George MacDonald Fraser
Flashmans Feldzug
Die Flashman Manuskripte, Band 11
Kuebler Verlag
DAS BUCH
Der britische Feldzug in Abessinien gehört wohl zu den ungewöhnlichsten der Militärgeschichte. Ursache dafür war, dass der abessinische König Theodor II. sich beleidigt fühlte, da ein Brief von ihm an Königin Victoria unbeantwortet blieb. Daraufhin nahm er europäische Geiseln. Die Briten rüsteten eine Strafexpedition aus: 12.000 Mann und 30.000 Lasttiere wurden in Zulla am Roten Meer angelandet und Harry Flashman spielt dabei eine ungewollte, aber wichtige Rolle.
Der vorliegende Roman ist der 11. und letzte, den George MacDonald Fraser geschrieben hat.
DER AUTOR
George MacDonald Fraser wurde vor allem berühmt durch die „Flashman Manuskripte“, einer Serie genau recherchierter historischer Romane. Dabei handelt es sich um die fiktiven Memoiren von Sir Harry Flashman, einem hoch dekorierten britischen Offizier im Ruhestand, der auf seine Abenteuer zwischen 1840 und 1890 zurückblickt, die ihn unter anderem mit Bismarck, Abraham Lincoln, Crazy Horse, General Custer, Lola Montez und vielen anderen zusammengeführt hatte. Geboren wurde Fraser 1925, er war Soldat und kämpfte in Burma. Er wurde Journalist, Schriftsteller und Drehbuchautor (unter anderen „Die drei Musketiere“ und den James-Bond-Film „Octopussy“). Er starb 2008.
Abessinien
Abessinien war zur Zeit der Handlung ein Königreich auf dem Gebiet der heutigen Staaten Äthiopien und Eritrea. Es war der einzige afrikanische Staat, der sich erfolgreich gegen den Kolonialismus wehren konnte..
George Macdonald Fraser
Flashmans Feldzug
Flashman in Abessinien, 1867-68
Band 11 der Reihe „Die Flashman Manuskripte“
Aus den nachgelassenen Papieren Harry Flashmans
Herausgegeben und bearbeitet von
George MacDonald Fraser
Herausgeber der deutschen Ausgabe: Martin Compart
Ins Deutsche übertragen von Corinna Fuchs
Impressum
Weitere Informationen: www.kueblerverlag.de
Ungekürzte deutsche Erstausgabe
Copyright © 2016 der deutschen Ausgabe by Kuebler Verlag GmbH, Lampertheim
Copyright © 1990 by George MacDonald Fraser,
FLASHMAN ON THE MARCH
Übersetzung aus dem Englischen von Corinna Fuchs. Herausgeber der deutschen Ausgabe
der Flashman-Manuskripte: Martin Compart.
Umschlaggestaltung: Grafissimo! Daniela Hertel.
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Einscannen oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
ISBN Printausgabe 978-3-942270-84-7
ISBN Digitalbuch, EPUB: 978-3-86346-121-8
Vorbemerkung
In den Feldzügen, die in den ersten zehn Paketen seiner autobiografischen Aufzeichnungen behandelt werden – Afghanistan, der Erste Sikhkrieg, der Krimkrieg, Indischer Aufstand, Brooks Expedition gegen die Piraten von Borneo, der Marsch auf Peking, Custers Debakel am Little Big Horn, war Sir Harry Flashman V.C. usw., der berüchtigte viktorianische Held und Hasenfuß, ein widerwilliger und oft auch voreingenommener Augenzeuge von Ereignissen der Geschichte, die sich um ihn herum entfalteten.
Nicht so im Abessinienkrieg von 1868, mit Sicherheit der seltsamste aller imperialen Feldzüge, als eine britisch-indische Armee in eines der am wenigsten bekannten und gefährlichsten Länder der Welt einmarschierte und sich trotz unüberwindlich erscheinender Widerstände und negativster Vorhersagen ihren Weg durch steiniges Gelände und schroffe Gebirgsgegenden zu ihrem Ziel bahnte, dort taten, wofür sie hergekommen waren, und dann wieder abzogen – mit kaum einem Mann an Verlusten.
Vielleicht gibt es in der ganzen Kriegsgeschichte keinen glänzenderen Erfolg. Zwölftausend Mann waren dafür nötig, eine mächtige Flotte, neun Millionen Pfund (damals eine atemberaubende Summe), eine präzise wenn auch extravagante Organisation und einen herausragenden alten Soldaten – und das alles, um eine winzige Gruppe britischer Bürger aus der Gefangenschaft eines verrückten afrikanischen Monsters von einem König zu befreien. So waren, um Flashman zu zitieren, halt die Zeiten.
Aber selbst wenn er nicht Teil des eigentlichen Feldzugs war, von Flashmans Rolle hingen Erfolg oder Misserfolg des ganzen Unternehmens ab: Seine Aufklärungsmission setzte ihn einer Reihe schrecklicher Gefahren aus (manche davon waren selbst ihm neu), in einem vom Krieg heimgesuchten Land voller Rätsel, Verrat, Intrigen, einsamer Burgen, Geisterstädte, den schönsten (und wildesten) Frauen in Afrika und schließlich geriet er in die Fänge eines verrückten Tyrannen in einer Festung am rückwärtigen Teil des Jenseits. All das berichtet er in seiner schon bekannten schamlosen Ehrlichkeit, und mit dem Licht, das er auf ein einmaliges Kapitel der imperialen Geschichte wirft, lädt er zu einem Vergleich mit späteren, weit weniger glorreichen Zeiten ein.
Denn Flashmans Geschichte kreist um eine Britische Armee, die aus guter, ehrlicher Absicht ausgeschickt wurde, von einer Regierung, die wusste, was Ehre hieß. Sie wurden nicht losgeschickt, ohne dass es an höherer Stelle peinliche Fehlentscheidungen gab oder Verzögerungen, bis jede Hoffnung auf eine friedliche Beilegung zu Grabe getragen war. Die Angst vor einer Katastrophe hing über dieser Expedition, aber das britische Volk stand voll hinter ihr. Kein Politiker hat daraus Vorteil oder Profit gezogen. Es gab keine messianischen Ansprachen. Es gab keine falschen Rechtfertigungen, Täuschungen, Verdeckungen oder Lügen, nur die Erfüllung der ersten Pflicht einer Regierung: ihre Bevölkerung zu schützen, egal, was es kostet. Um Flashman noch einmal zu zitieren, so waren halt die Zeiten.
Wie bei den anderen Papieren auch, habe ich nur seine Orthografie verbessert, was in diesem speziellen Fall bedeutet, ich habe die bizarre Schreibweise seiner abessinischen Eigennamen vereinheitlicht.
