Das Silberne Dreieck
und
Das Bilderrätsel
ISBN 978-3-03864-901-4
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Lektorat: Horst u. Fritz Eibl (A)
Umschlaggestaltung: Agentur flin unter Verwendung von iStock-Fotos.
Copyright © 2017 by ARAVAIPA–Verlag,
Egg bei Zürich, Freudenstadt, Tucson
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ARAVAIPA im Internet: www.aravaipa.ch
1. KapitelDer Mann in der Teekiste
2. KapitelDas silberne Dreieck
3. KapitelDie geheimnisvolle Frau
4. KapitelDoppelmord im Vogelkäfig
5. KapitelPoiccart in Gefahr
6. KapitelDie Beerdigung eines Penners
7. KapitelDas Haus des Schreckens
8. KapitelEin Besuch in der Berkeley Street
9. KapitelDes Rätsels Lösung
Der Mann fror erbärmlich. Seit es Herbst geworden war, hauste er in einer Kiste aus dünnem Sperrholz, die einmal Ceylon Tee enthalten hatte. Wenn er sich klein machte und die angezogenen Knie mit den Armen umschlang, passte er genau hinein. Aber er musste den Kopf einziehen und sich sehr klein machen. Und direkt neben seinem Gesicht war ein kleines rundes Loch, durch das er hinausblicken konnte, an einem der schweren Brückenträger vorbei, an denen der Raureif glitzerte, hinüber zum Kai, wo der alte tote Baum stand und die grüne Parkbank. Manchmal gaben sich dort Verliebte ein Stelldichein. Manchmal saß dort ein alter blinder Mann und fütterte die Tauben, redete mit ihnen, als könnte er ihre Gurrlaute verstehen.
In dieser Nacht waren keine Verliebten dort und auch sonst niemand. Wer nicht einen triftigen Grund hatte, sich der feuchten Kälte auszusetzen, in der man sich leicht den Tod holen konnte, blieb in dieser Nacht zu Hause.
Der Mann in der Teekiste kicherte bei diesem Gedanken in den hochgestellten Kragen seines zerschlissenen Mantels hinein, der wenigstens nach Gin roch, wenn auch nach dem billigsten Fusel, den er mit ein paar erbettelten Pennies am Nachmittag hatte kaufen können.
Die Flasche war jetzt leer. Der Mann schlotterte. Seine wenigen Zähne, die ihm verblieben waren, schlugen gegeneinander. Seine Glieder waren steif. Die Kälte durchdrang seine alten, abgetragenen Kleider und nagte spitz an seinen Knochen.
Es war nach Mitternacht. Er hatte Big Ben schlagen gehört. Eigentlich hätten die beiden Konstabler Fred Meeker und George Rawn längst auf ihrer Nachtrunde vorbeikommen müssen. Meeker mit der Stummelpfeife im Mund, etwas vornübergebeugt, und Rawn, der kleinere von den beiden, mit Atemtröpfchen im Schnurrbart, die im Licht der einzigen Laterne wie Tau glitzerten.
Vielleicht waren die beiden in einer Kneipe eingekehrt, tranken heimlich im Hinterzimmer heißen Punsch und wärmten ihre kalten Hände an den dampfenden Gläsern. Verboten war das natürlich schon, während der Dienstzeit, aber welcher Vorgesetzte hätte in einer Nacht wie dieser nicht beide Augen zugedrückt.
Eine Hundekälte war es.
Der Mann in der Teekiste seufzte. Wie lange war es her, seit er das letzte Mal eine Nacht in der Wärme eines Raumes verbracht hatte? Einmal, vor drei Wochen, war er im Wartezimmer des Bahnhofes unter einer Bank eingeschlafen. Die Wächter hatten ihn übersehen, oder ihn einfach liegen gelassen, aus Mitleid vielleicht, oder weil sie sich nicht die Mühe machen wollten, einen alten, nach Gin stinkenden Penner wegzujagen.
