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Helmut Clahsen

„ … indem sie Feuer entzündeten und töteten …“

Ein historischer Roman nach einer wahren Begebenheit mit authentischen Personen in Rothenburg ob der Tauber im Jahre des Herrn 1298

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Namen und Daten aller in diesem Buch genannten jüdischen Personen sind authentisch. Die Berufe der nichtjüdischen Personen sind zum Teil frei erfunden.

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Impressum

Die Printversion ist 2008 im Helios-Verlag, Aachen, unter der ISBN 978-3-938208-90-8 erschienen.

eISBN 978-3-86933-174-4

Inhalt

„ … indem sie Feuer entzündeten und töteten …“

Nachwort

Glossar

„ … indem sie Feuer entzündeten und töteten …“

An einem sonnigen Vormittag des Jahres 1298 stand Wernitzer am offenen Erkerfenster seines Hauses am Anfang der Herrengasse und schaute dem vielfältigen und bunten Treiben auf dem Marktplatz zu.

Der März hatte gerade begonnen. Die Sonnenstrahlen wärmten noch nicht richtig, weil der Tag noch jung war. Unter ihm, auf dem Markt, wurde gewerkelt und lauthals lärmend und gestikulierend gefeilscht, gehandelt und allerlei Waren, Dienste und Künste feilgeboten. Da standen die Töpfer mit ihren tönernen Gefäßen, den großen und kleinen, die im Alltag von Nutzen waren. Gleich rechts neben den Töpfern hatten die Hafner ihre derb oder kunstvoll geflochtenen Korbwaren ausgestellt. Sie hatten ihren angestammten Platz an der Ostseite, gleich dort, wo die Hafengasse in den Marktplatz einmündet.

Weiter oben auf der gleichen Seite standen die Kesselmacher, die Seiler und ein Schuhflicker, der sich klugerweise windgeschützt am Beginn eines Gässchens, das vom Markt zur Synagoge und zum Judenviertel hinauf führte, niedergelassen hatte. Eine recht große Fläche des südlichen Marktplatzes, an der Schmiedgasse, die sehr steil vom Gebsattlertor herauf führte, beanspruchten von jeher die Wagner und die Schmiede, die außer handwerklichen Gerätschaften, kunstvoll geschmiedetem Tor- und Gitterwerk, auch Hellebarden, Morgensterne, Streitäxte, Pfeilspitzen und anderes Kampfgerät an den wehrfähigen Mann zu bringen suchten. Die wohl größte Fläche des Marktes nahmen die bäuerlichen Erzeugnisse, die Gemüse, Getreide, gedörrtes Obst und die Tiere ein, die von Bauern und Händlern aufgetrieben worden waren.

Der Viehmarkt erstreckte sich bis tief in die Herrengasse hinein, die im unteren Teil, zur Burg hin, kaum bebaut war. Nur ein paar stattliche Anwesen einiger Patrizier standen dort.

In provisorischen Pferchen, in Körben, Käfigen und Gattern wartete allerlei Getier, entweder lautlos und geduldig oder je nach Art blökend und gackernd, quiekend und schnatternd auf das ihm zugedachte Schicksal. So manches Tier wird wohl im Fleischhaus enden, dachte Wernitzer. Er stammte aus einer sehr alten Patrizier Familie. Einer seiner Vorfahren war sogar Schultheiß gewesen, als Kaiser Barbarossa im Jahre des Herrn 1172 Rothenburg ob der Tauber die Stadtrechte verliehen hatte. Er selbst war dabei gewesen, als die Urkunde der Reichsstadt-Privilegien, ausgestellt von Rudolf von Habsburg, am 15. Mai 1274 auf dem Marktplatz durch eine Ritterschar des Kaisers feierlich an die Stadt Rothenburg ob der Tauber übergeben worden war.

Von der Mitte des Marktplatzes zogen plötzlich laute, langanhaltende Schmerzensschreie seine Aufmerksamkeit auf den Zahnbrecher, der dort sein schmerzhaftes Handwerk auf einem erhöhten Podest zwischen vier Wänden aus hellem Zeltwerk betrieb. Weil aber die kräftig scheinende, aber wenig wärmende Märzsonne in das oben offene Zeltviereck hinein schien, konnte das neugierige Volk lachend und applaudierend bizarre Schattenspiele genießen, die der Zahnbrecher und seine muskulösen Handlanger veranstalteten, die einen Patienten festzuhalten suchten, der ohne Betäubung behandelt wurde.

„Was raus muss, muss raus“, murmelte Wernitzer, dem bei dem Gedanken schauderte, er könnte irgendwann in die gleiche Situation geraten. Von dem Podest des Zahnbrechers weg schaute er zu den Ständen vor den Häusern, die an der Nordseite des Platzes standen. Dort drängten sich die Frauen und Töchter der Edlen und der begüterten und freien Bürger der Stadt und die, die eigens zu diesen Markttagen hergekommen waren und zum Wohlstand der vornehmen Herbergen beitrugen, in denen sie logierten. An diesen Ständen wurden die edelsten Stoffe, auch mit Silber und Goldfäden durchwirkte, in den schönsten und leuchtendsten Farben hergestellte, gehandelt. Auch Stoffe aus weit entfernten Ländern. Feinste Damast- und Seidenstoffe, bestes Linnen und kunstfertig hergestellte Schmuckbänder wurden an diesen Ständen von jüdischen Kaufleuten angeboten.

Die Juden hatten ein vom Kaiser verbrieftes Marktrecht, das der hohe Herr sich äußerst einträglich versilbern ließ. Weil der Kaiser aber weit weg war, die Stadt aber den gleichen Nutzen aus den Juden ziehen wollte, schon deshalb, weil sie den Schutz der Juden zu gewährleisten hatte, schloss sie zusätzliche Verträge mit ihnen, die jährlich zu erneuern waren. Jedoch waren all diese ‚verbrieften Rechte‘ nur ein halber, oftmals ein sehr fragwürdiger Schutz. Wer auch immer Geld brauchte, ob Kaiser oder Stadt, pfiff auf Verträge und holte sich das Geld von den Juden.

Wernitzer schloss das Fenster. Es wurde Zeit, sich zum Rathaus zu begeben. Er legte die breite silberne Ehrenkette an, die ihn als Mitglied des Rates der Stadt auswies. Vom Fenster der Eingangshalle sah er die Ratsherren Vetter und Ratgeb heftig diskutierend und gestikulierend die Herrengasse hoch auf das Rathaus zukommen. Er glaubte zu wissen, worüber die beiden so lebhaft diskutierten. Die Herren waren in besonderem Maße mit der Erweiterung der Stadtbefestigung betraut. Ein mit Problemen beladenes Amt. Ständig mussten neue Geldmittel herbeigeschafft werden. Anno 1204, Wernitzer und auch die Herren Vetter und Ratgeb waren noch nicht geboren, war es nötig geworden, das vermutlich noch Jahrzehnte andauernde Unternehmen zu beginnen. In der bestehenden ersten Stadtbefestigung war es längst drangvoll eng geworden. Händler, Handwerker und Bauern hatten sich außerhalb des ersten Stadtringes angesiedelt. Die Bevölkerung war auf 6000 Personen angestiegen und die Stadt war mit der Zeit zu einem politischen Machtzentrum geworden. Zum Schutz aller war es daher dringend geworden, die Wehranlagen um mindestens 1000 Meter zu erweitern und mit wehrhaften Türmen und Toren auszustatten. Das forderte erhebliche Opfer von der Bevölkerung. Auch die unfreien Einwohner, die die Frondienste zu leisten hatten, stöhnten gewaltig unter der ihnen auferlegten Last. Rothenburg war in den Ruf einer ‚Kaiserholden Stadt‘ gekommen, und dieser Ruf trug außerordentlich dazu bei, dass sie ständig wuchs und gedieh, wirtschaftlich und politisch enorm an Bedeutung gewonnen hatte.