George MacDonald Fraser
Kapitel 1
„Eine halbe Million in Silber, sagtest du?“
„In Maria-Theresia-Talern. Hunderttausend wert in Pfund.“ Er hielt eine glänzende Münze hoch, so groß wie eine Krone. Das alte Mädchen mit dem Doppelkinn auf der einen Seite, das österreichische Wappen auf der anderen. „Diese verdammte enterbte alte Schlampe, was? Man sagt, in ihrer Jugend sei sie eine Wucht gewesen. Blond und drall. Genau nach deinem Geschmack, Flashy.“
„Kümmere du dich nicht um meinen Geschmack. Das Geld muss also innerhalb der nächsten vier Wochen zu diesem besagten Ort in Afrika? Und der Kerl, der es dorthin bringen sollte, liegt mit Gelbfieber in Venedig?“
„Oder 'nem Tripper, oder der Krätze, oder weiß der Teufel was.“ Er grinste verschmitzt und drehte die Münze in seinen Fingern. „Mir scheint, du hast deine Meinung geändert, nicht wahr? Du willst es jetzt doch selber machen, mein guter alter Flash!“
„Nicht so voreilig, Speed, mein Junge. Wann soll die Ladung denn verschifft werden?“
„Lloyd schickt sie am Mittwoch nach Alexandria. Aber mit dem bettlägerigen Sturgess in Venedig wird es nicht gehen und in den nächsten zwei Wochen gibt es auch kein weiteres Schiff nach Alex[1] – das wird alles viel zu spät. Die Botschaft lässt mich dann dafür an den Fahnenmast nageln, als wär's meine Schuld gewesen.“
„Aye, in der Diplomatie steckt der Teufel. Hör zu, Speed – ich werde deine Taler auf dem Weg nach Alex für dich bewachen, aber ich warte bestimmt nicht bis Mittwoch. Bis morgen will ich raus sein aus dieser verfluchten Stadt, also machst du am besten schon mal ein kleines Dampfschiff klar, trommelst eine Crew zusammen und bringst bis heute Abend deinen kostbaren Schatz an Bord – wo ist der überhaupt?“
„Am Bahnhof an der Strada Ferrata – aber, verdammt noch mal Flash, eine private Charter kostet mich ein Vermögen –“
„Du hast doch Mittel von der Botschaft, oder nicht? Dann nutze sie auch! Der Bahnhof ist nicht mal einen Steinwurf von der Hafenmole entfernt und wenn du ein bisschen reinhaust, hast du deine Fracht bis Mitternacht verladen. Himmel, Arsch und Zwirn, Dampfantrieb und Spaghettimatrosen kriegt man in Triest doch nachgeworfen! Wenn du in solcher Eile bist, das Silber nach Afrika zu schaffen –“
„Darauf kannst du Gift nehmen! Lass mich überlegen … Ein kurzer Halt in Alex, mit der Eisenbahn von Kairo nach Suez – Karawanen durch die Wüste gibt es momentan nicht, du wirst Gepäckträger anheuern müssen.“
„Wenn du dafür vorstreckst …“
Er winkte ab. „Sturgess hätte die sowieso gebraucht. In Suez wird dich eine unserer Schaluppen zum Roten Meer bringen – davon gibt es Dutzende, die Jagd auf Sklavenhändler machen, und ich gebe dir einen Passierschein von der Botschaft mit. Sie werden dich in Zoola empfangen – von diesem Hafen aus geht es weiter nach Abessinien – bis Mitte Februar solltest du da sein. Es kann nicht länger als eine Woche dauern bis nach Attegrat. General Napier ist bereits dort.“
„Napier? Doch nicht etwa Bob der Schürzenjäger? Was, in drei Teufels Namen, macht der in Abessinien? Wir haben dort noch nicht mal einen Stützpunkt.“
„Mittlerweile schon, das versichere ich dir!“ Er lachte ungläubig. „Willst du mir etwa erzählen, du hast noch nicht davon gehört? Warum er dort einmarschiert ist? Mit einer Armee aus Indien? Das Silber dient dazu, seinen Feldzug zu finanzieren, verstehst du? Großer Gott, Flashy, wo bist du bloß gewesen? Ach ja, ich vergaß – in Mexiko. Teufel noch mal, haben die denn dort keine Zeitungen?“
„Jetzt halt aber mal die Luft an! Warum genau ist er dort eingefallen?
„Um die Gefangenen zu befreien. Unseren Konsul, die Gesandten, die Missionare! Sie alle werden von einem wahnsinnigen Kannibalenkönig festgehalten. Er hat sie in Ketten gelegt, lässt sie auspeitschen und macht eine Menge Stunk. Theodor[2] heißt er – willst du mir wirklich weismachen, du hättest noch nie vom ihm gehört? Verdammt noch mal, darum gab es doch einen Aufruhr im Parlament, und unsere barmherzige Queen sah sich gezwungen unzählige Briefe zu schreiben, die Erhöhung der Einkommensteuer – alles ist wahr! Jetzt verstehst du wohl auch, warum dieses Silber so dringend zu Napier gelangen muss – wenn nicht, steckt er im Niemandsland fest, ohne einen Groschen in der Tasche, und dein alter Kumpan Speedicut wird bei der Eröffnung des neuen Außenministeriums zum Menschenopfer!“
„Aber warum benötigt Napier österreichisches Silber? Hat er denn kein Sterling?“
„Die abessinischen Nigger rühren nichts an außer Maria-Theresias. Reinstes Silber, verstehst du, und Napier braucht es für Lebens- und Futtermittel auf seinem Vormarsch ins Landesinnere.“[3]
„Eine Kriegskasse also? Über Krieg hast du gestern Nacht kein Wort verloren!“
„Ich hatte doch gar nicht die Möglichkeit. Wie mitfühlend war denn der gute alte Flashy, als ich ihm sagte, dass ich im Dickie's Meadow sei[4] mit diesem verdammten Geldhaufen, der verschifft werden muss und dem unpässlichen Sturgess? Ausgelacht hast du mich und mir viel Glück gewünscht! Alles für England, die Heimat und die schöne Elspeth, das waren doch deine Worte … und jetzt“, sagte er, mit seinem alten, misstrauischen Speedicut-Blick, „jetzt kannst du dich mir gar nicht schnell genug verpflichten … stimmt irgendwas nicht, Flash?“
„Es ist alles in Ordnung, verdammt. Triest hängt mir einfach nur zum Hals raus. Ich will hier so schnell wie möglich weg!“
„Und da kommt es dir auf einen Tag an? So ein Schwachsinn!“
„Pass auf, Speed. Willst du nun, dass ich mich deines verfluchten Edelmetalls annehme? Entweder mach ich mich heute Abend auf den Weg oder gar nicht. Und wo wir gerade dabei sind; da dieses Geld für Napier ja so über alle Maßen wichtig ist, kann deine Botschaft meine Heimreise auch gleich mitbezahlen, wenn das hier ausgestanden ist. Wie sieht's aus?“
„Da stimmt doch was nicht, Flash! Kein Zweifel!“ Er riss die Augen auf. „Dir sind doch nicht etwa die Österreicher auf den Fersen, oder – denn, wenn dem so wäre, würde ich einen Teufel tun und dir zur Flucht verhelfen, Silber hin oder her! Ich bin Diplomat, verdammt!“
„Natürlich sind sie das nicht! Für wen hältst du mich? Großer Gott, wir kennen uns doch seit Kindertagen!“
„Aus genau diesem Grund frage ich dich jetzt noch einmal, ob etwas nicht stimmt?“ Er füllte mein Glas auf und schob es mir zu. „Komm schon, alter Junge! Ich bin's, der gute alte Speed, schon vergessen? Mich kannst du nicht für dumm verkaufen.“
Das konnte ich nun wahrlich nicht. Und da ich annehme, dass Sie, verehrter Leser, genauso gespannt auf die Antwort warten wie er, werde ich Ihnen nun erzählen, was ich ihm in dieser Nacht im Hôtel Victoria berichtete. Nicht das eleganteste Etablissement in Triest, aber als kleiner patriotischer Lakai unserer Wienerischen Botschaft sah sich Speedicut dazu gezwungen, mit ihm Vorlieb nehmen zu müssen – auch sollte dies Aufschluss darüber geben, warum ich dieses Kapitel meiner Memoiren mit solch kryptischem Wortwechsel begonnen habe. Obgleich er Ihnen zu Anfang etwas befremdlich erschienen sein mag, werden Sie schnell feststellen, dass dies noch der einfachste Weg war, die Einleitung zu meiner Erzählung über den sonderbarsten Feldzug der gesamten Britischen Kriegsgeschichte zu verfassen. Und dass diese mitunter ungewöhnliche Maßnahmen erfordern, von denen ich einige unfreiwillig selbst zu verantworten habe. Abessinien jedoch schlug dem Fass den Boden aus und sollte alles vorher und nachher Dagewesene in den Schatten stellen.