Die Teekiste war kein schlechter Unterschlupf. Mit etwas Glück würde er eine zweite finden, bevor der erste Schnee fiel. Dann konnte er »anbauen«. Er kicherte wieder, aber dieses Mal kam der Hustenreiz, tief aus seiner Brust. Er versuchte ihn zu unterdrücken, versuchte ruhig zu bleiben und an etwas anderes zu denken, aber was immer Teuflisches in ihm war, es musste raus. Er hustete bellend, hatte plötzlich den Geschmack von Blut im Mund und rang keuchend nach Atem.
Die Anfälle kamen, seit es kalt war, immer öfter. Schwindsucht war es. Tuberkulose. Lange würde er es nicht mehr machen, sagten die anderen, die unter anderen Brücken wohnten oder in leerstehenden Häusern und Kellergewölben, wo sonst nur noch Ratten hausten.
Sie wollten ihn nicht mehr in der Nähe haben. Er war ein Ausgestoßener mit seiner ansteckenden Krankheit, vor der sich alle fürchteten.
Er selbst fürchtete nichts mehr und niemand. Nicht einmal den Tod, der auf ihn lauerte, vielleicht schon die knöchernen Finger nach ihm ausgestreckt hatte. Nein, er fürchtete nichts mehr und niemand mehr auf dieser Welt, seit er im Krieg gewesen war und dort sein Auge verloren hatte, seinen Stolz und seine Ehre. Der Tod wäre, so meinte er, vielleicht sogar eine Erlösung.
Er wartete darauf, dass Big Ben die erste Stunde schlagen würde. Mit seinem einen Auge starrte er durch das Loch zum Kai hinüber. Der Nebel zog in Schleiern über die nassen, glitschigen Pflastersteine. Der tote Baum ragte wie die Krallenhand des Todes in den Nachthimmel. Das Nebelhorn vom Hafen stieß in regelmäßigen Abständen eine dröhnende Warnung für die Seefahrer aus, die sich ohne diese Signale im dichten Nebel nicht mehr hätten orientieren können.
Der Mann in der Teekiste hauchte in seine Hände. Er trug wollene Handschuhe, aber die hatten so viele Löcher, dass überall die nackten Finger herausschauten. Schmutzige, knochige Finger, die einmal schnell gewesen waren, so schnell und geschickt, dass sie einem Passanten den Geldbeutel aus der Rocktasche ziehen konnten, ohne dass dieser etwas merkte. Jetzt waren sie nur noch schmutzig.
Der Mann in der Teekiste verharrte in seiner Beschäftigung, als er für einen Moment drüben am Kai einen Schatten zu entdecken glaubte, der kurz aus dem Nebel auftauchte und sogleich wieder verschwunden war. Meeker und Rawn vielleicht?
Neugierig geworden, hielt der Mann das eine Auge noch näher ans Loch und starrte angestrengt zum Kai hinüber.
Plötzlich lichtete sich der Nebel etwas. Er sah die Gestalt, die aus der Dunkelheit in das Licht der Laterne taumelte. Eine schlanke, mittelgroße Gestalt, die ein langes helles Gewand trug.
Der Mann in der Kiste hielt den Atem an. Eine Frau! Langes strähniges Haar hing ihr über das Gesicht, das vor Angst und Entsetzen schrecklich entstellt war. Und deutlich konnte er sehen, dass sie keine Schuhe trug. Ihre Füße waren weiß und nackt, das Gewand über der Schulter zerrissen.
Die Frau taumelte, als wäre sie betrunken. Mit den ausgestreckten Händen suchte sie Halt. Sie verlor beinahe das Gleichgewicht, und der Mann in der Teekiste glaubte, sie würde kopfüber auf die glitschigen Pflastersteine fallen. Im letzten Moment jedoch griff sie nach der Lehne der Parkbank, die unter dem toten Baum stand.
