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Martin Luther

Woran also du dein Herz hängst

topos taschenbücher, Band 1086
Eine Produktion des Matthias Grünewald Verlags

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Verlagsgemeinschaft topos plus

Butzon & Bercker, Kevelaer

Don Bosco, München

Echter, Würzburg

Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern

Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)

Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Tyrolia, Innsbruck

Eine Initiative der

Verlagsgruppe engagement

www.topos-taschenbuecher.de

ISBN 978-3-8367-1086-2

Ebook (PDF): 978-3-8367-5071-4

ePub: 978-3-8367-6071-3

2017 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer

Inhalt

Einleitung

Vom Fundament aller Theologie

Fastenpredigt – Aus den Jahren 1514–1520

Von der doppelten Gerechtigkeit

Über Philipper 2,5ff – 1518

Über die Beichte

1518

Von den zwei Eseln

Über Matthäus 21,1ff – Palmsonntag 1521

Über das Leiden Christi I

1518

Über das Leiden Christi II

1518

Betrachtung des heiligen Leidens Christi

1519

Von der würdigen Vorbereitung des Herzens für den Empfang des Sakraments der Eucharistie

1518

Die fröhliche Auferstehung Christi

Ostern 1530

Christus ist das Haupt der Kirche, nicht der Papst

Himmelfahrt 1520

Der Geist tröstet die bedrückten Gewissen

Pfingsten 1520

Anhang

Wir sind Fremdlinge und Pilger

Über 1 Petrus 2,11ff – Sonntag Jubilate 1544

Was die kleine Erbse uns über die Auferstehung sagt

Über 1 Korinther 15,35 – Sonntag Cantate 1545

Einleitung

Hinweis des Verlags: Die Einführung des Kirchenhistorikers Peter Manns (1923–1991), dessen zahlreiche Veröffentlichungen zu Luther zur interkonfessionellen Verständigung über die Bedeutung des Reformators beitrugen, stammt aus dem Jahre 1983. Aus Anlass des 500. Geburtstags Martin Luthers hat Manns aus einem großen Predigtschatz die beiden Taschenbuchausgaben „Predigten Martin Luthers durch das Kirchenjahr. Fastenzeit, Ostern und Pfingsten“ sowie „Advent und Weihnachten“ zusammengestellt und mit einer ausführlichen Einleitung versehen.

Für die beiden Neuausgaben (2016 und 2017) wurde der Text des Herausgebers weitgehend unverändert übernommen und nur an wenigen Stellen bearbeitet bzw. leicht gekürzt.

Es entspricht durchaus der Eigenart von Luthers Theologie, dass ich hier nicht auf Texte aus seinen großen Vorlesungen, Disputationen und Traktaten zurückgreife, sondern dass ich den Prediger Luther mit einer Auswahl von Predigten zu den verschiedenen Festkreisen des Kirchenjahres zu Wort kommen lasse. Denn Luthers Einsatz als „geschworener Doktor der Theologie“ war nicht auf ein akademisches Vorhaben, nicht auf Katheder und Hörsaal fixiert, sondern er zielte unmittelbar darauf ab, die „pura doctrina“ im Sinne der „viua vox Euangelii“ zu Gehör zu bringen.

Es bedürfte einer eingehenden wissenschaftlichen Erörterung, um den damit angesprochenen Fragenkomplex erschöpfend zu behandeln. Hier muss ich mich darauf beschränken, die wichtigsten Hinweise wenigstens anzudeuten.

