Meiner Maja – Mensch, geliebte Frau
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Meiner Maja – Mensch, geliebte Frau
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In dir fließt ein Fluss
Den Meister fragte eines Tages der Schüler:
»Wohin gehen die Gedanken, die ich nicht denke?« Der Meister schwieg.
»Woher kommen die Gedanken, die ich denke?« Wiederum schwieg der Meister.
»Was ist in mir, was mich denken lässt?«
Der Meister erhob sich, stellte sich vor die Lotusblume in seinem kleinen Teich und wies auf sie.
»Siehst du diese?«, fragte er den Schüler.
»Ja, ich sehe sie!«
Dann hob der Meister die Hand und zeigte auf einen Kranich, der in der Ferne in der Luft zu stehen schien.
»Siehst du auch diesen?«
»Ja, Meister, ich sehe den Kranich!«
»Was fragst du nach den Gedanken, die nicht sind, die du nicht denkst? Und was fragst du nach dem Ursprung der Gedanken, die du denkst? Die Gedanken sind wie ein Fluss. Sie strömen, hinterlassen Spuren, löschen den Durst, tragen die Traumboote und Segelschiffe mit den Erfahrungen des Alltags.
Sie verbinden Quelle und Mündung und sind doch auch beides. Die Gedanken, gedacht und ungedacht, sind der Fluss in dir, dessen kostbares Nass dich labt, reinigt, erfrischt, auch bedroht. Lerne, die Gedanken im Fluss fließen zu lassen. Sie verkehren zwischen Quelle und Mündung und Quelle und sind der einzige Schatz neben der Liebe, der uns nicht genommen werden kann.«
Der Meister setzte sich wieder und nahm eine Tasse mit goldgelbem Tee in seine Hände, schaute hinein und hob den Blick hinüber zu seinem Schüler:
»Ich bin in diesem Tee und doch bin ich nicht der Tee, ich bin in meinem Fluss und bin doch nicht der Fluss. Ich schenke ihm und mir meine ganze Aufmerksamkeit und sehe so mein Spiegelbild – hier im Tee, dort im Fluss – und erkenne im Bild das Sein. Alle Gedanken führen zum Sein, auch die nicht gedachten Gedanken.«
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Liebe
Während die Sonne aufging, die der Meister still versunken betrachtete, räusperte sich der Schüler und fragte:
»Meister, ich habe nie die Liebe kennengelernt. Wie kann ich sie erleben?«
Der Meister sah ihn kurz an und blickte dann wieder auf das Naturschauspiel, schwieg jedoch.
»Ist die Liebe in jedem Menschen?«
Es verging wieder eine ganze Weile. Als die Sonne nicht mehr rot glänzte, wandte sich der Meister seinem Schüler zu. Auf seinem Gesicht lag ein tiefes Lächeln.
»Hast du die Sonne betrachtet, während sie ihr Bett verließ?«
»Nein, Meister, ich war mit meinen Fragen beschäftigt.«
»Dann frage morgen noch einmal!«
Damit erhob sich der Meister und ging davon.
Am nächsten Morgen saßen sie wieder auf dem kleinen Hügel. Still versunken betrachtete der Meister den Sonnenaufgang. Das dunkle Rot wurde immer heller und schließlich war die Sonne so gleißend, dass der Meister die Augen schließen musste.
Im Öffnen der Augen wandte er sich seinem Schüler zu: »Hast du die Sonne gesehen?«
»Ja, Meister, das habe ich. Aber – die Liebe habe ich nicht gesehen.«
»Die Liebe ist wie die Sonne. Sie geht in deinem Herzen auf, begleitet dich dein Leben lang und wird nie enden. Wenn du deine Augen dem Dunkel, dem Zweifel, dem Irrtum, den Fragen ohne Antworten, der Hoffnungslosigkeit, der Herrschsucht, der Flucht vor der Verantwortung und der Dummheit zuwendest, wirst du keine Liebe erfahren. Die Liebe wartet auf deine Begegnung mit ihr in deinem Innern, will erkundet, erfahren, verstanden werden. Du hast die Liebe schon erlebt, auch wenn du das vielleicht nicht so wahrgenommen hast. Ein kleiner Hauch von Zärtlichkeit deiner Eltern ist schon Liebe. Eine leichte Berührung mit dem Wissen der Welt ist schon Liebe. Ein stilles Wahrnehmen von Musik ohne Musik ist schon Liebe. Das offene Begegnen mit deinen Träumen ist schon Liebe. Das respektvolle Sprechen, Schauen, Erkennen, Schweigen, das alles ist schon Liebe.«
Der Schüler senkte den Kopf und überdachte die Antworten.
