Susan Brownmiller
Gegen unseren Willen
Vergewaltigung und Männerherrschaft
Aus dem Amerikanischen von Ivonne Carroux
FISCHER Digital
Susan Brownmiller ist Journalistin. Sie hat für Fernsehanstalten wie für Zeitungen gearbeitet, unter anderem für ›Village Voice‹. Ihre Berichte und Kritiken sind in so bekannten Zeitschriften wie ›The New York Times Magazin‹, ›Book Review‹, ›Esquire‹, ›Vogue‹ und ›Mademoiselle‹ erschienen. Im Herbst 1984 veröffentlichte der S. Fischer Verlag ihr aufsehenerregendes Buch ›Weiblichkeit‹.
Am Ende ihrer gründlichen Erforschung einer häufig verschwiegenen, häufig verharmlosten entwürdigenden Gewalthandlung kommt die Autorin des bereits als Standardwerk der Frauenbewegung bezeichneten Buches zu dem bestürzenden Schluß, die Drohung, Anwendung und kulturelle Billigung sexueller Gewalt sei ein allgegenwärtiger Einschüchterungsprozeß, von dem alle Frauen betroffen seien, mögen sie nun tatsächlich Opfer einer Vergewaltigung gewesen sein oder nicht.
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Impressum der Reprint Vorlage
ISBN dieser E-Book-Ausgabe:978-3-10-561519-5
Die Anmerkungen stehen im Anhang am Schluß des Bandes. (Anm.d.Red.)
Sechster König der 1. Dynastie von Babylon, 1728–1681 v. Chr., Anm.d.Red.
Maimonides beherrschte das Denken des zwölften Jahrhunderts und darüber hinaus, aber in seiner Einstellung gegenüber Frauen wurde der strenge Theoretiker von anderen rabbinischen Denkern häufig überflügelt. Es ist wenigen bekannt, daß der große Maimonides neben seinen anderen Werken ein schmales Handbuch über Sexualität16[Louis M. Epstein, op. cit., S. 188.] geschrieben hat, das zu seiner Zeit recht verbreitet war. Frauen kommen in diesem Buch so gut wie nicht vor, da es hauptsächlich von Speisen handelt. Das maimonidische Handbuch ist, schlicht und einfach, eine Rezeptsammlung von Mitteln. denen der Autor erektionsfördernde Wirkung zuschreibt.
Wenn im alten England eine Frau erreichen wollte, daß ein Notzuchtdelikt vor Gericht kam, dann mußte sie selbst als Anklägerin auftreten (engl. prosecutrix). Heute vertritt in den USA natürlich der Staat die Anklage, aber trotzdem hat sich die Bezeichnung prosecutrix hartnäckig in den Schriftsätzen englischer und amerikanischer Verteidiger im Falle von Notzuchtverbrechen gehalten. Ebenso gebräuchlich sind immer noch die Bezeichnungen »Anzeigenerstatterin« (complainant) und »angebliches Opfer«. Ein Großteil der Rechtssprache ist archaisch, doch in diesem Fall liegt der Schluß nahe, daß der Ausdruck »prosecutrix« wegen der in ihm enthaltenen Andeutung von persönlicher Rachsucht und Unnachgiebigkeit bevorzugt verwendet wird.
Heute ist in England die Höchststrafe für Notzucht lebenslängliche Freiheitsstrafe. In Deutschland kann Vergewaltigung höchstens mit Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden (Anm. Th. W.).
Hab Kanone und Schießeisen
Das eine macht Kinder, das andere Waisen;
(Amerikanisches Kommißliedchen, frei übersetzt.)
Es ist nach der neueren Rechtsprechung des amerikanischen Supreme Court allerdings zweifelhaft, ob diese Bestimmung noch verfassungsgemäß ist. Anm. Th. W.
Da Verfügungsgewalt über Frauen als traditioneller Lohn nach geschlagener Schlacht betrachtet wurde, müssen wir auch auf die Frage der Prostitution eingehen, denn Notzucht und Prostitution stehen in engem geschichtlichen Zusammenhang. Nicht daß Männer vergewaltigen, »um ihre Bedürfnisse zu befriedigen«, wenn keine Prostituierten zur Hand sind, sondern beide Handlungen – gewaltsames Nehmen einer Frau sowie Kaufen des Körpers und der Dienste einer mehr oder weniger willigen Frau – gehören zur Vorstellung des Soldaten über sein Recht und sein Vergnügen. Prostitution in unmittelbarer Nähe von Heerlagern wurde geschichtlich mit dem Phänomen des Heertrosses in Verbindung gebracht. Doch das ist eine Geschichtsfälschung. Bis zum amerikanischen Unabhängigkeitskrieg war der zivile Troß eines Heeres eine Notwendigkeit, die auf der damaligen Kriegführung beruhte. Frauen im Troß – viele mit Soldaten verheiratet – kochten, wuschen für die Männer und pflegten sie in Krankheitsfällen, abgesehen von ihren offensichtlichen sexuellen Funktionen. Als dann die erstgenannten Tätigkeiten von der Armee und von Florence Nightingale übernommen wurden, verloren die Angehörigen des Trosses ihre nicht-sexuellen Funktionen. Interessant, daß den Soldaten die Ehe mit ausländischen Frauen aufgrund komplizierter Militärvorschriften erschwert, das Aufsuchen von Prostituierten hingegen allgemein gefördert wird.
Eine Ausnahme bilden die Vereinigten Staaten. Einzelnen Notzuchtdelikten amerikanischer Soldaten widmete man in diesem Land erhebliche Aufmerksamkeit. Zuweilen sind Fälle an die Öffentlichkeit gelangt, weil die Verteidigung darauf aufgebaut war, daß der Angeklagte verwechselt worden sei. Großes Aufsehen erregten in den Vereinigten Staaten derartige Militärgerichtsprozesse wegen Vergewaltigungen in Japan und Okinawa während des Zweiten Weltkriegs und während des Koreakriegs. Die Angeklagten waren Schwarze. Ein ähnlicher Fall bei gleicher Verteidigung kam 1971 ans Licht; er betraf zwei GIs, die bei der US-Armee in Deutschland stationiert waren. Es kann als Zeichen sich ändernder Zeiten gelten, daß Notzuchtdelikte amerikanischer Soldaten in Vietnam auf dem Wege der zahlreichen journalistischen Dokumente über Kriegsgreuel in Südostasien ans Licht gekommen sind.13[Siehe We Charge Genocide, New York, Civil Rights Congress, 1951, S. 124f. Herbert Aptheker, History and Reality, New York 1955, S. 254–278; und David Breasted, »The Black GI’s on Rape Rap Seek Justice«, New York Daily News v.9. Juni 1971.]