Zweimal war Rudolf von Habsburg in Rothenburg gewesen. Eine ganz besondere Ehre für die freie Reichsstadt. Das letzte Mal war im Jahre des Herrn 1289 gewesen. Wernitzer erinnerte sich. In jenem Jahr, kurz vor dem Ereignis, war er 33 Jahre alt geworden. Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches zog mit großem Pomp und sehr edlem Gefolge in den Kaisersaal des imposanten, um 1250 im gotischen Stil erbauten Rathauses ein. An der Spitze des Rates der Stadt Reichsvogt von Nordenberg, der der Reichsküchenmeister seiner Majestät war und auf der Stauferburg residierte, in Rothenburg das Amt des Schultheißen und somit die Gerichtsbarkeit inne hatte. Es folgte der Klerus, dem die Deutschherren, denen der Kaiser, wie es schien, sehr zugetan war, voran schritten. Danach die Edlen, die Patrizier und die freien Bürger. Alle in prächtigen Gewändern. Alle huldigten dem hohen Herrn. Eine Abordnung der in Rothenburg ansässigen Juden war auch zur Huldigung gekommen, und nicht mit leeren Händen. Sie wussten, was sie dem ‚besonderen Schutz‘ und den vom Kaiser gewährten ‚Freiheiten‘ verdankten. Sie kannten den Preis der ‚Kammerknechtschaft‘, unter der sie standen und zahlten ihn. Zahlten ihn mit Würde. So, als ob sie ein Geschenk brächten statt einer Repressalie, die von ihnen erwartet wurde.

Verständnislos schüttelte er, einen Moment auf der Treppe verweilend, den Kopf, als er sich erinnerte. Zehn alte Männer mit langen weißen Bärten, Schläfenlocken, gelben spitz geformten Kopfbedeckungen hatten, von Wachen eskortiert, sehr aufrecht den Saal betreten. Woher nahmen diese Juden ihren anmaßend wirken den Stolz?

Sie hatten wahrlich keinen Grund dazu. Sie wurden wie Sachgut behandelt. Sie und ihre Einkünfte konnten als Lehen weitergegeben werden. Sie konnten verpfändet oder einfach verschenkt werden.

Auch Verkäufe reicher Juden waren schon vorgekommen. Sie durften ihren Wohnsitz nicht nach Lust und Laune wechseln. Dieses Recht und alle anderen Privilegien mussten sie sich mit reichlichen Bestechungsgeldern erkaufen. Nicht einmal der Kaiser, dem sie an jenem Tag gehuldigt hatten, hielt seine Versprechen und Verträge mit ihnen. Ja, gehuldigt hatten sie dem Kaiser. Die Köpfe hatten sie geneigt. Nicht den Kniefall, den selbst der Adel leistete, wenn er dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches huldigte. Die Juden beugten ihre Knie nur vor ihrem Gott. Jedoch auch dieses Privileg für die Juden brachte dem Kaiser eine hübsche Summe in die Kasse. Vielleicht waren sie ihm auch deshalb so selbstbewusst vorgekommen, weil sie die einzigen Unfreien gewesen waren, die direkt vor das Antlitz des Kaisers treten durften. Er hatte noch nicht herausgefunden, woher die Juden in diesen für sie ganz und gar unsicheren Zeiten ihren Stolz hatten.

Obwohl im Laufe der Jahre daran gewöhnt, begeisterte ihn die Betriebsamkeit und das Spektakel an den Markttagen so sehr, dass er eine kleine Weile zuschauend vor seinem Haus verharrte, bevor er sich anschickte, die belebte Gasse zu überqueren und das Rathaus zu betreten. Er stieg die breiten steinernen Stufen zum Ratssaal hinauf und dachte an die Herren Vetter und Ratgeb, die den Rat mit ihrer andauernden Geldnot konfrontieren würden. Um eine bindende Entscheidung hinausschieben zu können, hatte er nur einen Teil der Ratsherren zu dieser Sitzung eingeladen und darauf geachtet, dass die Anzahl der geladenen beschlussunfähig sein würde. Aber eines wusste er schon im voraus, nämlich, wer die fehlenden Gelder herbeizuschaffen haben würde, die der ohnehin stark belasteten Bürgerschaft nicht mehr aufgebürdet werden konnten. Wie gewohnt, würde der Rat irgendwann beschließen, einigen wohlhabenden Juden in bekannter Weise nahe zu legen, eine genau benannte Spende zum Wohle der Stadt abzuliefern. Schließlich verpflichteten die Juden sich in ihrem jährlich zu erneuernden Vertrag mit der Stadt, „… das Beste der Stadt zu wollen und zu fördern.“ So beschworen sie es Jahr um Jahr nach jüdischer Gewohnheit auf dem Buche Moses. Rothenburg hatte keine wirklich armen Juden, wie sie häufig anderswo anzutreffen waren. Aber auch die mussten zahlen, zahlen und immer wieder zahlen. Er betrat den Ratssaal mit der guten Gewissheit, zumindest aus finanzieller Sicht keine bösen Überraschungen zu erleben.

Der alte Nachmani saß in dem winzigen Garten hinter dem Haus in seinem Korbsessel, der mit weichen, wärmenden Schaffellen ausgelegt war. Da ihn die Gicht plagte, waren auch seine Beine mit Schaffellen umwickelt, die ihm Linderung verschafften. Der Garten zwischen dem Haus und der inneren Wehrmauer, die vom Galgentor abwärts in südlicher Richtung zum Markusturm und dem Rödertor verlief, war nur wenige Meter tief, aber so breit wie das Haus, das Nachmani mit seiner ganzen Familie und dem Gesinde bewohnte.

Bis vor fünf Jahren hatten sie in Röttingen in der Judengasse gewohnt. In einem ärmlichen Haus, in dem niemand nach Reichtümern gesucht hätte. Das war in diesen unsicheren Zeiten auch gut so. Er und sein Sohn durften sich offiziell nur nach den von der katholischen Kirche für Juden erlassenen Vorschriften betätigen. Wo kein einsichtiger Landesherr anders entschieden hatte, galten für Juden die Anordnungen, die der Papst Alexander III. im Jahre 1179 entschieden hatte. Das waren bittere Gesetze. Die Juden verloren das Recht Handel zu treiben, außer mit Trödel und Pfändern. Auch Geldwechsel und Wucher war ihnen erlaubt. Das Hehlerprivileg hatte der Papst ihnen zugestanden und Haus und Grundbesitz erlaubt. Sie mussten bei ihren Geschäften sehr, sehr vorsichtig sein, besonders bei der Annahme von Pfändern. Das Hehlerprivileg rettete im Ernstfall keinen Juden vor einer Anklage und dem Galgen. Wer glaubte schon einem Juden, nicht gewusst zu haben, dass ein in Pfand genommener Gegenstand Diebesgut war. Mochte er selbst am Galgen noch seine Unschuld beschwören, es half ihm nicht. Mochte er arm, mochte er reich sein, Hab und Gut verfielen dem, der ihn angezeigt hatte, und das waren meistens Christenmenschen, die sich bereichern wollten. Nachmanis Schwager, der mit seiner Familie in Frankfurt am Main gelebt hatte, war es übel ergangen. Acht Jahre war es jetzt her.

