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© für die Originalausgabe und das eBook: 2017 F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel
eBook-Produktion: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten
ISBN 978-3-7766-8264-9
Inhalt
Einladung
Einführung
Was ist CORPORATE ALCHEMY©?
I. Die Erfolgsformel: »Erkenne dich selbst!«
II. Die Wurzeln unserer Kreativität
III. Was unsere Kreativität hemmt
IV. Wie CORPORATE ALCHEMY© funktioniert
V. Aus Bequemlichkeit angepasst: Der Opportunist
VI. Immer den Weg des geringsten Widerstandes: Der Diplomat
VII. Recht haben um jeden Preis: Der Experte
VIII. Bestätigung durch die Sache: Der Macher
IX. »Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt!«: Der Individualist
X. »Ich ziehe die Fäden zusammen«: Der Stratege
XI. Im Fluss der Dinge ist er Lenker: Der Alchemist
XII. Persönlichkeit und Entwicklung
XIII. Die Typen-Mosaik-Analyse (TMA)©
XIV. Personal Alchemy© – Die Erweckung des kreativen Potenzials
XV. CORPORATE ALCHEMY© – Die Transformation eines Unternehmens
Anhang
Für Manager und Unternehmen: das Assessmentcenter Kurfürstendamm, Berlin
Literatur
Leseprobe
Hinweis: Die grammatisch maskulinen Formen meinen aus Gründen der besseren Lesbarkeit immer zugleich die femininen Formen. Wir bitten Sie, uns dies nachzusehen.
»Der Mensch ist nichts anderes als das, wozu er sich macht.«
Jean-Paul Sartre (1905–1980)
Einladung
Auf die Aufforderung: »Spring ins kalte Wasser!« antwortet
❙ der Opportunist: »Wenn es notwendig ist, dann springe ich.«
❙ der Diplomat: »Ich werde andere schwindelig reden, bis diese mit mir zusammen springen.«
❙ der Experte: »Ich prüfe Strömung, Temperatur, die Zeitdauer – wie lange ich verweile, werde ich zuvor genau festlegen.«
❙ der Macher: »Ich werde mich schon warm schwimmen und andere überzeugen, ebenfalls zu springen.«
❙ der Individualist: »Sobald ich den Sinn erfasst habe, werde ich alle überzeugen, dass mit meinem Sprung neue Zielbilder, Werthaltigkeiten und Verwirklichungsmöglichkeiten für jeden möglich sind. So setze ich mit meinem Sprung einen neuen Trend.«
❙ der Stratege: »Ich sorge mit meinem Sprung dafür, dass erkannt wird: Wir alle ziehen an einem Strang. Da kaltes Wasser allgemein die Gesundheit fördert und gesunde Mitarbeiter sinnvoll sind, sorge ich dafür, dass diese davon überzeugt sind: Es ist gut, mitzuspringen.«
❙ der Alchemist: »Ich zeige mir und allen, was möglich ist. Dadurch werden bei den Anwesenden Begeisterung und Neugierde geweckt. Alle wollen dann auch ins Wasser springen.«
Und was antworten Sie?
Ich lade Sie jetzt dazu ein, praktisch ins kalte Wasser zu springen – und herauszufinden, wer von diesen sieben Persönlichkeitstypen Sie sind und wie Sie Ihre Kreativität erfolgreich optimieren können!
Ihr Roland P. Lange
Einführung
Was ist CORPORATE ALCHEMY©?
»Und dies Geheimnis redete das Leben selber zu mir: Siehe, sprach es, ich bin das, was sich immer selbst überwinden muss.«
Friedrich Nietzsche (1844–1900)
Alchemie hatte ihre Blütezeit nicht etwa im finsteren Mittelalter, sondern in der frühen Neuzeit. In jener Umbruchzeit zwischen Renaissance und Aufklärung, in der man das vergessen geglaubte Wissen der Antike wiederentdeckte und zur Anwendung brachte. Auf diese Weise wurden damals die Grundlagen für die modernen Natur- und Geisteswissenschaften gelegt.
Wir stellen uns unter dem Alchemisten einen eher skurrilen Gelehrten mit langem Bart und in weiten, samtenen Gewändern vor, der unedle Metalle in reines Gold zu verwandeln beabsichtigt. Oder der zumindest seinen wohlhabenden Geldgebern, meist Fürsten und Königen, ein solches Können vorgaukelt, um sich möglichst lange seine natürlich aufwendigen Experimente und seinen noch kostspieligeren Lebensunterhalt finanzieren zu lassen. Natürlich, das alles hat es gegeben.