Barbara Tuchman führt in The Guns of August die Terrorkampagne der Deutschen zurück auf den Einfluß von Clausewitz, dem preußischen Militärtheoretiker des 19. Jahrhunderts. Sie mag von Clausewitz zu wörtlich genommen haben, aber vielleicht die Deutschen ebenfalls. Wichtiger ist, daß unter den vielen Beispielen für Terrorakte, welche die Verfasserin anführt, keine Vergewaltigung zu finden ist. Dieses Versäumnis scheint mir darin begründet zu liegen, daß die Verfasserin sich von abwertenden Äußerungen über alliierte Propaganda beeinflussen ließ.
»Rassenschande« war im Grunde nichts anderes als das gesetzliche Verbot von »Rassenvermischung«, das in den amerikanischen Südstaaten vor und nach Abschaffung der Sklaverei bestand und das die schwarzen Frauen kaum davor schützte, von Weißen vergewaltigt zu werden.29[Sala Pawlowicz unter Mitarbeit von Kevin Klose, I Will Survive, New York 1962, S. 41.]
Setzt man die Größe der Stadt mit der Häufigkeit von Verbrechen in Beziehung, so steht die Vergewaltigung von Nanking auf einer Stufe mit der Vergewaltigung von Bangladesch 34 Jahre später.
Tatsächlich weisen alle vorliegenden Informationen auf eine Fälschung hin, deren Urheberschaft zwar nicht mehr exakt zu ermitteln, aber mit Sicherheit bei der NS-Propaganda zu suchen ist. Ehrenburg, der in seinen Memoiren Menschen, Jahre, Leben von einer »Goebbelschen Lüge« spricht, berichtet dort auch von einem Tagesbefehl des Oberbefehlshabers der Deutschen Herresgruppe Nord aus dem Jahre 1944, der die Moral der zurückflutenden Truppen wieder aufrichten sollte und Ehrenberg teils fast wortgleiche, teils noch groteskere Äußerungen unterstellte, mit dem charakteristischen Zusatz: »Jeder weitere Rückzug ist hundsföttisch, denn die deutschen Soldaten verteidigen jetzt ihre Frauen.« – Diesen Hinweis verdanken wir Uwe Engelbrecht vom Moskauer Büro des Kölner Stadt-Anzeiger. (Anm.d.Red.)
Solschenizyn ist nicht der einzige sowjetische Dissident, der mit seiner Politik der Angst für die Rechte der Frauen auf sublime Weise unempfindlich bleibt. Als der Physiker Valerij Kalitse in die Vereinigten Staaten kam, fragte ihn der Chefredakteur der New York Times, Harrison Salisbury, was er von der Frauenbewegung wisse und wie er darüber denke. Verwirrt über die Frage, aber offensichtlich bemüht, sie gut zu beantworten, begann Kalitse sich langatmig über das »Recht der Frauen auf Teilhabe an polygamen Eheverträgen« und über ihr »Recht« auszulassen, vom Bräutigam entführt zu werden. In diesem Zusammenhang verbreitete er sich auch über die glorreiche Tradition im Kaukasus und in Zentralasien und über das Prinzip ethnischer Selbstbestimmung: »Beispielsweise haben die sowjetischen Behörden den rituellen Brautraub oftmals als gewaltsame Entführung betrachtet. Das sowjetische Recht basiert in diesem Punkt auf westeuropäischem Recht und verletzt nationale Traditionen, ja, es beleidigt das Brauchtum vieler Menschen.«75[Harrison E. Salisbury, »Struggling Now for Human Rights: A talk with Valery Chalidze«, New York Times Magazine v.4. März 1973, S. 60.]
Nach der Novelle von Alberto Moravia Cesira La Ciocara (Anm.d.Red.)
Die allgemeinen Militärgerichte sind in den USA mit einem Berufsrichter (Militärrichter) und fünf Offizieren besetzt. Sie unterscheiden sich von den besonderen Militärgerichten sowie von den Militärschnellgerichten dadurch, daß sie umfassende Strafgewalt haben, also auch die Todesstrafe verhängen können. Anm. Th. W.
Die Verurteilungsquote der deutschen Gerichte für Vergewaltigung liegt bei etwa 72 %. Anm. Th. W.
Liz Trotta von der National Broadcasting Company (NBC) gehört zu den wenigen amerikanischen Reportern, die zu jener Zeit über die Vergewaltigungen in Bangladesch Recherchen durchführten. Sie stellte darüber eine Fernsehreportage zusammen.
Die Vorstellung, nach der eine revolutionäre Guerilla-Armee, bestehend aus Bauern, nicht vergewaltigen soll, wurde 1928 von dem großen chinesischen General Tschou-teh mit einfachen Worten in folgendem Motto ausgesprochen: »Entwende dem Volk weder Nadel noch Faden!« In Tschou-tehs Vorschriften, ungefähr das Gegenteil der Praxis seiner Gegner, der Kuomintang (das nationalchinesische Heer unter Tschiang Kai-schek), heißt es zum Beispiel: »Gib alles Stroh zurück, auf dem du geschlafen hast, bevor du das Haus verläßt; sprich höflich mit den Leuten und hilf ihnen, wenn du kannst; gib alles zurück, was du entliehen hast; bezahle alles, was du beschädigt hast; tätige nur anständige Geschäfte; achte auf körperliche Sauberkeit – grabe Latrinen in ausreichender, sicherer Entfernung von den Häusern und bedecke sie mit Erde, wenn du sie wieder aufgibst; belästige niemals Frauen; mißhandle keine Gefangenen.«121[Agnes Smedley, The Great Road; The Life and Time of Chu Teh (1956), New York 1972, S. 299; siehe auch S. 301.]
CBS-Korrespondent Dan Rather, der sich von 1965 bis 1966 in Vietnam aufhielt, erzählte mir, daß ihm zum Beispiel keinerlei politischer Unterschied in puncto Vergewaltigungen zwischen beiden Seiten aufgefallen sei. »Wenn ich mit Leuten redete, habe ich nicht unbedingt an Vergewaltigungen gedacht«, räumte er ein. »Bei mir drehte es sich immer um Bombardierungen, Gefechte und Granatfeuer. Das lief dann so ab: in einen Hubschrauber springen, ganz schnell seine Story schießen und nichts wie mit dem Film zurück nach Saigon. Ich habe nie eine Vergewaltigungsstory gemacht, und wenn Sie an meiner Stelle gewesen wären, hätten Sie das auch nicht getan. Überall Schrecken und Brutalität. Während ich in Vietnam war, ist vielleicht einige dutzend Male über Vergewaltigungen geredet worden. Wenn man sah, wie die Frauen weinten, und wieviel abgrundtiefe Bitterkeit und Zorn in ihren Blicken lag – dann war klar, daß Vergewaltigung der Grund war. Nach meinen, allerdings begrenzten Erfahrungen schien es mir, daß jeder, der durch ein Dorf zog, etwas tat wie sich eine Frau greifen oder ein Huhn stehlen. Nach meinen eigenen Erlebnissen muß ich sagen, daß die amerikanischen und koreanischen Truppen wahrscheinlich die schlimmsten waren – sie hatten auch am wenigsten zu verlieren –, aber ich würde mich für die höhere Moral der anderen Seite nicht verbürgen. Der Vietnamkrieg war ein locker organisierter Bandenkrieg, in dem es die Frauen von allen Seiten bekamen.«125[Bernard Fall, Street Without Joy, New York 1972, S. 133.]
