Winfried Thamm
Für meinen Bruder Ulrich, der in keiner meiner Geschichten vorkommt und doch in vielen sehr präsent ist.
Wenn das Herz aus dem Takt kommt,
weil uns die Gegenwart zu sehr treibt,
wenn die Seele in den Knien zittert,
weil die Vergangenheit sie drückt,
wenn das Glück keine große Oper mehr braucht,
weil schon ein Kammerspiel genügt,
dann werden wir alt.
Wenn das Herz aus dem Tritt kommt,
weil die Zukunft ihm zu steinig wird,
wenn die Seele mehr rückwärts lebt,
weil das Vorwärts sie verwirrt,
wenn das Abenteuer nicht mehr reizt,
weil die Helden müde werden,
dann werden wir alt.
Wenn das Herz sich verschluckt,
weil es das Wort Pflegeheim übt,
wenn die Seele schlecht schläft,
weil alte Schuld sie quält,
wenn die Hoffnung alledem trotzt,
weil wir uns immer noch haben,
dann werden wir alt.
Ich gehe gar nicht mehr raus. Bleib nur noch drin. Hier zu Hause in meinen eigenen vier Wänden. My home is my castle. Ist zwar schade, bei diesem schönen Wetter: Laues Lüftchen, das erste Grün, die Sonne scheint. ,Der Frühling lässt sein blaues Band …‘ Hab ja ’nen Balkon.
Warum ich nicht mehr vor die Tür gehe? Ach, ich kann es nicht mehr ertragen. Was? Diese Dinger, jeder hat eins. Was für Dinger? Smartphones, I-Phones, Mobiltelefone. Handys eben. Alle gucken drauf, kaum einer telefoniert damit. Und wenn doch, dann laut. Ganz Raffinierte haben das Gerät versteckt. Ihnen schauen nur noch zwei Kabel aus den Ohren, während sie lauthals palavernd und wild gestikulierend durch die Gegend laufen. Früher hätte man sie eingefangen und in die Klapse gesperrt, aber heute …
Neulich im Supermarkt war vor mir an der Kasse ein Mann, den seine Frau anscheinend zum ersten Mal einkaufen geschickt hatte. Der wusste gar nichts, fragte seine Frau alles, per Handy, versteht sich. Der einkaufenden Öffentlichkeit gab er seine vollkommene Unkenntnis über Nahrungsmittel, Preise, Kochkünste und über das Leben im Allgemeinen preis. Der hatte aber auch von nichts eine Ahnung und schämte sich nicht einmal. Das ist auch so eine Zeiterscheinung: Man schämt sich nicht mehr.
Wenn früher im Restaurant einmal versehentlich ein Handy klingelte, fiel sofort eisiges Schweigen vom Himmel, die Sonne verdunkelte sich und alle starrten den Täter böse an. Ihm stieg pflichtbewusst die Schamesröte ins Gesicht, er fummelte sein Handy heraus und schaltete es ab.
Heute bestellen sich immer mehr Gäste sogenannte One-hand-meals, die sie nur mit der Gabel oder dem Löffel essen können, damit sie eine Hand frei haben, fürs Handy. Haben Sie das mal beobachtet: Die modernen Paare sitzen sich gegenüber, aber schauen sich nicht in die Augen, reden nicht miteinander. Liebevoll blicken sie auf ihren leuchtenden Liebling, wischen ihm durchs Bildschirmgesicht, zaubern ihm neue Bilder auf die Oberfläche, putzen ihm das virtuelle Näschen, tippen mit flinken Fingern auf ihm herum, als wollten sie ihn kitzeln, kraulen, liebkosen oder zum Lachen bringen. Manchmal zeigen sie ihrem Gegenüber stolz das Handygesicht, als wollten sie sagen: „Schau mal, was mein Kleiner alles kann!“ oder „Ist der nicht süß?!“ Das Gegenüber schaut auf und lächelt mild, kurz und uninteressiert. Es will seinen eigenen Handy-Schatz nicht zu lange allein lassen.
