Die Angst, das Risiko und die Liebe
DIE ANGST, DAS RISIKO UND DIE LIEBE
Momente mit Mozart
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1. Auflage
© 2017 Benevento Publishing,
eine Marke der Red Bull Media House GmbH,
Wals bei Salzburg
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Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:
Red Bull Media House GmbH
Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15
5071 Wals bei Salzburg, Österreich
Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT
Umschlaggestaltung: b3K design, Andrea Schneider, diceindustries Printed in Austria
ISBN 978-3-7110-0131-3
Prolog
I.Die Hochzeit des Figaro: Risiko
Versuchung
Verirrung
Vergebung
Intermezzo
II.Don Giovanni: Angst
Höllenfahrt
Verführung
Zerstörung
Intermezzo
III.Così fan tutte: Liebe
Prüfung
Illusionen
Hoffnung
Epilog
Zitierte und weiterführende Literatur
Dank
Eine frühlingshafte Brise weht von der Wiener Hofburg über den Kohlmarkt. Draußen ist die Luft angenehmer als in den überfüllten Räumen des prunkvoll ausgestatteten Café Milani. Der italienische Besitzer Johann Evangelist Milani hat für sein Foyer in 30 pompöse Spiegel investiert. Seither ist das Café im Wiener Zentrum der Renner, auch tagsüber immer gut besucht. Die Luft wird erst gegen Abend stickig. Im Hintergrund des Stimmengewirrs ist das unaufhörliche Klacken von Billardkugeln zu hören. Schriftsteller und Philosophen, Dichter und Denker, die intellektuelle Elite der Stadt trifft sich im Milani. Vor allem gehen dort die Italiener ein und aus, weil der umtriebige Besitzer Italiener ist.
»Signore, woher rührt Ihre große Menschenkenntnis?«, fragt Wolfgang Amadeus Mozart sein Gegenüber. Der Komponist hat sich mit dem italienischen Librettisten Lorenzo Da Ponte an einem der Tische niedergelassen. Es ist schon eine Weile her, seit sie sich 1783 im Palais Damian, dem Wohnsitz von Mozarts engem Freund und Vermieter, dem jüdischen Baron Raimund Wetzlar von Plankenstern, über den Weg gelaufen sind. Gut kennen sie sich nicht, noch nicht. Aber Mozart kennt die Texte, die Da Ponte schreibt.
»Muss ich Ihnen darauf eine klare Antwort geben?«, gibt da Ponte nach einer Weile zurück. Sein Lächeln bringt ein lückenhaftes Gebiss zum Vorschein. »Was heißt schon Menschenkenntnis? Kaum weiß ich, was mein Ich ist, mit dem ich mich so viel beschäftige. Schönredner bei Gelegenheit, Dichter zur Erholung, Musiker nach Bedarf, Liebhaber aus Laune! Und zwischendurch immer mal gut, mal böse.«
Mozart lacht. Er weiß genau, wen Da Ponte da zitiert.
Die Begebenheit hat sich so nicht zugetragen. Sie ist nicht mehr als ein Bild, das vor meinen Augen auftaucht, wenn ich mir dieses ungewöhnliche Künstlergespann Mozart und Da Ponte im Gespräch vorstelle. Gleichwohl behaupte ich, dass das Gespräch zwischen diesen beiden Titanen aus der Welt der Schönen Künste, die nicht viele Gelegenheiten hatten zusammenzuarbeiten, sehr gut so abgelaufen sein könnte. Der italienische Dichter, der mit ungemein scharfem, durchdringendem Auge die gesellschaftlichen Zustände seiner Zeit und die irrlichternden Charakterzüge der Menschen in den Blick nahm, um sie in seinen Libretti aufs Subtilste zu sezieren, und Mozart, das für uns so unnahbare Musikgenie, dessen Geheimnis wir niemals ergründen werden, so wenig, wie er es je selbst ergründet hat. Da Ponte ist im besten Alter, Mitte 30, sieben Jahre älter als Mozart.
Nur: Darf man Mozart und Da Ponte derart nahetreten? Darf man sie einfach stattfinden lassen in seiner Fantasie, sich ihre Unterhaltung vorstellen? Ehrlich gesagt, ich kann gar nicht anders.
