Evolution und Schöpfung in neuer Sicht
topos premium
Eine Produktion des Verlags Butzon & Bercker
Für
Heidrun,
Anette, Peter,
Julia und Paula
Verlagsgemeinschaft topos plus
Butzon & Bercker, Kevelaer
Don Bosco, München
Echter, Würzburg
Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern
Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Tyrolia, Innsbruck
Eine Initiative der
Verlagsgruppe engagement
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN: 978-3-7666-0026-9
E-BOOK (PDF): ISBN 978-3-7666-5095-0
EPUB: ISBN 978-3-7666-6095-9
5. Auflage 2017
© 2009 Butzon & Bercker GmbH, Hoogeweg 100, 47623 Kevelaer, Deutschland
Alle Rechte vorbehalten.
Einband- und Reihengestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Umschlagfoto: © Birgit Meyke – Fotolia.com
Satz: Schröder Media GbR, Dernbach
Druck und Bindung: Pustet, Regensburg
Printed in Germany
Ein persönliches Vorwort
Vorwort zur fünften Auflage und Neuausgabe
Einleitung
1.Zu Fragestellung und Aufgabe
2.Zum Vorgehen
I. Missdeutungen des Schöpfungsgedankens bei Kreationisten und harten Naturalisten und die Realität der Evolution
1.Kreationismus und Intelligent-Design-Lehre
a) Bibel gegen Darwin?
b) „Creation Science“ und „Intelligent Design“
c) Kreationismus im deutschen Sprachraum
2.Zur Antwort von Evolutionsbiologen und zur Offensive atheistischer Fanatiker
a) Sachliche Klarstellungen durch Evolutionsbiologen
b) Die Offensive szientistisch-naturalistischer Fundamentalisten
c) Kein Atheist: Wie Darwin zu Religion und Schöpfungsglauben stand
3.Die Realität der Evolution, die Evolutionstheorie und der Evolutionsmythos
a) Zwingende Gründe für die Annahme von Mikro- und Makro-Evolution
b) Evolutionstheorie als unabgeschlossene biologische Erklärung der Evolution
c) Neo-mythische Überhöhung der Evolution zur Totaldeutung der Wirklichkeit?
II. Die biblischen Schöpfungstexte – was sie wollen und was sie nicht wollen
1.Die altorientalischen Schöpfungsmythen als Hintergrund und die Besonderheit biblischen Schöpfungsdenkens
a) Kreatives Chaos: Schöpfungsmythen der altorientalischen Hochkulturen
b) Gott als kreativer Urgrund: Zur Eigenart biblischen Schöpfungsdenkens
Exkurs: Ursprungs- und Schöpfungsmythen in den Religionen des Ostens
2.Wie sind die Schöpfungstexte am Anfang der Bibel (Gen 1 und 2–3) zu verstehen?
a) In sieben Tagen? Der Schöpfungshymnus am Anfang der Bibel (Gen 1)
b) Urzeitidylle und Sündenfall? Die Schöpfungs- bzw. Paradieserzählung Gen 2–3
c) Anti-evolutionär? Was der Redaktor wollte, der beide Texte aneinanderfügte
3.Anhang: Hinweise zum Evolutionsdenken in der Geschichte des Christentums
Exkurs: Evolutionsideen in vorchristlicher Antike
a) Dynamisch-evolutiv denkende griechische Kirchenväter
b) Statisch denkende Theologen in Antike und römisch-germanischem Mittelalter
c) Dynamisch-evolutives Denken bei Theologen der Neuzeit
III. Der harte, weltanschauliche Naturalismus – warum er zu kurz greift
1.Die eine komplexe Weltwirklichkeit und unsere pluralen Erkenntniszugänge
a) Plurale Perspektiven auf die mehrdimensionale Wirklichkeit
b) Was spricht gegen einen naturalistischen Erklärungsmonismus?
c) Eine Schichtentheorie der Wirklichkeit: Wie stehen die Ebenen zueinander?
d) Was der Naturalismus unbeantwortet lässt, ausblendet und unbemerkt voraussetzt
2.Die Frage nach einem göttlichen Urgrund – warum sie sich nicht erübrigt
a) Gegenfragen zur naturalistischen Bestreitung Gottes als Urgrund der Welt
b) Was erklären die Wissenschaften eigentlich und was will die Frage nach Gott?
c) Weltformel, anfanglose Welt, Multiversen? Die Abwehr letzter Fragen
d) Reichweite der Vernunft und Argumente für Glauben an Gott als Urgrund
e) Was atheistischer Naturalismus nicht erklärt, wohl aber der Gottesglaube
IV. Zum christlichen Verständnis von Gott, von Schöpfung und von Evolution
1.Worauf man sich einlässt, wenn man von Gott denken/sprechen will
a) Kann Gottes Gegenwart erfahren werden?
b) Wie der Schöpfer-Gott (nicht) gedacht werden darf
Exkurs zum Problem der Gottesbilder und zum Wort Liebe
2.Was bedeutet das für das Verständnis der Weltwirklichkeit?