Artikel 134 des amerikanischen Militärstrafgesetzbuches (Uniform Code of Military Justice) stellt einen denkbar vagen, allgemeinen Tatbestand dar, unter dem u.a. folgende Verhaltensweisen subsumiert werden: unsittliche Tätlichkeit; versuchte widernatürliche Unzucht; versuchte Notzucht; unsittliche Handlungen mit Minderjährigen; Exhibitionismus; obszöne Reden; unsittliche und obszöne Handlungen; außerdem eine Anzahl nicht-sexueller Tatbestände wie Nichtbezahlung von Schulden, Verletzung des Briefgeheimnisses, ruhestörende Trunkenheit, Verkehrsübertretungen, unerlaubte Entfernung von der Truppe. Artikel 120 des Militärstrafgesetzbuches bezieht sich auf Notzucht und Unzucht mit Minderjährigen; Artikel 125 definiert widernatürliche Unzucht, Artikel 128 Körperverletzung. Nach Artikel 120 steht auf Notzucht die Todesstrafe (seit 1962 ist kein Soldat mehr hingerichtet worden) oder zeitlich unbegrenzte Freiheitsstrafe mit Zwangsarbeit. Die Höchststrafe für Unzucht mit Minderjährigen beträgt 15 Jahre, für gewaltsame widernatürliche Unzucht (Artikel 125) 10 Jahre, begangen an Minderjährigen 20 Jahre. Als schwerster Tatbestand unter Artikel 134 gilt versuchte Vergewaltigung; dieses Delikt kann eine Höchststrafe von 20 Jahren nach sich ziehen. Unsittlicher Angriff wird nach diesem Artikel (der alle Arten von »Versuchen« umfaßt) mit einer Höchststrafe von fünf Jahren bedroht.139[Definitionen und Tabelle von Höchststrafen sind dem Manual for Courts Martial, United States, U.S. Government Printing Office, 1969, Kapitel 25, S. 13ff. entnommen. Der Rückgang der Kriegsgerichtsprozesse wird in Task Force on Administration of Military Justice in the Armed Forces, 11. Mai, Government Printing Office, 1972, Bd. 1, S. 9ff. erläutert. Die Anwendung von Artikel 134 wird in Task Force, Bd. I, S. 26 erörtert.] Daß man bei Sexualvergehen so häufig den Artikel 134 heranzieht, ist eindeutig darauf zurückzuführen, daß er geringere Höchststrafen vorsieht. Unter dem Druck einer wachsamen liberalen Öffentlichkeit innerhalb und außerhalb der US-Streitkräfte haben sich die Militärgerichte seit dem Zweiten Weltkrieg bei ihren Verfahren größere Zurückhaltung auferlegt, und zwar nicht nur bei Sexualvergehen. 1954 wurden zum Beispiel noch gegen 8,2 Prozent aller Angehörigen der US-Streitkräfte Verfahren vor einem Militärgericht eingeleitet, 1971 fiel der Prozentsatz auf 3,5.
Nach den Zeugnissen von Camil und anderen wird deutlich, daß die von dem berüchtigten »Boston Strangler« praktizierten bizarren Sadismen und Verstümmelungen sich in Idee und Durchführung nicht von denen der US-Soldaten in Vietnam unterschieden.
Etwa zur gleichen Zeit, 1895 und 1915, begingen die Türken im Zusammenhang mit ihren Vernichtungsaktionen gegen das armenische Volk Massenvergewaltigungen an armenischen Frauen. Vgl. Henry Morgenthaus Bericht, Ambassador Morgenthau’s Story, New York 1918.
Neuordnung der politischen Verhältnisse in den amerikanischen Südstaaten nach dem Sezessionskrieg von 1861–1865 zwischen den Nord- und Südstaaten. Nach dem Sieg der Nordstaaten wurde am 3. Januar 1865 die Sklaverei abgeschafft. (Anm.d.Übers.)
Die Gegner der Sezession und der Sklaverei im amerikanischen Bürgerkrieg. Anm.d.Übers.
Der FBI definiert »Notzucht« wie folgt:
Geschlechtsverkehr mit einer weiblichen Person gegen deren Willen unter Einsatz von Gewalt oder Drohung mit Gewalt.
In § 177 des deutschen Strafgesetzbuches heißt es:
Wer eine Frau mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib
oder Leben zum außerehelichen Beischlaf mit ihm oder einem Dritten nötigt, wird …
bestraft (Anm. Th. W.).
Der deutschen Polizei wurden 1975 insgesamt 6850 Fälle von Vergewaltigung gemeldet; bei rund der Hälfte handelte es sich um versuchte Notzucht. Die Anzahl der Delikte ist dabei seit 1969 etwa konstant geblieben.
Auch wenn man berücksichtigt, daß die USA etwa viermal so viele Einwohner haben wie die BRD, ergibt sich für Deutschland eine erheblich geringere Belastung mit Notzuchtdelikten: während in den USA pro 100000 Einwohner rund 25 Vergewaltigungen pro Jahr gemeldet werden, kommen in Deutschland auf ebenso viele Einwohner nur 11 Anzeigen wegen Notzucht (Anm. Th. W.).
Der amerikanische Ausdruck »aggravated assault« umfaßt nach der Definition des FBI alle tätlichen Angriffe, die in der Absicht begangen werden, den Tod oder eine schwere Verletzung des Opfers herbeizuführen und bei denen eine Waffe oder ein ähnlich gefährliches Mittel eingesetzt wird. Dies entspricht im deutschen Strafrecht am ehesten dem Tatbestand der »gefährlichen Körperverletzung« (§ 223a des Strafgesetzbuches) (Anm. Th. W.).
