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Zum Buch

Unkontrollierte Geldströme, Spieler, die zu reiner Ware werden, intransparente Firmengeflechte von Spitzenfußballern und Spielerberatern – Football Leaks enthüllt, wie allgegenwärtig schmutzige Geschäfte im Profifußball sind. Packend erzählen die SPIEGEL-Redakteure Rafael Buschmann und Michael Wulzinger, wie sie mit Hilfe des Whistleblowers John exklusive Einblicke in die geheimen Verträge und Absprachen zwischen Spielern, Beratern und Klubs erhielten und die dunklen Geheimnisse des Fußballbusiness enttarnten. Football Leaks ist eine Reise zu den Abgründen einer enthemmten und gierigen Branche.

Der Autor

Rafael Buschmann, geboren 1982 im polnischen Zabrze, studierte in Münster und Neu-Delhi/Indien Germanistik, Psychologie, Sport und Pädagogik. Seit 2010 war er Reporter im Sportressort von SPIEGEL ONLINE, bevor er 2013 zum SPIEGEL wechselte. Dort schreibt er vor allem über die Fußballnationalmannschaft, Matchfixing, Geldflüsse im Fußball, Rechtsextremismus im Sport sowie die Ultra- und Hooliganszene. Für die Enthüllungsgeschichte über die mutmaßlich gekaufte Weltmeisterschaft 2006 (»Das zerstörte Sommermärchen«) gewann er mit seinen Kollegen 2016 den Henri-Nannen-Preis.

Michael Wulzinger, geboren 1965 in Dortmund, studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Germanistik in Freiburg und Sevilla und kam nach Stationen bei der Tageszeitung »Die Rheinpfalz« und der »Badischen Zeitung« 1997 ins Sportressort des SPIEGEL. Von 2009 bis 2016 war er Ressortleiter der Sportredaktion, seither arbeitet er im Ressort Deutschland mit dem Schwerpunkt investigative Recherche.

Rafael Buschmann und
Michael Wulzinger

Football
Leaks

Die schmutzigen Geschäfte
im Profifußball

Deutsche Verlags-Anstalt

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Umschlag: Büro Jorge Schmidt, München

Umschlagmotiv: © Getty Images

Typografie und Satz: DVA / Andrea Mogwitz

Gesetzt aus der Minion

ISBN 978-3-641-21399-2
V007

www.dva.de

Inhalt

Prolog

Die Enthüller

Inshallah, Könige!

Die Suche

Die Steuertouristen

Der Durchbruch

Leibeigene auf Zeit

Die Krise

Gönnen können

Die Geldregner

Der Datenberg

Verhökerte Lieblinge

Widerspenstig

Der goldene Schuss

Der Zufluchtsort

Das ganz große Geld

Der Gefangene

Die Partner

Auf der Seidenstraße

Schweizer Sickergruben

Im Steuerparadies

Der Besuch

Dokumente der Gier

Feiern und Fragen

Brandbriefe

Das Beben

Aufgedreht

Danksagung

Register

Prolog

Am 2. Dezember 2016 erschien der SPIEGEL mit einer Titelgeschichte, die zwei unterschiedliche Cover hatte. Auf dem einen war das Gesicht Cristiano Ronaldos zu sehen, auf dem anderen das Gesicht Mesut Özils, zwei Weltstars des Fußballs. In ihren Augen leuchteten Euro-Zeichen, die Schlagzeile hieß »Die Geldmeister«. Im Heft fanden sich zu beiden Spielern große Enthüllungsgeschichten über ihre zweifelhafte Steuermoral.

In der folgenden Ausgabe machte das Magazin mit einer weiteren Titelgeschichte auf, die die geheimen Verträge der Profis in der Fußball-Bundesliga beleuchtete. In Dutzenden weiteren Geschichten, die im Heft, auf SPIEGEL ONLINE und bei SPIEGEL TV erschienen, wurde den Lesern und Zuschauern die dunkle, die schmutzige, die kriminelle Seite des Milliarden­geschäfts Fußball gezeigt.

Es ging um eine Sportvermarktungsagentur, die mit den bedeutendsten Klubs Europas Geschäfte macht und die enge Verbindungen in die südosteuropäische Unterwelt pflegt. Es ging um Spielervermittler, die die bekanntesten südamerikanischen Profis bei Klubs wie Real Madrid, Juventus Turin oder Manchester United vertreten und die mithilfe von Strohmännern Beraterhonorare für Transfers und Vertragsverlängerungen im zweistelligen Millionenbereich auf Konten einer Firma auf den British Virgin Islands schleusten, einem Steuerparadies in der Karibik. Es ging um den besonders widerlichen Handel mit minderjährigen Talenten aus Entwicklungsländern, die von einer großen Karriere träumen und an die falschen Leute geraten. Es ging um Finanziers, die skrupellos in Transferrechte von Spielern investierten und deren einziges Interesse darin lag, größtmöglichen Profit aus ihrem Investment zu schlagen. In vielen Beiträgen ging es um die scheinbar ganz alltäglichen Geschäfte im Fußball, einer der schillerndsten Branchen der weltweiten Unterhaltungsindustrie: um geheime Nebenabsprachen, um Gefälligkeiten im sechs- und siebenstelligen Euro-Bereich, um Knebelverträge, den Verdacht der Untreue, den Verdacht des Betrugs. Immer ging es um Geld, und immer ging es auch um Gier.