Mein Auftrag begann im Sommer '67 am selben Tag, als dieser Vollidiot Kaiser Maximilian von Mexiko einem Exekutionskommando der Juaristen gegenübertrat, theatralisch sein Hemd aufknöpfte und „Viva Mejico! Viva la independencia! Schießt, Soldaten! Schießt mir direkt in die Brust!“ brüllte. Sogleich kamen diese seiner Aufforderung mit bemerkenswerter Treffersicherheit nach und entledigten Mexiko seines gekrönten Staatsoberhaupts und Flashy seines Arbeitgebers und Beschützers. Nervös verfolgte ich das Spektakel von einem nahegelegenen Hausdach aus und schlich hinter meiner Tarnung auf und ab. Als ich kurz darauf Zeuge wurde, wie Max mit dem Gesicht voran in den Staub fiel, wurde mir klar, dass die Zeit gekommen war, in der ich all meine Hoffnung über Bord werfen musste.
Sehen Sie, ich war sein halbwegs loyaler Aide-de-camp[5] im aussichtslosen Kampf gegen die Republikaner – kein Posten, den ich mir freiwillig ausgesucht hatte, aber als Deserteur der Französischen Fremdenlegion,[6] die Mexiko zu dieser Zeit mit ihrer Anwesenheit verpestete, nahm ich die von ihm gebotene Zuflucht dankend an. Auch weil er dem Irrtum aufgesessen war, ich hätte bei einem Attentat in Texatl sein Leben gerettet. Armer Teufel. Wenn er gewusst hätte, dass ich selbst in Wahrheit einer von Jesus Monteros Attentätern gewesen war … aber darauf wollen wir jetzt nicht weiter eingehen.
Es zählte nur, dass Max sich für mich einsetzte, und die Greifer der Legion auf eine falsche Fährte lockte, als sie kamen und lauthals meine armen Knochen einforderten.
Im März '67 zogen die Froschfresser endlich ab und ließen Max, unter Demonstration ihrer typisch gallischen Loyalität, somit im Stich. Und obwohl damit die eine Geißel meiner Existenz von der Bildfläche verschwand, blieben noch genügend weitere, vor denen Max mich nicht hätte beschützen können, weder tot noch lebendig. Die Juáristas, zum Beispiel, hätten jederzeit das Erhängen eines königstreuen Militärberaters der Einnahme ihres Abendessens vorgezogen. Oder dieser hartnäckige, alte Bandit Jesus Montero, der letztendlich einsehen musste, dass ich eigentlich gar nicht wusste, wo sich Montezumas Schatz befand. Ein verdammtes Höllenloch, dieses Mexiko, und ganz schön drunter und drüber.
Doch für Sie ist jetzt nur von Bedeutung, dass nach Maxens Tod für mich schon eine Freifahrt auf der Totenkarre reserviert worden wäre, hätten mir die reizende Prinzessin Agnes zu Salm-Salm und der völlig ahnungslose Jesus nicht geholfen. Bereits am Vorabend seiner Hinrichtung hatten wir gemeinsam den Versuch unternommen, Max zu befreien. Wir scheiterten (man wird es kaum glauben), weil sich dieser Clown zu fliehen geweigert hatte, da sich dies nicht mit der königlichen Würde eines österreich-ungarischen Monarchen vereinbaren ließe. Lieber starb er, als einen Ausbruch zu wagen. Zur Hölle mit ihm! Und wenn das Haus Habsburg vor die Hunde geht ist es nicht meine Schuld. Ich habe für diese undankbaren Bastarde schon mehr als genug getan.[7]
Auf jeden Fall brachten mich der schleimige Jesus und die entzückende Aggie wohlbehalten nach Veracruz, wo sie einen waghalsigen Plan ausheckte, um mich aus dem Land zu schaffen. Der Tod von Max, der seines Zeichens Bruder des Österreichischen Kaisers Franz Josef gewesen war, sorgte in Wien für Aufruhr. Beim Schutz seines Lebens hatte man zwar kläglich versagt, dafür scheute man bei der Überführung seines Leichnams weder Kosten noch Mühen und schickte ein echtes Kriegsschiff mit waschechtem Admiral samt Kriecher-Gefolge des Wiener Hofstaats.
Und da Aggie die Gemahlin eines deutschen Prinzleins war, eine Heldin der königlichen Kriegsführung und dazu noch anmutig wie Hebe, überschlugen sich die Menschen fast vor Begeisterung, als wir in Sacraficios von Bord gingen. Admiral Tegethoff, ein plumper, in die Jahre gekommener Haudegen, halb Bart und halb Bauch, übersäte ihren Handrücken mit schmatzenden Küssen und bereitete uns einen überaus herzlichen Empfang. Selbst mir, diesem schmutzigen, zerlumpten Tagelöhner, den sie ihm als hoch- und wohlgeboren Oberst Sir Harry Flashman vorstellte: ehemaliger Berater, Vorkämpfer und ganz und gar Held dieses vom Pech verfolgten Versuchs, seine kaiserliche Hoheit den Fängen des Exekutionskommandos zu entreißen.