Doch wer Alchemie auf solche Stereotype reduziert, verkennt damit die tiefere Bedeutung und beraubt sich der Chancen, sie für unsere Zeit zu nutzen. Jeder von uns erschafft sich und sein Wollen in seinen alltäglichen Handlungen. Was wir bewusst planen, wird zwar unbewusst mitkonzipiert, gleichwohl glauben wir an das »mind over matter«, das Primat des Geistes über die Materie, wie es auch die Alchemie lehrte. Schließlich waren es alchemistische Studien, die zur ersten Bestimmung der Elemente, letztendlich zur modernen Chemie, geführt haben. Auch die Pharmazeutik geht, dank Paracelsus, auf sie zurück und ist damit eine der Grundlagen der modernen Medizin. Doch Alchemie, die »ägyptische Wissenschaft«, wie sie auch genannt wurde – zusammengesetzt aus der arabischen Vorsilbe »al« und »Kemet«, dem alten Namen Ägyptens –, war noch mehr: eine komplexe Naturphilosophie, in der es stets um Evolution und Veredelung und damit auch und gerade um den Menschen selbst, das Individuum, ging.
Die Alchemisten glaubten, dass man Stoffe erst durch diverse Prozesse von unreinen Elementen reinigen müsse, um sie auf die »prima materia«, ihr ureigentliches Sein, zurückzuführen. Erst dann könne man versuchen, sie in Gold oder ein anderes Edelmetall zu verwandeln. Den Schlüssel dazu liefere ein geheimnisvoller Zusatz, den man als »Stein der Weisen« (»Lapis philosophorum«) bezeichnete.
Dieser Ansatz aber wurde bald von der abendländischen Mystik aufgegriffen. Ihre diversen Vertreter, von Christian Rosencreutz bis Gustav Meyrink, glaubten alle an die »Alchemie des Menschen«, seine Veredelung durch Beseitigung »aller Unreinheiten«, sprich: die Zurückführung auf sein ureigenstes Wesen. Auf dieser Grundlage könne er bis zur Erleuchtung gelangen.
In der Neuzeit hat die Psychoanalyse früh diese Bilder für sich entdeckt. Schon 1914 arbeitete der Freud-Schüler Herbert Silberer (1882–1923; Probleme der Mystik und ihrer Symbolik) über die psychologische Dimension der Alchemie. Sein Schweizer Kollege Carl Gustav Jung (1875–1961), der selbst eine große Sammlung alchemistischer Schriften besaß, verglich die Arbeitsmethoden und Wandlungsbilder der Alchemisten mit den Traumbildern moderner Menschen auf dem Weg ihrer Selbstfindung. Er sprach in diesem Kontext auch von biografischen Reifungsprozessen, die er »Individuation« nannte.
Bei CORPORATE ALCHEMY© geht es um eine ebensolche Alchemie des Menschen. Insofern ist dieses Buch auch ein Selbsthilferatgeber. Es leitet an zur Selbstfindung in einem der wichtigsten Bereiche unseres Lebens, der Arbeitswelt. Es verrät uns, wie wir in uns verborgene Potenziale und geheime Ressourcen entdecken und diese freilegen und entwickeln können. Es ermöglicht uns, in unseren vermeintlichen Schwächen die wahren Stärken, in unseren Eigenheiten unser Kapital zu erkennen und zu erfahren, zu welcher Position wir, im wahrsten Sinne des Wortes, »das Zeug haben«. Psychische Hemmungen werden abgebaut, und dadurch wird Kreativität freigelegt, die auch lebbar ist. Niemand ist erfolgreicher als der richtige Mann beziehungsweise die richtige Frau in der richtigen Position, nichts ist verheerender – für das Individuum wie für das Unternehmen – als eine fatale Fehlbesetzung.
Das wiederum führt CORPORATE ALCHEMY© auf eine zweite Ebene, für die der Begriff »Corporate« steht. Denn dieses Buch ist nicht nur ein Ratgeber zur Selbstoptimierung, es ist auch der buchstäbliche »Stein der Weisen« für jedes Unternehmen. Es ermöglicht dem Unternehmer oder Personalchef, bei einem Bewerber unter die Oberfläche zu blicken, sein Potenzial nicht nur zu erkennen, sondern es auch ganz klar zu definieren – und dort einzusetzen, wo es im Unternehmen durch das perfekte »Zusammenspiel der Kräfte« wahre Effizienz bewirken, ja regelrecht Wunder wirken kann. Auch das ist keine Geheimwissenschaft – die Fragen und Antworten, derer es dazu bedarf, finden Sie in diesem Buch.
Diese Fragen und Antworten laden jeden, der mit ihnen arbeitet, dazu ein, sich auf die Suche nach dem eigenen »Stein der Weisen« zu begeben und zum Alchemisten seiner Zukunft oder seines Unternehmens zu werden.
