Silke Urbanski, geboren 1964 in Hamburg, ist promovierte Mittelalterhistorikerin mit den Schwerpunkten Kloster, Hanse- und Wirtschaftsgeschichte. Sie wohnt und lehrt in Hamburg. Im Emons Verlag erschien (zusammen mit Michael Siefener) »Totentanz«.
Dieses Buch ist ein Roman. Die Handlung ist frei erfunden, wenngleich im historischen Umfeld eingebettet. Einige Personen, Ereignisse und Orte sind historisch, einige sind es nicht. Der Anhang enthält ein Glossar.
© 2014 Hermann-Josef Emons Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagzeichnung: Heribert Stragholz
eBook-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-86358-751-2
Ein Krimi aus dem Mittelalter
Originalausgabe
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Der Büttel, der hieß Rosenfeld,
Der hieb so manchen stolzen Held
Zu Tod mit frischem Muthe,
Er stund wohl in geschnürten Schuh’n
Bis an die Knöchel im Blute.
Störtebekerlied aus der Zeit um 1550
In memoriam
Sigrid Will †
Der besten aller Lehrerinnen zugedacht.
I
DAS BUCH VON DER VERLORENEN RITTERLICHKEIT
ADMONITIA – MAHNREDE
AM FESTE DER HEILIGEN GERTRUD
17. März im Jahr des Herrn 1392
Denn auch wenn Er in Seinem großen Erbarmen groß im Verzeihen ist, sind dennoch Seine Gerichte tief wie das Meer.
Bernhard von Clairvaux, Das Lob der neuen Ritterschaft
Sie hatte versucht, es wegzumachen, aber es hatte sich in ihr festgehalten. Keiner durfte es sehen, denn zu ihr kamen die Frauen, die ihre Sündenfrüchte verschwinden lassen wollten. Deshalb hatte sie ihren Bauch geflissentlich unter einem weiten Surcot und einer dicken Wollcotte verborgen.
Auf dem Fest zur Grundsteinlegung für die Hamburger Gertrudenkapelle spürte sie die ersten Wehen. Es gab Bier und Wein, gestiftet von den reichen Bürgern und der Geistlichkeit, und alle einfachen Bürger des Jacobi-Kirchspiels waren da, sie konnte nicht fortbleiben. Das Kind wühlte in ihr, und sie trank viel, um die Schmerzen zu bekämpfen. Als es dunkel wurde, schlich sie sich davon. Aber sie kam nicht weit. Auf dem Friedhof, im Schatten einer Mauer, warfen die Wehen sie zu Boden. Mühsam hob sie ihre Röcke und hockte sich hin. Sie war stark, sie schrie nicht. Kurz bevor es hinauskam, spürte sie zwei warme Hände auf ihren Schultern. Ihre Nachbarin zog sie hoch, half ihr, sich gegen die Friedhofsmauer zu lehnen, und kniete vor ihr hin. Sie holte das Kind, trennte die Nabelschnur durch und hüllte das Neugeborene in ihr altes Schultertuch.
»Du hast ein Mädchen. Was willst du damit tun?«
Sie stöhnte. Sie hatte sich keine Gedanken gemacht, was aus dem Kind werden sollte.
»Ich bring es für dich ins Kloster, wenn du mir was für meinen Jacob gibst.« Die Nachbarin wiegte das kleine Bündel.
»Damit er nicht mehr außerhäusig Lust sucht?«
»Ja, genau. Braust du mir was gegen seine Hurengängerei?«
Sie nickte. »Gib mir das Kind«, bat sie leise.
»Lieber nicht, sonst schaffst du nicht, es wegzugeben.«
Doch sie hob die Arme. Das Kind greinte wie ein Kätzchen, also legte sie es an die Brust. Sie sah seine Augen, seine Hände, seine zarten Lippen. Es sah aus wie sie. Es trug sogar ihr Muttermal. Die Nachbarin nahm es ihr aus dem Arm. »Und dein Gebräu wirkt sicher bei meinem Jacob?«
»Ich schwöre es bei allen Heiligen.«
Ihre Tränke wirkten immer.
Als die Nachbarin mit dem Neugeborenen davonging, sah sie ihnen hinterher, und es geschah etwas, das ihr lange nicht mehr geschehen war: Tränen füllten ihre Augen.
FEST DES HEILIGEN ANSGAR
Donnerstag, 9. September im Jahr des Herrn 1400
Welch Staunen erregender Irrtum also, ihr Ritter, welch unerträgliche Raserei, Kriegsdienst zu leisten unter so vielen Auslagen und Mühen!
Bernhard von Clairvaux, Das Lob der neuen Ritterschaft
Draußen auf dem Strom im Sonnenlicht erfüllte sich die Hoffnung aller Englandfahrer. Die Vitalienbrüder waren gefangen und wurden von Fredeschiffen nach Hamburg gebracht, ihrem gerechten Schicksal zu.
Tausendmal lieber wäre Geseke Clingspor mit den Schniggen hinausgerudert, die Mannschaft und Gefangene in den Hafen holen sollten, als vor dem Rathaus am Markt zu warten. Auch wenn es eine Ehre war, in der ersten Reihe zu stehen, missfielen ihr die neidischen Blicke der Gattinnen der alten Ratsfamilien aus der Reichenstraße. Nervös spielte sie mit den Korallenschnüren am Mieder ihrer Robe. Auf keinen Fall durfte sie sich anmerken lassen, dass sie sich unwohl fühlte. Denn sie, mehr als jede andere, mehr als die Frau des Flottenführers, Alleke Schoke, repräsentierte die Englandfahrer. Sie war Albert Schreyes Tochter, und Albert Schreye war der Wortführer der Vitalierfeinde.
Sie wusste, es würde nicht lange dauern, bis die Lästerei begann, denn neben ihr stand leicht schwankend ihr Stiefsohn, Sigvrid der Jüngere, der schon früh am Morgen angetrunken war. Der Junge sollte nicht hier sein, sondern bei den anderen Männern draußen auf den Schiffen, unter den Seehelden, deren glorreiche Heimkehr sie gleich feiern würden. Dann würde er nicht saufen müssen.
Geseke warf einen schnellen Blick zu ihrem Gatten hinüber, dem Ratsherrn Clingspor. Wie der Sohn, so der Vater. Mit stolzgeblähter Brust stand der alte Sigvrid neben den anderen Englandfahrern aus dem Stadtrat. Zu dem heutigen Triumph hatte er allerdings nicht mehr beigetragen, als die Anweisungen ihres Vaters zu befolgen: für den Pfundzoll stimmen, Schiffsausrüstung für die Kriegsfahrt bezahlen, Schiffskinderlohn vorstrecken. Sigvrid war mitgelaufen, weil er ihr Ehemann war. Jetzt sonnte er sich in dem Erfolg, den andere errungen hatten, jene, zu deren Anhängern er sich zählte. So war der Lauf der Welt. Gemeinsame Interessen schufen Bruderschaften, Parteiungen, Gesellschaften. Bünde wurden mit Handelsverträgen besiegelt und mit Ehen wie ihrer.
An der Alsterschleife kam die prächtige Ratsschnigge in Sicht. Geseke stockte der Atem. Auf dem schlanken Schiff lagen Fässer, aus denen Köpfe ragten: Die Flottenherren hatten die Seeräuber in Fässer gesperrt. Sie hatten Gleiches mit Gleichem vergolten. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Genauso hatten die Seeräuber ihre Geiseln in Fässer gezwängt und unter Deck vor sich hin schimmeln lassen. Dabei konnte man Gott danken, wenn ein Mann überhaupt zur Geisel gemacht wurde und die Likedeeler der Familie anboten, ihn auszulösen. Das war besser, als über die Planke geschickt zu werden. Wie viele Hamburger Seeleute waren von den Piraten ermordet worden? Nur recht, dass sie jetzt selbst in Fässern steckten.
