cover

MARTIN ROOS

Jan Wellem im Salon

Ξ

DÜSSELDORFER ESKAPADEN

Roman

Ξ

DROSTE VERLAG

BIBLIOGRAFISCHE INFORMATION DER DEUTSCHEN NATIONALBIBLIOTHEK

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© 2017 Droste Verlag GmbH, Düsseldorf

Umschlaggestaltung: Katja Holst, Frankfurt

Satz: Droste Verlag

eBook-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-7700-4141-1

 

WWW.DROSTEVERLAG.DE

„Das Leben ist wie eine Rolle auf dem Theater. Es kommt nicht darauf an, dass lange, sondern dass gut gespielt wird.“

Seneca

orn-links 1 orn-rechts

BESUCH DER ALTEN DAME

Jeden Morgen, wenn er seinen Schönheitssalon betreten hat, zieht sich Jean-Baptist Dänzer-Valotti als Erstes Schuhe und Socken aus, um sich die Füße zu waschen. Er ist berühmt für seine Pediküre, und deshalb will er nicht in den Verdacht geraten, seinerseits keine gepflegten oder sauberen Füße zu haben. Stets ist er darauf gefasst, dass seine Kunden seine Füße sehen wollen, so wie ja auch ein Fitnesstrainer seine Muskeln oder der Friseur seine Haare präsentiert. „Stell dir doch bitte nur einmal einen Zahnarzt mit faulen Zähnen vor“, sagt er immer zu Luisa, seiner Frau, wenn sie ihm wieder einmal unterstellt, er habe einen Waschzwang.

Er bietet jede Art der Körperpflege an und ist auch ein Meister der Düfte. Doch die Mehrheit seiner Kunden liebt vor allem seine Pediküre. Sie kommen nicht nur aus seinem Viertel, das stets so gepflegt ist, dass hier ohnehin jeder barfuß laufen könnte, sondern aus der ganzen Stadt. Wenn Dänzer-Valotti dann um halb zehn Uhr sein Geschäft, den Beauty-Salon Schambatíst, schließlich öffnet, kocht er Kaffee – natürlich mit dem Handfilter. Alle Zubereitungstechniken hat er ausprobiert, von der achteckigen Mokkakanne über die French Press, die Siebträgermaschine bis zum Vollautomaten und der Kapselmaschine mit Milchschäumer und mehrstufiger Kaffeemühle. Doch der von Hand aufgebrühte Kaffee ist der magenfreundlichste, und er schmeckt ihm einfach am besten.

„Schambes“, ruft Eveline Ginsterfing zu Mayer-Träsch begeistert, als sie hereinspaziert, „Schambes, Schätzelein, stellen Sie sich vor, gestern wollte ich meinen Mann erschießen. In den Rücken!“

Die betagte Dame ist eine seiner treuesten Kundinnen. Und nur die treuesten dürfen ihn „Schambes“ nennen. Das ist die Abkürzung von „Schambatist“, und das wiederum ist die rheinische Aussprache seines Vornamens – er heißt Jean-Baptist, auf Deutsch: Johannes der Täufer. Dänzer-Valotti legt großen Wert darauf, dass der Name auf der letzten Silbe betont wird, also: „Schambatíst“.

Eveline Ginsterfing zu Mayer-Träsch, deren langer Name noch einen letzten Hauch ihrer ruhmreichen adligen Ahnenlinie verspüren lässt, besucht Schambatíst regelmäßig am Vormittag – eine temperamentvolle und manchmal aufbrausende, aber im Grunde liebenswürdige Dame, die nie ohne Hut aus dem Haus geht und sich trotz ihres Alters wie ein junges Mädchen leichtfüßig und fast anmutig durch Raum und Zeit bewegt.

„Setzen Sie sich doch erst einmal“, sagt Schambatíst. Er stellt ihr den Kaffee auf den kleinen Tisch neben den Kosmetikstuhl gleich neben dem großen Prunkkamin aus weißem Marmor, der mit seinen eleganten Gewänden, konsolenartigen Voluten, dem leicht geschwungenen, vorspringenden Sturz, dessen Mitte eine Blüte ziert, eine Präsenz besitzt, die fast den ganzen Salon füllt. „Erschossen also. Und? Hat es wieder nicht geklappt?“

„Schambes, mein lieber junger Mann, seien Sie doch nicht so streng mit mir!“

Schambatíst schüttelt den Kopf. „Ich hatte Ihnen doch schon das letzte Mal gesagt, dass Sie aus dem Alter für solche Sachen längst heraus sind.“

Eveline schaut etwas gequält. Trotz ihrer 82 Jahre sieht sie deutlich jünger aus, manche schätzen sie auf Anfang sechzig. Dezente und kontinuierliche Eingriffe von Schönheitschirurgen haben diese trügerische Frische möglich gemacht. „Was glauben Sie eigentlich, mein Guter, aus was ich in meinem Alter alles schon heraus sein müsste.“ Sie nippt am Kaffee.

„Aber ich bitte Sie, Eveline, manche Dinge braucht man sich ab einer gewissen Reife einfach nicht mehr zu leisten. Das wissen Sie doch.“

Sie spitzt ihren Mund und flattert mit ihren Wimpern. „Schambes, es geht um Gefühle. Wie eine Frau fühlt, wenn sie sich nicht mehr fühlt, davon verstehen doch selbst Sie nichts.“

Schambatíst setzt das verständnisvolle Lächeln eines Galans auf, der weiß, dass Schweigen die angemessenste Form der Nachsicht sein kann. Er spült das gewärmte Wasser um ihre Füße, fügt zwei Löffel Rosmarinöl hinzu, holt aus dem Kühlschrank in der Küche ein Trittenheimer Altärchen, schenkt ihr ein und stellt das gefüllte Weißweinglas neben den Kaffee.

„Ich wollte es schon länger tun. Ich wusste nur nicht wie. Vor zwei Jahren hatte mich mein Nachbar zur Jagd eingeladen. Sie erinnern sich doch sicher, wie ich Ihnen erzählte, dass ich neben ihm auf dem Hochstand saß und welches Kribbeln mir dort durch den Körper ging, als ich anlegte, um auf das Schwein zu zielen, also das Schwein vor mir auf der Lichtung, ein prächtiges Wildschwein!“

Schambatíst nickt.

„Nun, ich habe es damals zwar verfehlt, doch das Gefühl der vollkommenen Erschütterung, der nachhaltigen Befriedigung und der absoluten Macht blieb. Ich genoss es. Bis vor einer Woche. Ich fragte meinen Nachbarn, ob ich eine der alten Pistolen aus seiner historischen Waffensammlung ausleihen könnte. Eine dieser wunderbaren alten Radschlosspistolen mit Nussholz-Vollschaft, graviert mit diesen fantastischen Ornamenten und der eisernen Knauf-Kappe. Kennen Sie die? Aus dem 17. Jahrhundert. Was für eine Eleganz!“

„So eine habe ich auch“, ruft Schambatíst erstaunt und beginnt, ihre Beine zu massieren, bis zum Knie hinauf und sanft wieder hinunter.

„Ich weiß“, sagt Eveline, beugt sich vor und streichelt ihm leicht über den Kopf. „Wir sind uns ja so viel näher, als Sie es ahnen, mein lieber Schambes.“

Schambatíst zieht verlegen den Kopf nach hinten.