Als ich das letzte Mal mit einer Freundin essen war, legte sie gleich ihr Handy neben den Teller. Ich nahm Platz und griff zur Speisekarte. Sie schaute mich besorgt an und fragte: „Was ist mit dir? Hast du etwa dein Handy vergessen? Dann lauf doch schnell zurück zum Auto und hole es.“ Und mit aufsteigender Panik in den Augen ergänzte sie: „Oder liegt es etwa ganz allein bei dir zu Hause auf der Anrichte?“ Als ich ihr offenbarte, dass ich gar keins besäße, war der Abend gegessen. Ihre Konversation verkrampfte zu gestammelten Halbsätzen, vor lauter Stress den ganzen Abend reden zu müssen. Sobald ein leises Vibrieren oder eines der diversen Signalmelodien ihres Handys die Ankunft einer WhatsApp, E-Mail, Voice-Mail, SMS, MMS, Bild-, Text- oder Sprachnachricht meldete, war ich abgemeldet. Sie tippte ellenlange Antworten in ihren kleinen Begleiter oder sprach zehn Minuten mit ihrer Mutter, übrigens in ganzen Sätzen und ohne zu stottern, scherzte mit ihrer Freundin, statt mit mir und verschickte die süßesten Smiley-Komplimente, begleitet von niedlichen Seufzern echten Mitgefühls. Als dann noch der Kellner kam und unsere Bestellung in sein I-Phone eingab, verließ ich fluchtartig das Lokal.
Auf der Fahrt nach Hause musste ich höllisch aufpassen und entging nur mit Glück einem schweren Unfall, weil die Fahrer nicht mehr auf die Straße schauten, sondern auf ihre leuchtenden Displays. Vor meinem Haus überfuhr ich fast einen Fußgänger, der ohne zu schauen auf die Fahrbahn latschte, mit leicht gesenktem Kopf, einem abwesenden Lächeln auf den Lippen und dem Blick auf sein Smartphone.
Neulich las ich in der Zeitung – haben Sie es auch gelesen? –, dass die Stadtverwaltung ernsthaft diskutiert, ob sie die Straßenlaternen auf den Gehwegen in Kopfhöhe mit Schaumstoff polstern oder mit Blinklichtern sichern wolle, um der steigenden Zahl der Kopfverletzungen von handysüchtigen Bürgern Herr zu werden. In Touristenstädten komme es – so war zu lesen – immer häufiger zu schweren Augenverletzungen durch die in Augenhöhe vor sich her getragenen Selfie-Stangen. Es werde über ein bundesweites Verbot nachgedacht. Gestern gingen Tausende wegen der Diskussion über das Verbot auf die Straße, mit Parolen wie „Ich bin Selfie“ oder „Keine Bange, Selfie-Stange“. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein. Der Mob tobte und blendete die Sicherheitsbeamten mit den Strahlen einer Laserpoint-App. Die Sondereinheit antwortete mit dem Einsatz von altmodischem Tränengas. Weiter war zu lesen, dass die globale Handyindustrie in ihren Labors schon dabei sei, wasserfeste Schutzhüllen zu entwickeln, für die „Handy-Street-Heroes all over the World“.
Wie gesagt: Ich bleibe zu Hause, bestelle mir meine Kleidung, Schuhe, Bücher, Getränke und Lebensmittel online. Der Fahrer von UPS trägt mir das alles sogar die Treppe rauf. Mittlerweile duzen wir uns, sind Freunde geworden. Morgen schauen wir uns gemeinsam das Länderspiel an, im Fernsehen natürlich.
Sehen Sie: Geht doch, auch ohne Handy.
Es ist so schön dunkel. Nur die Lichter der Stadt bemühen sich nach oben durch mein Fenster im 5. Stock und werfen von weit unten graues Licht an die Decke. Der Nachbar schnarcht leise. Es liegt nicht an ihm, dass ich nicht schlafen kann. Wer den ganzen Tag im Bett liegt, schläft nachts schlecht. Oder gar nicht. Aber es ist nicht schlimm. Mir tut nichts weh, wenn ich so liege. Darüber bin ich froh. Das ist ein Privileg in diesem Haus.