Wenn Geseke an die Gräueltaten der Seeräuber unter Godeke Michels dachte, dann griff der kalte Hass nach ihrem Herzen.
Ihr Blick wanderte hinüber zu den Beginen, die mit einem Fass Bier am Hafenrand standen, um den Gefangenen eine barmherzige Labung zu geben. Unter den grau gekleideten Frauen mit den blauen Kopftüchern erblickte sie ihre Kindheitsfreundin Elisabeth Simonsen. Kaum hatte Geseke an sie gedacht, schaute die Begine zu ihr herüber. »Fässer!«, formte Geseke mit den Lippen und deutete mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung ihrer Hand auf die Schnigge.
Elisabeth verstand und blickte zu dem schlanken Schiff hinüber, dann bekreuzigte sie sich entsetzt.
Schwungvoll legte die Ratsschnigge an. Niclas Schoke, der Flottenkapitän, sprang an Land. Jubelgeschrei begrüßte ihn, und die Ratsmusiker ließen einen Fanfarenstoß hören. Nach Schoke kletterte dessen Gefährte Hermann Lange auf den Anleger. Bevor die beiden Ratsleute die Glückwünsche der Bürgermeister entgegennahmen, reichten sie einem weiteren Seekrieger die Hand: Simon von Utrecht, hühnenhaft und jung, schwang sich mit einem großen Schritt an Land und wurde von den Flottenführern umarmt.
»Unser mutigster Krieger! Er hat den Störtebeker im Zweikampf besiegt. Danach verließ die Bösewichter der Mut. Ihm haben wir zu verdanken, dass die Schlacht so schnell vorüber war«, rief Schoke und wies auf den Flamen. Zu dritt nahmen die Männer Umarmungen entgegen, dann kamen ihre Gefolgsleute an Land: Stadtwächter und bewaffnete Bürger, die sich an der Seeräuberjagd beteiligt hatten. Die Ratstrompeter wetteiferten mit dem Freudengeschrei der Bürger. Als Schiffsknechte die Fässer mit den Seeräubern an Land hievten, trat Schweigen ein. Zehn, zwanzig, dreißig Tonnen. Ein Lastkahn brachte weitere Gefangene in Holzbottichen. Die Gesichter der Vitalier ragten schmutzig und schmerzverzerrt aus den Gefäßen.
Geseke suchte ihn ihrem Herzen nach Mitleid, doch sie empfand nur Abscheu.
»Gepökelte Seeräuber!«, rief ein Scherzbold. Die ersten Lacher durchbrachen das gierige Schweigen, einige Straßenjungen pfiffen und warfen mit Unrat nach den Seeräubern. Elisabeth machte einen Schritt auf die gequälten Gefangenen zu, aber die Beginenmeisterin packte sie am Arm.
»Helfen, aber nicht auffallen«, zischte sie. Elisabeth schluckte. Die armen Menschenkinder in den Fässern stöhnten, wenn sie hin und her geschoben wurden. Zum Schreien oder Fluchen schien ihnen die Kraft zu fehlen. Wie lange hatten sie nichts getrunken?
Siebzig Fässer mit Seeräubern wurden an Land gerollt. Als Allerletztes kam ein Fass, welches mit Teufelsfratzen bemalt worden war. Das Lachen und Johlen erhob sich zu dröhnendem Gebrüll. Aus dem Fass ragte ein Kopf mit einem blonden Haarschopf. Die Augen des Piraten waren zugepresst, als er in die Mitte des Marktplatzes gerollt wurde. Mit zwei gezielten Axthieben zerhackte Niclas Schoke die Fassbänder.
»Ich bringe euch Claus Störtebeker!«, rief der Flottenkapitän.
Die Latten des Fasses fielen auseinander, und ein Mann rollte auf den Boden. Einige Augenblicke blieb er reglos liegen, dann erhob er sich langsam und richtete sich zu hünenhafter Größe auf. Er ließ den Blick über die Menge schweifen, dann wandte er sich den Armen unter den Schaulustigen zu.
»Ihr ehrbaren Leute von Hamburg!«, rief er. »Ich bin ein einfacher Seefahrer aus Friesland. Zu Unrecht gefangen und gequält.« Stolz warf er den Kopf in den Nacken.
Es wurde still. Die Leute wollten ihn hören.
»Seht, ihr guten Hamburger, welche Gottlosigkeit in eurer Stadt geschieht. Wir sind brave Männer, die ihre Familien versorgen, so wie ihr es tut. Aber man zwängt uns in Fässer, schmiedet uns in Eisen und schleppt uns hierher. Warum? Weil wir unseren Gewinn gerecht teilen, deshalb! Wir freien Männer leiden, weil die Handelsherren der Hanse euch auspressen!«
»Gerechtigkeit!« und »Likedeeler hoch!«, brüllte jemand weit hinten unter den Zuschauern. Andere Stimmen fielen ein. Zwei Stadtwächter ergriffen Störtebeker und wollten ihn in die Knie zwingen, aber sie waren zu schwach. Höhnendes Gelächter erscholl unter den Armen und Hafenarbeitern am Marktrand. Elisabeth befürchtete, die Siegesfeier könne aus dem Ruder laufen, doch Albert Schreye, Gesekes Vater, trat aus den Reihen des Rates hervor. Mit einer knappen Geste winkte er die Stadtwächter fort und trat dem Seeräuber ruhig entgegen. Störtebeker verschränkte die Arme und neigte den Kopf. Doch der Ratsherr wandte sich von ihm fort. Mit einer lockeren Handbewegung wies er auf das Halbrund seiner Bürger.
»Bürger, Schiffsknechte und Hafenleute! Gerechtigkeit soll geschehen, in der Tat«, rief er. »Wir werden mit Fug und Recht beweisen, dass dieser Störtebeker hier ein Seeräuber ist, ein Mörder vieler Hamburger Schiffskinder, darauf gebe ich euch mein Ehrenwort. Wer hat nicht die befreiten Geiseln gesehen, gebrochene Leute durch die schändliche Haft in Friesland oder auf den Raubschiffen?«
Elisabeth bemerkte seine sparsamen Gesten. Der Kopf der Englandfahrer war kein Volkstribun, aber ein geschickter Redner. »Wer hat keinen Bruder, Vetter, Freund, der nicht den Piraten zum Opfer fiel?«
»Sie haben meinen lieben Mann gemeuchelt!«, schrie eine Frau mit schmuddeliger Haube.
»Und meinen Vater!«, rief ein Mann. »Nieder mit den Piraten!«
»Unser Sohn wurde ermordet, weil er kein Lösegeld zahlen konnte!«
»Mein Peer war erst zwölf!«
Schreye gebot Ruhe. »Die Ermordeten sollen gerächt werden. Doch ich frage euch: Wer hat nicht unter der Störung des Handels gelitten? Wer von euch hat noch genauso viel im Beutel wie vor der Zeit der Seeräuberuntaten in der Westsee? Ab heute wird das anders. Unser Bier wird ungestört nach Brügge und London reisen. Mächtig und reich wird der Strom der Güter fließen. Denn die Pest der See ist ausgelöscht, die Vitalienbrüder sind gefangen. Dank sei dem Herrn, der Muttergottes und allen Heiligen!«
Jubel brandete auf, und die Ratsmusiker spielten einige Fanfaren.