Übergänge sind nie abrupt. 1965 erschien ein 900 Seiten starkes Buch von Paul Gebhard und anderen Mitgliedern des – von dem inzwischen verstorbenen Alfred C. Kinsey gegründeten – Institutes For Sex Research; Titel: Sex Offenders.18[Paul H. Gebhard et al., Sex Offenders (1965), New York 1967, S. 9f., 16, 178, 205.] Das Werk kann als eine Art Missing link zwischen dem eigentümlich Freudschen und dem soziologischen Ansatz betrachtet werden. Mit dem gleichen Mangel wie Kinseys Arbeit belastet (in voller Absicht schließt er Farbige aus seiner Untersuchung aus, da »ihre sexuellen Verhaltensweisen und Einstellungen bis zu einem gewissen Maße unterschiedlich sind«), suchen Gebhard und seine Mitarbeiter wesentliche Unterschiede – oder Ähnlichkeiten – zwischen überführten Notzuchttätern, den mit Kindern Unzucht treibenden Tätern und Homosexuellen herauszufinden. Das Buch ist vom Geist Kinseys geprägt. So heißt es bei Gebhard: »Wie Dr. Kinsey häufig erklärte, mag der einzige Unterschied zwischen einer ›Vergewaltigung‹ und einem ›schönen Erlebnis‹ darin bestehen, ob die Eltern des Mädchens noch wach waren, als sie nach Hause kam.« An anderer Stelle mutmaßt er, der Grund dafür, daß es so wenige weibliche Sexualtäter gäbe, dürfe darin zu suchen sein, daß »die durchschnittliche Frau einen schwächeren ›Geschlechtstrieb‹ habe als der durchschnittliche Mann«. Am brauchbarsten ist noch seine aus Vergleichsanalysen (über nächtlichen Samenerguß, Onanieverhalten, Tierkontakte und Häufigkeit vorehelichen, außerehelichen und nachehelichen Sexualverkehrs) stammende Beobachtung, daß Notzuchttäter im Vergleich zu einer Kontrollgruppe von Kirchen- und Gewerkschaftsmitgliedern quantitativ überdurchschnittlich gut heterosexuell angepaßt sind, eine Bemerkung, die ebensoviel über Gebhards Vorstellungen von sexueller Anpassung aussagt wie über Notzuchttäter. Eine andere brauchbare Beobachtung, die der Leser jedoch selbst tätigen muß, lautet dahingehend, daß nächtliche Samenergüsse, Masturbation, Tierkontakte sowie vor-, außer- und nachehelicher Geschlechtsverkehr aber auch nicht das Geringste zum Verständnis der Frage beitragen, warum Männer vergewaltigen. Vielleicht mußten 900 Seiten geschrieben werden, um das zu beweisen.
Amirs Rohmaterial deckt sich nicht mit dem des FBI, der nur Daten von Männern herausgibt, die wegen Vergewaltigung und Vergewaltigungsversuchs festgenommen wurden.26[UCR, S. 13f.; Amir, op. cit., S. 34, 36. 39.] Amirs Daten basieren auf statistischen Angaben über alle angezeigten, von der Polizei als »begründet« behandelten Fälle. Zwar schloß Amir Fälle von versuchter Notzucht aus, nahm aber die Profile von »bekannten«, aber nicht festgenommenen Tätern auf. »Bekannt« heißt bei ihm, daß die Täter »unbestreitbar existieren, doch nicht unbedingt der Polizei bekannt« waren. Von Amirs 1292 Tätern wurden lediglich 845 verhaftet.
Aktuellere Daten des FBI über »Verbrechenskarrieren«31[Donald J. Mulvihill et al., Crimes of Violence, Bericht für die National Commission on the Causes and Prevention of Violence, Washington 1969, Bd. 12, S. 532f., 544.] lassen erkennen, daß 70 Prozent aller in den USA gefaßten Notzuchttäter vorbestraft sind. Überdies setzen mehr als 85 Prozent ihre kriminelle Laufbahn fort und tauchen erneut (in nachlassender Häufigkeitsfolge) wegen Diebstahl, Körperverletzung, Raub, Notzucht und Mord in den Polizeiakten auf.
Diese wichtige Einsicht verdanke ich der Soziologin Lynn Curtis, einer Schülerin Marvin Wolfgangs. Der Vergewaltiger als »Mann in der Mitte« geht einerseits aus den Uniform Crime Reports des FBI hervor, andererseits aus Band 11 und 12 von Crimes of Violence (1969), einer Untersuchung, die im Auftrag der National Commission on the Causes and Preventions of Violence und unter Mitarbeit von Curtis als stellvertretender Leiterin durchgeführt wurde; und schließlich aus der Arbeit über die »vier großen Gewaltverbrechen«, die ich im Manuskript gelesen habe. Das Profil des Mörders hebt sich übrigens deutlich von denen der drei anderen Typen von Gewalttätern ab.
Nach der deutschen Polizeistatistik für 1975 handelte es sich nur in rund 10 % der angezeigten Fälle vollendeter Notzucht um Gruppenvergewaltigungen (Anm. Th. W.).
Die Formulierung »sich exhibitionieren« geht auf die fragwürdige Freudsche Vorstellung über Exhibitionismus und Penis zurück.
In der New Yorker U-Bahn habe ich auch Mädchenbanden beobachtet, die einander Schläge und Püffe austeilten; das kann ich nur als imitierten Männlichkeitswahn bezeichnen. Die Tragik dieser jungen Mädchen besteht darin, daß sie ein Rollenmodell nachahmen, das nur im Desaster enden kann.
Die deutsche Polizei räumt den Lustmördern eine eigene Rubrik in ihrer offiziellen Statistik ein. Danach waren 1975 unter insgesamt 1338 gemeldeten Mordverbrechen 52 (= 4 %) Sexualmorde (Anm. Th. W.).
Polizei und Reporter waren immer wieder erstaunt, wie leicht der Würger seine Opfer dazu bewegen konnte, ihn hereinzulassen. Bevor DeSalvo seine Geständnisse abgelegt hatte, nahm man allgemein an, der geheimnisvolle Mörder müsse als Priester aufgetreten sein; nachdem er gestanden hatte, sich als Monteur ausgegeben zu haben, schrieb man seine Erfolge der Leichtgläubigkeit der Opfer und seinem »Charme« zu. Höchstwahrscheinlich ist sein Erfolg auch der Baufälligkeit vieler älterer Mietshäuser in Boston zuzuschreiben, nicht zu vergessen die Abhängigkeit der Frauen von Männern, die Reparaturarbeiten ausführen können. Für alle seine Mordtaten suchte sich DeSalvo schäbige, heruntergekommene Gegenden aus, in denen er von alleinstehenden Frauen, die immer etwas haben, was repariert werden muß, mit offenen Armen empfangen wurde.
Gerold Frank berichtet, daß die beiden einzigen Frauen, die in das Heiligtum der Ermittlungen um den Würger eingelassen wurden, eine für die Akten zuständige Assistentin und eine Sekretärin des stellvertretenden Generalstaatsanwaltes, sich lebhaft mit den Kriminalbeamten auseinandersetzten, die nach Franks Worten »mit den Psychiatern zu der Ansicht neigten, die jüngeren Opfer hätten sich ihr Schicksal selbst zuzuschreiben«. In einem anderen Zusammenhang erwähnt Frank, daß nach dem vierten Mord an einer älteren Frau, das heißt zu einer Zeit, als die Polizei der Öffentlichkeit gegenüber noch behauptete, die Morde stünden in keinerlei Zusammenhang, eine Reporterin des Bostoner Record-American sich erbot, Nachforschungen über die Fälle anzustellen und zu veröffentlichen.72[Frank, op. cit., S. 178f., 58–61.] Ihr Lokalchef sprach sich jedoch gegen diesen Vorschlag mit dem Argument aus: »Das sind doch Niemande. Wen interessieren die schon?« Die ersten fünf Opfer waren: Anna Slesers, 55 Jahre; Nina Nichols, 68; Helen Blake, 65; Ida Irga, 75; Jane Sullivan, 67; das sechste Opfer, die erste junge Frau, war eine Farbige: Sophie Clark, 20 Jahre alt. Die Würger-Serie im Record-American (29 Folgen) begann erst nach dem Mord an Patricia Bissette, 23, der ersten jungen weißen Frau!