„Die englische rechte Hand des Kaisers, meine Herren!“, stieß Aggie hervor, die sehr geschickt darin war, Gesagtes mit leuchtenden Augen zu untermalen. „Seine Majestät selbst gab ihm diesen Titel. Wer wäre also besser dazu geeignet, seinen adeligen Herrn und Freund auf dessen letzter Reise zu bewachen?“
Wahrlich, dafür gab es keinen besseren Mann, und somit schlug mir höflicher Enthusiasmus entgegen: das Kriecher-Gefolge grinste hämisch beim Anblick meiner bäuerlich-abstoßenden Erscheinung und schlug die Hacken zusammen, während der alte Tegethoff sich gerade noch davon zurückhalten konnte, mich zu umarmen. Ich jedoch kam nicht umhin, die mit Ehrfurcht und Bewunderung erfüllten großen blauen Augen eines bezaubernden, blonden Schätzchens zu bemerken, welches er mir als seine Großnichte Gertrude von und zu Soundso vorstellte.
Die weltgewandte Aggie bemerkte dies natürlich auch. So stellte sie bei unserem Abschied an der Reling mit Wohlwollen fest, dass ich wohl die romantischste Vogelscheuche sei, die sie je gesehen habe.
„Ihr werdet dem armen Dummchen auf dieser Reise zweifellos das kleine Herz brechen“, setzte sie an. „Und später wird sie sich fragen, was sie bloß an diesem englischen Flegel gefunden hat.“
„Höre ich da Eifersucht, Prinzessin?“, erwiderte ich, worauf sie in schallendes Gelächter ausbrach.
„Auf ihre Jugendlichkeit vielleicht – aber mitnichten auf ihre Verblendung.“ Sie zeigte mir dieses schiefe Grinsen, das mich schon seit Monaten wahnsinnig machte.
„Zumindest nicht sehr. Vielleicht wenn ich noch einmal 16 sein dürfte, so wie sie, aber wer weiß das schon so genau? Adios, mein lieber Harry.“ Und mit völliger Außerachtlassung jedweder Schicklichkeit küsste sie mich vor dem entsetzten Kriecher-Gefolge direkt auf den Mund. Für einen kurzen, wunderbaren Moment war dies wie der Kuss einer Geliebten, die sie nie gewesen war, womit ich sie eindeutig als Eroberung verbuchte. Ich erinnere mich noch genau, wie sehr ich es bedauerte, dass sie so verrückt nach ihrem Ehemann gewesen war, als sie in ihre Kutsche stieg und anmutig winkend davonfuhr.[8]
Kurz darauf wurde Max in seinem Sarg an Bord des Schiffes verladen, worauf ich mich als frisch ernannter Geleitschutz seiner Leiche bereits gezwungen sah, meine erste Amtshandlung zu erfüllen. Ich sollte Tegethoff und seiner Gefolgschaft einen kurzen Blick auf den Verstorbenen gewähren, um sicherzugehen, dass sie es hier mit dem richtigen Burschen zu tun hatten. Ein nicht enden wollendes Unterfangen, wie sich herausstellte, da ihn seine mexikanischen Höflinge mit gleich drei Särgen verwöhnt hatten. Einer aus Rosenholz, einer aus Zink und ein letzter aus Zedernholz, in dem er dann auch lag wie eine russische Matroschka. Er war einbalsamiert worden und sah, das muss ich sagen, fein herausgeputzt aus – von seinem leichten Gelbstich und dem beginnenden Haarverlust einmal abgesehen. Nachdem wir seinen Sarg wieder fachgerecht verschraubt hatten und ein Geistlicher sein Gebet sprach, war die Zeit gekommen, begleitet vom donnernden Kanonensalut der umliegenden Militärschiffe, den Anker zu lichten. Für mich hingegen war die Zeit gekommen, Tegethoff darauf hinzuweisen, dass ich dringend ein Bad und einen Garderobenwechsel benötigte.
Ich konnte mich für die Krautfresser nie besonders erwärmen, was in Anbetracht der Sache mit Bismarck und seiner Bande während der Schleswig-Holstein-Affäre[9] nicht weiter verwunderlich sein dürfte. Und Tegethoffs Gesellschaft war etwas angenehmer als die dieser narbenschmissigen Säbelschwenker, die ich ganz besonders abstoßend finde. Ich würde ich mich sogar dazu hinreißen lassen, zuzugeben, dass sie während dieser Reise, die von Ende November '67 bis weit in den Januar dauerte, nicht aufmerksamer und gastfreundlicher hätten sein können. Bis zu dem verhängnisvollen Morgen, als wir in Triest vor Anker gingen und Tegethoff herausgefunden hatte, dass ich mit seiner Großnichte einige Übungen durchgegangen war, die man an einer Benimmschule normalerweise nicht beigebracht bekommt.
Aggie hatte Recht behalten. Sehen Sie, diese einfältige Plaudertasche war mir von Anfang an verfallen, aber wer könnte es ihr auch verdenken? Dem stählernen Flashy, sonnengebräunt und kriegsmüde, mit Sombrero und Backenbart, ist es eben ein leichtes, einem jungen Fräulein Herzklopfen zu bereiten. Und wenn die Tatsache, dass ich mit fünfundvierzig ihr Vater hätte sein können, kein Hindernis für so ein unschuldiges Ding war, dann – und darauf können Sie Gift nehmen – war es das auch keines für mich. Auch wenn kindlicher Speck und Korkenzieherlöckchen eigentlich nicht mein Stil sind, so sind sie doch, gepaart mit zartem Teint, vollen Lippen und großen Vergissmeinnicht-Augen, die voller Anbetung zu mir aufblicken, durchaus reizvoll. Auch riefen sie wohlige Erinnerungen an Elspeth in mir hervor; von dem lauen Abend, als ich sie zum ersten Mal beglückte, in den Büschen hinterm Clyde. Doch die Ähnlichkeiten gingen weit über das körperliche hinaus. Beide waren sie einfältig, obgleich meinem dümmlichen Eheweib ein gewisses Maß an angeborener Durchtriebenheit innewohnt. Was jedoch das liebe Fräulein Gertrude besonders unwiderstehlich machte, war ihre unermessliche Ignoranz gegenüber den wirklich wichtigen Dingen des Lebens und ihr göttliches Vertrauen in mich als ihren Lehrer und Mentor.
