORDERT SIEBEN JAHRE HAFT
WITWE: PERSÖNLICHE ABRECHNUNG
VOR GERICHT
DER TIEFE FALL DES BERNHARD KRÄMER
SECHS JAHRE KNAST! KRÄMERS
SCHWERSTER TAG
WITWE EMPFINDET GENUGTUUNG
FRAU DES KUNSTBERATERS
KLAGT GEGEN ERBEN
FRAU KRÄMER WILL GERECHTIGKEIT
KEINE ENDE IN SICHT! NEUER PROZESS
GEGEN KRÄMER
AUSVERKAUF BEI KRÄMER KANN BEGINNEN
VIEL KUNST FÜR WENIG GELD
BIETERSCHLACHT UM KRÄMER-KUNST
ES BLEIBT EIN SCHULDENBERG
KRÄMERS FRAU BEIM ARBEITSAMT
KRÄMER: KAUM KONTAKT ZUR AUSSENWELT
KEIN VERGLEICH ZWISCHEN KRÄMER UND ERBEN
Sträfling Nº 1
Trotz dieses filmreifen Ausnahmezustands haben die Kinder und ich Verstand, Contenance und Humor noch nicht gänzlich verloren. Brauchen wir nebst exzellenter Nerven auch weiterhin. Bernhard hat sich in seiner Parallelwelt im Gefängnis rasch eingelebt und bereichert durch seine unkonventionelle, unterhaltsame Art den Knast-Alltag – und bildet nach eigener Aussage häufig den Mittelpunkt desselbigen.
Die teils haarsträubenden und manchmal durchaus situationskomischen Ereignisse der letzten Monate habe ich aufgeschrieben und mit Zitaten aus Briefen meines Mannes sowie originalen Schlagzeilen aus der Presse angereichert. Aus diesem Versuch, das über uns hereingebrochene Unheil zu verarbeiten, entstand ein Buch. Den Namen meines Gatten habe ich darin geändert und stattdessen den Geburtsnamen meiner Schwiegermutter Suse gewählt. Ich habe eine Verlegerin für mein Buch gefunden und das Manuskript vor kurzem abgegeben. Beim ersten Termin im Verlag sagt dessen neuer Leiter zu mir: »Als ich in das Manuskript hineingelesen habe, dachte ich, wie kann man sich so einen Roman nur ausdenken, das ist viel zu abwegig.« Erst als er auf dem Titelblatt gesehen habe, wer das Buch geschrieben hat, habe er begriffen: Das ist WIRKLICH alles passiert.
Wir müssen beide lachen.
Ich besuche Bernhard zweimal im Monat im Gefängnis – öfter ist es nicht erlaubt – oder organisiere Freunde, die ihn gerne sehen möchten. Wir schreiben uns Briefe, die wohl auch von der Staatsgewalt gelesen werden und die inzwischen auf meinem Schreibtisch einen dicken Ordner füllen; es sind Hunderte von Seiten. Bernhard darf nach monatelangem Nichtstun nun als Essensverteiler arbeiten und ist als Sportwart tätig. Er verteilt die Mahlzeiten an den Zelltüren, putzt Waschräume und Toiletten, pflegt Sportgeräte, wäscht Trikots.
Das gibt mir Hoffnung, dass man ihn später endlich mal effizient im Haushalt einsetzen kann. Einmal hat er mit dem Doppeljob, der morgens um 5.30 Uhr beginnt, fast 166 Euro im Monat verdient. Davon wurden dann 86 Euro für die Gläubiger gepfändet. Dennoch macht es ihm Spaß, eine Aufgabe zu haben. Aufgrund seiner kumpelhaften Art und da er interessant erzählen kann, ist er beliebt bei den Wärtern und Mitgefangenen. Er bezeichnet sich selbst als »Sträfling Nr. 1«. Und erzählt, dass mancher Wärter scherzhaft meint, dass er sicher bald die Schlüssel bekäme.
Bescheidenheit und mangelndes Selbstbewusstsein gehörten nie zu seinen hervorstechenden Eigenschaften. Mithäftlinge, die sich von Bernhard die Adresse geben ließen und mir Briefe schreiben, berichten, dass er ihnen und den Wärtern nicht ohne Stolz die vielen Zeitungsartikel über seinen Fall zeige. Diese lassen sich im Schutzraum Knast wohl eher goutieren als in der Wirklichkeit außerhalb geschlossener Anstalten…
Im Gefängnis hat er zudem begonnen zu malen, er singt im Chor, besucht den Bibelkreis, geht zum Gottesdienst, liest sogar Bücher – alles Dinge, die im vorherigen Leben nicht zu seinem favorisierten Zeitvertreib gehörten. Und in dem danach vorraussichtlich auch nicht mehr. In seinen Briefen schreibt er, er sei ruhiger geworden, schaue gelassen in die noch ungewisse Zukunft und denke viel nach. Er sei – zumindest vorläufig – zu dem Schluss gekommen, dass man zum Leben nicht viel brauche, dass das Materielle unbedeutend sei und dass er so ziemlich alles, was er je erreicht hat, aus eigener Schuld und Verblendung in den Sand gesetzt habe. Da hat er recht. Nur leider dachte er offensichtlich nicht an uns, und wir müssen uns draußen immer noch mit den Folgen herumschlagen, denn er ließ uns ungesichert ins Unglück laufen. Und so ganz ohne Materielles geht es auch nicht. Wegen Miete, Lebensmitteln, Strom, Wasser, Gas und so.
