Aus dem Persischen
von Markus Gerhold
Herausgegeben und mit einer Einleitung
von Navid Kermani
Verlag C.H.Beck
Mit diesem Buch wendet sich der Korangelehrte und liberale iranische Politiker Mehdi Bazargan an seine christlichen Leser, um ihnen anhand der Aussagen des Korans über Jesus, Maria, den dreieinigen Gott und die Christen das Verhältnis des Islams zum Christentum zu erklären. Das Prinzip des Buches, die Koranverse in ihrer chronologischen Ordnung zusammenzustellen und nacheinander zu kommentieren, erlaubt einen bis heute viel zu seltenen authentischen Einblick in das islamische Denken, in dem der Prophet Jesus eine herausragende Rolle spielt. Dabei wird auch manchen christlichen Theologen die Einsicht überraschen, daß der Koran ein zentrales Werk der biblischen Deutungsgeschichte ist. Zugleich erinnert Bazargan seine eigenen Glaubensbrüder an den Respekt, den Mohammed den Christen entgegengebracht hat, und mahnt sie zu Toleranz und Verständigung.
„Eine der wichtigsten und prominentesten Stimmen des Islams im 20. Jahrhundert bringt sich hier entschieden und voller Sanftmut ein in den interreligiösen Dialog. Das Erbe, das Mehdi Bazargan hinterlassen hat, ist heute wichtiger denn je – für Muslime wie für Christen.“ Navid Kermani
Mehdi Bazargan, 1907–1995, Führer der iranischen „Freiheitsbewegung“ und einer der wichtigsten islamischen Denker Irans im 20. Jahrhundert, war der erste Ministerpräsident Irans nach der Revolution von 1979. Zuvor hatte er mehrere Jahre in den Gefängnissen des Schahs gesessen. Wegen politischer Differenzen mit dem Revolutionsführer Khomeini trat er nur wenige Monate nach Amtsantritt zurück. Bis zu seinem Tod im Jahr 1995 war er der berühmteste Oppositionelle in Iran.
Navid Kermani, geboren 1967, lebt als freier Schriftsteller in Köln. Für seine Romane, Essays und Reportagen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Joseph-Breitbach-Preis, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und den Marion Dönhoff Preis. Bei C.H.Beck erschienen von ihm u.a. „Zwischen Koran und Kafka“ (6. Aufl. 2016) „Ungläubiges Staunen. Über das Christentum“ (13. Aufl. 2016) sowie „Einbruch der Wirklichkeit“ (4. Aufl. 2016).
Einleitung
von Navid Kermani
An meine christlichen
Brüder und Schwestern
Koranverse, die sich auf Jesus,
Maria und die Christen beziehen
Die Zweige abschneiden,
damit die Wurzel austrocknet
Das letzte Interview mit Mehdi Bazargan
Register der Koranstellen
Namenregister
Die westliche Literatur über den Islam füllt inzwischen Bibliotheken. Aber zu wenig weiß man in Deutschland, was der Islam umgekehrt über das Christentum sagt. Die vorliegende Schrift des iranischen Korangelehrten und Politikers Mehdi Bazargan bietet hier eine wertvolle Hilfe. Bazargan stellt die Aussagen des Korans über Jesus, Maria und die Christen zusammen, ordnet sie chronologisch und kommentiert sie auf der Grundlage der klassischen islamischen Theologie.