Lorenzo Da Ponte hat die Libretti zu drei Mozart-Opern geschrieben: Hochzeit des Figaro, Don Giovanni und Così fan tutte. Wenn ich seine Texte und dazu die Partituren Mozarts lese, drängen sich mir genau diese Bilder der beiden Künstler auf, weil Buchstaben und Noten so wunderbar aufeinander abgestimmt sind und die Energien von Musik und Text die Dramen, die die beiden Künstler schufen, geradezu unbarmherzig ihren Höhepunkten entgegentreiben. Unwillkürlich stelle ich sie mir vor, wie sie sich unterhalten, gestikulieren, wie Da Ponte Mozart die Protagonisten erläutert und die Spiele, die er mit diesen treibt. Ich beobachte, wie Mozart ihn schweigend betrachtet und dabei erste Melodien in seinem Kopf entstehen. Wie er später in die Texte eingreift, mit Da Ponte um eine neue Arie ringt oder um ein Quintett, das er unbedingt einbauen möchte. Ich höre, wie sie sich Fragen stellen, die das Leben ihnen aufgibt. Wie Da Ponte gnadenlos scharfzüngig über die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten herzieht, am liebsten über den Hochmut des Adels und damit bei Mozart offene Türen einrennt. Ich kann sie buchstäblich vor mir sehen, wie sie die menschlichen Unzulänglichkeiten mit Spott und Zynismus überziehen, obwohl die nicht nur zum Heulen, sondern eigentlich zum Fürchten sind − auch ihre eigenen. Oder wie sie sich verabreden, um gemeinsam ihren Schabernack mit den Menschen zu treiben. Immer wieder auf Wiener Maskenbällen, die zu ihrer Zeit ganz Wien zur Raserei bringen. Getanzt wird mit jedem – die Nacht durch bis zum Umfallen.
Ich höre auch, dass Mozart und Da Ponte Italienisch sprechen, nicht nur, weil die Libretti seinerzeit in dieser Sprache verfasst sind. Mozart beherrscht das Italienische immerhin so gut, dass er später jede Nuance des Operntextes aufgreifen und die eingebauten Doppeldeutigkeiten mit seiner Musik mal lieblich, mal schaurig schimmern lassen wird.
Die Zusammenarbeit der beiden Künstler ist nicht dokumentiert. Es gibt keine Aufzeichnungen über ihre Begegnungen – leider oder vielleicht sogar zum Glück! Es gibt ein einziges Schreiben in der Hinterlassenschaft von Hunderten Seiten Mozart-Korrespondenz, das der Komponist kurz vor seinem Tod an Da Ponte verfasst haben soll. Auch dieser Brief ist unter Musikwissenschaftlern umstritten. Und es gibt das wenige, das Da Ponte in den Memoiren seines schillernden und so außergewöhnlichen Lebens über den Komponisten berichtet. Diese spärlichen Hinweise aus der höchst fruchtbaren Zusammenarbeit zweier Künstler, die gemeinsam drei der bedeutendsten Opern der Musikgeschichte schufen, zwingen mich regelrecht dazu, meiner Fantasie freien Lauf zu lassen. Worüber genau haben sie sich unterhalten, wie mögen sie gearbeitet haben?
Noch einmal: Darf man das? Mozart würde es wahrscheinlich gar nicht anders wollen, schon weil er uns Interpreten mit seiner Musik geradezu herausfordert, die Mauern niederzureißen, die unsere Vorstellungskraft einengen. Bei Da Ponte allerdings bin ich mir nicht so sicher.
Wer ist dieser Italiener, der im Frühjahr 1782 im Alter von 33 Jahren, kaum des Deutschen mächtig und zudem mittellos wie aus dem Nichts in Wien aufschlägt und dessen kraftvolle Texte Mozart binnen weniger Jahre zu ganz neuen Klängen inspirieren werden?
Er ist der Sohn eines Gerbers aus dem jüdischen Ghetto einer Provinzstadt im Veneto. Mit seinem verwitweten Vater und seinen Brüdern konvertiert er zum Christentum, wird vom Bischof seiner Heimatstadt Cèneta adoptiert und trägt fortan dessen Namen Lorenzo da Ponte. Im Priesterseminar wird er zum Geistlichen ausgebildet und steigt noch vor seiner Priesterweihe zum Professor für Rhetorik auf – mit gerade einmal 24 Jahren.
Priesterlich allerdings ist wenig an dem jungen italienischen Gelehrten – von seiner umfassenden Bildung einmal abgesehen. Zu unabhängig ist sein Geist, zu tief sind seine Kenntnisse des Gedankenguts der Aufklärung. Statt zu predigen stürzt er sich in das aufregend turbulente Leben Venedigs und sorgt schon nach einem Jahr mit einer heftigen amourösen Affäre für den ersten Skandal. Da Ponte ist schließlich immerzu auf Freiersfüßen, seinem Naturell nach kann er gar nicht anders – dieser Charmeur und Meister der Verführung. Allein mit seiner Sprachgewalt verzaubert er die Frauen. In den Dogenpalästen geht der Intellektuelle als Sekretär und Hauslehrer ein und aus. Nicht jedem Hausherrn ist er geheuer.