Gegen die Schultheologie seiner Zeit

Luthers entschiedener Einsatz für die Verkündigung und die Predigt wendet sich in erster Linie gegen die Schultheologie seiner Zeit, die in ihrer Vorliebe für abartige Subtilitäten und im permanenten Streit der verschiedenen Schulen untereinander den Sinn und die Befähigung zur Predigt so gut wie ganz eingebüßt hatte. In jenen Schulen, in denen die Spezialisten mit der Schrift umgingen „wie die Saw mit dem Habersack“ und in denen man mit Gott umging „wie der Schuster mit seinem Leder“, hatte Luther Christus verloren. Durch das „Wort“ aber hatte er ihn wiedergefunden und wiederentdeckt für eine Theologie, die fortan als „dienende Theologie“ die Predigt als ihre eigentliche und krönende Aufgabe betrachtete. Von daher ist es kein Wunder, dass Luther durch seine Predigten eine weit größere Wirksamkeit erlangte als durch seine theologischen Schriften. So wichtig die großen Vorlesungen und Streitschriften für Luther und die fortschreitende Klärung seiner Position auch waren, in ihrer Wirkung auf die Öffentlichkeit gehen sie – ausgenommen die Ablass-Thesen – kaum über den Hörsaal und das unmittelbar betroffene akademische Milieu hinaus. Ein gutes Beispiel dafür liefert uns Luthers hochbedeutsame Vorlesung über den Römerbrief. Sie ist schon im 16. Jahrhundert so gut wie ganz aus dem Bewusstsein der Zeitgenossen gelöscht, bevor sie dann für Jahrhunderte in die Archive verschwindet. Erst im 19. Jahrhundert entdeckt man sie wieder in der Vitrine eines deutschen Museums, nachdem ein katholischer Luther-Gegner in der Vatikan-Bibliothek eine Kopie ausgegraben hatte. Den Predigten Luthers kommt aber auch im Blick auf unsere moderne Situation eine merkwürdig zwiespältige Bedeutung zu. Denn mag auch die Herrschaft der Scholastik im Bereich der Theologie grundlegend und vermutlich für immer gebrochen sein, so hat sich doch über alle konfessionellen Grenzen hinweg ein neuer Typ von Schultheologie entwickelt, deren Verhältnis zur Predigt nicht weniger gestört ist als das der Scholastik des 16. Jahrhunderts. Ähnlich wie damals empfindet man es auch heute als unwissenschaftlich, wenn Professoren predigen, wo sie lehren sollten. Ähnlich wie damals lernen die jungen Theologen bis in unsere Zeit hinein das Predigen eher nebenher. Denn die Theologie, die sie lernen, drängt selbst da nicht zur Predigt, wo sie, wie die moderne Exegese, den Zugang zur Schrift in maximaler Weise zu erschließen versucht.

Von daher kommt der Versuch, Luther ausgerechnet durch seine Predigten zu Wort kommen zu lassen, förmlich einer Zerreißprobe gleich. Wenn es Luther gelingt, sich als Evangelist und Prediger in der weithin gewandelten Gegenwart Gehör zu verschaffen und das Herz der Christen zu treffen – und ich bin sicher, dass er diese Probe besteht –, dann hat er seine unverwüstliche Lebendigkeit wirklich und definitiv unter Beweis gestellt. Für uns moderne Theologen ist es dabei aufreizend festzustellen, dass Luthers Predigten selbst da unmittelbar ansprechen und durchschlagen, wo sie – wie in der kauzigen Palmsonntags-Predigt über die beiden Palmesel – auf einer wissenschaftlich untragbaren Exegese beruhen. Es gehört dabei zum Charme der geistlichen Lebendigkeit Luthers, dass er die fehlende Gelehrsamkeit nie durch das dubiose Schmalz falscher Erbaulichkeit ersetzt und dass seine Auslegung des Wortes selbst da nicht ihre theologische Präzision verliert, wo er der traditionellen Allegorese und Topologie – trotz formaler Proteste gegen die Auslegung nach dem vierfachen Schriftsinn – treu bleibt.

Predigt von Kreuz und Auferstehung

Angesichts der hohen Bedeutung, die Luther der Verkündigung beimisst, sind seine Predigten auch deshalb von großer Bedeutung, weil er durch sie in pastoraler Verantwortung seine theologischen Grundanliegen viel deutlicher zur Aussage bringt, als dies in der theologischen Kontroverse geschieht. Die im theologischen Streit auf die gegnerische Position fixierten und komprimierten Spitzensätze erfahren daher in der Predigt eine wohltuende Entkrampfung und Auslegung im Sinne der eigentlichen Intention Luthers.

In der vorliegenden kleinen Auswahl gibt es einige Texte, die diese Funktion erfüllen. Aufmerksamkeit verdient unter diesem Gesichtspunkt vor allem Luthers Sermon „von der doppelten Gerechtigkeit“. Denn in dieser Predigt stellt Luther das Anliegen seiner Rechtfertigungslehre so dar, dass das durch gelegentliche Spitzensätze gestützte Verständnis einer rein forensischen Gerechterklärung deutlich zugunsten der eigentlich gemeinten realen Gerechtmachung korrigiert wird, sofern die im Glauben empfangene „erste und fremde Gerechtigkeit Christi“ darauf angelegt ist, dass wir sie in der Lebensgemeinschaft mit Christus als unsere „eigene Gerechtigkeit“ ergreifen.