Mehdi Bazargan wurde 1907 in Teheran geboren. Sein Vater, ein Händler, stand der aserbeidschanischen Moschee und Gemeinde in Teheran vor. Bazargan erhielt eine gute Ausbildung an einer der ersten westlich ausgerichteten Schulen Irans und lernte durch seinen Vater zugleich die traditionellen Inhalte islamischen Unterrichts kennen. 1928 gehörte er zur ersten Gruppe iranischer Studenten, die der Monarch Reza Schah zum Studium nach Europa schickte. Acht Jahre lebte er in Paris. Der technologische Fortschritt, aber auch die europäische Zivilisation, der Gemeinsinn und das Ethos der Franzosen sowie ihre politische Kultur beeindruckten den jungen Bazargan tief. Zurück in Iran, begann schon bald sein Kampf um die Freiheit in Iran und die Reform des Islams. Mittlerweile als Professor für Thermodynamik an der Universität Teheran tätig, wurde er in den vierziger Jahren Mitarbeiter des linksliberalen Nationalisten Mossadegh. Wohl schätzte Mossadegh den Enthusiasmus des jungen Naturwissenschaftlers, doch soll ihm dessen tiefe Frömmigkeit und die strikte Beachtung der religiösen Rituale suspekt gewesen sein. Nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten scheute er davor zurück, ihn als Erziehungsminister ins Kabinett zu holen. Statt dessen schickte er Bazargan in den Süden des Landes, um den Übergang der Aufsichtsrechte aus britischen in iranische Hände zu leiten.
Im Unterschied zu fast allen iranischen Intellektuellen seiner Zeit bedeutete der ersehnte Fortschritt für Bazargan weder Verwestlichung noch Kommunismus. Er suchte von Anfang an einen dezidiert islamischen Weg in die Moderne. Seit den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bis zu seinem Tod hat er in annähernd hundert Büchern und unzähligen Vorträgen den Islam als eine vernunftbetonte Religion vorgestellt, die die soziale Entwicklung und persönliche Freiheit fördere. Dieser «wahre» Islam unterschied sich für Bazargan von dem Islam der schiitischen Orthodoxie und Volksfrömmigkeit, der mit Aberglauben und zweifelhaften Traditionen überwuchert sei. Überhaupt lehnte Bazargan das Deutungsmonopol der Geistlichkeit ab und rief jeden Gläubigen dazu auf, sich anhand der Quellentexte ein eigenständiges, rationales Urteil über die Religion zu bilden. Würden die Muslime zu den reinen Wurzeln ihrer Religion zurückkehren, so hoffte Bazargan, stünde der Islam weder der modernen Wissenschaft noch einer liberalen Demokratie entgegen, wie er sie in Frankreich kennengelernt hatte. Die Ursache für die Erfolge des Westens sah er nicht darin, daß die dortigen Menschen areligiös geworden wären. Im Gegenteil, so schrieb Bazargan in seinen Lektionen in Frömmigkeit, «in der Regel interessieren sie sich mehr für ihre Religion und beachten deren Gebote strikter als wir muslimischen Iraner».
Für den westlichen Leser von heute, der gewohnt ist, zwischen einer stärker religiösen islamischen Welt und einem weitgehend säkularisierten Westen zu unterscheiden, mag das kurios klingen. Aber bis in die sechziger Jahre hinein gehörte Bazargan zu einer Handvoll bürgerlicher Intellektueller, die dem Islam überhaupt noch gesellschaftliche Relevanz zuschrieben. Die islamische Reformbewegung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die in Iran durch Gelehrte wie Dschamaleddin al-Afghani (gest. 1897), Seyyed Hasan Modarres (gest. 1938) oder den Ajatollah Mirza Mohammad-Hosein Na’ini (gest. 1936) repräsentiert worden war und zu der Konstitutionellen Revolution von 1906 beigetragen hatte, hatte längst ihre Dynamik eingebüßt. Die großen geistigen Strömungen der Zeit waren Kommunismus und Nationalismus. In Bazargans Studentenzeit konnte man sich ohne ein gehöriges Maß an antiislamischem oder jedenfalls antiklerikalem Spott kaum in den Kreisen blicken lassen, die sich selbst als fortschrittlich bezeichneten. Bazargan gehörte zu den ersten Denkern seiner Generation, die die Orthodoxie von einem religiösen Standpunkt aus kritisierten und in der Rückkehr zu einem «authentischen» Islam die Antwort auf die Probleme ihres Landes sahen. Oft zitierte er den koranischen Vers «Gott ändert nichts an seinem Volk, solange das Volk nicht verändert, was in ihnen ist» (Sure 13,11), um sich gegen den Quietismus der schiitischen Geistlichkeit zu wenden und die Muslime aufzufordern, sich aktiv an der Veränderung ihrer Gesellschaft zu beteiligen. Die Ideale der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – entsprachen für ihn den dogmatischen Grundlagen des Islams.