a) Alles in Gott („Pan-en-theismus“): Der gesamte kosmische Prozess geschieht in Gott
b) Die Geschöpfe sind in ihre Eigendynamik hinein freigegeben; alles Leben ist beseelt
c) Gott in allem – freilich auf unterschiedliche Weise
V. Die Evolution im Rahmen des Schöpfungsglaubens
1.Der ständige absolute Schöpfungsvorgang als Grundvoraussetzung von Evolution
a) Eine Aussage im Präsens: das ständige transzendentale Gründungsgeschehen
b) Implikationen der Aussage von der „creatio ex nihilo“
2.Die Evolution als fortwährendes relatives Schöpferwirken in tastender Interaktion
a) Die Evolutionstheorie und die Glaubensaussage von der „creatio continua“
b) Emergenz und die Frage nach dem Wirken Gottes im Evolutionsprozess
c) Zielgerichtetheit im Zufall? Fehlentwicklungen und Finalität im Evolutionsprozess
3.Vorläufige und endgültige Neu-Schöpfung als Überschuss über alle Evolution
a) Vor-läufige Neuschöpfung: Befreit-befreiendes Dasein schon mitten im Weltlauf
b) Der Tod und die Hoffnung auf eine alle weltlichen Möglichkeiten übersteigende Vollendung
Schluss: Einige Folgerungen für das Verhältnis von Evolution und Schöpfung
Anmerkungen
Literatur
Personenregister
Schöpfung und Evolution – ein Gegensatz: So scheint es, wenn man manchen Bestsellern und Medienbeiträgen glauben will. Die Fundamentalisten auf beiden Seiten verharren in ideologisch erstarrten Fronten. Grundlegende Informationen fehlen. Sachlichkeit bleibt oft ein Fremdwort.
Aber werden wirklich nur längst ausgefochtene Kämpfe neu angeheizt, wie manche meinen? Steht nicht Grundlegendes zur Debatte? Steht nicht der Glaube an einen Gott und an sein Wirken vor einer ganz abgründigen Herausforderung angesichts der anscheinend völlig autonomen Abläufe der kosmischen, der biologischen, der kulturellen Evolution? Und der Mensch, ist er nicht in der Tat ein unbedeutendes Randphänomen in den ungeheuren Weiten des Kosmos, oder ist er gar, indem er seine kosmische Zufälligkeit und Ausgesetztheit erkennt, schon über diese hinaus? Ist er vielleicht doch gewollt? Steckt in den vielen extremen Unwahrscheinlichkeiten der Evolution eine Zielgerichtetheit? Und wäre es, angesichts der naturbedingten Übel, ohne Evolution sogar schwerer, an Gott zu glauben?
Mir persönlich hat einiges geholfen, die Evolution und den Schöpfungsglauben zusammenzudenken. Auf der Oberstufe des Gymnasiums in Schwäbisch Gmünd hatten wir einen Biologielehrer, der uns einen guten, vorurteilsfreien Biologieunterricht gab, ohne weltanschauliche Beimischungen. Ein einziges Mal ließ er, und das auch erst im Hinausgehen, erkennen, wo er selbst stand. Ich erinnere mich: Er hatte die im Einzelnen hoch komplizierte Photosynthese erklärt und dazu weit ausgeholt, bis zu bestimmten Bakterien, die die Fähigkeit zur Photosynthese entwickelt haben und dann von größeren Zellen aufgenommen wurden, sodass Algen, Moose, Farne und Samenpflanzen entstehen konnten, die mit der Produktion von Sauerstoff in großem Maßstab erst die Voraussetzung für die reiche Vielfalt höheren Lebens auf der Erde geschaffen haben. Am Ende der Stunde – er hatte seine Sachen schon zusammengepackt und unter dem Arm – sagte er noch ganz ruhig: „Sie brauchen nicht zu meinen, dass Sie das jetzt voll verstanden hätten, dahinter steht das göttliche ‚Es werde‘.“ Es war das einzige Mal, dass er durchblicken ließ, wo er selber stand. Für manchen von uns war das ein Bildungserlebnis. – Ein paar Jahre zuvor hatte unser damaliger Religionslehrer, der dann an die PH wegberufen wurde, uns in die geschichtlich-theologische Sicht der Bibel und ihrer Schöpfungstexte eingeführt und sie mit heutiger Erfahrung so überzeugend und eindrucksvoll vermittelt, dass beides nicht in zwei unverbundene Welten auseinanderfiel. – Mittlerweile hat sich meine Sicht der Dinge erheblich erweitert und vertieft, nicht allein durch Studium und Lehre der Theologie, sondern auch durch ein mehr als zwanzig Jahre andauerndes Gespräch mit Physikern, Biologen, Philosophen und Theologen in einer interdisziplinären Arbeitsgruppe an der Frankfurter Goethe-Universität, die ich bis Ende 2005 geleitet habe. – Der Prozess meines Nachdenkens geht weiter, herausgefordert durch immer neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse und religiös-theologische Impulse.
In diesem Buch möchte ich eine Zwischenbilanz vorlegen. Ich möchte zur Aufklärung, zur Versachlichung, zu einer nüchternen Betrachtung und zum Gespräch beitragen. Deshalb setze ich auf Information und auf das Argument. Es wird nichts vorausgesetzt, was nicht hinterfragt werden dürfte.