Eines Abends spät war Joshua von einem katholischen Priester besucht worden, der einen wertvollen goldenen Messkelch in Pfand geben wollte. Joshua hatte den Kelch zunächst nicht nehmen wollen, was Meta, Joshuas Eheweib, bestätigt hatte. Später hatte er sich doch überreden lassen, weil der Priester in gar so großer Geldnot gewesen sei.

Gleich am Tag darauf war Joshua zum Verhör geholt worden. Der vermeintliche Priester, so fand man heraus, war ein Dieb gewesen, der zum Messkelch auch das Priestergewand gestohlen hatte. Joshua ist gehenkt worden, weil ihm nicht geglaubt worden ist. Das Gericht warf ihm vor, den Dieb angestiftet zu haben. Sein Hab und Gut verfiel der Kirche. Wochen später nahm Meta sich aus Gram und Scham das Leben.

Seit fünf Jahren lebte Nachmani nun schon hier. Vor fünf Jahren waren er, sein Sohn Josef, dessen Ehefrau Meitin und die Kinder der beiden, Isaak, Jusa und Gaila, hierher verschachert worden.

Der Ritter Rintfleisch, ein Edelmann aus Röttingen, hatte ein böses Spiel mit ihnen getrieben. Um seine Schulden bei der Stadt Rothenburg ob der Tauber los zu werden und gleichzeitig auch die Geld und Zinsschuld, die er bei Josef und ihm hatte, verschacherte der saubere Edelmann skrupellos die ganze jüdische Familie an die Stadt Rothenburg. Ohne Vorwarnung stand eines Tages der Büttel der Stadt Rothenburg mit einem Pferdefuhrwerk und zwei recht groben Kerlen vor seinem Haus. Der Büttel las ihnen ein gesiegeltes Schriftstück vor, dass sie verpflichtete, nach Rothenburg zu ziehen und daselbst in Knechtschaft der Stadt Bürgschaft für die Schulden des Edelmannes Rintfleisch zu leisten. Ihre Habseligkeiten wurden auf den Wagen geladen, dann die Menschen. Am Ende des Tages saßen er und seine Familie im Markusturm im Gefängnis. Erst am nächsten Tag konnten die unerlässlichen Verträge mit dem Rat der Stadt Rothenburg abgeschlossen und beschworen werden. Sie hatten unglaublichen Masel gehabt. Er hatte es damals gleich geahnt und die Familie damit getröstet, als sie im Gefängnis auf den nächsten Tag warteten. Die Kinder hatten vor Hunger und Kälte und wohl auch aus Angst geweint. Gaila, die jüngste, war erst vier, Jusa sechs und Isaak, der seine Tränen unterdrückt hatte, der tapfer sein wollte wie sein Vater und sein Großvater, war damals sieben Jahre alt gewesen. Es war wirklich unerhörtes Glück, dass der ‚feine Edelmann‘, der einen ganz und gar liederlichen Lebenswandel führte, so hohe Schulden bei der Stadt Rothenburg hatte und der Rat der Stadt auf den Handel mit Rintfleisch eingegangen war. Es hätte auch schlimmer kommen können. Rintfleisch war ein fanatischer Judenhasser, der – hätte Rothenburg dem Handel nicht zugestimmt – skrupellos genug gewesen wäre, sie eines religiösen Frevels zu bezichtigen, um Schulden und Gläubiger auf einen Streich los zu werden. Ihr Ende wären Folter und Scheiterhaufen gewesen. Vor solch einer Lösung ihrer Schuldenprobleme schreckten auch Klöster, Kirchenfürsten und Landesherren nicht zurück. Schutzbriefe, von wem auch immer, boten bei diesen Anklagen keinen Schutz. Unter den Qualen der Folter erpresste die Gerichtsbarkeit jedes gewünschte Geständnis.

Die graugetigerte Katze war auf seinen Schoß gesprungen und hatte Nachmani aus seinen Gedanken in die Wirklichkeit zurück geholt. Völlig entspannt ließ sich die Katze auf den Schaffellen nieder. Nur ihre Ohren, die ständig in Bewegung waren, um die Geräusche ihrer Umgebung aufzufangen und zu analysieren, zeugten von ihrer instinktiven Wachsamkeit. Geräusche gab es reichlich im Judenviertel, nahe dem Galgentor. Dort lebten etwa 450 Menschen in bedrückender Enge, auf circa 6000 Quadratmeter Grundfläche, mit ihren Tieren und Handwerksbetrieben. Ständig lärmten Kinder, wurde irgendein Instrument malträtiert und jaulten Hunde, weil ihren empfindlichen Ohren weh tat, was die Menschen für Musik hielten. Sobald erträgliches Wetter herrschte, flüchteten die Menschen, vor allem Männer und Kinder, aus den engen Behausungen und füllten diskutierend, handelnd und die Kinder spielend den Platz, der sich von der Wehrmauer westwärts bis fast an den Markt erstreckte. Rund um den Platz standen die Häuser und auf dem Platz war reges Leben durch Handel und Handwerk. Das Judenviertel war kein abgeschottetes Ghetto.

In alle Richtungen führten Gassen in die Stadt. Es gab weder Sperren noch bewachte Durchgänge. Auf dem östlichen Teil des Platzes stand die Synagoge, das religiöse Zentrum des Judenviertels.

Auf der Nordseite hatten einzelne Häuser ihre Ein- und Ausgänge zur Georgengasse hin. Auf der Nordseite befand sich auch die Talmudschule, in der Rabbi Meir ben Baruch gelehrt hatte. Nachmani und die Seinen lebten nicht schlecht in der freien Reichsstadt. In Rothenburg war schon sehr früh eine jüdische Gemeinde sesshaft gewesen.

Über die Tilgung der Schulden des Ritters Rintfleisch hatte er sich mit der Stadt einigen können. Die klugen Herren hatten mehr Interesse an einem zahlenden Juden als an einem im Schuldturm verfaulenden. Durch die vom Kaiser unmittelbar verfügte Schutzherrschaft über die Juden in Rothenburg ob der Tauber, die auch von der Stadt eingehalten wurde, war es ihnen erlaubt, in ihrem Wohnbezirk nach ihrer Art zu leben. Sie durften gewisse Handwerke und Gewerbe betreiben, Gelehrsamkeit verbreiten, Besitz anhäufen und Tätigkeiten im Finanzwesen nachgehen. Grundbesitz war ihnen jedoch verboten. Nachmani, Sohn des Gelehrten Rabbi Isaak, und sein Sohn Josef hatten sich auch weiterhin dem Finanzwesen verschrieben und galten bereits als wohlhabend. Es gab, seit sie in Rothenburg waren, keinen Grund, unzufrieden zu sein. Immer vorausgesetzt, jeder Schuldner zahlte entsprechend der vor Zeugen beschworenen Vereinbarung. Vorausgesetzt, die Geldboten, die mitunter weither kamen, wurden nicht von gemeinen Strauchdieben oder ‚verarmten Rittern‘ überfallen, die landauf und landab ihr Unwesen trieben. So manchem Handelsmann und Geldboten legten sie den Kopf vor die Füße, nachdem sie ihn ausgeraubt hatten. Solches Diebsgesindel gab es leider allerorts. Gestern noch hatte so ein Diebsgesicht auf dem Schindanger mit des Seilers Tochter Hochzeit gehabt und zierte zur Abschreckung das weithin sichtbare Galgengerüst draußen vor der Stadt, am Kummereck.

