image

Alan Watts

ZEN

Stille des Geistes

Eine Einführung in
die Meditation

aus dem Englischen von
Theo Kierdorf und Hildegard Höhr

image

Alan Watts

ZEN · Stille des Geistes

Eine Einführung in die Meditation

Die amerikanische Originalausgabe 'Still the Mind - An Introduction to Meditation' erschien bei World Library, Novato, California, USA, © 2000 Mark Watts

© 2001 Theseus in J.Kamphausen Mediengruppe GmbH, Bielefeld

info@j-kamphausen.de | www.weltinnenraum.de

ISBN Print 978-3-89901-633-8

ISBN E-Book 978-3-95883-228-2

Übersetzung aus dem Englischen: Theo Kierdorf und Hildegard Höhr

Umschlaggestaltung: Morian & Bayer-Eynck, Coesfeld, www.mbedesign.de unter Verwendung eines Fotos © apfelholz/photocase

Kalligraphie: © Hu Hsiang-fan

Gestaltung und Satz: Hildegard Höhr

E-Book Gesamtherstellung: Bookwire GmbH, Frankfurt a. M.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe sowiedes auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.

Aus der richtigen Perspektive betrachtet,
sind wir alle ebenso außergewöhnliche Naturphänomene
wie Bäume, Wolken, die Muster fließenden Wassers,
das Flackern von Feuer, die Anordnung der Sterne am Himmel
und die Form einer Milchstraße.
Wir alle sind genau so wie all die erwähnten Phänomene,
und so, wie wir sind, ist mit uns alles in Ordnung.

Alan Watts

image

Kalligraphie Stille von Hu Hsiang-fan

Inhalt

Vorwort des Herausgebersu

Einleitung von Mark Watts

TEIL I: DIE ESSENZ DER WELT

1. Wer wir im Universum sind

2. Begegnen Sie Ihrem wahren Selbst

TEIL II: DIE ESSENZ DER MEDITATION

3. Die Philosophie der Meditation

4. Die Praxis der Meditation

TEIL III: STILLE DES GEISTES

5. Kontemplatives Ritual

Vorwort des Herausgebers

von Marc Allen

Alan Watts wurde in den fünfziger Jahren als brillanter, engagierter Intellektueller bekannt. Er war mit den östlichen und westlichen spirituellen Traditionen vertraut wie nur wenige zu seiner Zeit, und er hat sie im Gegensatz zu vielen anderen auch praktiziert. Sein unvergleichliches Verständnis dieser Lehren spiegelte sich in seinen zahlreichen Büchern und Vorträgen.

In den sechziger Jahren befasste sich Watts mit dem Zen-Buddhismus und wirkte zunächst als Lehrer an der American Academy of Asian Studies (dem heutigen California Institute of Integral Studies – CIIS) und später als deren Leiter. Seine Bücher und Vorträge waren ungeheuer populär. Er sprach wöchentlich in einem lokalen Radiosender von San Francisco, der überall in den USA empfangen werden kann. Diese Vorträge hörten Menschen in ganz Amerika, und für viele waren sie ihr sonntäglicher Gottesdienst.

Alan Watts lebte in diesen Jahren auf einem Hausboot in Sausalito, nördlich von San Francisco, auf dem zahllose Diskussionen, Partys und Meditationssitzungen stattfanden. Dies war ein wichtiger Treffpunkt berühmter und berüchtigter spiritueller Lehrer, Gurus, Intellektueller, Schriftsteller, Künstler und Suchender.

Mit zunehmender Meditationsübung wurden Watts’ Schriften und Vorträge immer tiefgründiger. Er redete über spirituelle Themen nicht nur, sondern half immer häufiger Menschen, zur Meditation und durch sie zur spirituellen Erfahrung zu gelangen.

In seinem letzten Lebensjahr verließ er sein Hausboot und zog sich in eine kleine, einsam gelegene Hütte in den Wäldern zurück. Sein Tag begann gewöhnlich mit einer japanischen Teezeremonie, an die sich eine Zeit der Meditation und Kontemplation anschloss. Danach widmete er sich seiner schriftstellerischen Arbeit.