Ich werde einerseits in Auseinandersetzung mit den Kreationisten den originären Sinn der Schöpfungstexte am Anfang der Bibel herausarbeiten, andererseits in Auseinandersetzung mit atheistischen Evolutionisten die Defizite eines harten Naturalismus aufzeigen, eine Schichtentheorie der Wirklichkeit entwickeln und deutlich machen, inwiefern naturwissenschaftliche Erkenntnisse offen sind für unterschiedliche Deutungen und weder zu Atheismus noch zu Gottesglauben zwingen. Dann werde ich den recht verstandenen Schöpfungsgedanken begründen und Grundzüge einer Schöpfungstheologie darstellen. Schließlich lege ich dar, dass der Schöpfungsglaube einen erweiterten Sinnhorizont auftut, in welchem sich die Evolution in einem neuen Licht darstellt. So können sowohl die Anschlussfähigkeit des Schöpfungsglaubens an die Erkenntnisse der Naturwissenschaften und der Evolutionstheorie als auch sein Überschuss über diese sichtbar werden.
Ich danke dem Bielefelder Physiker Reinhart Kögerler für anregende Gespräche, dem Frankfurter Biologen Stefan Peters für hilfreiche Hinweise, meiner Frau Heidrun als meiner ersten Leserin für ihre kritischen Rückfragen, sowie Herrn Dr. Berthold Weckmann und Herrn Dr. Bruno Kern für die verlegerische Betreuung.
Frankfurt/M. und Werther/Westf., im Februar 2009
Hans Kessler
Das vorliegende Buch ist 2009 in erster und zweiter, 2010 in dritter und 2012 in vierter Auflage erschienen. Jetzt ist eine fünfte Auflage nötig geworden, die als Neuausgabe im Rahmen von Topos premium erscheint. Lediglich eine Literaturergänzung (D. Stefan Peters) ist gegenüber der letzten Ausgabe hinzugekommen.
Im November 2016
Hans Kessler
Der Glaube an einen Schöpfer und das Verständnis der Welt als Schöpfung (der Dinge, Lebewesen und Menschen als Geschöpfe) sind grundlegend für Bibel und Christentum. Alles baut darauf auf.
Sind dieser Glaube und dieses Verständnis nicht mehr haltbar oder mit der Vernunft nicht mehr vollziehbar, so rutscht das Fundament des Christlichen weg. Wie soll man dann noch an ein Heil von Gott her glauben, an ein göttliches Wirken, an Versöhnung und Erlösung, an Rettung auch der Toten, an eine Gerechtigkeit und an Vollendung, wenn man redlich keine Instanz mehr annehmen kann, die das Ganze der Welt und unseres Daseins begründet, die Ur-Grund, Halt und Ziel von allem ist? Mit schlechtem Gewissen weiterglauben, schizophren in zwei Welten leben, die Fragen einfach wegschieben und ausblenden: Das ist auf Dauer nicht durchzuhalten. – Ein missverstandener und nicht mehr mit unserem heutigen Naturwissen vermittelbarer Gottes- und Schöpfungsglaube ist eine der Hauptursachen für die schwindende Akzeptanz der christlichen Botschaft, für Verunsicherung, für neuen Atheismus oder auch für die Suche nach scheinbar plausibleren religiösen Alternativen.
Denn genau in diesem Grundlegenden, dem Gottes- und Schöpfungsglauben, gibt es massive Missverständnisse, die alles verstellen, verfälschen und blockieren. Missverständnisse einerseits bei ganz normalen Gläubigen und insbesondere bei religiösen Fundamentalisten (Kreationisten), die in der Evolutionslehre einen Widerspruch und eine Konkurrenz zur biblischen Schöpfungsgeschichte, wie sie diese verstehen, sehen. Missverständnisse andererseits bei antireligiösen szientistischen1 Fundamentalisten (fanatisch-atheistischen Naturalisten), welche die Schöpfungsvorstellung der Kreationisten gleichsetzen mit dem authentischen biblisch-christlichen Schöpfungsglauben, den sie dann ebenfalls – nur mit umgekehrter Stoßrichtung – für unvereinbar mit der Evolutionstheorie halten.
Kreationismus und atheistischer Naturalismus sind feindliche Zwillinge. Sie schaukeln sich gegenseitig hoch. Dazwischen bleibt oft kaum noch Platz für eine sachgerechte Darlegung des originären Schöpfungsgedankens. Dieser erfordert ja auch viel mehr und differenziertere gedankliche Anstrengung als die einfachen, griffigen und meist platten Formeln von Kreationisten wie von Naturalisten, die oft auch deswegen so ankommen, weil sie vielfältigen Frust (an ärgerlicher Kirche oder an kalter Wissenschaft) bedienen. So wundert es nicht, wenn sich neuerdings in manchen Medien vermehrt Beiträge finden, die nur das kreationistisch-fundamentalistische Zerrbild von Schöpfungsglauben bieten, es mit Bibel, Christentum, Schöpfungsglauben überhaupt gleichsetzen und diese dann für unvereinbar erklären mit evolutivem Denken (das für sie identisch ist mit rein naturalistisch-atheistischem Denken).
