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Das Buch

Was bedeutet Sexualität für uns? Geht es wirklich vor allem um Erotik, Lust und Leidenschaft? Oder eigentlich um Fortpflanzung, Kinderkriegen und Familiegründen? Oder geht es um etwas noch ganz anderes? Der Klinische Sexualpsychologe Christoph Joseph Ahlers sieht Sex als intimste Form von Kommunikation, die uns Menschen zur Verfügung steht. Als intensivste Möglichkeit, wechselseitig Grundbedürfnisse nach Akzeptanz, Verbundenheit und Intimität zu erfüllen. In dieser Kommunikationsfunktion von Sexualität sieht Ahlers den einzigen Grund, warum wir Menschen noch Paare bilden. Eben nicht in der Erregung. Denn die können wir auch ohne Beziehung oder mit uns selbst erleben oder als Dienstleistung erwerben. Und Kinder werden mittlerweile auch im Labor gemacht …

Denken Sie Sex neu – als intimste Form der Kommunikation, die uns Menschen zur Verfügung steht!

Im Gespräch mit dem Journalisten Michael Lissek und der Lektorin Antje Korsmeier gibt Ahlers einen umfassenden Überblick über das gesamte Spektrum sexueller Phänomenen, von alltäglichen Banalitäten über verstörende Extreme bis hin zu größten Glücksmomenten.

Der Autor

Dr. Christoph Joseph Ahlers ist Sexualwissenschaftler und Klinischer Sexualpsychologe. Seit zwanzig Jahren hat er an der Berliner Charité und in seiner eigenen Praxis für Paarberatung und Sexualtherapie hunderte Einzelpersonen und Paare untersucht, beraten und behandelt. Er ist Gastwissenschaftler und Lehrbeauftragter für Sexualwissenschaft, Lehrtherapeut und Supervisor für Klinische Sexualpsychologie sowie Autor zahlreicher wissenschaftlicher und medialer Publikationen.

Für »Vom Himmel auf Erden« arbeitete er zusammen mit dem Journalisten Dr. Michael Lissek und der Lektorin Dr. Antje Korsmeier.

Christoph Joseph Ahlers

mit Michael Lissek

Vom Himmel
auf Erden

Was Sexualität
für uns bedeutet

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Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel »Himmel auf Erden und Hölle im Kopf« als HC im Goldmann Verlag.

Ausgabe Februar 2017
Copyright © der Originalausgabe 2015
by Wilhelm Goldmann Verlag, München
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München,
unter Verwendung von Motiven von © FinePic®, München
DF · Herstellung: Str.
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-21566-8
V003

www.goldmann-verlag.de

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1

Erlösung durch Überwindung von Vereinzelung – Sex als Kommunikation

Kapitel 2

Worauf stehen wir? – Sexualpräferenz und Beziehungspräferenz

Kapitel 3

Der Illusionsvertrag – Verlieben und Zusammenkommen

Kapitel 4

Paar-Mikado – Die Erosion der Beziehungssexualität

Kapitel 5

Zwischen Hamsterrad und Herzstillstand – Sexuelle Funktionsstörungen in der Burn-out-Society

Kapitel 6

Nichts ist unmöglich! – Die Toyotaisierung der Körper

Kapitel 7

Transgender now! – Geschlechtlichkeit nach medialem Schnittmuster

Kapitel 8

Sexting, Dating, Partnering – Internetsexualität 2.0

Kapitel 9

World Wide Porno Web – Sexual Entertainment und Sexual Fiction

Kapitel 10

Unerfüllter Kinderwunsch – zwischen sexueller Fortpflanzung und medizinischer Reproduktion

Kapitel 11

Von ungewöhnlich über schräg bis daneben – Sexuelle Besonderheiten und Absonderlichkeiten

Kapitel 12

Reden, worüber man nicht spricht – Die Sexualtherapie

Danksagungen

Register

Vorwort

Den Anstoß für das vorliegende Buch gab ein Interview, das die Journalistin Heike Faller mit mir über die Inhalte meiner Berufstätigkeit für das ZEIT-Magazin führte.* Hierin habe ich vor allem über die kommunikative Funktion von Sexualität gesprochen. Offenbar haben dadurch viele Menschen einen Eindruck davon gewonnen, wie man Sexualität auf eine andere Weise sehen und verstehen kann – und auch davon, was ein Paar- und Sexualpsychologe eigentlich tut, mit welchen Ängsten und Problemen, Sorgen und Nöten die Menschen Paar- und Sexualberatung aufsuchen.