Seine Schriften und Vorträge wurden zunehmend von der Erfahrung der Stille geprägt. Das vorliegende Buch besteht aus den Transkripten mehrerer Vorträge, die Watts in seinen späten Jahren hielt. Aus ihnen spricht ein Maß an Reife und Verständnis, das sich erst nach langjähriger Meditation entwickelt. Im Laufe der Jahre war dieser einst ernste Intellektuelle zu einem Menschen geworden, den Spontaneität und Liebe zum Leben auszeichneten.

Seine Worte sind heute noch ebenso frisch wie zu der Zeit, als sie gesprochen wurden. Alan Watts wird als Autor, Suchender und Lehrer weiterleben, und dieses Buch zeigt, warum dies so sein wird:

Er vermag Worte auf eine Weise zu benutzen, die uns über alle Worte hinausführt. Er vermittelt seinen Lesern nicht nur ein Verständnis der Meditation, sondern geleitet sie zu einer echten spirituellen Erfahrung.

Einleitung

von Mark Watts

Am Anfang dieses Buches erwähnt Alan Watts das Geschenk, das ihm gegeben wurde, ein einzigartiges Geschenk. Er nahm seine Leser und Zuhörer auf eine Reise mit, die sie über die von vielen nicht wahrgenommene Begrenztheit des Rechnens und Berechnens hinausführte. Der vielleicht wichtigste Aspekt seiner Begabung bestand darin, dass er zu zeigen vermochte, wie wir uns auf einfache Weise aus der geistigen Falle befreien können, in die wir uns selbst hineinmanövrieren.

Wir sind Sklaven von Mustern, die sich ständig wiederholen, und eines nie endenden Stroms von Worten. Zwar reden unsere politischen Führer unablässig über die zahlreichen Probleme der Menschheit, doch verlieren sie sich in fruchtlosen und oft zudem auch noch unverständlichen Erklärungen ohne jede praktische Konsequenz. Mehr oder minder haben wohl alle zivilisierten Völker den Kontakt zur Realität verloren, denn niemand von uns ist mehr in der Lage, zwischen der Art, wie die Dinge sind, und der Art, wie sie beschrieben werden, zu unterscheiden. Obwohl dies bei Politikern besonders krass zutage tritt und besonders katastrophale Folgen hat, betrifft es im Grunde uns alle. Beispielsweise verwechseln wir Geld, ein Abstraktum, mit echtem Reichtum. Und wir verwechseln die Vorstellung davon, wer wir sind, mit dem tatsächlichen Erleben unserer Existenz.

In den sechziger und Anfang der siebziger Jahre hat Alan Watts an zahlreichen Universitäten gelehrt sowie in vielen damals gerade entstehenden Zentren, die sich der Förderung der inneren Entwicklung widmeten. Um seinen Zuhörern zu helfen, ihre Verbindung zur Welt besser zu verstehen, beschrieb er die untrennbare Verbindung unserer biologischen Existenz mit der ganzen Welt stets sehr ausführlich. Von meinem sechzehnten Lebensjahr an begleitete ich ihn einige Jahre lang so oft wie möglich zu seinen Vorträgen und nahm sie mit einem tragbaren Kassettenrecorder auf.

Ganz gleich, ob er über ökologisches Bewusstsein, die Psychologie mystischer Erfahrung oder die Praxis der Zen-Meditation sprach, stets kam er auf die Untrennbarkeit des Menschen von der Welt zu sprechen. Er verwies immer wieder darauf, dass unsere konkrete Vorstellung von dem Teil des Universums, den wir unseren Körper nennen, uns sehr leicht dazu verleiten kann, der Illusion zu verfallen, dass wir abgetrennte Wesenheiten seien.

Aufgrund jener Wahrnehmungstäuschung, die wir Ich nennen, sehen wir uns immer noch als getrennt von der Natur. Um dieser Falle zu entkommen, müssen wir aufwachen und in der realen Welt sein. Wir müssen die reale Welt direkt erfahren. Doch bei der Bemühung darum sehen wir uns mit dem Problem konfrontiert, dass manche Menschen die spirituelle Welt und andere die materielle Welt für die reale halten. Tatsächlich sind beide nur Vorstellungen. Wie viele andere Lehrer hat auch Alan Watts immer wieder darauf hingewiesen, dass wir, um unsere Verbundenheit mit dem Universum zu erfahren, mit dem Denken aufhören müssen – zumindest zeitweise.