Da fehlt es schlicht an der nötigen Basisinformation, die für ein rationales Urteil erforderlich ist. Um beides, um nötige Information und um argumentativ begründetes, rationales Urteil, soll es hier gehen.
Im Folgenden werde ich deshalb zuerst (I.) die Positionen der Kreationisten einerseits und ihrer evolutionsbiologisch-naturalistischen Kontrahenten andererseits darstellen sowie die daraus sich ergebenden Probleme skizzieren. Darwin, so wird sich zeigen, war viel umsichtiger als manche seiner atheistischen Epigonen bis heute.
Sodann soll (II.) gezeigt werden, wie die biblischen Schöpfungstexte – nicht nach der naiven Wahrnehmung des unkundigen Lesers, sondern – nach den Erkenntnissen der bibelwissenschaftlichen Forschung ursprünglich zu verstehen sind und wie sie sich zum Evolutionsdenken verhalten, das es, wie wir sehen werden und was man meist nicht weiß, schon bei frühen christlichen Theologen gibt.
Ferner soll (III.) herausgearbeitet werden, inwiefern seriöse Naturwissenschaft und Evolutionsbiologie auf einen methodischen Naturalismus verpflichtet sind, sich daraus aber keineswegs ein harter weltanschaulicher oder metaphysischer Naturalismus (d. h. Atheismus) ergibt, die Wirklichkeit vielmehr mehrdimensional ist und eine Schichtentheorie der Wirklichkeit nahelegt, die für unterschiedliche Weltdeutungen oder Metaphysiken offen ist. Dabei ist auch zu bedenken, was die Wissenschaft eigentlich erklärt und warum sich die Frage nach Gott und Schöpfung nicht erübrigt.
Erst dann kann (IV.) unter Bezugnahme auf die kosmische und biologische Evolution und die damit gegebenen Verstehensprobleme (von Materie und Geist bis hin zu Zufall und Zielgerichtetheit) der Gottes- und der Schöpfungsgedanke in seinen verschiedenen Aspekten dargelegt, können ein Panentheismus und Grundzüge einer Schöpfungstheologie jenseits von Kreationismus und weltanschaulichem Naturalismus entwickelt werden.
Abschließend werde ich dann (V.) zeigen, dass und inwiefern die Schöpfungstheologie einen umfassenden Rahmen entwirft, der die Grundvoraussetzung aller Evolution thematisiert und in dem die Evolution zugleich ihren unverzichtbaren Platz hat. Gäbe es keine Evolution, so wäre es angesichts der naturbedingten Übel viel schwerer, an Gott zu glauben. Eine wichtige Frage wird deshalb sein, inwiefern und in welchem Sinne von einem Wirken Gottes in der Evolution und über sie hinaus gesprochen werden kann.
Jedes der fünf Kapitel ist so angelegt, dass es auch für sich verständlich und lesbar ist.2
Vorweg eine Bemerkung zum Sprachgebrauch. „Creation“ ist das englische Wort für „Schöpfung“. Wenn Menschen sich selbst „Kreationisten“ (creationists) nennen, dann bezeichnen sie sich damit als „Schöpfungsgläubige“, wobei unausgesprochen der Anspruch mitschwingt, sie seien die Vertreter des wahren Schöpfungsglaubens. Allein schon die Bezeichnung Kreationisten kann daher Missverständnisse hervorrufen. Wir werden sehen, dass der Kreationismus auf einem Irrtum beruht und nur scheinbar mit Schöpfung im biblisch-theologischen Sinn zu tun hat.
Die Kreationisten unterscheiden nicht (wie die Bibelwissenschaft) zwischen den religiösen Inhalten der Bibel und den damaligen weltbildlichen Vorstellungen, in die sie eingebettet sind, sondern sie verstehen die Schöpfungstexte am Anfang der Bibel (Gen 1 und 2 f) buchstäblich wörtlich als Tatsachenberichte, missverstehen sie daher als naturkundliche, gewissermaßen naturwissenschaftliche Auskünfte. Sie kennen nur einen Weg, die religiöse Wahrheit der Bibel festzuhalten, nämlich durch die Behauptung, dass die Bibel auch in allen weltbildlichen Anschauungen irrtumslos sei. Der buchstäbliche Wortlaut der Bibel müsse wahr sein, also auch die damaligen Vorstellungen über die Natur, und deshalb seien die alttestamentlichen Erzählungen von Schöpfung, Sündenfall und Sintflut als historische Faktenbeschreibungen zu verstehen. Davon abweichende naturwissenschaftliche Erklärungen, zumal die Evolutionstheorie, werden deshalb entschieden als falsch abgelehnt.