Es dämmerte schon leicht, als Meitin zu ihm kam, ihm aus den Fellen half und ins Haus begleitete, wo es schon erheblich dunkler war und sie die Kerzen anzünden musste. „Du hast neue Kerzen angezündet?“, fragte er seine Schwiegertochter recht unwirsch.

„Ja“, antwortete sie keck und fügte provozierend hinzu: „Ich hab sie heute Nachmittag für a ganz a kleines Geld auf dem Markt kauft.“

„Du warst auf dem Markt? Ohne Begleitung?“ Er war so erstaunt, dass er seine eigentliche Frage, was sie mit den noch nicht ganz herunter gebrannten Reststumpen gemacht habe, zu stellen vergaß. „Unmöglich! Meine Schwiegertochter wie eine Dienstmagd, wie ein Waschweib, alleine auf dem Markt? Wozu leben unter meinem Dach Knechte und Mägde?“

Meitin schaute ihn erstaunt an. „Glaubt Ihr etwa, ich wüsste nicht, was sich schickt und was nicht? Isaak, mein Sohn, hat mich begleitet. Er ist erwachsen genug und auch Schutz genug.“

„Isaak ist erst zwölf Jahre. Du überforderst ihn.“

„Zwölfeinhalb, Vater. Im nächsten Jahr hat er seine Bar Mizwa, und danach soll er seinen Vater auf dessen Geschäftsreisen begleiten, um von ihm zu lernen. Ihr selber habt es ihm immer genau so versprochen. Sorgt Euch also nicht um sein Alter und seine Reife.“

Gegen mein eigenes Wort kann ich nicht argumentieren, dachte er und setzte sich auf die Bank am Fenster.

„Von Rabbi Nahoami soll ich Euch grüßen. Er wird Euch morgen am Vormittag besuchen.“

„Das lobe ich mir“, rief er erfreut. „Hast du seinen Sohn Jakob gesehen? Mir wurde berichtet, er sei am frühen Morgen wohlbehalten von einer erfolgreichen Geschäftsreise zurückgekehrt.“

„Nein“, antwortete sie und warf sich einen dunklen Umhang über Kopf und Schultern. „Ich muss zu Sarah, der Tochter des Rabbi Meir. Sie hat Jusa und Gaila heute Nachmittag verwahrt. Ich will die Kinder holen.“

‚Jeremie soll dich begleiten“, rief er ihr hinterher. Ob sie ihn gehört hatte? Nicht dass auf dem kurzen Weg Gefahr gedroht hätte. Sarah wohnte in dem großen Haus, das die Stadt Rabbi Meir als Talmudschule zur Verfügung gestellt hatte und wo er bis 1286 auch gelehrt hat. Sein Bruder Abraham ben Baruch, Talmud-Gelehrter wie sein Bruder, lehrte weiter an der Schule und wohnte mit seiner Frau und den zwei Töchtern in dem Haus. Es waren also nur wenige Schritte, die Meitin zu gehen hatte, aber es schickte sich nicht für eine Frau, ohne Begleitung das Haus zu verlassen. Schon gar nicht am Abend oder zur Nachtzeit. Er, als Oberhaupt der Familie, hatte die ganze Verantwortung. Besonders wenn Josef nicht anwesend war. Meitin war eine gute Frau. Das wusste er. Eine hübsche dazu. Sie war eine liebevolle Mutter. Eine kluge und umsichtige Wirtschafterin, die Haus und Gesinde zusammenhielt. Eine bessere hätte die Kupplerin für seinen Sohn nicht finden können. Sie lebte streng nach den Gesetzen der Religion und achtete darauf, dass jeder, der unter diesem Dach lebte und arbeitete, diese Gesetze einhielt. Er schaute nach draußen. Das Dach der Synagoge, die nur wenige Schritte von seinem Haus entfernt stand, glänzte im matten Licht des zunehmenden Mondes, wenn vorüberziehende Wolken ihn, wie gerade jetzt, leuchten ließen. Erst als er Meitin, die Kinder und den Kutscher Jeremie über den Platz auf das Haus zukommen sah, war er zufrieden und seine Unruhe schwand. Isaak, der im Stall bei den Pferden gewesen war, kam in die Stube und löschte das Talglicht in der Laterne.

Nachmani musterte seinen Enkelsohn recht unverhohlen und stellte fest, wie kräftig und gut gewachsen er war. Er sah ihn forsch an und sagte sehr bestimmend: „Es wird Zeit, dass ich dich zu Eljakim, dem Sohn des Elasar, in die Ausbildung gebe. Wie ich feststelle bist du kräftig genug dazu.“

„Zu dem Stockkämpfer?“, rief Isaak begeistert.

Stockkämpfen war bei den jüdischen Knaben ein beliebter Zeitvertreib. Ein Kräftemessen. Jeder Knabe ab einem gewissen Alter wollte wie ‚Eljakim‘ sein. Nicht immer gingen diese Scheingefechte ohne Blessuren aus. Eljakim war ein hünenhafter Mann, gleich Samson aus dem heiligen Buch. Sein Anblick war so Furcht erregend und sein Kampfesmut so legendär, dass Unholde ihm gerne aus dem Weg gingen. Das pechschwarze krause Kopfhaar trug er ungebändigt. Eine Kippa oder eine andere Kopfbedeckung waren nur schwer auf seinem Haar zum Halten zu bringen. Seine breite Stirne und seine starke gerade Nase waren alles, was von seinem Gesicht zu sehen war. Der Rest verschwand in dem gewaltigen Vollbart. Er war unwahrscheinlich stark und gewandt. Kaufleute, jüdische und auch christliche, mieteten ihn gerne zu ihrer Sicherheit, wenn sie Reisen unternahmen oder Güter zu befördern waren.