Elisabeth warf einen Blick zu Geseke hinüber. Ihre Freundin lächelte, sie genoss den Triumph ihres Vaters. Jetzt hob der junge von Utrecht die Hand, weil er etwas sagen wollte. Kersten Miles, der älteste Bürgermeister, erteilte ihm mit einem Nicken das Wort.
»Bürger und Leute, der Störtebeker hat vom gerechten Teilen geredet. Auch wir Seeräuberjäger sind gerecht, beim heiligen Petrus. Wir werden alle teilhaben lassen. Das Gold der Piraten soll Schatz der Bürger sein!« Von Utrecht untermalte sein Versprechen mit einem unwiderstehlichen Lächeln.
Mehr Jubel brandete auf, doch Elisabeth sah, dass Niclas Schoke mit ernster Miene Gesekes Vater etwas zuflüsterte. Dieser ergriff nochmals das Wort.
»Zur Feier des Sieges soll es heute nach der Messe vor dem Ratshaus Labung geben, auf Kosten der Flandern- und der Englandfahrer!«
Als der Jubel abklang, schritten die amtierenden Bürgermeister voran nach Sankt Petri zur Dankesmesse. Ihnen folgten die prächtig gekleideten Ratsherren.
Der große Seeräuber wurde von seinen Wachen hinter ihnen hergestoßen. Seine Kumpane wurden vor Schmerz stöhnend in ihren Fässern den Markt hinaufgerollt.
Elisabeth setzte enttäuscht den Holzbecher auf dem Bierfass ab. »Schade um die Mühe, das Bier hierhergebracht zu haben«, sagte sie leise.
Die Beginenmeisterin drehte sich zu ihr um. »Es frommt nicht, dass diese Unholde jetzt eine Labung erhalten. Es war ein Irrtum.«
»Simon von Utrecht hat das Bier zu diesem Zwecke gespendet, Mutter.«
»Das mag sein, aber wir müssen uns nicht dem Willen der Spender fügen, sondern Gottes Willen. Wir lassen das Bier ins Gefängnis bringen. Sie können es trinken, wenn sie gebeichtet haben. Vorher haben sie es halt nicht verdient.«
Wie meist war Elisabeth anderer Meinung als die Meisterin, aber als Begine lernte man, sich zu fügen. Ihre Schwestern strebten mit gesenktem Haupt nach Sankt Jacobi zurück, die Mietknechte rollten das Bierfass davon, doch Elisabeth ließ sich zurückfallen. Sie fügte sich, aber nur weil sie sich oft genug Freiheiten herausnehmen konnte.
Geseke stand an der Brücke zum Kirchspiel Sankt Nicolai und wartete auf ihre Freundin. Sie umarmte Elisabeth zum Gruß.
»Gottes Segen am Morgen, Geseke, Tochter des Helden des Tages. Ohne die Rede deines Vaters hätte es beinahe einen Aufruhr gegeben.«
»Welch eine Schande. Ich dachte nicht, dass die Vitalier so viele Freunde in der Stadt haben«, antwortete Geseke und schüttelte den Kopf. »Bei St. Peter! Dieser Hüne von einem Störtebeker hat mich verblüfft.« Sie riss die Augen weit auf wie eine der steinernen törichten Jungfrauen am Dom und grinste zugleich, sodass Elisabeth lachen musste.
»Er muss Schwindel und Schmerz gelitten haben, nach der Qual im Fass. Und da steht er auf wie ein König und hält eine Rede wie ein Ratsherr.«
»Ein schöner und gefährlicher Mann.«
»Muttergottes, Geseke! Ein bemitleidenswerter Mann, würde ich eher sagen. Jetzt werden sie ihn in Eisen schlagen und in ein Loch stecken wie ein Tier.«
»Ich kann mein Herz nicht für die Seeräuber erweichen, Elisabeth. Ich bin zu schwach dazu. Wie kannst du bloß allen Bösen immer vergeben?«
»Mit Gottes Hilfe. Auch sie waren einst Kinder und werden einst schwache Alte.«
»Diese Vitalienbrüder waren bestimmt üble Bälger, und alt werden sie nun nicht mehr.«
»Vielleicht hat Störtebeker die Wahrheit gesagt, und sie haben alles nur getan, um ihre Familien durchzubringen«, wagte Elisabeth zu entgegnen.
»Du gutes Herz«, flüsterte Geseke und schloss kurz die Augen. »Nein, kein christliches Mitgefühl wohnt in meiner kalten Brust«, sagte sie dann, »egal, ob sie nur auf den Schiffen dienten oder ob sie Störtebeker heißen oder gar Godeke Michels, für mich sind das üble Raubmörder. Die Likedeeler haben den Tod verdient. Ich frag mich allerdings, wie unser alter Henker siebzig wilden Piraten die Köpfe abschlagen soll. Der Büttel kann doch kaum noch seine Axt heben, auch wenn er ein Händchen fürs Torturieren hat. Hoffentlich wird die Hinrichtung kein Debakel.« Seufzend nahm sie die Hand der Begine und hielt sie über ihr Herz. »Ich wünschte, ich wäre so fromm wie du, Elisabeth. Dann ginge es mir besser.«
»Und ich wünschte, ich wäre so stark wie du, mit deinem Mut in großen Dingen«, flüsterte Elisabeth und umschloss Gesekes Hand mit ihren beiden. »Denk nur: Du bist eine brave, gute Tochter und hast deinem Vater gehorcht. Du hast geheiratet, um den Clingspor zu den Englandfahrern herüberzuziehen. Und nun feiert deine Familie den Triumph ihrer Politik. Ich hingegen bin feige zu den Beginen fortgelaufen.«
»Und nun tust du wahre Wunder als Krankenpflegerin.«
»Und du als Botin der Englandfahrer.«
»Wenn ich nicht im Sinne meines Vaters auf meinen Gatten einwirken würde, dann wäre doch die ganze Ehe für die Katz.« Geseke zupfte griesgrämig ihre Haube zurecht.
Elisabeth lächelte. »Sei froh und munter. Feiere, Geseke Schreye, Dame Clingspor. Dein Vater hat sein Ziel erreicht.«
»Da bin ich mir nicht so sicher. Dieser Störtebeker hat zwar ein großes Maul und eine herrliche Statur. Aber das Haupt der Vitalienbrüder, das ist immer noch der Godeke Michels. Den hat Vater gejagt, bevor er im August seine Kriegsfahrt abbrechen musste, um zum Hansetag zu fahren. Den Michels hat Schoke nicht gefangen, das kann keiner schönreden, nicht mal der von Utrecht mit seinen generösen Versprechungen, das flämische Großmaul!« Geseke wandte sich verärgert ab und spuckte wenig damenhaft in das Alsterfleet. Nichts war in ihren Augen schlimmer, als wenn ein Tölpel um des eigenen Ruhms willen die fein gesponnenen, unsichtbaren Machtnetze der Stadt zerriss.