Möglich gemacht hat diese Einblicke in die Dunkelkammern des Profifußballs die Enthüllungsplattform »Football Leaks«, die im September 2015 damit begonnen hatte, Brancheninterna ins Netz zu stellen – Originalverträge, streng vertrauliche Klauseln, Geldflüsse. Doch dann war es auf der Football-Leaks-Seite plötzlich still geworden: Einer der Macher hatte sich entschlossen, mit dem SPIEGEL zu kooperieren und dem Nachrichten-Magazin einen riesigen Datensatz von 1,9 Terabyte zu überlassen. Woher das Material stammt, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Es kommt aus zahlreichen Ländern, offenbar von Verbänden, Vereinen, Berateragenturen, Konzernen. Eines ist sicher: Es gibt nicht nur die eine Ursprungsquelle für die Dokumente. Ein entscheidendes Argument für die Weitergabe der Daten war aus Sicht von Football Leaks, dass so nicht nur einzelne Schriftstücke veröffentlicht werden konnten, sondern dass die Möglichkeit bestand, die Geschichten und Zusammenhänge hinter den Zahlen und Verträgen zu erzählen.

Weil dieser Datensatz 18,6 Millionen Dokumente enthält, entschloss sich der SPIEGEL, den Schatz mit seinen Partnern vom Recherchenetzwerk European Investigative Collaborations (EIC) zu teilen. Zu dem Verbund gehören die Medienhäuser »Mediapart« in Frankreich, »NRC Handelsblad« in den Niederlanden, »Politiken« in Dänemark, »Le Soir« in Belgien, »L’Espresso« in Italien, »El Mundo« in Spanien, »NewsWeek« in Serbien, »Falter« in Österreich sowie »RCIJ / The Black Sea« in Rumänien. Verstärkt wurde das Investigativprojekt zudem von »The Sunday Times« in Großbritannien und »Expresso« in Portugal.

60 Reporter und Dokumentare, dazu IT-Experten und Juristen arbeiteten sieben Monate lang an einer Röntgenaufnahme des Milliardengeschäfts Fußball, wie es sie niemals zuvor gegeben hat. Dieses Buch beschreibt, wie es dazu kam. Und es erzählt die Geschichte des Informanten, der sich mit den mächtigsten Vertretern einer enthemmten und immer einflussreicher werdenden Branche angelegt hat. Er ist ein junger Mann aus Portugal, der ohne festen Wohnsitz in Osteuropa lebt, intelligent, verwegen, getrieben, gehetzt, zwischen Furchtlosigkeit und Verzweiflung schwankend, ein Romantiker des Fußballs, ein leidenschaftlicher Fan.

Einer, der es nicht ertragen könne, wie er selbst von sich sagt, dass die Branche durchsetzt sei von gewissenlosen Geschäftemachern. Als eines seiner Hauptmotive für Football Leaks, das größte Datenleck in der Geschichte des Sports, bezeichnet er seine Wut: die Wut auf die Profiteure des schmutzigen Geldes, das der Fußball anzieht und bewegt. Er nennt sie »die Feinde des Spiels«, ihnen gilt sein Feldzug, sie will er bloßstellen, entlarven, überführen, mit nicht zu widerlegenden Fakten: Verträgen und Nebenabreden, Kontoauszügen, Rechnungen. Die Feinde des Spiels sind nun auch seine, er wurde vom Jäger zum Gejagten.

Vier Kapitel dieses Buches betreffen Personen und Themen, um die es bereits im SPIEGEL ging: Cristiano Ronaldo, den skrupellosen Sportvermarkter Doyen, die Gier der Spielerberater und die geheimen Klauseln der Spielerverträge. Diese Geschichten wurden neu aufgelegt, teilweise mit Informationen und Dokumenten, die uns nach den Dezember-Veröffentlichungen im SPIEGEL zugespielt wurden. Neun weitere Kapitel, die hier veröffentlicht werden, stammen ebenfalls aus dem Material von Football Leaks. Sie geben neue Einblicke in die Fußballbranche.

Zwei Geschichten beleuchten die sogenannte Third-Party-Ownership (TPO), die mittlerweile vom Weltfußballverband Fifa verbotene Beteiligung Dritter an den Transferrechten von Fußballprofis, eine davon spielt in Hoffenheim. Sie beschreibt, wie eine Firma, an der der Mäzen Dietmar Hopp beteiligt war, Transferrechte an Spielern seines Klubs erwarb, etwa an dem brasilianischen Nationalspieler Firmino, der für die Rekordablöse von 40 Millionen Euro zum FC Liverpool wechselte. Die andere Geschichte beschäftigt sich mit dem spanischen Spitzen­klub Atlético Madrid, dessen Vereinsboss über Jahre die besten Spieler seines Kaders an einen undurchsichtigen Investmentfonds verhökert hat, hinter dem der portugiesische Berater Jorge ­Mendes steckt.

Der Adidas-Konzern ist einer der einflussreichsten Akteure in der weltweiten Vermarktung des Fußballs. Vertrauliche Dokumente belegen, mit welchen Summen und welchen Verträgen der Sportartikel-Gigant die populärsten Klubs und die prominentesten Stars an sich bindet – und wie die Milliardenzahlungen des Konzerns aus Herzogenaurach den sportlichen Wettbewerb langfristig aushöhlen.