Aus heutiger Sicht wirkt Bazargans Bemühen, das Weltbild des Islams, die koranische Schöpfungsgeschich te und die religiösen Riten und Gebote mit den Prinzipien und Erkenntnissen des heutigen Lebens, insbesondere der modernen Naturwissenschaft und des Darwinismus, in Einklang zu bringen, oft allzu angestrengt, etwa wenn er einige Jahre nach seiner Rückkehr aus Paris das tägliche Gebet der Muslime mit der morgendlichen Zeitungslektüre der Franzosen verglich. Aber man sollte sich vor Augen führen, wie isoliert von der breiten, zutiefst religiösen Bevölkerung Irans die laizistischen Intellektuellen Teherans in den vierziger und fünfziger Jahren waren, bevor man über die islamischen Denker wie Bazargan, Dschalal Al-e Ahmad, Ajatollah Taleghani oder später Ali Schariati urteilt, die sich gegen den Trend ihrer Zeit und gegen den Verfolgungsapparat des Schahs um die Vermittlung von Religion und Moderne bemühten. Die Politisierung des Islams, die ihnen gemeinsam ist, richtete sich damals nicht nur gegen die Diktatur, sondern mit ebensolcher Schärfe gegen den schiitischen Klerus. Daß aus dieser fortschrittlich gemeinten, den Menschenrechten und der Emanzipation verpflichteten Ideologie, die in den siebziger Jahren auch viele westliche Beobachter fasziniert hat, seit den achtziger Jahren so unendlich viel Gewalt und Mißbrauch erwuchs, ist diesen Vordenkern der Islamischen Revolution nicht als persönliche moralische Schuld anzulasten, aber in dem Totalitätsanspruch ihres politisch-geistigen Ansatzes dennoch angelegt.
Die totalitäre Saat, die in der Politisierung des Islams liegt – Bazargan selbst benutzte das französische Wort totalitaire und deutete es positiv im Sinne einer religiösen Ideologie, die alle menschlichen Bereiche der Gesellschaft umfaßt –, diese Saat ging allerdings in Bazargans eigenem Denken und Handeln nicht auf. Die koranische Tugend der Barmherzigkeit, die ihm stets vor Augen stand, prägte nicht nur seinen Charakter, sondern bewahrte ihn auch vor allem Dogmatismus. Als Naturwissenschaftler, der er in seinem ganzen Habitus war, sprach er stets sachlich und suchte den Dialog. Als Revolutionär lehnte er jede Gewalt ab und kritisierte Saudi-Arabien dafür, als Symbol des Islams zwei Schwerter auf der Nationalflagge abzubilden. Der Islam sei eine Religion des Friedens, betonte Bazargan unermüdlich. Als Muslim gab er der Mitmenschlichkeit den Vorrang vor der Gesinnung. Von den drei Bereichen der Pflicht, die Gott im Koran den Menschen auferlegt – den Pflichten gegenüber sich selbst, gegenüber Gott und gegenüber den Mitmenschen –, hielt er die Pflicht gegenüber den Mitmenschen für die wichtigste.
Bazargan blieb bis zum Ende seines Lebens nicht nur religiös, sondern auch liberal im ursprünglichen (und als Anti-Marxist übrigens auch im ökonomischen) Sinne: Er hob die Selbstverantwortung des Individuums hervor, plädierte für demokratische Entscheidungsfindungen und warnte vor jeglichem Zwang. Bis in die letzten Tage der Revolution war er bemüht, sich mit den Getreuen des Schahs und den Vereinigten Staaten von Amerika über einen fried lichen Übergang zu einer demokratischen Verfassung zu verständigen – und seine eigenen Mitrevolutionäre von diesem Kompromiß zu überzeugen, der Ende 1978/Anfang 1979 greifbar nahe gewesen wäre. Der islamische Staat, den er vor Augen hatte, war keine Theokratie, sondern nur in seinen Prinzipien dem Koran verpflichtet. Die Richtlinien der Politik sollte ein Parlament bestimmen, das von allen Bürgern in freien Wahlen bestimmt würde, egal, welcher Religion sie angehörten – und ob überhaupt. Jeder Mensch müsse frei sein, den Islam anzunehmen oder abzulehnen. Gegen Khomeini und seine Anhänger betonte er immer, daß jene Verse des Korans, die zur Gewalt gegen Ungläubige auffordern und insbesondere in der 9. Sure («Die Reue») zu finden sind, sich ausschließlich auf jene Gegner der Muslime beziehen, die von sich aus den Frieden gebrochen und einen Angriffskrieg begonnen hätten.