Aber eines steht fest: Kleinkriegen werden sie Bernhard nicht, er hat sich gut eingelebt und sich auch im Knast eine Welt geschaffen, in der er Anerkennung genießt. Er ist ein Stehaufmännchen.
Und auch unser Leben geht weiter.
S O M M E R 2 0 1 5
Viva Italia!
Draußen herrschen schwüle 29 Grad. Ich gehe zum Supermarkt einkaufen und freue mich über die angenehme Kühle dort. Gleich hinter dem Eingang ramme ich mit meinem Einkaufswagen eine Pyramide aus Spekulatius, Lebkuchenherzen und Marzipankartoffeln, die eine Verkäuferin gerade kunstvoll übereinander schichtet. Alle Jahre wieder wundere ich mich aufs Neue, wen es bereits im Spätsommer nach Dominosteinen gelüstet. Offenbar sind jedoch viele deutsche Verbraucher mindestens ebenso verrückt wie die Süßwaren-Hersteller: Wenn niemand schon jetzt Weihnachtsgebäck kaufen würde, wäre das Angebot ja völlig sinnlos. Wenigstens stehen noch keine Nikoläuse da.
Meine Kinder sitzen mit mir beim Abendbrot. Die Stimmung ist durchwachsen bis schlecht. Papa ist seit 14 Monaten absent. Wir fühlen uns irgendwie fremd im eigenen Haus, denn ich muss es wegen der monatlichen Belastung und Schulden unter Druck verkaufen. Das ist für uns alle sehr schmerzhaft, jahrelang hatten wir es liebevoll für unsere große Patchworkfamilie und für uns als »Alterssitz« umgebaut – sogar barrierefrei, damit wir später auch mit Krücken, Rollator, Rollstuhl und Pflegerin überall hinkommen. Der Umbau dauerte genauso lange, wie wir nun drin wohnen – dreieinhalb Jahre. Andererseits hat das Gemäuer auch viele Tränen und unschöne Szenen gesehen: Kriminalbeamte, die auf der Suche nach Beweismaterial in Schränken und meiner Wäsche wühlten. Herablassende Gerichtsvollzieher. Hysterische Anfälle einer jahrelang betrogenen Ehefrau (das war ich). Den Rauswurf eines untreuen Ehegatten (das war Bernhard). Verzweifeltes Schluchzen diverser Familienmitglieder ob des Irrsinns, der mit der Verhaftung über uns hereingebrochen ist.
Ich schaue in die bedröppelten Gesichter meiner lustlos auf ihren Broten herumkauenden Nachkommen und konstatiere: Es besteht Handlungsbedarf. Nach über einem Jahr im Dauerstress und ohne Urlaub müssen wir dringend mal raus. Mal was anderes sehen. Vor allem keine heimischen Zeitungen. Praktischerweise sind gerade Sommerferien. Unpraktischerweise haben wir aber kein nennenswertes Budget für einen Urlaub. Da hat meine 16-jährige Tochter Lilian wie so häufig einen Geistesblitz: »Mami, du hast doch diese Freundin, die in München mit dir Kunstgeschichte studiert hat und nun in Italien Gästezimmer vermietet. Das sieht so wunderschön auf den Fotos im Internet aus, da wollten wir doch schon immer mal hin. Frag sie doch mal!«
Stimmt – super Idee! Meine Studienkollegin Angelika hatte vor knapp zehn Jahren mit ihrem zweiten Ehemann ein neues Leben begonnen: Sie haben sich den Traum eines Bed & Breakfast auf dem Land erfüllt. Über Facebook stehen wir in lockerem Kontakt miteinander. Die Aufnahmen, die die exzellente Fotografin Angelika von ihrem Hideaway und dessen Umgebung postet, sind allesamt zauberhaft. Wir googeln die Webseite ihres B & B, und auch mein Sohn Maximilian ist sofort Feuer und Flamme. Ich frage Angelika per WhatsApp an, ob und wann noch etwas in ihrem Refugium frei ist, und bekomme umgehend Antwort: Wenn wir alle drei ein Zimmer zusammen nehmen, ist es ab übernächster Woche kein Problem. Wir schauen nach Flügen – großartig, man kommt total preiswert nach Rom – und nach einem erschwinglichen Mietauto. Denn ein Blick auf die Karte zeigt, dass das »Hide-away« absolut wörtlich zu verstehen ist. Die »Casa Angelica« liegt im südlichsten Umbrien, gut versteckt zwischen den sanften Hügeln bei dem Städtchen Amelia.