Der vermeintlich bibeltreue Kreationismus (aus dem dann, wie unten dargestellt, durch Strategiewechsel die Creation Science und die Intelligent-Design-Theorie hervorgingen) kennt zahlreiche Gruppen: Die „young-earth-creationists“ verstehen die sechs Tage in Gen 1 als 6000 Jahre, die Erde sei jung (weniger als 10 000 Jahre alt); alle Tiere seien als friedliche Pflanzenfresser geschaffen, nach dem Sündenfall aber teilweise zu räuberischen Fleischfressern geworden; die Sintflut sei ein historisches Ereignis; der Mensch sei in einem eigenen Schöpfungsakt unmittelbar von Gott erschaffen worden. Die „old-earth-creationists“ glauben, dass sich der Schöpfungsakt über mehrere Milliarden Jahre hingezogen habe; die sechs Tage in Gen 1 stünden für ganze Zeitalter („day-age theory“). Eine andere Gruppe nimmt zwischen den Schöpfungstagen lange Zeiträume als Lücken an („gap theory“). Alle Gruppen lehnen eine gemeinsame Abstammung und Evolution der Lebewesen ab; Menschen und Menschenaffen hätten keine gemeinsamen Vorfahren.
Ein derartiges – längst überwunden geglaubtes – buchstäblich-wörtliches Verständnis der biblischen Schöpfungstexte, das (wie in II. 2 gezeigt wird) an ihrem ursprünglichen Sinn vorbeigeht, scheint heute wieder manche Menschen zu faszinieren. Verunsichert durch die gesellschaftlichen Umbrüche und die rasante Veränderung der Lebensverhältnisse, suchen sie nach Sicherheit und Halt an etwas, das sich nicht verändert, und finden es im Wortlaut der Bibel, an dem sie nicht deuteln lassen. Die Anhänger einer solchen buchstäblichen Auslegung der Bibel sind dann durchweg Gegner der Evolutionslehre. Nach ihrer Auffassung kann nur entweder die Bibel oder die Wissenschaft richtig sein: die (buchstäblich zu nehmende) Bibel oder Darwin, nicht die (anders zu verstehende) Bibel und Darwin.
Umfragen aus dem Jahr 2005 zufolge stand damals in den USA fast die Hälfte der Bevölkerung einem Junge-Erde-Kreationismus nahe und lehnte die Evolution offen ab; in den letzten Jahren sinkt diese Zahl zwar (aber auch die Zahl derjenigen, welche die Evolution akzeptieren), dafür steigt der Anteil der Menschen, die unsicher sind, stark an – eine Folge der verwirrenden öffentlichen Debatte. In den meisten westeuropäischen Ländern und in Japan akzeptieren mindestens 70 % der Erwachsenen die Evolution, in den USA lediglich 40 %, nur in der Türkei (dem einzigen an solchen Umfragen beteiligten islamischen Land) sind es noch weniger, nämlich unter 30 % der Erwachsenen. In den deutschsprachigen Ländern meinen noch immer etwa 20 % der Bevölkerung (eher wenig Gebildete), dass der Mensch erst vor wenigen Jahrtausenden durch einen Schöpfungsakt entstanden sei.
Und weil zum einen die Bibelwissenschaft und Universitätstheologie hierzulande medial kaum noch die Öffentlichkeit erreicht, zum andern in den beiden Volkskirchen aus Scheu vor der notwendigen Konfrontation mit sich als bibeltreu gerierenden Gruppen in den eigenen Reihen eine klare Positionierung häufig unterbleibt, entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass die beiden Kirchen die Schöpfungstexte am Anfang der Bibel wortwörtlich nehmen und sie als angeblich historische Tatsachenberichte von der Entstehung der Welt, des Lebens und des Menschen verstehen, also eigentlich nicht mehr ernst zu nehmen sind.
Die Renaissance des Kreationismus begann nach dem Ersten Weltkrieg in den USA. Seit 1921 treten dort Kreationisten militant gegen die Evolutionstheorie auf und fordern ein Verbot der Evolutionslehre in den Schulen. In einigen Staaten wurden solche Anti-Evolutionsgesetze tatsächlich erlassen (Oklahoma 1923, Tennessee 1925, Mississippi 1926, Arkansas 1928), und in der Folgezeit nahm die Zahl der offiziell genehmigten Schulbücher zu, in denen die Evolutionstheorie nicht erwähnt oder abgelehnt wurde.
Dann aber führte der Schock des Sputnik-Erfolgs der UdSSR von 1957 in der Öffentlichkeit der USA zu einer Änderung der antiwissenschaftlichen Haltung und in intellektuellen Kreisen zu gesteigerter Antipathie gegen den Kreationismus. 1968 erklärte der Supreme Court in einem Prozess gegen das Anti-Evolutionsgesetz von Arkansas (unter Bezug auf die Verfassung der USA, welche die strikte Trennung von Staat und Kirche garantiert) religiöse Lehrinhalte im schulischen Biologieunterricht für verfassungswidrig. Seitdem entwickeln die Kreationisten eine neue Strategie: Sie betonen nun das Unzureichende evolutionärer Erklärungen und beanspruchen für ihre alternative Auffassung, die sie jetzt creation science (Schöpfungswissenschaft) nennen, eine gleichberechtigte wissenschaftliche Position sowie Gleichbehandlung in Stundenplan und Lehrbüchern. Angeregt vom 1972 gegründeten einflussreichen Institute for Creation Research wurden in 27 Bundesstaaten entsprechende Gesetzesentwürfe eingebracht, in zwei Staaten (Arkansas und Louisiana) erlangten sie sogar Gesetzeskraft, wurden aber 1982 und 1987 in Gerichtsverfahren wieder wegen Unterlaufens der Trennung von Staat und Kirche für Unrecht erklärt.