Ihm hat es wehgetan, heute, von halb fünf bis halb acht. Herbert heißt er, ist über siebzig. Seine Nichte war bei ihm, Gott sei Dank. Irgendwas beim Klogang passiert, Blut im Urin. Schmerzen. Der Praktikant kam, sah entsetzt das Rot im Beutel und rief die Schwester. Herbert jammerte, tapfer, nicht laut. Schwester Britta kam nach zwanzig Minuten, da könne sie nichts machen, und rief den Bereitschaftsarzt. Der kam nicht, war auf einer anderen Station. Ist schließlich Wochenende, da heißt es: Sparflamme, wollen doch keine Ressourcen verschwenden. Herbert jammerte weiter. Die Nichte hielt die Hand. Fragte nach Schmerzmitteln. Ohne Arzt keine Veränderung der Medikation. Das ist Vorschrift, so die Schwester, übrigens habe sie auch noch andere Patienten. Herbert klammerte sich an die Hand seiner Nichte. – Schätzken, dass du da bist. Wenn ich dich nicht hätte. Das tut so weh – . Nach einer Stunde tauchte ein junger Mann in Weiß auf, fragte, was uns denn fehle, und verschwand gleich wieder, den Urologen holen. – Ein Schmerzmittel, Herr Doktor? – Zu spät, die Tür war schon zu. Herbert jammerte lauter, aber immer noch tapfer. Eine Übung in Geduld und Demut. Um kurz vor halb acht kam der Urologe, zog den Katheder. Herbert atmete auf.
Ein Fenster ist auf Kipp, leise rauscht die Großstadt. In den letzten Tagen hatte ich eine wunderschöne Aussicht über das Viertel, dahinter die bunten Wälder. Goldener Oktober. Wäre gerne spazieren gegangen. Bleibe so liegen, genau so, auf dem Rücken, die Hände auf dem Bauch abgelegt, atme ruhig. Hat was von Meditation. Eine Übung in Geduld und Demut.
Vorher hab ich auf der Sechs gelegen. Als Vierter auf einem Dreibettzimmer. Böse Blicke der anderen drei, als sie mich hineinrollten. Man duzte sich gleich. Die Distanzlosigkeit der Leidensgenossen.
Josef war Rentner und verloren wie ein Baby, ohne seine Frau. Die lag eine Etage tiefer und hatte was Schlimmes. Er ging jeden Tag zu ihr hinunter. Dauerte höchstens eine halbe Stunde, der Besuch. War immer deutlich erleichtert, wenn er wieder da war. Er ist nur hier wegen seiner Zuckerwerte, müssen neu eingestellt werden, und weil er alleine zu Hause nicht klarkommt. Josef ist alt, um die achtzig. Aber fast kerngesund und schimpfte wie ein Rohrspatz. Ließ mich nicht in Ruhe, fragte immer, ob er denn recht habe, rotzte und rülpste und spuckte und schaute mich an. Unentwegt. Ein Mann ohne Manieren. Saß ich im Bett und las, schaute Josef mich an. Schaute ich auf, grinste er und sagte etwas, was ich unbedingt bestätigen musste, sonst wiederholte er es. Schaute ich nicht auf, fragte er, was ich da lese, ob das spannend sei, er lese nie, manchmal mache er Kreuzworträtsel, aber hier nicht, habe ja keine, seine Frau könne ja keine holen. Der Vorwurf war unüberhörbar. Ein alter Mann mit dem Wesen eines dreisten, verwöhnten und verzogenen Kindes. Arme Frau. Für sie: eine Übung in Geduld und Demut.
Gut, dass ich da weg bin. Ich liege ganz still, höre die Stadt und sehe ihren Schein an der Decke. Bruno atmet schwer, japst, setzt aus, ein lauter Schnarcher und wieder Ruhe. Er liegt wie ein Berg hinter Herbert. Die beiden sind wie eine Landschaft: Herbert ist der Fluss, weil seine Sauerstoffmaske so gluckernde Geräusche macht und Bruno ist der Berg dahinter. Was bin ich in dieser Landschaft? Der gefällte Baum?
