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Ein London-Krimi von

Edgar Wallace

Nacherzählt von

Alex Barclay

Das Silberne Dreieck
und
Die Dame aus Brasilien

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ISBN 978-3-03864-905-2

Alle Urheberrechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Wiedergabe in jeder Form, einschließlich einer Verwertung in elektronischen Medien, der reprografischen Vervielfältigung, einer digitalen Verbreitung und der Aufnahme in Datenbanken, ausdrücklich vorbehalten.

Lektorat: Horst u. Fritz Eibl (A)

Umschlaggestaltung: Agentur flin unter Verwendung von iStock-Fotos.

Copyright © 2017 by ARAVAIPA–Verlag,
Egg bei Zürich, Freudenstadt, Tucson

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ARAVAIPA im Internet: www.aravaipa.ch

Das Silberne Dreieck
und
Die Dame aus Brasilien

1. KapitelEin Mann fürs Leben

2. KapitelZürich ist kein Zirkus

3. KapitelDie seltsame Dame

4. KapitelSnake Eye schaltet sich ein

5. KapitelEin Mann namens Lexfield

6. KapitelDer Köder an der Leine

7. KapitelDer Diamantenring

8. KapitelDie Transaktion

9. KapitelTote tragen keinen Schmuck

1. Kapitel

Ein Mann fürs Leben

Der einzige Mensch, dem Gary Lexfield vertrauen konnte, war ein verkrüppelter Zwerg. Monk hieß er. Das war sein Vorname und sein Familienname. Nicht einmal Monk selbst wusste, woher er kam und wer seine Eltern waren. Vielleicht Zigeuner. Vielleicht Einsiedler vom Romney Marsh, einem abgelegenen Sumpfgebiet hundert Kilometer südöstlich von London und hart an der Küste zur Meerenge von Dover.

Irgendwann als Kind war Monk krank geworden. Seine Knochen hatten sich zu immer größer werdenden Verwachsungen gebogen. Nichts an ihm stimmte. Alles war krumm, voller Buckel und mit knorpeligen Wülsten. Ein Auge war ziemlich zugeschwollen, das andere unnatürlich groß. Früher, als alles noch nicht so schlimm gewesen war, hatte ihn ein Mann von Jahrmarkt zu Jahrmarkt mitgenommen. Und die Leute hatten Eintritt gezahlt, um ihn zu sehen. MONK, DER ELEFANTENMENSCH! UNGLAUBLICH, ABER WAHR! EIN SHILLING EINTRITT! KINDER DIE HÄLFTE!

Es war alles schlimmer geworden seither.

Monk wagte sich nicht mehr aus dem Haus. Wenigstens nicht bei Tageslicht. Nachts ging er ab und zu in den Wald, trieb sich herum mit den Füchsen, und Leute im Dorf behaupteten, dass bei Vollmond ein einzelner Werwolf zu beobachten wäre, jenseits des Flusses im großen Forst.

Die Leute verboten den Kindern, dorthin zu gehen, und einmal, im letzten Winter, als Bobby Allison von der Schule nicht nach Hause kam, holten die Männer vom Dorf ihre Büchsen hervor und veranstalteten eine Hetzjagd durch den Forst. Später fand man Bobby am Fluss. Er war ertrunken. Im Eis eingebrochen und ertrunken. Und irgendwo hatte er Wunden, wie man später behauptete, als Bobby längst begraben war. Wunden von Zähnen und Krallen.

Monk zeigte sich nie jemandem. Er blieb im Haus auf dem Maple Hill, und er machte nie Licht an, wenn er alleine war. Das eine Auge, das er noch hatte, war ein gutes Auge. Er konnte nachts damit so gut sehen wie eine Katze. So verrichtete Monk die Arbeiten im großen Park draußen, wenn es dunkel war, und tagsüber verkroch er sich im Kellergewölbe des alten Hauses, in einer geheimen Gruft, die er zufällig entdeckt hatte.