I. Die Erfolgsformel: »Erkenne dich selbst!«
»Und wie kommen wir zu jenem Ziele? Werdet ihr fragen. Der Delphische Gott ruft euch, gleich am Anfange eurer Wanderung nach jenem Ziele, seinen Spruch entgegen ›Erkenne dich selbst!‹.«
Friedrich Nietzsche (1844–1900)
»Gnothi seauton« – »Erkenne dich selbst!« stand einst am Fries des Apollontempels von Delphi und wies die Richtung. Delphi war das berühmteste Orakel der antiken Welt. Hierher kamen Könige und Heerführer, Bürger der griechischen Stadtstaaten wie Antwortsuchende aus aller Welt, um etwas über ihre Zukunft oder ihre Bestimmung zu erfahren. Ein kluger Rat war diese Inschrift, die dazu aufrief, nicht allzu blind den Sprüchen der blinden Seherin, der Pythia von Delphi, zu vertrauen, sondern die Wahrheit zuallererst in sich selbst zu suchen. Dort, wo der wahre »Stein der Weisen« verborgen liegt, wie auch die antiken Alchemisten glaubten. Man musste nur tief genug in sich gehen, um ihn zu finden.
So hatten diese Alchemisten bereits die ganz konkrete Vorstellung, wonach die Zukunft des Menschen mit seiner jeweiligen Selbsterkenntnis in Zusammenhang stehe. Sie glaubten, schon das richtige Erkennen seiner selbst könne jenen psychologischen Wandel herbeiführen, den die physikalische Alchemie für die Materie postulierte. Diese psychologische Alchemie war die Glaubensgrundlage jener Zeit. Sie sollte in Orakeln, durch Priester und geheime Mysterienübungen zum Einsatz kommen.
Die Aufgabe, Selbsterkenntnis zu erlangen, hat in der Neuzeit die Wissenschaft übernommen, wobei sie sich nahezu aller religiösen Begrifflichkeiten entledigte. Speziell die Psychologie liefert uns mittlerweile die Hilfsmittel, uns selbst zu erkennen. Nicht etwa ausgetretenen Wegen zu folgen, sondern unser inneres Potenzial zu entdecken, zu entfalten und zum Einsatz zu bringen. Um es in der Sprache der Alchemisten zu sagen: aus der groben Urmaterie Gold zu machen.
Wer heute über Psychologie spricht, der denkt zuerst an Sigmund Freud (1856–1939). Und dementsprechend begrenzt er dann auch seine Vorstellung davon, um was es gehen könnte. Freud gilt völlig zu Recht als Begründer der Psychoanalyse. Er war einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts. Mit ihm nahmen die moderne Psychologie und die Erforschung der menschlichen Psyche ihren Anfang. Doch wie jede andere Wissenschaft entwickelte sich natürlich auch die Psychologie weiter. So war das Freud’sche Modell zwar ein wichtiger Ansatz, doch es ist bestimmt nicht die Ultima Ratio, das letzte Wort in der Frage, wer wir sind und was uns geprägt hat.
Das Modell, das Freud entwickelt hat, kann man am treffendsten als »Triebpsychologie« bezeichnen. Für Freud war das Seelenleben des Menschen durch das Schicksal seiner Triebe determiniert. Er lehrte, dass das Unbewusste das Bewusste beeinflusst und dass die Psyche des Menschen sich gut begreifen lässt, wenn man diese dreiteilt: in das sogenannte Es, das Ich und das Über-Ich. Das Es ist das triebhafte Element der Psyche, jenes Element, das für unsere Triebe, Bedürfnisse und Affekte verantwortlich ist und welches auch unser Handeln unwillentlich und unbewusst lenkt. Freud sah im Ich die gestaltende, vernünftige und schließlich auch die selbstkritische Instanz, die zwischen den Trieben/Bedürfnissen des Es und den Ansprüchen des Über-Ich, den Realitätsanforderungen, vermittelt. Hinter dem Über-Ich verbergen sich wiederum einstudierte Werte, Normen, Rollen und Weltbilder, die besonders im »Gewissen« zum Ausdruck kommen. Das Ich sorgt dafür, dass Triebwünsche, Vorstellungen und Bedürfnisse, die aus dem Es kommen, verdrängt werden, wenn diese nicht akzeptabel oder nicht normenkonform sind. Ein Großteil der Motivation menschlichen Verhaltens, so Freud, entstammt dem unbewussten Konflikt zwischen dem triebhaften Es und dem strengen Über-Ich.