Sie versteht, lehnt sich zurück, schließt die Augen und sagt: „Ich legte also an. Ohne zu zittern. Dann zielte ich.“ Sie streckt langsam den Arm aus und zielt mit dem Zeigefinger auf den Kamin. „Dann schoss ich. Wumms!“, schreit sie so laut, dass sich das „Wumms“ klirrend als Echo im Kamin verfängt.

Schambatíst schreckt hoch, entschuldigt sich kurz und beugt sich wieder über ihre Füße. Er umschließt mit den Fingern jede einzelne ihrer Zehen, vorsichtig wie kleine Champignons, deren Hüte man streichelt, und massiert sie behutsam. Er stellt sich vor, wie ihr Ehemann, Carl Ginsterfing zu Mayer-Träsch, zehn Jahre älter als seine Frau, im Wohnzimmer seiner Villa ahnungslos mit dem Rücken zu ihr steht – ein Mann, der zu denen gehört, die nie etwas Böses vermuten, und wenn es doch eintritt, es eher als notwendiges Übel betrachten. „Haben Sie ihn wirklich nicht getroffen?“

„Das Projektil verfehlte seine Schulter nur um einige Zentimeter. Es sauste zu unserem Kummer in den goldenen Rahmen des Porträts der wunderschönen Marquise d’Espinasse. Wissen Sie, das unglaubliche Bild, das die Marquise auf einem Düsseldorfer Kostümball von 1695 zeigt.“

Schambatíst runzelt die Stirn. „Wie hat Ihr Mann reagiert?“

„Wie gesagt, er war sehr betrübt. Immerhin hatte er damals für das Bild, ein echter Jan Frans Douven, 67.000 Euro bezahlt. Ein vollkommen überteuerter Preis. Fast absurd – das muss ich zugeben. Es war auf einer Auktion. Die Leute waren wie besessen. Wie im Rausch. Sie wussten nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Aber ich bestand darauf. Der Gute hat es mir dann gekauft.“

„Ich meinte eigentlich, wie er auf den Schuss reagiert hat.“

„Ach, Schambes. Was für ein Reinfall! Der Knall war so laut, dass mein Mann vor Schreck fast umfiel. Zuerst dachte er wohl, eine der üblichen Sicherungen in unserem Haus sei durchgeknallt. Dann schaute er auf den durchschossenen Rahmen. Er wirkte sehr besorgt.“

„Hat er nicht die Polizei angerufen, als er Sie mit der Waffe sah?“

„Nein. Gar nicht. Warum? Er war nur ziemlich erstaunt, als er endlich verstand, was passiert war. Er fragte mich, wie ich es bloß geschafft hätte, diese uralte Pistole erfolgreich mit Schwefelkies und Zündkraut zu laden und zum Abschuss zu bringen. Das sei ja unglaublich, rief er fast bewundernd aus.“

„Und dann?“

„Ich ging zur Kommode, öffnete die oberste Schublade, legte die Radschlosspistole neben meine Lippenstifte und sagte ihm, wir sollten das Ganze jetzt schnell vergessen. Er nickte und holte eine Flasche unseres Lieblingschampagners heraus, einen Dom Ruinart aus dem Jahr 2002, goss ein und sagte, dass solche Momente doch auch nach 47 Jahren Ehe immer noch etwas Besonderes seien.“

Ganz leicht lässt Schambatíst nun die Feile über die Kuppen ihrer Zehen gleiten.

Sie greift zum Trittenheimer Altärchen.

„Warum haben Sie denn auf ihn geschossen?“

Eveline spitzt den Mund und nippt. „Mein Lieber“, sagt sie, nachdem sie das Glas wieder abgesetzt hat, „warum nicht? Manche Dinge, die wir tun, sind Hirngespinste, verrückte Ideen, die wir uns für einen besonderen Tag aufheben. Und ich kann Ihnen sagen, manche Dinge nehmen wir uns schon lange, sehr lange vor. Doch uns fehlt der Mut. Sie treten erst ein, wenn wir nicht mehr mit ihnen rechnen.“

Schambatíst sitzt weiter gebeugt und feilt sorgfältig an ihren Zehen.

Eveline will ihn mit dem Zeigefinger an die Schulter ticken, um seine ganze Aufmerksamkeit zu fordern. Doch noch in der Bewegung hält sie inne. „Manchmal bedarf es nur eines kleines Auslösers“, sagt sie, „einer Begegnung, eines Wortes. Und dann kommt die Gelegenheit.“ Sie lächelt erlöst.

„Ja, sicher, aber …“ Schambatíst zögert. „Aber warum haben Sie es getan?“

„Mein lieber, guter Junge, ist das so schwer zu begreifen? Ich wollte eine Veränderung.“ Wieder flattert sie mit ihren Wimpern, beugt sich leicht nach vorn und fächelt sich mit beiden Händen Luft zu. Mit halb geöffnetem Mund, aus dem lautlos ihr Atem strömt, lässt sie sich zurückfallen. „Wissen Sie, Schambes, glauben Sie nicht, ich sei verbittert! Nein, das bin ich nicht. Absolut nicht. Ich habe mich im Denken nie einschränken lassen. Ich habe lange gesucht. Immer. In vielen Variationen. Ich habe Reisen nach Ozeanien, Malkurse auf den Balearen und Gesangworkshops auf den Känguru- und den Lord-Howe-Inseln gemacht. Ich habe mich in Yoga, Bauchtanz und Pilates ergangen und viele Tage und Monate meditiert. Ich bin ins Kloster gezogen, habe Pilgerwege beschritten, einiges inhaliert und chinesische Heilkräuter konsumiert. Es war alles durchaus delikat. Ja. Heute nun denke ich, es ist schade, dass ich einfach nicht mehr jung genug bin, um zu glauben, dass da noch etwas kommt, etwas Verborgenes, das wir in uns tragen, irgendetwas, das uns treibt und auf das wir hinzueilen wie ein Meteorit auf einen Planeten. Diese Vorstellung ist eine wunderbare Verlockung. Ja, das ist sie. Aber ich verliere sie zunehmend – mit jedem Tag, den ich länger lebe. Es ist ein Jammer.“

Schambatíst nimmt einen warmen Lappen und benetzt ihre Füße. „Geht es so mit der Temperatur?“, fragt er.

Eveline reagiert nicht. Ihre Augen sind geschlossen.

Von draußen dringt Lärm in den Salon, das Klingeln eines Fahrrads und ein Quietschen der Reifen, aufgeregte empörte Stimmen, Menschen, die sich ankeifen.

Eveline öffnet die Augen. „Schambes, Sie kennen doch die Rede vom gefühlten Alter, nicht wahr? Lord Dahrendorf zum Beispiel, dieser furchtbar schlaue und wissende, aber auch unappetitlich hässliche alte Mann, hatte immer behauptet, sein gefühltes Alter sei achtundzwanzig. Was für ein eitler Kerl, nicht wahr?! Na ja, nein, so kokett will ich nicht sein. Aber sagen wir, ich fühle mich wie achtunddreißig. Oder dreiundvierzig. Ja, und dann habe ich eben manchmal das Gefühl, mit meinem Mann ist gar nichts mehr möglich. Der ist uralt!“

„Und deswegen müssen Sie ihn erschießen?“

„Ja, was denn sonst? Alles andere wäre doch widerlich. Sich trennen? Ins Altersheim abschieben? Nein. Ein sauberer Schuss – das reicht.“

„Machen Sie sich denn keine Sorgen, dass Sie dafür verurteilt werden?“

„Aber, mein Lieber, Sorgen? Sorgen? Nein, um Gottes willen! Nein! Wofür sollte ich verurteilt werden? Das wäre doch nur ein Unfall gewesen, ein tragischer Unfall. Mehr nicht. Und wenn doch – ja, so etwas müsste man doch erst einmal beweisen. Und, ich sage Ihnen, ich kenne die Richter. Ich kenne sie sogar sehr gut.“

Es klingelt, und die Eingangstür wird geöffnet. Carl Ginsterfing zu Mayer-Träsch betritt den Schönheitssalon.