Isaak wusste, was ihn bei Eljakim erwartete, der ein gewandter, weithin gefürchteter Kämpfer mit dem Stock war. Mit seinem Freund Aron, dem Sohn des Goldschmiedes Jechiel, hatte er aus einem Versteck heraus schon mehrmals staunend und bewundernd zugesehen, wenn dieser Kämpfer seinen Kunden Verteidigung und Angriff mit dem Stock beibrachte. Der Begriff Stock war allerdings sehr weit auszulegen. Ob Wanderstab, Wagenspeiche oder Lanzenschaft, alles, was den Arm des Verteidigers verlängerte, wurde unter Eljakims Anleitung zur lebensrettenden oder auch tödlichen Waffe. Auch Isaaks Vater hatte sich und die Männer, die ihn auf Reisen begleiteten, bei Eljakim ausbilden lassen. Begeistert von dem Vorhaben seines Großvaters und die Gunst der Stunde nutzend, fragte er: „Und danach lasst Ihr mich mit meinem Vater reisen, Großvater?“ Freude und Stolz waren ihm anzusehen, als sein Großvater zustimmte. „Ich freue mich darauf, von Eljakim ausgebildet zu werden. Aber ein gutes Schwert, eine Streitaxt oder dergleichen Waffen wären mir wirklich lieber, Großvater.“

„Ich weiß, Isaak, ich weiß“, seufzte Nachmani. „Mir wäre auch wohler, wenn wir uns wie früher mit besseren Waffen verteidigen dürften.“ Isaak wusste, weshalb Juden keine Waffen mehr tragen durften. Wohl tausend Mal hatte er die Geschichte gehört. Trotzdem. Nachmani zog seinen Enkelsohn neben sich auf die Bank am Fenster. „Das haben wir Kaiser Heinrich IV. zu verdanken. Bevor die christlichen Ritter im Jahre 1096, nach christlicher Zeitrechnung, zum ersten Kreuzzug aufbrachen, richteten sie grässliche Massacker an unseren Glaubensbrüdern an und verschonten da, wo ihre Heere durchzogen, auch Frauen und Kinder nicht. Damals hatten wir noch Waffen und konnten auch sehr gut damit umgehen. Aber gegen diese Übermacht war kein Überleben möglich. Die christlichen Heere raubten uns aus, um ihren Krieg zu finanzieren. Nach dem Kreuzzug stellte der Kaiser alle Juden, die diese Massaker überlebt hatten, unter seinen ganz persönlichen Schutz. Seit dem ist uns das Tragen von Waffen verboten. Zu seinen ‚Kammerknechten‘ erklärte er uns, und Knechte sind wir seitdem wahrlich geworden und bis heute geblieben.“ Bitterkeit lag in seiner Stimme. Den Kopf auf die Brust gesenkt, redete er weiter. „Wir sind aller Willkür preisgegeben. Der des Kaisers, der Landesherren und der Städte, deren fragwürdigen Schutz wir genießen, solange wir ihn bezahlen können und solange wir bei Mönchen, Priestern und Kirchenfürsten keine Begehrlichkeiten wecken. Die Kleiderordnung, die der hohe Herr für uns erlassen hat, befiehlt uns, den spitzen gelben Hut zu tragen. Eine weithin sichtbare Einladung für jegliches Diebsgesindel. Ein unbewaffneter, wehrloser Jude ist für dieses Gesindel eine leichte Beute, nach der kein Hahn kräht. Niemand wird ausziehen, einen Juden zu rächen.“ Er sah seinem Enkel ins Gesicht. „Lerne dein Leben zu verteidigen, Isaak.“

Ungestüm wirbelten in diesem Moment Jusa und Gaila in die Stube, begrüßten artig ihren Großvater und setzten sich auf ihren Platz an dem langen und breiten Tisch, denn es war Zeit für die Abendmahlzeit. Isaak war immer wieder aufs Neue beeindruckt von den Schilderungen und Belehrungen seines Großvaters.

Wernitzer hatte die Aufzeichnungen aus der Sitzung beendet. Wie immer, wenn es um die Mauer- und Wehranlagen ging, redeten die Ratsherren, die am Bau beteiligten Handwerker und Baumeister sich die Köpfe heiß. Seit dem fortschreitenden Zusammenschluss der Kaufleute in Gilden und der Handwerker in Zünfte, war es für das Patriziat nicht mehr so einfach, in den Ratssitzungen seinen Willen durchzusetzen. Da aber alle, Patrizier und Einwohner, die erweiterten Wehranlagen dringend brauchten und auch wollten, fanden sich auch Lösungen für die Probleme. Und darüber war es Nachmittag geworden.

Ohne Eile schritt er über den Markt. Es ging immer noch laut und geschäftig zu. Er wusste, am Ende der drei Tage des großen Marktes würde der Gestank kaum noch auszuhalten sein. Plötzlich entstand an einem Viehstand, wenige Schritte von ihm entfernt, wütendes Geschimpfe und Gerenne um einen Hund, der mit einem Huhn im Fang schleunigst das Weite suchte, verfolgt von einem recht flinken Burschen. Der rutschte auf dem Kot, der überall den Boden bedeckte, aus und purzelte in die Töpferware hinein. Die Umstehenden lachten über den Tölpel, der, ‚Zweibein jagt Vierbein‘, den ungleichen Wettstreit verloren hatte und sich die schmerzenden Glieder rieb. Zum Schmerz kam der Hohn, zum Hohn der Töpfer. Der zeterte und lamentierte laut über den Wert der zerbrochenen Ware und verlangte Schadenersatz von dem mittellosen Burschen. Wernitzer schaute eine Weile amüsiert zu. Weil ihm der Bursche leid tat, machte er dem Streit ein Ende. Mit ein paar Münzen, die seinen Reichtum nicht schmälerten, löste er den Pechvogel aus. Dem Töpfer aber verhalf er so zu einer Tageseinnahme, die er ohne das Pech des jungen Burschen bestimmt nicht gehabt hätte. Wernitzer setzte seinen Weg zu der Gaststätte fort, zu der nur die edlen, freien und wohlhabenden Bürger der Stadt Zutritt hatten. Dort gab es einen weitaus besseren Wein, als in den Weinstuben und Herbergen üblicherweise zum Ausschank gelangte. Weine eben, die dem Adel und auch der höheren Geistlichkeit vorzüglich mundeten. So hatten zum Beispiel die Deutschherren sich einige gute Weinlagen als Lehen von Rudolf von Habsburg zu sichern verstanden. Auch Herr Heinrich von Hornberg verkaufte den Deutscherren Weinberge in Eggersheim, Altenberge und Altenburg. Wernitzer hatte sich an dem weißgescheuerten Eschenholztisch vor einem der Fenster zum Marktplatz hin niedergelassen. Interessiert schaute er nach draußen, wo der Kampf um das tägliche Überleben der einen und um mehr Wohlstand der anderen gleichermaßen stattfand. Lange blieb er nicht alleine. Herr Eberhard, eben falls Ratsherr in Rothenburg, kam an den Tisch. Laut dröhnte sein: „Gott zum Gruß, Wernitzer. Darf ich Euch mit einem Krüglein Wein vom Besten des Hauses meine Aufwartung machen und bei Euch Platz nehmen?“

„Setzt Euch, Eberhard, seid willkommen. Euer ‚Krüglein‘ muss ich jedoch ablehnen. Sie sind mir immer zu voll, Eure ‚Krüglein‘. Anderentags brummt mir zu sehr der Kopf von der Süße des Weines, den Ihr zu genießen und zu kredenzen beliebt.“ Wohlwollend lächelnd schaute er dem gealterten Recken zu, wie der seine beachtliche Gestalt ihm gegenüber auf die Bank wuchtete. Er war ein einflussreicher Patrizier. Seinen Reichtum verdankte er seiner Kriegskunst. Er war der weltlichen wie auch der geistlichen Macht im Lande durch Lehenseid verpflichtet und war reich entlohnt worden. Vier gleichfalls hünenhafte, waffenerprobte Söhne kümmerten sich vorzüglich um seine Lehen. „Das war aber eine lange Sitzung heute“, bestätigte er und fügte verwundert hinzu. „Ihr pflegt doch sonst an Markttagen keine Sitzungen einzuberufen. Was war denn so dringend?“

„Die Erweiterung der Stadtbefestigung. Ihr kennt das doch. Immer das Gleiche. Gespanne zu wenig, Holz zu wenig, Geld zu wenig.“

„Und warum ladet Ihr nicht alle Ratsherren zu solch einer Sitzung?“ Der Vorwurf in seinem Ton war nicht zu überhören.