Nicht ganz zufällig waren die Geschworenen im Fall DeSalvo allesamt Männer. Nach dem Recht von Massachusetts kann ein Richter Frauen in Fällen von Kindesschändung, Unzucht mit Minderjährigen, obszöner Handlungen und verschiedener anderer Sittlichkeitsdelikte von der Jury ausschließen, weil Frauen durch Zeugenaussagen »peinlich berührt« werden könnten. Dieses Gesetz war 1974 noch in Kraft.82[Telefonisch bestätigt von Edward Perlman, Deputy Assistant Attorney General, Massachussetts State Attorney General’s Office, 24. September 1974.]
In Deutschland wird der verurteilte Vergewaltiger weit milder behandelt: der statistische Durchschnittstäter muß mit einer Freiheitsstrafe zwischen 1 und 2 Jahren rechnen, die in mehr als einem Drittel der Fälle zur Bewährung ausgesetzt wird. Einige Notzuchttäter kommen sogar mit bloßen Geldstrafen davon (Anm. Th. W.).
Derartige Abmachungen zwischen Staatsanwalt und Angeklagtem sind in den USA durchaus üblich, und zwar bei allen Arten von Delikten. Nur dadurch, daß die amerikanische Justiz durch günstige »Angebote« an die meisten Angeklagten deren formelle Schuldbekenntnisse herbeiführt, bleibt sie in der Lage, die ungeheure Masse der Strafrechtsfälle zu bewältigen. (Anm. Th. W.).
Genet ist nicht der einzige geistreiche Homosexuelle, der Vergewaltigung für etwas Kostbares hält. Als der englische Schriftsteller Lytton Strachey, der sich im Jahre 1916 als Kriegsdienstverweigerer vor dem Gericht in Hampstead zu verantworten hatte, in der Verhandlung gefragt wurde, was er denn täte, wenn ein deutscher Soldat in seinem Beisein seine Schwester zu vergewaltigen versuchte, gab er laut seinem Biographen die halb ernsthaft, halb spaßig gemeinte Antwort: »Ich würde versuchen, mich dazwischenzudrängen.«12[Michael Holroyd, Lytton Strachey, London 1971, S. 628f.]
Das deutsche Strafgesetz trägt dieser Erkenntnis Rechnung, indem es in §§ 174, 174a sexuelle Beziehungen in bestimmten Schutz- oder Autoritätsverhältnissen (z.B. Erziehung, Ausbildung, Gefangene, Verwahrung) grundsätzlich unter Strafe stellt, und zwar unabhängig davon, ob die »Autoritätsperson« im Einzelfall Druck ausgeübt hat oder nicht (Anm. Th. W.)
Florence Rush, deren Buch ich mit Spannung erwarte, bin ich zu großem Dank dafür verpflichtet, daß sie mir große Teile ihres Materials über Kindesbelästigung zur Verfügung gestellt hat.
1974 wurde im US-Staat New York das Gesetz aufgehoben, nach dem bei Sittlichkeitsdelikten gegenüber Erwachsenen die Aussage des Opfers der Erhärtung durch weitere Beweise bedarf. Bei Sexualdelikten gegenüber Kindern jedoch wurde diese Vorschrift beibehalten. Der Glaubenssatz, daß Kinder lügen, ist im Gesetz noch tiefer verankert als der Glaubenssatz, daß erwachsene Frauen lügen.53[David A. Andelman, »Assembly Vote to Drop Rape Corroboration Rule«, New York Times v.5. Januar 1974.]
Mit verblüffender Regelmäßigkeit erscheinen in psychiatrischen Fallstudien von Prostituierten Vergewaltigung und sexueller Mißbrauch durch Verwandte in der Kindheit.61[Jacob und Rosamund Goldberg, Girls on City Streets, New York 1935, S. 56, 58, 103, 112, 136; John M. Murtagh und Sara Harris, Cast the First Stone, New York 1957, S. 21; Charles Winick und Paul M. Kinsie, The Lively Commerce, Chicago 1971, S. 52, 54f.; Harold Greenwald, Das Call Girl, Zürich 1959, S. 33–36, 75, 125–127, 160, 172, 215, 222–223, 232–233, 235, 248, 251, 263.] Obgleich immer wieder einzelne Fälle aufgeführt werden, gibt es meines Wissens keine ernst zu nehmende Untersuchung über Prostituierte, die versucht hätte, diese Zusammenhänge statistisch aufzuarbeiten. In einer Zeitschrift erschien kürzlich ein Interview mit einem New Yorker Zuhälter, der sich damit brüstete, er habe einen Stall von Mädchen, die von zu Hause fortgelaufen seien, und dann erklärte: »Die meisten Mädchen, die ich rumgekriegt habe, sind vom Vater, Onkel oder sonst jemandem vergewaltigt worden.«62[»New York: White Slavery«, 1972, Time v.5. Juni 1972, S. 24.] Zuhälter, die bekanntlich eine Menge von weiblicher Psychologie verstehen, wissen intuitiv oder vielleicht aus Erfahrung, daß man ein hübsches junges Mädchen durch Vergewaltigung am schnellsten »rumkriegt«, und es gilt in ihren Kreisen als eine Art bewährter Geschäftspraxis, »Anwärterinnen« für die Prostitution einer Gruppenvergewaltigung auszusetzen.63[Martin Arnold, »13 Accused Here of Torturing Girls to Force Them into Prostitution«, New York Times v.6. April 1971.]
Es ist die Vermutung geäußert worden (ich habe vergessen, von wem), der Ursprung des Inzesttabus liege in einer dem Vater von der Mutter abgerungenen Vereinbarung, nach der sie sich der Autorität des Mannes nur unter der Bedingung beugen wollte, daß er sie und ihre Kinder beschützte. Mir gefällt die These, ich gebe allerdings zu, daß es sich um eine Spekulation handelt, doch um keine kühnere als die Theorie, das Tabu gehe auf die Einsicht des Mannes in seine Begierde zurück, mit seiner Tochter zu schlafen, oder es sei ein von jedem Mann erzwungener Stammesvertrag, entweder um Bevölkerungszuwachs durch Exogamie zu garantieren oder Inzucht und Erbkonflikte zu verhindern. Auf jeden Fall bietet das Inzesttabu, sofern es funktioniert, den Kindern Schutz, und das allein ist wichtig.
Luis Buñuel, ein weiterer hochberühmter Filmemacher, war aufrichtiger, als er über die Gründe sprach, seinen Film Viridiana zu drehen: »Als Kind träumte ich davon, mit der Königin von Spanien zu schlafen, einer sehr blonden, weißhäutigen Frau, die den Eindruck einer hehren Nonne erweckte. Ich stellte mir vor, wie ich in den Palast schlich, Ihre Majestät betäubte und sie dann vergewaltigte. Viridiana ist die Kristallisation dieses masturbatorischen Traumes.«58[Carlos Fuentes, »The Discret Charm of Luis Buñuel«, New York Times Magazine v.11. März 1973, S. 87.]