Dieser Vorstellung widersprach schon früh der andere große Wiener Psychotherapeut, Alfred Adler (1870–1937), ein Zeitgenosse Freuds, der als Begründer der Individualpsychologie gilt. Er glaubte, dass Ziele und Meinungen, die ein Mensch entwickelt, ihn bestimmen und nicht die Psychologie der Triebe. Hatte Adler von 1902 an noch an fast jedem Mittwochabend an den wöchentlichen Diskussionsrunden Freuds teilgenommen, wurde das unterschiedliche Menschenbild der beiden Männer bald zum Streitfall. 1911 kam es wegen »unüberbrückbarer Differenzen« zum endgültigen Bruch Adlers mit Freud. Der Mensch, so lehrte Adler, ist eben nicht von seinen Trieben bestimmt. Er ist ein einzigartiges, freies Wesen.
Ohne Ketten ist der Mensch bekanntlich nur dort, wo dies die Verhältnisse erlauben. Damit er aber frei sein kann, ist nicht nur der Rahmen einer liberalen Ordnung sinnvoll, sondern auch der Rahmen einer verständnisbereiten Umwelt, die den Menschen bei seiner Kreativitätsentwicklung unterstützt.
Ein Individuum, so Adler, findet Aufgaben vor, die es lösen muss, Aufgaben, die ihm das Leben stellt. Charakteristisch für das Individuum ist, dass dabei durch eigene Kreativität ein unbewusster Lebensstil aufgebaut wird. Adler verstand die unbewusste, kreativ gefundene Zielsetzung als Grundlage aller seelischen Reaktionen. Die daraus resultierenden Charakterzüge des Einzelnen, eine Mischung aus Gemeinschaftsgefühl, beibehaltenem Minderwertigkeitsgefühl und Geltungsdrang, bestimmen, mit welchen Strategien er sein Leben meistert.
Dieser humanistische Ansatz hat speziell in den Vereinigten Staaten eine ähnlich große Wirkkraft entfaltet wie die Freud’sche Triebpsychologie. Er widmet sich dem Unverstandenen in der menschlichen Psyche, nicht dem triebhaft Unbewussten.
Adlers Individualpsychologie inspirierte zwei zeitgenössische Psychologen, David Rooke und William R. Torbert von der renommierten Harvard-Universität, dazu, den Menschen auch im Arbeitsalltag nach seinen Charakterzügen und seiner Lebenseinstellung zu beschreiben. So entwickelten sie ein Modell aus sieben Grundtypen mit völlig unterschiedlichen Motiven, Potenzialen und Ressourcen, die als Ausgangspunkt auch der CORPORATE ALCHEMY© dienen.
Diese sieben Grundtypen werden wie folgt benannt: Opportunist, Diplomat, Experte, Macher, Individualist, Stratege und Alchemist. Zur Veranschaulichung werden in den folgenden Kapiteln jeweils bekannte Persönlichkeiten und deren entsprechende typengemäße Handlungslogik bzw. Handlungsschemata beschrieben. Dies ermöglicht ein besseres Verständnis der jeweiligen Kreativitätsmöglichkeiten und liefert zudem bereits erste Hinweise auf Kommunikationsweisen und Führungsqualitäten.
Diese Handlungslogiken oder -schemata sind das Grundmaterial, aus dem wir alle schöpfen, auch wenn die Übergänge bei jedem von uns fließend sind. Sie sind unser Motivationshintergrund. Hier geht es nicht um eine reine Typenlehre, es geht um mehr. Es geht um die Nutzung und Weiterentwicklung von Persönlichkeitsanteilen zu einer »perfekten Mischung« – und damit um unsere eigene, individuelle Optimierung.
Nur ganz wenige Menschen entsprechen vollständig einem der sieben angeführten Typen. Die meisten von uns weisen eine Mischung der jeweiligen Persönlichkeitsprofile auf. Welche diese sind und wo der Einzelne in einem differenzierten Schema verortet ist, das klärt schließlich die Typen-Mosaik-Analyse (TMA)© in Kapitel XIII.
Warum aber sieben Handlungslogiken?
Diese Einteilung ist sinnvoll, weil sie auf sieben psychologisch erkennbaren Handlungsmustern beruht, die deutlich voneinander abgrenzbar sind.
Der dem Zauber der Zahl Sieben zugeneigte Leser mag darin noch anderes sehen wollen.
Da kaum eine Zahl symbolträchtiger als die Sieben ist, erscheint es reizvoll, sich an dieser Stelle ein paar Gedanken über sie zu machen.
Nach Joseph Pareth, einem Mitarbeiter und Nachfolger Sigmund Freuds, ist die Sieben tiefenpsychologisch betrachtet die Zahl des Tabus und damit gleichermaßen eine Glücks- wie eine Unglückszahl.