Für das schwierige Motiv der Alleinwirksamkeit Gottes erweist die schon einmal erwähnte Predigt über die beiden Palmesel einen ähnlichen Dienst. Denn Luther vermeidet hier den problematischen Vergleich mit dem Reittier, das entweder von Gott oder vom Teufel geritten wird, aus der Schrift „Vom geknechteten Willen“. In der Predigt heißt es hingegen: Nicht der Teufel kommt zu uns, um uns zu reiten, sondern wir gehen zu ihm. Wirklich zu uns kommt indes der Herr. Wir gleichen dabei dem ungerittenen Eselsfüllen: Wir verfügen über keinen Vorzug, der erklären würde, dass der Herr uns reiten möchte; wie der wilde Jungesel wollen wir eigentlich auch nicht geritten werden; wenn wir aber dann den Herrn auf unserem Rücken spüren, werden wir plötzlich ganz zahm, ganz willig und fröhlich; und selbst der störrische Altesel spürt das Wunder und trabt munter hinter dem Füllen her. So viel macht Luther mit ein paar Bildern, wenn er den Christen erklären will, was sie zu Christen macht. Wer die wenigen Predigten über Christi Kreuz und Tod richtig liest und meditiert, macht im Übrigen noch eine andere theologisch hochbedeutsame Entdeckung. Denn nach dem Befund in den theologischen Schriften ist es für Luther zweifellos typisch, dass er dem katholischen Ansatz einer „Theologia gloriae“ ganz entschieden den Ansatz seiner „Theologia crucis“ entgegenstellt. Fragt man nun im Lichte der Predigten nach der Bedeutung dieses scheinbar radikalen Gegensatzes, so entdeckt man plötzlich nicht ohne Überraschung, dass Luther trotz der einseitig wirkenden Betonung von Kreuz und Tod die Auferstehung und das neue Leben keinen Moment aus dem Auge verliert. In den späten Predigten zum Sonntag Cantate 1544/45 gewinnt das Motiv von der Auferstehung Christi und allgemein der Auferstehung von den Toten sogar eindeutig die Oberhand, ohne dass Luther deswegen in eine vordergründige und primitive „Theologia gloriae“ abgleitet.

Theologe und Prediger

Luther hat nicht nur leidenschaftlich gern gepredigt, sondern er war stolz darauf, über das Lehramt hinaus zugleich zum Predigtamt berufen und bestellt worden zu sein. Unmittelbar nach seinem Doktorat und im Zusammenhang seiner Berufung auf den Lehrstuhl für biblische Theologie an der neu gegründeten Universität wurde Luther zum Prediger im Kloster und an der Wittenberger Stadtpfarrkirche bestellt. Beide Ämter hat er wahrgenommen, solange er konnte, das heißt, solange es in Wittenberg ein Kloster der Augustiner-Eremiten gab, bzw. solange er lebte. Im Kloster predigte er für die Mönche meist in lateinischer Sprache oder später nach Auflösung der monastischen Gemeinschaft in Gestalt der Hauspredigt für die Familie seiner Freunde und Schüler, wobei er in der Form der Reihenpredigt und nach dem Prinzip der „lectio currens“ ganze Bücher des Alten Testaments, einzelne Evangelien und verschiedene Briefe des Neuen Testaments behandelte. In der Stadtpfarrkirche hingegen predigte er in deutscher Sprache für die Gemeinde nach der für die Liturgie geltenden Leseordnung der römischen Kirche, die Luther denn auch über den Bruch hinaus beibehielt – eine Gemeinsamkeit, die grundsätzlich bis zur Liturgie-Reform des Vaticanum II bestand. Hinzu kommen zahlreiche Predigten, die Luther hielt, wenn er dienstlich auf Reisen war oder wenn er in Vertretung der Wittenberger Kirche an reichskirchlichen Veranstaltungen teilnahm. Es ist auffallend und aufschlussreich, dass Luther wie in Koburg 1530 oder wenige Jahre später in Schmalkaden den Freunden die kirchenpolitischen und theologischen Verhandlungen überlässt, um selbst vornehmlich als Prediger aufzutreten.