Jetzt konnte der Mann in der Teekiste die Frau keuchend atmen hören, während sie sich nach allen Seiten umsah, so als fürchtete sie irgendwelche Verfolger, die ihr dicht auf den Fersen waren. Erst nach einigen Minuten, als nichts geschah und alles still blieb, ließ sich die Frau auf der alten Parkbank nieder, auf der sonst die Verliebten einander bei der Hand hielten und sich manchmal einen Kuss gaben oder zwei.
Gebannt beobachtete der Mann in der Teekiste die Frau, die völlig erschöpft war. Am Ende ihrer Kräfte. Sie hatte eine Tasche im Schoß. Und in dieser Tasche war vielleicht Geld.
Geld! Der Mann leckte sich die spröden Lippen. Alles was ein Mensch zum Leben brauchte, war ein besaßen so viel davon, dass sie sich alles leisten konnten, aber es gab viele mehr, denen es dreckig ging. Er gehörte zu diesen. Saudreckig ging es ihm in seiner Teekiste, aber das ging denen die viel Geld hatten, am Arsch vorbei. So dachte der Mann, denn manchmal, nicht oft aber manchmal, haderte er mit seinem Schicksal.
Geld! Mit Geld konnte er Gin kaufen. Und Gin würde ihn wärmen wie ein Ofen. Mit Gin im Bauch würde er schlafen können ohne zu frieren. Ohne mit den Zähnen zu klappern.
Noch einmal fuhr sich der Mann in der Teekiste über die Lippen. Dann bewegte er sich. Zuerst ein Bein. Das Knie schmerzte vom Rheuma. Der Mann ächzte leise, aber die Frau auf der Bank hörte ihn nicht.
Kriminal Inspektor Philander Dearborn von der Mordabteilung des Scotland Yard hatte Nachtschicht. Er saß in seinem kleinen Büro im dritten Stock, ließ sich den Dampf aus einer Tasse Kamillentee in die verschnupfte Nase steigen und wünschte, er wäre nie Inspektor geworden, sondern Schullehrer oder Filialleiter einer Bank, die ihre Tore um neun Uhr am Morgen öffnete und um vier Uhr am Nachmittag schloss.
Inspektor Dearborn war ein dünner gelenkiger Mann mit einem schmalen Gesicht und leicht abstehenden Ohren. Das Auffallendste an ihm aber waren die kleinen kalten Augen, derentwegen ihm Freunde und Feinde den Übernamen »Snake Eye« gegeben hatten. Schlangenauge. Der Inspektor machte sich nichts daraus, solange ihn niemand mit diesem Spitznamen anredete. Er liebte es, Inspektor genannt zu werden, oder Sir. Sogar seine Frau nannte ihn Sir, besonders dann, wenn sie einen neuen Hut kaufen wollte oder sonst irgendwelchen Kram, der Ladys wichtig war.
Inspektor Dearborn rechnete eigentlich nicht damit, dass in dieser trostlosen Nacht irgendetwas Schlimmes passieren könnte und er sich persönlich darum zu kümmern hätte. Aber wie so oft in seiner sonst so erfolgreichen Laufbahn irrte er sich.
Punkt ein Uhr, Big Ben hatte eben geschlagen, und er hatte noch immer den Klang im Ohr, läutete das Telefon.
»Inspektor Dearborn«, meldete er sich nach kurzem Zögern.