Diese juristischen Niederlagen führten zu einem erneuten Strategiewechsel seitens der Kreationisten. Seit etwa 1992 vertreten sie die Lehre vom Intelligent Design (abgekürzt: ID): Man könne in der Natur mit empirisch-naturwissenschaftlichen Mitteln Signale von Design (Absicht, Plan) feststellen, welche dazu zwingen, einen Designer (Planer) anzunehmen. Wohlgemerkt: Der springende Punkt dieser Lehre ist, die Naturwissenschaft selbst müsse einen intelligenten Designer annehmen. Die Lebewesen seien bis in ihre molekularen Bestandteile hinein irreduzibel komplex und könnten nicht per Zufall entstanden sein; die Entstehung unseres Kosmos und der Vielfalt der Arten könne nicht durch einen ungerichteten Evolutionsprozess, sondern nur durch eine intelligente Ursache erklärt werden.
Der amerikanische Biochemiker und ID-Vertreter Michael Behe bringt etwa das Beispiel einer Mausefalle, bei der keiner der fünf Teile (Holzbrett, Feder, Haltebügel, Schlagbügel, Köderhalter) fehlen dürfe, damit sie ihren Zweck erfüllt, eine stufenweise Entwicklung zur funktionsfähigen Falle sei damit ausgeschlossen. Entsprechend erfülle auch die wie ein Propeller rotierende Bakteriengeißel, mit der das Bakterium sich fortbewegen kann und deren Motor – für ein so primitives Lebewesen – ganz erstaunlich komplex (und raffiniert konstruiert) ist, ihren Zweck nur in der kompletten Zusammenstellung all ihrer Teile, sie könne darum nicht stufenweise entstanden, sondern müsse das Ergebnis einer intelligenten Planung sein (Behe 1996).3
„Where there is design, there must be a designer“: So wird mit dem alten Design-Argument etwa des englischen Physikotheologen William Paley (1745 – 1805) gesagt. Paley brachte in seinem Buch Natural Theology (1802), zu Darwins Studienzeit Pflichtlektüre, das berühmte Beispiel: Wenn man am Strand eine Uhr liegen sehe, müsse man zwangsläufig auf die Existenz eines Uhrmachers schließen (eine Uhr sei zu komplex, um durch Zufall entstanden zu sein); entsprechend ließen die äußerst komplex koordinierten Strukturen von Lebewesen auf die Existenz eines planvoll vorgehenden Schöpfer-Gottes schließen.
So weit gehen die heutigen Vertreter der Intelligent-Design-Theorie freilich nicht. Sie schließen nur auf einen intelligenten Designer (Planer, Entwerfer), „Gott“ wird nicht erwähnt. Auch der Bezug zur Bibel wird vordergründig aufgegeben; bibelbezogene Gedankengänge treten in den Hintergrund, ohne aber die Funktion als Leitideen zu verlieren.
Die ID-Theoretiker betonen, dass sie die Evolutionstheorie aus naturwissenschaftlichen Gründen kritisieren. Es gebe Phänomene in der Natur, die sich nicht mit Verweis auf zufällige, ungerichtete Mutationen und natürliche Selektion erklären lassen. Charles Darwin hatte ja selbst im sechsten Kapitel („Schwierigkeiten der Theorie“) seines Werkes On the Origin of Species formuliert: „Wenn gezeigt werden könnte, dass irgendein komplexes (zusammengesetztes) Organ existiert, das auf keine Weise durch zahlreiche, aufeinander folgende geringfügige Modifizierungen entstanden sein kann, dann würde meine Theorie ganz und gar zusammenbrechen. Ich vermag jedoch keinen solchen Fall aufzufinden.“ (Darwin 1859/2008, 224)
Die ID-Theoretiker wollen den empirischen Gegenbeweis antreten. So versuchen sie Schwachstellen des Darwinismus aufzuspüren und kritisieren gängige evolutionsbiologische Erklärungen komplexer organismischer Phänomene. Dabei gehen sie mit folgender Strategie vor: 1. Nachweis hoch komplexer Zweckmäßigkeit in Zellen, Organen oder Organismen (sign detecting); 2. Ausschluss aller in Frage kommenden bekannten Ursachen wie Zufall, stufenweise Entstehung usw. (argumentum ad ignorantiam); 3. Weil zweckmäßiges Design immer einen Designer/ Hersteller voraussetzt, muss es einen solchen auch in der Natur geben (Analogieschluss vom Artefakt auf die Natur).
Aber ist dieser Analogieschluss zwingend? Er nimmt ja den fundamentalen Unterschied zwischen Technik und Natur nicht ernst. Kunstdinge nämlich können sich nicht selbst zweckmäßig gestalten, sie erfordern immer einen Hersteller, Naturdinge aber haben die Fähigkeit, sich selbst zweckmäßig zu gestalten. Wie das zu denken ist, wäre philosophisch weiter zu klären (s. u. V. 2. c).