Finanziell sind Vereine wie Real Madrid und Manchester United, zwei Adidas-Klubs, den meisten Konkurrenten in Europa längst entrückt. Wie weit, das enthüllen drei Beiträge. In einem geht es um die Champions-League-Prämien der Real-Stars und eine ebenfalls mit dem Titelgewinn verbundene 13-Mil-
lionen-Euro-Klausel im Vertrag ihres Trainers Zinédine Zidane. Ein weiterer Beitrag deckt das Gehalt des bis Sommer 2017 bestbezahlten Spielers der englischen Premier League auf, des Schweden Zlatan Ibrahimović. Ein dritter Beitrag beleuchtet den 105-Millionen-Euro-Transfer seines Mannschaftskameraden Paul Pogba zu Manchester United, des bis Sommer 2017 teuersten Spielers der Welt. Pogbas Berater Mino Raiola hatte für den Franzosen im Jahr zuvor abenteuerliche Summen ausgehandelt. Auch für Raiola wurde Pogbas Transfer zum Deal seines Lebens, er kassierte 49 Millionen Euro. Im Rausch des Geldes hob der Superberater dann offenbar ab. Die Dokumente von Football Leaks belegen, dass Raiola von drei Parteien kassierte: von Pogbas altem Klub Juventus Turin, von Pogbas neuem Klub Manchester United und von Pogba selbst.

Lag die Rekordablöse im Sommer 2016 also noch bei 105 Millionen Euro, so schnellte sie im Jahr darauf um mehr als das Doppelte in die Höhe. Die Summe, die das Irrationale wie das Vulgäre des Geschäfts seither symbolisiert, liegt nun bei 222 Millionen Euro. Das war der Preis, den Paris Saint-Germain (PSG) im August 2017 an den FC Barcelona bezahlte, um den brasilianischen Stürmer Neymar aus seinem Vertrag herauszukaufen. Dieser Deal zeigt, dass selbst Topvereine wie der FC Barcelona erpressbar sind und sich ihrer besten Spieler nicht mehr sicher sein können.

Noch im Sommer 2016 hatten die Katalanen Neymars Vertrag vorzeitig verlängert und ihn zum bestbezahlten Spieler ihres Kaders gemacht, besser entlohnt als der fünffache Weltfußballer Lionel Messi. Dennoch trat Neymar in den Streik, bis er schließlich die Freigabe erhielt und zu jenem Klub wechseln konnte, der wie kein zweiter für die politischen Ambitionen eines Staates instrumentalisiert wird – zu Paris Saint-Germain, dem Prestigeprojekt des Emirats Katar.

Die Dokumente von Football Leaks belegen, wie vergiftet die Atmosphäre zwischen dem FC Barcelona und Neymar war. Sie zeigen aber auch, dass der FC Barcelona, in diesem Fall der Unterlegene, seine Strahlkraft ausnutzt, um anderen Vereinen mit denselben Methoden wie PSG die besten Spieler abspenstig zu machen. Bei Ousmane Dembélé, dem Jungstar von Borussia Dortmund, wirkten die Summen, die Barça ihm bot, um seinen Wechsel zu erzwingen. Bei Philippe Coutinho vom FC Liverpool, dem zweiten Wunschkandidaten des FC Barcelona, kam es erst ein halbes Jahr später zum Transfer. Im Sommer 2017, auch das zeigen die Dokumente von Football Leaks, konnte sich der FC Liverpool den skrupellosen Abwerbeversuchen der Barça-Bosse noch erfolgreich widersetzen.

Doch auch der FC Liverpool handelt nach dem Prinzip: oben sticht unten. Das zeigte der Kauf des holländischen Profis Virgil van Dijk vom FC Southampton im Januar 2018 zum Preis von 70 Millionen englischen Pfund plus vier Millionen Pfund variabler Zahlungen, der bis dahin höchsten Ablösesumme für einen Abwehrspieler. Katarische Vereinsbesitzer mögen die Preisspirale für Topspieler wie Neymar oder den Franzosen Kylian Mbappé in immer neue Höhen treiben. Die Fernsehmilliarden der englischen Premier League hingegen sorgen dafür, dass nicht nur den 1A-Kräften, sondern auch den 1B- und den 1C-Spielern, die es aus allen Kontinenten auf die Insel zieht, mittlerweile Gagen und Prämien bezahlt werden, die noch vor drei Jahren unvorstellbar gewesen wären. 16 Millionen Euro festes Jahresgehalt? 2,5 Millionen Euro für einen Champions-League-Sieg? 55 Millionen Euro Ablösesumme für einen mittelmäßigen Mittelfeldmann? Sechs Millionen Euro in die Hand eines Spielers nach seiner Vertragsunterzeichnung, sieben Millionen Euro für seinen Berater?

Im Material von Football Leaks finden sich zahlreiche Transfervereinbarungen und Arbeitsverträge, die die wichtigsten englischen Profiklubs bis Januar 2018 abschlossen. Jedes Dokument für sich zeichnet das Bild einer grassierenden Hyperinflation.