»Oh, Dearborn, äh Sir, ich bin hier unten bei der Brücke zusammen mit Rawn, und wir haben die Frau hier auf dem Pflaster, und vielleicht stirbt sie uns noch unter den Fingern weg, weil Rawn sagt, dass sie schon fast keinen Puls mehr hat und überall Blut ist, sogar auf der Parkbank und am Baumstamm. Es sieht alles nach einem Mord aus und äh, vielleicht sollten Sie sofort ...«
»Sachte«, unterbrach Inspektor Dearborn den Redeschwall. »Vielleicht sagen Sie mir erst einmal, wer Sie sind?«
»Ich? Oh, ich bin Meeker, Sir! Konstabler Fred Meeker, und ...«
»Ah, Polizist also. Gut, Konstabler. Und wer ist Rawn?«
»Mein Streifenpartner. George Rawn. Er kümmert sich um die Frau, aber ...«
»Und wo, Konstabler, befinden Sie sich zur Zeit?«
»Unten bei der Brücke, Sir, wo der tote Baum ...«
»Bei welcher Brücke, Konstabler?«
»Die Lambeth Bridge. Sie wissen schon. Wir sind auf der Westseite. Die Frau ist offenbar niedergeschlagen worden, und wir wissen auch schon, wer es getan hat.«
»Na, na, Konstabler«, bremste Inspektor Dearborn den Übereifer des Polizisten. »Sachte, mein Lieber, wir wollen keine Fehler machen, nicht wahr.«
»Nein, Sir.«
»Also. Wer ist Ihrer Meinung nach der Täter?«
»Tuberkel-Johnny!«
»Wie bitte?«
»Der Mann, der in der Teekiste wohnt. Sein Name ist Johnny. Er hat die Schwindsucht. Die anderen Penner nennen ihn Tuberkel-Johnny. Er ist weg. Verschwunden. Die Teekiste ist leer. Ich bin sicher, dass er ...«
»Sachte, Konstabler«, beschwichtigte ihn der Inspektor erneut. »Sagen Sie mir, wer die Frau ist, bitte.«
»Keine Ahnung. Sie hat nichts bei sich. Nicht einmal Schuhe trägt sie.«
»Um Gottes willen«, entfuhr es dem Inspektor. Er schüttelte sich allein bei der Vorstellung, dass jemand da draußen ohne Schuhe herumlief.
»Sie trägt ein Nachthemd, Inspektor. Sonst nichts. Rawn sagt, dass sie völlig unterkühlt ist. Jemand sollte schnell das Krankenhaus alarmieren. Es ist dringend. Die Frau ist mehr tot als lebendig.«
»Und sie hat nichts bei sich, das Aufschluss über ihre Identität geben könnte?«
»Nichts, Sir.«
»Also, Konstabler. Bleiben Sie an Ort und Stelle. Rühren Sie nichts an. Ich bin sofort da, und der Krankenwagen auch. Rühren Sie nichts an, ja!«
»Jawohl, Sir.«
Inspektor Philander Dearborn knallte den Hörer auf die Gabel, trank einen Schluck vom Tee, verbrannte sich die Zunge, fluchte unterdrückt und angelte Hut und Mantel vom Haken an der Wand. Als er aus dem Office stürzte, prallte er auf dem Flur mit der Putzfrau zusammen, die vor Schreck auf dem Schmierseifenboden ausrutschte und mit dem Besen zwischen den Beinen kreischend den Flur entlangsauste. Der gute Inspektor flüchtete in den Elevator, bevor ihm die Putzfrau den nassen Lappen um die Ohren hauen konnte, drückte auf den Erdgeschoß-Knopf und atmete erleichtert auf, als sich der Aufzug knarrend in Bewegung setzte.
Fred Meeker entdeckte die schwarze Limousine, als er die Telefonzelle verließ. Er hatte nach dem Gespräch mit Inspektor Dearborn noch mit seiner Frau telefoniert und ihr in aller Eile mitgeteilt, dass er am nächsten Tag ziemlich sicher in der Abendausgabe des Daily Megaphon stehen würde; wahrscheinlich mit Namen und vielleicht sogar auf einem Bild.