Als mir im Anschluss daran der Vorschlag unterbreitet wurde, ein populärwissenschaftliches Sachbuch über die Bandbreite und Bedeutung von Sexualität zu schreiben, über die zugehörigen Probleme und Schwierigkeiten sowie ihre Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten, wusste ich sofort, dass ein solches Buch ebenfalls aus Gesprächen bestehen müsste. Denn ich denke dialogisch. Im Dialog mit einem anderen bin ich in der Lage, Gedanken und Assoziationen zu entwickeln, auf die ich ohne ein Gegenüber nicht kommen würde.

Für dieses Buch habe ich mich mit Michael Lissek zusammengetan. Über zwanzig Mal haben wir uns getroffen und stundenlang über Sex gesprochen. Danach hat Michael Lissek die Gespräche in eine lesbare und verständliche Form gebracht, die ich dann inhaltlich durchgearbeitet habe. Am Ende hat Antje Korsmeier als Lektorin den Text auch aus der Perspektive einer Frau kritisch gegengelesen und mitunter weitere Fragen aufgeworfen, Perspektiven verändert und ergänzt.

»Vom Himmel auf Erden« will zu einer Expedition einladen, bei der es um nicht weniger als die Gesamtheit sexueller Erlebniswelten und Erfahrungsmöglichkeiten geht: von absoluten Glücksmomenten über gewöhnliche Alltagsprobleme bis hin zu schmerzlichsten Abgründen. Im Internet entstandene und möglicherweise anonyme Gelegenheitssexualkontakte werden ebenso thematisiert wie perspektivisch angelegte partnerschaftliche Sexualbeziehungen.

So schreitet das Buch die gesamte Bandbreite der Phänomene und der jeweiligen Bedeutung von Sexualität für uns Menschen ab. Dieser Umstand war weniger ein vorausgehender Anspruch als vielmehr das Ergebnis unserer Arbeit. Wir sind einmal inhaltlich durch dick und dünn gegangen. Und zwar in einer Art und Weise, von der wir glauben, dass jeder, der will, mitgehen kann.

Herausgekommen ist ein umfassendes Bild davon, worum es für uns Menschen beim Thema Sexualität geht, welche Beglückungen und Erfüllungen es dabei gibt und welche Ängste und Sorgen damit einhergehen können. Und nicht zuletzt, wie man in einer paar- und sexualtherapeutischen Behandlung mit diesen Schwierigkeiten umgehen kann.

Dabei ist dieses Buch kein Beziehungsratgeber. Sollte Ihre Beziehung nach der Lektüre besser laufen (was durchaus möglich ist), dann nicht weil ich Ihnen »Tipps und Tricks« verraten habe. Sondern weil es mir vielleicht gelungen ist, Ihnen ein neues, erweiterndes und dadurch womöglich befreiendes Verständnis von Sexualität zu vermitteln. Ein Bewusstsein für die tiefere Bedeutung von Sexualität, vor allem ihrer kommunikativen Funktion. Diese habe ich mir nicht selbst ausgedacht. Sie ist Errungenschaft und Vermächtnis der Sexualwissenschaft, einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin, die Ende des 19. Jahrhunderts vor allem in Berlin entstanden und von hier aus in alle Welt gegangen ist. Sexualwissenschaft, wie ich sie gelernt habe, verstehe und anwende, ist humanistisch, reformatorisch, aufklärerisch und emanzipatorisch. Sie kann helfen, sich von sozialnormativen Erwartungen und Ansprüchen, vor allem von gesellschaftlichen wie persönlichen Leistungsanforderungen bezogen auf den Lebensbereich Sexualität (aber auch anderswo), zu emanzipieren, um so befreiter und glücklicher zu leben.

Dabei betrachte, beschreibe und behandle ich das Thema Sexualität aus meiner beruflichen Perspektive. Ich bin Klinischer Paar- und Sexualpsychologe. In meine Praxis kommen Menschen mit Problemen, Ängsten und Sorgen – und manchmal auch mit krankheitswertigen Störungen. Menschen, die unter Aspekten ihrer eigenen oder der Sexualität ihres Partners oder ihrer Partnerin leiden und Hilfe suchen.