Außer ihm wusste niemand von der Gruft. Auch nicht der Mann, dem Monk das Leben verdankte. Gary Lexfield, den die Leute vom Dorf Lord Lexfield nannten, obwohl er selbst Adelstitel zu seiner Person nie in den Mund nahm, so dass die Dorfleute nicht sicher waren, ob er überhaupt ein richtiger Lord war.

Auf jeden Fall war Gary Lexfield der Besitzer des Herrschaftshauses auf dem Maple Hill, das fast hundert Jahre lang leer gestanden hatte, weil die ehemaligen Besitzer keinen Käufer finden konnten. Das Haus zwischen den mächtigen alten Bäumen und dem ineinander verwachsenen Buschwerk sah düster und verboten aus. Die Mauern, aus Granit-Quadersteinen errichtet, waren mit Moos und Efeu bewachsen. Das Haus hatte viele Erker und Zinnen, so dass es fast wie ein Schloss aussah, schmale Fenster, die vergittert waren, und eine hohe Mauer darum herum.

Von der Ebene herauf führte ein alter Karrenweg in zwei Kehren zum großen Tor, das immer zugesperrt war. Die Leute im Dorf wussten wenig über Lexfield, waren aber stolz darauf, ihren eigenen Lord zu haben. Und sie wagten es nicht, zum Haus auf dem Hügel hinaufzugehen, auch wenn sie noch so von der Neugier geplagt wurden. Auf dem Haus laste ein Fluch, wurde hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, denn in diesem alten Gemäuer hatten vor mehr als hundert Jahren fünf Menschen einen grausamen Tod gefunden. Im Dorf gab es zwar keine Leute mehr, die damals schon am Leben gewesen waren, nicht einmal der alte Joe Hatch, aber in der Kirchenchronik war alles nachzulesen, was damals passiert war. Und so wussten es die Leute, so als ob sie es selbst erlebt hätten, auch die Kinder.

Reverend Walsh warnte oft vor dem Haus. Er selbst war einmal oben gewesen. Während eines Gewitters hatte er bei der Mauer Schutz gesucht, und beinahe war er vom Blitz erschlagen worden. Seither hatte er ein Brandmal an der linken Hand, eine schrumpelige Narbe. Seither fürchteten sich die Leute noch mehr als je zuvor.

Es war September, als Gary Lexfield wieder einmal ein Wochenende im Haus auf dem Hügel verbrachte.

Ein strahlender blauer Himmel wölbte sich über dem Land. Der Forst leuchtete in bunter Herbstpracht, mit blutrotem Ahorn, mit goldenen Pappeln und dunkelgrünen Nadelbäumen. Die Luft war so klar, dass man vom Ostflügel des Hauses aus London hätte sehen können, wenn über der Stadt nicht eine Dunstwolke gehangen hätte.

Lexfield hatte eine junge, hübsche Frau mitgebracht. Sie war so schön, dass Monk erst glaubte, sie wäre ein Engel, den sich Lord Lexfield vom Himmel geangelt hatte. Langes blondes Haar fiel ihr in sanften Wellen über die Schultern, und umrahmte ein schmales, liebliches Gesicht mit großen blauen Augen. Monk wollte sich ihr nicht zeigen, aber Lord Lexfield lachte, legte ihm eine Hand auf die Schulter und erklärte, dass er nichts zu fürchten hätte, denn bei der jungen Frau handle es sich um einen außergewöhnlich liebenswerten Menschen.

Am Abend, als im Speisesaal auf dem Tisch Kerzen brannten und im Kamin ein Feuer knisterte, führte Mr. Lexfield Monk herein und stellte ihn der jungen Dame vor. »Das ist mein persönlicher Diener und der gute Geist hier im Haus, meine Liebe«, sagte er. »Monk ist sein Name.«

Der Lichtschein des Kaminfeuers tanzte über dem verwüsteten Gesicht Monks. Sein Mund, ein Loch zwischen höckerigen Wülsten, verzog sich etwas. Krumm auf seinen Stock gestützt, verbeugte er sich mühsam und streckte der jungen Dame seine linke Hand hin, die von der Krankheit noch nicht so stark befallen war.