Ihre Anhänglichkeit mir gegenüber während unserer Reise wurde von Tegethoffs Leuten nur müde belächelt. Sie hielten sie schlicht noch für ein Kind, ein eher dümmliches dazu, und da ihre Gouvernante meist zu sehr von Seekrankheit geplagt war, um einzuschreiten, verbrachten wir viel Zeit miteinander. Ihre sorglose Geschwätzigkeit führte dazu, dass sie mir bald all ihre geheimsten Mädchenträume, Fantasien und Ängste offenbarte. So erfuhr ich, dass ihr altersschwacher Großonkel ihr diese Überfahrt als Verlobungsgeschenk zugedacht hatte und sie, sobald sie nach Wien zurückkehrte, einem feinen Aristokratenpinkel versprochen war. Ein Graf wohlgemerkt, den sie allerdings nicht kannte und der mit Ende dreißig schon mit einem Bein im Grab stand.
„Es ist solch eine Ehre“, seufzte sie, „und auch meine Pflicht, sagt Mutter, aber wie bloß soll ich ihr gerecht werden? Ich weiß nicht, wie sich eine Ehefrau zu benehmen hat, geschweige denn eine ehrenwerte Lady. Ich bin zu jung und zu töricht, und … und gering! Er ist ein wichtiger Mann, ein Vetter des Kaisers, und ich bin doch nur ein kleines Licht! Woher soll ich wissen was ihm gefällt, oder Männern generell gefällt, und warum sollte ausgerechnet er es mir sagen?“ Schmachtend ertränkte sie mich in ihren klaren blauen Augen, während ihre drallen Möpse waberten wie Mandelsulz.
Zieht euch aus und lehnt euch zurück, wäre wohl der einfachste Ratschlag gewesen. Stattdessen tätschelte ich ihr Haupt, setzte ein väterliches Lächeln auf und beteuerte ihr, dass sie sich nicht ihr hübsches Köpfchen darüber zerbrechen müsse, da ihr Graf sie ganz bestimmt genauso mochte, wie sie war.
„Das sagt sich so leicht!“, jauchzte sie. „Was, wenn er es nicht tut? Wie kann ich dann seine Zuneigung gewinnen?“ Energisch fuhr sie mich an. „Wenn Ihr es wärt …“ und dem gefühlvollen Flattern ihrer Stimme nach zu urteilen, wünschte sie, ich wäre es – „wenn Ihr es wärt, wie könnte ich am besten euer Herz erobern? Wie könnte ich euch dazu bringen, mich … zu bewundern und zu ehren und … zu lieben! Was würde Euch am meisten erfreuen, das ich für Euch tun könnte?“
Man mag von Schonzeit reden, aber wo ein schwächerer Mann diese Situation womöglich zu seinem Vorteil genutzt hätte, kann ich mit Stolz behaupten, dies nicht getan zu haben. Mag sein, dass sie die fleischgewordene Antwort auf die Gebete eines Lustmolchs war, aber ich wusste genau, dass es vorsichtiger Planung und Geduld bedurfte, bevor sie reif zum Pflücken war. So ging ich behutsam ans Werk. Der nachsichtige Onkel in der ersten Woche, brüderliche Schulter zum Anlehnen in der zweiten, ein Schmatzer auf die Wange in der dritten, ein Kuss auf den Mund zu Weihnachten, um sie allmählich ins Grübeln zu bringen. An Neujahr dann, ein plötzliches, lüsternes Brummen, gefolgt von einem leidenschaftlichen Kuss. Damit hatte ich bei dem verwirrt scheuen Reh endgültig ins Schwarze getroffen. Garniert mit sehnsüchtiger Verehrung und gottlosem Verlangen, schmolz das schlichte Mädchen endgültig dahin, womit ich sie für den Rest des Weges durch die Adria in Sprachlosigkeit versetzte. Ich war natürlich sehr diskret. Bedenken Sie, an Bord eines Schiffs ist man auf kleinem Raum und keusche junge Damen neigen gerade am Anfang zu leichter Aufgeregtheit, die noch ein wenig Maßregelung bedarf. Ich erinnere mich noch genau. Elspeth und auch meine zweite Gattin, Herzogin Irma, hatten sich beide wie aufgescheuchte Hühner benommen.
Unglücklicherweise hatten sie und Elspeth damit noch eine weitere Gemeinsamkeit – Ihre Diskretion glich der eines Stadtausrufers. Genau wie Elspeth, die damals ihre ältere Schwester unverblümt in unser Gerammel einweihte, woraufhin diese umgehend ihre entsetzten Eltern informierte, vertraute sich die schwachsinnige Gertrude prompt ihrer Gouvernante an, die auf der Stelle in Ohnmacht fiel. Erst danach fand sie die Kraft, die guten Neuigkeiten dem alten Tegethoff zu überbringen.
Es muss der Morgen gewesen sein, an dem wir an der Molo St. Carlo in Triest vor Anker gingen. Ich führte gerade Aufsicht bei der Bergung des Sargs aus dem Schiffsbauch und schaffte es gerade noch, Max' Krone am Deckel zu befestigen, als Tegethoff vor Aufregung beinahe vom Niedergang fiel. Die Gehilfen hinter ihm hatten alle Mühe, ihn zurückzuhalten. Er war in volle Montur gekleidet, ausstaffiert mit Zweispitz und Zeremonienschwert, welches er bedrohlich in meine Richtung schwang. Krebsrot angelaufen vor Wut, brüllte er: „Verräter! Vergewaltiger! Pirat!“, was noch als die freundliche Version des eigentlich Gesagten durchgeht und mir Aufschluss darüber gab, warum er sich wie Attila nach einem Schlaganfall benahm.
Der eine Gehilfe hängte sich mit ganzem Gewicht an seine Schwerthand und zog sie mit aller Kraft zurück. Der andere hingegen, ein schwerfälliger, junkerhafter Schläger, dessen hässliche Visage mit Narben übersät war, zog mir seinen Handschuh durchs Gesicht, warf ihn vor meine Füße und stampfte davon. Für mehr reichte die Zeit nicht, denn die Barkasse näherte sich, die Max an Land bringen sollte, und an der Landungsbrücke hatten sich der Herzog von Württemberg und all die anderen großen Namen, bereits aufgereiht. Der Kai war in dunkle Schwaden gehüllt, und Blechbläser spielten etwas fröhlich Wagner artiges. Zum Glück verstehe ich mich auf Fingerzeige, denn so begriff ich schnell, dass ich mich, sobald sie Max zur Eisenbahn nach Wien eskortiert hatten, schleunigst das Weite suchen sollte, ohne einen weiteren Mucks zu machen.
Also ließ ich die Sargträger ihr Gut verladen, wartete, bis die Kanonen der versammelten Schiffe mit ihrem Salut begannen und Tegethoff und Konsorten in sicherer Entfernung verschwanden, bevor ich mich mit hastig gepackter Reisetasche an Land schlich. Der Trauerzug setzte sich langsam in Bewegung, entlang des Boulevards, unterhalb des Grand Canal, in Richtung Stadtmitte; feierliche Musik, haufenweise singende Kleriker, Kreuze tragende Klosterbrüder, Bataillone von Infanteristen, und ich dachte still „Hasta la vista, alter Max“ und machte mich eilig auf den Weg stadteinwärts, um mich für ein paar Stunden im Getümmel zu verlieren.[10] Tegethoffs Gruppe, samt Leichnam, würde bald auf dem Weg nach Wien sein und ihrem Groll gegen mich frönen, kein Zweifel, jedoch unfähig, diesem Ausdruck zu verleihen. Ich dagegen könnte darüber nachdenken, wie zum Teufel ich das Geld für eine Passage nach England auftreiben konnte, denn abgesehen von ein paar Pesos und Yankee-Dollars in meiner Tasche war ich blank.