Im Vergleich zu den USA hat der christliche Fundamentalismus in Deutschland nur wenige Anhänger, was sich nicht zuletzt der beinahe flächendeckenden Präsenz eines problemorientierten und reflexionsfreundlichen Religionsunterrichts verdankt, der den Schülern zu einem selbstständigen Umgang mit der eigenen religiösen Tradition sowie zur Kenntnis anderer Religionen und Weltanschauungen verhilft.
1) Kreationistisches Gedankengut gewinnt in evangelikal-biblizistischen Kreisen Einfluss, seit 1979 die Studiengemeinschaft Wort und Wissen e. V. gegründet wurde, ein durch Spenden finanziertes „Glaubenswerk“, dessen Mitglieder meist Junge-Erde-Kreationisten sind und das zahlreiche Materialien für Schüler herausgibt. Zu diesen gehört auch das als Schulbuch für die gymnasiale Oberstufe gedachte evolutionskritische Buch von Reinhard Junker (Geschäftsführer dieser Studiengemeinschaft) und Siegfried Scherer (Ernährungswissenschaftler an der TU München) „Evolution. Ein kritisches Lehrbuch“ (Gießen 1998, 62006), das ID-Argumente bietet, das jedoch in keinem Bundesland für die Verwendung an Schulen zugelassen ist.
Interessanterweise hat Scherer sich jüngst im Internet zurückhaltender geäußert: Er halte die ID-Theorie nicht für eine wissenschaftliche Theorie, sondern für eine Motivation zu weiterer naturwissenschaftlicher Forschung, da Kernprobleme der Evolutionstheorie bisher nicht gelöst seien. Da scheint sich etwas zu bewegen.
2) Im katholischen Raum konnten kreationistische Gedanken bislang kaum Fuß fassen. Doch haben Äußerungen des Wiener Kardinals Christoph Schönborn in einem Zeitungsartikel „Finding Design in Nature“ in der New York Times vom 7. Juli 2005 (sowie in anschließenden Interviews) großes Aufsehen erregt und zugleich erheblich irritiert, weil er sich dabei auf die Seite der ID-Vertreter begab und dabei auch noch so tat, als spreche er für „die katholische Kirche“. Auch wenn Schönborn in weiten Kreisen der katholischen Kirche Protest und Ablehnung erfuhr, war die Wirkung dieses Artikels für das Ansehen der katholischen Kirche in den Augen vieler Naturwissenschaftler verheerend. Anstoß erregen und Widerspruch erfahren muss zumal die folgende Behauptung Schönborns:
„Die Evolution im Sinn einer gemeinsamen Abstammung (aller Lebewesen) kann wahr sein, aber die Evolution im neodarwinistischen Sinn – ein zielloser, ungeplanter Vorgang zufälliger Veränderung und natürlicher Selektion – ist es nicht. Jedes Denksystem, das die überwältigende Evidenz für einen Plan in der Biologie leugnet oder wegzuerklären versucht, ist Ideologie, nicht Wissenschaft.“
Hier muss man zurückfragen: Wie kann die Kirche bzw. irgendein hoher Kirchenbeamter darüber befinden, ob eine naturwissenschaftliche Theorie „wahr“ (besser: richtig) oder falsch ist? Die Frage der Richtigkeit und Geltung der Evolutionstheorie kann doch nur im rationalen Diskurs mit Argumenten der Vernunft entschieden werden, nicht aber autoritativ durch einen kirchlichen Würdenträger. Und ob es „in der Biologie eine überwältigende Evidenz für einen Plan“ geben kann, ist in höchstem Maße fraglich.
Mittlerweile hat Kardinal Schönborn seine Vorstellungen über „Ziel oder Zufall?“ ausführlicher dargelegt (Schönborn 2007; Schönborn 2008). Dabei zeigt er sich nicht nur über den Stand der evolutionsbiologischen Erkenntnisse schlecht informiert, sondern erliegt auch Kurzschlüssen wie dem, die Evolutionstheorie sei eine besonders angreifbare und zweifelhafte Theorie. Darauf werden wir (in I. 3 und in V. 2. c) zurückkommen. Eine wichtige Frage wird sein, ob ungerichteter Zufall und Zielgerichtetheit sich ausschließende Alternativen sein müssen („Ziel oder Zufall“) oder ob sie auch ineinander liegen und zusammenspielen können (Zielgerichtetheit in Zufallsereignissen).
Anders als Schönborn (in seinem Zeitungsartikel) hat übrigens dessen Lehrer Joseph Ratzinger schon 1969 das ureigene Recht der Naturwissenschaft und ihres methodischen Naturalismus anerkannt. Er hat geschrieben, „dass die Fragestellung des Evolutionsgedankens enger ist als diejenige des Schöpfungsglaubens. Keinesfalls kann also die Evolutionslehre den Schöpfungsglauben in sich einbauen. In diesem Sinn kann sie mit Recht die Idee der Schöpfung als für sich unbrauchbar bezeichnen: innerhalb des positiven Materials, auf dessen Bearbeitung sie von ihrer Methode her festgelegt ist, kann er (gemeint ist: der Schöpfungsgedanke) nicht vorkommen. Gleichzeitig muss sie die Frage offen lassen, ob nicht die weitere Problemstellung des Glaubens an sich berechtigt und möglich sei. Sie kann diese von einem bestimmten Wissenschaftsbegriff her allenfalls als außerwissenschaftlich ansehen, darf aber kein grundsätzliches Frageverbot erlassen, dass etwa der Mensch sich nicht der Frage des Seins als solchem zuwenden dürfe. Im Gegenteil: Solche Letztfragen werden für den Menschen, der selbst im Angesicht des Letzten existiert und nicht auf das wissenschaftlich Belegbare reduziert werden kann, immer unerlässlich sein.“ Und Ratzinger hat dann hinzugefügt, dass „der Schöpfungsgedanke als das Weitere seinerseits in seinem Raum den Evolutionsgedanken annehmen“ kann (Ratzinger 1969, 235 f).