Wernitzer lächelte verbindlich, lehnte sich über den Tisch und tuschelte Eberhard verschwörerisch zu: „Noch mehr Nörgeler und Besserwisser? Und wenn über die Kosten verhandelt wird und wie sie aufgebracht werden sollen, schwört mir ein jeder, wie leer seine Geldtruhe ist.“

„Das ist auch immer gleich“, lachte Eberhard. „Die Ratsherrn vor uns hatten das Problem, und die, die nach uns kommen, werden es auch haben.“ Er erhob seinen Weinkrug und Wernitzer tat es ihm nach. „Ich habe Lust auf etwas Gebratenes, Eberhard. Außer meinem Hirsebrei heute morgen habe ich noch nichts gegessen. Leistet Ihr mir Gesellschaft?“

„Sollte es Euch nach einem saftig gebratenen Stück vom Schwein gelüsten, so könnt Ihr auf mich zählen.“ Er schnalzte mit der Zunge. Frohgelaunt fuhr er fort. „Ich danke Gott, dass er mich davor bewahrt hat, als Jude zur Welt gekommen zu sein. Sie wissen gar nicht, welche Köstlichkeit ihnen entgeht bei so einem knusperigen, saftigen Schweinsbraten.“

„Auch aus manch anderem Grund empfehl‘ ich Euch, Gott für diesen Vorteil zu danken. Könnt Ihr mir nur einen einzigen Grund nennen, der lohnend wäre, ein Jud‘ zu sein?“

„Bei meiner unsterblichen Seele, Wernitzer. Nehmt mich nicht so genau beim Wort in dieser Sache“, rief Eberhard laut und lachte dröhnend. „Ich bin wahrlich weit herum gekommen bei den Mächtigen. Habe manchen einflussreichen, klugen und wohlhabenden Juden im Gefolge des Kaisers und anderer mächtiger Herren gesehen, obwohl Papst Urban II. den Umgang mit den ‚Gottesmördern‘ verboten hat. An ihrer Statt leben möchte ich nie und nimmer. Das könnt Ihr mir getrost glauben.“

Der köstlich duftende Schweinsbraten wurde aufgetragen, die Weinkrüge wurden aufs Neue gefüllt und beide Ratsherren ließen es sich munden. „Wenn es Euch genehm ist“, fragte Wernitzer, während er sich erneut ein Stück vom Braten heruntersäbelte, „lade ich Euch gerne zu den nächsten Sitzungen ein, bei denen über die erweiterte Stadtbefestigung beraten wird.“

„Was versprecht Ihr Euch davon?“, fragte Eberhard argwöhnisch und erwartungsvoll zugleich. „Gerade eben hattet Ihr der Nörgler und Besserwisser noch zu viele.“ Er zog seine buschigen Augenbrauen zusammen und forschte: „Treibt Ihr ein Spiel mit mir oder ist es Euer Ernst?“

„Es ist mein voller Ernst, Eberhard. Ich habe den Wunsch, Euch als Berater dem Festungsbaumeister zur Seite zu stellen.“

„Aaaber?“, tönte Eberhard, spöttisch grinsend. „Braucht der jemanden, der auf ihn Acht gibt?“

„Nein, Eberhard, er hat unser volles Vertrauen. Ihr selbst habt für ihn gestimmt nach dem Ableben des vorigen Baumeisters. Wie schon gesagt. Beratend sollt Ihr ihm zur Seite stehen. Ihr habt so manche Burg zu Fall gebracht, weil Ihr die Schwächen der Verteidigungsanlagen erkannt habt. Euer Rat soll die Stadt vor einem solchen Schicksal bewahren.“ Eberhard nahm einige kräftige Schlucke und stellte den Krug langsam und bedächtig auf den Tisch. Er sah Wernitzer fest in die Augen. „Gebt mir Bedenkzeit. Ihr wisst, welch große Verantwortung ich auf mich nehme, wenn ich diesen ehrenvollen Antrag annehme.“

Wernitzer nickte. „Überlegt es Euch in Ruhe. Die nächste Ratssitzung in dieser Angelegenheit steht erst in einem Monat an. Wenn Ihr zusagt, so denke ich, werden die Besserwisser verstummen. Sie werden es nicht wagen, Eure Erfahrung anzuzweifeln.“ Eine geraume Weile sinnierte Eberhard vor sich hin, während Wernitzer aus dem Fenster auf den Marktplatz schaute. „Sagt mir, Wernitzer“, fragte Eberhard mit gedämpfter Stimme, „warum habt Ihr mir damals, als die Wahl anstand, dieses Angebot nicht gemacht?“

„Auf Euer Wohl“, rief Wernitzer und erhob seinen Krug. „Das hilft, Euch zu erinnern.“

„Macht mich nicht zum Narren!“, drohte Eberhard. „Ich war doch bei der Wahl dabei. Ihr hättet mir dieses Amt doch antragen können. Warum habt Ihr es nicht getan?“

„Beruhigt Euch! Damals konnte ich Euch nicht bitten. Ihr wart nur wenige Tage hier. Wart dem Kaiser verpflichtet. Auf seiner Majestät Befehl habt Ihr ein Raubritternest nach dem anderen ausgehoben und diese sauberen Herrn an den Bäumen aufgeknüpft. Ihr hattet auf allerhöchsten Befehl, die großen Handelswege von Frankfurt, Würzburg, Feuchtwangen, Rothenburg und Augsburg wieder sicher zu machen. Erinnert Ihr Euch? Ihr hattet reichlich zu tun.“