Eveline schaut leicht empört. „Ich hatte dir doch gesagt, du sollst mich erst um elf abholen.“

Carl zuckt mit den Schultern. „Draußen gab es einen Fahrradunfall, ich konnte mir das Geschrei einfach nicht mehr anhören.“

Eveline blickt ihn streng an. „Nun, jetzt bist du zu früh. Dann musst du halt warten.“ Sie atmet laut, blickt zur Decke, rollt die Augen und schließt sie.

Schambatíst begrüßt den Mann und bittet ihn mit einer Handbewegung, auf einem der Freischwinger aus rötlichem Büffelleder Platz zu nehmen. „Möchten Sie Kaffee? Einen Wein?“

„Nein, vielen Dank.“ Carl setzt sich.

Schambatíst hat die Familie des alten Herrn schon immer bewundert. Sie stammt aus Mettingen im Kreis Tecklenburg im nördlichen Münsterland. Seit Generationen besteht sie aus westfälischen Kaufleuten. Ginsterfing ist Nachfahre der Tiöttenpioniere, die vor einigen Hundert Jahren als Handelsreisende in ganz Europa Niederlassungen gründeten und durch den Handel mit Leinen sehr reich wurden. Sein größtes Talent heute ist es, das Geld der Familie zu verwalten. Und das gelingt ihm gut. Sehr geschickt hat er es in verschiedenen Stiftungen und Fonds angelegt, aber auch in Kunst – und natürlich in körperlicher Ästhetik. Gegen den Selbstoptimierungsdrang seiner Frau hatte er zwar anfangs Zweifel gehegt, doch irgendwann gewöhnte er sich daran. Und bald hatte er nichts mehr dagegen einzuwenden. Im Gegenteil. Er war zu klug, um sich gegen ihre befehlsartigen Ratschläge und Vorstellungen zur Wehr zu setzen, und mittlerweile ist er sogar genauso interessiert daran wie sie, den welkenden Körper punktuell zu straffen. Seine perfekt sitzenden Anzüge und seine Ganzjahres-Urlaubsbräune sind schon seit jeher sein Markenzeichen. Und bei den Schönheitschirurgen auf der Königsallee haben sie sich mittlerweile beide einen Ruf als kongenial gealtertes Ehepaar erworben, das eine gemeinsame Botox-Spritze nie verschmäht.

„Ach, es wäre doch besser, wenn du noch mal draußen warten könntest.“ Eveline lässt ihre Hände nervös in der Luft flattern. „Ich kann mich jetzt gar nicht mehr konzentrieren.“

Ihr Mann erhebt sich ohne Zögern. Sein Verständnis für die Suche seiner Ehefrau nach ihrem eigenen Weg und für ihre Versuche, emotional und spirituell eine bessere Version ihrer selbst zu werden, hat sich in den vergangenen Jahren bis ins Unendliche ausgedehnt. Auch wenn diese Suche immer öfter im Champagner endet. Eine kostspielige Angelegenheit. Für den Durst seiner Frau hat Carl bereits einen seiner Fonds auflösen müssen – den er folglich Fonds Cuvée getauft hat. „Natürlich, mein Funksenporschi, ich warte draußen auf dich“, sagt er und verlässt den Salon. Aber die kleine Spitze sitzt, denn „Funksenporschi“ ist dem Humpisch entlehnt, der Geheimsprache seiner Väter, und heißt so viel wie „Schnapsschweinchen“. Es ist der einzige zarte Anflug von Rebellion, den Carl seiner Frau gegenüber zu zeigen gewillt ist.

Schambatíst füllt den Wein nach. Moselweine gehören zu seinen Favoriten.

„Schambes, wir lieben dieses Gemälde sehr“, sagt sie. Wieder streichelt sie ihm leicht über den Kopf.

Er versucht sich unauffällig zu schütteln. „Wenn Sie es lieben, warum sind Sie dann das Risiko eingegangen, es mit ihrem Schuss zu zerstören?“, fragt er.

„Ich meinte eigentlich Ihr Bild.“ Sie zeigt auf das große Ölgemälde, das vor ihnen über dem Marmorkamin hängt. Es ist ein Abbild von Jan Wellem, dem Kurfürsten, in Purpurrot, Hermelin und Schmuckharnisch, entschlossen und mächtig. Lang fallen die Locken seiner Allongeperücke über seine linke Schulter. Sein Gesicht ist in Licht getaucht, und doch fällt gleichzeitig ein kleiner Schatten auf seine rechte Wange, sodass das Antlitz eine verblüffende Lebendigkeit erhält. Im linken Arm hält er auf einem roten Samtkissen eine Krone, der rechte Arm stützt sich auf das Zepter. Neben ihm sitzt seine italienische Gattin, Anna Maria Luisa de’ Medici, in einem weit fallenden blauen Samtkleid mit goldenen Mustern, eine schöne junge Frau, anmutig und sanft im Blick, ihre schwarzen Haare kunstvoll zu einem Turm hochgesteckt, der bis zu den Wolken der mediterranen Landschaft im Hintergrund reicht. Grazil hält sie in der rechten Hand einen Ölzweig, während ihr die linke entspannt in den Schoß fällt. Das ganze Gemälde thront in einem riesigen Goldrahmen über dem Prunkkamin und wacht über jeden, der sich im Schönheitssalon aufhält.

„Sie wissen doch, ich habe es von meiner Mutter, und die hat es von ihrer Mutter geerbt. Es ist schon ewig in Familienbesitz.“

„Ich weiß“, sagt Eveline, „ein wunderbares Bild. Auch ein echter Douven, nicht wahr?“

„Nein, nur eine Kopie.“

„Ich glaube nicht.“

„Aber, liebe Eveline, das muss ein Missverständnis sein. Es ist sogar die Kopie einer Kopie, nämlich der von Alfons Hollaender von 1889, die im Stadtmuseum lagert.“

Wieder läutet die Schelle an der Eingangstür. Ein jüngerer Mann tritt ein. Über der Jeans trägt er ein weißes T-Shirt, auf dem das Abbild des europäischen Zürgelbaums zu sehen ist, der zur Familie der Hanfgewächse gehört. In seinen braun gebrannten und muskulösen Armen trägt er ein größeres Paket. „Ah, Herr Vogelsang, ich hatte Sie für morgen erwartet.“

„Es tut mir leid, Herr Dänzer-Valotti, aber ich dachte, ich könnte Ihnen Ihre Bestellung Yarsagumba heute schon bringen. Unser Lager ist nämlich voll, und wir müssen die Ware jetzt dringend verteilen.“

„Yarsagumba?“, fragt Eveline dazwischen.