Bruno ist ein gutmütiger Berg, zweihundert Kilo bestimmt, wenn nicht mehr. Er kriegt dauernd Besuch. Immer, durchgehend, ist jemand da, manchmal auch viele – außer nachts. Sie reden immer irgendwas völlig Belangloses und lächeln sich an. Sie lächeln sich immer an und reden immer. Ein ruhiges Krankenzimmer ist etwas anderes. Für mich: eine Übung in Geduld und Demut. Wenn sie endlich weg sind, will Herbert immer die Aktuelle Stunde gucken, dann die Tagesschau. Dabei schläft er meist schon ein. Schnell schalte ich den Fernseher wieder aus. Der Berg will nichts sehen. Er will liegen.
Jetzt kommt wieder ein Flieger am Fenster vorbei, im Anflug auf Düsseldorf. Er schwebt mehr als er fliegt, ganz langsam. Nicht, dass er herunterfällt? Auf uns drauf! Hätten’s dann nicht weit zum Krankenhaus. Ha ha, Klinikwitz. Ich erkenne nur die Scheinwerfer und höre die Motoren, weit weg. Da oben drin will ich sitzen, nach langer Reise nach Hause kommen, exotische Abenteuer und Geschenke im Gepäck, erwartet werden von meiner Frau am Flughafen, Umarmungen, Küsse und – dass du wieder da bist, ich kann es kaum fassen – in strahlende Augen sehen.
Auf dem Zimmer mit dem greisen Egoistenkind lag noch Andreas. Lustiger Kerl. Haut wie Teig. Ihm stand das Wasser bis zum Hals. Fast. Er wäre beinahe in sich selbst ertrunken. Sein Herz arbeitet nicht richtig. Das Wasser im Körper hatte sich zuerst in den Füßen und Beinen gesammelt und stieg dann immer höher in den Bauch. Was es nicht alles gibt. Dass er erst so spät eingeliefert wurde, lag daran, dass er nicht versichert war. Er traute sich nicht, dachte, er müsse die Behandlung selber zahlen. Und weil er kein Geld hatte, müssten das seine Eltern übernehmen. Die zahlen ja eh alles und haben selbst nicht viel. Er wohnt noch zu Hause, liegt ihnen auf der Tasche. Eine Übung in Geduld und Demut.
Morgen soll es wieder schön werden. Die Sonne wird wieder das bunte Laub vergolden. Es wird noch ein paar Tage dauern, bis ich wieder laufen kann. Dann wird nur kalter Regen durch die Straßen fegen und der November all die Farben aus der Welt gesogen haben. Das Leben in Schwarz-Weiß, lange, bis zum Frühling. Eine Übung in Geduld und Demut. Das schmerzt. Heute habe ich eine Kinderseele.
Andreas ist Großhandelskaufmann. Nach der Lehre wurde er nicht übernommen. Nach drei Jahren ohne Arbeit besuchte er einen Umschulungskurs vom Arbeitsamt als Communication-Assistent, fand einen Job und war glücklich. Nach knapp einem Jahr machte die Firma Pleite. Er hatte sich dann nicht mehr arbeitslos gemeldet, weil er meinte, es hinterließe einen schlechten Eindruck bei der Arbeitssuche. Nach 237 Bewerbungen in vier Jahren hatte er aufgegeben. Seine Eltern lieben ihn. Er sie auch, mit viel Scham. Das merkt man, wenn sie ihn besuchen. Er ist zweiunddreißig. Netter Kerl, kennt sich gut aus mit Kabarett und Filmen. Hier macht er eine Entwässerungstherapie. Kriegt vielleicht einen Schrittmacher. Seine Waden sind violett. So viel Wasser haben seine Adern nicht vertragen. Manchmal schmerzen sie, manchmal jucken sie. Immer cremen, viel cremen, sagt der Arzt.
Einmal bekam er den ganzen Tag kein Essen, weil er zu einer Untersuchung musste, die dann aber auf den nächsten Tag verlegt worden war. Er sagte, er habe Hunger, traute sich aber nicht nachzufragen. Ich klingelte, erklärte und klingelte noch einmal. Dann bekam er sein Essen. Er sagte Danke, ohne mich anzusehen. Dann aß er, drehte sich in seinem Bett zur Seite und weinte. Arme Sau.