Der Markt ist entfesselt wie niemals zuvor, und mit das größte Geld lockt in China, wie eine weitere Geschichte in diesem Buch beschreibt. Im Material von Football Leaks finden sich die Belege: Dutzende von Arbeitsverträgen mit Profis wie den Argentiniern Ezequiel Iván Lavezzi oder Carlos Tévez, die den Altstars obszöne Gehälter garantierten – bis zu 56,7 Millionen Dollar netto für nicht einmal zwei Jahre.

Doch für die besten jungen Spieler der Welt bleiben die Sehnsuchtsziele die englische Premier League, die spanische Primera División, die italienische Serie A oder die deutsche Bundesliga. Um den Sprung in eines dieser Länder zu schaffen, müssen die begehrten Talente aus purer Not häufig mit den Bossen ihrer alten Klubs paktieren. Gerüchte über Vereinsfunktionäre, die sich am Verkauf von Spielern in die besten Ligen Europas bereichern, kursieren seit Jahren. Football Leaks liefert dazu umfassende Belege von Klubs auf dem Balkan, betroffen sind Spieler wie der vom Hamburger SV verpflichtete Alen Halilović, Mijat Gaćinović von Eintracht Frankfurt, Tin Jedvaj von Bayer Leverkusen. Im Zentrum dieser mafiösen Machenschaften steht Dinamo Zagreb. In dem Klub regierte ein Familienclan, der über ein Netz von Briefkastenfirmen Ablösesummen im zweistelligen Millionenbereich ins Ausland verschob – nach Hongkong, nach Dubai, nach Malta, in die Schweiz.

Der Profifußball war schon immer eine undurchsichtige Branche, eine Branche, die schnell vergisst und der man schnell verzeiht. Wenn die Helden des Vereins Steuern hinterziehen, ist das für Fans etwas anderes, als wenn Politiker oder Wirtschaftsbosse Steuern hinterziehen. Die Leidenschaft, die im Spiel ist, das Bangen wie das Hoffen, die Wucht der Masse, die Sehnsucht nach Erlösung, all dies hat eine Verführungskraft, die die Verstandeskraft bezwingt. Man ahnte, dass Vereinspräsidenten sich bereichern. Man ahnte, dass Spielerberater sich die Taschen vollstopfen. Man ahnte, dass Ablöse­summen in Steueroasen landen und dass Profis ­verschachtelte Firmenkonstruktionen für ihre Werbeeinahmen aufgebaut haben.

Die Enthüllungen durch Football Leaks sind deshalb so bedrohlich für das Business, weil sie den Unterschied zwischen Ahnung und Gewissheit bedeuten. Denn Football Leaks argumentiert mit Fakten aus originalen Dokumenten. Je deutlicher wird, wie verrottet das System Profifußball tatsächlich ist, wie grotesk überbezahlt die Spieler und Berater, wie korrupt prominente Vereinsvertreter, je weiter sich das Illusionstheater von der Lebenswirklichkeit der Fans entfernt, desto eher könnten sie sich irgendwann doch abwenden.

Fußball ist ein wunderschönes Spiel. Aber die Geduld der Menschen, die dieses Spiel lieben und die es bezahlen, ist nicht grenzenlos.

Hamburg, im März 2018

Rafael Buschmann und Michael Wulzinger

Die Enthüller

Da steht er, der Unsichtbare, das Phantom, der Mann, der keine Spuren hinterlässt. Endlich. Monatelang konnten wir uns nur schreiben. Erst antwortete er gar nicht, dann zögerlich und unregelmäßig. In den Mails stand oft nur das Nötigste, kurze Sätze, kaum Details.

Er ist kein Mensch, der leicht vertraut, das wird schnell klar. Man kann es ihm auch kaum verübeln. Immerhin ist er auf der Flucht, versteckt sich vor der Unterwelt, vor Privatdetektiven und der Polizei. Jeder Fehler könnte ihn enttarnen. Nachvollziehbar, dass so jemand lange braucht, um sich aus der Deckung zu wagen. Nun, im Februar 2016, schreibt er, müsse er etwas persönlich mit uns besprechen. Es sei dringend.

Zu unserem ersten Treffen kommt es in einer Stadt in Osteuropa. Draußen liegt Schnee, drinnen, im kleinen Hotelzimmer, ist es heiß und stickig. Die Heizung lässt sich nicht herunterdrehen. Keine Wohlfühlatmosphäre.

Wie sollen wir ihn überhaupt ansprechen? Nicht einmal einen Namen hat er uns genannt. »Nenn mich John«, sagt er.

So beginnt es also, das Abenteuer, das uns in einer monatelangen Reise zu den Abgründen der Fußballbranche führen wird. John ist Football Leaks. Die kleine Website, die seit einiger Zeit für so große Aufregung sorgt, ist sein Sprachrohr. Seine Daten sind seine Stimme, sie erzeugen Wucht, vom ersten Tag an.

Football Leaks erscheint wie aus dem Nichts im Internet. Damals noch ohne Hinweis auf John oder einen der Macher und auch ohne Erklärung oder Manifest, nur eine Internetseite mit Dokumenten. Ende September 2015 tauchen die ersten Verträge auf, sie dokumentieren wilde Transfergeschäfte mit ­jungen ­Spielern, geben Hinweise auf anrüchige Absprachen zwischen Vereinspräsidenten und Spielerberatern, die teilweise sogar Provisionszahlungen untereinander aufgeteilt haben sollen, sogenannte Kickbacks, schmutzige Deals, von denen man schon lange vermutet, dass sie fester Bestandteil der Branche sind. Nun stehen diese Geheimnisse offen im Netz.