„Darf ich vorstellen, das ist Fletcher Vogelsang, der beste Yarsagumba-Züchter in ganz Europa. Herr Vogelsang, das ist Frau Ginsterfing zu Mayer-Träsch, die große Mäzenatin und die treueste meiner Treuen.“

„Guten Tag.“

„Sehr erfreut“, sagt sie. „Yarsagumba – das klingt ja wie afrikanische Dichtung.“

„Nein“, erklärt Vogelsang, „nicht afrikanisch. Tibetanisch! Raupenpilz aus dem Himalaya – als Paste ein großartiges Regenerationsmittel für die Haut.“

„Fabelhaft“, kreischt Eveline, „das muss ich ausprobieren.“

„Aber das kostet. Sie zahlen für 30 Gramm bis zu 800 Euro“, meint Schambatíst. „Stellen Sie die Kiste doch bitte vor den Kamin, Herr Vogelsang.“

Fletcher schiebt die beiden Kisten fast in den Kamin hinein. Da er schon lange nicht mehr der Feuerung dient, ist er heute sauberer als ein Pizzaofen. „Die Nachfrage steigt gerade enorm“, meint Vogelsang.

Die beiden schauen ihn fragend an.

„Wegen der Tour de France natürlich!“, lacht Vogelsang und klatscht vor Eifer in die Hände. In wenigen Wochen wird das größte Radsportereignis der Welt ausgerechnet in Düsseldorf starten, der erste Tag, le Grand Départ am Rhein. Schon jetzt steht die Stadt kopf. „Wer heute als Radsportler verbotene Substanzen nimmt, ist für immer raus. Das ist doch klar“, erklärt Vogelsang und führt die Kante seiner Hand an seinem Hals vorbei, „aber mein Yarsagumba, das ist eines der wenigen Mittel, die erlaubt sind – auch in großen Mengen. Und viele Radsportler schätzen meine Dienste sehr.“ Vogelsang schaut triumphierend in die Runde.

„Ach ja, natürlich. Wie recht Sie haben. Die Tour de France beginnt ja dieses Mal in Düsseldorf.“ Evelines Stimme wandert vor Begeisterung in eine höhere Tonlage. „Der Grand Départ! Eine wunderbare Idee, die Tour hier starten zu lassen. Das wurde ja wirklich auch einmal Zeit. Düsseldorf und Frankreich gehörten immer schon zusammen.“ Die alte Dame klingt etwas aufgekratzt.

„Nun, der Absatz steigt auch deswegen“, meint Vogelsang zufrieden, „weil es ein außerordentlich wirksames Potenzmittel ist.“

„Davon habe ich gehört“, grummelt Schambatíst, „aber es funktioniert nicht. Kinder bekommt man trotzdem nicht.“

„Das stimmt nicht“, unterbricht ihn Vogelsang, während er die Kisten mit dem Fuß mittig im Kamin zurechtrückt. „Das Mittel ist ja uralt. In Europa gibt es das ja schon mindestens seit Jan Wellems Zeiten. Und auch er soll es ausprobiert haben. Habe ich zumindest gelesen. Und der hatte ja Kinder, nicht wahr, Herr Dänzer-Valotti?“

„Natürlich“, ruft Eveline dazwischen, „und nicht zu knapp.“

Schambatíst stutzt. In Jan Wellems erster Ehe starben zwei Kinder kurz nach der Geburt, und mit seiner zweiten Frau hatte er keine Kinder. „Stimmt nicht“, antwortet Schambatíst kurzerhand.

„Das bezweifele ich“, erwidert Eveline.

„Also, äh, wie auch immer, ich muss weiter.“ Vogelsang geht zur Tür. „Die Rechnung finden Sie in den Kartons, Herr Dänzer-Valotti. Auf Wiedersehen.“

Bevor die Tür zufällt, sehen sie noch, wie er sich in den Sattel eines Lastenfahrrads mit einer großen Transportbox vor dem Lenkrad schwingt.

„Sind Sie sicher, Schambes?“

„Was meinen Sie?“

„Sind Sie sicher, dass Sie da mit diesem Gemälde eine Kopie der Kopie haben?“

„Natürlich! Eine Kopie. Ein sehr gute Kopie natürlich. Aber die beiden kleinen weißen Drachen mit den blauen Mustern dadrunter auf dem Kaminsims – die sind echt.“

„Inwiefern?“

„Echt Meissener Porzellan.“

„Das glaube ich nicht.“ Sie nippt am Wein und lässt ihn anschließend ein wenig im Glas schaukeln. „Na ja“, sagt sie, „wer weiß schon, was echt und wahr ist und was nicht.“

„Das Vergangene ist wahr!“, fährt Schambatíst sie energisch an.

„Das glauben Sie! Ha! Was für ein Irrtum!“ Eveline schnappt nach Luft. „Wer weiß denn schon, was an der Vergangenheit wahr ist? Da kann man doch viel erzählen.“ Sie richtet sich auf, nimmt die Füße hoch und will aufstehen. Doch Schambatíst hält sie fest und deutet ihr an, dass er ihre Beine noch abtrocknen will. „In Wahrheit“, setzt sie wieder an, „in Wahrheit ist doch die Vergangenheit nur eine Geschichte, die wir uns selbst erzählen. Insofern würde ich niemals wirklich dem glauben, was vergangen ist.“

Schambatíst nickt ihr zu, auch wenn er ihre Meinung nicht teilt, nimmt ein wenig von ihrem Lieblingsbalsam, Allgäuer Latschenkiefer, streicht es auf ihre Haut und massiert noch einmal nach.

„Schambes, wenn Ihre Frau versucht hätte, Sie bereits das dritte Mal zu erschießen – wie würden Sie reagieren?“

Schambatíst und seine Luisa haben keine Kinder. Es sollte nicht sein. Aber sie erschießen? Nein, das würde er nicht. 22 Jahre sind sie jetzt verheiratet, und es ist auch nicht abzusehen, dass sich das ändern wird. „Irgendwann“, sagt er langsam, „irgendwann würde ich vielleicht doch mal wenigstens zurückschießen.“

„Schambes, seien Sie vorsichtig“, zwitschert Eveline und nimmt noch einmal vom Trittenheimer Altärchen. „Ihre Frau ist ja so schlank, die trifft man ja gar nicht.“

Schambatíst holt den Fön und lässt warme Luft über die balsamierten Füße strömen.

„Ich hasse Fett“, sagt sie. „Ein Mensch mit Fett kann sich doch nicht gut fühlen. Er kann sich doch nur schlecht fühlen. Und ein Mensch, der sich schlecht fühlt, ist ein schlechter Mensch.“

Schambatíst schweigt. Schlank ist er nicht. Eher korpulent und etwas untersetzt – für einen Mann von rund 50 Jahren nicht ungewöhnlich. Ändern will er es nicht, vor allem weil er dann seine wöchentliche Leidenschaft aufgeben müsste: Polenta mit zerlassener Butter und Parmesan, nicht unbedingt ein Fettlöser-Essen.

„Fett ist ein Zeichen der Schwäche“, ruft Eveline scharf in seine Richtung. Dann schaut sie ihn an.

Er fühlt sich ertappt und bemüht sich, den Bauch einzuziehen. Gleichzeitig freut er sich schon jetzt auf das Cranberry-Vollkornbrötchen, das er sich immer am späten Vormittag als Pausensnack bei seinem Nachbarn Matteo Alberti in dessen italienischem Restaurant holt. „Essen ist Glück“, entfährt es ihm.

„Schambes, nein, ich weiß nicht, ob ich auf diese Art glücklich sein will“, gibt Eveline zurück.