Wenn er erwartet hatte, dass die junge Dame zurückfahren oder gar einen Schrei des Entsetzens ausstoßen würde, sah er sich getäuscht. Sie ergriff seine Hand und drückte sie fest, während sie ihm ohne Scheu ins Gesicht sah.

»Ich freue mich, dich wohlauf zu sehen, Monk«, sagte sie mit einer hellen, freundlichen Stimme. »Mr. Lexfield hat mir viel von dir erzählt.«

»Willkommen auf Maple Hill«, sagte Monk, und man musste genau hinhören, um seine Worte zu verstehen, denn sie bestanden aus krächzenden Lauten, die tief aus seinem Inneren zu kommen schienen.

In aller Heimlichkeit und wann immer sich ihm die Gelegenheit bot, beobachtete Monk an diesem Abend die junge Dame, die fast noch ein Mädchen war. Und später, als es still war im Haus, ging er hinunter in die Gruft, wo er im Dunkeln saß und grübelte. Er fürchtete um die junge Dame. Und er fürchtete, dass Mr. Lexfield von ihm verlangen würde, sie umzubringen, denn sein Herr und Meister hatte seine dunklen Seiten, die er Monk als einziger kannte.

Dieser schreckliche Gedanke plagte ihn die ganze Nacht hindurch. Er konnte nicht einschlafen. Ruhelos wanderte er in der Gruft umher, hockte sich auf die alten Steinsärge und raufte sein borstiges Haar. Warum nur vertraute dieses edle und sicherlich auch intelligente Geschöpf einem Mann wie Mr. Lexfield? Hatte sie denn die Gefahr in der sie sich hier befand tatsächlich nicht erkannt? Oder konnte es sein, dass sie mit ihm ihr eigenes Spiel trieb und ihre eigenen Ziele verfolgte. Wie gefährlich das für sie werden konnte, wusste sie bestimmt nicht, und so wünschte sich Monk es nie mehr Tag werden, doch irgendwann drang ein bisschen Licht durch eine Spalte in die Gruft hinein, und Monk ging nach draußen, wusch sich in einem Quelltümpel bevor er sich zurück ins Haus begab, um das Frühstück zu machen.

Er war in der Küche, als Mr. Lexfield hereinkam. Lexfield trug seinen samtenen Morgenmantel mit dem goldenen Monogramm kunstvoll auf die Brusttasche gestickt. Er sah munter aus, so als hätte er gut geschlafen. Sein Haar war wie immer sorgfältig gescheitelt und gekämmt. Er war frisch rasiert und roch nach Rasierwasser.

»Elsa wird hierbleiben«, sagte er, während er zum Fenster hinausblickte.

Monk fröstelte.

»Ich weiß nicht, wann ich wieder hierher komme, Monk«, sagte Lexfield vom Fenster her. »Es kann einige Wochen dauern, zwei oder drei.«

Monk sagte nichts. Er setzte Tee auf.

»Wir haben einen neuen wunderschönen Buntsprecht im Garten«, sagte Mr. Lexfield plötzlich. »Ist er dir schon aufgefallen, Monk?«

Monk nickte, und jetzt drehte sich Lexfield vom Fenster weg. Er lächelte und kam herüber.

»Ich kann mich auf dich verlassen, nicht wahr, Monk?«, fragte er und legte ihm den Arm um die Schultern. Monk konnte nicht verhindern, dass er zusammenzuckte und am ganzen Körper zu zittern anfing.

»Ist dir nicht gut?«, fragte Lexfield. »Mein Freund, du zitterst ja.«

Monk schüttelte den Kopf. »Es ist gut, Sir«, presste er hervor. »Ich habe in dieser Nacht wenig geschlafen.«

Irgendwo im Haus ertönte die helle Stimme von Elsa. Sie rief nach Mr. Lexfield, der die Küche sofort verließ. Wenig später sah Monk die beiden vom Fenster aus, wie sie durch den Park schlenderten, über die Wiese, die mit einem bunten Teppich von Herbstblättern bedeckt war. Elsa hakte sich bei Mr. Lexfield ein und hüpfte wie ein junges fröhliches Mädchen neben ihm her. Und Monk hörte sie lachen und sah Mr. Lexfield zum Fluss hinunter zeigen, wo sich ein ganzer Schwarm von Wildenten aus dem Wasser flatterte und dicht über ein Stoppelfeld hinweg flog.