In Triest ist nicht wirklich viel geboten, außer man versteht etwas von Handel, Banken oder ähnlich zwielichtigen Geschäftszweigen. Fouché, der Kopf von Napoleons Spionagetrupp, liegt hier begraben, und Richard Löwenherz hat hier zeitweilig seine Gefängnisstrafe verbüßt. Die wenigen anderen Attraktionen sind der Markt und der Corso, eine breite Straße, welche die alten und neuen Stadtteile miteinander verbindet und auf dem man sich die Nase an den Schaufenstern plattdrücken und so viel Kaffee trinken kann, bis man platzt.
Am Abend hatte ich mich bis zum Platz vor der Börse, der Piazza della Borsa, durchgeschnorrt und weiter in einen Casino Club, in dem regelmäßig die örtliche Schickeria zusammenkam. Ich hoffte, über eine unternehmungslustige reiche Witwe zu stolpern, die den körperlichen Sinnesfreuden nicht gänzlich abgeneigt war. Doch kaum hatte ich begonnen, den modischen Pulk zu begutachten, als ich mich im Angesicht eines Mannes wiederfand, den ich wohl als letztes an diesem Ort erwartet hätte. Mein alter Kumpel aus Rugby und Mostkellerzeiten, Speedicut, den ich seit der Nacht, in der der Minor Club in St. James geplündert wurde, kaum mehr gesehen hatte. Wir mussten damals vor den Gendarmen fliehen, und ich fand mein Refugium in der Kutsche (später auch im Bett) von Lola Montez, Gott beschütze ihr schwarzes Herz. Das war nun schon an die fünfundzwanzig Jahre her, dennoch erkannten wir uns auf Anhieb und mit großer Freude wieder, die wir allerdings nur vorsichtig zum Ausdruck brachten. Als zwei von Natur aus misstrauische Gestalten, waren wir keine gewöhnlichen Busenfreunde.
Kurz darauf erfuhr ich, dass er in den diplomatischen Dienst gewechselt war, was mich nicht sonderlich überraschte, da ihm die Seele eines Quacksalbers innewohnte mit großem Talent, sich elegant durchs Leben zu schnorren und einer noch größeren Aversion gegen Arbeit. Er war in Not, denn, wie Sie bereits ahnen werden, hatte er dieses Vermögen aus Silbertalern von Wien zur Weiterverschiffung nach Abessinien gebracht, und man mag es kaum glauben, der von ihm angeheuerte Begleitschutz war nun ausgefallen und er, auf der Suche nach einem neuen, mit seinem Latein am Ende. Selbst konnte er es nicht machen, seine Pflichten als Diplomat hielten ihn auf österreichischem Boden fest, und so weiter und so weiter … Just in diesem Moment dünkte ihm, dass er hier doch dem guten alten Harry gegenüberstand. Ritter des Königreichs, Held des Krimkriegs und der Meuterei in Indien, Liebling des Gardekavallerieregiments und einfach ein Kerl, dem man solch eine lebenswichtige Aufgabe, im Dienste des Vaterlandes, anvertrauen konnte.
Mein Erscheinen war für ihn wie ein Wink des Himmels und gute Güte, das war es wirklich!
Für meine Heimreise wollte er allerdings nicht aufkommen. Dafür, dass er aus krösusartigen Verhältnissen stammte, war er geizig wie Solomon Levi. Immerhin gelang es mir, unter Vortäuschung falschen Interesses, ihm ein annehmbares Abendessen in der Locanda Granda aus dem Kreuz zu leiern. Danach musste ich ihm jedoch mitteilen – überaus höflich für jemanden, der ungern Menschen vor den Kopf stößt – wo er sich seine Ladung Taler so hinschieben könnte. Er jammerte ein wenig, drängte mich aber nicht weiter, da er wohl eh nicht davon ausgegangen war, dass ich zustimmen würde. Wir gingen an diesem Abend also friedlich auseinander. Er machte sich in Richtung Bahnhof auf, um sicherzugehen, dass sich seine Leute auch um die Dublonen kümmerten, und ich machte mich auf die Suche nach einer günstigen Bleibe für die Nacht.
Ich war gerade um die Ecke gebogen, da erspähte ich etwas, das mir gewaltig auf den Magen schlug und mich umgehend dazu verleitete, mich schnellstens ins nächstgelegene Gässchen zurückzuziehen. Keine zwanzig Meter von mir entfernt, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, stand der österreichische Rüpel, der mich geohrfeigt und zum Duell gefordert hatte, im Gespräch mit zwei uniformierten Gendarmen und einem bärtigen Schurken in Melone und einfacher Kleidung, dem der Greifer förmlich in das Gesicht geschrieben war. Neben ihm standen außerdem noch zwei bewaffnete Soldaten.
Als die Gruppe sich aufteilte und der Hauptmann die Treppen zur Locanda erklomm, die ich soeben erst verlassen hatte, schwante mir Böses – Tegethoff hatte diesen Dreckskerl zurückgelassen, um mich ausfindig zu machen und entweder vor Gericht zu bringen, als Verführer Minderjähriger (die Krautfresser haben diesbezüglich die primitivsten Ansichten, wie ich schon in München '47 herausfand, als Bismarcks Schlägerkommando meine Liebelei mit der schwabbeligen Schlampe Baronin Pechmann unterbrechen musste), oder, was noch wahrscheinlicher war, beabsichtigte er, mich in einem Säbelduell der Länge nach aufzuschlitzen. Mit einem Schlag war mir Triest ein zu heißes Pflaster geworden – jetzt wissen Sie auch, warum ich mich wenige Stunden später in Speedicuts Zimmer im Victoria wiederfand, lautstark um Erlaubnis fordernd, sein Silber nach Abessinien oder Timbuktu oder welchen Ort auch immer zu bringen. Hauptsache ich war außer Reichweite österreichischer Rachegelüste.
In meiner Angst malte ich mir sogar aus, falls Tegethoff mich zu fassen kriegte, er mich sicherlich auch verhörte und so herausbekäme, dass ich ein desertierter Fremdenlegionär war, und mich an die verdammten Froschfresser aushändigen würde. In dem Fall verbrächte ich den Rest meiner Tage als Sklave in einem Straflager in der Sahara. Eine unbegründete Angst, rückblickend betrachtet, aber in solchen Belangen bin ich einer von der übervorsichtigen Sorte, wie Sie vielleicht wissen. Ich habe Speed nichts von diesem Hirngespinst erzählt, wohl aber alles über Gertrude, weil er so was für völlig verrückt hält und meine Fähigkeiten als Herzensbrecher und Flüchtender bewundert.