„Wie denn sonst?“

„Ach, diese Sache mit dem Glück, das ist alles so wechselhaft. Sobald wir das Glück fühlen, ist es schon wieder fort. Und wenn es bleibt – Schambes, stellen Sie sich doch mal vor, Sie hätten den Zustand des Glücks erreicht. Was dann? Was wollen Sie dann tun? Was wollen Sie denn dann noch machen?“

Er holt ihre Schuhe und Socken, zieht sie ihr an und denkt an sein Cranberry-Vollkornbrötchen. „Wenn Sie Ihren Mann umgebracht haben werden – sind Sie dann glücklich?“

„Ach, das weiß ich doch erst, wenn es so weit ist.“ Sie hält inne. „Es ist aber sicher einen Versuch wert. Oder auch mehrere. Wissen Sie, es gibt Momente, die stehen über dem Glück, kurze Momente der Überraschung, der Leichtigkeit, unbeschwerter Trunkenheit. Solche Momente halte ich für vollkommen angemessen und erstrebenswert.“

Carl klopft von außen an die Eingangstür. Er gibt ihr zu verstehen, dass er nun draußen auf sie warten wird.

Betont langsam zieht sie sich den Mantel wieder an.

Schambatíst schenkt noch einmal vom Trittenheimer Altärchen ein. „Ein letzter Schluck?“

„Aber nur, wenn Sie mittrinken.“ Eveline strahlt.

Er füllt auch sein Glas, und sie stoßen an.

„Vertraue keinem, der nicht trinkt“, sagt sie und zwinkert ihm zu. „Auf Sie, mein Lieber!“

Ξ

orn-links 2 orn-rechts

DER KURFÜRSTLICHE ROTTWEILER

Manchmal werden Menschen in die Provinzialität eines Lebens hineingeboren, in dessen geregelter Häuslichkeit und strengem Behütetsein sie zwar die Liebe und Nestwärme für glückliche Kindheitstage erleben, doch in dessen Enge und Horizontferne sie allmählich um Atem ringen und begreifen, dass sie diesem Ort und seiner erstickenden Mittelmäßigkeit alsbald entfliehen müssen, um sich neu und für sie richtig zu erfinden.

Anselm Bohlscheid ist einer von ihnen – ein Mann, dem nichts fremder ist, als sich anzupassen, ein Kosmopolit, der die Wiege seiner Kindheit nur noch selten besucht. Er kann es sich leisten, an vielen Orten zu sein. Als Geigenbogenhändler verdient er ein Vermögen. In der sehr diskreten Branche des internationalen Bogenhandels hat er sich einen Namen erarbeitet. Nicht wenige behaupten, dass weltweit kein Bogen über den Verkaufstisch geht, den er nicht kennt oder bei dem er nicht seine Hände im Spiel hat. Doch ganz gleich, mit wem er handelt, wo er kauft und verkauft, wo er wohnt, liebt und lebt – immer zieht es ihn an einen bestimmten Ort zurück.

„Morgen, Herr Bohlscheid“, ruft Schambatíst, als er den beleibten Bogenhändler an seiner Eingangstür sieht.

Bohlscheid ist fast einen Kopf größer als er und trägt die Haare schulterlang und wild um den Kopf. „Morgen, Herr Dänzer-Valotti“, grüßt Bohlscheid zurück, „oder darf ich Sie nach all den Jahren nicht doch endlich Schambes nennen? Oder ist Ihnen Schampus lieber?“ Bohlscheid lacht laut auf.

Sein penetranter Hang zu Wortwitzen ist einer der Gründe, warum sich Schambatíst bisher immer eine gewisse Distanz zu ihm bewahrt hat. „Äh, wie Sie möchten“, sagt er mit etwas starrer Miene und bietet Bohlscheid einen Platz an.

Dieser setzt sich auf den Kosmetikstuhl vor dem Prunkkamin.

Schambatíst bringt Kaffee.

Unter dem wallenden, weißen Hemd mit bis zum zweiten Knopf geöffneten Hemdkragen trägt Bohlscheid knielange, knallgrüne Bermudashorts. Seine nackten Füße stecken in zwei Pantoffeln mit breitem, flauschigem Kunstfell-Bommel, der wie eine Pudeltolle über dem Schaft der Hausschuhe wippt. Ob auf der Straße, im Auto oder zu Hause – bei diesem frühsommerlichen Wetter trägt er sie fast den ganzen Tag. Auch beim Reisen und den vielen Flughafenkontrollen empfindet er Pantoffeln als viel praktischer. „Schambes, schön, Sie zu sehen. Hier hat sich ja nichts verändert. Auch der gute Jan Wellem hängt an seinem gewohnten Platz.“

„Was dachten Sie, Herr Bohlscheid – hätte ich das Bild abhängen sollen?“

„Nein. Aber vielleicht hätten Sie es verkaufen können.“

„Nein, niemals. Sie wissen doch, das ist ein Erbstück meiner Mutter. Und die hat es von ihrer Mutter und die von ihrer und so weiter. Es zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Familie.“

„Natürlich weiß ich das. Aber es ist ein so interessantes Bild, dass ich mir vorstellen könnte, dass es Kaufanfragen gibt.“

„Kaufanfragen? Für eine Kopie? Und noch dazu eine nicht autorisierte?“ Schambatíst taucht Bohlscheids Füße ins warme Fußbad und spült ihm das Wasser um die Zehen. „Das kann ich mir nicht vorstellen.“

Zehen verraten einiges über ihre Besitzer. Über die Hast oder Entspannung in ihrem Leben, über ihre Sensibilität, ihre Härte oder schlichtweg ihren Umgang mit Hygiene. Doch die Vorstellung, dass jeder einzelne Zeh Träger eines Gefühls ist und Kreativität, Vertrauen, Freude, Kummer oder Liebe symbolisieren soll, ist Schambatíst nicht geheuer. Er glaubt lieber an das, was er sieht, und die Verhärtungen vor allem an Bohlscheids dicken Zehen sind offensichtlich.

„Und wo befindet sich Ihrer Meinung nach das Original?“, fragt Bohlscheid.

„In Italien natürlich. Es hängt in Florenz in der Galleria Palatina, gemalt von Jan Frans Douven.“

„Und das sieht doch sicher aus wie Ihres.“

„Eine gewisse Ähnlichkeit gibt es.“

„Ähnlichkeit? Das sieht doch genauso aus. Woher stammt Ihr Bild eigentlich?“

„Das weiß ich nicht“, antwortet Schambatíst. „Es hat aber für mich große persönliche Bedeutung, da wir es schon so lange haben.“

„Natürlich.“ Bohlscheid lässt seinen Blick durch den Raum schweifen. Dann lächelt er vielsagend und nickt sich selbst so heftig zu, dass seine Haare wirr auf dem Kopf wippen. „Die eigene Wahrnehmung macht das Leben besonders, nicht wahr, Schambes? Viele Leute vergessen das.“

Schambatíst schaut verdutzt, ist aber nicht bereit, sich weiter von seiner Arbeit abhalten zu lassen, und pflückt Bohlscheids verknotete Zehen auseinander. Es sind kleine dicke Zehen, die wie zusammengequetschte Kirschen eng beieinanderliegen – und ihm ein wenig leidtun. Vom Doppelzentner, den sie täglich tragen, sind sie arg strapaziert. Schambatíst nimmt sich jeden einzelnen von ihnen vor.