Wieder begegnen wir also der für Luther so typischen Verbindung von theologischer Lehre und Predigt. Das Phänomen ist längst nicht erklärt, wenn man darauf verweist, dass schließlich sogar Johannes Eck, der große Gegner Luthers, in Ingolstadt Professor und Stadtpfarrer zugleich war. Auch der geschichtliche Hinweis, dass die Predigt im 16. Jahrhundert mehr und mehr an Bedeutung gewann, was für die städtischen Kirchen zur Vermehrung eigener Predigerpfründen führte, signalisiert allenfalls den Aufbruch eines neuen Bewusstseins und neuer Erwartungen, die vor allem die Reformation erfüllen wird. Neben das Heer von Mess-Pfaffen und Altaristen, das sich eher schlecht als recht und erschreckend oft ohne jede Würde vom Schacher mit der Opfer-Messe zu ernähren versucht, tritt der Prediger als neuer Typ geistlichen Dienstes. Im Unterschied zum geistlichen Proletariat der Mess-Pfaffen sind die Prediger meist studierte Leute, die dem Wort der Predigt bald mehr Bedeutung beimessen als der schlichten Verwaltung der Sakramente. So kommt es zu Polarisierungen, wobei das „Wort“ gegen das „Sakrament“, aber auch das Amt des „ordinierten Priesters“ gegen die Beauftragung des Laienpredigers oder „Prädikanten“ in verschiedenster Weise ausgespielt wird. Diese falsche Polarisierung hat sich zum Teil bis auf den heutigen Tag und bis in das theologische Urteil hinein behauptet, wie sich an der klassisch gewordenen Unterscheidung zwischen der „Kirche des Wortes“ und der „Kirche des Sakramentes“ zeigen ließe.

Für Luthers Verständnis der Predigt und des Predigtamtes führen diese Hinweise nicht sehr weit, oder sie führen in die falsche Richtung einer angeblich reformatorischen Konzeption der Predigt, die sich bei Luther nicht nachweisen lässt.

Gewiss kommt es bei Luther im oben angedeuteten Sinn zu einer spürbaren Aufwertung der Predigt gegenüber der akademischen Theologie. Dasselbe gilt für die Aufwertung des Wortes gegenüber der Feier der Sakramente im Bereich des Gottesdienstes. Aber bei Luther kommt es nicht zu den aufgezeigten und im Grunde bis heute typischen Polarisierungen:

Die Aufwertung der Predigt führt bei Luther nicht zu einer Abwertung der Theologie, wie man sie beim mittleren Karlstadt oder bei zahlreichen „Schwerinern“ beobachten kann. Aber auch die liturgische Aufwertung des Wortes gegenüber dem Sakrament führt bei Luther keineswegs zu einer grundsätzlichen Abwertung des Sakramentalen. Es ist richtig, dass er in Wittenberg nur Prediger an der Stadtpfarrkirche wird – das Amt des Pfarrers übernimmt sein Freund Bugenhagen – und dass er nicht selten die Beschränkung auf das Predigtamt mit der Berufung auf das Beispiel des Apostels rechtfertigte. Aber diese Schwerpunktbildung impliziert bei Luther nicht im Geringsten eine Abwertung der Sakramente und die Vernachlässigung der Sakramentsverwaltung. Obgleich Luther nur das Predigtamt verwaltet, feiert er selbstverständlich mit der Gemeinde das Abendmahl, verwaltet er das „Amt der Schüssel“ in der allgemeinen Absolution wie in der Beichte und spendet auch die Taufe, sofern dies nicht von den Diakonen übernommen wird. Mehr noch, der Prediger Luther trägt keine Bedenken, in der Zeit nach 1530, als der Strom bereits ordinierter Priester und Mönche zur Reformation plötzlich versiegte, ein eigenes Ordinationsformular zu schaffen und namens der Kirche geeignete Kandidaten zum kirchlichen Amt zu ordinieren – und zwar zu einem Amt, das gleichgewichtig und aus der inneren Verbindung von Wort und Sakrament den Dienst und die Ermächtigung zu beidem umfasst.