Mein Vater hat oft gesagt: »Ein Mensch, der unablässig denkt, hat außer Gedanken nichts, worüber er nachdenken kann, und er lebt in einer Welt der Illusionen.« In der Meditation oder Kontemplation können wir einen Bewusstseinszustand kennenlernen, in dem unser Identitätsbewusstsein völlig aufgelöst ist. Dies können wir jedoch nur erfahren, wenn wir alle unsere Versuche, die Welt mit Hilfe unseres Geistes zu beschreiben, loslassen. Wenn wir unablässig reden, hören wir nicht, was andere zu sagen haben, und wenn wir ständig denken, können wir das Wesen unserer Existenz niemals erfahren.

In diesem Buch geht es um eine neue Art zu denken und zu leben. Wie vielen anderen war auch Alan Watts klar, dass daran insofern nichts neu ist, als wir dazu die Verbindung zu einer Energie wiederherstellen müssen, die so alt wie das Universum ist, und zu einer Form von Weisheit, deren Alter mindestens dem des Menschengeschlechts entspricht – einer Weisheit, die schon den Naturvölkern zugänglich war und die Buddhismus und Hinduismus auf brillante Weise zum Ausdruck gebracht haben.

Alan Watts geleitet uns auf eine Reise des Erfahrens. Die Experimente, die er empfiehlt, helfen, den Kontakt zur Wirklichkeit jenseits unseres Denkens wiederherzustellen, zu jener alles umfassenden Realität, die sich unseren Bemühungen, sie durch Gedanken auszudrücken, entzieht.

Alan Watts sagt all dies viel klarer, als ich es kann. Die lange Zeit, die ich mit der Arbeit an Tonbandaufzeichnungen und Transkripten seiner vielen Vorträge verbracht habe, war für mich eine äußerst lohnende Erfahrung. Seine Worte haben auch viele Jahre nach seinem Tode noch eine starke Wirkung, und es ist durchaus der Mühe wert, mit dem Buch, das Sie in Händen halten, hin und wieder ein paar ruhige Stunden zu verbringen. Sie werden dann erleben, wie er versucht hat, Menschen mit Hilfe von Worten und Gedanken über alle Worte und Gedanken hinauszuführen, und Sie werden zu ahnen beginnen, dass unsere Natur viel wunderbarer ist, als sich in Worten ausdrücken lässt.

Teil I

Die Essenz der Welt

1

Wer wir im Universum sind

Als kleiner Junge hat man mir beigebracht, dass es gut sei, selbstlos und liebevoll zu sein, und ich habe damals gedacht, als Erwachsener müsste ich anderen Menschen helfen. Nach einiger Zeit fand ich heraus, dass man anderen Menschen nicht helfen kann, wenn man nichts hat, was man ihnen geben kann. Allein dadurch, dass ich glaubte, anderen helfen zu müssen, hatte ich offenbar noch nichts, was ich ihnen hätte geben können.

Im Laufe der Jahre wurde mir allmählich klar, was die Welt mir an Wertvollem gegeben hatte und dass dies keine Geschenke im üblichen Sinne waren. So sehr uns der Gesang der Vögel erfreuen mag, sie singen nicht, um den Fortschritt der Musik zu fördern, und die Wolken ziehen nicht am Himmel entlang, damit Künstler sie malen können.

In einem Gedicht aus der Zen-Tradition heißt es:

Die Wildgänse haben nicht die Absicht,

ihr Spiegelbild zu erzeugen.

Das Wasser hat nicht die Absicht,

ihr Bild wiederzugeben.

Einem Bergbach, der einer Quelle am Wegesrand entspringt, ist ein durstiger Reisender, der sich an ihr labt, willkommen. Doch der Bergbach wartet nicht darauf, dass er den Durst des Reisenden stillen kann. Er blubbert und plätschert dahin, und Reisende können sich jederzeit an ihm laben. Genau in diesem Sinne biete ich Ihnen dieses Buch und die darin beschriebenen Gedanken an und stelle Ihnen frei, sich ihrer zu bedienen.

Drei Wünsche

Ich biete Ihnen das, was ich geschrieben habe, zu Ihrer und meiner eigenen Unterhaltung an. Es geht mir nicht darum, Sie zu einem besseren Menschen zu machen, und ich wüsste auch wirklich nicht, wie ich das erreichen könnte. Es wäre sehr unklug, Ihnen irgendwelche Verbesserungsvorschläge zu machen, denn man weiß nie, was schließlich daraus wird – und es heißt ja auch, man müsse mit Wünschen sehr vorsichtig sein, weil sie in Erfüllung gehen könnten.