Zuerst erwischt es Portugal. Die Dokumente, die, plopp, auf der Football-Leaks-Homepage erscheinen, stammen aus dem Inneren von Benfica und Sporting Lissabon, später auch vom FC Porto, den drei führenden Klubs des Landes also. Die Dokumente scheinen echt zu sein, sie sind gegengezeichnet, sie tragen Paraphen und Stempel, ihr Inhalt ist streng vertraulich: Firmengeheimnisse, Verschlusssachen, Papiere für den Giftschrank. Woher kommt das Zeug?

Football Leaks äußert sich dazu nicht, stattdessen spült die Website immer mehr Dokumente an die Internetoberfläche, les- und downloadbar für jeden. Die Enthüllungen sind für die Fußballbranche nicht nur eine Provokation, sondern auch eine akute Bedrohung. »Niemand weiß genau, was da gerade passiert, aber jeder weiß, dass er nicht der nächste sein will«, sagt ein Funktionär eines europäischen Fußballklubs der »New York Times«. Seinen Namen nennt der Mann nicht – um die Gruppe nicht unnötig herauszufordern.

John, der Unbekannte aus den Untiefen des Internets, sitzt zu diesem Zeitpunkt irgendwo auf der Welt vor seinem Computer und amüsiert sich prächtig. Er liest in den Fanforen und Medien Spekulationen darüber, wer oder was Football Leaks alles sein soll: eine Einzelperson, eine Gruppe, ein Angestellter der portugiesischen Liga, ein ehemaliger Mitarbeiter des Weltverbandes Fifa. Oder doch ein ehemaliger Spielerberater, der es seinen Konkurrenten, vielleicht gar der ganzen Branche, heimzahlen möchte? Was sind die Motive des oder der Verantwortlichen? Rache? Habgier? Wahnsinn? Lust an der Provokation? Viele Fragen, wilde Spekulationen. Nur eines ist unstrittig: Die Enthüllungen der Football-Leaks-Seite besitzen eine enorme Sprengkraft. Sie sind ein Frontalangriff auf das Milliarden­geschäft Fußball.

In der Wirtschaft und in der Politik, selbst bei den Kirchen gab es in der Vergangenheit immer wieder Leaks, also große Datenmengen, die an die Öffentlichkeit kamen und für Aufruhr sorgten. Aber im Sport? Im Fußball? Die Enthüllungen von Football Leaks sind eine Premiere. Der Angriff der Whistleblower trifft die Branche völlig unvorbereitet. Wer die Football-Leaks-Dokumente liest, kann nur zu dem Schluss kommen, dass der Profifußball nie damit gerechnet hat, dass seine schmutzigen Geheimnisse irgendwann einmal an die Öffentlichkeit geraten könnten.

In den vergangenen Jahren hat die Branche sich immer deutlicher zu einer Parallelwelt entwickelt, mit ganz eigenen Vorstellungen von Recht und Gesetz, Anstand und Moral. Die Millionen und Milliarden, die von Fans, Sponsoren und Fernsehanstalten in den Markt gespült werden, haben womöglich zwangsläufig zu Überheblichkeit und Selbstüberschätzung führen müssen – bis hin zum Größenwahn.

Die Unterhaltungsindustrie Fußball hat eine gesellschaftliche Bedeutung erlangt, die weit über das Spiel hinausragt. Wenn es um die politischen und wirtschaftlichen Interessen der Branche geht, kommt an den Lobbyisten des Fußballs kein Volksvertreter vorbei – egal, ob Fragen des Steuerrechts, neue Abgabevorschriften für Kapitalgesellschaften oder Landeszuschüsse für Stadionbauten auf der Agenda stehen.

Die Nähe des Profifußballs zur Macht und zu den Mächtigen ist groß, die Grenzen zu Politik und Wirtschaft sind fließend. Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht die deutsche Nationalmannschaft. Zur Wahl des neuen Bundespräsidenten werden auch der Bundestrainer Joachim Löw und der Chef der Deutschen Fußball Liga, Reinhard Rauball, eingeladen. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Reinhard Grindel, war Abgeordneter des Deutschen Bundestages, die Vorstandschefs der Unternehmen Telekom und Audi sitzen im Aufsichtsrat von Bayern München. Und wenn der Weltverband Fifa den Zuschlag für eine Weltmeisterschaft vergibt, kommt sogar der Emir von Katar persönlich nach Zürich.

Doch wenn Politik und Wirtschaft fast überall auf der Welt die Nähe zum Profifußball suchen, weil er sie glänzen lässt, wer kontrolliert dann eigentlich noch diese Branche? Die Medien? Unabhängigen Journalismus bekämpft der Fußball mit Schärfe und Ausgrenzung. Die Pressestellen erlauben Gespräche mit den Sportlern und Funktionären nur dann, wenn sie am Ende jedes Wort, das geschrieben wird, gegenlesen und im Zweifel auch verändern können. Direkte, unverhüllte Nähe zu den Akteuren gibt es für Reporter kaum noch, zumal oft auch noch persönliche Medienberater und Spieleragenten das öffentliche Bild der Kicker mitbestimmen wollen.