Tennessee Williams behandelt das Thema Vergewaltigung stets mit feinem Gespür. Auch die Vergewaltigung in Endstation Sehnsucht ist keine Verherrlichung. Blanche, wie verstört auch immer, steht für Zerbrechlichkeit und Sehnsucht, während Stanley Kowalsky, der sie vergewaltigt, die dunklen Kräfte des Nihilismus symbolisiert. Ein zusätzlicher Aspekt ist der Klassenantagonismus. Kowalsky hat Stella bereits von ihren »weißen Säulen« geholt, einem Symbol ihrer vornehmen Herkunft aus einer Plantagenbesitzerfamilie der Südstaaten. Im Verlauf dieses großartig geschriebenen Stückes wird deutlich, daß Kowalsky mit Blanche, von der er verächtlich als von Ihrer Majestät der Königin vom Nil und der Dame Blanche spricht, ähnliches vorhat wie der Nachbar mit Jakes Frau. Die Vergewaltigungsszene als Höhepunkt des Stückes ist die Ausführung seines Planes. Blanche ist verwundbar, weil sie keinen männlichen Beschützer hat. Mitch wendet sich von ihr ab, nachdem er von ihrer früheren Lebensweise erfahren hat; der Millionär Shep Huntleigh aus Dallas entpuppt sich als Illusion.
Die vergewaltigte Frau als beschädigter Besitz wird in Mario Puzos Buch Der Pate noch von einem anderen Blickwinkel her beleuchtet. In einer der Eingangsszenen bittet ein Mann Don Corleone um Gerechtigkeit. Seine Tochter sei Opfer eines brutalen Vergewaltigungsversuchs von zwei »nicht italienischen« Jugendlichen geworden. Der Vater beging den Fehler, den amerikanischen Gerichtsweg einzuschlagen, und die Jungen wurden auf freien Fuß gesetzt. Das Mädchen, für immer verunstaltet, fragt immer wieder: »Vater, Vater, warum haben sie das getan?« Don Corleone unternimmt gar keinen Versuch, sich diese Frage zu stellen; er ist wie der Richter der Meinung, daß es sich um keine ernste Angelegenheit handelt. »Die Burschen waren jung, übermütig und einer von ihnen ist der Sohn eines einflußreichen Politikers«, erklärt er dem erregten Vater und rät ihm, seiner Tochter Pralinen und Blumen ins Krankenhaus zu schicken. Doch damit will sich der Mann nicht zufriedengeben, denn seine Tochter wird »niemals mehr schön« sein. Erst als die beiden Männer untereinander geklärt haben, daß Don Corleone für seine Mafia-»Familie« eine höhere Autorität darstellt als das amerikanische Rechtssystem, beauftragt der Don einen Leutnant, sich um die beiden jugendlichen Angreifer zu »kümmern«.64[Mario Puzo, Der Pate, Wien/München/Zürich 1970, S. 33–36.]
Obwohl Karen Horney am Dogma vom inhärenten Vergewaltigungstraum festhält, war sie in bezug auf die Wichtigkeit von bewußten Vergewaltigungsphantasien anderer Ansicht als Helene Deutsch. In ihrem Aufsatz: »The Problem of Feminine Masochism« schreibt sie am Schluß: »Frauen können Phantasien von Angriff, Unterwerfung und Verletzung entwickeln … weil die Möglichkeit zur Vergewaltigung besteht.«32[Horney, Feminine Psychology, op. cit., S. 230–233.] Allein aufgrund der Einflüsse der Gesellschaft scheine in unserem Kulturbereich eine Frau nicht vermeiden zu können, bis zu einem gewissen Grade masochistisch zu werden. Dafür gebe es viele Gründe: Die Frau sei wirtschaftlich und folglich emotional abhängig vom Mann, sie werde gesellschaftlich als minderwertig betrachtet, in Lebensbereiche verwiesen, die in der Hauptsache auf emotionalen Bindungen aufbauen, wie Familie, Kirche, Sozialwesen, und spontane Offenheit und Sexualität würden abgeblockt. Karen Horney fügt hinzu, Frauen, die diese besonderen (masochistischen) Züge zeigen, würden von Männern häufiger gewählt. Das bedeute auch, daß die erotischen Möglichkeiten der Frau davon abhingen, inwieweit sie sich dem Image dessen angepaßt habe, was ihre ›wahre Natur‹ bilde. Horney führt vier »anatomischphysiologische Faktoren« bei Frauen an, die den Boden für einen möglichen Masochismus bereiteten und die Übernahme der masochistischen Rolle emotionell erleichterten. Außer der bereits erwähnten Möglichkeit der Vergewaltigung skizziert sie kurz die größere physische Kraft des Mannes, Menstruation, Defloration, Geburt und die »biologischen Unterschiede beim Koitus«. Diese Gedanken wurden 1935 veröffentlicht. Sie sind durchaus nicht unvereinbar mit denen der heutigen Feministinnen, obwohl wir nicht bereit wären, diesen Katalog für unumstößlich oder unvermeidbar zu halten.
Es gibt Anzeichen dafür, daß Maria Goretti nicht die einzige Heilige ihrer Art bleiben wird. 1972 hat Paul VI. Agostina Pietrantoni heiliggesprochen, eine 31jährige Nonne, die als Krankenschwester in der Nähe des Vatikans arbeitete. Schwester Pietrantoni wurde 1894 nach einem Vergewaltigungsversuch von einem ehemaligen Patienten erstochen.54[»Pope Paul Beatifies Nun Who Was Slain in Attempted Rape«, New York Times v.12. November 1972.]
Love Story, einer der beliebtesten Filme von 1970, ist womöglich der Inbegriff dieses Trends. Die Geschichte dreht sich, gehaltlos wie sie ist, um den zu frühen Tod eines schönen, geistreichen Mädchens. Das Time Magazine pries den Film als »Rückkehr zur Romantik«.55[Love Story, vorangekündigt als »Return to Romance«, Time v.11. Januar 1971, S. 40ff.]
Der Gerechtigkeit halber muß ich hinzufügen, daß sich die Berichterstattung der Times in dieser Beziehung entschieden gebessert hat, nachdem die Frauenbewegung 1974 die Diskussion über Vergewaltigung neu angefacht hat.
In seinem 1954 erschienenen Buch Seduction of the Innocent schreibt Dr. Wertham »Comic-Hefte produzieren Sexualängste jeder Art … Ein Western mit Tom Mix auf dem Titelblatt weist in einer Geschichte nicht weniger als sechzehn aufeinanderfolgende Bilder von einem Mädchen auf, dessen Hände natürlich auf dem Rücken gefesselt sind.