„Mögen Sie Hunde, Schambes?“

„Meine Frau und ich hatten früher einmal einen Cavalier King Charles Spaniel“, sagt Schambatíst. „Und zwar perlweiß mit kastanienroten Flecken.“

„Ah“, Bohlscheid zeigt mit dem Finger auf das Ölgemälde, „ähnlich wie dort der kleine Hund des Fürstenpaares?“

Schambatíst schüttelt den Kopf. „Nein, das muss irgendein anderer Schlosshund sein. Jedenfalls gibt es wohl kaum einen Hund mit einem dämlicheren Namen als diesen Cavalier King Charles.“

Er entdeckt zwischen Bohlscheids Zehen leichte Risse in der Haut. Über Hunde zu reden, hat er nun gar keine Lust. Natürlich weiß er, dass auch Jan Wellem sich des Adels seines kleinen Köters bewusst war. Schon im 16. Jahrhundert war der Cavalier King Charles Liebling von Ludwig XIV., dann auch von Marie Stuart, Elisabeth I. und vor allem von Charles II. Dieser soll ihn mehr geliebt haben als seine Staatsgeschäfte. Aber wiederum nicht so sehr wie seine Mätressen, mit denen er eine Unzahl illegitimer Kinder zeugte – und sie allesamt adelte. Seine bekanntesten Nachkommen sind Prinzessin Diana und Camilla Parker Bowles. Auch sie teilten wie ihr Urahn eine Liebe zu einem gewissen Cavalier Charles. Aber das ist eine andere Geschichte.

„Der Name der Rasse mag vielleicht bizarr sein“, sagt Bohlscheid, „aber da kann der Hund ja nichts für. Wie haben Sie ihn genannt: Château Noblesse? Windsor Superflair? Oder Moët et Chien?“

Während Bohlscheid laut über seinen Witz lacht, fragt sich Schambatíst, warum die Leute immer noch dieses Hündchen für adlig halten. Wenn etwas an diesem Spaniel heute noch blaublütig ist, dann höchstens seine Ohren. Genau wie bei Prinz Charles. Und ob man mit solchen Segelohren überhaupt König werden kann, ist tatsächlich fraglich. „Nein, nein“, wehrt Schambatíst ab, „nicht so überkandidelt. Ganz einfach: Fuchs. Fuchs haben wir ihn genannt.“

„Ah, sehr gut, ein Hund, der Fuchs heißt. Schlau wie ein Fuchs. Das passt, denn diese Spaniels sind wirklich sehr pfiffig. Aber auch strebsam, schlau, manierlich, nett, fröhlich und ideal für Kinder!“

„Wir haben keine Kinder“, sagt Schambatíst.

„Oh, das wusste ich nicht. Tut mir leid.“ Bohlscheid streicht sich verlegen über den Ehering. Für seine Frau und seine vier Kinder hat er sich neben dem Haus am Schliersee für ein paar Millionen eine zweite Villa in Berlin gekauft – eine Art Dependance für die Flucht ins Urbane übers Wochenende. Es hat ihm damals Spaß gemacht, den alten Schuppen in der Lentzeallee in Berlin-Dahlem zu kaufen, angeblich die ehemalige Residenz von Reichsaußenminister Ribbentrop. Hier sollen Hitler und von Papen unmittelbar vor der Machtergreifung die Zukunft Deutschlands verhandelt haben – die dunkle Geburtsstunde des Dritten Reiches. Der Gedanke faszinierte und ekelte Bohlscheid zugleich. Was ihn aber damals bei dem Kauf am meisten amüsierte, war Ribbentrop selbst. Vor seiner unsäglichen Polit-Karriere hatte der Exportkaufmann Joachim von Ribbentrop Annelies Henkell, eine Tochter der gleichnamigen Sektdynastie, geheiratet und war damit auch zum ersten Champagner-Vertreter Deutschlands aufgestiegen. Was für ein armer Tropf, pflegt Bohlscheid stets laut prustend zu sagen, ein echter „Ribbentropf“.

„Schambes, der kleine Hund auf dem Jan-Wellem-Bild ist doch jetzt ein Spaniel, oder nicht?“

„Kann sein“, murmelt Schambatíst. Er ist nun ganz in Bohlscheids Füße abgetaucht.

„Der dürfte ja dann wohl ein Schoßhündchen von Anna Medici gewesen sein, nicht wahr?“

Schambatíst lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. „Es wäre noch besser, wenn Sie Sandalen tragen würden, Herr Bohlscheid, dann können auch Ihre Zehen leichter atmen.“

„Ich trage doch schon Pantoffeln?“

„Sicher, aber Sandalen lassen mehr Luft zu.“

„Und der andere Hund?“

„Welcher andere Hund?“

„Auf Ihrem Gemälde. Das ist doch wohl ein Rottweiler. Ein kurfürstlicher Rottweiler.“ Bohlscheid kneift die Augen zusammen. „Ja, wenn ich es genau betrachte, ist der große Hund ein Rottweiler. Und zwar mit einem sehr großen Halsband. Ist Ihnen das schon einmal aufgefallen, Schambes?“

Schambatíst hebt die Augenbrauen. Gespräche wie dieses rauben ihm die Konzentration. Er ist es gewohnt, mit großer Präzision zu arbeiten. Mit ein paar geübten Griffen ist meist alles erledigt, schnipp und schnapp, wie in der Maßschneiderei. „Nein“, sagt er schließlich, und sein Blick senkt sich wieder Bohlscheids Kirschenzehen zu.

„Doch, doch, ein tolles Halsband. Schauen Sie mal genau hin. Es ist ein silberbeschlagenes Halsband mit zwei Initialen. Einem C und einem P. Wissen Sie, was das heißt?“

Schambatíst antwortet nicht und feilt nun noch einmal sehr akribisch an der faserigen Außenseite der Zehen, so schnell und eifrig, dass sich ein kleines Summen durch den Salon schlängelt.

„C und P stehen für comes Palatinus“, fährt Bohlscheid unbeeindruckt fort. „Das ist lateinisch, auf Deutsch: Hofpfalzgraf.“

Schambatíst horcht auf: „Holzpfahlgraf?“

Bohlscheid stößt ein lautes Lachen aus. „Ha! Der könnte von mir sein! Sie sind ja ein richtiger Witzbold. Nein, der Hund bezieht sich natürlich auf Jan Wellem und als Zeichen der Macht trägt er dieses Halsband.“

„Jan Wellem?“

„Nein, der Hund. Schambes, sagen Sie mal, das scheint Sie überhaupt nicht zu interessieren.“

„Doch, doch, sicher. Und – äh, meinen Sie, dieses Halsband gab es wirklich?“

„Sehr gute Frage. Endlich mal. Ja, das könnte ich mir durchaus vorstellen. Oder besser gesagt, ich bin überzeugt, dass es davon ein Original gibt.“ Bohlscheid schaut Schambatíst erwartungsvoll, fast triumphal an.