Im alten Griechenland war die Sieben die heilige Zahl des Apollon, ausgerechnet jenes Licht- und Sonnengottes also, an dessen Orakeltempel die Aufforderung zur Selbsterkenntnis stand.
Die Woche hat sieben Tage, in sieben Tagen schuf Gott die Welt, heißt es im Buch Genesis der Bibel. In der Siebenzahl der Wochentage spiegelt sich die antike Kosmologie wider, die von sieben Himmelskörpern in der erdnahen »Planetensphäre«, dem Sonnensystem, ausging. Die Menschen der Antike kannten die sieben Weltmeere und die sieben Weltwunder. Die Gnosis wiederum, dieser Synkretismus aus Christentum und antiken Mysterienlehren, sprach von sieben Ebenen der Erkenntnis, deren höchste die der Göttlichkeit des Menschen, die Erleuchtung, war. Diese Aufzählung ließe sich mühelos fortsetzen.
Hier, in diesem Zusammenhang, dient die Einteilung lediglich als Raster für das Verständnis der erlangten Kreativitätsfähigkeiten, und wir finden in den sieben emotional-kreativen Grundtypenentwürfen jeweils eine menschliche Lebensstrategie verdichtet.
Jeder will seine Lage verbessern – auch wenn vielleicht nicht jeder Mensch gleich nach der eigenen Transformation sucht. Dennoch gilt: Selbstoptimierung ist die Triebfeder der gesamten Evolution. Es gibt eine hochinteressante Diskussion zwischen dem österreichischen Zoologen Konrad Lorenz (1903–1989) und dem österreichisch-britischen Philosophen Sir Karl Popper (1902–1994) aus dem Jahr 1983, die unter dem Titel »Nichts ist schon dagewesen« heute auf YouTube abgerufen werden kann. In dieser wird deutlich, dass alles Leben in der Welt, selbst der einfachste Organismus, eine Verbesserung seiner selbst und seiner Lebensbedingungen anstrebt. Alfred Adler würde jetzt ergänzen: zumindest das, was er für eine Verbesserung hält, denn dabei kann man natürlich auch einem Irrtum erliegen. Die Pflanze etwa richtet sich auch nach dem eingeschalteten Kunstlicht – in der irrigen Annahme, dadurch ihre Situation zu verbessern. Wir erleben dieses Phänomen aber auch in den großen Auseinandersetzungen zwischen den Religionen und Weltanschauungen, bei denen stets jede Seite glaubt, im Besitz der Wahrheit zu sein und die beste aller Welten anzustreben, während sie ihren Kontrahenten vorwirft, einer Irrlehre zu folgen. Das kann zum Teil extreme Züge annehmen.
Doch kein Mensch, gleich welchen Glaubens oder welcher Weltanschauung, ist gegen Irrtümer immun. Diese können sich als fatal erweisen, aber es gibt durchaus auch Irrtümer, die hilfreich sind, weil sie uns von einem Irrweg ab- und auf den richtigen Weg bringen. »Trial and error« ist die Methode, nach der die meisten Menschen lernen. Irren ist also menschlich, ebenso menschlich wie das Streben, seine Lage zu verbessern.
Exkurs: Kulturelle Hemmnisse der Kreativitätsentwicklung
»Leben, Freiheit und das Streben nach Glück« sind nach der amerikanischen Verfassung unveräußerliche Grundrechte jedes Menschen. Wobei mit »Glück« natürlich die Verbesserung der Lebensumstände gemeint ist. So wurde dieses Urstreben des Menschen zu einem Rechtsgegenstand, ja zur Grundlage einer Kultur. Unsere verrechtlichte Welt hat ihn juristisch definiert und zum Bestandteil einer Verfassung gemacht.
Das war nicht immer so. Was uns fragen lässt, ob es in unserer menschlichen Vorzeit auch schon Alchemisten mit einem differenzierten emotionalen Erkenntnishorizont gab oder ob damals alle Menschen Opportunisten waren.
Natürlich ist das Recht schon in der Frühphase der Kulturen aus Macht und Machtpositionen entstanden. Die Ethnologie gibt uns dazu zahlreiche Beispiele. Die Ethnologie selbst wurde im 19. Jahrhundert von den Briten primär zu dem Zweck entwickelt, die Völker, die sie sich unterwarfen, effizienter zu beherrschen. Die britische Kolonialherrschaft funktionierte dadurch, dass eine unterworfene Gesellschaft nicht unterdrückt oder assimiliert wurde, sondern dadurch, dass man ihr einfach eine neue, den Kolonialherren gegenüber loyale Herrschaftsschicht vorsetzte. Das britische Indien etwa ist ein gutes Beispiel dafür, dass im Volk eigentlich alles beim Gewohnten blieb. Eine Ausnahme bildete der Südsudan mit seiner stark nomadisch geprägten Bevölkerung. Bei den Nuer, die in den Feuchtgebieten des Weißen Nils lebten, gab es keine Oberschicht, die man sich gefügig machen konnte. Es herrschte, was Ethnologen wie Edward E. Evans-Pritchard (1902–1973) als »ordered anarchy«, als »geordnete Anarchie« bezeichneten: eine egalitäre Gesellschaft ohne zentrale politische Autorität oder Elite. Alle Segmente der Bevölkerung – gemäß einschlägiger ethnologischer Studien Männer und Frauen – waren gleichrangig, es gab keine Einrichtung oder Einzelperson, die als Legislative, Exekutive oder Judikative gedient hätte.