»Gestern hast du nicht gesehen, was hier und jetzt geschieht, das dir dein Herz anrühren kann. Heute hast du mit mir die Sonne betrachtet. Hinter deiner Stirn jagten sich jedoch die Gedanken voller Ungeduld. Lerne Geduld zu haben, lerne geduldig zu sein. Die Geduld ist deine Schwester. Mit ihr zusammen kannst du deine Gedanken dann verjagen, wenn sie nicht gebraucht werden. Setze dich morgen allein auf diesen Hügel und betrachte das Aufgehen der Sonne – und nur dies. Ist der morgige Tag wolkenverhangen, dann komme am nächsten Tag wieder. Liebe braucht geduldiges Warten, frohes Erkennen und inniges Festhalten.«
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Ursprung und Ziel
Der Meister saß in seinem Garten und blickte auf die Kreise, die ein Stein in seinem Teich erzeugt hatte. Im Mittelpunkt waren sie hoch und klein und nach außen hin wurden sie immer schwächer und größer, erreichten aber dennoch das Ufer und gaben so dem Wasser am Rand eine leichte Bewegung. Als die Oberfläche wieder ganz still war, warf er einen zweiten Stein in die Mitte und wartete.
»Meister, was macht Ihr da?«, fragte der Schüler, der den Tee gebracht hatte.
»Ich suche den Ursprung und das Ziel.«
»Wovon?«
»Von allem, was ist und nicht ist.«
»Das hofft Ihr, in diesen Wellen zu finden?«
»Ich hoffe es nicht, ich weiß es. Zur Erzeugung des Ziels brauche ich einen Ursprung. Und zur Bestimmung des Ursprungs ist ein Ziel gesetzt. Ursprung und Ziel verbinden einander in der Bewegung, geben Energie von innen nach außen und berühren am Ende die Welt.«
»Könnt Ihr Ursprung und Ziel beeinflussen, Meister?«
»Ich bin die Energie für den Ursprung und das Ziel. Und auch: Meine Energie speist sich aus dem Ursprung für das Ziel. Und auch: Im Ziel findet meine Energie ihren Sinn.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Das Universum mit all seinen Phänomenen erscheint dir vor deinem Auge, deinem Ohr, deiner Nase, deiner Berührung, im Schmecken der Dinge. Das Universum ist dadurch, dass du es wahrnimmst. Nimmst du nichts wahr, ist auch kein Universum. Der Prozess deiner Begegnung mit der Welt durch deine Sinne ist aus deinem Antrieb entstanden. Willst du nichts erkennen, wird auch nichts sein. Willst du erkennen, musst du im Ursprung beginnen. Diesen Ursprung zu finden, sitze ich hier und werfe Steine ins Wasser, sehr wohl wissend, dass dieser Teich eines Tages voll sein wird mit Steinen und keine Wellen mehr entstehen werden. Ich sollte also Ursprung und Ziel vorher gefunden haben.«
»Meister, bis dieser Teich voll ist mit Euren Steinen, werden Jahrhunderte vergehen, da Ihr ja immer wartet, bis die Oberfläche still ist.«
»Und schon hast du etwas begriffen! Und auch ich habe in diesem Moment begriffen, dass Ursprung und Ziel nur in mir zu finden sind. Jeder hat seinen eigenen Ursprung, sein eigenes Ziel. Ich wende mein äußeres Auge nach innen, mein äußeres Ohr nach innen, meine äußeren Berührungen nach innen, das Schmecken mit der Zunge nach innen. In dieser Wende besteht der Stein, der mir den Ursprung offenbart. Und diese Offenbarung schmecke ich, rieche ich, sehe ich, höre ich, berühre ich. Das Universum wächst mit jeder dieser Offenbarungen. Und mit ihm wachse ich.«