Die Limousine rollte aus einer Seitengasse der Lambeth Street hinter der alten Kirche hervor, deren Umrisse dunkel auftauchten, als sich der Nebel für einige Sekunden lichtete. Die Scheinwerfer waren abgeblendet, aber der Lichtkegel eines auf dem Dach montierten Suchscheinwerfers strich über den Kai, während die Limousine langsam und leise die Lambeth Palace Road überquerte und in die Einmündung bog, die zum Pier hinunterführte. Der Lichtkegel des Suchscheinwerfers traf Fred Meeker, der geblendet einen Arm vors Gesicht hielt. Er hörte, wie der Motor der Limousine etwas lauter wurde, sah nichts als grelles Weiß, das seinen Augen wehtat, und dachte, dass wahrscheinlich Inspektor Dearborn von irgendwelchen Abkürzungen wusste, von denen nicht einmal der verwegenste Taxifahrer Londons eine Ahnung hatte.
Die Limousine hielt einige Schritte von ihm entfernt an. Snake Eye, dachte Meeker, fährt keine Limo, der Fährt als Dienstwagen einen unauffällig aussehenden Vauxhall.
Für einen Moment machte ihm der Gedanke zu schaffen. »Äh, Inspektor Dearborn?« fragte er laut.
Er bekam keine Antwort. Noch immer geblendet, machte er die Augen zu.
»Sir? Die Frau liegt dort drüben.« Mit einer vagen Handbewegung zeigte er in die Richtung, wo sich die Parkbank befand und der tote Baum, von dem die Penner die Rinde weggeschlagen hatten, damit sie unter der Brücke Feuer machen konnten.
Keine Antwort.
Der Motor lief noch immer. Bentley, dachte Meeker. Kein Rolls Royce. Oder vielleicht ein Rover. Bestimmt kein kleiner Dienstwagen von Scotland Yard.
Er öffnete die Augen. Der Suchscheinwerfer war nicht mehr auf ihn gerichtet. Meeker konnte die Umrisse von zwei Männern sehen, die links und rechts von der Limousine standen. In weißen Schürzen. Und hinter dem Steuer saß einer, der eine dunkle Brille trug. Meeker konnte nicht viel von ihm sehen, weil er im Abblendlicht stand, aber der Mann hatte ein mageres, eingefallenes Totenkopfgesicht, in dem der Mund nicht mehr als ein dünner Strich war.
»Ah, die Herren sind vom Krankenhaus«, sagte Meeker. »Das ging ja schneller, als ich erwartet habe.«
»St. Thomas«, erklärte der Mann links von der Limousine. »Gleich dort drüben.« Er zeigte in den Nebel hinaus. Meeker wusste, dass sich dort, ganz in der Nähe, das große St. Thomas Krankenhaus befand, aber zu sehen war es von hier aus nicht.
»Was ist mit der Frau?« erkundigte sich der andere.
»Jemand hat ihr auf den Kopf gehauen, mit einem Brett vielleicht, oder mit einem Cricket-Schläger oder sowas. Kommen Sie, bitte, es ist eilig.«
Meeker ging der Limousine voran. Am Tatort kniete Rawn bei der Frau am Boden.
»Pass auf George! Nichts anfassen, Snake Eye hat Dienst. Er muss jeden Augenblick eintreffen.«
Rawn stand auf. »Sie ist besinnungslos«, sagte er. »Wer sind die da?« Er deutete auf die Limousine, die sich wieder in Bewegung gesetzt hatte und dann plötzlich still stand. Beide, Meeker und Rawn wandten sich ab, um ihre Augen nicht dem grellen Licht auszusetzen.
»St. Thomas Krankenhaus«, erklärte Meeker. »Gleich dort drüben. Deshalb waren sie so schnell da.«
Das Nebelhorn dröhnte. Dann war leise eine Polizeisirene zu hören. Die beiden Männer in den weißen Kitteln hatten sich über die Frau gebeugt. Sie murmelten etwas, das weder Meeker noch Rawn verstehen konnte.
»Well, Konstabler, wo ist die Tasche der Frau?«
»Die Tasche?«, fragten Meeker und Rawn wie aus einem Mund. Und Meeker fügte hinzu: »Welche Tasche?«
»Hm, ich kenne keine Frau, die ohne Tasche spazieren geht«, spottete der Mann.