Auseinandersetzungen wurden egalitär in Palaverrunden beigelegt. Es gab keine Oberhäupter, die Macht hatten. Ein ausschließlich opportunistisches Denken und Handeln hemmte jede Entwicklung einer Kultur. In Jäger- und Sammlergesellschaften allgemein galt die Verstoßung aus dem Stamm als schlimmste Strafe für Verstöße gegen die Sitten und ungeschriebenen Gesetze. Eine Entwicklung zum Individuellen hin war dadurch blockiert.
Bei sogenannten Übergangsgesellschaften, etwa bei nomadischen Hirtenvölkern oder Völkern, die gerade sesshaft geworden waren, lagen die kulturellen Hemmnisse bei der Kreativitätsentwicklung in den sozialen Machtverhältnissen, die sich gerade herausbildeten.
Die ersten ethnologischen Untersuchungen der Briten lehren uns nicht nur, wie Konflikte bei dem Nomadenvolk der Nuer beigelegt wurden, sie zeigen uns gleichzeitig auch die Grenzen der individuellen Kreativitätsentwicklung durch gesellschaftliche Vorgaben auf.
In den Großfamilien der Nuer konnte es schon einmal vorkommen, dass es zu einem Mord am Mitglied einer anderen Familienlinie kam. In diesem Fall suchten sie den sogenannten Leopardenfell-Priester auf, der eigentlich mehr Schamane war.
Zunächst glaubten die Briten, sie müssten diesen »Leopardenfell-Priester« für sich gewinnen, dann könnten sie auch die Nuer beherrschen. Doch das funktionierte nicht, weil er eben völlig machtlos war.
Das herauszufinden war eine Sternstunde der modernen Ethnologie. Der »Leopardenfell-Priester« erwies sich einzig als Mediator, nicht als Stammesautorität. Er vermittelte nicht etwa zwischen den Parteien, sondern bot bloß einen rituellen Rahmen für eine Verhandlung zwischen ihnen an. Sein Zelt diente jedem als Zuflucht, der es betrat. Durch die Schaffung eines tabuisierten Raumes sollte das Prinzip der Blutrache außer Kraft gesetzt werden. Man hielt sich opportunistisch an das, was Sitte war, und dies etwa 400 000 Jahre in unserer menschlichen Entwicklung. Diplomatisches Geschick war am Beispiel dieser Gesellschaftsorganisation vom »Leopardenfell-Priester« gefordert, für ein ausgeprägtes Expertentum bis zum Alchemisten war noch kein Raum. »Der Leopardenfell-Priester« konnte zwar versuchen, den Streit zu schlichten, indem er mit den Parteien sprach, aber er war weder autorisiert, eine Entscheidung zu fällen, noch ein Urteil zu sprechen. Sein Amt hatte zwar eine religiöse Bedeutung, war aber nicht mit politischer Macht verbunden. Das Recht war bei den Nuer noch nicht erfunden, somit auch noch keine ausgeprägte Regelung von individueller Verantwortungs- und Schuldfähigkeit. Übergänge zum Expertentum gab es durch den Heiler, wobei erst mit der späteren Ausbildung des Rechts in den Protostaaten für den Experten Platz war. An einem Macher bis hin zum Alchemisten bestand in dieser vorstaatlichen Gesellschaftsformation kein Bedarf.
Man war also auf eine vorstaatliche Konfliktlösungsstrategie gestoßen, wie man sie später auch in anderen vorstaatlichen Gesellschaftsformationen fand. Beim Ausgleich innerhalb der Gesellschaft spielte der Einzelne nur insofern eine Rolle, wie er als Mitglied des gemeinsamen Ganzen für dessen Tragfähigkeit und zum Ausgleich von Bedeutung war. Die Kreativitätsmöglichkeiten waren diesem gemeinsamen Ganzen untergeordnet. Einen Platz für einen Alchemisten gab es daher noch nicht. Jedoch allmählich, mit den ersten frühen Staatsbildungen, gab es Platz für den Macher, mit den Konsolidierungen über das Recht für den Individualisten, und jetzt trat auch erstmals der Stratege auf den Plan.