„Wie du, in Dreiteufelsnamen, solchen Gefahren immer in letzter Minute ein Schnippchen schlägst, bleibt mir ein Rätsel – aye, und nicht selten mit einer Verehrerin auf deinen Fersen! Diesmal hast du ein verdammtes Glück gehabt, dass ich gerade zur Stelle war!“
„Glück für uns beide. Jetzt, da du alles über meine schmutzige Vergangenheit weißt, möchtest du mir immer noch deine halbe Million anvertrauen? Keine Befürchtungen, dass ich womöglich einen Abstecher nach Monte Carlo mache und alles beim Roulette verspiele?“
So formuliert, mit Zwinkern und Grinsen, störte es ihn nicht die Bohne und sein gesunder Menschenverstand verriet ihm, dass ich mich eh nicht aus dem Staub machen würde und er sowieso keine andere Wahl hatte. Wenige Stunden nach Mitternacht fand ich mich also an der Hafenmole wieder und sah dabei zu, wie Speedis Angestellter mit dem Skipper einer kleinen Barke oder Jolle oder wie auch immer sie die Dinger nennen, verhandelte, während sich seine Crew aus Antonios schnatternd auf den Ladeluken herumfläzte – selbst in diesen Zeiten war Triest mehr italienisch als österreichisch geprägt – und da kam auch schon Speed in Windeseile über die verlassene Plaza aus Richtung Bahnhof angerauscht, eine Truppe Marineinfanteristen der Botschaft im Schlepptau, die unsere sensible Ladung auf einem Handkarren heranrollte: eine Menge einzelner, kleiner Geldkassetten, auf deren Schlössern das kaiserliche Wappen[11] prangte. Es waren vier Ledernacken[12] unter einem Feldwebel mit vorspringendem Kinn, alle sehr schneidig, die Gewehre geschultert. Speeds Taler wären mit dieser Gefolgschaft vor Seeräubern und Landräubern jedenfalls sicher.
Vielleicht lag es an meinem kleinen Scherz über Monte oder seiner natürlichen Angst davor, seine wertvolle Fracht aus den Augen zu lassen, aber nun, als die Tinte getrocknet war, kamen in Speed schreckliche Zweifel auf. Vorher hatte er mich förmlich darum angefleht, ihm zu Hilfe zu kommen, doch nun, beim Anblick der plappernden Itaker, die die Kassetten schwungvoll unter Deck brachten und dem Feldwebel, der darüber fluchte wie ein Landsknecht, kaute er nervös auf seiner Unterlippe. Ich hingegen, genehmigte mir einen Stumpen an der Reling und probierte mein italienisches Kauderwelsch am wehrlosen Skipper aus.
„Das hier ist kein Spaß, Flash!“, sagte Speed. „Es ist verdammt ernst! Du trägst nicht nur die Verantwortung für diese Taler, sondern auch für meine Karriere – und meinen guten Ruf, verflucht!“ Als ob er einen gehabt hätte. „Jesus, sollte irgendetwas schiefgehen, wirst du dich doch darum kümmern, oder, alter Freund? Ich meine, du wirst doch nichts Dummes anstellen, du weißt schon, wie … wie …“, er hielt inne und wollte den Satz nicht mit so etwas wie „wie mit dem Zaster nach Pago Pago durchzubrennen“ beenden. Stattdessen schloss er ihn mit einem mürrischen „es ist nicht versichert, weißt du – nicht ein Groschen!“ ab.
Ich versprach ihm, dass sein Hartgeld wohlbehalten und in weniger als vier Wochen zu Napier gelangen würde, aber er sah immer noch irgendwie traurig aus und nicht allzu erpicht darauf, mir den Passierschein der Botschaft zu übergeben, der die königlichen Staatsdiener dazu veranlasste, meine Reise zu erleichtern und einen Brief an Napier mit der Bitte um Mittel für meine Rückreise. Ich schüttelte hastig seine Hand, bevor er es sich anders überlegen konnte, und als wir ablegten, der Skipper das Steuerrad drehte und seine Crew die Segel setzte, mein Gott, da war er schon wieder. Er lief an der Mole entlang, ruderte mit den Armen und brüllte:
„He, Flash, ich hab vergessen, dich nach einer Quittung zu fragen!“
Ich schlug ihm vor, meine Unterschrift zu fälschen, wenn es ihn besser schlafen ließe, und sein Gezeter verklang in der warmen Nachtluft, als der Wind in unsere Segel blähte und sich das kleine Schiff ruckartig in Bewegung setzte. Der Skipper brüllte seine Kommandos, und die Arbeitskräfte liefen barfuß umher und knoteten die Tauenden fest. Ich blickte zurück auf den großen, leuchtenden Halbmond über dem Hafen von Triest und fühlte eine unheimliche Erleichterung, als ich bei mir dachte: Flashy, mein Junge, schon wieder ein Ort, den du nach kurzer Anwesenheit heilfroh bist zu verlassen. Auf eine fröhliche Urlaubsfahrt zu einem neuen Horizont und einem alten Freund! Und danach, hey, auf einen kurzen Abstecher in die Heimat und zur schmachtend wartenden Elspeth. Die merkwürdige kleine Gertrude verblich zwar bereits in meiner Erinnerung, trotzdem befand ich rückblickend, dass dank meines Einsatzes ihr Gemahl von einem Prinzlein in ihrer Hochzeitsnacht wohl entweder hocherfreut oder hochgradig entsetzt sein würde – womöglich beides, dieser glückliche Bursche!
Sie können hieraus erschließen, dass ich in einer friedvollen und optimistischen Gemütslage war, als ich zu meiner Abessinischen Odyssee aufbrach. Esel, der ich war. Sie mögen vielleicht denken, dass ich mir nach all den Dingen, die ich Zeit meines Lebens gesehen und durchlitten habe, auch immer die Male in Erinnerung rufe, bei denen es beim Aufbruch zunächst rosig erschien, um später in einem heillosen Durcheinander zu enden. Aber man weiß es eben vorher nie.
Ich konnte es nicht vorhersehen, als ich zufrieden am Bug stand und in die vom Mondlicht grün erleuchtete See starrte. Die sanfte adriatische Brise im Gesicht, das Fluchen und Lachen der Jollies in den Ohren und der unerträgliche Gesang eines Crewmitglieds – als hätte man einer Katze auf den Schwanz getreten.