»Ereifere dich nicht. Von Utrecht hat gut geredet.«
»Den Piratenschatz den Bürgern geben! Simon kann so etwas doch nicht ohne Ratsbeschluss versprechen. Der Schatz gebührt den Schiffsführern und Seeleuten. Wenn der Rat nächstes Jahr wieder Fredeschiffe für den Krieg rüsten muss, brauchen Schoke und die seinen jeden Witten.«
»Ich freu mich, wenn das Seeräubergold an die Armen geht.«
»Das hat er nicht gesagt, Elisabeth. Das haben nur alle so verstanden.«
»Ach, die Redekunst. Doch du solltest nicht zu hart über ihn urteilen. Simon von Utrecht hat von Brunsbüttel aus einen Knecht in die Stadt geschickt, um Bier in unseren Konvent bringen zu lassen, damit wir die Gefangenen laben können. So will er Gott für den Sieg danken. Die Meisterin lässt das Bier in die Fronerey bringen. Hoffentlich saufen die Büttelsknechte es nicht«, seufzte Elisabeth.
»Bestimmt zahlt Simon heute auch ein Bierchen für die lieben Bürger der Stadt. Er will ja was werden.«
»Sei still, mein Gesche.« Elisabeth streichelte der Freundin die Wange. »Heut Abend wird bestimmt getanzt auf dem Rathaus. Geh, mach dich schön. Tanze! Und denk an mich, denn ich vermisse es so sehr, das Hüpfen und Springen. Ach Geseke, übe dich in Dankbarkeit für die kleinen Dinge.«
Geseke umarmte die Freundin. Ihre Rede von den kleinen Dingen erinnerte sie an eine gute Tat, die sie vollbringen musste. Sie nestelte in ihrem Geldbeutel und holte eine Handvoll Blafferte heraus. »Da, ich hab sie aus dem ganzen Haus zusammengetragen. Du sammelst das Flittergeld doch für den Mantel der weißen Madonna.«
Elisabeth steckte das billige Blechgeld ein und küsste Geseke zum Dank die Wange. »Ich muss gehen, sonst verpasse ich die Andacht«, flüsterte sie und machte sich schnellen Schrittes auf in Richtung des Beginenhauses.
Geseke blickte ihr nach. Gott gebe mir deine Dankbarkeit für die kleinen Dinge, dachte sie, und den Mut in den großen, den du mir zusprichst. Beides hatte ihr öfter gefehlt, als Elisabeth ahnte.
Godefroy von Neroth schob die Büsche beiseite, die den Fluchtgang aus der Marienburg im Ordensland verbargen. Vorsichtig folgte Richard von Hardin seinem Freund. Ein kühler Wind wehte in der klaren Nacht. Sterne glitzerten über dem baltischen Meer, doch er konnte sich nicht an der Schönheit von Gottes Werk ergötzen. Richard sah zu Boden und lief auf dem geheimen Pfad, bis eine kleine Waldung die beiden hochgewachsenen Männer umgab. Es war vollbracht: Niemand hatte bemerkt, wie sie Richards Pferd aus dem Stall geholt hatten, wie sie über den kleinen Burghof und in den äußeren Wehrgang geschlichen und dann über die Heide geeilt waren.
»Hier heißt es Abschied nehmen«, sagte Godefroy mit erstickter Stimme. Er löste seinen Schwertgurt und hielt dem Ordensbruder die Waffe entgegen. »Du wirst es brauchen. Dein Dolch allein bringt dich nicht weit. Du weißt, es kommt nicht aus den Waffenkammern des Ordens, es stammt aus meiner Familie.«
Richard von Hardin wollte den Brüdern nichts schuldig bleiben, doch diese Waffe nahm er dankbar entgegen. Sie lag leicht in seiner Hand. Das Langschwert mit schmaler Klinge aus kastillianischem Stahl ruhte in einer schlichten Scheide aus dunklem Leder. Eine mehr als großherzige Gabe, denn dies war eines der besten Schwerter, über das ein Ritter des Deutschen Ordens verfügte. »Ohne dich wird mein Leben trostloser sein, Godefroy«, sagte er.
Godefroy schüttelte den Kopf. »Du befreist dich von einer großen Last, mein Freund; du wirst gar nicht merken, dass ich dich nicht mehr mit Disputen quäle.«
»Aber nein, Godefroy, ich danke dir für all dies. Dank für Meister Eckart, Aristoteles und Abaelard. Und Dank für den Beistand in dieser schweren Stunde.«
»Dank sei dir, Richard. Du hast mir im Kampf das Leben gerettet, wieder und wieder.« Godefroy öffnete die Arme.
Richard zog ihn an sich, hielt ihn, spürte seine Wärme.
»Gott sei mit dir«, flüsterte Godefroy.
»Und mit dir, Bruder«, antwortete Richard und küsste ihn auf die Lippen, zum ersten Mal, bevor er sich aufs Pferd schwang und in die Nacht ritt.
Die Klänge der Lauten und Trommeln der Musiker verwoben sich im Tanzsaal des Rats zu Hamburg mit dem Geruch von süßem Rindsbraten, Bier und Wein. Eine große Pranke legte sich auf Gesekes Schulter, erschrocken drehte sie sich um. »Simon!«
»Darf ich dich zum nächsten Tanz bitten, Dame Clingspor, oder beißt du mich gleich?« Er verneigte sich mit einem Lächeln.
Sie ließ sich von dem holländischen Riesen in die Mitte des Raumes führen. Schließlich hatte er wacker im Auftrag der Englandfahrer gekämpft. Es war gut, sich mit ihm sehen zu lassen. »Dich beißt heute keiner. Du bist der Held des Abends, von Utrecht.«
»Aber nur weil dein Vater und dein Freund Johann Cletzen nicht auf der Fahrt dabei waren.«
Geseke flüsterte: »Du bist ein Lästermaul. Johann ist nicht mein Freund. Er ist ein Anhänger meines Hauses.«
»Johann tut, was immer du befiehlst.«
»Für gutes Geld. Erzähl lieber, was du auf Helgoland und in Brunsbüttel vollbracht hast.«
Er wirbelte sie im Tanz umher. »Mein Schwert geschwungen, was sonst?« Simon packte Geseke um die Hüften und hob sie in die Luft.
Sie lachte. »Lass mich nicht darben, heraus mit den Kriegergeschichten«, befahl sie, als sie wieder stand.
»Der Störtebeker hat ein gutes Schiff, die Rode Düwel. Damit sie uns nicht davonsegelt, hatte der Schoke den Plan, sie lahmzulegen.«
»Und das hast du gemacht? Wie?«
»Als Fischer verkleidet hingefahren und dann das Ruder festgesetzt.«
Wieder hob er sie in die Höhe. Der Schwung nahm ihr den Atem. »Man sagt, du hast ihn entwaffnet«, sagte sie, als der Tanz einige ruhige Schritte gebot.
»Es war ein fairer Zweikampf. Der Mann versteht, seine Waffen zu gebrauchen.«
»Dann bist du der Retter des Westseehandels.«
»Du weißt, dass das nicht stimmt, solange Godeke Michels frei ist.« Simon zog die Augenbrauen zusammen.
»Gräm dich heut nicht darum. Lass dich feiern.« Wieder flog sie in die Höhe.
»Das Beste dieses Festes ist der Tanz mit dir, schönste Englandfahrersgattin. Sonst gibt es wenig zu feiern.«
»Wie meinst du das?«
»Auf der Roden Düwel war kein Schatz zu finden.«
Geseke erschrak, gebot sich aber, zu lächeln. »Vater sagte, es wäre jede Menge Handelsgut da gewesen.«
»Wein und Bier und Tuch, aber kein Gold, nichts, was man von Piraten erwartet. Wer weiß, vielleicht war er gar keiner.« Simon lächelte ein unschuldiges Straßenjungenlächeln, das Geseke von ihm noch nicht kannte.