Wie Recht entsteht, können wir am Beispiel des römischen Kaufrechts beobachten. Vor den Punischen Kriegen kannten die Römer nur hoch komplizierte, stark ritualisierte Kaufverträge. Als Zeugen mussten fünf freie und rechtsfähige römische Bürger männlichen Geschlechts zugegen sein. Weder Frauen noch Sklaven waren zugelassen, und als rechtsfähig galt ein römischer Bürger erst, wenn sein Vater verstorben war. Diese fünf Zeugen sollten gemeinsam bestimmte religiöse Formeln sprechen und ein Opfer darbringen. Erst als Rom nach den Punischen Kriegen zur Handelsmacht aufstieg, vereinfachte man das Verfahren durch die Erfindung des modernen Kaufvertrages. Alles wurde jetzt in einem Gesetz geregelt: Es genügten das Übereinkommen zweier rechtsfähiger Parteien in freiem Willen, ein gesonderter Übergabevertrag des Kaufgegenstandes und schließlich ein Zahlungsvertrag. Aus diesen drei Teilen bestand der Kaufvertrag, damals wie im Wesentlichen noch heute.
Es ist also nicht so, dass Recht vorrangig existierte; es musste erst einmal erfunden und dann definiert werden. So finden wir einerseits in den jeweils kodifizierten Macht- und Rechtsverhältnissen kulturelle Hemmnisse der Kreativitätsentwicklung, andererseits geben genau diese erst die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Weiterentwicklung.
Nehmen wir zum Beispiel die Menschenrechte. Sie sind zunächst einmal ein Derivat des Christentums, das die Gottebenbildlichkeit aller Menschen postulierte, ihnen die gleiche Würde zubilligte, die gleichen Rechte einräumte und sich schon in der Antike gegen die Sklaverei engagierte. Doch definiert wurden sie ausgerechnet im 18. Jahrhundert von Philosophen, die zwar Gott verneinten, die aber lehrten, dass die Essenz der Existenz vorausgeht. So postulierten diese kreativen Denker die Menschenrechte als existenziell. Erst danach wurden sie durch ihre Aufnahme in die amerikanische Verfassung erstmals kodifiziert. Was nicht kodifiziert, was nicht in einem Gesetz fixiert ist, gilt nicht. Die »Allgemeine Erklärung der Menschenrechte« wurde schließlich am 10. Dezember 1948 auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündet. Ohne eine Rechtsdefinition der Menschenrechte könnte sich niemand auf sie berufen.
Die kulturellen Hemmnisse der Kreativitätsentwicklung forderten und förderten zugleich den Opportunismus. Daher wird in diesem Buch auch der Opportunist besonders ausführlich besprochen.
»Der aufrechte Gang des mündigen Bürgers« war eine zivilisatorische Leistung, die im antiken Rom erst hart erkämpft werden musste. Zunächst waren die zahlreichen Gesetze der Römer nur mündlich überliefert und von den Pontifices, den Priestern, eifersüchtig gehütet worden. So gab es keine Rechtssicherheit, praktisch war das gesamte Volk der Willkür einiger weniger »Rechtswahrer« (Juristen) ausgeliefert. Erst eine Reihe von Aufständen führte zur Schaffung eines für alle verbindlichen, einsehbaren Rechtskorpus, des sogenannten Zwölftafelgesetzes, das zur Grundlage aller weiteren Gesetze wurde. Wie der Name verrät, wurde dieses Gesetz in zwölf Steintafeln gemeißelt, die auf dem Forum Romanum aufgestellt und damit für jedermann einsehbar waren.
Der moderne Schlüssel zur optimierten Selbstfindung und Selbstformung
Heute gilt es in der westlichen Welt als Selbstverständlichkeit, dass die »Spielregeln des öffentlichen Lebens«, die Gesetze, öffentlich zugänglich sind und dass jede Gesetzesänderung erst von der Gesellschaft und dann in einem Parlament diskutiert wird. Auch die Menschenrechte, auch das Recht auf »freie Entfaltung der Persönlichkeit«, ja selbst das amerikanische »Streben nach Glück« sind längst verbrieft. Jetzt gilt es nur noch, Wege zu finden, um diesen Urwunsch des Menschen auch praktisch umzusetzen. Wie verwirklichen wir dieses Streben? Wie verbessern wir effizient unsere Lebensumstände? Wo stehen wir überhaupt und wo wollen wir hin? Dazu hat jeder von uns seine ganz eigene unbewusste Strategie entwickelt.