Es war ein schöner Sonntagmorgen, und Elsa hatte keine Ahnung, dass es ihr letzter sein sollte.

Raymond Poiccart hatte auf dem Blumenmarkt eine einzige wunderschöne Orchidee von zartem Lila gekauft. Und irgendwo im Haus in einem Schrank, dessen Geheimnisse nur ihm vertraut waren, fand er die dazu passende, äußerst elegante Vase mit schlankem Hals. Er tauschte sie gegen die chinesische Vase aus, die sonst auf dem kleinen Marmortisch im Salon stand, drehte die Blüte ins Licht des Lüsters und war schließlich mit sich und der Welt zufrieden.

George Manfred, der es sich mit der Abendausgabe des Daily Megaphon auf dem Sofa bequem gemacht hatte, blinzelte über den Zeitungsrand hinweg und gab ein Geräusch von sich, das Poiccart für ein Kompliment hielt.

»Ich wusste gar nicht, dass dir Schönheit auffallen könnte, wenn sie nicht einen Rock trägt, mein Freund«, sagte Poiccart so trocken, dass George den Kopf einzog und sich sogleich wieder hinter der Zeitung versteckte.

Leon Gonsalez kam spät nach Hause. Er hatte ein neues Buch des Gesichtsforschers Signore Paolo Mantegazza aufgestöbert und freute sich so sehr darüber, dass ihm weder die Vase noch die Orchidee auffielen. Poiccart nahm sich insgeheim vor, demnächst einen Kaktus auf das Marmortischchen zu stellen. In diesem Moment klingelte das Telefon.

»Soll ich?«, fragte Poiccart. Er fragte selten. Meistens nahm er die Gespräche entgegen, denn er hielt sich selbst für den einzigen qualifizierten Anrufbeantworter im Haus, eine Eigenschaft, die ihm niemand streitig machen wollte. Auch diesmal nickte ihm Leon Gonsalez aufmunternd zu.

Poiccart nahm den Hörer ab, und bevor er auch nur sagen konnte, wer er war, meldete das Mädchen vom Amt ein Ferngespräch aus Paris. »Für Mr. Manfred.«

»Moment, bitte schön!« Poiccart streckte George den Hörer entgegen. »Hier, für dich«, sagte er so, als wäre es schon fast ein Verbrechen, nach achtzehn Uhr einen Anruf zu kriegen. »Paris, selbstverständlich.«

Leon, der sich mit seinem Buch in sein Zimmer zurückziehen wollte, blieb stehen.

»Selbstverständlich?«, fragte er verständnislos und entschied sich dazu zu tun, was er eben hatte tun wollen, nämlich umgehend sein Zimmer aufzusuchen. Dies schien einer jener besonderen Abende zu sein, an denen Poiccart sich mit niemandem vertrug, schon gar nicht mit Manfred, dessen unbekümmerte Art ihm ab und zu gehörig auf die Nerven ging.

Poiccart beobachtete George, während dieser telefonierte. Zuerst schien es tatsächlich, als hätte George Manfred jemanden an der Strippe, mit dem er fröhliche Erinnerungen teilte, doch dann wurde er plötzlich ernst.

»Elsa?«, fragte er. »In Zürich?« Mit einem Mal bekam plötzlich seine Stimme einen geschäftsmäßigen Klang. Er drehte Poiccart den Rücken zu. »Verschwunden? Seit wann? Oh, drei Wochen sind vergangen? Sir, sind Sie sicher, dass Elsa nicht irgendwo …«

Manfred wurde unterbrochen, und von jetzt an hörte er fast eine Viertelstunde lang zu, bevor er wieder etwas sagte.