»Beim heiligen Nikolas, du glaubst doch nicht etwa dem Störtebeker?« Geseke schüttelte den Kopf und entdeckte dabei, dass ihr Gatte an der Fensterseite des Tanzsaals in ein Gespräch mit Heyne Schomer verwickelt war. Das war nicht gut.
Sie vergaß fast ihren Tanzschritt, und Simon schwang sie so unvermittelt wieder in die Höhe, dass ihre Röcke flogen.
»Ohne Beute kein Beweis, dass er ein Seeräuber ist«, sagte Simon.
»Wer?«, fragte Geseke, die noch immer zu ihrem Gatten und dem Schonenfahrer Schomer blickte.
»Störtebeker natürlich«, antwortete Simon, als die Musik ausklang. Elegant wie ein Ritter verbeugte er sich vor Geseke.
»Die Vitalier werden schon gestehen, wenn der Henker sie in den Händen hat.« Geseke versuchte, den Blick ihres Gatten zu erhaschen. Schomer stand immer noch bei ihm.
Simon lachte schallend. »Grausames Weib. Willst du noch mal tanzen?«
Sie schüttelte den Kopf und reichte ihm die Hand. Ein Tanz mit einer Ratsherrngattin war genug der Ehre für den Holländer.
»Führ mich zu meinem Gatten. Er redet dort hinten mit Heyne Schomer, dem Wortführer der Lübeck- und Schonenfahrer.«
»Ich dachte, Schomer sei ein Knochenhauer.«
Geseke nickte. »Schomer war Grobschlachter. Er ist reich geworden, als die Fleischpreise vor fünfzehn Jahren in die Höhe schnellten. Seither holt er selbst Vieh aus dem Mecklenburgischen und verkauft es zu sündhaften Preisen. Seinen Gewinn hat er in den Handel gesteckt, in die Ostseeschiffe der alten Patrizierfamilien.«
Heyne Schomer war das Werkzeug der Leute aus der Reichenstraße, intrigant und einflussreich, dachte Geseke, doch das sagte sie Simon nicht. Schomer wollte um jeden Preis Macht erlangen. Schon jetzt trug er eine feine goldene Kette in weitem Bogen gespannt über seinem dunklen Samtwams, als wolle er zeigen, dass dort eine Ratskette hingehöre. Wenn es in der Stadt noch nach den alten Familien ginge, dann stünden ihrem willfährigen Diener auch alle Wege offen.
»Ein beeindruckender Aufstieg vom Fleischermeister zum Patrizier«, sagte Simon.
»Sieh dich vor ihm vor, er würde seine Großmutter für einen Ratssitz verkaufen«, flüsterte Geseke.
»Ich werde deine Worte in meinem Herzen bewegen«, antwortete Simon leise und verbeugte sich Gesekes Gatten und dem ehemaligen Schlachtermeister.
FREITAG VOR DEM FESTE DES HEILIGEN GALLUS
15. Oktober im Jahr des Herrn 1400
Ihr bedeckt eure Pferde mit seidenen Decken und eure Panzer mit allen möglichen Überhängen und Tüchern; ihr bemalt die Speere, die Schilder und die Sättel; die Zügel und Sporen schmückt ihr ringsum mit Gold und Silber und Edelsteinen; mit so großer Pracht eilt ihr in beschämender Raserei und schamlosem Stumpfsinn in den Tod.
Bernhard von Clairvaux, Das Lob der neuen Ritterschaft
Die Bilder in seinem Kopf holten ihn ein in einem Heuschober auf den Feldern von Kuddewörde, einem Flecken im Lauenburgischen. Sie raubten Richard von Hardin den Schlaf.
Der Schnee dämpfte das Stampfen der Hufe. Vor den Rittern lagen die niedrigen Häuser der Samaiten wie Grabhügel in der weißen Landschaft. Die Bauern hörten ihre Feinde nicht. In der Dämmerung sahen sie die mächtigen Rösser, die Wimpel und Wappen zu spät. Die Männer wurden hingeschlachtet, aufgehängt. Die Frauen warfen sich ihre Kinder auf den Rücken wie Buckelkörbe, pressten Säuglinge an die Brust, rannten auf das vermeintlich rettende Dickicht zu. Kreuztragende Mönchskrieger und wallfahrende Ordensgäste setzten ihnen nach, ihre Knechte zu Fuß im Gefolge. Heidenmetzen, brüllten sie. Richard war bei ihnen, seine Ohren voll der Schreie der Frauen. Wo auch immer er seinen Blick hinwandte, überall waren die Stöße der Männer in die Leiber der Weiber, Stöße mit dem Gemächt, dann Stöße mit tödlich stählernen Waffen. Eine Frau wehrte sich, stach zurück, vergoss Blut und lief um ihr Leben. Er setzte ihr nach, griff sie, spürte ihren sich windenden Leib durch sein Kettenhemd. Die Litauerweiber schrien im Schmerz, die Kinder schrien im Sterben.
Dies waren die Bilder, denen Richard hatte entkommen wollen, doch sie ließen ihn nicht entfliehen. Es war Monate her, dass er mit adligen Gästen auf die Litauerreyse gegangen war, Wochen, seit er seine Brüder verlassen hatte. Unzählige Nächte lang hatte er keinen Schlaf finden können, weil ihn die Bilder jagten.
Bis die Sonne hoch stand, blieb er in dem Schober liegen, um seinem ausgehungerten Körper Kraft zu geben. Gegen Mittag wickelte er sich aus Mantel und Pferdedecke und pfiff nach seinem Ross. Gemächlich trabte das große Tier herbei. Er ließ es an seiner Hand schnüffeln und strich ihm über den muskulösen Hals. Die Berührung rührte ihn so sehr, dass ihm die Tränen in die Augen stiegen. Sein Ross, ein alter Dolch und Godefroys Schwert waren das Einzige, was ihm aus seiner Zeit im Ordo fratrum domus Sanctae Mariae Theutonicorum Ierosolimitanorum geblieben war.
Heute würde er auch noch Corvus verkaufen. Denn er hatte nichts mehr, keinen Heller, keinen Witten, keinen Blaffert. Der Rappe würde einen guten Preis erzielen, er war ein Streitross bester Herkunft. Richard wusste, er würde das edle Tier nicht über den Winter bringen. Er wusste nicht einmal, wie er selbst über die nächsten Monate kommen sollte.
Ihm blieb keine Wahl.
Er striegelte Corvus mit Stroh, damit das Tier glänzte, ritt zum Wehrturm von Kuddewörde und ließ den Burgvogt rufen. Die Männer gehorchten seinem befehlsgewohnten Ton, obwohl er verdreckt und übermüdet war. Aus der verwitterten Tür des Wohnturms trat ein Mann in Lederwams und Hosen, der zum Zeichen seiner Herrentreue das Wappen der Lauenburger Herzöge auf der Brust trug. Der Burgvogt zeigte sich interessiert an einem Kauf. Richard saß auf, um das Ross vorzuführen.
»Nun zeig, was du kannst, Großer«, flüsterte er in Corvusens Ohr und tätschelte ihm den Hals. Er ließ ihn traben und führte einige der kleinen Kunststücke vor, die er dem Tier beigebracht hatte. Hier, am Ende ihrer gemeinsamen Zeit, sollten sich die Mühen lohnen, die er sich mit dem Pferd gemacht hatte.