Reporter, die sich nicht vereinnahmen lassen, die zu viel schnüffeln, die die Realität und nicht das sorgfältig konstruierte Image beschreiben wollen, werden unter Druck gesetzt und nicht selten ausgebootet. Der Profifußball kann da sehr unangenehm sein, man könnte auch sagen: manipulativ. Kritische Journalisten bekommen oft keine Interviews mehr, dürfen nicht an Hintergrundgesprächen teilnehmen, und es passiert auch, dass die Klubs ihnen ohne Vorwarnung die Akkreditierung, also die Arbeitserlaubnis, entziehen. Hofberichterstatter haben keine Probleme. Den anderen droht auch schon mal Hausverbot.

Die Lage ist simpel: Der Fußball ist mittlerweile so groß geworden, so einflussreich, dass er die Medien nicht mehr braucht. Alles, was Vereine, Verbände, Funktionäre und Spieler zu sagen haben, können sie über YouTube, Twitter und Facebook sagen – ungefiltert und ungeprüft. Zudem sitzen Wochenende für Wochenende Millionen Fans im Stadion und vor den TV-Geräten und bekommen eine Wirklichkeit serviert, die die Branche auch zeigen möchte. Der europäische Fußballverband Uefa geht mittlerweile so weit, dass er bei ­Europameisterschaften die Ausschreitungen von Hooligans aus der Übertragung herausschneidet. Sie schaden dem Produkt.

Gibt es überhaupt noch jemanden, der diese erfolgstrunkene, selbstgerechte Branche kontrolliert? Die Justiz? Die Polizei? Manchmal: ja. In den meisten Fällen: nein. Die Fußballbranche verfügt über genügend Ressourcen, um sich die besten Anwälte, Steuerexperten und Unternehmensberater zu leisten. Deren Aufgaben sind klar abgesteckt: Sie müssen Lösungen finden, um krumme, dreckige Deals sauber und legal erscheinen zu lassen.

Die Football-Leaks-Daten werden deutlich machen, dass fast jeder überdurchschnittlich verdienende Spieler mittlerweile Beteiligungen an einem oder mehreren Unternehmen hält. Insbesondere in Spanien oder England werden eigens Firmen für die Kicker gegründet, an die das Geld für deren Werberechte fließt. Auch die Vereine zimmern mit an diesen labyrinthischen Unternehmensstrukturen, die häufig in Steueroasen in der Südsee oder der Karibik enden. Das Verschachteln, Vernebeln, Verstecken dient dabei nur einem Ziel: der Steuerminimierung. Aus Brutto möglichst viel Netto zu machen scheint der Urtrieb aller Beteiligten zu sein, und so kommt es, dass im Fußball kaum ein größerer Geldfluss einen eindeutigen, geraden Verlauf nimmt.

Ermittler, die einer viel versprechenden Spur folgen, stoßen schnell an ihre Grenzen: die der Nationalstaaten. Spieler wechseln von einem Land ins nächste und von einem Kontinent zum anderen, Honorare für Berater können überallhin gezahlt werden, auch zur kleinsten Bank auf der entlegensten Insel – inklusive der vielen Steueroasen, in denen schmutziges Geld ganz schnell in sauberes verwandelt wird. Polizei und Staatsanwaltschaften müssen diesen Machenschaften oft ohnmächtig zuschauen. Die Justiz arbeitet immer noch sehr länderbezogen, deutsche Steuerfahnder prüfen nach deutschem Recht, französische nach französischem, und der Austausch zwischen den Behörden einzelner Länder ist auch in einer globalisierten Welt überraschend schwer. Manche Rechtshilfeersuche an Länder in Afrika, Südamerika oder in der Karibik sind den Aufwand nicht wert – jeder Polizist in Bochum oder Bordeaux weiß, dass solche Anfragen nicht einmal beantwortet werden.

Die hoch bezahlten Finanz- und Steuerexperten der Fußballwelt kennen diese Schwachstellen, und sie sind Profis darin, die Löcher im System zu nutzen. So wird aus einer zweifelhaften Überweisung eines deutschen Erstligisten an eine Firma auf den British Virgin Islands ein ganz alltäglicher Zahlungseingang auf dem Konto eines Spielerberaters. Solange der Fußball seine Geschäfte so klandestin regeln kann, ist er beinahe unangreifbar.

Dieser Logik folgend hat sich der Fußball längst sein eigenes Regelwerk geschaffen, ein Universum, das Ordnung und Kon­trolle vorgaukelt, in die Geschäfte der Branche soll sich möglichst keine Instanz von außen einmischen. So haben die Verbände ganze Abteilungen und Stäbe aufgebaut, die die Lizenzen für die Profiklubs vergeben. Dabei wird unter anderem überprüft, ob ein Klub sauber und seriös gewirtschaftet hat, ob die Bilanzen stimmen und wer in den Klub investiert. In den Verbänden entstehen auch vermehrt Ethikkommissionen und Compliance-Teams, die alle Deals kontrollieren und vor möglichen Interessenkonflikten warnen sollen. Die Football-Leaks-Dokumente werden deutlich machen, dass vieles davon nur Fassade ist.