Der Schüler sann über das Gehörte nach. »Meister, ich mache doch den ganzen lieben Tag nichts anderes als sehen, hören, schmecken, riechen, berühren. Wo liegt hier die Weisheit?«
»Sie liegt im bewussten Erkennen, im Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Berühren. Du wirst einen Baum beim zweiten oder dritten Mal anders sehen oder eine Melodie beim zweiten Mal anders hören. Vom Ursprung her sind sie gleich. Das Ziel ist jedes Mal ein anderes. Du kannst dieses Ziel auch nicht festhalten. Mit einer leichten Drehung deines Kopfes wird deine Ansicht sich verändern. Bist du weiter weg von der gleichen Melodie, hörst du sie im weiten Raum völlig anders entfaltet als in einem kleinen Pavillon. Unser bewusstes Sein bringt uns zur Weisheit für das Erkennen des Lebens.«
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Wahrheitssuche
»Meister, was ist Wahrheit, was ist Unwahrheit?«, wollte eines Tages der Schüler wissen, als der Meister im Garten saß und die Sterne betrachtete.
»Ich weiß es nicht!«, sagte der Meister und richtete seinen Blick auf einen besonders hellen Stern. Dorthin deutete er und fragte: »Dieser Stern dort, ist er oder ist er nicht?«
»Er ist, Meister, sonst sähe ich ihn nicht.«
»Er scheint, denke ich, das ist die richtige Betrachtungsweise. Wie weit weg sind wir von diesem Stern? Lebensweit? Undenkbar weit? Und doch scheint er uns an diesem Nachthimmel. Sein Weg des Scheinens bis zu uns hat irgendwann und irgendwo begonnen. Wissen wir, ob er noch ist? Ist das vielleicht seine unendlich letzte Botschaft an uns, sich vor dem Schein zu hüten?«
Der Schüler schüttelte den Kopf und meinte nach einigem Nachsinnen: »Was meine Augen sehen, muss doch sein. Was meine Ohren hören, existiert, sonst nähme ich es nicht wahr!«
»So scheint es, so scheint es uns auch mit der Wahrheit. Wir meinen, was wir sehen, ist wahr. Was wir hören, existiert. Was wir denken, ist. Aber es ist mein Sehen, mein Hören, mein Denken – ist es dann schon Wahrheit?«, erwiderte der Meister und richtete seine Aufmerksamkeit auf einen Stern, der kaum noch zu sehen war.
»Ist Wahrheit nur das, was weder durch Sehen, durch Hören, durch Denken ist?«, wagte der Schüler eine weitere Frage.
Der Meister lächelte und schwieg eine Weile. »Wahrheit ist alles und auch nichts! Der Stern braucht zum Scheinen die Dunkelheit, ist das Wahrheit? Das Denken braucht Fragen und Antworten, ist das Wahrheit? Das Nichts braucht das Sein, ist das Wahrheit? Das Einzige, das ich als glückbringend erfahren habe, ist die Liebe.«
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Lebensbrunnen
Als der Meister und der Schüler bei der Oase ankamen, setzte sich der Meister an den Brunnen und schaute in das klare Wasser. Er sah darin die Wolken ziehen und die Bewegungen der Palmwedel. Hin und wieder traf auch ein Sonnenstrahl auf die Oberfläche und sprenkelte das Wasser mit silberfarbenen Funken. Die Gesichtszüge des Meisters veränderten sich. Eine heitere Gelassenheit breitete sich darauf aus und er richtete sich auf.
»Meister, ist Euch nicht gut?«, fragte der Schüler besorgt.
»Wie kann mir nicht gut sein beim Blick in meinen Lebensbrunnen?«
»In Euren Lebensbrunnen?«