»Selbstverständlich kann ich nach Zürich fliegen, Sir«, sagte er, und Poiccart runzelte die Stirn. Um ihre Barschaft stand es momentan nicht so gut, auch das Bankkonto war überzogen, und so blieb Raymond Poiccart im Moment nur die Hoffnung, dass sich George Manfred an diese leidige Tatsache erinnerte, bevor er irgendwem irgendwelche kostspieligen Zusagen machte. Es schien, als ob Manfreds Gesprächspartner Poiccarts Gedanken erraten hätte, denn plötzlich grinste Manfred von einem Ohr zum anderen, zwinkerte Poiccart zu und sagte: »Selbstverständlich, Sir. Darf ich Ihnen unsere Kontonummer durchgeben?«

Poiccarts Gesicht hellte sich auf. Er tat, als interessiere ihn der Anruf überhaupt nicht mehr, ging in die Küche und setzte Teewasser auf. Im Salon war es eine Weile still. Dann sagte Manfred: »Fünfhundert Pfund? Sir, das wird sicherlich vorerst genügen. Natürlich werde ich sofort den Flug buchen. Jawohl, Sir. Sie dürfen sich auf das Silberne Dreieck verlassen. Zu Ihren Diensten, Sir. Vielen Dank für ihr Vertrauen, Sir. Auf Wiedersehen, Sir.«

Poiccart schepperte mit den Teetassen, die er auf ein silbernes Tablett stellte. Aus dem Augenwinkel und durch den Türspalt sah er, wie Manfred den Telefonhörer so sanft auflegte, als wäre er zerbrechlich. Dann ging er zum Sofa, ließ sich nieder und widmete sich wieder der Zeitung.

Poiccart nahm das Tablett mit der Teekanne und den Tassen von der Anrichte, balancierte es geschickt auf seiner erhobenen Hand und trug es in den Salon. »Ich habe Tee aufgegossen, George«, sagte er so freundlich, dass sein Partner überrascht aufblickte.

»Nett von dir«, sagte er.

Poiccart setzte sich auf den Polsterstuhl. »Er muss noch etwas ziehen«, sagte er. »War ein hübscher Herbsttag heute, nicht wahr?«

Manfred hob eine Braue. »Ausgesprochen hübsch. Was meinst du, wie sieht Zürich im Herbst aus?«

»Ich war noch nie in Zürich.«

»Ach ja.« Manfred faltete die Zeitung zusammen und legte sie auf die Rückenlehne des Sofas. Er wusste genau, dass Poiccart es hasste, wenn man Zeitungen irgendwo hinlegte, anstatt sie in den kleinen Messingständer zu tun, der extra zur Aufbewahrung von Zeitschriften und Zeitungen neben dem Sofa stand.

Leon kam aus seinem Zimmer. »Ich rieche Tee«, sagte er. »Gibt es einen besonderen Grund für ein trautes Zusammensein?«

»Manfred fliegt nach Zürich«, sagte Poiccart. »Nicht wahr, das ist doch deine Absicht, George?«

George Manfred lächelte. »Ich wusste doch, dass du zugehört hast, mein Freund. Und jetzt brennt mir deine Neugier fast ein Loch ins Hemd.« Er lehnte sich zurück und holte tief Luft. »Ich glaube, wir haben endlich wieder einmal einen lohnenden Auftrag«, sagte er nicht ohne Stolz. »Und demnach sind unsere Zukunftsaussichten recht vielversprechend.«

Leon setzte sich. »Was erwartet dich in Zürich, George?«, fragte er. »Eine Gans, die goldene Eier legt?«

»Was hältst du von einem Vorschuss von fünfhundert Pfund, der morgen früh auf unser Konto überwiesen wird?«

»Nicht viel«, gab Leon zu bedenken. »Ich meine natürlich nicht die Summe, George.«

»Ich weiß, dass es nicht zu den Geschäftsgepflogenheiten des Silbernen Dreiecks gehört, Vorschüsse anzunehmen, mein Freund, doch in diesem Fall erschien es mir angebracht, eine Ausnahme zu machen. Unser Freund, Raymond, der es sich zur Pflicht gemacht hat, über unsere Finanzen zu walten, kann dir bestätigen, dass wir wieder einmal, und wie schon so oft, ziemlich knapp bei Kasse sind.«

»Einen Flug nach Zürich könnten wir uns auf gar keinen Fall leisten«, bestätigte Poiccart.