Ich möchte jetzt einschlafen. Genug Melancholie genossen. Möchte nicht, dass sie kippt, so wie frischer Wein kippt, wenn man ihn zu lange lagert. Umkippt in tintenschwarze Traurigkeit. Die Melancholie, nicht der Wein. Oder noch schlimmer, in Angst. Im Krankenhaus ist es ganz superleicht Angst zu bekommen. Da muss man sich gar nicht anstrengen und schon hat man sie im Kopf. Jeder eine für sich. Meine heißt: Amputation. Ist zwar nur eine dicke, heiß-rote Entzündung im Fuß, aber das Wort ist im Kopf, kam gleich bei der Einlieferung, quasi mitgeliefert: Amputation. Ist hartnäckig, schwer zu vertreiben, gerade nachts. Aber geht schon wieder. Muss. Mach dich nicht verrückt, sag ich mir dann immer. Eine Übung in Geduld und Demut.
Es ist mir noch nicht passiert, aber die Vorstellung, jemand dringt in meine Wohnung ein, mit Gewalt oder mit Geschick, egal, jemand dringt in meine Wohnung ein, schaut sich um, schnüffelt herum, öffnet Schränke und Schubladen, wühlt in meiner Wäsche, liest meine Tagebücher und Briefe, diese Vorstellung erschreckt mich, jagt mir Angst ein, macht mich wütend. Es würde mich aus meiner Ruhe bringen, mein Menschenvertrauen ankratzen, meine Seele verletzen. Auch wenn der Eindringling nichts stiehlt, nichts verwüstet, nichts schändet.
Nun ja, es ist mir bisher auch nicht passiert, habe Glück gehabt, bis jetzt, darf mich sicher fühlen in meinem Zuhause.
Nur: Jetzt sitze ich hier, schon seit anderthalb Stunden, und warte. Ich warte darauf, dass jemand eindringt. In mein Haus? In meine Wohnung? In mein Zimmer? Nein! In mein Herz!
Ich habe sogar mit ihm gesprochen, mit dem Eindringling, mit dem Einbrecher. Er hat mir auch noch erklärt, wie er hineinkommt, in mein Herz. Durch die Kellertür, eine Vene in meiner Leiste. Scheißfreundlich hat er’s mir beschrieben, wie er das Schloss aufbohrt, mit einer Nadel, direkt neben meinen Hoden. Wieso soll ich dem vertrauen, ich kenne ihn doch gar nicht. Nur, weil er einen weißen Kittel anhat? Den kann er sich besorgt haben. Ich sag nur: Berufsbekleidungsgeschäft! Vielleicht bohrt er sie ja an, meine Eier, bläst sie aus und hängt sie bunt bemalt an einen Strauch blühender Forsythien in seinem Garten. Und lacht sich tot, die Schweinebacke, erzählt seiner Frau und seinen Kindern: „Das da sind die Eier von Herrn T. Der hat doch tatsächlich geglaubt, ich würde ihm seine Stromleitungen im Herzen reparieren. Ich bin doch kein Elektriker, ich bin ein Eierdieb.“
Halt! Stopp! Meine Fantasie geht mit mir durch. Auf dem Teppich bleiben, die Kirche im Dorf lassen, ruhig durchatmen. Freud würde sich freuen über meine Fantasien: Klassischer Fall von Kastrationsängsten, würde er sagen.
Nein, der Einbrecher in Weiß mit dem Doktortitel, hoffentlich nicht durch Plagiat, will in mein Herz, mit einem langen Katheder will er es durchsuchen. Und der Durchsuchungsbefehl trägt meine Unterschrift. Er hat sie mir abgepresst, der Gauner. Wenn ich die Erlaubnis verweigert hätte, hätte er mich für verrückt erklärt und mein Über-Ich hätte mich in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen: Klapse zu, Seele tot.
Nach zwei Stunden und fünfzehn Minuten werde ich aufgerufen. Mein Feind in Weiß gibt mir die Hand. Ich muss freundlich tun. Jetzt erläutert er mir seinen Einbruch noch einmal, der Sadist, in allen Einzelheiten, der Hund. Er nennt seinen Übergriff Ablation, das hört sich vornehmer an, klingt ein wenig nach Absolution, der Zyniker. Er wird in mein Innerstes einbrechen, in dem für ihn kein Platz ist, wird die Bewohner stören, die ich liebe, die mir ans Herz gewachsen sind.