Anfang März 2009 hat Kardinal Schönborn nun seine umstrittenen Äußerungen revidiert (siehe Anm. 98).
Der erwähnte Territorial-Anspruch der Kreationisten auf eine alternative und die allein richtige naturwissenschaftliche Naturerklärung empört und provoziert Naturwissenschaftler mit Recht. Zumal unter Biologen hat sich erheblicher, zum Teil erregter Widerstand formiert.
Sachliche Klarstellungen zur Unwissenschaftlichkeit des Kreationismus stammen von bekannten Altmeistern der Evolutionstheorie: von Ernst Mayr († 2008), der übrigens sein Leben lang mit einem strahlenden Lächeln und in völliger Zufriedenheit seinen Zuhörern verkündete, dass sie nichts als ein Zufall seien; von Stephen Jay Gould († 2002), der, obwohl selbst Atheist, das darwinistische Evolutionsmodell so verstand, dass es sowohl mit Atheismus als auch mit religiösen Überzeugungen vereinbar ist (Gould 1992; Gould 2002). Und der dritte große Altmeister, mit Ernst Mayr zusammen Begründer der Synthese von Evolutionstheorie und Genetik, Theodosius Dobzhansky, hat schon 1973 in seinem bemerkenswerten Beitrag „Nothing in Biology Makes Sense Except in the Light of Evolution“ geschrieben: „Es ist falsch, wenn man Schöpfung und Evolution als sich gegenseitig ausschließende Alternativen versteht.“ Dobzhansky hat den Kreationisten ihre Selbstbezeichnung streitig gemacht und erklärt: „Ich bin Kreationist und Evolutionist. Die Evolution ist die Methode Gottes, oder der Natur, zur Schöpfung. Kreation ist kein Ereignis, das sich 4004 v. Chr. abgespielt hat. Es ist ein Prozess, der vor gut 10 Milliarden Jahren begann und immer noch fortdauert.“ (Dobzhansky 1973, 127)
In Deutschland tut sich in der Aufklärungsarbeit besonders die 2002 gegründete „Arbeitsgemeinschaft Evolutionsbiologie im Verband Biologie, Biowissenschaften & Biomedizin“ hervor. Ihrer Homepage zufolge will sie in Veröffentlichungen und Informationsmaterial „klar gegen evolutionskritische Lehren Position beziehen“ und Argumentationshilfen anbieten, „weshalb Schöpfungslehren keine wissenschaftlichen Alternativen zur Evolutionstheorie sein können“. Dagegen ist aus der Sicht eines vernünftigen christlichen Schöpfungsglaubens nichts einzuwenden.
Vereinzelte lautstarke Biologen, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, wie Richard Dawkins oder Ulrich Kutschera, gehen indes so weit, dass sie einem (letztlich wissenschaftsfeindlichen) religiösen Fundamentalismus einen (religionsfeindlichen) szientistisch-naturalistischen Fundamentalismus entgegensetzen, der selbst Züge eines dogmatisch fixierten und unreflektierten Glaubens hat. Sie treten aggressiv auf mit dem Anspruch, man müsse Atheist sein, wenn man die Evolution und die Biologie ernst nehme (wobei nachzufragen ist, wie sie sich den Gott denken, den sie ablehnen; in der Karikatur, die sie zeichnen, würde kein einigermaßen gebildeter Christ Gott und den Schöpfungsglauben erkennen).
1) Der als Biologe und Genetiker anerkannte Richard Dawkins hatte sich schon in seinem Buch Das egoistische Gen bei seiner soziobiologischen Erklärung von Moral in Widersprüche verwickelt, indem er den Menschen als genetisch vollständig determiniert ausgab, ihn dann aber aufforderte, er solle die erkannten Pläne seiner egoistischen Gene „durchkreuzen“ oder „transzendieren“ (Dawkins 1978, 3), was ja doch ein gewisses Maß an Entscheidungsfreiheit und Wertmaßstäbe voraussetzt; das Gute (wenn sich etwa ein Mensch für fremde Menschen oder für andere Lebewesen einsetzt und dabei eigenen Schaden oder gar sein Leben riskiert, obwohl er oder seine „egoistischen Gene“ davon nichts haben und er auch kein Masochist ist) lässt sich rein soziobiologisch oder sonstwie naturalistisch nicht erklären (Knapp 1989; Heinrich 2001; Heinrich 2007). Sein weiteres bekanntes Buch Der blinde Uhrmachergenetic error