Man ersieht aus solchen Argumenten, daß Bazargan den Koran durchaus als einen umfassenden Bezugsrahmen für das gesellschaftliche und politische Handeln der Muslime betrachtete. Er war nicht in dem Sinne säkular, daß er wie die heutigen iranischen Reformdenker wie Abdolkarim Sorusch oder Mohammad Modschtahed Schabestari den Geltungsbereich der koranischen Gebote auf die ethischen und spirituellen Bereiche beschränkte, Menschenrechte und Demokratie dagegen aus der menschlichen Vernunft herleitete. Für Bazargan war es noch selbstverständlich, Demokratie und Menschenrechte islamisch zu begründen. Daß er Inquisition und religiösen Zwang ablehnte, verdankte sich keiner humanistischen Weltsicht, sondern seiner Deutung des Korans. Typisch ist seine Haltung zum Kopftuch: Bazargan hielt es für ein koranisches Gebot, daß Frauen ihre Haare bedecken sollten – aber als Khomeini die Verschleierung zum staatlichen Gesetz erklärte, widersprach er heftig: «Wenn das Tragen des Tschadors und des Kopftuchs durch Zwang und Drohungen durchgesetzt wird, ist das hundertmal schlimmer, als wenn eine Frau unverschleiert auf die Straße tritt.»
Daß Bazargan als Korangelehrter und Politiker ein Mann des Ausgleichs, der Verständigung, des Kompromisses war, unterscheidet ihn von den linksislamistischen Oppositionsgruppen und dem einflußreichsten islamischen Reformer seiner Zeit, Ali Schariati, dem 1977 verstorbenen, vermutlich ermordeten Vordenker der Islamischen Revolution. Auch Schariati wäre – nach Einschätzung etwa seiner Witwe – mit Sicherheit in die Opposition gegangen, hätte er die Exzesse der neuen Machthaber und den real existierenden Islamismus noch miterlebt. Aber in Schariatis Schriften, liest man sie heute wieder, sind der Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum, der politischen Eliten vor der demokratischen Partizipation sowie der missionarische Anspruch, die Gesellschaft gemäß der eigenen Ideologie umzubauen, weit deutlicher formuliert. Die Islamisten, die in den Jahren nach der Revolution alle Macht an sich rissen, mußten nur sich selbst beziehungsweise die von Schariati vehement bekämpfte Geistlichkeit als Elite definieren, um ihre Herrschaft zu legitimieren.
Als Mossadegh am 19. August 1953 durch einen CIA-Putsch gestürzt wurde und der junge Schah wieder Platz auf dem Pfauenthron nahm, verlor auch Bazargan alle öffentlichen Ämter. Zwischen 1955 und 1978 wurde er viermal verhaftet, verbrachte mehr als fünf Jahre im Gefängnis und überlebte einen Anschlag des Geheimdienstes SAVAK. 1961 gründete er gemeinsam mit anderen Intellektuellen und progressiven Geistlichen wie Ajatollah Mahmud Taleghani die «Iranische Freiheitsbewegung», die noch heute wichtigste Oppositionsgruppe, die innerhalb Irans, aber außerhalb des politischen Systems der Islamischen Republik agiert. Mit Ajatollah Khomeini kam Bazargan erst 1978 in näheren Kontakt, als er den Revolutionsführer im Pariser Exil besuchte. Bei der Unterredung erwies er sich als so eigenwillig, daß Khomeini eine zweite Unterredung verweigerte. Bazargan selbst sagte zu seinem Begleiter: «Ich habe einen Schah mit Turban gesehen.»
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