Obgleich Luther die Verpflichtung zu Verkündigung und zum Glaubenszeugnis im Sinne des „allgemeinen Priestertums“ allen Gläubigen auferlegt, kommt es im Bannkreis Luthers grundsätzlich nicht zu der erwähnten Polarisierung zwischen ordinierten Amtsträgern und charismatisch sich legitimierenden Laienpredigern. Ein gutes Beispiel für die Wittenberger Lösung ist Philipp Melanchthon. Er war nicht nur Professor, sondern er rangierte auch als Kirchenmann, Visitator und Repräsentant der Wittenberger Kirche gleich nach Luther. Andererseits blieb jedoch Magister Philippus Laie, der, wenn er gelegentlich predigte, dies vornehmlich im Hörsaal, nicht aber im Gemeindegottesdienst und auf der Kanzel tat. Sicher ist jedenfalls, dass Melanchthon in Wittenberg niemals die Eucharistie gefeiert oder ordiniert hat, wenngleich er nicht wenige Ordinationszeugnisse ausgestellt hat. Auch das Gemälde, das ihn bei der Taufe eines Kindes am Taufbrunnen darstellt, ist eher eine Illustration des nach reformatorischer Auffassung den Laien zustehenden Rechtes zur Nottaufe als ein Beweis für die reguläre Sakramentsverwaltung durch Laienchristen.

Es ist daher kein Wunder, wenn der alte Luther in einer durch die Kanonisten ausgelösten Krise der Gemeinde unter Berufung auf die aus dem Predigtamt resultierende Verpflichtung seine Autorität als „Bischof“ der Kirche von Wittenberg geltend macht und voll zum Einsatz bringt. So ist also die Frage, wie Luther sein Predigtamt verstanden hat, von hoher theologischer Bedeutung. Denn bei der Predigt geht es für ihn nicht nur um die Verkündigung und deren Einbettung in die Theologie, sondern es geht zugleich um das geistliche Amt als Träger der Verkündigung und damit zugleich um die Struktur der Kirche, die ohne dieses Amt aufhörte, „Creatura Verbi“ zu sein.

Aus dem Reichtum der gesprochenen Sprache

Aus der Wahrnehmung der Pflichten des Predigtamtes durch Luther ist uns ein ganzes Gebirge von Predigten erhalten. Luther hat an Sonn- und Festtagen – das „Triduum sacrum“ der Karwoche und die Oktavtage von Weihnachten, Ostern und Pfingsten eingeschlossen – regelmäßig zweimal und während der Woche gewöhnlich dreimal gepredigt. So hat er zum Beispiel im Jahre 1529 in Wittenberg vom Palmsonntag bis zum Ostermittwoch 18 Predigten, an Pfingsten acht und an Weihnachten fünf Predigten gehalten. Nehmen wir hinzu, dass wir über die Predigttätigkeit von 1510–1521 nur rein zufällig orientiert sind und dass wir nach der Schätzung von Fachleuten von einem Drittel der Predigten nur wissen, dass sie gehalten wurden, dann ist die Zahl von mehr als 2000 in Nachschrift oder Bearbeitung erhaltenen Predigten ein wahrhaft beeindruckendes Zeugnis.

Im Einzelnen wäre noch viel über die Druck- und Wirkungsgeschichte der Luther-Predigten, vor allem über die sogenannte „Kirchenpostille“ zu sagen, mit der Luther und seine Bearbeiter (St. Roth – C. Cruciger – V. Dietrich – Rörer-Poach) den Pfarrern und den interessierten Christen eine riesige Sammlung von Musterpredigten über Epistel und Evangelium der Sonn- und Festtage des Kirchenjahres als Predigthilfe zur Verfügung stellten. Statt subtiler und differenzierter Angaben beschränke ich mich auch hier auf wenige Anmerkungen zur Auswahl und zur Übersetzung der in dieser Sammlung präsentierten Texte. Wie der Titel besagt, enthält das vorliegende Taschenbuch Predigten zu den Sonn- und Festtagen des weit gefassten österlichen Festkreises mit der vorbereitenden Fasten- und Passionszeit sowie den Hochfesten Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten. Ein zweiter Band enthält die Predigten des Winterteils, das heißt der Advents- und Weihnachtszeit [Topos 1085].

Trotz des geringen Umfangs eines Taschenbuchs war ich bemüht, Predigten der verschiedensten Art und aus allen Perioden in die Sammlung einzubringen.