Enthüllungen über die Korruptionsorgien beim Weltverband Fifa oder die Sommermärchen-Affäre beim DFB haben die Glaubwürdigkeit der Fußballbranche zuletzt stark ramponiert. Es soll ein Zeichen der Entschlossenheit darstellen und verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, wenn Verbände plötzlich Antikorruptionsbeauftragte beschäftigen und Vereine sich den Regeln guter Unternehmensführung verpflichten. Schaut her, lautet die Botschaft, wir haben verstanden – wir ändern unser Geschäftsgebaren, wir sorgen für Transparenz. Nur: Wer mag daran glauben, dass sich ein dermaßen verfilztes Milieu aus sich selbst heraus erneuern kann?

Die Macher von Football Leaks zumindest nicht. Und während die Welt im Herbst 2015 noch rätselt, wer die Betreiber der Plattform sind, starten die Whistleblower schon den nächsten Angriff. Er soll zeigen, dass es in Zukunft jeden treffen kann, weit über Portugal hinaus. Dass kein internes Dokument im Fußballbusiness mehr sicher ist. Dass Football Leaks nicht lockerlässt. Und dass die unsichtbaren Macher auch keine Angst davor haben, sich mit der finsteren Seite des Geldes anzulegen.

Twente Enschede – eine Marionette

Im Herbst 2015 veröffentlicht Football Leaks innerhalb weniger Tage zwei Verträge. Jeder Vertrag für sich taugt zu einem Skandal. Zusammengenommen aber werden sie einem niederländischen Spitzenklub fast zum Verhängnis. Football Leaks erlangt mit diesen Enthüllungen zum ersten Mal europaweite Aufmerksamkeit. Die Vereinbarungen beinhalten so gut wie alles, was den Profifußball langsam, aber unerbittlich zerstört.

Der erste Vertrag, abgeschlossen am 25. Februar 2014 zwischen Twente Enschede und dem Sportvermarkter Doyen Sports, handelt von einem Investorenmodell, das die Fifa wenig später, ab Mai 2015, verbieten wird. Die sogenannte Third-Party-Ownership, kurz TPO, ist eine Art Wette auf Menschen. Kurz zusammengefasst: Ein Investor kauft Anteile an den Transferrechten eines zumeist jungen Spielers und setzt darauf, dass der Spieler so gute Leistungen bringen wird, dass sich sein Marktwert steigert. Wenn der Verein den Spieler dann verkauft, kassiert der Investor eine Rendite. Das ist die einfachste Variante.

TPO kann aber auch als labyrinthisches Konstrukt aufgebaut sein, in dem sich insbesondere hoch verschuldete Klubs verlaufen können. So wie im Fall Twente Enschede. Der niederländische Verein hat in seiner 50-jährigen Geschichte nur mittelmäßige Erfolge gefeiert, erst durch eine millionenschwere Finanzspritze des Edelfans und Funktionärs Joop Munsterman kommen die Triumphe: Twente investiert viel Geld in den eigenen Kader, wird 2010 niederländischer Meister, qualifiziert sich anschließend für die Champions League. Es sind Feiertage.

Doch die Party findet schon bald ein Ende. Der Klub hat sich übernommen, der Kader ist zu teuer, die Ausgaben für die Spieler erdrücken den Verein. Twente müsste jedes Jahr in der Königsklasse spielen, um die Gehälter annähernd zahlen zu können. Pech nur: Der Klub schafft es nie wieder, sich für die Champions League zu qualifizieren. Anfang 2014 ist der Verein hoch verschuldet. Doch statt sich zu besinnen, die teuren Spieler zu verkaufen und auf die eigene Jugend zu setzen, geht Twente einen Weg, der typisch ist für all die falschen und hohlen Versprechungen im Profifußball: Die Vereinsbosse lassen sich mit einem dubiosen Investoren ein.

Doyen Sports, eine Sportrechtefirma mit Sitz in London und auf Malta, erwirbt Anteile an den Transferrechten von fünf Twente-Spielern. Fast alle Profis stehen noch am Anfang ihrer Karriere. Twente ist europaweit bekannt für seine groß­artige Jugendausbildung, in den Jahren zuvor hat der Klub einige Spieler für zweistellige Millionenbeträge verkauft. Der Investor riecht ein großes Geschäft. Twente kassiert für diesen Deal eine Einmalzahlung: fünf Millionen Euro. Peanuts. Der Verein, so wirkt es, tut in dieser Phase alles für frisches, schnelles Geld. Anders lässt sich kaum erklären, warum klar denkende Menschen einen solchen Vertrag unterschreiben.

Denn Doyen kassiert nicht nur, wenn Twente einen der Spieler verkauft. Nein, Doyen baut auch so viel Kleingedrucktes in die Verträge ein, dass sich der Einsatz dieser Drückerkolonne quasi im Schlaf vermehrt – das wirtschaftliche Risiko trägt eigentlich immer nur Twente. Selbst wenn der Marktwert der Spieler in den Keller rauscht, bekommt Doyen einen Teil seines Geldes zurück: Im Fall des Stürmers Luc Castaignos liegt die Summe im ersten Vertragsjahr bei 1,5 Millionen Euro und ­steigert sich pro weiterer Spielzeit um zehn Prozent. Das Geld muss Twente auch dann zahlen, wenn der Spieler Sportinvalide würde und nie wieder Fußball spielen könnte. Doyen würde auch weiter mitverdienen, wenn der Profi an einen anderen Verein verliehen würde. Zudem unterschreibt der abgebrannte Klub eine Klausel, wonach er die Investoren über alle Angebote, Verhandlungen oder auch nur das Interesse eines anderen Vereins an einem der Spieler unverzüglich informieren muss.