Ich freue mich wie Bolle: nach Jahren wieder ins geliebte Italien! Palazzi, Kirchen, Renaissance-Parks, Museen, historische Stadtkerne … Ich gerate unverzüglich ins Schwärmen und merke nicht, wie entgeistert mein Nachwuchs mich anschaut: »Mama, das soll URLAUB werden!«, ruft Max warnend, um jedwede meiner bildungsbürgerlichen Attacken schon im Keim zu ersticken. So was von renitent aber auch – nur weil es in Mittelitalien gerade 39 Grad im Schatten hat, muss man sich doch nicht von kunsthistorischen Streifzügen abhalten lassen! Oder schlagen meine Gene etwa nicht durch?
Ich bringe meinen Eltern schonend bei, dass sie bald einen gaaanz süßen Feriengast haben werden, und frage, wann ich denn unser Hundchen vorbeibringen könne. Das ist natürlich kein Problem, obwohl man unseren kleinen Münsterländer durchaus als besonders temperamentvoll bezeichnen könnte. Aber andererseits ist er eine Riesen-Schmusebacke. Mein Vater hüpft garantiert gleich nach dem Telefonat in sein Auto, um im Tiermarkt ein paar Tonnen Leckerli einzukaufen. Wenn der Hund bei meinen Eltern in Trier ist, nimmt er im Gegensatz zu meinem Vater zu. Ersterer verliert jedoch jedes Mal einige Kilo. Ob dem so ist, weil er am Tag ein Dutzend Mal Gassi geht (besser: läuft) oder weil er vor lauter Hunde-verwöhn-Programm nicht zur Nahrungsaufnahme kommt, ist mir noch nicht ganz klar.
Mäuse-Autos und
persische Köstlichkeiten
Wir packen jeder einen kleinen Koffer, denn unter meinem Regiment darf bei uns im Flugzeug seit Jahren nur mit Handgepäck verreist werden. Ich halte nämlich den Rekord im Wettbewerb »Mein Koffer ist nicht angekommen«. Neunmal – Sie haben richtig gelesen – stand ich schon an diversen Urlaubsorten ohne Gepäck da, weil es aus unerfindlichen Gründen nicht ankam. So unter anderem in Marbella, Paris, Rom, München und den USA. Das vorvorletzte Mal bin ich drei Tage in den olivgrünen Klamotten meines Teenager-Sohnes herumgelaufen, weil ich mir nicht extra was Neues zum Anziehen kaufen wollte. Es gab auch nix – wir waren im Dschungel. Das vorletzte Mal wartete ich über zwei Monate auf eine Tasche, die im Flughafen abhandengekommen war. Ich bin in dieser Hinsicht gewissermaßen leicht traumatisiert. Meine Mutter nennt mich Weltmeisterin im Packen, weil ich inzwischen echt viel Zeug auf kleinstem Raum unterbringen kann – inklusive Kosmetika! Und soll ich was sagen? Trotz minimalen Gepäcks hat man immer noch zu viel dabei!
Einem reibungslosen Flug in die Ewige Stadt Rom folgt die ebenso unproblematische Übernahme des Leihwagens – abgesehen von den gefühlten etwa 25 Kilometer Fußweg, die man in Fiumicino durch das Flughafengebäude laufen muss, bis man den preiswertesten aller Mietwagen-Anbieter erreicht hat. Als kluge Hausfrau und hoffnungslose Orientierungs-Legasthenikerin habe ich auf Rat meines Sohnes hin von zu Hause das Navigationsgerät aus seinem Auto mitgenommen. Das kostet sonst extra, und für Smartphone-Wegweiser fehlt uns die Auslands-Flatrate. Ohne Navi finde ich nicht mal den Weg zum Briefkasten, und selbst mit schaffe ich es regelmäßig, mich zu verfahren.