1779 haben ein paar einflussreiche Bürger Venedigs schließlich genug davon, wie der gelehrte Priester den Patriziern reihenweise die Damen ausspannt. Eine anonyme Anzeige trägt ihm sieben Jahre Haft in den berüchtigten Bleikammern Venedigs ein oder 15 Jahre Verbannung aus der Lagunenstadt. Über Österreich gelangt er zunächst nach Dresden, kann sich dort aber nicht etablieren und reist schließlich mit einem Empfehlungsschreiben des sächsischen Hofdichters Caterino Mazzolà an den kaiserlichen Kammerkomponisten Antonio Salieri nach Wien. Mit diesem Schreiben und der Hilfe Salieris ist ihm das Entrée an der Wiener Hofburg sicher. Schon 1783 stellt ihn Kaiser Joseph II. als Theaterdichter ein. Nicht ein einziges Libretto hat Da Ponte bis dahin verfasst. Natürlich dichtet er zunächst vor allem für Salieri, der auch Kapellmeister der italienischen Oper ist. Und das überaus erfolgreich. Da Ponte weiß genau, auf wen er setzen muss und wer internationales Ansehen genießt – Mailand, Rom, Neapel. Mehr noch: Salieri ist ein Landsmann.
Seit 1781 ist auch Mozart als freischaffender Komponist in Wien. Er, der sich nichts brennender wünscht als guten Opernstoff, den er vertonen kann, hat den italienischen Poeten ziemlich bald auf dem Radar, nur kommt er nicht so richtig an ihn heran. Da Ponte scheint auf Salieri gebucht zu sein. Fieberhaft sucht Mozart nach literarischem Material, denn die italienische Oper, seit 1783 in Wien wiederöffnet, hat dort Hochkonjunktur. Akribisch arbeitet sich der Komponist durch ein reichhaltiges Angebot an Texten. »Ich habe leicht 100 – ja wohl mehr bücheln durchgesehen – allein – ich habe fast kein einziges gefunden mit welchem ich zufrieden seyn könnte; − wenigstens müsste da und dort vieles verändert werden«, schreibt er am 7. Mai 1783 an seinen Vater in Salzburg. In Sachen Libretti ist Mozart unglaublich anspruchsvoll. Für eine gute Oper müssen eben ein »guter Komponist, der das Theater versteht« und ein »gescheiter Poet, als ein wahrer Phönix, zusammenkommen.« Mozart will nichts Bestehendes, nichts Aufgewärmtes, nichts Arrangiertes, nichts Seichtes, das er mit lieblichen Klängen schmücken müsste, damit sich die Wiener Gesellschaft daran delektiert. Er brennt auf neuen Stoff – von einem veritablen Dichter. Denn: »Neu – ist halt doch immer besser.«
Ich bin mir sicher, dass Mozart das Publikum provozieren, zum Nachdenken bringen, aufrütteln und gerne auch erschrecken will. Mitte der 80er-Jahre des 18. Jahrhunderts ist die Zeit schließlich mehr als reif dafür. Er spürt, dass auch er – ungeachtet seines Talents – jemanden braucht, der ihn mit seinem Intellekt zu ganz neuen Klängen und Harmonien inspiriert. Er giert geradezu nach Input. Schließlich kann er die Texte, die seinen hohen Qualitätsansprüchen genügen sollen, ja nicht selber dichten.
»Wir haben hier einen gewissen abate da Ponte«, schreibt er an seinen Vater weiter. Nur hat der offenbar rasend viel zu tun, »muss per obligo ein ganz Neues büchel für dem Salieri machen.« Vor zwei Monaten, klagt Mozart, werde Da Ponte wohl kaum damit fertig sein, »dann hat er mir ein Neues zu machen versprochen.« Natürlich – auch das kann dauern. Mozart verharrt zwischen Hoffen und Bangen. Ob der Italiener sein Wort halten wird? Oder will? Wenn der Dichter sich mit Salieri gut verstehe, fürchtet Mozart, werde er, Mozart, selbst wohl nicht zum Zuge kommen. So richtig verlassen will er sich auf Da Pontes Versprechen jedenfalls nicht. Die Herren Italiener – »wir kennen sie!«. Erst einmal heißt es: warten und zittern.
Dabei hat Da Ponte das »göttliche Genie« Mozarts längst erkannt. Nur beobachtet er auch, dass Mozart es aufgrund der Ränkespiele seiner Feinde in Wien von Anbeginn an nicht leicht hat. Doch eine Zusammenarbeit mit dem Ausnahmekomponisten reizt ihn sehr.
Ich sehe die beiden wie geschaffen füreinander und bin mir sicher, dass sie das schon begriffen haben, als sie noch umeinander herumschlichen. Beide sind Freigeister, die sich über Konventionen stets hinwegsetzen, Spielernaturen mit einem Hang zum Risiko, sinnliche Lebemänner, garantiert nicht nur in ihrer Arbeit exzessiv und zudem als höchst selbstbewusste Künstler in der Niemandswelt zwischen Adel und Bürgertum zuhause.