Doch damit nicht genug. Bereits am 27. Dezember 2013, also rund zwei Monate vor jenem Fünf-Millionen-Vertrag, haben Twente und Doyen eine weitere Abmachung unterzeichnet. Auch dieses Dokument enthüllt Football Leaks.

Dieser Vertrag hat eine entscheidende Klausel, nach der sich der Verein verpflichtet, Doyen auch dann auszubezahlen, wenn er gegen den Wunsch des Investors einen Transfer ablehnt. Ein Knebelvertrag. Denn nicht der Verein, nicht die sportliche Führung bestimmen von nun an über Mannschafts- und Kaderzusammenstellung, sondern faktisch der Investor, der mit den klubinternen Entscheidungen eigentlich überhaupt nichts zu tun haben sollte. Eine solche Abmachung untergräbt nicht nur den gesamten sportlichen Wettbewerb, die Klausel treibt den Verein auch in eine Situation, in der er nur noch verlieren kann – um Doyen nicht auszahlen zu müssen, ist Twente fast gezwungen, seine besten Spieler zu verkaufen.

Abgesehen von den aus sportlicher Sicht fatalen Folgen solch eines Konstrukts, wirft die Abmachung zwischen Twente und Doyen auch Fragen auf, die die Moral des Spiels und den Umgang von Profivereinen mit ihren Fans thematisieren. Wie kann man es als Verein rechtfertigen, Gewinne mit den Trikotverkäufen der Spieler zu erwirtschaften – und dabei gleichzeitig auf ihren Abgang und hohe Transfererlöse zu hoffen? Wie müssen sich Fans fühlen, denen bei jeder großen Vertragsverlängerung Marketingprojekte suggerieren, dass ein Spieler in den kommenden Jahren auf jeden Fall das Trikot des ­jeweiligen ­Vereins tragen werde – die Klubs aber gleichzeitig einem Investoren versprechen, dass der Spieler beim nächsten Leistungssprung und einem guten Angebot wechseln darf? Es ist der pure Zynismus: einerseits die Loyalität und Treue von Fans auszunutzen, andererseits zu glauben, dass das schon keiner merken werde.

Bis zur Veröffentlichung der Verträge durch Football Leaks sind nämlich nicht nur die Fans ahnungslos. Auch der niederländische Fußballverband KNVB hat keinen Schimmer von diesem zwielichtigen Investorenkonstrukt. Twente hat lediglich den zweiten Vertrag beim Verband eingereicht, den ersten halten der Verein und sein Investor streng unter Verschluss.

Nachdem Football Leaks die Dokumente publik macht, braucht der KNVB nicht lange für eine Bewertung dieser Absprache: Sie sei sittenwidrig. Und damit verboten.

Während die Fans von Twente gegen das unmoralische Geschäftsgebaren ihres Vereins protestieren, bemühen sich Doyen und der Klub um die sofortige Auflösung des Vertrages. Aber auch dieses Ausweichmanöver bleibt Football Leaks nicht verborgen, die Dokumente wandern erneut auf die Website der Enthüller, inklusive heikler Mails, die der Doyen-Sportdirektor Nélio Lucas, von dem hier noch sehr häufig die Rede sein wird, an seine Mitarbeiter verschickt: »Lasst uns keine Zeit verlieren, es ist sehr wichtig, dass sie uns noch dieses Jahr und so bald wie möglich etwas zahlen.« 3,3 Millionen Euro kassieren die Investoren bei der Auflösung des Vertrages.

Für Twente allerdings kommt’s nun erst richtig dicke. Zunächst entzieht der Verband dem Verein die Lizenz für die erste Liga. Nach einigen Verfahren wird die Entscheidung zwar abgemildert, doch dafür werden Twente strenge Finanzauflagen sowie eine dreijährige Sperre für europäische Wettbewerbe aufgebrummt. Außerdem muss der Verein 180 000 Euro Strafe zahlen. Statt der Rettung für seine finanziellen Probleme, die der Verein sich von dem Deal mit Doyen versprach, steht er nun deutlich schlechter da als vorher.

War Twente Enschede, der kleine niederländische Klub, nur eine Ausnahme? Ein zu leichtes Opfer, das sich von Investoren hat ausnehmen lassen? Leider nein. Vielmehr liefert dieser Fall nur einen ersten Einblick in die Abgründe des Fußballs. Und Doyen, ein Investor, der zuvor nicht einmal den Kennern der Szene ein Begriff war, steht stellvertretend für all die Glücksritter und Ausbeuter des Sports.

Durch die Enthüllungen von Football Leaks beginnen nun weitere Recherchen über das Business der Investoren. Sie werden in Steueroasen und zu Prostituierten führen, zu Familien, die in der zusammenbrechenden Sowjetunion ein gigantisches Vermögen anhäuften und die nun in der nächsten Generation, ausgestattet mit den besten politischen Kontakten, für ihre Geschäfte den Glanz des Fußballs suchen. Willkommen in der Welt von Doyen Sports.