„Stimmt. Da muss ich Euch beipflichten. Das war eine wilde Zeit, damals. Der Ritterstand verarmte immer mehr. Nicht wenige haben versucht, sich durch Raubzüge, Erpressung von Lösegeldern und anderen Schandtaten die Taschen zu füllen. Wohlhabende Bürger und Kaufleute ließen sie nach der Zahlung mitunter sehr hoher Lösegelder wieder frei. Andere starben in den Kerkern, weil das Geld nicht aufgebracht wurde. Schlimm erging es jüdischen Kaufleuten. Auch wenn sie in kaiserlichem Auftrag und mit dem Geld des Kaisers unterwegs waren. Nicht genug damit, dass sie gefoltert wurden, um ihre Geldverstecke zu erfahren, sie und die Überbringer des Lösegeldes wurden fast immer umgebracht. Da half auch kein Schutzbrief. Die Burschen wussten, niemand wird einen ausgeraubten, erschlagenen Juden rächen wollen.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung, bevor er den Weinkrug leerte und fortfuhr: „Überall im Frankenland wurden ganze jüdische Ansiedlungen ausgerottet. Denkt an Röttingen vor Jahren.“ Er legte seine klobigen Hände wie Schalltrichter an den Mund und sagte kehlisch leise: „Mal, weil der Pöbel aufgewiegelt worden war oder weil Juden Brunnenvergiftung vorgeworfen wurde oder ein Ritualmord. Irgend etwas wurde und wird immer gefunden werden, um die Schatztruhen der Juden in Besitz nehmen zu können. Ihr könnt es mir glauben, Wernitzer, ich habe es miterlebt. Es schreckten weder Landesherren noch Kirchenfürsten davor zurück, den Juden schlimme Dinge nachzusagen und anzutun. Was die Raubritter betrifft, so würde ich sie, auch heute noch, gerne ganz und gar ausrotten. Aber mir waren und sind leider Grenzen gesetzt. Über die Landesgrenzen hinaus durfte ich nichts unternehmen. Dabei lag so manches Raubnest direkt vor meinen Händen, und ich durfte es nicht ausheben.“ Wütend schlug er mit der geballten Faust auf den Tisch, dass alles, was darauf stand, schepperte und ließ seinen Groll an dem Wirt aus. „He, Wirt“, brüllte er. „Ist dir das Öl für die Lampen zu teuer? Müssen wir im Dunkeln sitzen?“ Der Gescholtene eilte herbei. In unterwürfiger Haltung stellte er zwei Leuchten auf den Tisch. Eberhard stemmte ihm den Weinkrug entgegen. „Noch einen Halben!“ In barschem Ton befahl er es.

„Euer Groll trifft den Falschen“, maßregelte Wernitzer. „Beruhigt Euch, damit der Tag nicht im Streit endet.“

„Ihr habt recht“, tönte Eberhard laut. Sein Gesicht war vom reichlich genossenen Wein stark gerötet. Wernitzer wusste, mit dem alten Haudegen würde heute nicht mehr vernünftig zu reden sein. „Lasst uns ein anderes Mal weiterreden. Wenn Ihr sicher seid und meinen Vorschlag annehmen wollt, so lasst es mich wissen.“ Er zahlte die Zeche, zündete sich eine der bereitstehenden Laternen an und verließ die Gaststube.

Einzelne Wolken zogen am Mond vorüber und schwächten sein Licht. Die Märznächte waren kalt und feucht. In friedlicher Ruhe lag der Marktplatz vor ihm. Er stieg auf ein leeres hölzernes Podest und schaute sich um. An jedem Stand, jedem Viehgatter schaukelten mit Talglichtern bestückte, brennende Laternen im leichten Nachtwind und verbreiteten ihr warmes Licht über einen begrenzten Raum. Männer saßen, zu dritt oder zu viert über den Markt verteilt, als Wachen unter den Ständen, die mit Tuch umspannt waren und Schutz vor der Witterung boten. Sie vertrieben sich die Zeit mit Würfeln und Spielkarten. Ein Bild, das Maler begeistern müsste, dachte er, verzaubert von der mondbeschienenen Idylle, dem weiträumigen Marktplatz, den das imposante Rathaus in seiner ganzen Länge nach Westen hin begrenzte. Die Häuser mit ihren Treppengiebeln, die kunstvoll gestalteten Fachwerkhäuser am südlichen Teil des Marktes. Ein Nachtwächter kam, die neunte Abendstunde verkündend, von der Schmiedgasse her auf den Markt. Die Nachtwächter waren allesamt kräftige Burschen, die mit ihren Hellebarden umzugehen wussten, wenn es nötig war. Wernitzer stieg von dem Podest herab. Er wollte noch eine Weile durch die ruhigen menschenleeren Gassen gehen. Gegen die Kühle der Nacht war er gut geschützt. Ein dunkelblaues, samtenes, mit dem Stadtwappen besticktes Barett wärmte seinen Kopf. Der lange Überwurf aus einem kräftigen Wollstoff, den er über grünem Samtwams und Hosen trug, hielt den Körper warm. Sein Leben, falls es jemanden geben sollte, der ihm danach trachtete, würde sein Degen schützen, den er trefflich einzusetzen verstand.

Gemessenen Schrittes ging er die Hafengasse entlang zum Röderbogen. Bog am Markusturm links ab, ging die Büttelgasse hoch und kam zu dem Platz im jüdischen Stadtviertel, auf dem die Synagoge stand. Er hielt inne und gedachte des Rabbi Meir ben Baruch, den er gut gekannt hatte. Er hatte nicht nur in seiner Eigenschaft als Stadtrat viele gute Gespräche mit diesem klugen Mann gehabt. Rabbi Meir war nicht nur in Rothenburg ein berühmter und geachteter Mann, sondern auch für das gesamte Judentum in Deutschland. Von 1245 bis 1286 leitete er die hier auf diesem Platz stehende berühmteste Talmudschule Deutschlands. Eines Tages wollte er den nicht mehr zu ertragenden Repressionen Rudolf I. von Habsburg entkommen und nach Judäa fliehen. Das schlug fehl. Er wurde in Oberitalien gefasst und gefangen gesetzt. Rudolf von Habsburg forderte ein kaum aufzubringendes Lösegeld für die Freiheit Meirs. Die Juden ruinierten sich finanziell, und es dauerte lange, bis sie die Summe beisammen hatten. Rudolf nahm sie dankend an. Leider hatte er nie daran gedacht, sein den Juden gegebenes Wort zu halten. Er ließ den Rabbi nicht frei. Der starb nach siebenjähriger Gefangenschaft im Jahre 1293. Nicht einmal die sterblichen Überreste übergab er den Juden. Seine Majestät erpresste die Juden weiter. Elasar, der jüdische Goldwarenhändler, hatte seinerzeit zu ihm gesagt: „Wenn wir unserem hochgeachteten Rabbi ein Begräbnis nach unserem Glauben geben wollen, werden wir dem Kaiser noch viel Geld geben müssen, und es wird noch lange dauern, bis wir sein Herz erweichen und seine Majestät uns die Gebeine übergibt.“ Das war auch schon wieder Jahre her. Der Goldwarenhändler hatte recht behalten. Die Gebeine des Rabbi Meir ben Baruch blieben auch nach dem Tod des Kaisers in der Burg Ensisheim. Ob sie den Juden jemals zu einer würdigen Bestattung übergeben werden würden? Er bezweifelte es. Langsam ging er zum Galgentor, das zur inneren Stadtbefestigung gehörte. Einige neue Verteidigungsanlagen des neubesiedelten nördlichen Stadtteils vom Klingenturm bis zum äußeren Galgentor im Nordosten der Stadt waren bereits fertiggestellt. Am jüdischen Viertel stand die erste Stadtmauer noch. An anderen Stellen war sie abgerissen und das anfallende teure Baumaterial bei der Errichtung der neuen Wehranlagen verwendet worden. Einige wohlhabende Bürger hatten von der Stadt Teile der alten Mauer mit dem dazu gehörenden Grund gekauft, um dort neue Häuser zu errichten. Mitunter wurde die Mauer auch als Bauelement einbezogen. Er hatte schon etliche dieser Kaufurkunden besiegelt. Allmählich wurde die Nacht feucht und kalt, und Wernitzer schlug den kürzesten Weg nach Hause ein.

