Jacob Ovens

Hochstapler - Betrüger - Deichbauer. Eine historische Kriminalerzählung

Thomas B. Morgenstern


ISBN: 978-3-938097-41-0
1. Auflage 2017, Drochtersen (Deutschland)
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Inhalt

„Mein König hat Geld, ich habe Courage!“ (Jacob Ovens)

Versuch einer Annäherung

Wissenschaftliche und technische Experimente waren zu Beginn des 18. Jahrhunderts weit verbreitet. Der Mensch löste sich von dem Glauben, das alles, was auf der Erde geschieht, durch göttlichen Willen vorherbestimmt sei. Dieses neu erwachte Vertrauen in die Kraft des Verstandes war sicher einer von mehreren Gründen, auch Ungewöhnliches zu wagen, wie zum Beispiel einem Glücksritter wie Jacob Ovens, dessen bisheriges Leben wenig Stetiges vorzuweisen hatte, eine so wichtige Aufgabe wie die Reparatur eines katastrophalen Deichbruchs anzuvertrauen. Es war eine Epoche, in der über die Bildung niederer Volksschichten nachgedacht wurde, Akademien gegründet und wissenschaftliche Experimente bejubelt wurden. An den europäischen Höfen überboten sich die Erfinder, Gaukler und Scharlatane mit immer neuen, zum Teil aberwitzigen Ideen und Vorschlägen. Alle waren sie erfüllt von der Hoffnung, dass ausgerechnet ihre Erfindung oder Vorführung die Gunst des Herrschers gewinnen würde. Jacob Ovens war ein typischer Vertreter dieser Zeit, in der es immer öfter zur Auseinandersetzung zwischen absolutistischem Herrschaftsanspruch und individuellem Denken kam.

 

Jacob Ovens kam Ende des 17. Jahrhunderts in Dithmarschen zur Welt, seine Geburt ist wie sein Tod nicht genau datierbar. Sein Leben war sehr bewegt. Er reiste durch halb Europa, wurde wiederholt wegen Betrugs und anderer Delikte gesucht, wohnte und arbeitete eine Zeitlang in Kopenhagen und in London. Er fuhr zur See, betrieb eine Schankwirtschaft, versuchte sich mehrmals in der Landwirtschaft, konstruierte Grützmühlen und Schlammbagger und landete schließlich 1719 im Kurfürstentum Hannover. Dort erhielt er den Auftrag, den Deichbruch von 1717 in Wischhafen an der Elbe zu schließen, ein Unterfangen, an dem schon mehrere erfahrene Deichbauer gescheitert waren.

Ovens war von Anfang an in Wischhafen umstritten. Fachleuten war es unverständlich, wie man einem Mann mit einer derartigen Vita solch eine Aufgabe anvertrauen konnte, andere sahen in ihm dagegen eine Art Heilsbringer, der nach zwei verlorenen Jahren endlich das fast Unmögliche schaffen sollte.

Ovens umgab sich schnell mit ihm ergebenen Adlaten, flocht Beziehungen bis in die Spitze der Regierung und konnte zuerst auch schnelle Erfolge bei der Reparatur des gebrochenen Deiches vorweisen.

Aber seine Deichbaumaßnahmen wurden ihm wie seinen Vorgängern durch eine ungewöhnlich schnelle Abfolge von Sturmfluten wieder zerstört. Die ausbleibenden dauerhaften Erfolge ließen schließlich Widerstand gegen ihn aufkommen. Ovens galt als despotisch, herrisch und ungerecht und viele glaubten, er würde sich persönlich bereichern.

Eine Kommission zur Klärung der Sachverhalte wurde eingesetzt und stellte fest, dass die Rechnungsführung von Ovens nicht nachvollziehbar war und dass er schweren Betrug begangen hatte. Er wurde verhaftet und in Stade in das neu erbaute Gefängnis, die Engelsburg, eingeliefert.

Ovens floh und wurde ein paar Tage später in Neumünster wieder gefasst, nach Kiel überführt und nach diplomatischen Verwicklungen zwischen Dänemark und dem Kurfürstentum Hannover schließlich in Stade zu Folter und lebenslänglicher Haft verurteilt. In Celle, wohin er unter schwerer Bewachung gebracht worden war, verliert sich im Jahr 1726 seine Spur im Zuchthaus.

1724 erschien in Frankfurt und Leipzig „Mein Lebens-Lauff“, eine angeblich authentische Autobiographie von Jacob Ovens. Im Anhang ist sie, unter Mitarbeit von Charlotte Böttiger behutsam in lesbares Deutsch übertragen, in Auszügen nachzulesen. Diese mutmaßliche Fälschung habe ich zum Anlass genommen, in fiktiven Aussagen einiger Weggefährten den Versuch einer Annäherung an dieses bewegte Leben zu wagen.

Im Anhang finden sich auch eine kleine Literaturliste und Erklärungen heute unbekannter Begriffe, die im Buch auftauchen.