Munter steigen wir in den Kleinwagen, der ganz neu aussieht und auch so riecht. Gut, dass wir nur kleines Gepäck dabeihaben. Der Kofferraum ist – sagen wir: überschaubar. Unser Ziel soll laut Navi in 96 Minuten erreicht sein. Die Autobahn ist verstopft, es geht im Berufsverkehr nur stop and go. Das macht aber nichts, so kann ich meinen Kindern die herrliche italienische Landschaft im historischen Latium besser zeigen. Die besteht im Moment leider nur aus langweiligen Industriegebäuden, Brachflächen und eher tristen Gebäudekomplexen. Doch schon ragen ab und zu verheißungsvoll riesige Schirm-Pinien aus kleinen Dörfchen hervor. »Bald wird es richtig schön«, verspreche ich, denn allmählich schälen sich im Norden die Hügel Umbriens aus dem Horizont. Wir biegen ab auf baumumstandene, kurvenreiche Straßen, die sich die Berge hoch und runter winden. Viel schneller geht es allerdings nicht voran – das Auto hat offenbar keine Pferde-, sondern Mäusestärken und kommt die teils recht steilen Serpentinen kaum hoch.
Max drängelt: »Mama, jetzt gib doch mal Vollgas, hinter uns ist eine Riesenschlange!«
»Ich GEBE Vollgas«, rufe ich und wünsche mir sehnlichst einen Sattelschlepper vor mir, dem ich die Schuld an unserer Lahmheit geben kann.
Es geht trotz Malträtierens des Gaspedals einfach nicht schneller. Wütend denke ich: Da muss der wild fuchtelnde italienische Macho, der hinten an meiner Stoßstange klebt, eben länger warten, bis er Mammas Pasta auf den Teller bekommt!
Nach eineinhalbstündiger Fahrt befiehlt uns das Navi, von der Straße abzubiegen. Es kommt mir komisch vor: Wir fahren, nein, wir hoppeln nun auf einem buckeligen Feldweg dahin. Als uns die erste Kuh entgegentrabt, bitte ich Max, vielleicht doch mal kurz das Smartphone-Navi einzuschalten und die Google-Allwissend-Map zu fragen. Dass es um die Casa keine befestigten Straßen gibt, hätte Angelika mir doch gesagt?
Das smarte Navi will, dass wir den ganzen Weg wieder zurückhoppeln. Aus Angst um die ächzenden Achsen unseres Mäuse-Autos sehe ich davon ab und hoffe, dass der Acker bald endet. Tut er auch. Wenig später geht es auf eine halbwegs geteerte Straße und scharf rechts runter – dort mündet der Weg nach wenigen Metern in einem kleinen Parkplatz. Ich mache den Motor aus, parke, und wir öffnen die Wagentüren – direkt vor uns stehen vier energisch bellende Hunde. Sie freuen sich doch hoffentlich, dass wir da sind? Da sie harmlos aussehen und offensichtlich das Begrüßungskomitee bilden, trauen wir uns aus dem Gefährt.
Ach, wie ich diesen Duft nach Pinien liebe, wie das Zirpen der Zikaden! Das ist der Süden, das ist Urlaub! In einem verwunschenen Garten liegt das jahrhundertealte Haus aus hellem Gestein vor uns, eine Hängematte baumelt zwischen zwei Bäumen. Ein fröhlich winkender bebrillter Mann, der in der brütenden Hitze eine mit Steinen beladene Schubkarre geschoben hat, kommt auf uns zu: Es ist Constantyn, Angelikas Mann, den ich bis dahin nur von Fotos kannte. Er begrüßt uns sehr herzlich und stellt uns die vierbeinigen Bewohner vor: die kleine, resolute Jack-Russell-Dame Lucy, ihren Sohn und Rudel-Anführer Fellini, die schwarze, langschnauzige Winzlings-Mischlingshündin Nora, Schlappohr Pluto sowie die Kater Nero und Harry. Später lernen wir noch einen Igel kennen, der vor einer Schüssel mit Wasser hockt und (noch) keinen Namen hat. Eigentlich hätten wir unseren kleinen Münsterländer Dexter auch mitbringen können. Lucy hätte dem wilden Lümmel bestimmt die Flötentöne beigebracht.
Unser Zimmer – eins von den insgesamt drei Gästezimmern – liegt im ersten Stockwerk und ist liebevoll und gemütlich eingerichtet: Terrakottaboden, am Fenster sachte wehende Vorhänge, ein schmiedeeisernes Himmelbett mit vielen Kissen, gegenüber ein mit cremeweißen Leinen bezogenes Einzelbett, ein alter Schrank voller Bücher, kleine Vasen mit frischen Blumen, hohe Kerzenständer mit dicken Kerzen, ein Paravent mit Kleiderbügeln, ein Steh-Ventilator sowie eine hübsche marokkanische Deckenlampe, die abends tanzende Punkte an die Decke werfen wird. Das geräumige, mit antiken Kacheln ausgekleidete Badezimmer hat eine Treppe nach draußen und beherbergt zur Freude meiner Tochter einen antiken Schminktisch. Unter dem kleinen gusseisernen Tisch, der auf dem Treppenabsatz vor dem Badezimmer steht, hat es sich einer der Kater bereits in der Sonne gemütlich gemacht.