Schlaflos lag sie im Bett und lauschte in die Stille der Nacht. Eine Maus nagte eifrig an irgendwas. Minnlein fauchte wie eine Katze. Eine kleine Weile blieb es still, dann hörte sie das nagende Geräusch an einer anderen Stelle der Kammer. Fauchen alleine genügte der Maus eben nicht, um sie endgültig zu vertreiben. Dazu hätte es vermutlich zumindest nach Katze riechen müssen, dachte Minnlein.

Sehnsuchtsvoll starrte sie auf die Kammertüre, die sie nur schemenhaft erkennen konnte, weil vorüberziehende Wolken das Mondlicht verdunkelten. Warum war er noch nicht bei ihr? Sie wusste, dass er von seiner langen Reise zurück war. Sie hatte im Flur gelauscht, als ihr Vater und Rabbi Salzmann über die Rückkehr und den Erfolg der Geschäftsreise sprachen. Vier Monate war ihr Liebster fort gewesen. Vier unendlich lange Monate, in denen sie sich mit bangem Herzen nach ihm gesehnt hatte. Sie wollte endlich wieder in seinen starken Armen liegen. Seine tiefe männliche Stimme hören, seine Lippen und Hände zärtlich und fordernd auf ihrer Haut spüren und seine Leidenschaft erleben, die sie so unsagbar vermisst hatte. Die Türe zu ihrer Kammer hatte sie nicht verriegelt. Die Fensterschläge hatte sie offen gelassen als Zeichen, dass sie ihn erwartete.

Da! Endlich. Absolut geräuschlos wurde die Türe geöffnet, und während ihr Herz vor Freude rasend pochte, hörte sie, wie er fragend ihren Namen flüsterte.

So leise wie er gekommen war, schlich sich Jakob nach Stunden voller Liebesglück wieder aus Minnleins Kammer. Minnlein war sechzehn Jahre und – wie sie ihren Vater hatte sagen hören – eine voll erblühte, heiratsfähige Frau‘. Sie wusste, was das zu bedeuten hatte. Ehen wurden organisiert. Liebe spielte dabei so gut wie nie eine Rolle. Die Morgengabe und der Ehevertrag würden bestimmen, wem sie angehören würde. Vor diesem Tag fürchtete sie sich unsagbar. Kalte Schauer überliefen sie bei dem Gedanken, mit einem Mann das Leben verbringen zu müssen, für den sie nichts empfinden würde. Der, wie nicht selten der Fall, um etliche Jahre älter als die Braut war. Bei ihrer älteren Schwester Lea, die in Mainz lebte, war es so. Sie hatte zwei Kinder und einen alten, geizigen, kranken Mann und war so unglücklich, wie eine Frau nur sein kann, die ohne Liebe leben muss. Sie hatte Briefe von Lea gelesen, in denen sie ihr Leben beklagte und alles, was ihre Eltern ihr mit dieser Ehe angetan hatten. Nein! So wollte sie nicht leben. Sie wollte nur einem Mann angehören, den sie liebte. Und dieser Mann war Jakob. Jakob ben Nahoami, Sohn des Tuchhändlers Nahoami ben Moses. Es war gut möglich, dass ihr Vater schon einen Brautwerber beauftragt hatte, Ausschau zu halten nach einer ‚Guten Partie‘. Aber so einfach wollte sie sich nicht verschachern lassen. Jakob wollte sich ihren Eltern erklären und ganz öffentlich um sie werben. Aber das war nicht üblich. Wenn schon, dann hätte Jakobs Vater vorsichtig einen ersten Versuch einer Brautwerbung bei ihrem Vater machen müssen.

Sie mochte sich nicht ausdenken, was sein würde, wenn ihr Vater Jakob als Ehemann für sie ablehnen würde. Sie konnte sich nicht vorstellen, auf Jakob verzichten zu müssen. Auf seine Umarmungen. Seine Küsse. Seine Liebe, die er ihr nun schon seit zwei Jahren schwor, wenn sie sich trafen oder wenn sie sich, wo auch immer, heimlich liebten, wie in der vergangenen Nacht. Als letzten Ausweg nahm sie sich vor, ihren Eltern die heimliche Liebe zu Jakob zu gestehen.

Es dämmerte bereits ein neuer, ein sonniger Märztag, als ein tiefer aber viel zu kurzer Schlaf sie überwältigte, aus dem sie unsanft herausgerissen wurde, als Rechlin laut und heftig an die Türe pochte.

„Es wird Zeit, dass unsere Tochter unter die Haube kommt“, sagte Jechiel, als Rechlin, nachdem sie Minnlein geweckt hatte, wieder in die Stube kam. Unwirsch schüttelte Rechlin den Kopf. Harscher, als es ihre Art war, widersprach sie. „Sie ist erst sechzehn. Ich will sie noch eine Weile bei mir haben. Eheweib kann sie noch lange genug sein.“ Sie dachte an Leas unglückliche Ehe. Rechlin setzte sich an den Tisch und sah ihrem Mann forschend ins Gesicht. „Warum ist es dir so eilig? Hat jemand um sie angehalten?“

Er machte eine wegwerfende Handbewegung, als seien ihm ihre Fragen und Einwände lästig und schaute durch das Fenster auf den Platz vor dem Haus, auf dem schon seit Stunden rege Geschäftigkeit herrschte. Ohne seine Frau anzusehen, behauptete er: „Sie ist alt genug, um verheiratet zu werden. Siehst du das nicht? Sie braucht Pflichten“, entschied er und fügte bestimmend hinzu: „Sie braucht einen Mann, Kinder, einen eigenen Hausstand!“

Rechlin musste einsehen, dass er entschlossen war, Minnlein zu verheiraten. Sollte sie mit ihr darüber reden? Sollte sie warten, bis ein Mann gefunden sein würde?

Sie entschied sich, abzuwarten und Minnlein unauffällig auszuforschen. Unter den Juden in Rothenburg gab es so manchen unverheirateten Mann, der gut zu Minnlein passen würde. Sowohl als ‚Gute Partie‘ wie auch vom Alter her. Da waren zum Beispiel die beiden Söhne des Rabbi Ismael, Josef und Salomon, achtundzwanzig und dreißig Jahre alt, beide gute Goldschmiede, weithin bekannt und sehr wohlhabend. Ob sie sich einmal umhören sollte? Vielleicht würde es ihr gelingen, eine Brautwerbung einzufädeln. Außer Josef und Salomon käme wohl auch …, ihre Gedanken wurden durch Minnleins stürmisches Eintreten unterbrochen. Ehrerbietig, wie es Brauch war, begrüßte sie ihre Eltern, goss ihnen Wasser über die Hände, danach sich selber, wie die jüdischen Reinheitsgebote es verlangten, und setzte sich auf ihren Platz. Jechiel segnete das herrlich duftende Brot und verteilte die Scheiben, die er abschnitt. Rechlin füllte den warmen Hirsebrei in die irdenen Schalen. Minnlein süßte ihn mit Honig und gab auch Honig auf das Brot. Auch in den Kräutertee gaben die Frauen Honig. Jechiel trank ihn ungesüßt.

Die Morgenmahlzeit wurde gestört, noch bevor sie zu Ende war. Sehr heftig und dringend klang das Geräusch des Türklopfers. Die Hausmagd stürmte in die Stube und rief aufgeregt: „Herr, von der Burg schickt man nach Euch. Dort ist ein Unglück geschehen. Es bedarf Eurer Hilfe.“