 

Thomas B. Morgenstern, im Sommer 2009

Prolog

Der Wind, der am Tag vor dem Heiligen Abend 1717 heftig aus Südwest geweht hatte, entwickelte sich am nächsten Morgen immer mehr zu einem Sturm. Mittags drehte der Wind auf westliche Richtung und wurde noch heftiger. Am frühen Nachmittag blies er aus Nordwest und die Einwohner von Kehdingen bekamen es mit der Angst zu tun, viele wagten sich kaum aus ihren Häusern, um in den Kirchen die Weihnachtsgottesdienste zu besuchen. Während der Gottesdienste konnten die Gläubigen kaum der Liturgie folgen oder die Predigt des Pfarrers verstehen, so tobte und heulte der Wind um die Kirchtürme, die aber, wie schon so oft, standhielten. Gegen Mitternacht flaute es wieder ab und die Menschen, die sich schließlich durch den Sturm in ihre Häuser gekämpft hatten, gingen beruhigt zu Bett. Solche Stürme hatte man schon viele überstanden, außerdem stand der Mond im letzten Viertel. Bei einer solchen Konstellation der Gestirne, das wusste man, drohte keine Springtide.

Gegen ein Uhr, Kehdingen schlief, drehte der Wind weiter auf und wurde rasend schnell zu einem gewitterträchtigen Orkan aus Nordwest, so blitzartig, dass die Sturmglocken der Kirchen nicht mehr läuten konnten. Mit voller Wucht wurden Kehdingen und die gesamte Nordseeküste von einer gewaltigen Sturmflut getroffen, der stärksten seit Menschengedenken.

Der brüllende Lärm des Orkans, die Blitze und Donnerschläge rissen die Menschen aus dem Schlaf. Kaum jemand fand die Zeit, sich anzuziehen. Ganze Familien retteten sich, nur mit Nachtwäsche bekleidet, auf die Dachböden ihrer Häuser, wo sie im Finstern oder manchmal mit einer Kerze in der Hand, im Heu oder Stroh zitternd vor Kälte und Angst darauf hofften, dass der Sturm abflauen würde, ohne allzu viel Schaden anzurichten.

Die Hoffnung trog.

Morgens um 5 Uhr ging in Wischhafen das Wasser über den Deich, zerstörte erst die Schleusen, riss dann den gesamten Deich mit sich und brach mit Urgewalt über das Land und die Menschen. Die nahe der Elbe in der Marsch gelegenen großen, reichen Adelshöfe wurden als Erste weggespült. Die stolzen, mächtigen Gebäude brachen wie Spielzeug unter der Gewalt des Wassers zusammen. Wer sich nicht auf die Böden, die manchmal samt den Bewohnern einfach weg schwammen, gerettet hatte, hatte keine Chance.

Dem Wasser konnte niemand widerstehen, Mensch und Vieh wurden mitgerissen, ertranken, erfroren oder wurden von der reißenden Flut in die Tiefe gezogen. Wer sich treibend an Balken, Möbeln, Bäumen oder Reetbündeln festhalten konnte, zögerte meist nur hilflos den Moment seines Todes hinaus. Häufig musste er mit ansehen, wie alle um ihn herum starben und im Wasser verschwanden. Kaum ein Marschhof hielt der Urgewalt stand.

Das Wasser stieg so hoch, dass losgerissene Schiffe über den zerstörten Deich trieben und ohne Besatzung ziellos im Hinterland strandeten.

Stunde um Stunde hielt das Inferno an, es wurde kaum heller Tag, so dunkel und gewalttätig trieben die Wolken von der See ins Land. Die verzweifelten Hilfeschreie waren nur wenige Schritte weit zu hören, zu laut war das Gebrüll des Sturmes, der alles daran zu setzen schien, die Menschen zu übertönen.

Als es doch hell zu werden begann, flaute der Sturm etwas ab, aber viele mussten mehrere Tage durchgefroren und durchnässt ausharren. Zu Kälte und Angst kamen Hunger und Durst hinzu. Alles, was um sie herum an Essbarem zu erreichen war, war getränkt von salzigem, brackigem Wasser und ungenießbar. Manchen gelang es in ihrer Verzweiflung vorbei treibende, tote Kühe heran zu bugsieren, die sie ausmolken, um etwas zu trinken zu haben. Einige schnitten Schweinen mit Messern das Fleisch aus den aufgedunsenen Leibern und aßen es roh. Vor Durst halb Wahnsinnige tranken ihren Urin, andere stürzten sich ins Wasser, weil sie es nicht mehr aushalten konnten. Sie wählten lieber den Tod als das langsame Verhungern und Verdursten.

Niemand weiß, wie viele an den Folgen dieser grauenvollen Nacht noch gestorben sind.

 

Aller Reichtum des Landes war dahin, die Höfe, Äcker und Wiesen des Landes mannshoch unter Wasser, die Vorräte vernichtet, die Obstbäume weggeschwemmt. Und es war keine Hilfe in Sicht.