Eines der mit der Sehnsucht nach einem Wunder verbundenen Probleme ist, dass niemand wissen kann, wie sich ein Wunder, das man sich gewünscht hat, letztendlich auswirkt. Deshalb gewähren Magier und gute Feen Menschen stets drei Wünsche und ermöglichen ihnen so, nach der Formulierung der ersten beiden mit Hilfe des dritten zumindest wieder zu ihrer Ausgangsposition zurückzukehren.

Nachdem wir den ersten Wunsch ausgesprochen haben, entwickeln sich die Dinge nie so, wie wir es erwarten. Beispielsweise ist Menschen meist nicht klar, was der Wunsch, Glas möge sich in Gold verwandeln, tatsächlich beinhaltet. Wenn wir die Ordnung des Universums so verändern, dass Glas zu Gold wird, können Sie möglicherweise plötzlich nicht mehr sehen, oder Sie verlieren Ihr gesamtes Haar, weil das eine nicht vorhergesehene Folge Ihres Wunsches ist. Wir verstehen die vielen Wechselbeziehungen zwischen den Dingen nicht, weil das, was wir »Dinge« nennen, in Wirklichkeit nicht von allem anderen getrennt ist. Zwar lassen die Wörter und Vorstellungen, die wir über Dinge entwickeln, diese als voneinander getrennt erscheinen, doch tatsächlich sind sie nicht getrennt, sondern in einem einzigen riesigen Schwingungsmuster miteinander verbunden. Wenn Sie dieses Muster irgendwo verändern, verändert es sich auch an vielen anderen Stellen, denn jede Schwingung wirkt auf das gesamte Muster.

Warum glauben Sie?

Da niemand wirklich weiß, was geschehen wird, würde ich mir nie anmaßen, von Ihnen zu fordern, dass Sie anders sein sollten, als Sie zur Zeit sind. Ich bin kein Guru im Sinne eines spirituellen Lehrers oder einer Autorität, von der Sie erwarten können, dass sie Ihnen mehr gibt, als Sie bereits haben. Wenn Sie einem anderen Menschen spirituelle Autorität zugestehen, geben Sie dem Betreffenden damit praktisch die Erlaubnis, Ihr Portemonnaie zu stehlen und Ihnen Ihre eigene Uhr zu verkaufen.

Wie können Sie sicher sein, dass ein großer Lehrer (oder eine heilige Schrift) tatsächlich weiß, was er (oder sie) zu wissen behauptet? Sie mögen an eine Religion glauben; das ist eine Entscheidung, die Sie getroffen haben. Aber woher wissen Sie? Und warum glauben Sie?

Wenn Sie einfach deshalb an etwas glauben, weil beispielsweise in der Bibel steht, dass es wahr ist, dann gestehen Sie der Bibel die Autorität zu, in dieser Hinsicht die Wahrheit zu verkünden. Sie mögen nun einwenden, dass Ihr Vater und Ihre Mutter und alle möglichen anderen zuverlässigen Menschen daran geglaubt haben und dass Sie diese Dinge ebenfalls akzeptieren, weil diese Menschen für Sie Autoritäten sind. Doch wenn Sie neugierig sind, werden Sie sich vielleicht auch fragen: »Woher wussten alle diese Leute eigentlich, dass dies wahr ist?« Haben sie es durch ihr eigenes Beispiel unter Beweis gestellt? Ist ihr Leben aufgrund ihres Glaubens deutlich besser geworden?

Wenn wir die Menschheitsgeschichte mit klarem Blick betrachten, erkennen wir, dass sich die Menschen trotz ihrer Religionen und Ideale seit entsetzlich langer Zeit nicht gebessert haben. Wenn Sie wie ich fünf Enkelkinder haben, wird Ihnen klar, dass Sie genauso dumm sind wie Ihr eigener Großvater, weil Sie die Dinge immer noch aus Ihrer beschränkten Perspektive sehen. Meine Enkel mögen mich für einen weisen, ehrwürdigen alten Mann mit Bart halten, doch ich