Die Tatsache, dass ich für dieses Bändchen aus Hunderten von Predigten nur dreizehn auswählen konnte, macht schlagartig das Problem der zu treffenden Auswahl deutlich. Der Leser/die Leserin möge sich also vor Augen halten, dass Luther uns neben den hier gedruckten Texten zahlreiche Predigten bietet, die unter den Kriterien der Auswahl gleichwertig oder besser gewesen wären. Ich kann also nicht behaupten, dass die vorgelegte Auswahl die „besten Predigten“ enthält. Trotz meiner Liebe zu Luther will ich im Übrigen nicht verschweigen, dass es selbstverständlich bei der Masse von Predigten auch solche gibt, die mehr oder minder unter dem Niveau der hier präsentierten Texte liegen. Für die Prediger/innen unter den Leserinnen und Lesern des Taschenbuches könnte es eine wirksame Hilfe und ein echter Trost sein, dass es nicht primär die unvermeidlichen Wiederholungen thematischer Art sind, die diese Qualitätsminderung bewirken. Luther beherrscht vielmehr souverän die Kunst, auf die schlichteste Weise das Alte mit Neuem zu verbinden oder es aus dem unermesslichen Schatz des Wortes und auf dem Hintergrund der permanent. sich wandelnden Situation als neu zu verkünden. Die Qualitätsminderung tritt bezeichnenderweise erst da ein, wo sich der Polemiker Luther verführen lässt, seine Gegner von der Kanzel aus zu beschimpfen und sie mit ganzen Tiraden klappernder Schlagworte einzudecken und zum Schweigen zu bringen.

Unter dem Gesichtspunkt der Zeit enthält die Sammlung eine typische Predigt der Frühzeit, zehn Predigten aus der für Luthers theologische Entwicklung entscheidenden Epoche von 1518–1521; der reife Luther ist leider nur durch eine Predigt von 1530 vertreten; vom alten Luther stammen zwei Predigten, die immerhin anzudeuten vermögen, dass die Macht der Predigt bei der „Wittenberger Nachtigall“ mit fortschreitendem Alter nicht ab-, sondern zunimmt. Unter sachlichem Gesichtspunkt sind sodann die verschiedenen Arten der Lutherpredigten in der Sammlung vertreten:

Die früheste Predigt „vom Fundament der Theologie“ in lateinischer Sprache ist als „Abecedarium“ eine typische Betrachtung, wie Luther sie als Subprior, Spiritual und Ordensoberer für seine Mitmönche vortrug. Eine andere Serie gehört zum Typ der „Sermone“, die – ursprünglich aus echten Predigten entstanden – für den Druck überarbeitet und erweitert in Gestalt der Predigt eigentlich mehr der Lehre und der Unterweisung dienen, wie der Sermon „von der doppelten Gerechtigkeit“, „von der Beicht“, „von der Eucharistie“ und „vom Leiden Christi“.

Die restlichen Predigten sind echte liturgische Gemeindepredigten. Die sprachliche Gestalt der Textfassung verdient schließlich in doppelter Hinsicht unsere Beachtung: Sie hilft uns einmal bei der Suche nach der ursprünglichsten Gestalt der wirklich gepredigten Lutherpredigten; sie bestimmt im Übrigen die Art der Überarbeitung, die notwendig ist, um dem modernen Leser, der weder die lateinische Sprache noch das imponierende Luther-Deutsch beherrscht, die authentischen Texte möglichst originalentsprechend zu vergegenwärtigen.

Unter dem ersten Gesichtspunkt liegt auf der Hand, dass die von Luther für den Druck überarbeiteten Texte zwar in höchstem Maß authentisch sind, dass sie aber als gedruckte Predigten nicht ohne Weiteres den originalen Predigten entsprechen. Wie bei vielen sprachlich genial begabten Menschen besteht offenbar auch bei Luther – ohne dass dieses Problem jemals eingehend untersucht worden wäre – eine erhebliche Stilverschiedenheit zwischen der geschriebenen und der gesprochenen Sprache. Der originalen Predigt am nächsten kommen daher die uns erhaltenen Nachschriften, unter denen sich die von Rörer besorgten Nachschriften durch die größte Treue, leider aber auch durch die größte Länge auszeichnen.

Unter dem Gesichtspunkt der Überarbeitung stellen uns daher die in Latein gehaltenen oder für den Druck vorbereiteten Sermone oder Lehrpredigten vor die geringsten Schwierigkeiten.