Am Beginn der Reise hätte er nicht gedacht, dass er sein Ross in einem Nest an der Bille verkaufen müsste, dessen Namen er noch nie gehört hatte. Als Richard die Marienburg verlassen hatte, war er überzeugt gewesen, dass er sich mit seiner Waffenkunst über Wasser halten könne. Es hatte ihn ins großmächtige Lübeck gezogen, wo er sich als Stadtwächter verdingen wollte, weit genug entfernt vom Ordensland. Er hatte auf ein neues Leben gehofft, im Dienste der Königin der Hanse. Doch statt ein Auskommen zu finden, hatte er sein letztes Geld verschwendet. Allein schon um Bosse von Bretzeke, den Hauptmann der Stadtwachen, zu sprechen, musste er so viele Hände vergolden, dass für Bier und Brot kaum etwas übrig blieb. Als er sich ihm eines Tages nach der Messe in Sankt Marien vorstellen durfte, waren all seine Hoffnungen zerstört worden. Schon im Februar hatte von Bretzeke seine Leute angeworben. Bis zum nächsten Februar habe er keinen Bedarf, sagte er. Doch im Januar könne der stattliche junge Herr wieder vorsprechen, mit Sicherheit würde er ihn dann beschäftigen.
Andere Männer hätten ihre Enttäuschung in Bier ertränkt, doch er war noch am selbigen Nachmittag aus Lübeck in Richtung Hamburg geritten. Der Tag, an dem er Lübeck verließ, war der schlechteste seit seiner Abreise aus dem Ordensland gewesen. Am Nachmittag hatte Corvus gelahmt. Wie sollte er den Hufschmied entgelten? Mit dem Dolch an der Kehle?
Er war abgesessen und hatte den Sattel und seinen Beutel auf die Schulter genommen, um Corvus zu entlasten. Die grünen Hügel machten Reiter und Ross beim Aufstieg schwer zu schaffen. Aber am frühen Abend wehte der Wind leisen Gesang zu ihm herüber. In der Ferne erhob sich ein hohes Gemäuer, Teiche glitzerten in der Abendsonne.
Ein Kloster, die Rettung, hatte Richard gedacht. Und für Corvus mochte es in der Tat die Rettung gewesen sein, denn dort erfuhr sein Herr vom Burgvogt von Kuddewörde und seiner Suche nach überragenden Pferden.
Das Zisterzienserkloster zu Reinfeld, gelegen zwischen dreihundertfünfundsechzig Fischteichen – ein jeder barg die Mahlzeiten für einen Tag im fleischlosen Jahr der Mönche –, war ein gastfreundlicher Ort.
Sofort nach seiner Ankunft beschlug ein Konverse das Pferd. Richard besuchte derweil die Komplet. Der Gesang hob sein Herz, die Lesung aus der Heiligen Schrift weckte seinen Geist, und bald konnte er sich an Rübensuppe und Brot stärken. Ob es die Versenkung in das Wort Gottes war oder die deftige Speise, war ihm gleich, er fühlte sich aufgemuntert. Dankbar packte er in der Küche mit an, als es hieß, das Essgeschirr von siebenundsechzig Brüdern abzuwaschen. Dann hackte er im Dunkeln noch ein viertel Fuder Holz, um die Gastfreundschaft der schweigsamen Brüder zu entgelten.
Kurz vor der Schlafenszeit wurde er zum Abt gerufen. Vater Dietrich segnete Richard, als dieser vor ihm niederkniete.
»Ich wollte mit Euch sprechen, Herr Richard, da Ihr erst seit einigen Stunden hier seid und schon alle Mönche und Konversbrüder über Euch flüstern. Man hat mir gesagt, Ihr habet Euch nützlicher gemacht als jeder Gast zuvor. Zudem sagt man, Ihr führtet ein edles Pferd mit Euch«, begann der Abt.
»Ein Streitross von bester Herkunft, gut zugeritten und klug«, sagte Richard.
»Ich will ehrlich mit Euch sein, Herr Richard. Die Konversbrüder im Stall waren der Meinung, dass Ihr das Ross gestohlen habt. Ihr wirkt so ärmlich und Ihr arbeitet wie ein Bauer. Dazu passt das Pferd kaum. Ich habe Euch bei der Komplet beobachtet. Eure Kleidung ist wohl in einem erbärmlichen Zustand, keines Knechtes würdig. Doch Ihr habt jedes Gebet lateinisch mitgesprochen. Ihr seid ein gebildeter Mann. Auch Euer Betragen zeugt von guter Abstammung. Verzeiht daher meine Frage: Woher kommt Ihr?«
»Ich bin kein Dieb. Mir ist nur nichts mehr geblieben außer dem Pferd«, antwortete Richard.
Der Abt legte eine Hand auf Richards Schulter. »Die Pfeile des Allmächtigen stecken in mir; mein Geist muss ihr Gift trinken, und die Schrecknisse Gottes sind auf mich gerichtet. So fühlt Ihr Euch, nicht wahr?«
Richard schüttelte den Kopf. »Nein Vater, es ist keine Hiobsgeschichte, sondern eher eine Mär von einem nicht zurückgekehrten verlorenen Sohn. Nicht Gott hat mich auf die Probe gestellt, sondern ich selbst.«
»Ihr seid ein Mann der Bibel. Es liegt mir ferne, in Euch zu dringen, um Euer Schicksal zu erfahren. Gerne würde ich Euch hier länger als Gast sehen. Deshalb möchte ich Euch warnen, dass meine Brüder gerne reden, auch wenn es ihnen durch unsere Regeln verboten ist. Sie werden Euch eine Geschichte anhängen, ob ihr wollt oder nicht. Vielleicht wäre es besser, Ihr befreitet Euer Herz und berichtetet mir.«
Richard sah zu Boden. »Habt Ihr Interesse an dem Hengst?«, fragte er schließlich. »Ich verkaufe ihn zu einem guten Preis. Er ist schön genug für einen geistlichen Würdenträger. Wenn ich für ihn zwanzig Mark bekäme, dann könnte ich mir irgendwo einen billigen Gaul kaufen und weiterreisen.«
Der Abt lachte leise und schüttelte den Kopf. »Es steht mir nicht an, so viel Geld für ein Pferd auszugeben. Aber es steht mir zu, Euch Asyl und Obdach anzubieten, solange Ihr wollt. Bleibt, hackt Holz, wascht unser Geschirr, erntet Äpfel oder legt gar einen Teich trocken. Kommt zu Euch und zu Gott.«
Richard küsste dem alten Mönch die Hände und wollte gehen, doch der Abt hielt ihn am Ärmel fest. »Mir wurde gesagt, dass der Burgvogt zu Kuddewörde Tiere für den Herzog von Lauenburg kauft, einen wahren Pferdenarren, der hohe Preise zahlt. Doch die Gegend ist nicht ungefährlich. Nachrichten von Viehdiebstählen machen die Runde. Also gebt gut auf Euch acht. Ihr habt den Gang eines Kriegers und wohl den Kopf eines Theologen. Wenn Ihr einst Frieden sucht, dann kehrt hierher zurück. Mancher Ort behagt erst auf den zweiten Blick. Hier seid Ihr immer willkommen.«
Richard hatte dem Abt mit einem Kopfnicken gedankt. Die Nacht hatte er betend vor dem Marienaltar in der Klosterkirche verbracht. Weder die Gottesmutter noch der Herr im Himmel hatten ihm Ruhe der Seele gegönnt, doch wenigstens hatten sie die wilden Traumbilder ferngehalten. Im Morgengrau hatte er sich aufgemacht, um nach dem pferdehandelnden Burgherrn zu suchen.
So war er am Abend nach Kuddewörde gekommen: übermüdet, erschöpft und abgerissen.