Meine Sichtweise auf Sexualität ist daher von der konkreten, klinischen Anwendung sexualwissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden auf sexuelle Probleme und Störungen geprägt. Das ist der Grund, warum meine Gedanken und Ausführungen weniger einen geistes-, gesellschafts- oder sozialwissenschaftlichen Fokus haben als vielmehr den der angewandten Lebens-, Human- und Gesundheitswissenschaften. Ich bin eher Praktiker als Theoretiker. Wobei meiner praktischen Tätigkeit profunde Theorien zugrunde liegen, die ich ebenfalls ausführe und erkläre. Das Praktischste, was es gibt, ist immer eine gute Theorie …

Dass ich aus der angewandten Sexualwissenschaft und hier konkret aus der Klinischen Sexualpsychologie komme, führt auch dazu, dass ich bei der Betrachtung sexueller Phänomene und Probleme relativ häufig auf die Randzonen der statistischen Normalverteilung schaue, auf die Extremausprägungen der Gauß’schen Glocke. Ich fokussiere häufig auf seltenere, mitunter exzentrisch anmutende sexuelle Minderheitenphänomene, die statistisch betrachtet zwar nur wenige betreffen, also den »Durchschnittsbürger« eventuell nicht repräsentieren, die aber die grundlegenden Aspekte unserer sexuellen Bedürfnisregulation umso deutlicher vor Augen führen.

Aber was heißt schon »Normalität« im Sexuellen? Die meisten kennen in Verdünnungsstufen seltsam erscheinende, womöglich auch irritierende Phänomene und Probleme in der Sexualität von sich selbst oder anderen. Meistens nicht in einer krankheitswertigen Ausprägung, möglicherweise aber als Vorgestalt – zum Beispiel in Form sexueller Funktionsstörungen, die vielen Menschen im Laufe ihres Lebens widerfahren. Oder das Phänomen der Eifersucht. Meistens gehen solche Ausprägungen nicht so weit, dass jemand im buchstäblichen Sinne impotent oder zum Stalker wird. Aber eine »Ahnung« davon lernen viele Menschen im Laufe ihres Lebens kennen. Etwa dann, wenn sie sich sorgen, ob beim nächsten Mal in sexueller Hinsicht wieder alles klappt, oder sie den Impuls verspüren, im Handy der Partnerin oder des Partners zu spionieren …

Dieser Umstand führt dazu, dass es in meinem Denken und (Be-)Handeln kein Entweder-oder gibt. Es gibt nicht »entweder gesund oder krank«, »entweder gestört oder intakt«. Wir alle befinden uns mit unserem Erleben und Verhalten auf einem Kontinuum zwischen gesund und gestört. Mal ein bisschen mehr links, mal ein bisschen mehr rechts – je nach Lebens- und Beziehungssituation. Der eine ist bezogen auf eine bestimmte Eigenschaft ein bisschen mehr gestört als der andere. Auf ein anderes Merkmal bezogen, mag es umgekehrt sein.

Was ich damit vollziehen möchte, ist ein Abschied von kategorialen Einteilungen und Bewertungen menschlicher Eigenschaften und Verhaltensweisen in Sinne eines Entweder-oder (richtig oder falsch / gut oder schlecht), um stattdessen eine konsequent kontinuale Betrachtung und Sichtweise auf Phänomene und Probleme zu ermöglichen. Nicht nur, aber vor allem im Sexuellen ist es so, dass so gut wie immer ein »Sowohl-als-auch« vorliegt. Dass wir uns mit unseren Eigenschaften, Erlebnis- und Verhaltensweisen so gut wie immer auf einem Kontinuum in Graubereichen zwischen astral gesund und schwerst gestört bewegen. Aber dazu mehr im Buch.

»Vom Himmel auf Erden« soll eine Einladung sein, einen Eindruck von der gesamten Spannweite dessen zu gewinnen, was uns Menschen in den Lebensbereichen Liebe, Sexualität und Partnerschaft umtreibt. Dass es dabei auch leichtfüßig, verständlich und sogar unterhaltsam zugehen kann, ist sowohl Bestandteil meiner klinischen Arbeit als auch Anliegen der Art und Weise, in der wir dieses Buch geschrieben haben.

Darum wünschen wir nun: viel Spaß beim Lesen!


* Vom Himmel auf Erden. Wissen wir wirklich alles über Sex? Ein Gespräch mit dem Sexualpsychologen Christoph Joseph Ahlers von Heike Faller. 25. April 2013. ZEITmagazin Nº 18/2013. Online unter http://www.zeit.de/2013/18/sexualitaet-therapie-christoph-joseph-ahlers.

KAPITEL 1

Erlösung durch Überwindung von Vereinzelung – Sex als Kommunikation

Was den Hütern des tätigen Lebens und den Gottsuchern

so verdächtig ist, die Nähe des Nächsten,

seine Wärme und sein Bild, (…) das ganze Ausmaß

des atmenden dampfenden Körpers (…), es fiel mir zu.

Als ob ich in der Berührung einsänke und verginge …

Hans Henny Jahnn