Leon blickte seine beiden Partner forschend an. Es hatte den Anschein, als wären sie eben dabei, sich gegen ihn zu verschwören. »Darf ich vielleicht fragen, wer der großzügige Arbeitgeber ist und um was es sich bei diesem Fall handelt?«

»Setz dich zu uns«, forderte Manfred seinen Partner auf.

Leon Gonsalez, ein dunkelhaariger Mann, mittelgroß und von hagerer Statur, machte es sich im anderen Polsterstuhl bequem. Und so saßen an diesem Abend jene Männer im kleinen Haus an der Curzon Street einträchtig beisammen, die man früher die drei Gerechten genannt hatte.

George Manfred, den die anderen beiden oft gern als ihren Anführer sahen, um ihn an Verantwortung und Pflichtbewusstsein zu gewöhnen; Raymond Poiccart, der sich für einen geborenen Butler hielt und aus distanzierter Sicht seine Mitmenschen zu ergründen suchte; und Leon Gonsalez, der kühle Menschenkenner mit dem unheimlichen Kombinationstalent. Zusammen waren sie das »Silberne Dreieck«, eine Detektiv-Agentur, die es in der kurzen Zeit ihres Bestehens zu einiger Berühmtheit gebracht hatte; gefürchtet von Londons Unterwelt, argwöhnisch respektiert von Scotland Yard.

»Elsa Monarty ist spurlos verschwunden«, erklärte nun George Manfred seinen Partnern. »Vor drei Wochen schickte sie einen Brief nach Hause, in dem sie ihren Eltern mitteilte, dass sie den Mann ihres Lebens getroffen habe. Dieser Brief ist das letzte Lebenszeichen von ihr.«

»Monarty?« Leon blickte so nachdenklich in seine Teetasse, wie eine Wahrsagerin in die Kristallkugel. »Der Name ist mir nicht ungeläufig, es gelingt mir jedoch nicht, ihn unterzubringen.«

»Richard Monarty«, sagte Manfred. »Internationaler und zumeist illegaler Waffenhandel. Pariser Verbindung zur Mafia. Ein Mann, für den sich die Behörden von mindestens zwei Dutzend Staaten interessieren dürften, ganz zu schweigen von Scotland Yard. Lebt im Ausland. Soviel mir bekannt ist, ist es Richard Monarty sogar verboten, britisches Hoheitsgebiet zu betreten. Bestechung hoher Beamter und Steuerhinterziehung werden ihm vorgeworfen!«

»Wusste doch, dass ich ihn kenne«, lächelte Leon Gonsalez. »Ich hatte schon persönlich mit ihm zu tun. Erinnert ihr euch? Es gelang mir beinahe, ihm das Schwindelgeschäft mit Ägypten nachzuweisen, das hätte ihn Kopf und Kragen kosten können.«

»Und einige unserer hochrangigen Staatsangestellten, die sich eigentlich uns gegenüber zu verantworten hätten wenn sie schon von uns bezahlt werden, wären wohl in den Knast gewandert«, ergänzte George die Erinnerungen Leons.

»Da erhebt sich allerdings die Frage, warum sich ein weltweit gesuchter Verbrecher in seiner persönlichen Not an uns wendet«, gab Raymond Poiccart zu bedenken.

»Weil er mir vertraut«, antwortete George Manfred ohne zu zögern. »Ich traf ihn und seine Familie im letzten Winter in Grenoble. Seine Frau ist, im Gegensatz zu ihm, eine hervorragende Schifahrerin. Ich habe mit ihr ein paar Tiefschneeabfahrten gemacht, während Mr. Monarty sich die Zeit am Idiotenhügel vertrieb.«

»Und dabei wirst du bestimmt auch Elsa kennengelernt haben.«