Richard löste sich aus seinen Erinnerungen und brachte Corvus im Hof vor dem Burgturm von Kuddewörde zum Stehen. Die Burg bestand aus einer alten schiefen Wehrmauer und einem Donjon, um den sich einige heruntergekommene Hütten scharten. Vor einer von ihnen saß ein Knappe in der Herbstsonne, dessen Wams geflickt und schmutzig war. Er war damit beschäftigt, seinen Dolch zu polieren. Die Waffe war in bestem Zustand. Kuddewörde war eine unbedeutende Festung im Hinterland, für einen Ritter kein lukrativer Sitz. Aber es war offensichtlich, dass der Burgvogt seinen Wehrdienst ernst nahm und sich zudem mit Pferde- und Viehhandel guten Verdienst schaffte, denn große, gepflegte Stallungen lehnten sich an die Burgmauer.
Mit Schwung saß Richard ab.
Der Vogt nickte Richard zu. »Euer Ross?«
»Meins, aus der Zucht meines Vaters. Ich biete es Euch zum Kauf.« Corvus stupste Richard sanft an.
»Er mag Euch«, sagte der Burgvogt von Kuddewörde.
Richard nickte. Er hatte das Pferd gezähmt und zugeritten. Corvus war wie er: ein Kämpfer höchster Güte. Doch mehr noch als er verfügte das Tier über eine innere Ruhe und Genügsamkeit, die es endlose Ritte durch sumpfiges Gelände, Überfälle und Schlachtengetümmel bewältigen ließen.
»Es fällt Euch bestimmt schwer, Euch von ihm zu trennen.«
»Schwerer als Ihr denkt.« Corvus war nach jenem Winterfeldzug Richards Trost gewesen. Nachdem er von der Litauergrenze in die Marienburg zurückgekehrt war, hatte er sich tagsüber ausschließlich mit dem Hengst beschäftigt. Abends hatte er bei seinem Freund Godefroy von Neroth im Kämmerlein gesessen und Werke von Petrus Abaelard und Meister Eckart gelesen, von denen Godefrey dachte, sie würden ihn trösten. Der Pariser Theologe Abaelard hatte vor fast zweihundertachtzig Jahren geschrieben, dass der Wert einer Handlung in ihrer Intention lag und nicht in ihrem Ergebnis. Und Abaelard sagte, dass man sich selbst kennen sollte, um zu wissen, wo in der Seele die Sündhaftigkeit saß und wo die Charakterschwäche. Doch in den ersten Monaten nach der schrecklichen Winterreyse hatte Richard daraus keinen weiteren Schluss ziehen können, als dass er sich dem Pferd widmen und ihm kleine Kunststücke beibringen sollte. Corvus kannte ihn, er kannte den Gaul. Pferdekunst hatte eine gute Intention und zumindest eine gute Wirkung, nämlich dass Richard einfach mit dem Denken aufhören konnte. Damit hätte auch Abaelard zufrieden sein sollen.
»Nimmt er denn andere Reiter an?«, fragte der Vogt.
»Ihr sollt ihn reiten, bevor Ihr einen Preis nennt«, antwortete Richard.
Der Vogt wagte sich zögerlich in die Nähe des riesigen Tiers.
»Schaut ihm nicht direkt in die Augen, wenn Ihr auf ihn zutretet, Burgvogt. Schreitet an ihm vorbei, tätschelt ihn und sitzt auf.«
Ungelenk mühte sich der Burgvogt auf den Rücken des Rosses, doch Corvus zuckte nicht einmal. Erst als der neue Reiter ihm die Sporen gab, setzte er sich brav in Gang. Nach einer gemächlichen Runde probte der Vogt den Trab, dann ließ er das Burgtor öffnen und galoppierte durch die Hauptstraße des Dorfes. Als er zurückkam, lag ein silbriger Blick voller Reiterglück in seinen Augen.
»Nennt Euren Preis«, forderte Richard.
Ganz kurz huschte etwas Geschäftstüchtig-Tückisches über das Gesicht des Vogts. »Zwanzig Mark Lübsch.«
Richard schüttelte den Kopf.
»Fünfundzwanzig?«, fragte der Kastellan und erntete ein ablehnendes Lächeln.
Nach einigen Bechern Wein würde der Herzog von Lauenburg dem Vogt bestimmt vierzig Mark Lübsch für Corvus zahlen. Richard machte sein Angebot. »Dreißig. Ohne den Sattel. Den brauche ich für ein neues Ross.«
Der Burgvogt nickte. »Dreißig gilt. Dafür bekommt ihr zehn neue Rösser.«
Richard strich über Corvusens Hals. »Dein Zaumzeug sollst du behalten, Großer«, murmelte er dem Pferd zu. »Das Tier hört auf seinen Namen. Er heißt Corvus«, sagte er dem Burgvogt.
»Gut zu wissen. Doch Euren eigenen Namen wüsste ich auch gerne«, sagte der Kuddewörder und zeigte mit dem Finger auf Richards Schwert.
Richard ließ die Hand auf den Knauf gleiten. Was, wenn die Nachricht von seiner Flucht ihn überholt hatte? Doch Lügen waren Sünde und halfen nicht weiter. »Es ist Euer gutes Recht, zu wissen, mit wem Ihr den Handel besiegelt. Ich bin Richard von Hardin, Sohn des Karl von Hardin, des Lehnsmanns der Herzöge von Mecklenburg.«
Darauf streckte ihm der Vogt die Hand entgegen, um den Vertrag zu besiegeln. »Ein Handel unter Edelmännern ist zwiefach gut getan. Euer Ross wird dem Herzog von Lauenburg gehören und nur besten Hafer fressen, bevor das Jahr zu Ende ist.«
Richard schlug ein, und der Vogt winkte seinen Verwalter herbei, der eine schwere Geldkatze mitbrachte. »Die Lübsche Mark wird nicht ausgeprägt. Mögt Ihr stattdessen fünfzehn Gulden Danziger Prägung nehmen?«
Richard überlegte nicht lange. Goldwährung war ihm lieber. Wer wusste, wo er noch hingetrieben wurde? Er zählte die Goldstücke ab und ließ sie bis auf eins in seine Geldkatze kullern. »Wenn Ihr mir dies in Lübecker Schillingen gäbt, wäre ich Euch verbunden.«
Er erhielt vierundzwanzig Silbermünzen und band sich seine Geldkatze um den Bauch. Der Burgvogt legte ihm eine Hand auf die Schulter, als wären sie seit Jahren beste Freunde. Vermutlich hätte der Vogt auch mit einem Strauchdieb Geschäfte gemacht, aber die Vorstellung, er habe einen Standesgenossen getroffen, der sich ebenfalls mit dem wenig standesgemäßen Handel über Wasser halten musste, war ihm sichtlich lieber. »Darf ich Euch zum Mahle laden?«, fragte er. »Edelleuten steht unsere Tür offen. Ihr seid willkommen, über Nacht zu bleiben.«
Richard lächelte, schüttelte aber den Kopf. Beim Mahl würde er über sich reden müssen, und es war unangenehm genug, seines Vaters Namen genannt zu haben, wie es sich gebührte. »Ich danke für die Gastlichkeit. Verzeiht, aber ich gehe lieber in den Ort, kaufe mir einen Klepper und sehe zu, dass ich sobald als möglich fortreite. Sonst käme ich noch in Versuchung, Euch mein grad verkauftes Ross zu stehlen.«
Der Burgvogt lachte lauthals, als hätte er nie etwas Absurderes gehört. »Diesen Schatz werden meine Männer mit ihrem Leben schützen«, sagte er.