Sie wird in allen möglichen Posen gezeigt, von denen eine sexuell aufreizender ist als die andere, und ihr Gesichtsausdruck zeigt, daß sie anscheinend Gefallen an dieser Behandlung findet. Psychiatrisch gesprochen, sind dies nichts anderes als Masturbationsphantasien eines Sadisten, und sie üben eine entsprechende Wirkung auf Jungen aus. Für Mädchen und diejenigen Jungen, die sich mit Mädchen identifizieren, kann das der Ausgangspunkt von masochistischen Phantasien sein.«57[Fredric Wertham, Seduction of the Innocent, New York 1954, S. 185.]
Ich besitze Branchenerfahrung, da ich einmal als Redaktionsassistentin für eine Gruppe von Erlebnis-Magazinen gearbeitet habe. Der Verlag, für den ich arbeitete, gab auch etliche Männermagazine heraus, und die Redaktionen teilten sich die Arbeit entsprechend ein. Im Gegensatz zu den Erlebnis-Magazinen – traurige Geschichten über gefallene Mädchen – vermarkteten die Männer-Magazine das Klischee vom Revolverhelden, vom Supermann und Herrn über wilde Tiere und lüsterne Frauen. Die Gestaltung der Titelseite beider Hefte sprach Bände. Auf den Erlebnis-Magazinen war stets eine junge Frau abgebildet, in einem Dickicht von Schlagzeilen steckend, die von Schuld und Elend oder beidem kündeten. Die Männerheftchen zeigten a) einen teuflischen Arzt, oft in Nazi-Uniform, der gerade einem gefesselten und geknebelten Mädchen eine Spritze verpassen will, während ein mannhafter Held zu Hilfe eilt, oder b) ein wildes Tier, oft einen schwarzen Panther, der eine hysterisch schreiende Blondine angesprungen und zu Boden geworfen hat, während ein weißer Jäger in Khakihosen zur Rettung herbeieilt. Das sei ein Symbol für Vergewaltigung zwischen den Rassen, erklärte mir mein Chef.
Die Kommission betonte ausdrücklich, daß ihre Ergebnisse erheblich von Menachim Amirs Untersuchung in Philadelphia aus den Jahren 1958–1960, der einzigen vergleichbaren Untersuchung, abweichen.16[Crimes of Violence, op. cit., Bd. 11, S. 228; Amir, op. cit., S. 260, 266.] Amir ist der Auffassung, erstaunliche 19 Prozent aller Opfer von Vergewaltigungen hätten sich ungewollt provozierend verhalten, und kommt zu dem Schluß: »Aufgrund des unvorhergesehenen Ablaufs des Geschehens kann das Opfer zwar nicht allein für das anschließende bedauerliche Ereignis verantwortlich gemacht werden, doch war es ein komplementärer Partner, und mithin ist die Tatsache, daß es Opfer wurde, kein völliger, echter Zufall.« Nach der Lektüre dieser Untersuchung will mir allerdings scheinen, daß Amirs Definition des Tatbeitrags zugunsten des Vergewaltigers ausfällt und zusätzlich vage Verallgemeinerungen enthält wie »gefährlich sexuell getönte Situation«.
Juristisch gilt eine Tat auch dann als vollendet, wenn keine Ejakulation, sondern nur eine Penetration stattgefunden hat. Etwa zwei Zentimeter sind hierzulande die übliche Norm. Der Nachweis von Sperma ist vor Gericht natürlich von Vorteil, doch kann er nur erfolgen, wenn unmittelbar nach der Tat ein Abstrich gemacht wird. Spuren von Sperma sind nach neuesten gerichtsmedizinischen Erkenntnissen nach einem Zeitraum von 24 bis 48 Stunden nicht mehr nachweisbar.17[Frederick F. Bornstein, »Investigation of Rape; Medicolegal Problems«, in Medical Trial Technique Quarterly, 1963, S. 233.] Der Begriff des Vergewaltigungsversuchs umfaßt alle Fälle, bei denen es nicht zur Penetration gekommen ist.
In Amirs Gesamtergebnis ist ein hoher Prozentsatz von mißbrauchten Kindern enthalten, die verständlicherweise fügsamer sind als jede andere Altersgruppe. Junge Mädchen und Frauen fügten sich in 51 Prozent der Fälle, Kinder zu 66 Prozent.
Mit polizeiähnlicher Gewalt ausgestattete Hausmeister in Arme-Leute-Wohnsilos. Anm.d.Übers.
In den USA wird auch der Angeklagte vereidigt, wenn er eine Aussage in eigener Sache macht. In Deutschland kann dagegen der Angeklagte in keinem Fall vereidigt und auch nicht wegen Falschaussage bestraft werden. Gewöhnlich sieht das Gericht hier auch von der Vereidigung des Opfers der Straftat ab (Anm. Th. W.).
Nach anglo-amerikanischem Recht entscheiden allein die Geschworenen sowohl über die tatsächliche als auch über die rechtliche Würdigung des Falles. Der Richter hat jedoch die Aufgabe, ihnen zuvor die auf den Fall möglicherweise anwendbaren Rechtsvorschriften zu erklären. In manchen Staaten, z.B. in Kalifornien, werden hierbei vorformulierte Muster verwendet (Anm. Th. W.).
Im amerikanischen Strafverfahren muß das Tatsachenmaterial vor juristisch nicht ausgebildeten Laienrichtern (den Geschworenen) ausgebreitet werden, die als leicht beeinflußbar gelten. Deshalb unterliegt das Beweisrecht strengen Regeln, die die Verwendung von unverläßlichen und irreführenden Beweismitteln ausschließen sollen.
Im deutschen Strafprozeß liegt die Sachentscheidung dagegen weitgehend bei erfahrenen Berufsrichtern, denen man die Unterscheidung von glaubwürdigen und unverläßlichem Beweismaterial eher zutraut. Daher tritt in Deutschland fast nie das Problem auf, daß bestimmte Tatsachen oder Beweismittel nicht in die Hauptverhandlung eingeführt werden dürfen (Anm. Th. W.).
In Deutschland ist nach § 176 des Strafgesetzbuches jede sexuelle Handlung mit einem Kind unter 14 Jahren ohne Rücksicht auf dessen »Bescholtenheit« strafbar (Anm. Th. W.).
Hierin liegt eine Ausnahme zu der Grundregel des amerikanischen Beweisrechts, daß nur solche Tatsachen im Prozeß unter Beweis gestellt werden dürfen, die den Ablauf der angeklagten Tat selbst betreffen (Anm. Th. W.).
Nach deutschem Recht kommen einschlägige Vorstrafen des Angeklagten immer im Prozeß zur Sprache (Anm. Th. W.).
In den Vereinigten Staaten hat der Angeklagte ein Recht darauf, daß sein Fall durch Geschworene entschieden wird. Er kann hierauf jedoch verzichten; dann fällt der Richter das Urteil, der auch bei der Verhandlung den Vorsitz führt.