Ich konnte auch nicht vorhersehen, dass eine schreiende Horde langhaariger Krieger mit ihren schrecklichen Sichelklingen auf die Sikh-Bajonetts eindreschen würden, oder den riesigen Haufen verwesender Leichen unterhalb des Islam Gee Plateaus, oder das beengende Gefühl von stählernen Gitterstäben um meinen Körper, als ich in einen Käfig gesperrt im eisigen Wind über gähnender Leere baumelte, oder die Veränderung eines kultivierten Monarchen in einen mörderischen Tyrannen, der lauthals kreischte, als er, mit hysterischer Fröhlichkeit, auf seine gefesselten Opfer einschlug.
Nein, all diesen Horror konnte ich nicht vorhersehen. Auch nicht dieses unglaubliche, fremde Land, Priester Johannes sagenhaftes Reich von uneinnehmbaren Bergfestungen und bodenlosen Felsspalten, besiedelt von einem wilden, kriegsbesessenen, stolzen Volk, in das Napier eine Expedition führen sollte, wie man sie seit Cortéz oder Pizarro (laut Henty) nicht mehr gesehen hatte und sie – unglaublicher Gefahren und geringer Überlebenschancen zum Trotz – auch wieder hinausbringen sollte. Ein Land voller Geheimnisse, Terror und Grausamkeit und den entzückendsten Frauen in ganz Afrika … eine lächelnde, goldglänzende Nymphe in knapper Ledertunika, die sich, an einem Bachlauf sitzend, die Haare flocht und mich dabei zu necken versuchte … eine prunkvolle Barbarenherrscherin, die, von ihren gezähmten Löwen umringt, auf üppigen Sitzkissen thronte … und eine lehmfarbene junge Schönheit, die meinen Häschern anriet: „Wenn wir ihn Stück für Stück ans Feuer verfüttern, wird er schon reden …“
Aye, Abessinien ist schon ein interessantes Fleckchen Erde.
*** Anmerkungen ***
[1] Alex = Alexandria in Ägypten
[2] Kaiser Theodor II, auch: Téwodros, Tewodros, Theodore, Kassa Hailu.
[3]Es ist nicht ganz klar, warum der Maria-Theresia-Taler sich solcher Beliebtheit erfreute. Speedicut meint, dass sein Silber von ungewöhnlicher Reinheit wäre, aber Samuel Baker, der Jäger und Entdecker, bemerkte, dass das Bildnis der Kaiserin „mit einem tief ausgeschnittenen Kleid und einer enormen Oberweite offensichtlich dem arabischen Geschmack entspricht.“ (The Nile Tributaries of Abyssinia, 1867).
[4] „Dickey“, was wackelig oder unsicher bedeutet, ist als Ausdruck Jahrhunderte alt, aber „in Dickie's meadow“, was in ernsthaften Schwierigkeiten sein bedeutet, ist eine nordcumbrische Redewendung, und man hat darauf hingewiesen (spaßeshalber, keine Frage), da Richard III in jüngeren Jahren Hüter der West Marches mit seinem Hauptquartier in Carlisle war, wo eine der bekanntesten Straßen der Stadt, Rickergate, an ihn erinnert, die sprichwörtliche Wiese Bosworth Field gewesen sein könnte.
[5] Flügeladjutant, persönlicher Helfer eine hochgestellten Persönlichkeit
[6] Das Rätsel um Flashmans Dienste in der französischen Fremdenlegion bleibt ungelöst. Es mag nach dem amerikanischen Bürgerkrieg gewesen sein, dass er zu Maximilian stieß, oder zu irgendeinem früheren Zeitpunkt in Nordafrika, dass er es mit der Legion zu tun hatte, wie Hinweise an anderen Stellen in seinen Aufzeichnungen andeuten. Dies ist die erste Erwähnung seiner Desertion, aber ohne Angabe von Ort und Zeitpunkt. Eine Sache ist klar: Er muss seinen Frieden mit den französischen Autoritäten vor 1877 geschlossen haben, das Jahr, in dem er in die Ehrenlegion aufgenommen wurde.
[7] Flashman erinnert sich an einen weiteren Dienst für die königliche Familie Österreichs, als er eine Verschwörung ungarischer Nationalisten vereitelte, bei der Kaiser Franz-Josef 1883 in seiner Jagdhütte in Bad Ischl ermordet werden sollte. Dafür erhielt er den Maria-Theresia-Orden und durfte einen Walzer mit Kaiserin Elisabeth (Sissi) tanzen. (Siehe Flashman und der Tiger.)
[8] Flashmans mexikanische Aufzeichnungen werden zweifellos mehr Auskunft über diese bemerkenswerte und eher mysteriöse Abenteurerin geben. Alles was wir über ihre Herkunft wissen, ist, dass sie wahrscheinlich Amerikanerin war und Zirkus-Reiterin, bevor sie Prinz Felix zu Salm-Salm, einen deutschen Glücksritter, getroffen und geheiratet hat, als dieser im amerikanischen Bürgerkrieg diente. Nach dem Krieg zog es die unternehmungslustigen Salms nach Mexiko, wo Felix Maximilians Hauptberater und Flashmans Kollege wurde. Die drei versuchten mehrfach, den Kaiser vor dessen Exekution zu retten, und Prinzessin Agnes hat einige Beschreibungen darüber in ihrem Ten Years of my Life (1868) hinterlassen, dessen Frontispiz eine gutaussehende, eindrucksvolle Lady von unübersehbarer Intelligenz und Willenskraft zeigt. Abgesehen von diesen Tatsachen, und was Flashman über sie schreibt, ist das einzige andere Detail, das wir kennen, dass sie einen Hund besessen hat, Jimmy, der ihr ständiger Begleiter war. (Siehe Flashman und der Tiger, und Maximilians Lieutenant, A Personal History of the Mexican Campaign, 1864–7 von Ernst Pitner, tr. und herausgeben von Gordon Etherington-Smith, 1993.)
[9] Siehe Royal Flash, Band 2 der Flashman-Manuskripte
[10] Details über Maximilians letzte Reise können vielleicht in Zeitungen jener Tage gefunden werden, und es gibt einen exzellenten Bericht in der Illustrated London News. Es versteht sich von selbst, dass Flashman das Zeremoniell in- und auswendig kannte, sogar bis hin zu dem merkwürdigen dreifachen Sarg und der Prozession im Hafengebiet.
[11] Es müssen ungefähr 250 dieser Kassetten gewesen sein. Jede von ihnen beinhaltete 2.000 Dollar, laut der Unterlagen des Schatzmeisters der Expedition.
[12] Ein Stiefelnacken oder Ledernacken ist ein Royal Marine, vermutlich benannt nach der Lederschlaufe, die den Kragen der Uniform im 19. Jahrhundert verschlossen hielt, oder möglicherweise durch die lederne Halsbinde.
Ledernacken wurde als Spitzname für die U.S. Marines im frühen 20. Jahrhundert übernommen. Royal Marines waren außerdem als Jollies bekannt, laut Eric Partridge einst der Spitzname der London Trained Bands (Miliz während des Bürgerkriegs).