»Gottes Segen über Euer Haus«, sagte Richard, schwang den Sattel auf die Schulter und ging. Er sah sich nicht noch einmal nach Corvus um.
Auf der Koppel neben dem Krug von Kuddewörde standen zwei Brauereizossen, ein paar Ackergäule, ein altes Packpferd und eine feine braune Stute. Geschäftig schwänzelte ein dicklicher Pferdehöker um Richard herum und pries die Zossen an. Richard ging langsam auf die Stute zu. Das Tier war sehnig und muskulös. Ein schnelles Pferd, das aussah, als könne es einen Mann von Richards Statur auf langen Wegen tragen. Sie war kein Streitross, aber auch kein Bauerngaul. Vorsichtig beschnupperte sie Richard, sprang aber fort, als der Pferdehändler grob nach ihrem Halfter griff. Der dicke Kerl rannte ihr durch den Matsch nach, trieb sie in die Ecke und zerrte sie zu seinem Kunden.
»Sie gehörte einem Handelsherrn aus Hamburg. Dem sind auf dem Weg all seine Güter gestohlen worden. Es ist ein sehr gutes Pferd. Er hat es ungern hiergelassen.«
So war also nicht nur ihm allein Fortuna abhold. Der Hamburger Kaufmann schien Richard ein Gefährte im Unglück zu sein. Umso passender wäre es doch, dieses Tier zu erwerben. Er schaute der Stute ins Maul. »Werden hier des Öfteren Händler überfallen?«, fragte er.
Der Pferdehändler machte ein ängstliches Gesicht. »Das könnt Ihr wohl sagen. Fast jeder vierte Viehtrieb nach Hamburg hinein. Und immer in unserer Gegend. Eine Schande.«
»Wie hieß der unglückliche Kaufmann? Ich gedenke, mich nach Hamburg zu begeben, und da wüsste ich gern, wessen Ross ich reite.«
»Klingensporn oder so. Er war ein junger Mann. Es schien ihm nicht so sehr ans Herz zu gehen, dass er die Rinder verloren hatte. Nur wollte er nicht ohne bewaffneten Schutz zurück. Er hat sich einem bewachten Kaufmannszug aus Lübeck angeschlossen, und die wollten Geld dafür. Da hat der Klingensporn die Stute hiergelassen. Er sagte, er wolle sie in einer Woche wieder abholen. Aber nun sind zehn Tage mehr verstrichen.«
Richard legte der Stute den Sattel auf. Wenn er auf ihr nach Hamburg ritt, könnte er sie vielleicht an ihren Herrn zurückverkaufen. Das wäre ein guter Einstand. Die Stute nahm ihn an wie einen altbekannten Reiter. Ihr Gang war federnd und leicht, aber so sanft, dass man Tage auf ihr verbringen mochte. Richard verhandelte nicht lange, er gab ein Goldstück für das Pferd, einen hohen Preis.
»Wenn Ihr nach Hamburg wollt, dann findet Ihr in der Herberge Anschluss an einen Viehzug«, sagte der Rosshöker zum Abschied. Ein guter Rat als wertvolle Dreingabe. Richard reichte dem Mann die Hand und führte die Stute zum Stall des Gasthauses.
Der Wirt im Krug bot ein einfaches Essen an, Lauchfleischeintopf und Brot. Richard stillte seinen Hunger weidlich.
»Sind bei Euch Hamburger zu Gast? Ich würde mich gerne einem Zug nach Hamburg anschließen und kann ihnen Schutz bieten«, fragte er, als er sich seine Schüssel ein drittes Mal füllen ließ.
Der Wirt zuckte zusammen. Richard verstand seinen Fehler sofort: Er sah wahrscheinlich eher aus wie ein Kerl, der Kaufleute ermordete und ausplünderte als wie ein ehrlicher Waffenknecht. Als er die Bedenken in den Augen des Wirtes sah, suchte er in seiner Geldkatze nach der passenden Münze und ließ einen Schilling auf dem Tisch tanzen. Der Wirt griff rasch zu. Seine bedenkliche Miene wandelte sich zu einem komplizenhaften Grinsen. Er wies auf einen Tisch in der Ecke. Dort saß eine Gruppe von Männern, von denen einer prachtvoll in Samt gekleidet war. Die anderen trugen Bauernkittel und schlichte, warme Wämser. Der Wirt sprach einige Worte mit ihnen, und der Mann im Samtwams winkte Richard zu sich hinüber.
Richard nahm seine Schüssel mit Lauchfleisch und sein Bier und setzte sich zu ihnen. »Richard von Hardin ist mein Name. Ich will mich als Söldner für gutes Geleit verdingen. Meine Schwertkunst ist wohl geübt.«
Der reiche Viehhändler war mit zwei Großknechten und gemieteten Viehtreibern unterwegs. »Heyne Schomer heiße ich. Ein Erbgesessener Hamburger Bürger aus dem guten Kirchspiel Sankt Petri«, stellte er sich vor. »Wo habt Ihr Eure Waffenkunst geübt?«
»Viele Jahre kämpfte ich für die Deutschen Brüder im Heidenland.«
»Wart Ihr dabei, als die Ordensherren gegen die Vitalienbrüder fuhren?«, fragte Schomer.
Richard nickte. »Sie waren die Pest der Baltischen See. Gegen sie zu fahren, war gute Arbeit. Wir haben sie von Gotland vertrieben.«
»Nur damit sie sich in Friesland einnisteten und die guten Kauffahrer mordeten«, warf ein anderer Hamburger ein.
»Beim heiligen Petrus, dem Übel würde ich mich gern ein weiteres Mal stellen.«
»Dem Herrn sei Dank, das ist nicht mehr nötig. Was die Deutschordensbrüder nicht erreichten, haben die Hamburger Herren vollbracht. Den Störtebeker haben sie gefangen«, meinte Schomer.
Richard zog die Augenbrauen hoch. Störtebeker war einer der Schiffsführer von Godeke Michels. Richard hatte bei der Flucht der Vitalier nach dem Fall von Visby auf Gotland mit ihm die Waffen gekreuzt. Störtebeker war ein Hüne, der sein Schwert schwang wie ein Ritter. Das war gerechter Krieg gewesen, sinnvoller Streit. »Störtebeker gefangen? Ausgezeichnet. Doch wie steht es um Godeke Michels, den Erzschuft der See?«
Die Männer zuckten die Schultern. Godeke war also noch frei. Richard sah seine Gelegenheit gekommen. »Lasst mich mein Können und meine Treue gegen die Viehräuber beweisen. Und wenn Eure Stadt danach jemanden braucht, der schon einmal gegen die Vitalier kämpfte, dann bin ich Euer Mann.«
»Was wollt Ihr für Eure Dienste?«, fragte Schomer.
»Was mögt Ihr geben?«
»Wenn es nicht zum Kampf kommt, einen Schilling.«
Das war weniger, als Richard für Wäsche, Essen und Kämmerchen in diesem Gasthof zahlen musste.
»Drei Schillinge, und wenn es zum Kampf kommt, zwei Mark.«
Der Viehhändler feilschte weiter. »Zwei Schillinge. Wenn es zum Kampf kommt und wir schadlos bleiben, dann eine Mark. Schaden an der Ware ziehen wir vom Schutzgeld ab.«
Richard wog den Kopf hin und her. »Für jeden toten oder gefangenen Räuber zwei Mark obendrein«, forderte er.
Schomer streckte die Hand aus, und Richard schlug ein.