Ihre Blicke begegnen sich für mehrere Sekunden, bis Schambatíst spürt, dass er an der Reihe ist, etwas zu erwidern, eine Regung des Erstaunens oder eine interessierte Bemerkung. Ihm fällt nichts ein. Gerade will er seinen Blick wieder senken, da schießt ihm endlich die passende Frage durch den Kopf. „Aber wo steckt das Halsband?“

Bohlscheid lächelt erlöst: „Ach, das kann überall sein, im Fundus von historischen Archiven, in Museen, auf Speichern von Privatleuten oder im Keller alter Villen.“

„Und? So wie ich Sie kenne, haben Sie schon jemanden auf die Suche geschickt, stimmt’s?“

„Ah, Schambes, jetzt sind Sie also wieder aufgewacht.“

„Nun, äh, ich mache meine Arbeit und muss mich konzentrieren.“

„Sie haben völlig recht. Aber stellen Sie sich einmal vor, man würde es finden. Wie erkenne ich, dass es sich wirklich um das Original handelt?“ Bohlscheid reibt sich über das Kinn. „Ich bräuchte einen Beweis, Bildmaterial also. Und der beste Beleg wäre zum Beispiel das Original-Gemälde Ihrer Kopie. Da könnte man dann genau erkennen, wie es wirklich aussah.“

„Dann fahren Sie doch nach Florenz und klauen Sie es!“

„Ach, Schambes, Sie wissen gar nicht, was das für eine gute Idee ist. Nur der Ausdruck ‚klauen‘ gefällt mir nicht. Sagen wir besser: kaufen.“

Schambatíst stutzt. „Sie wollen den Italienern das Gemälde abkaufen?“

Bohlscheid verschränkt die Arme über der Brust. „Sie glauben, das geht nicht? Ich habe im Laufe der Jahre gelernt, dass nichts unverkäuflich ist.“ In den vergangenen Jahren hat er sich auf Geigenbögen von François Tourte und Dominique Peccatte spezialisiert, die um 1800 in Paris die goldene Periode des Bogenbaus maßgeblich mitbestimmten. Tourte hat den ausgewogensten Bogen von allen gebaut und gilt heute noch als der „Stradivari des Bogens“ – und damit als Leitzins des Marktes: Steigt der Preis seiner Bögen, ziehen alle anderen nach. Auf Auktionen und im Handel erzielen sie höhere sechsstellige Beträge. „Schambes, mit meinen Bögen habe ich eine ganz ähnliche Erfahrung gemacht. Sie können sich vorstellen, ein Bogen ist zunächst ein ganz sensibles Stück Handarbeit, angefangen von den Köpfen, den Stangen, den Fröschen, den Ringen bis zu den Beinchen. Doch gerade die alten Bögen haben sehr charakteristische Gesichter und Biografien. Denn der Bogen ist die entscheidende Verbindung des Spielers zu seinem Instrument, er verbindet die Seele mit dem Klang. Und da können Sie sich denken, dass so ein Stückchen Holz, ein Fernambukholz, irgendwann einen fast unersetzbaren Wert erhält, nicht wahr?“

„So wie der Pinsel für den Maler?“

„Nein, viel mehr. Außergewöhnliche Bögen haben eine außergewöhnliche Schönheit – sie sind fantastische Arbeit und zeugen von Präzision, Perfektion und unglaublich regelmäßiger Schwindung.“

„Schwindung?“

„Ach, Schambes, ein Maler-Pinsel kann da einfach nicht mithalten. Und wie gesagt, jetzt versuchen Sie mal einen solchen Bogen zu bekommen und zu verkaufen. Da brauchen Sie schon Geschick. Und ein gutes Netzwerk. Und Vertrauen.“

Schambatíst steht auf und holt Kaffee. Er kennt Bohlscheids unbescheidene Elogen, und dennoch würde es ihm niemals in den Sinn kommen, ihn als Sprücheklopfer abzustempeln. Nein, der Mann hat sich seinen Erfolg erarbeitet, ein Mann, der als Musiker anfing und sich zu einem der wenigen echten Genies im Bogenhandel entwickelt hat.

„Wieso haben Sie eigentlich ihre Karriere als Geiger beendet?“, fragt Schambatíst, als er zurückkommt.

„Ich habe sie überhaupt nicht beendet. Sie hat mich beendet. Die Geige erkannte, dass mir einfach die Fähigkeiten zum wirklichen Virtuosen und Künstler fehlten. So sehr ich mich auch bemühte, sie ließ mich nicht den Klang spielen, der einen wirklich berührt.“

„Ich hoffe, es war letztlich aber doch Ihre Entscheidung.“

„Ja, natürlich. Aber wie ich schon sagte, es ist alles eine Frage der Wahrnehmung. Und bis ich verstand, dass ich nicht der große Geiger werden konnte, der ich sein wollte, musste ich viel leiden.“

„Na ja, ist ja noch mal gut gegangen. Statt der Musik dürfen Sie jetzt das Geld lieben.“

„Glauben Sie nicht, Schambes, dass ich Ihre kleine Spitze nicht verstehe.“

„Was heißt hier Spitze? Auch ich bin schon gescheitert. Ich wollte auch mal etwas anderes werden. Ich träumte davon, als Professor an der Universität zu arbeiten. Ich hatte doch sogar schon promoviert, über den russischen Logiker Afrikan Alexandrowitsch Spir. Na ja, ein Missverständnis. Mir waren dann doch diese ganzen akademischen Taktikspielchen viel zu mühsam. Jetzt bin ich halt Doktor der Düfte.“

Sie schlürfen Kaffee, Bohlscheid hat sich im Kosmetikstuhl breitgemacht, die nackten Füße ausgestreckt, Schambatíst steht und hält Tasse und Untertasse in den Händen. Von draußen tönt Geschrei herein. Zwei Fahrradfahrer in aerodynamischem Dress brüllen einander an. Der eine ist dem anderen beim Entgegenkommen wohl zu nahe gekommen und hat ihn vom Sattel geworfen.

„Taktik ist wichtig“, sagt Bohlscheid schließlich. „Ohne Taktik stehen Sie da wie ein Geist ohne Spuk oder ein Porzellan-Klo ohne Spülung. Taktik ist schlau. Taktik zeigt Ihr Überlebensgenie. Ja, ich würde sagen, Taktik ist so etwas wie auf den Hund gekommene Intelligenz.“

Schambatíst überlegt. Dann setzt er seine Tasse ab. „Na ja, aber es kann ja wohl keine Taktik sein, in alle abgehalfterten Hinterteile akademischer Elfenbeinturmler und Vollzeit-Soziopathen zu steigen.“

Bohlscheid richtet sich abrupt auf. „Und deswegen sind Sie dann Drogist geworden und haben aus Frust dieses Geschäft aufgemacht?“

„Nein, nicht aus Frust. Eher aus Zwang. Oder, besser gesagt, aus leidenschaftlicher Notwendigkeit. Denn ich wollte nicht mehr allein Gedanken lockenwickeln. Ich wollte mit Menschen zu tun haben, mit echten Menschen, und ihrem Gefühl für Schönheit und Leben.“

„Da hätten Sie auch Pfarrer werden können.“

„Nein. Das bin ich nicht. Aber es war schon so schwierig genug für mich. Das sieht jetzt in meinem Salon für viele zwar so aus, als ob das ein einfacher Schritt gewesen wäre. Aber das war es nicht.“

„Alle Dinge sind schwierig, bevor sie einfach werden.“

Schambatíst hält inne. Niemals hätte er möglicherweise so ungeschminkt mit Menschen reden können wie in seinem jetzigen Beruf, der Schönheitspflege. Niemals hätte er wohl als dozierender Professor ein so großes Vertrauensverhältnis zu Menschen aufbauen können wie heute zu seinen Kunden. „Manchmal hat man vielleicht auch einfach nur Glück.“

„Was meinen Sie, Schambes?“

„Och, ich meine, wie die Dinge so spielen. Sie zum Beispiel: Ich könnte mir schon vorstellen, dass auch bei Ihnen der Zufall eine große Rolle spielt. Da tauchen bestimmt auch mal alte Bögen irgendwann plötzlich auf einem Dachstuhl auf.“

„Stimmt.“

„Und es ist dann sicher nicht immer so ganz eindeutig, ob es sich um ein Original handelt oder eben nicht.“