»Äh, und ich kenne weder Mann noch Frau, die ohne Schuhe Spazierengehen«, gab Meeker ebenso spöttisch zurück. »Schon gar nicht in einer solchen Nacht.«
»Sie hatte keine Tasche dabei?« fragte der andere.
»Nein. Als wir sie fanden, nicht. Vielleicht hatte sie eine Tasche dabei. Vorher, meine ich. Aber wenn sie eine Tasche dabei hatte, dann muss sie jetzt im Besitz von Tuberkel-Johnny sein.«
»Tuberkel-Johnny? Wer zum Teufel ist das?«
»Der, der die Frau umgebracht hat«, sagte Meeker. »Der Mörder.«
»Es gibt keinen Mörder«, behauptete Rawn.
»Wie bitte?«
»Es gibt keinen Mörder, weil die Frau noch lebt. Ich darf die Herren noch einmal daran erinnern, nichts anzufassen, bis Snake Eye — äh, Inspektor Dearborn hier ist.«
»Unsinn, Konstabler. Unsere Notfallwagen sind alle im Einsatz. Großbrand in Leicester. Als bei uns der Anruf kam, dass hier eine Frau ermordet wurde, sind wir sofort losgefahren. Diese Frau befindet sich in akuter Lebensgefahr. Wir als Notfallärzte im Einsatz und können in diesem Fall unmöglich auf den nächsten einsatzbereiten Krankenwagen zu warten«.
»Äh, aber es ist sind nur wenige Minuten, bis der Inspektor …«
»Keine Einwände, Konstabler! Sollte diese Frau sterben, riskiere ich meinen Ruf als Arzt und den Ruf des Hospitals. Bitte richten Sie dem Inspektor aus, dass das Opfer sich im Hospital befindet und man dort alles tun wird, um Scotland Yard zur Aufklärung dieses Verbrechens in medizinischer Hinsicht professionelle Hilfe leisten wird. Helfen Sie mir, Dr. Henry, wir heben sie sanft auf und transportieren sie im Wagen von Dr. Briesley zur Notfallstation.«
»Well, vielleicht sollten wir doch warten, bis der Inspektor hier ist«, wandte Meeker beharrlich ein. »Es wird gleich soweit sein. Hören Sie die Sirene?«
»Wollen Sie, Konstabler, für den Tod dieser armen Frau verantwortlich sein?« fragte er streng. »An ihrer Stelle würde ich mein Gewissen nicht übermäßig belasten wollen, es könnte sonst sein, dass Sie bald in keine Uniform mehr hineinpassen.«
Meeker hörte zwar die Worte, aber einen richtigen Reim konnte er sich nicht darauf machen. Was hatte sein Gewissen mit seiner Uniform zu tun? Er warf Rawn einen Blick zu, und Rawn zog den Kopf zwischen die hochgezogenen Schultern wie ein nasser Vogel im Sturmwind.
»Äh, wie war noch ihr Name, Sir?« fragte er den Arzt und zückte sein Notizbuch.
»Doktor C. W. Beltram«, knurrte der Arzt ungeduldig. »Wenn Sie wollen, zeige ich ihnen gern meinen Ausweis, sobald wir das Opfer im Krankenhaus abgeliefert haben. Jetzt lassen Sie uns mal ungestört unserer Pflicht nachkommen, Konstabler, die Zeit eilt.«
Behutsam hoben Dr. Beltram und Dr. Henry die Frau auf, trugen sie zur Limousine hinüber. Etwas umständlich legten sie die Verletzte auf die hinter Sitzbank.
Bevor Dr. Henry einstieg, wandte er sich noch einmal an Meeker.
»Ihre Namen, Konstabler?« fragte der Dr. Henry, bevor er einstieg.
»Meeker und Rawn«, sagte Fred Meeker.