Jeder der sechs (nicht sieben, da dies ja nicht für den Alchemisten gilt) Persönlichkeitstypen, die wir in den Kapiteln V bis X genauer betrachten werden – der Opportunist wie der Diplomat, der Experte wie der Macher, der Individualist wie der Stratege –, ist fest davon überzeugt, dass er durch seine Strategie seine Welt verbessert. Doch nur in den seltensten Fällen gelingt ihm das auch. In der Regel fehlt es ihm an Mitteln, seinen Ausgangspunkt, sein Ziel und oder gar den Weg, der dorthin führt, zu definieren. Er irrt wie ein Wanderer bei Nacht durch die Landschaft, wie einer, der keinen Kompass besitzt und es nicht vermag, sich nach den Sternen zu orientieren. Es bleibt bei vagen, diffusen Träumen davon, »es einmal besser zu haben«. Träume, deren Realisierung oft genug daran scheitert, dass wir Irrwege gegangen sind. Dass wir uns auf Ziele konzentriert haben, die gar nicht unserer Natur entsprechen, zu denen uns – um beim Bild des Weges zu bleiben – das passende Schuhwerk und die wetterfeste Kleidung, vor allem aber eine Karte und ein Kompass fehlen.
Jeder sucht nach seiner Formel für Erfolg, so wie die Alchemisten der frühen Neuzeit nach dem »Stein der Weisen« gesucht haben. Doch nur die wenigsten sind dabei erfolgreich.
Der wahre Schlüssel für diese Formel ist die Aufforderung an uns alle, die auf dem Fries des Apollontempels von Delphi zu lesen war: Erkenne dich selbst!
Wenn wir unser Potenzial erkennen, sind wir in der Lage, an Ressourcen zu kommen, die uns bislang nur eingeschränkt zugänglich waren, und unsere Gesamtpersönlichkeit zu verbessern, ja vielleicht sogar zu Alchemisten zu werden. Dann haben wir den »Stein der Weisen«, der es uns ermöglicht, manches in Gold zu verwandeln. Und genau darum geht es in den nächsten Kapiteln dieses Buches. Durch CORPORATE ALCHEMY© erkennt der Leser seine selbst gesetzten, unverstandenen Grenzen, aber auch seine Möglichkeiten, diese zu überschreiten und sich weiterzuentwickeln. Sie bietet Wege zur Verbesserung der eigenen Lebenssituation und beruflichen Stellung an. Sie gibt jedem, gleich ob er in seiner bevorzugt gelebten Lebensstrategie Opportunist, Diplomat, Experte, Macher, Individualist oder Stratege ist, die Chance, seine inneren Anteile zu optimieren, zum selbstbestimmten Schmied seines Glücks, zum Transformator der Materie zu werden.
Immer größerer Beliebtheit erfreuen sich heute Apps für das Smartphone, die Hobbysportlern und Fitnessfanatikern die Möglichkeit geben, ihre Trainingseinheiten zu optimieren. Der Trend geht dahin, dass jeder seine Gesundheit kontrollieren will. Wir wollen nichts mehr dem Zufall überlassen, auch nicht dem guten Rat von Ärzten oder Personal Trainern, wir wollen unser Training selbst in die Hand nehmen und unsere eigenen Trainer oder Coaches sein. Wir wollen jeden unserer Schritte überwachen, jeden Erfolg sofort vermeldet bekommen. Auf gesundheitlichem Gebiet sind die Weichen längst gestellt, ist Selbstoptimierung das selbst gesteckte Ziel der Trendbewussten.
Nur in der Psychologie fehlt ein solcher Gradmesser bislang. Der Klient/Patient ist auf die Intuition seines Therapeuten angewiesen, der ihm verrät, wann er geheilt ist und keine Sitzungen mehr braucht. Doch wer nach Selbstverwirklichung strebt, weiß weder, wie er sein Ziel erreichen kann, noch wessen es dazu bedarf. Jeder träumt davon, verborgene Fähigkeiten in sich zu entdecken, hat jedoch keine Ahnung, wie und wo er nach ihnen suchen soll. Wer sich auf die nächsten Kapitel dieses Buches einlässt, wird es herausfinden und kann zum Meister seines Schicksals werden. Denn CORPORATE ALCHEMY© liefert nichts weniger als den modernen Schlüssel zur optimierten Selbstfindung und Selbstformung des Menschen.
Dreh- und Angelpunkt dabei ist die Kreativität. Daher gilt es zunächst einmal, »ganz unten« anzufangen und nach den Wurzeln unserer Kreativität zu fragen. Was ist Kreativität überhaupt? Was begünstigt ihre Entwicklung? Welche Folgen hat es, wenn Kreativität gehemmt wird? Und wie kommt es, dass einige von uns schöpferisch sind, während bei anderen diese Gabe noch ruht?