In Deutschland werden Fälle von Vergewaltigung im allgemeinen von der Großen Strafkammer des Landgerichts abgeurteilt, die aus drei Berufs- und zwei Laienrichtern besteht (Anm. Th. W.).
Auch im deutschen Strafrecht nimmt die Vergewaltigung noch eine Sonderstellung ein: während für Notzucht im traditionellen Sinne Freiheitsstrafen zwischen 2 und 15 Jahren verhängt werden können, liegt der Strafrahmen für den Tatbestand der sexuellen Nötigung (§ 178 des Strafgesetzbuches), der alle anderen erzwungenen sexuellen Handlungen umfaßt, bei 1 bis 10 Jahren (Anm. Th. W.).
Inzwischen hat der Oberste Gerichtshof der USA entschieden, daß die Todesstrafe für Mord unter bestimmten Umständen verfassungsrechtlich zulässig ist. Nach einem 1977 ergangenen Urteil dieses Gerichts darf jedoch die Vergewaltigung erwachsener Frauen nicht mehr mit dem Tode bestraft werden (Anm. Th. W.).
In Deutschland liegen die Strafen für gefährliche Körperverletzung (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren) deutlich unter denen für Vergewaltigung (2 bis 15 Jahre Freiheitsstrafe) (Anm. Th. W.).
Seit bestimmte Kreise sich »Kastriert Vergewaltiger« als Slogan zu eigen gemacht haben, sollte ich hier wohl festhalten, daß ich nicht mehr »für« die Kastration bin, als ich »für« das Ohrabschneiden bei einem Denunzianten oder das Handabhacken bei einem Dieb bin. Was das Töten aus Rache angeht, von dem es jüngst einige Fälle gegeben hat, so würde ich es mit dem Gesetz halten und erklären, daß die Vorstellung einer Tötung in Notwehr gerechtfertigt ist, daß jedoch überlegter Mord einige Zeit nach der Tat niemals gebilligt werden kann.
Nach deutschem Recht kann der zu Freiheitsstrafe verurteilte Täter frühestens nach der Hälfte der Haftzeit zur Bewährung entlassen werden (Anm. Th. W.).
Dieselbe Definition gilt nach § 177 des Strafgesetzbuches auch für die BRD (Anm. Th. W.).
In Deutschland kann der Ehemann, der seine Frau mit Gewalt zum Beischlaf zwingt, allerdings nach dem allgemeinen Tatbestand der Nötigung verurteilt werden (Anm. Th. W.).
Nach deutschem Recht wird wegen Notzucht nur bestraft, wer mit »gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben« droht (Anm. Th. W.).
Auch in Deutschland wird der »Beischlaf zwischen Verwandten« (§ 173 des Strafgesetzbuches) grundsätzlich milder bestraft als sexueller Mißbrauch von Kindern. Die strengeren Strafvorschriften gehen jedoch vor: wenn das Kind des Täters also minderjährig ist oder wenn er Gewalt angewandt hat, so wird er nach den allgemeinen Bestimmungen über sexuellen Mißbrauch von Schutzbefohlenen bzw. wegen Vergewaltigung bestraft (Anm. Th. W.).
Dieses Denken hat sich in unserer Sprache nedergeschlagen: »Die Holde lockt, indem sie flieht«; »Es braucht ein gewisses Maß an Gewalt, um die natürliche Sprödigkeit der Frau zu brechen«; oder: »Manche mögen’s brutal«! (Anm.d.Übers.)
In Deutschland wird die Ausübung der Prostitution, im Gegensatz zu den USA, nicht strafrechtlich verfolgt. Strafbar sind nur Zuhälterei und gewerbsmäßige Förderung der Prostitution anderer (Anm. Th. W.).
Das Institut Allensbach erfragte für die Zeitschrift »stern«, daß 6 % der bundesdeutschen Ehefrauen beim Geschlechtsverkehr gern »überwältigt« werden. Die »überwältigende« Mehrheit der Frauen meinte jedoch: »Zärtlichkeit ist mir lieber!« – Bernhard Schorsch und Nikolaus Becker zitieren in ihrem Buch Angst, Lust, Zerstörung (Hamburg 1977) eine amerikanische Untersuchung. Danach hatten 18 % von unter 35jährigen Männern schon einmal eine Sexualphantasie, in der sie einer Frau aktiv Schmerz zufügten. Phantasien, in denen ihnen Schmerz zugefügt wurde, hatten 14 %. Bei den Frauen berichteten 3 % von aktiven und 24 % von passiven Vorstellungen.
Erst jetzt beginnen Frauen sich zu ihren Phantasien zu äußern. So die Mitbegründerin der amerikanischen Frauenbewegung Robin Morgan in der Frauenzeitschrift »Ms. « (Juni 1977): »Daring to Talk About Masochistic Fantasies.«
Margarete Mitscherlich, Müssen wir hassen?, München, 2. Aufl. 1972.
Schorsch und Becker bringen die Rolle der Frau und frühkindliche Ablösungsprobleme als Erklärung für sexuell abweichendes Verhalten, u.a. auch Vergewaltigung, in Zusammenhang. Gesamtgesellschaftlich verweisen sie auf ein ständig vorhandenes sadistisches Potential, das sich um so offener äußert, je deutlicher ein Macht-Ohnmacht-Gefälle (nicht zuletzt in Ehe und Kleinfamilie) besteht.
Dieter Beckmann, »Selbst- und Fremdbild der Frau«, in Familiendynamik, Stuttgart, Januar 1977.
Rape and its Victims: A Report for Citizens, Health Facilities and Criminal Justice Agencies, by the Center for Women Policy Studies, Washington 1975.
Sexualmedizin, Heft 6, 1975, Hefte 6, 9, 10 und 11, 1976; E. Schorsch und G. Schmidt, Ergebnisse zur Sexualforschung, Köln 1975; Psychologie heute, Heft 4, 1975.
Gewalt gegen Frauen, Extra Journal, Frauenoffensive, München 1976; Erica Fischer, Brigitte Lehmann, Kathleen Stoffl, Gewalt gegen Frauen, Köln 1977.
Sarah Haffner, Frauenhäuser; Gewalt in der Ehe und was Frauen dagegen tun können, Berlin 1976.
Frauenzentrum Berlin, Gewalt gegen Frauen, Beiträge zum Internationalen Tribunal in Brüssel, Berlin 1977 (2. Aufl.).
Rolf Butzmühlen, Vergewaltigung, Gießen 1975.
Der Konflikt von Freiheit und Mißtrauen wurde bisher wohl am eindringlichsten von Emmanuèle Durand geschildert; Partisans Nr. 54/55, Juli-Oktober 1970, deutsch in: Gewalt gegen Frauen, s. Fischer et al., Köln 1977.
Richard von Krafft-Ebing, Psychopathia Sexualis, Stuttgart 1887, S. 133.
August Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Frankfurt (Main) 1976, S. 54f.
Wilhelm Reich, Die sexuelle Revolution, Frankfurt (Main) 1969, S. 58.