„Nun, ein Tourte ist schon schwer zu fälschen. Allein das Holz bekommen Sie so schnell nicht hin.“

„Ich will niemandem etwas unterstellen“, sagt Schambatíst, „aber wir alle wissen doch, dass der Antiquitätenhandel, der Teppichhandel und auch der Kunstmarkt vom überflüssigen Geld lebt.“

„Natürlich, aber meine Kunden und ich wollen mit dieser zum Party-Event mutierten Kunstwelt nichts zu tun haben. Da ist es ja wirklich fast egal, ob ein Werk Qualität hat, ob es ein Original ist oder Betrug. Wir leben in der Bogenbranche von hör- und fühlbaren Werten. Da gibt es kaum Möglichkeiten der Fälschung.“

„Herr Bohlscheid, vor der Versuchung ist doch niemand gefeit. Schauen Sie doch, wer sich alles von diesem Kunstfälscher Beltracchi hat verführen lassen. Darunter waren große Namen. Sie glauben doch nicht, dass die alle nicht gewusst hätten, auf was sie sich da einließen? So ein Typ wie Beltracchi mit seinen schulterlangen Afghanen-Hundelocken ist doch dafür wie gemacht!“ Schambatíst nimmt Bohlscheids Füße, reibt sie mit dem Handtuch noch einmal ab und reicht ihm die Pantoffeln.

„Na gut, Schambes, eigentlich wollte ich es Ihnen ja nicht sagen, aber ich glaube, Sie sind reif dafür.“

Schambatíst hält die Pantoffeln hoch, und erst jetzt sieht er sie sich etwas genauer an. Auf dem Schaft kurz unter dem dicken Bommel sieht er die eingestickten Initialen FXT, DP und AB: François Xavier Tourte, Dominique Peccatte, Anselm Bohlscheid.

„Ich habe ja diese Villa in Berlin gekauft. Kurz nachdem meine Familie dort einzog, haben die Kinder auf dem Dachboden doch tatsächlich einige wohl längst vergessene Skurrilitäten gefunden. Zum Beispiel einen Fleischwolf aus der Küche des berühmten New Yorker Four Seasons, das im vergangenen Jahr aufgelöst wurde. Und auch die Maschine, mit der die köstliche Zuckerwatte gemacht wurde, die es im Four Seasons als Dessert gab. Die Dinge waren da oben auf dem Speicher kaum zu sehen und standen tief unter einer dieser grünen Plastikplanen an den Dachschrägen, die solche alten Villenspeicher von innen notdürftig vor dem eindringenden Regen bewahren. Und dann gab es da noch eine Kiste, mit Leder bezogen. Sie war unverschlossen, von innen dick gepolstert mit blauem Tuch. Da lagen eine Pfanne drin, ein Besteckset und viele angelaufene große Silberlöffel. Und ganz unten ein silberbeschlagener großer, breiter Ring, der sicher irgendwelchen Giraffenhalsfrauen gut gestanden hätte. Dann habe ich mir diesen Fund aber mal genauer angeschaut. Er wirkte eigentlich eher wie ein Halsband, ein Halsband für Hunde. Und dann sah ich da zwei große Initialen, C und P Und jetzt raten Sie mal, was das für ein Halsband ist.“

„Wirklich? Nein, das muss ein Missverständnis sein!“

Ξ

orn-links 3 orn-rechts

DAS ALBERTI

Mit einem winzigen Ruck kommt der Alfa zum Stehen. Millimeter von der Stoßstange des anderen Autos entfernt.

Schambatíst, der gerade seinen Laden aufschließen will, zuckt zusammen.

Und schon ruft eine ihm wohlbekannte Stimme mit einem leicht italienischen Akzent: „Schambes, schon auf den Beinen?“ Matteo Alberti springt aus dem offenen Wagen und schlägt seinem Freund krachend die Hand auf die Schulter. „Es ist halb neun, und du öffnest doch erst in eine Stunde. Allora, komm, wir gehen noch auf eine schöne Espresso in mein ristorante.“ Sein breites, gewinnendes Lächeln unter der etwas gebogenen Nase, den blauen Augen und den dunklen, welligen Haaren wirkt auf viele Frauen unwiderstehlich. Und auch auf manche Männer.

Nicht jedoch auf Schambatíst. „Nein, Matteo, heute nicht“, sagt er ungehalten und seine wulstigen Lippen plustern sich zu einem Schnuller-Mund auf.

No, ach komm schon. Ich lade dich ein“, sagt Matteo und schiebt seinen Freund in das Restaurant.

Seit einigen Jahren betreibt Matteo Alberti erfolgreich in dem linksrheinischen Stadtteil das italienische Szene-Restaurant, gleich neben Schambatísts Schönheitssalon. Das Alberti will so etwas wie das Borchardt von Düsseldorf sein und natürlich mindestens so weltoffen und mindestens so diskret wie das Berliner Vorbild. Freilich mit ein paar weniger Prominenten. Aber das macht nichts, im Gegenteil. Das Restaurant ist nicht auf Promis angewiesen. Und will es auch nicht sein, denn Matteos Wahlspruch lautet: In Düsseldorf kann jeder prominent sein. Und so feiert hier jeder, der sich gut fühlt, feiern will – und es sich leisten kann. Denn im Alberti lacht auch gern das Geld.

Das Restaurant ist großzügig gebaut. Acht ockerfarbene Marmorsäulen mit goldverzierten Kapitellen recken sich in dem vier Meter hohen Raum empor. Die gedeckten Tische mit doppelt gelegten weißen Decken stehen an breiten und hohen Bänken aus rotem Veloursposter, deren Formation das Restaurant in unterschiedlich große Sitzecken und lange Gänge einteilt. Über den Bänken glänzen Messingstangen. Auf dem Boden leuchten italienische Fliesen, gemustert mit Blütenstielen in Ocker, Rot und Grün. Manche Fliesen sind ausgetreten, hier und da bricht die Spur ab. Musik gibt es im Alberti nicht. Dafür aber lautes geschäftiges Reden, Besteckklappern, Gläserklirren, Küchenlärm, natürlich Gelächter, und manchmal singen auch die Kellner oder gar Matteo das eine oder andere Lied.

Die beiden Freunde stellen sich an den langen, mit Aluminium beschlagenen Mangobaum-Massivholz-Tresen. Das Alberti öffnet um halb acht Uhr in der Früh, für alle, die sich auf dem Weg zur Arbeit einen Kaffee genehmigen wollen. Es lohnt sich. Bis neun Uhr haben bereits mehrere Hundert Passanten auf dem Weg zu ihrem Job bei Alberti im Stehen einen Espresso getrunken.

„Du siehst müde aus. Hast du wieder zu viele Füße gewaschen?“

Schambatíst nippt an seinem Kaffee, er mag ihn lieber handgeschöpft, aber für seinen Freund tut er viel und trinkt fast alles, was dieser ihm anbietet. „Gestern war Anselm Bohlscheid bei mir. Kennst du ihn?“

„Der dicke Bogenhändler?“

„Ja, der.“

Claro, an dem hast du dich natürlich überarbeitet.“

„Unsinn. Der ist gar nicht dick. Etwas kräftig vielleicht. So wie ich.“

„Ja, fast. In jedem Fall hat er seine Dicke von mir.“

„Wie meinst du das?“

„Nun, immer wenn er bei dir ist, kommt er anschließend zu mir ins ristorante. Er liebt es.“

„Ah, dann weißt du also schon Bescheid?“

„Worüber?“